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Die Falle von Kadesch – Spionage im alten Ägypten

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Im Gegensatz zu den Menschen in Mesopotamien musste sich die Bevölkerung im alten Ägypten nur selten großen militärischen Auseinandersetzungen stellen. Das ausschließlich im Niltal und in den Oasen bewohnbare Land war kein typisches Durchzugsgebiet für Völkerstämme, da die benachbarte Wüste einen natürlichen Schutzwall bildete. Große Festungen zur Abwehr von Feinden gab es deshalb überwiegend in Oberägypten im Grenzbereich zu Nubien und im Nildelta, um dort Eindringlinge aus den westlichen und östlichen Gebieten abzuwehren. Im östlichen Nildelta ließ Pharao Amenemhet I. die langen „Mauern des Herrschers“ errichten; ein Grenzwall, der erbaut wurde, um aus Asien eindringende Nomaden besser kontrollieren und abhalten zu können.

Die alten Ägypter waren kein sehr kriegerisches Volk. Die Menschen waren sesshaft und lebten in einem sehr zentralistischen Staat als erfolgreiche Bauern oder Handwerker. Nur zu Beginn ihrer Geschichte, als sich das Reich nach blutigen Kämpfen vereinigte sowie zum Ende des Mittleren Reiches und vor allen Dingen während einiger Dynastien im Neuen Reich dominierte in ihrem Staat das Militärwesen. Ägypten war damals Großmacht geworden und erweiterte seine Grenzen. Der Reichtum des Landes und die Fruchtbarkeit der Böden weckten allerdings auch in friedlichen Zeiten stets Begehrlichkeiten bei den Nachbarn, so dass der Staat militärisch gewappnet sein musste.

Die alten Ägypter waren Meister im Organisieren, und ein straff geführter Beamtenapparat versorgte den Pharao stets mit neuesten Nachrichten. Schreiber waren allgegenwärtig und notierten jede Beobachtung. Sie hinterließen Berge von Akten, die manchmal noch heute gefunden werden und Aussagen über das Alltagsleben aber auch über wichtige politische Entscheidungen ermöglichen. Bereits die Geografie verlangte ein wohl organisiertes Nachrichtensystem: Das Herrschaftsgebiet des Pharao glich einem langen schmalen Schlauch von über tausend Kilometern Länge, der sich an beiden Seiten des Nils dahinzog. Da alle wesentlichen Entscheidungen vom Herrscher selbst gefällt wurden, gab es schon früh ausgeklügelte Nachrichtenwege. Boten waren ständig unterwegs, um Fragen, Berichte oder Beobachtungen zur Hauptstadt zu bringen und dort auf Entscheidungen für eine Antwort zu warten. Damit die Boten nicht zu rasch ermüdeten, war jeder nur für eine bestimmte Strecke zuständig und reichte in einer Stafette die meist schriftliche Nachricht anschließend an einen noch ausgeruhten Boten weiter. Dabei waren die Wege der Boten vorgeschrieben und wurden überwacht. Nicht nur die üblichen Polizeikräfte sondern auch eine Geheimpolizei war stets präsent. Sollte es besonders schnell gehen, wurden die Informationen nachts mit Fackeln oder tagsüber mit Trompetensignalen übermittelt. Der Pharao wusste immer sehr früh, wann beispielsweise das für die Landwirtschaft so wichtige Nilhochwasser zu erwarten war und zeigte dadurch der Bevölkerung seine gottähnliche Allwissenheit. Mancher Aufstand wurde im Land verhindert, weil der Pharao durch ein gut funktionierendes Informationssystem bereits reagieren konnte, bevor sich die Rebellen überhaupt gesammelt hatten. Solche Kontrollen waren notwendig, denn während der gesamten ägyptischen Geschichte hatten die Pharaonen immer wieder mit zentrifugalen politischen Kräften zu kämpfen. Das Alte Reich zerbrach, weil zahlreiche lokale Herrscher ihre Eigenständigkeit anstrebten.

Wichtige Nachrichten waren verschlüsselt, wobei bereits verschiedene Codes zur Verfügung standen. Beliebt war der Gebrauch von Akrostichen. Der Bote, der in der Regel selbst nicht lesen konnte, hielt beispielsweise ein Dokument mit einem – für Außenstehende – beliebigen Text in den Händen. Das konnten ein Gedicht oder Teile einer Erzählung sein, doch für den Eingeweihten bedeutete der Text viel mehr. Wurden nach einem geheimen Schlüssel bestimmte Schriftzeichen ausgewählt und neu kombiniert, ergab sich erst aus der Neufassung der eigentliche Informationsgehalt. Nur Absender und Empfänger kannten diesen Schlüssel, so dass der Bote auch bei einer Gefangennahme und unter Folter den eigentlichen Inhalt der Botschaft nicht verraten konnte. Er wusste nicht, was er transportierte. Untergebracht waren die Boten in besonderen Häusern, die von ausgesuchten Beamten des Pharao geleitet wurden, so dass stets größte Verschwiegenheit herrschte.

Aus dem alten Babylon ist eine solche Nachricht erhalten. Auf den ersten Blick sieht der Betrachter den aufgeschriebenen Text eines Gedichts mit 27 Strophen zu je 11 Zeilen. Werden von jeder Strophe jeweils die ersten Silben abgetrennt und zu einem neuen Text zusammengesetzt, ergibt sich eine völlig neue und vom Gedicht unabhängige Aussage. Im Beispiel von Babylon stellte sich durch das Gedicht dem Herrscher ein vorher unbekannter Gesandter vor, dessen wahre Identität für den eingeweihten Empfänger erst durch die Entschlüsselung des Gedichts deutlich wurde. Für die anderen Personen blieb der Gast unverändert fremd, denn sie vermuteten im Gedicht ein Geschenk. Mögliche Feinde des Empfängers der Nachricht konnten den vorher unbekannten Gesandten nicht einfach beseitigen und durch einen eigenen Mittelsmann ersetzen. Der Austausch wäre dem Herrscher aufgefallen, denn er konnte nach der Entschlüsselung der Legitimation weitere gezielte Fragen stellen. Intriganten bei Hofe war niemals bekannt, dass das überreichte Gedicht weit mehr war als nur ein Geschenk.


Der siegreiche Pharao fährt mit dem Kampfwagen über die Körper der getöteten Feinde hinweg

Der Geheimdienst des Pharao funktionierte nach innen und nach außen. Nach innen mussten Rebellionen und insbesondere die Machenschaften der lokalen Fürsten frühzeitig erkannt und abgewehrt werden. In zahlreichen Gaststätten und Herbergen saßen geheime Spitzel, die Beobachtungen notierten. Manche Hure wurde geduldet und sogar unterstützt, wenn sie Kundschafterdienste leistete und ihre Freier ausfragte. Nach außen hin hieß es nicht nur für das Militär, sondern auch für den Geheimdienst, Feinde möglichst früh zu identifizieren. Das Reich am Nil unterhielt eine Kette von Grenzstationen und eine besondere Wüstenpolizei, die ständig auf Patrouille war. Direkt an den Grenzen waren oft Truppen stationiert. Namen von Grenzgängern wurden regelmäßig notiert und mit einer Kartei verglichen. Nomaden aus den benachbarten Staaten erhielten manchmal die Erlaubnis, ihr Vieh auf ägyptischem Gebiet weiden zu lassen. Sie mussten dafür den Grenzbeamten genau berichten, was sie alles vor dem Überschreiten der Grenze beobachtet hatten. Regelmäßig wurden auch Späher in benachbarte Staaten geschickt, um anschließend Meldungen und Beurteilungen zu schreiben, die umgehend an den Hof des Pharao weitergeleitet wurden. In Nubien, im Staat Kusch, wurde durch ein solches entschlossenes Vorgehen einmal ein Angriff auf Ägypten so frühzeitig entdeckt, dass ägyptische Truppen bereits einmarschiert waren, bevor sich die Feinde des Reiches für den geplanten Überfall gesammelt hatten. Später ließ der Pharao am ersten Katarakt des Nils eine Inschrift anbringen, in der er sein beherztes Eingreifen lobte und zur Warnung für zukünftige Feinde dokumentierte, dass die Anführer der Invasoren einer nach dem anderen „in ihrem Blut niedergeworfen wurden“.

Zahlreiche ägyptische Kaufleute und Gesandte waren bei ihren Reisen in fremde Länder gleichzeitig auch Spione und wurden dafür vom Pharao reich belohnt. Aus der Regierungszeit von Pharao Amenophis III. und seinem Nachfolger Echnaton sind auf Tontafeln Teile der diplomatischen Korrespondenz erhalten. Sie verweisen auf großes diplomatisches Geschick, auf die Kunst der Intrige und auf die Doppelzüngigkeit von Nachrichten, die in die verschiedensten Richtungen interpretiert werden konnten. Im Archiv von Pharao Amenophis II. fanden Archäologen ein Dokument, in dem gemeldet wird, dass sich in einer vorderasiatischen Stadt Feinde versammeln würden, um die an der Grenze stationierten Truppen seiner Majestät anzugreifen. Durch ein ausgebautes Agentennetz und Bestechungen der Grenzbevölkerung in den Nachbarstaaten wurde das ägyptische Militär oft frühzeitig vor geplanten Angriffen gewarnt. Zeigten Nachbarstaaten Schwächen, wurden eigene militärische Aktionen geplant.

Ein verhängnisvolles Geschenk

Pharao Thutmosis III. wird heute von Historikern als der Napoleon Ägyptens bezeichnet, denn er war der militärisch erfolgreichste Herrscher des Neuen Reiches. In 17 Feldzügen dehnte er die Grenzen Ägyptens bis zum Euphrat aus und machte die syrischen Kleinstaaten zu seinen Vasallen. Sein ärgster Feind war das Mitannireich in Kleinasien, das wie Ägypten eine Großmachtstellung anstrebte. Es war für den Pharao ein ernsthafter Gegner und weitaus gefährlicher als die Kleinstaaten in Palästina und Syrien, die sich in ihrer Armeestärke und Bewaffnung nicht mit den Ägyptern messen konnten. Kadesch war ein reicher Stadtstaat am Fluss Orontes in Syrien. Sein Herrscher hatte unter dem Einfluss und mit Unterstützung des Mitannireiches eine Rebellion gegen die Ägypter angezettelt. Zusammen mit Verbündeten begann er Truppen in den Süden auf das Gebiet des heutigen Israels zu verlegen. Thutmosis III. musste reagieren und zog, nachdem ihm seine Späher immer wieder besorgniserregende Neuigkeiten berichtet hatten, eigene Truppen zusammen.

In seinen Kriegstagebüchern hinterließ der Pharao Beschreibungen seiner zahlreichen Feldzüge und Schlachten. Seine Truppen führte er persönlich an, und es wird geschildert, wie die Armeen in langen Kolonnen von Streitwagen, Bogenschützen, Fußsoldaten und dem Nachschubtross aus Eseln und Ochsengespannen vorrückten; sogar Boote für Flussüberquerungen wurden mitgeführt. Für den Erfolg der Feldzüge waren immer wieder große logistische Anstrengungen notwendig. In den kargen Wüstengebieten war eine Versorgung vor Ort unmöglich, so dass man keine andere Wahl hatte, als alle Vorräte stets mitzuführen. Es gab nur wenige Wasserstellen, die stets gesichert werden mussten. In Verstecken wurden Wasservorräte angelegt. Außerdem waren Späher notwendig, um den Weg zu erkunden, sowie Pioniereinheiten, um provisorische Wege oder Brücken anzulegen. Die Kapazität der Flotte war begrenzt und reichte nur für kleinere Truppenteile; meist waren das Eliteeinheiten, die rasch verlegt werden mussten. Ägypten war stets eine Landmacht und niemals eine Seemacht.

Transporthilfe kam deshalb oft von den Phöniziern, die mit Ägypten verbündet waren und deren mächtige Flotte das Nildelta für den Handel benutzen durfte. Ihre Stadtstaaten lagen genau dort, wo sich im östlichen Mittelmeer die Handelswege kreuzten. Der Pharao hielt die Phönizier mit Privilegien bei Laune, und sie erledigten für ihn den Fernhandel mit Zypern, Kreta und den anderen Mittelmeerstaaten. Im Gegensatz zu den Ägyptern waren die Phönizier sehr erfahrene Seeleute und stellten dem Pharao manch gute Schiffsbesatzung zur Verfügung. Sie beherrschten den Seehandel des Mittelmeerraums und erwiesen sich als gute Kundschafter. Phönizische Seefahrer hörten sich insbesondere in den Häfen von Syrien und Palästina um, unterstützten ägyptische Agentennetze und halfen dem Pharao bei der Planung seiner Feldzüge.

Gegen die Rebellion unter dem Kommando des Fürsten von Kadesch rückte Thutmosis III. mit einer Armee von mehr als 30 000 Mann vor. Sie wählten vom Nildelta aus den Landweg über die Sinaihalbinsel und legten pro Tag etwa 25 Kilometer zurück. Für die Nacht wurde ein befestigtes Lager aus Zelten errichtet, und der Pharao beratschlagte sich regelmäßig mit seinen Offizieren. Nach zehn Tagen war das Gebiet der heutigen Stadt Gaza erreicht, wo ein Basislager für den Nachschub angelegt wurde. Danach ging es weiter, und ägyptische Späher sondierten genau die Wege. Es war bereits bekannt, dass sich die gegnerischen Truppen bei der Stadt Megiddo, dem Armageddon der Bibel, gesammelt hatten. Die Stadt beherrschte einen Verkehrsknotenpunkt und musste bei einem erfolgreichen Feldzug unter allen Umständen eingenommen werden.

Um keine Zeit zu verlieren, wählte Thutmosis III. für seine Truppen den direkten Weg nach Megiddo, was seine Offiziere in Schrecken versetzte, denn die Kolonnen mussten bei dieser Route durch eine enge Schlucht marschieren, und es war leicht, sie von den Anhöhen aus anzugreifen. Insbesondere die Kampfwagen mussten hintereinander fahren und boten eine leichte Beute. Deshalb schlugen die Offiziere zeitraubende alternative Anmarschwege vor, doch der Pharao konnte sie beruhigen: Er hatte von seinen Spähern erfahren, dass die Anhöhen unbesetzt waren. Die Gegner waren seiner Meinung nach davon überzeugt, dass die Ägypter es nicht wagen würden, ungeschützt durch eine enge Schlucht zu marschieren und rechneten deshalb nicht mit diesem Anmarschweg. Sie wollten ihre Kräfte nicht unnötig verteilen, hielten ihre Truppen konzentriert zusammen und ließen die Anhöhen unbesetzt. Die sehr effektive Fernerkundung der ägyptischen Armee hatte gute Arbeit geleistet. Um Zeit zu gewinnen, konnte der Pharao nun große Risiken eingehen. So ging es rasch weiter voran, und nur für den Durchmarsch des Nachschubs wurden die Anhöhen von eigenen Truppen gesichert.

Die sorgfältig vorbereitete Schlacht bei Megiddo war für Thutmosis III. ungewöhnlich erfolgreich. Seine Truppen sollen nach Aufzeichnungen 942 Kampfwagen und 2238 Pferde des Gegners sowie große Mengen von Gold und Silber erbeutet haben. Leider ließ der Pharao seine Truppen zu lange plündern, so dass die Fürsten der Aufständischen Zeit fanden, in die befestigte Stadt Megiddo zu fliehen und sich anschließend von dort abzusetzen. Erst nach einer Belagerung von sieben Monaten wurde Megiddo erobert. Später notierten Armeeschreiber verärgert, dass durch die Beutegier der Truppen ein vollkommener Sieg verschenkt wurde. Die geschlagenen Gegner mussten hohe Tributzahlungen aufbringen, und Thutmosis III. zeigte in den folgenden Jahren durch regelmäßige Feldzüge seine Stärke.

Im Rahmen dieser Feldzüge wurde auch die Stadt Joppe, das heutige Jaffa, durch eine raffiniert geplante Geheimoperation von den Ägyptern eingenommen. Über diese Eroberung wurde später sogar zur Verherrlichung des Pharao in der altägyptischen Literatur berichtet. Thutji, einer der Heerführer von Thutmosis III., hatte das stark befestigte Joppe erfolglos belagert und überlegte sich nach großen eigenen Verlusten eine List, wie die Stadt dennoch erobert werden könnte. Er bot dem Fürsten von Joppe als Zeichen für einen bevorstehenden Rückzug Verhandlungen an und empfing ihn in seinem Zelt. Dort wurden dem Fürsten und seinem Gefolge so viel Wein angeboten, bis alle so betrunken waren, dass sie vor dem Einbruch der Nacht nicht mehr zurückkehren konnten. Gleichzeitig erhielt die Besatzung der Stadt die Nachricht, dass als Zeichen des soeben beschlossenen Friedens für die hungernden Bewohner großzügig Getreide angeliefert werden würde. Rasch legten Schiffe an und ägyptische Soldaten, die als harmlose Seeleute verkleidet waren, schafften Körbe mit schweren Getreidesäcken in die Stadt. Dabei studierten sie gleichzeitig die Befestigungsanlagen. Das Getreide sollte am nächsten Tag dem Fürsten von Joppe zur Bestätigung der abgebrochenen Belagerung feierlich übergeben und dann verteilt werden. In den Getreidesäcken hatten sich allerdings schwer bewaffnete ägyptische Soldaten versteckt. Nach den Berichten sollen durch diesen Trick etwa 500 Soldaten heimlich in die Stadt eingeschleust worden sein. Sie zerschnitten in der Nacht die Säcke ihres Verstecks und machten in einem Überraschungsangriff die Besatzung des Stadttores nieder. Das Tor wurde geöffnet und sofort stürmten die Ägypter die Stadt und konnten sie erobern.

Die Falle von Kadesch

Mit dem Mitannireich konnte Ägypten später Frieden schließen. Pharao Amenophis III. nahm sogar eine Tochter des Mitannikönigs Sutarna aus politischen Gründen zu seiner Frau. Doch das Mitannireich hielt sich nicht mehr lange und musste den Hethitern Platz machen, die noch mächtiger als ihre Vorgänger waren. Sie stellten etwa ab 1360 v. Chr. die Vormachtstellung von Ägypten in Frage und versuchten ihr Herrschaftsgebiet immer weiter auszudehnen. Ägyptens Vasallen forderten vergeblich Hilfe an, doch die Pharaonen während dieser Zeit waren schwach. Insbesondere Echnaton war außenpolitisch hilflos und kümmerte sich mehr um seine Religionsreform im eigenen Land. Sein Nachfolger Tutanch-Amun starb schließlich schon in jungen Jahren. Erst Pharao Sethos I., der bereits der 19. Dynastie angehörte, fand wieder Interesse an den asiatischen Besitzungen von Ägypten und organisierte neue Feldzüge. Doch die Hethiter waren bereits zu mächtig geworden und auch waffentechnisch besser ausgerüstet als die Ägypter. Sie besaßen Schwerter aus Eisen, während die Ägypter mit Bronzewaffen kämpften, die sich rasch verbiegen konnten. Die Pharaonen traten nun nicht mehr gegen relativ schwache Heere von Kleinstaaten an, sondern hatten es mit hervorragend ausgestatteten und kampferprobten großen Armeen zu tun. Sethos I. reorganisierte seinen Geheimdienst und verstärkte die Aktivitäten seiner Kundschafter. Bald wurde ihm klar, dass es besser war mit den Hethitern Frieden zu schließen.

Pharao Ramses II., der Nachfolger von Sethos I., legte sich dagegen wieder mit den Hethitern an und organisierte einen ersten Feldzug. Er wollte einige Vasallen der Hethiter erneut unter die ägyptische Vorherrschaft zwingen. Im fünften Jahr seiner Regierung (1274 v. Chr.) startete er deshalb seinen Feldzug gegen den Hethiterkönig Muwatalli. Der Pharao rückte mit der Macht von vier Armeen vor, die nach Göttern benannt waren: die Armee des Amun, die Armee des Re, die Armee des Ptah und die Armee des Seth. Jede Armee bestand aus etwa 5000 Soldaten, so dass mindestens 20 000 Soldaten und ein gewaltiger Nachschubtross im Anmarsch waren. Gleichzeitig wurden Truppenverbände auf Schiffe verladen und erhielten den Auftrag, nahe der Stadt Byblos zu landen, um von dort aus parallel zu den Hauptarmeen vorzurücken. In einer klassischen Zangenbewegung wollte Ramses II. die Hethiter einkesseln und am strategisch so wichtigen Fluss Orontes nahe der Stadt Kadesch vernichtend schlagen. Er selbst nahm mit den Eliteeinheiten seiner Leibgarde an dem Feldzug teil und leitete die Aktionen. Doch der Pharao besaß nicht das militärische Talent von Thutmosis III. und vernachlässigte sträflich die Fernaufklärung.

Ramses II. machte durch eine falsche Einschätzung der geografischen Situation beachtliche Fehler. Er ließ die einzelnen Armeen im Abstand von etwa zehn Kilometern marschieren, was die Verständigung zwischen den Truppenteilen erschwerte. Während des gesamten Vormarsches, der etwa einen Monat dauerte, gab es Koordinationsprobleme. Zu allem Unglück überschritten die vier Armeen zu unterschiedlichen Zeitpunkten den Fluss Orontes, so dass es Truppenverbände diesseits und jenseits des Flusses gab, die sich bei einem Überraschungsangriff nur schwer gegenseitig unterstützen konnten. Der Pharao war zu siegessicher gewesen und hatte auf die Fernaufklärung seiner Späher keinen Wert gelegt. Er hatte mit der ersten und zweiten Armee bereits den Fluss überschritten, als seine Soldaten zwei Männer festnahmen und sie verhörten. Die Gefangenen teilten mit, sie seien vor den Truppen des Königs Muwatalli geflohen und wollten sich dem Pharao anschließen. Als Ramses II. sie weiter ausfragte, verrieten sie ihm auch die Position der Hethiter: Der Hethiterkönig würde mit seinen Truppen weit im Norden in der Nähe der heutigen Stadt Aleppo stehen und hätte große Angst vor dem mächtigen Pharao. Genau diese Aussage wollte Ramses II. hören und verhielt sich weiter so, als wären seine Truppen in einem Manöver. Dabei merkte er nicht, dass er in eine Falle gelaufen war. Die Hauptmacht der Hethiter wartete versteckt direkt in der Nachbarschaft. Mit all ihren Kampfwagen und Truppenverbänden lagen sie auf der Lauer. Die beiden als Überläufer getarnten Männer waren Spione. Sie sollten den Pharao in Sicherheit wiegen und auf eine falsche Fährte locken. Nur kurze Zeit später ergriffen die Ägypter zwei weitere Nomaden. Beide waren verstockt und begannen erst nach einer tüchtigen Tracht Prügel zu reden: Es waren zwei Späher der Hethiter. Erst jetzt wurde klar, dass Muwatalli mit seinen Truppen direkt in der Nachbarschaft stand und auf eine günstige Gelegenheit zum Angriff wartete.

Während Ramses II. sich noch mit seinen Offizieren beratschlagte, griffen die Hethiter an und zerschnitten mit rund tausend eigenen Kampfwagen die ägyptischen Truppenkolonnen in zwei Teile. Die zweite ägyptische Armee, die Armee des Re, wurde völlig überrascht und in einem Massaker dezimiert. Ramses II. bemerkte den Angriff wegen der großen Entfernung erst verspätet und flüchtete mit der ersten ägyptischen Armee, der Armee des Amun, auf einen Hügel, wo sofort ein befestigtes Lager mit Verteidigungsanlagen errichtet wurde. Einige der Überlebenden der Armee des Re zogen sich ebenfalls in dieses Lager zurück, während sich Andere der weit zurückliegenden Armee des Ptah anzuschließen versuchten. Die Hethiter rückten rasch zu dem Lager vor und eroberten es. Gedeckt von seiner Leibwache durchbrach der Pharao die Angriffswelle und zog sich zurück. Doch statt den Pharao zu verfolgen und gefangen zu nehmen, gerieten die Hethiter in einen Plünderungsrausch und fielen über das Lager der Ägypter her. Ramses II. gewann auf diese Weise eine sichere Fluchtdistanz.

In dieser hoffnungslosen Situation geschah – durch außergewöhnliche Glücksumstände – für die Ägypter ein Wunder. Die nach Byblos verschifften ägyptischen Truppenverbände des Na’arun trafen mit ihren schnellen Kampfwagen genau im richtigen Augenblick ein und konnten die plündernden und unachtsam gewordenen Hethiter einkesseln. Es waren mit weit reichenden Bögen ausgestattete Eliteeinheiten, denen die Hethiter mit ihren schwerfälligen Kampfwagen nur Soldaten mit Lanzen entgegenzusetzen hatten. Gleichzeitig näherte sich endlich die Armee des Ptah und versuchte im Rücken der Hethiter den Kessel zu schließen. Die hethitischen Feldherren bemerkten die Gefahr und brachen wegen der allgemeinen militärischen Unordnung den Kampf ab. Rasch zogen sie sich über den Fluss Orontes in die Stadt Kadesch zurück, um die Truppen neu zu formieren. Einer der hethitischen Feldherren, der Prinz von Aleppo, wäre dabei fast ertrunken. Es ist überliefert, dass ihn die eigenen Soldaten auf den Kopf stellten, damit das Wasser aus seinem Rachen herauslaufen konnte. Die gesamte ägyptische Armee zog sich nun in Eilmärschen zurück und stellte sich keinem weiteren Kampf. Nur zufällige Ereignisse hatten den Pharao gerettet.

Zurück in seinem Reich ließ Ramses II. die Schlacht sofort als einen großen Sieg feiern und wurde nicht müde, der Nachwelt von seinen Erfolgen zu berichten. Da er als Gott keine Fehler machen konnte, trugen allein die eigenen Offiziere die Schuld an dem Fiasko. Die ägyptische Propaganda lief auf Hochtouren, um den Sieg im Land zu verbreiten, doch eine Entscheidungsschlacht konnte es nicht gewesen sein. Später berichteten ägyptische Dokumente, die Hethiter hätten Gesandte geschickt, um beim Pharao um Frieden zu bitten. Glaubhafte und noch heute erhaltene hethitische Dokumente widersprechen dieser Behauptung jedoch: Die Hethiter waren es, die die Bedingungen stellten und die Grenzen festlegten. Erst 16 Jahre später hatten nach weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen die Streitigkeiten endlich ein Ende gefunden. Ramses II. schloss mit Hattusili III., dem Nachfolger von Muwatalli, Frieden. Um den Frieden endgültig zu besiegeln, heiratete Pharao Ramses II. später noch eine hethitische Prinzessin und verlieh ihr den Titel „Große königliche Gemahlin“. Sogar ein „elender Großer“, ein Fürst der Hethiter, besuchte sein Reich. Die ägyptische Propaganda schwenkte anschließend um und pries die Feierlichkeiten zur Versöhnung der Ägypter und Hethiter.

Hofintrigen

Unter der Herrschaft mancher Pharaonen konnte das Leben bei Hofe höchst gefährlich werden, denn keine Intrige wurde gescheut. Viele hohe Beamte waren titelsüchtig und umschmeichelten den Pharao, während sie gleichzeitig eigene Spione anheuerten. Viele wollten sich in der Gunst des Pharao sonnen, und es herrschte Neid und Konkurrenzdenken. Der Hofbeamte Sinuhe geriet während des Mittleren Reiches in eine solche Intrige und fürchtete in eine Verschwörung gegen den Pharao Amenemhet I. verwickelt zu werden. Bevor der Hof des Pharao hart durchgriff, konnte er ins Ausland fliehen und brachte es dort zu großem Wohlstand. Im Alter sehnte er sich allerdings wieder nach Ägypten zurück. Er wollte in seiner Heimat sterben und auch dort begraben werden, denn nur in Ägypten würde man nach seinem Tod seiner Taten gedenken. Pharao Sesostris I. erfuhr schließlich von der Not des Sinuhe und begnadigte ihn. Erfreut kehrte Sinuhe zurück und genoss bis zu seinem Tod die Gunst des Pharao. Im Neuen Reich wurde „Die Geschichte des Sinuhe“ zu einem beliebten Werk der Literatur und sogar für die Ausbildung von Beamten benutzt.

Von einer Haremsverschwörung gegen Pharao Ramses III. sind sogar einige Gerichtsakten erhalten. Die Haremsfrau Tiji plante, den Pharao zu ermorden, um anschließend den eigenen Sohn zum neuen Pharao ausrufen zu lassen. Sie gewann nicht nur unter den Haremsfrauen sondern auch unter hohen Hofbeamten zahlreiche Mitverschwörer: in den Gerichtsakten sind die Namen von 28 Hofbeamten und zahlreichen Frauen vermerkt. Die Verschwörung schlug fehl, wobei heute nicht mehr bewiesen werden kann, ob Spione an der Aufdeckung beteiligt waren. Die Angelegenheit war für den Staat äußerst heikel. Der Pharao rief ein geheimes Gericht ein und es wurde unter Decknamen verhandelt; an die Öffentlichkeit drangen keinerlei Informationen. Die Beschuldigten wurden vermutlich alle zum Tode verurteilt. Um der Schande einer Hinrichtung zu entgehen, wurde ihnen ein ehrenvoller Selbstmord gestattet.

Auch bei Grabräubern wurde hart durchgegriffen und die Todesstrafe war ihnen sicher. Dennoch wurde permanent gestohlen. In Theben-West, der Stadt der Toten, wurden eigene Polizeieinheiten aufgestellt, um die Gräber zu bewachen. Spione sollten Grabräuber anzeigen, doch mancher von ihnen schloss sich lieber den Banden von Räubern und Hehlern an, denn das Geschäft war lukrativ. Unter Pharao Ramses IX. wurden die Grabräubereien schließlich so massiv, dass eine Untersuchungskommission einberufen werden musste. Zahlreiche Akten aus solchen Untersuchungen sind noch heute erhalten und belegen, dass der Staat am Ende des Neuen Reiches nicht nur immer weiter verarmte, sondern auch bis in die höchsten Spitzen verrottet und korrupt war. Hohe Beamte profitierten von der Grabräuberei und deckten Verbrechen. Grabräuber teilten mit der Polizei das Diebesgut und blieben unbehelligt. Arbeiter im Tal der Könige gruben nicht nur offiziell neue Grabkammern, sondern auch heimlich Gänge zu bereits belegten Gräbern.

Ebenfalls aus der Zeit von Ramses IX. ist ein Streit überliefert zwischen dem Bürgermeister von Theben-Ost, der Stadt der Lebenden, und dem Polizeichef von Theben-West, der Stadt der Toten. Beide Beamte waren Intimfeinde und beherrschten die Kunst der Intrige. Sie versuchten sich gegenseitig zu schaden und förderten zunächst wechselseitig Missstände ans Tageslicht. Zuletzt wurde ihnen allerdings klar, dass sie sich auch selbst schaden konnten, und es wurden bewährte Vertuschungsaktionen eingeleitet. Sofort nach dem Regierungsbeginn von Pharao Ramses X. wurden sogar Priester verhaftet, die sich am Grabraub bereichert hatten. Während der 21. Dynastie kapitulierte der Staat schließlich vor den Grabräubern und zahlreiche tote Pharaonen wurden heimlich umgebettet. Ramses IX. war der letzte Pharao, der im Tal der Könige bestattet wurde, seine Nachfolger fanden später in Tanis, im Nildelta, ihre letzte Ruhe.

Spione, die die Welt bewegten

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