Читать книгу Ich bin Mutter, nicht neurotisch! - Mangal Greß - Страница 6

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Die Schwangerschaft ist kein Wunschkonzert

Oft hatte ich den Eindruck, dass die Schwangerschaft per se gerne zur Schau gestellt wurde.

Da waren Frauen, die ihren Bauch rieben, Frauen, die ob der permanenten Übelkeit klagten, Frauen, die nichtschwangeren Frauen ungefragt ausführlichst erzählten, wie es sich als Schwangere anfühlte, und Frauen, die über nichts anderes mehr sprachen als über ihre Schwangerschaft.

Innerlich fragte ich mich bei diesen Frauen, wie furchtbar das Ganze wohl noch werden würde, wenn das Kind erst einmal da war. In Gedanken sah ich diese Freundschaften schon verblassen.

Die Klagelieder der Schwangerschaft

Als ich schwanger war, hatte ich lautstark keine Dinge zu beklagen. Zwei Wochen lang anhaltende Kopfschmerzen, Zahnfleischbluten, juckender Ausschlag, Sodbrennen, gelegentliche Verstopfung, massive Wassereinlagerungen und eine daraus resultierende Gewichtszunahme in Lichtgeschwindigkeit waren offensichtliche Begleiterscheinungen, deren Erwähnung unnötig war.

„Mach dir nichts draus“, so unsere Nachbarin. „Du bekommst bestimmt ein Mädchen. Wenn man ein Mädchen erwartet, ist das normal. Die klauen einem in der Schwangerschaft die Schönheit.“

Sehr amüsant waren allerdings die Reaktionen meiner Freundinnen.

„Du siehst toll aus!“

„18 Kilo Wassereinlagerung? Echt? Du, das sieht man dir aber wirklich nicht an!“

Oder: „Mensch, süß siehst du aus! Das bisschen Mehrgewicht steht dir!“

Männer waren da oft weniger zurückhaltend. Unser Freund Olaf, den wir schon ein halbes Jahr nicht mehr gesehen hatte, kündigte damals seinen Besuch an. Als ich ihm die Tür öffnete, kam anstelle einer herzlichen Begrüßung ein geschocktes „Oje! “ über seine Lippen.

Es war nicht so, dass mir mein Umfang nicht bewusst war. Ich war eine der Schwangeren, die im sechsten Monat schon so aussahen, als stünden sie kurz vor der Entbindung. Wenn Leute irrtümlich glaubten, dass es bald losginge, und ich ihnen erzählte, dass ich eigentlich noch etwas Zeit hätte, folgte ein peinlich berührtes Schweigen.

Immer wieder schoss ich Fotos von meinem runden Gesicht und meinen Elefantenbeinen. Diese Ausmaße wollte ich festhalten, denn selbst ich war beeindruckt, wie ich in dick aussah.

Vielleicht macht das das Klagelied der Schwangeren aus: Manche Frauen möchten jedem mitteilen, dass sie schwanger sind. Und da kommt der gesprächigen Frau manchmal sogar ein morgendliches Über-die-Toilette-Beugen gelegen.

Andere Frauen erklären aus Selbstschutz, warum sie so blutleer aussehen, um damit die eventuelle Sorge auszuräumen, es handle sich um eine Krankheit.

Eine Bekannte erzählte ihren Kolleginnen im zweiten Monat nur widerwillig von ihrer Schwangerschaft, nachdem sie Gerüchte über eine mögliche Bulimie vernommen hatte.

Der Inhalt der Klagelieder lässt also schnell erkennen, warum frau sie anstimmt, und der Schwangerschaftsverlauf hat viele Gesichter. Bei manchen Frauen fordert er beispielsweise das eine oder andere Büschel Haare, was für Betroffene immer mit der panikerfüllten Hoffnung einhergeht, dass die Haare nach der Entbindung wieder nachwachsen. Ich spreche auch hier aus Erfahrung.

Zipfel oder Schnecke

Es gibt allerdings auch noch ein anderes Thema, das gerne mit folgender Frage eingeleitet wird: „Lasst ihr euch sagen, was es wird?“ Viele Paare hören diese Frage zu Beginn der Schwangerschaft sehr häufig.

Wenn man nun meint, dass an dieser Frage nichts auszusetzen sei, dann ist man entweder nicht schwanger oder einfach sehr gelassen. Denn diese Frage zu beantworten, hat schon so manchen Streit unter Freunden oder sogar unter den Paaren selbst heraufbeschworen. Diese Frage teilt schwangere Paare nämlich in fünf Gruppierungen:

die Geheimnisvollen, die das Wissen um das Geschlecht ihres Kindes bis zur Entbindung für sich bewahren,

die Spirituellen, die fühlen, was es wird,

die „Es kommt, wie es kommt – Hauptsache, es ist gesund“-Vertreter,

das „Das erfahren wir ja dann bei der Entbindung“-Lager und

die „Hoffentlich wird es das, was wir uns wünschen“-Fraktion.

Ich habe mich in meiner Schwangerschaft oft gefragt, warum manche Paare so ein Geheimnis aus dem Geschlecht ihres Kindes machen.

„Wir sagen es erst, wenn es auf der Welt ist“, so der beliebte Satz der ersten Gruppierung.

Wie wichtig musste ein Paar sich fühlen, dass es glaubte, die gesamte Umwelt verzehre sich des unbekannten Geschlechts wegen vor lauter Neugier.

Unter uns: Der Umwelt ist das doch kackegal, welches Geschlecht der noch ungeborene Nachwuchs hat. Man mag es vielleicht als „schwangeres“ Paar nicht glauben, aber es gibt im Leben der nichtschwangeren Paare tatsächlich andere Probleme, die es zu lösen gilt.

Die Enthüllung des Babygeschlechts ist für die „Hoffentlich wird es das, was wir uns wünschen“-Fraktion eine ganz besonders wichtige Angelegenheit. Der entscheidende Ultraschall folgt, das Geschlecht wird enthüllt und die Enttäuschung ist da.

„Ich hatte mir so sehr einen Jungen gewünscht!“, so meine Bekannte Julia. „Was soll ich denn jetzt machen?“

Ist das Geschlecht nicht das, was man sich erhofft hat, können schon so manche Tränen fließen. Ich würde diesen Frauen auch heute noch mit verständnislosem Blick begegnen, wäre ich nicht selbst eine von ihnen gewesen.

Nach dem Befund der Schwangerschaft sah ich mich in Gedanken immer mit einem kleinen Jungen an meiner Seite. Ich fühlte mich als Jungenmutter. Die Vorstellung von einem kleinen Mädchen, das Rosa zu seiner Lieblingsfarbe erklärt, mit Puppen spielt und in der Pubertät zu einer kleinen Mistgurke wird, war für mich nur schwer erträglich. Ich selbst war in der Pubertät ein typisches Mädchen und wollte keinesfalls ein Revival mit einem möglichen Mini-me.

Vielmehr sah ich mich mit einem kleinen Jungen im Dreck suhlen. Ich war die Mutter, die ihren Jungen am Rand einer Sportveranstaltung laut anfeuerte. Ich war die Mutter, die ihren Jungen so erzog, dass sich jedes Mädchen nach ihm verzehrte. Er sollte ein Gentleman sein, der Frauen Respekt entgegenbrachte. Ein Gentleman, wie ich ihn mir früher immer gewünscht hatte.

Es ist, wie es ist

„Sie bekommen ein Mädchen.“

Diese Worte meines Gynäkologen beim großen Ultraschall werde ich nie vergessen. Mein Mann strahlte über das ganze Gesicht. Ein kleines Mädchen!

„Sicher?“, fragte ich.

„Zu 99%!“, antwortete mein Gynäkologe ungerührt. Noch nie waren für mich 99% so unsicher gewesen.

„Das heißt, es könnte also doch ein Junge sein?“, fragte ich in großer Hoffnung.

„Zu einem Prozent, ja“, sagte der Gynäkologe mit einem leicht verwirrt-besorgten Blick zu meinem Mann.

Zu Hause angekommen, brachen die Dämme: „Wie soll ich das denn jetzt machen? Ich hab’ mich immer mit einem Jungen an meiner Seite gesehen!“, fragte ich meinen Mann unter Tränen.

Mein Mann nahm mich in den Arm. „Und jetzt erwarten wir eben ein kleines Mädchen. Das ist doch auch wunderschön!“

„Ja, aber was soll ich denn mit einem Mädchen machen? Ich will kein Pink. Und schon gar keine Prinzessin Lillifee!“ Ich fühlte mich noch elender. „Außerdem sind Mädchen oft so neunmalklug. Sie wissen oft immer alles besser und belehren einen ständig. Jungen sind nicht so. Sie machen ihr Ding! Die sind cool!“

„Jetzt beruhige dich. Erstens kannst du es nicht ändern und zweitens bin ich mir sicher, dass es überhaupt keine Rolle spielt, wenn die Kleine erst einmal da ist. Und außerdem ist es am Wichtigsten, dass das Baby gesund ist. Meinst du nicht auch?“

Das hätte er nicht zu sagen brauchen, denn ich fühlte mich sowieso schon die ganze Zeit elend, weil ich wegen des Geschlechts Tränen vergoss, anstatt mich darüber zu freuen, dass unser Baby rundherum gesund war. Was war bloß los mit mir?

Ich musste mich an den Gedanken gewöhnen, dass ich keinen Jungen bekommen würde. Nun war es also ein kleines Mädchen, das zukünftig an meiner Seite ging. Eigentlich waren Mädchen gar nicht so schlecht. Sie waren sozial, oft lernwilliger, nicht so wild und in vielen Dingen vernünftiger.

Die Pubertät war vielleicht bei ihnen nicht ganz so leicht, aber wie sagte es einmal meine Freundin Sabrina so treffend: „In der Pubertät sind alle scheiße.“

Eine andere Freundin, Mutter zweier Söhne, freute sich sehr, als sie von unserem kleinen Mädchen erfuhr. „Ein Mädchen, wie schön! Ach, die bleiben einem!“

„Sie bleiben einem?“, fragte ich irritiert.

„Ja! Wenn meine Söhne irgendwann heiraten und ihre Frauen vielleicht auch Kinder bekommen, dann sind es meistens die Mütter der Ehefrauen, die der Familie ganz nah sind. Söhne würden selten jeden Tag mit ihrer Mutter telefonieren“, lachte sie. „Töchter bleiben mit ihren Müttern eher verbunden als Söhne. Gutes Verhältnis natürlich vorausgesetzt.“

Je mehr ich über meine kleine Tochter nachdachte, desto mehr freute ich mich darauf, sie endlich kennenzulernen. Ich konnte es gar nicht erwarten, mit ihr gemeinsam Dinge zu unternehmen, ihr die Welt zu zeigen, ihr vorzulesen, ihr die Tiere und die Natur näherzubringen, mit ihr zu basteln, zu backen, zu malen und vieles mehr.

Wochen später bestellte ich die ersten Babyschühchen für meine ungeborene Tochter. Es waren gestrickte Chucks.

In Pink.

Nicht nur ein Name

Weiß die Umwelt dann Bescheid, egal ob Männlein oder Weiblein, so kann es gleich wieder zu einer anderen Geheimhaltungssituation kommen: Wie wird das Kind heißen?

Man möchte glauben, dass auch diese Frage leicht zu beantworten sein sollte. So man den Namen bereits ausgewählt hat.

Falsch. Diese Frage ist alles andere als leicht zu beantworten.

Man sollte sich nicht wundern, wenn auf diese Frage eine Antwort wie diese folgt: „Den Namen haben wir schon. Aber den verraten wir nicht!“

Der Hintergrund dieser Geheimhaltung erschloss sich mir vor meiner Schwangerschaft ebenfalls nicht: Was trieb diese Paare an? Angst vor Namensklau oder davor, ausgelacht zu werden?

Ich vermute heute eher, dass es sich hierbei um Namensschutz handelt. Betroffene Paare wollen vermeiden, gut gemeinte Ratschläge entgegennehmen zu müssen. Und irgendwie ist das ja auch verständlich.

„Was? Anna? Oje, Anna verbinde ich mit einem Mädchen aus der Schule, das ich überhaupt nicht ausstehen konnte. Den Namen kann ich ja so gar nicht leiden.“

Solche Bemerkungen von Freunden braucht kein Mensch. Es reicht, wenn sich die aufregende Namenswahl zwischen den zukünftigen Eltern selbst abspielt.

Auch ich amüsierte mich immer über Paare, die aus dem Namen ihres ungeborenen Kindes ein großes Geheimnis machten.

Aber als der Name unserer Tochter feststand, merkte ich, wie sehr es mich doch wurmte, wenn darauf folgende Reaktion kam: „Lia! Sehr schöner Name! Muss ich mir merken.“

Merken? Warum? Weil der vielleicht zukünftige Nachwuchs dann auch so heißen soll? Lia sollte auf gar keinen Fall ein Allerweltsname werden wie Marie, Sophie, Emma oder Paula.

Auch nervte mich folgende, oft gestellte Frage: „Was für eine Bedeutung hat der Name?“

Der Name Lia hat keine Bedeutung. Lia ist einfach nur die Abkürzung von allen Namen, die auf -lia enden. Beispiel: Julia. Oder Emilia.

Oft reagierten die Leute mit entkräftenden Sätzen wie: „Ist ja auch nicht so wichtig, wenn der Name keine Bedeutung hat“, gefolgt von: „Hat sie denn dann wenigstens einen zweiten Namen?“

Nein.

„Naja. Ist ja auch besser, nur einen Namen zu haben. Muss man mit weniger Namen unterschreiben.“

Zum Schluss folgte dann gern noch eine weitere Frage: „Tauft ihr sie denn?“

Nein. Auch das nicht.

Zurück blieb das Gefühl eines an den Pranger gestellten Heiden. Es gab Schlimmeres.

Interessant ist bei all diesen Themen, dass frau sich oft schon so viele Gedanken macht, obwohl das Baby noch nicht einmal da ist. Wüsste sie, was sie nach der Entbindung erwartet, würde sie die Zeit der Schwangerschaft vermutlich nur im Wellness-Center und im Spa verbringen.

Ich bin Mutter, nicht neurotisch!

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