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Das Spiel

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An diesem lauen Sommerabend hallte der Ruf einer Eule durch den Wald. Hinter einem unauffälligen Gebüsch befand sich ein leichtes, schlammiges Gefälle, das zu einem massiven Baum führte. In den Baum war ein geräumiges Häuschen eingearbeitet. Darin lebte die Igeldame Señora Solamente mit ihrem zotteligen Briard Pablo. Die Señora war ein sanftmütiger Telly. Weil sie des Öfteren nötige Reparaturarbeiten im und am Haus selber bewerkstelligen musste, trug sie die meiste Zeit eine bequeme Stofflatzhose.

Gemeinsam mit Pablo, einem Nobla, ging sie täglich auf Nahrungssuche. Ansonsten führten die beiden ein eher beschauliches Leben, weit entfernt von den Menschen.

Dieses Leben änderte sich in einer verschneiten Nacht schlagartig, als ein lautes Rumsen die beiden weckte.

Vor dem Haus fand die Señora ein Weidenkörbchen. Vorsichtig zog Pablo mit seinen Zähnen eine samtweiche Decke vom Korb. Darin lagen zwei Igelbabys, die tief und fest schliefen. Die Señora bemerkte die Wärme, die von den Babys ausging, und schloss sie direkt ins Herz. Zu ihrer Verwunderung hatte jemand den Babys Namensschilder um ihr Handgelenk gebunden, auf denen »Tyran« und »Timmy« standen.

Tyran hatte Pausbacken, tief liegende Augen und kleine, spitze Ohren. Timmys Ohren waren auch spitz, jedoch war sein Gesicht schmal und er hatte Knopfaugen. Generell wirkte Timmy sehr zerbrechlich.

In dem Korb fand die Señora noch ein weiteres Schildchen mit dem Namen »Bonita«. Traurig darüber, dass ein Baby fehlte, machte sie sich noch in der Nacht mit Pablo auf die Suche, das Mädchen zu finden, jedoch ohne Erfolg. Die Señora hatte keine Ahnung, wer ihr die Igeljungs gebracht hatte, und so beschloss sie, die beiden liebevoll aufzuziehen.

Zehn Jahre später schaute die Señora ungeduldig aus dem kleinen Küchenfenster. Sie hatte Abendessen zubereitet und ihre Sprösslinge waren immer noch nicht vom Spielen nach Hause gekommen. Es wurde bereits dunkel.

Tyran spürte Timmy dicht hinter sich.

»Gleich h-habe ich dich!«, keuchte Timmy und drückte seine Brille fest auf die Nase.

»Vergiss es!«, erwiderte Tyran und rannte noch schneller.

Plötzlich sah Tyran den schönsten rot glänzenden Apfel, den er je gesehen hatte, an einem Ast hängen und blieb abrupt stehen.

Da rannte sein Bruder schon in ihn hinein und fiel nach hinten um.

»Boah, Timmy, guck mal!«, sagte Tyran und half ihm auf.

Timmy blickte besorgt.

»Was hast du?«, wollte Tyran wissen.

»La-Lass uns l-lieber n-nach Hause ge-gehen! I-Ist schon sp-spät.«

Tyran wusste nicht, warum Timmy dieses Mal heftiger als sonst stotterte. Dann aber sah er, warum. Hinter dem Apfelbaum tat sich ein grasbewucherter Abgrund auf. »Mach dir nicht ins Hemd. Wir teilen den Apfel auch brüderlich.«

»N-Nein, d-das ist z-zu g-gefährlich!«

»Mama muss doch nichts davon erfahren!«

»I-Ich weiß n-nicht.«

»Sei kein Feigling. Ich habe auch schon eine Idee, wie wir an den Apfel kommen.«


Wenige Minuten später stand Tyran ein paar Meter von Timmy entfernt, der vor dem Apfelbaum hockte. »Nicht vergessen, Stacheln anlegen!«, rief er.

»J-Ja!«

Tyran blickte ein letztes Mal zu dem Apfel. »Bereit?«

»B-Bereit!«

Er rannte, so schnell er konnte, auf Timmy zu und sprang auf seinen Rücken. »Jetzt!«, rief Tyran.

Timmy drückte seine Knie durch und Tyran stieß sich von ihm ab. Dadurch wurde Tyrans Schwung verstärkt. Er machte eine Bauchlandung am Baumstamm und kletterte leichtfüßig bis zum Ast hoch. Auf diesem angekommen, winkte er Timmy zu. Sein Bruder stellte sich unter den Ast, um den Apfel aufzufangen.

»Schau mal, bin ich nicht ein super Akrobat?« Tyran schlug mehrere Räder über den Ast und blieb plötzlich mit seiner linken Hinterpfote in einer Furche hängen. »Aaah!«, schrie er und klammerte sich mit seinen vier Pfoten am Ast fest.

»A-Alles in O-Ordnung?«

»Nichts passiert!«

»Puh«, sagte Timmy erleichtert.

Dann knickte der Ast an der Rinde ein.

»Oh-oh.«

Tyran stürzte mit dem Ast und dem Apfel in Richtung seines Bruders, der seine Arme ausgebreitet hatte. Timmy fing Tyran auf und beide fielen zu Boden. Der Apfel rollte zu ihrem Pech in den Abgrund.

»Na klasse!«, rief Tyran beleidigt.

»Wo ist m-meine Brille?«, fragte Timmy panisch und sprang wie von einer Tarantel gestochen auf.

Knack!

Versehentlich war er auf die Brille getreten. Unsicher wankte er umher. Dabei steuerte er auf den Abgrund zu.

Oh nein, dachte Tyran, da rutschte Timmy schon ab und krallte sich gerade noch rechtzeitig am Abhang fest.

»H-Hilfeee, T-Tyraaan!«, schrie er verzweifelt.

»Halte durch, Timmy!«

Tyran sprang zu seinem Bruder und griff nach seiner Pfote. »Hab dich!« Er versuchte Timmy hochzuziehen, fand aber nicht den nötigen Halt und rutschte zusammen mit ihm langsam ab.

Wie aus dem Nichts spürte Tyran im letzten Augenblick einen kräftigen Druck um sein Fußgelenk. Es war eine Pfote, die ihn gepackt hatte.

»¡Dios mío! Pablooo!«, rief die Señora.

Überrascht erkannte Tyran, dass es seine Mutter war. Er und sein Bruder wurden mit einem Ruck nach oben gezogen. Pablo löste seine Zähne aus der eingerissenen Latzhose der Señora und wedelte freudig mit dem Schwanz. Er schleckte die Igeljungs von oben bis unten ab.

»Pablissimo, du hast Mundgeruch!«, schimpfte Tyran und rümpfte die Nase.

»Dankt ihm lieber. Seinem Instinkt ist es geschuldet, dass ich euch gefunden habe!«

Tyran wollte gerade ansetzen, um sich zu verteidigen, da fuhr ihn seine Mutter besorgt an. »Außerdem wisst ihr doch, dass ihr hier nicht spielen dürft. Und wie dreckig eure Latzhosen schon wieder sind!«

»Wir wollten doch nur –«

»Keine Diskussion, Tyran! Ab nach Hause!«

»Oh Mann!«, stöhnte Tyran, während Timmy seine kaputte Brille aufhob.

Tyran ahnte, dass später noch eine ordentliche Standpauke folgen würde.

Kleine Igel – große Probleme

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