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2. Kapitel.

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Monsignore Guzman hatte eine jener kleinen, zweisitzigen Korbwagendroschken genommen, wie sie meistens vor der „Casa Ororjo“ um diese frühe Abendstunde herum zu halten pflegen und deren mit Sombreros, grossen Sonnenstrohhüten, behauptete Kutscher mit als Fächer zusammengebundenen Blättern ihren Maultieren die Fliegen und Stechmücken abwedeln.

Mit der Schnelligkeit und Sicherheit eines echten Sevillaner Droschkenkutschers lenkte der Führer sein schmales Fuhrwerk durch die engen und verwinkelten Gassen und Gässchen, stiess an deren Ecken einen kurzen Warnungsruf — ähnlich dem der venizianischen Gondelführer beim Umfahren der Ecken der Kanäle in der alten Lagunenstadt — aus und schnalzte dabei mit der Zunge oder klatschte mit seiner kurzen Peitsche, dass es nur so seine Art hatte.

In knapp zwölf Minuten hielt die Droschke vor einer Seitenpforte des Almohadenpalastes, in dem der Kardinal wohnte.

Guzman entlohnte den Kutscher und gab ihm ein reichliches Trinkgeld. Darauf beeilte er sich, durch ein prächtiges, mit kunstvollen Verzierungen versehenes schmiedeeisernes Gittertor zu treten, das nur etwas verrostet und ungepflegt aussah. Klirrend fiel die aufgeschlossene Tür wieder in ihr Schloss zurück. Der Bibliothekar durchlief dann einen schmalen Aufgang zu einer engen Treppe, die geradeswegs in die Privatgemächer des greisen Kardinals im zweiten Stockwerk hinaufführte. Vor dem Eingang in jene Zimmer befand sich eine Pförtnerloge, in der ein alter Schweizer tagsüber sass, der sich seine Mussestunden mit dem Putzen und Reinigen von Silberzeug und Tischgerät vertrieb.

Als Monsignore Guzman an der Loge vorüberkam, war diese leer. Auf deren kleinem Tische lagen Putzlappen umher und standen ein paar Büchsen mit allerhand Putzmitteln. Auf einem Korbstuhl dehnte sich eine prächtige Angorakatze, die schnurrend in das dämmrige Halbdunkel des Raumes hineinblinzelte.

Der Bibliothekar war ärgerlich, dass der Schweiger nicht auf seinem Posten zu finden war, doch entschuldigte er dessen Abwesenheit mit dem aussergewöhnlichen Vorfall, der ihn selber ja veranlasst hatte, so schnell als möglich hierher zu eilen.

Rasch durchschritt jetzt der Bibliothekar mehrere grössere und kleinere Gemächer, welche leer waren und in denen der Kardinal gewöhnlich seine Audienzen zu erteilen pflegte, und überquerte dann einen Gang, an dessen Ende soeben die behäbige und würdevolle Erscheinung des alten Haushofmeisters, den man kurz mit Pepe rief, auftauchte.

Guzman ging eilig auf ihn zu und bemerkte, dass das Gesicht des Mannes einen Ausdruck höchster Bestürzung aufwies.

„Monsignore, welch ein Glück, dass Sie da sind. So hat Sie mein telephonischer Anruf doch noch erreicht.“

„Was gibt es, Pepe? Was ist denn Seiner Eminenz zugestossen?“

„Das ist es ja eben, Monsignore. Kommen Sie bitte gleich mit mir. Ich bin eben auf dem Wege zu ihm. Hören Sie also —“ fuhr Pepe erregter werdend fort, indes die beiden in dem ausgedehnten Bau noch eine Treppe höher stiegen, wo sich die Privatgemächer des Kardinals befanden. — „Seine Eminenz arbeitete wie gewöhnlich etwa so gegen 5 Uhr in dem kleinen Zimmer, welches unmittelbar an ihr Schlafzimmer stösst und in dem sie ihre Siesta zu halten pflegt. Pablo, der Kammerdiener, sass wie gewöhnlich im Vorzimmer, um sogleich auf das erste Glockenzeichen dem Kardinal zur Hand zu sein.“

„Kommen Sie doch zur Hauptsache, Pepe,“ unterbrach der Sekretär ziemlich ungeduldig den in der Schilderung des Hergangs bereits weitschweifig werdenden Haushofmeister.

„Ja, ja — kurz und gut, Pablo hat Schlüssel klirren hören und vernahm dann ein Seufzen. Seine Eminenz muss im Begriff gewesen sein, sich zu bücken, um den grossen Schrank aufzuschliessen. Plötzlich jedoch hörte der Diener ein Gepolter, als wenn ein Kasten zur Erde fiele, und gleich darauf einen halb unterdrückten Ruf, der wie ein Schmerzens- oder Wehlaut klang. Diesem folgte ein dumpfer Fall, und danach trat völlige Stille ein. Pablo, ein guter nur etwas einfältiger Junge, horchte zunächst an der Tür, dann klopfte er mehreremal. Als sich gar nichts im Zimmer rührte, hat er sich dann endlich Mut gefasst und gerufen. Als er auch dann noch keine Antwort vernahm, ist er fortgelaufen und hat mich geholt. Ich war gerade unten in der Küche, um mit dem Koch wegen des Abendbrots für Seine Eminenz verschiedenes zu besprechen. Ich holte mir schnell die beiden Schweizer, die heute Tagesdienst haben, Amporo und Colombo, und wir eilten nach den Gemächern hinauf. Als auf mein Klopfen ebenfalls keine Antwort erfolgte, drangen wir in das Zimmer ein und fanden den Kardinal am Boden liegend, bewusstlos, jedoch mit offenen Augen. Neben ihm lag der geöffnete Juwelenkasten, aus dem einige Ringe herausgefallen waren, die auf dem Erdboden herum verstreut lagen. Sofort hoben wir Seine Eminenz vorsichtig auf, trugen sie in das Schlafzimmer, legten den Körper dort auf das Ruhebett, und ich bin dann gleich nach dem Wachzimmer an das Telephon geeilt, um unsern Arzt, den Professor Torreverde zu rufen, der vor zwei Minuten etwa gekommen ist und sich jetzt um den Kardinal bemüht.“

Mit diesen Worten schloss der Haushofmeister seinen hastigen Bericht. Inzwischen war man vor der Tür des Zimmers angelangt, in dem der Kardinal lag.

„Pepe, Sie haben doch hoffentlich nichts in dem Zimmer, in dem Seiner Eminenz der geheimnisvolle Unfall zugestossen ist, verändert und alles so gelassen, wie Sie es beim Betreten mit den Schweizern vorgefunden haben?“

„Nein — das heisst, ich habe die Ringe, die herumlagen, vom Boden aufgelesen, wieder an Ort und Stelle gelegt und den Kasten in den offenen Schrank gestellt.“

„Aber, aber, guter Pepe — was taten Sie? Das hätten Sie nicht machen sollen. Wissen Sie denn so genau, dass Seine Eminenz wirklich plötzlich erkrankt und doch vielleicht nicht das Opfer eines Einbrechers geworden ist, der sich im Zimmer versteckt hielt?“

„Heilige Mutter Gottes, Monsignore, wie kommen Sie auf diese Vermutung? Das wäre ja entsetzlich; dann wäre ja der Kardinal das Opfer eines frechen Raubüberfalls geworden! Merkwürdig, Colombo sagte nämlich auch so was, als er hinter mir im Zimmer stand. Heilige Mutter —“

„Still jetzt!“ flüsterte Guzman, indem er die Hand auf die Türklinke zum Schlafzimmer des Kardinals legte. Der Bibliothekar betrat nun den kleinen, äusserst einfach ausgestatteten Raum, in dem sein Freund auf einem Ruhebett lag, auf dem er den Eindruck eines friedlich Schlummernden machte.

Zu den Füssen des Bettes knieten die beiden Hausprälaten, welche stumm in ihren Gebetbüchern lasen. Der Kammerdiener war beschäftigt, dem Arzte, Professor Torreverde, welcher Guzman durch ein stummes Kopfnicken begrüsste, einen Schwamm mit Essigwasser zurechtzumachen.

Guzman war an die andere Seite des breiten Ruhebettes getreten und beugte sich tief ergriffen über den schlummernden Greis. Dessen Körper begann sich leise zu regen, denn man sah, wie er eine leichte Bewegung mit dem Arm machte. Professor Torreverde bückte sich und sah dem Kardinal forschend ins Antlitz.

„Still, er regt sich — er will reden,“ sagte leise der Arzt.

Die bis dahin starr blickenden Augen Medina Sidonias veränderten ihre Stellung und fingen an, ihren natürlichen Ausdruck anzunehmen. Dann öffnete der Kranke die Lippen. Seine Hand tastete nach Guzmans Arm.

Dieser beugte sich in wortloser Ergriffenheit tief über diese herab und küsste sie flüchtig. Dann sank er in die Knie und verharrte betend in seiner Stellung.

Doch im nächsten Augenblick berührte ihn jemand an der Schulter. Es war Professor Torreverde, der flüsternd zu ihm sagte:

„Ich habe eine Bitte, Monsignore, helfen Sie mir doch, Seine Eminenz hochzulegen. Der Kammerdiener ist mir dazu zu ungeschickt?

„O — gern, Herr Professor.“

„.... So — noch ein wenig höher — so — wird es gut sein, ich danke Ihnen,“ murmelte Torreverde.

War es nun die bequeme Lage, in die man soeben den Kardinal gebettet hatte, oder irgend eine andere Ursache, jedenfalls öffnete Medina Sidonia den Mund und sagte leise, aber doch für die Ohren der beiden vernehmlich genug:

„Er war hier — er nahm den Ring — Alv ...“ Die weiteren Worte sprach der Greis nicht mehr aus, denn plötzlich machte sein Körper eine ruckartige Bewegung nach der Seite und sein Mund gab einen gurgelnden Laut von sich. Er verschied in dem Augenblicke, als sein Mund im Begriff war, den Namen jenes auszusprechen, der ihm den Ring geraubt hatte. Der Kopf des Kirchenfürsten fiel zur Seite, und schlaff hingen seine Hände an dem schmächtigen Körper herunter.

„Eminenz, Eminenz!“ rief Guzman.

Doch der Arzt machte dem Bibliothekar ein Zeichen und flüsterte: „Er ist tot.“

Dann blieben die beiden noch eine Weile in längerem Gebet an ihren Plätzen. Der Sekretär war so erschüttert, dass er keines Wortes fähig war. Wie aus weiter Ferne vernahm er die Stimme des Professors, der zu ihm sagte:

„Sie hörten wohl, Monsignore, was Seine Eminenz vor wenigen Minuten gesagt hat. Mir scheint, der Kardinal ist an den Folgen eines plötzlichen Schrecks gestorben, der ihm durch das unvermutete Erscheinen eines Menschen in seinem Zimmer verursacht worden ist. Auch kommt es mir vor, als ob er am Halse gewürgt worden wäre. Der Kardinal nannte einen Namen ...“

„Ich hörte alles, Herr Professor. Glauben Sie, dass Seine Eminenz eines natürlichen Todes gestorben ist?“

„Darüber wage ich jetzt nicht zu entscheiden, Monsignore. Ich halte es für das richtigste, so schnell wie möglich die Behörde von dem Vorfall in Kenntnis zu setzen und die Dienerschaft genau zu verhören. Wenn es Ihnen recht ist, will ich dazu die nötigen Schritte tun.“

„Tun Sie das bitte, Herr Professor. Ich werde indes sofort den Erzbischof, die Präfektur und den Alcalden von dem Tode Seiner Eminenz in Kenntnis setzen und durch Pepe die Dienerschaft versammeln lassen. Wollen Sie es bitte übernehmen, die Behörde zu benachrichtigen?“

„Sehr gern, wie ich Ihnen soeben schon sagte. Ich kenne den Polizeidirektor persönlich. Lassen Sie nur sofort alle Zugänge des Palastes versperren und die Gemächer des Kardinals durch die Schweizer bewachen. Sichern Sie auch alles Wertvolle durch Schloss und Riegel!“

Aufmerksam hatte der Bibliothekar dem Arzte zugehört. Dann sagte er nachdenklich:

„Schön, Herr Professor, Ihre Weisungen und Ratschläge werde ich pünktlich befolgen. Hoffentlich wird sich alles aufklären.“

„Das hoffe ich auch,“ erwiderte Professor Torreverde.

Der Bibliothekar drückte dem Arzte schweigend die Hand und verliess das Zimmer.

— Eine halbe Stunde später erfuhren die Staats- und Stadtbehörden Sevillas den Tod Medina Sidonias, und schon nach einer Stunde kündete der Glocken eherner Mund von der gewaltigen Kathedrale angefangen bis herab zu der letzten der 85 Kirchen der Stadt ihren Bewohnern, dass der greise und allseitig verehrte Kardinal Medina Sidonia nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Der Ring des Kardinals

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