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3. Kapitel.

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„Henoch, Du bist ungerecht! Lass Micaëla doch in die Kathedrale gehen und sich dort den aufgebahrten Kardinal ansehen. Sie bleibt trotzdem das gute, fromme, gehorsame Kind, das wir uns in ihr erzogen haben. Deine selige Schwester würde sicher ihre helle Freude an ihr haben.“

„Sarah, Du redest einher wie Ihr Frauen alle. Als ob ich ein Familientyrann wäre, der seiner Nichte, die er wie sein eigenes Kind behütet, keine Freude gönnen mag. Eben weil ich das Mädchen so lieb habe wie mein eigen Fleisch und Blut, halte ich sie so streng. Man muss heutzutage auf seiner Hut sein, es läuft viel schlimmes Männervolk umher, das so einem hübschen Mädchen nachstellt, und gerade bei solcher Gelegenheit wie jetzt drängen sich die männlichen und weiblichen Gaffer und Nichtstuer gleich zu Tausenden heran.“

„Der alte Henoch“, wie man in Sevilla den ersten Kunst- und Antiquitätenhändler nannte, dessen stadtbekannter Laden sich etwa drei Häuser weit von dem Almohadenpalaste, dem Wohnsitze des Kardinals Medina Sidonia, befand, führte dieses Gespräch soeben mit seiner betagten besseren Hälfte, seiner Sarah. Henoch entstammte einer alten spanischen Judenfamilie, die einst mit den Arabern in den Süden der iberischen Halbinsel eingewandert war. Ihr hatten gelehrte Männer, Aerzte, Forscher, Lehrer, aber auch Kaufleute angehört. So hatte Henochs Vater vor Jahren schon ein Kunstantiquariat in der Stadt gehabt. Sein einziger Sohn hatte sich in seinem Berufe als Kunst- und Buchhändler im Ausland umgesehen und war in Paris, London, Florenz und München gewesen, ehe er das väterliche Geschäft übernommen hatte, dessen Leistungsfähigkeit er bald durch seine mannigfachen Kenntnisse zu steigern wusste. Henoch, der sich mit einer Stammesgenossin verheiratet hatte und dessen Ehe kinderlos geblieben war, hatte eine einzige Schwester gehabt, die sich mit einem Vollblutspanier verheiratet hatte. Sein Schwager, der Mitinhaber eines kleinen, gutgehenden Bank- und Wechselgeschäftes gewesen war, starb vor einer Reihe von Jahren, bald nach seiner Verheiratung mit Henochs Schwester, am Typlus, und da ihm seine Gattin aus Gram im Code rasch nachfolgte, hinterliess er Henoch sein einziges Kind, ein kleines Mädchen von vier Jahren, die durch den raschen Tod ihrer beiden Eltern Waise geworden war. Das jüdische Ehepaar Henoch nahm jenes vierjährige Mädchen, die kleine Micaëla, an Kindes Statt an und erzog sie wie sein eigenes Kind, jedoch im katholischen Glauben seines verstorbenen Vaters. Das Mädchen wuchs zu einem blühenden Menschenkind heran, dessen Anmut und Lieblichkeit in der alten schmalen Gasse, in der Henochs Kunstladen lag, fast sprichwörtlich wurde. Und bald war die blonde Micaëla eine kleine Schönheit geworden, die, wenn sie in der Pracht ihres goldblonden Haares über die Gasse ging, allgemeines und berechtigtes Aufsehen hervorrief. Man hätte dieses Kind Hispaniens für eine Tochter des Nordens halten können, so goldblond erstrahlten die dichtgeflochtenen Zöpfe ihrer Haarkrone. Aber die prächtigen, dunklen Augen mit ihrem sanften Oval und die edle Linie des Profils deuteten darauf hin, dass in ihrer Mutter Adern das Blut des Südens gerollt hatte.

Kein Wunder, dass Micaëlas Schönheit in Sevilla nicht unbekannt blieb und dass es so manche Männer gab, die anfingen, sich dem Mädchen mit mehr oder weniger ehrenhaften Absichten zu nähern. Es erhielt von unbekannter Hand öfter Blumen und Früchte gesandt und man machte ihr Fensterpromenaden. Das war jedoch völlig zwecklos, denn Henochs dreistöckiges Haus war wie die meisten jüdischen Häuser der Stadt so angelegt, dass es nach der Strassenseite zu nur wenige vergitterte Fenster hatte, dafür aber in die Tiefe ging, so dass die eigentlichen Wohnräume nach rückwärts lagen. Vorn nach der Strasse zu im Erdgeschoss befand sich der schmale, sich wie ein Darm in die Länge ziehende Laden, der buchstäblich bis zur Decke mit Büchern und Kunstgegenständen sowie mit allen möglichen Raritäten vollgestopft war. Da sah man Gemälde, alte Stühle, Truhen, Bronzen, Statuen, die verschiedensten alten Waffen, Teppiche usw. in buntem Gemisch vereint hängen und liegen. Im ersten Stockwerk nach vorn zu befand sich die eigentliche Geschäftsstube, in der meistens Henoch die kaufmännischen Arbeiten seines verzweigten Geschäftes, das auch eine ausgedehnte Provinzkundschaft hatte, erledigte. In einem zweiten Raum wurden Sendungen verpackt und postfertig gemacht. Der Kreis von Henochs Kunden war nicht klein. Zu ihm hatte auch der verstorbene Kardinal Medina Sidonia gehört, für den immer sein Hausbibliothekar und Privatsekretär Monsignore Guzman alle Einkäufe besorgen musste. Auch Dr. Velasco kaufte oft etwas in Henochs Laden und liess sich öfters eingegangene Neuheiten dort vorlegen. Der alte Henoch besorgte sein Geschäft mit zwei Gehilfen und einem Lehrling. Er lebte und webte beinahe nur noch für dieses und steckte fast den ganzen Tag über entweder unten im Laden oder oben im Kontor oder im Packraum. Er tat dies auch aus dem Grunde, weil er als misstrauisch und ängstlich veranlagter Mensch bemerkt zu haben glaubte, dass gerade in letzter Zeit öfters jüngere wohlgekleidete Herren in den Laden kamen, um sich dort Kupferstiche oder Bücher zeigen zu lassen und dann meistens nur eine Kleinigkeit zu kaufen. Dabei sahen sich die betreffenden Käufer immer wie neugierig und fragend im Laden um, gleichsam, als ob sie dort noch jemanden andern als den Geschäftsinhaber suchten.

Zu dieser Art von Vater Henochs Kunden gehörte auch der schöne Stierfechter Escamillo XII. Der Zufall hatte es nämlich gefügt, dass dieser die schöne Micaëla und ihre Tante Sarah vor einigen Wochen im Strassenbahnwagen gesehen hatte. Heimlich war er den beiden nachgegangen, und völlig bezaubert von der engelhaften Schönheit des Mädchens beschloss dieser Don Iuan Sevillas, Micaëla auf Tod und Leben in seiner Art den Hof zu machen.

Gerade in diesen Tagen war Escamillo wieder öfters an Henochs Haus absichtlich vor-übergegangen. Niemand hatte dies bemerkt, denn eine grosse Anzahl Neugieriger stand in den Tagen, die dem Tode des Kardinals folgten, vom frühen Morgen bis in die späte Abendstunde in ehrfürchtiger Scheu vor dem Hause herum, um irgend etwas zu sehen. Mehrere Gendarmen zu Fuss und zu Pferde hatten Mühe, die grosse Anzahl der müssigen Gaffer in Ordnung zu halten.

Nach etwa vier Tagen wurde die einbalsamierte Leiche des Kardinals mit grossem Pomp in die Kathedrale überführt und dort feierlich aufgebahrt. Nun strömten täglich viele Tausende von Menschen durch die mächtigen Türen in den Dom, um dort noch einmal das welke Antlitz des Kirchenfürsten von Angesicht zu Angesicht zu sehen, ehe die sterblichen Reste des Kardinals in die unterirdischen Grüfte der Kathedrale versenkt wurden.

Henoch hatte seiner Ansicht nach wirklich Grund genug, es Micaëla zu verbieten, dass diese in den Dom ging, um sich dort auch die aufgebahrte Leiche Medina Sidonias anzusehen.

Micaëla freilich hatte noch einen ganz besonderen Grund, in die Kathedrale zu gehen, den ihr Pflegevater vielleicht ahnte.

Waren es doch die Bande einer reinen und starken Liebe, die das schöne Mädchen an einen Verwandten des Kardinals fesselten, und zwar an einen Neffen Medina Sidonias, an den Dragonerleutnant Alvaro, dessen Bekanntschaft vor etwa anderthalb Jahren das Mädchen durch Zufall in Sevilla gemacht hatte.

Gerade hatte wieder die blonde Micaëla, als sie jetzt in ihrem Stübchen sass und durch dessen vergitterte Fenster hinunter auf den Hof blickte, an ihren Alvaro denken müssen, dessen Onkel vor einigen Tagen hochbetagt gestorben war. Sie sann und sann ...

Vor einundeinhalb Jahren bei der grossen Fronleichnamsprozession war es gewesen. Micaëla und ihre Pflegemutter waren durch einen unglücklichen Zufall mitten in das dichteste Menschengewühl geraten und liefen Gefahr, zu Boden gerissen zu werden. Da drängte sich plötzlich ein junger, eleganter Offizier in der Uniform der Numancia-Dragoner durch die Menge und bot den beiden Frauen seinen Schutz und seine Hilfe an. Geschickt geleitete er Micaëla und ihre Pflegemutter mitten aus dem Menschengewirre heraus und brachte sie nach Hause zurück.

Der hübsche, flotte Dragonerleutnant in seiner graugrünen Uniform mit den silbernen Fangschnüren hatte durch sein artiges Benehmen und sein ritterliches Wesen das junge Herz Micaëlas in helle Flammen zu versetzen gewusst, und als sie damals an jenem Abend mit klopfendem Herzen und wogendem Busen in ihrem Zimmer stand, da fühlte sie, dass sie den Offizier mit der ganzen Glut ihrer fünfzehn Jahre liebte. Ein holdes, harmloses Liebesspiel, wie es das Volk Don Juans kennt und übt, begann. Auf Spaziergängen, natürlich in Begleitung von Tante Sarah, traf man sich; durch Blicke und durch die meisterhaft beherrschte Zeichensprache des Fächers, durch farbige Bänder im Haar und durch Blumen im Gürtel verständigte man sich und deutete den Grad der gegenseitigen Zuneigung an.

Leutnant Alvaro freilich begnügte sich nicht nur mit diesen harmlosen Liebeszeichen, sondern er sandte seiner Angebeteten auch deutlichere Beweise seiner Liebe, indem er den einen buckligen Gehilfen Henochs, Chulpo, bestach, so dass dieser für Geld und gute Worte Micaëla Blumen und kleine Geschenke im Auftrage Alvaros heimlich überbrachte. Das ging so eine ganze Weile fort, bis eines Tages Micaëlas Pflegevater durch einen unglücklichen Zufall hinter die ganze Geschichte kam und ihr ein jähes Ende bereitete.

Henochs scharfe Augen hatten seit einiger Zeit wohl bemerkt, dass seine Micaëla längst nicht mehr die alte war, dass sie zerstreut und oft verträumt war, dass sie blass aussah und meist ganz verkehrte Antworten auf seine Fragen gab. Er schöpfte Verdacht und legte sich auf die Lauer. So hatte er denn bald herausbekommen, dass ein schöner Offizier von einem stolzen Madrider Reiterregiment seiner Pflegetochter nachstellte und dass dieser Mann ganz in seiner Nähe wohnte, nämlich im Palast des Kardinals, und dass es der flotte Alvaro, ein Neffe Medina Sidonias, war. Mit doppelter Aufmerksamkeit überwachte Henoch fortan jeden Schritt seines Pflegekindes. Durch einen ihm ergebenen Freund hatte er in seiner geschickten Art in Erfahrung gebracht, bass der Dragonerleutnant Alvaro, der als Palastoffizier des Königs in Madrid stand, ein grosser Lebemann war, der das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswarf, sich teure Rennpferde hielt und überhaupt ein Verschwender im vollsten Sinne des Wortes war. Auch am Spieltisch pflegte Alvaro ganze Nächte zuzubringen, und wenn seine Finanzen recht schlecht geworden waren, dann verdoppelte er nach Art hartnäckiger Spieler den Einsatz, um die Dame Fortuna mit Gewalt an sich zu fesseln. Doch der Erfolg war dabei meist, dass sein Pech nur noch grösser wurde und die verlorenen Summen immer höher. Bedrängte ihn dann die Schar seiner Gläubiger zu sehr, so setzte sich Alvaro einfach in den D-Zug Madrid-Sevilla und nahm bei seinem greisen Onkel, dem Kardinal, ein grösseres Darlehn auf, zu welchem Zweck er sich dann stets mit einem kürzeren oder längeren Urlaub in Sevilla aufhielt.

Bei einer dieser Gelegenheiten hatte er damals bei den Fronleichnamsfeierlichkeiten die für ihn so bedeutungsvolle Behanntschaft Micaëlas gemacht, so dass er nun einen doppelten Grund hatte, nach der Hauptstadt Andalusiens zu kommen.

Einer schönen Tages jedoch hatte ihm sein Onkel rundweg erklärt, dass er für ihn keinen Pfennig Schulden mehr bezahlen würde, und trotz aller Bitten und Drohungen seines Neffen blieb der Kardinal fest bei seinem verkündeten Entschlusse.

Alvaro hatte damals mit seinem Onkel in dessen Studierzimmer eine heftige Szene gehabt, bei welcher es, wie die horchenden Diener weitererzählt hatten, zu einem sehr heftigen Auftritt zwischen den beiden gekommen war und bei dem sich Alvaro in seiner nervösen Erregung angeblich sogar zu Drohungen gegen den alten Herrn hatte hinreissen lassen. Dann hatte man von dem Offizier nichts mehr in Sevilla gesehen und gehört.

Monsignore Guzman hatte Vater Henoch, der Micaëla durch eine Frau auf Schritt und Tritt überwachen liess, einmal gelegentlich erzählt, dass der Neffe des Kardinals, eben jener Leutnant Alvaro, den freiwilligen Abschied aus dem spanischen Heere genommen habe und ins Ausland nach Südamerika gegangen sei. Er hätte in Lima in einem grossen Bankgeschäft eine kaufmännische Stellung angenommen. Der Kardinal habe ihm durch seinen Sekretär öfters kleinere Summen anweisen lassen, aber unter der Bedingung, dass ihr Empfänger nicht wieder nach Spanien zurückkehren dürfe.

Dass mit Alvaro etwas vor sich gegangen sein musste, das bewies das Verhalten Micaëlas, die seit dem schnellen Verschwinden des Offiziers still und in sich gekehrt blieb, öfters verweinte Augen hatte und nicht mehr unter Menschen gehen wollte.

Der alte Henoch war zartfühlend; er wollte sein Pflegetöchterchen nicht kränken, aber eines Tages, als seine Frau rein durch Zufall das Gespräch auf Alvaro gebracht hatte, da konnte es der Jude nicht über sich bringen und äusserte, dass der Kardinal an seinem Neffen auf seine alten Tage wenig Freude erlebt habe und dass ein so liederlicher und verschwenderischer Mensch, wie Alvaro es gewesen sei, nicht wert wäre, dass ihm ein frommes und reines Mädchen seine Liebe schenke. Solche Subjekte gehörten eben nach Amerika....

Micaëlas Wesen blieb äusserlich scheinbar ruhig und gefasst, doch die unglückliche Liebe zu dem Neffen des Kardinals war für die zarte Frühlingsknospe gleichsam wie Meltau gewesen, der sich auf diese herabgesenkt und etwas in ihr zum Erstarren gebracht hatte.

Und nun war jener Mann gestorben, der nach Micaëlas Ueberzeugung durch seine Unzugänglichkeit und Härte den Mann ihrer Liebe in die Fremde hinausgejagt, ihm Heimat, Vaterland und die Geliebte geraubt hatte — da war es doch von ihr kein ganz so unberechtigter Wunsch, in den Dom zu gehen, um sich dort die aufgebahrte Leiche jenes Mannes anzusehen.

In Gedanken völlig versunken, hatte Micaëla, die mit einer Stickerei beschäftigt war, das Kommen ihres Pflegevaters völlig überhört, der leise ins Zimmer getreten war und in seiner Hand einen Gegenstand, eine kleine Schachtel, hielt.

Ein verschmitztes Lächeln spielte dabei um seine dünnen Lippen, scharf hob sich sein blasses Gesicht mit den dunklen Augen von dem stark ergrauten Vollbart ab. Das Haupt Henochs bedeckte ein schwarzes Sammetkäppchen, war dem Manne das Aussehen eines mittelalterlichen Gelehrten und Hexenmeisters gab.

„Nun, mein Herzchen, mein Goldtäubchen, sitzest Du schon wieder da und fängst Grillen? So versonnen ist mein schöner Engel, mein Silberpüppchen? Und blass sieht mein Täubchen aus? Du wolltest in den Dom gehen, ja, ja, ich weiss es, ich weiss überhaupt alles. Aber was willst Du da eigentlich, mein Kind, sag’ an, was willst Du eigentlich dort unter den vielen Menschen? — Puh, diese schreckliche Luft in der Kirche.... Ich wette gleich eine Goldunze, Du wirst ohnmächtig werden von dem vielen Weihrauch, und Taschendiebe werden Dir Deine Börse stehlen, Du wirst wieder in das Gedränge hineingestossen werden wie damals bei der Fronleichnamsprozession, Du weisst ja, mein Goldmädel; Mica, mein holdes Röslein, bleibe doch lieber zu Haus. Sieh — was ich da für Dich habe —“ der Jude öffnete in diesem Augenblick jenes Schächtelchen, das er bis dahin in seiner Hand verborgen gehalten hatte. Darin lag in rosa Watte eingebettet eine kleine, ausserordentlich kunstvoll und zierlich gearbeitete venezianische Brosche. „Das da bekommt mein Liebling, wenn er seinem alten Vater den Gefallen tut und heute nicht in den Dom geht — ja, das bekommst Du, Micaëlita ...“

Das Mädchen stutzte, und voll heimlichem Verlangen richtete sie jetzt den Blick ihrer dunklen Augen auf das entzückende Schmuckstück, welches, leicht in Watte eingehüllt, ihr in verführerischem Glanze entgegenleuchtete.

„Das soll mir gehören?“ fragte sie schüchtern.

„Jawohl, das soll meinem Herzchen gehören, ganz allein, wenn es heute im Hause bleibt.“

Der schlaue Henoch kannte seiner Pflegetochter Vorliebe für jede Art von Schmuck wie auch die für schöne Kleider. Und seiner Ansicht nach gehörten auch zu einem schönen Weibe schöne Sachen. Die Erfahrung hatte ihn dies oft genug gelehrt.

„Wenn Du es denn, lieber Vater, durchaus willst und Dir damit ein grosser Gefallen geschieht, dann kann ich ja ...“

Der Antiquar liess Micaëla gar nicht ausreden, sondern unterbrach sie sogleich mitten im Satze durch die Worte:

„Du sagst es soeben ja selber, mein gutes Kind, dass Du mir damit einen Gefallen erweist, und zwar noch aus einem ganz besonderen Grunde. Es kommt nämlich heute ein Mann, ein Elektrotechniker von der Firma Sarasate & Co. zu uns, um hier im Zimmer die Wände auszumessen. Wie Du weisst, will ich auch hier oben elektrisches Licht legen lassen, nachdem es seit einem Jahre schon unten im Laden brennt. Das ist billiger und praktischer als die vielen Kerzen und die alten Oelfunzeln, zumal jetzt, wo durch den schrecklichen Krieg da draussen alles anfängt teurer zu werden. Also nicht wahr, meine Mica bleibt heute zu Haus und passt gut auf, dass mir der Mann, der die Wände ausmessen soll, nichts wegträgt, denn solche Leute haben oft tiefe Taschen.“

„Aber, Vater, wie kannst Du nur immer gleich so misstrauisch gegen jeden Menschen sein! Du tust gerade, als ob jeder Mann ein Betrüger und Spitzbube sein müsste. Schön, ich bleibe hier und, sei unbesorgt, ich werde gut aufpassen.“

„Mein gutes Kind, hab’ tausend Dank, so ist es recht von Dir! Hier hast Du Deine Brosche, stecke sie Dir nur gleich einmal vor dem Spiegel an und sieh zu, welche von Deinen Mantillen am besten dazu passen wird. Ich gehe jetzt nach hinten in das Kontor, um dort mit Chulpo an dem Katalog zu arbeiten, der in drei Wochen verschickt werden soll. Wenn der Elektrotechniker kommt, so bist Du wohl so gut und rufst mich. Die Mutter kommt erst am späten Nachmittag zurück, da sie einen Besuch bei der Base machen wollte.“

Es mochten etwa knapp anderthalb Stunden verstrichen sein; Micaëla langweilte sich zusehends. Während ihr Pflegevater im Kontor an seinem Schreibpult stand und emsig arbeitete, hatte sie inzwischen ihre sämtlichen Kopf- und Umschlagetücher aus ihrer Truhe hervorgeholt, um deren Wirkung in der Farbe auf die neue Brosche auszuproben. Dann nahm sie ein Buch zur Hand und begann zerstreut zu lesen, denn fortwährend schweiften ihre Gedanken hinweg und wunderten aus ihrem Stübchen hinüber über das weite Meer nach Perus Hauptstadt, nach Lima, wo sie den fernen Geliebten wusste, ihren armen, unglücklichen Alvaro. Würde sie ihn wohl jemals wiedersehen? — — —

Micaëla horcht auf.

Es kommt jemand die Treppe, die unten vom Laden in den ersten Stock hinaufführt, herauf. Deutlich hört sie die Schritte auf dem schmalen Gang. Dann ruft eine Stimme — es ist die des ersten Gehilfen, der unten im Laden zum Bedienen da ist — hinauf:

„Gehen Sie nur den Gang vor und klopfen Sie dann an der dritten Tür links, dort wird man Ihnen Bescheid geben!“

„Aha“ — denkt sich das Mädchen — „das wird der Arbeiter von der Firma Sarasate & Co. sein, der hier oben Mass nehmen soll. Sie erhebt sich von ihrem Stuhl am Fenster und geht nach der Tür zu. In demselben Augenblick klopft es draussen.

Das Mädchen öffnet, vor ihr steht — Alvaro....

Kein Zweifel — er ist es. Seine Augen, das kurze, kraus gelockte Haar, seine ganze Haltung und seine Gesichtszüge, es sind die ihres Geliebten, an den sie soeben noch gedacht hat und der nun mit einem Male leibhaftig vor ihr steht und diese geschickte Verkleidung gewählt hat, um sich unbemerkt in der Stadt aufzuhalten und sich ihr zu nahen.

„Alvaro — —!“ schreit sie auf. Schmerz und Sehnsucht, Schreck und Verlangen sind in diesem leidenschaftlichen Ruf vereint.

Und bereits im nächsten Augenblick liegt Micaëla in den Armen des Mannes, der sie umfängt und rasch an sich zieht.

Sie schliesst ihre Augen und erwartet seine Küsse....

Doch jenen Ruf des Mädchens vernahm auch das Ohr des alten Henoch, der schnell seine Feder hingeworfen hat und durch die Tür hindurch den Gang hinunter nach Micaëlas Zimmer jagt. Er sieht deren Tür offen und erblickt gerade, wie ein fremder Mann sein Pflegekind in seinen Armen hält.

Mit einem tigerähnlichen Sprung fährt der Jude auf das Paar los und packt den Mann beim Kragen.

„Zurück, Du Spitzbube! Was fällt Dir ein, meine Tochter zu küssen? I, Du Diebsgesicht, Du Galgenstrick, Du hast Dich hier eingeschlichen, na warte, ich dreh’ Dir den Hals um!“

Der Fremde macht eine rasche Bewegung und kommt dem Antiquar unmittelbar gegenüber zu stehen, so dass ihm dieser voll ins Gesicht sehen kann.

„Was,“ schreit Henoch, „Sie hier, Herr Alvaro! Nun, das nenne ich wirklich Kavaliersart, das muss ich sagen! Sie schleichen sich hier in der Maske eines Arbeiters in mein Haus ein, um mein Kind zu überrumpeln. Sie wollten wohl Ihren toten Onkel beerben, deswegen sind Sie scheinbar geradeswegs von Amerika herübergekommen? Das ist ja fein, Herr Leutnant, oder wie Sie sich jetzt nennen mögen! Nun ist es aber genug — jetzt hinaus mit Ihnen! Für Schuldenmacher und Mädchenverführer gibt es in meinem Hause keinen Platz! Hinaus! sage ich nochmals.“

Vater Henoch sah ehrfurchtgebietend in seinem fast biblischen Zorn aus, mit dem er seine Hausehre verteidigte. In seiner Wut hatte er einen Schemel ergriffen und drang damit auf den Fremden ein.

Dieser war mit einer schnellen Bewegung zur Seite getreten, so dass er unmittelbar an der Schwelle der noch halboffenen Tür stand, seine Augen blitzten und mit finster gerunzelter Stirn blickte er auf den alten Mann, der Miene machte, ihn jetzt tätlich anzugreifen.

Micaëla stand mit todblassem Gesichte und vor Aufregung zitternd im Hintergrunde des Zimmers und war keines Wortes fähig. Als sie sah, wie ihr Pflegevater sich auf den Fremden stürzen wollte, schrie sie: „Tue ihm nichts, Vater, es ist ja Alvaro. Er liebt mich, er wollte nur ....“

Da erscholl ein hartes, kurzes Auflachen aus dem Munde des Arbeiters, dessen rechte Hand blitzschnell nach seiner Hosentasche fuhr.

„Haha — schönes Kind, ich danke Euch, dass Ihr für mich Partei ergreift, das ist recht von Euch. Doch Ihr irrt, ich bin kein Alvaro; na jedenfalls auf Wiedersehen!“

„Hund, infamer!“ brüllte jetzt Henoch und drang abermals mit dem Schemel auf den Fremden ein.

„Zurück!“ schrie dieser, und im nächsten Augenblick starrte dem Juden der Lauf eines Revolvers entgegen.

Micaëla stiess einen Schrei aus und warf sich vor ihren Vater.

„Sieh Dich vor, alter Filz, ich komme wieder! Geduld, mein Täubchen, ich werde Dich bald von Deinem Haustyrannen befreien. Adios, wir sehen uns bald wieder!“

Bei diesen Worten warf der Mann dem Mädchen eine Kusshand zu und verschwand blitzschnell durch die Tür. Dann lief er den Gang hinunter, und man hörte noch seine eiligen Tritte.

Vater Henoch war so erregt, dass er kaum Atem schöpfen konnte, und es dauerte eine Weile, ehe er sich gefasst hatte. Dann stürzte er an Micaëla vorbei den Gang entlang und die Treppe hinunter, die von diesem hinab nach dem kleinen Hof führte.

„Du Elender,“ knirschte er dabei zwischen den Zähnen, „wenn ich Dich jetzt erwische, so schlage ich Dich zu Brei.“ Aber Henoch mochte sich noch so sehr im Hofe die Augen ausgucken, er konnte nichts mehr von dem fremden Arbeiter erblicken.

Erschöpft von all der Aufregung kehrte er über die Hoftreppe wieder in den Laden zurück. Der Gehilfe hatte den Lärm oben wohl gehört, sich jedoch vor Angst im Laden versteckt und trat jetzt bleich und zitternd vor Furcht seinem Brotherrn entgegen.

Dieser lief auf die Strasse hinaus und rief nach der Polizei. Doch merkwürdig — es war weit und breit kein Diener der heiligen Hermandad zu erblicken.

Mit einer leisen Verwünschung auf den Lippen kehrte Henoch wieder in sein Haus zurück. Kurz darauf kam auch seine Frau heim, und es war gut so, denn Micaëla war von all der Aufregung erkrankt. Man musste ihr einen beruhigenden Trank bereiten und sie zu Bett bringen.

Dem alten Henoch liess es keine Ruhe, er bewaffnete sein ganzes Geschäftspersonal und suchte mit zwei grossen Laternen das Haus vom Keller bis zum Boden ab. Jeder Winkel wurde abgeleuchtet, doch vergeblich. Es war nichts von dem geheimnisvollen Eindringling zu entdecken.

Henoch hatte seiner Frau die ganzen Begebenheiten erzählt. Das Ehepaar verbrachte eine schlaflose Nacht.

War es wirklich Alvaro, der diese seltsame Verkleidung gewählt hatte, um sich Micaëla zu nahen, und den nur der Zornesausbruch des alten Juden gereizt und zum Rückzug gezwungen hatte? Welch eine neue Sorge trat da mit einemmale an die beiden Alten heran ...

Der Ring des Kardinals

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