Читать книгу 2924 Hunde und 10 Tierheime : Roman - Manuela Dörr - Страница 7

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Büro Hofenkamp & Meyer

»Sprechen Sie mit den Pflegern. Finden Sie heraus, was andere Architekten übersehen haben – wir aber nicht! So mache ich das immer; ich spreche mit den Menschen, die mit dem Gebäude leben und arbeiten müssen. Wir perfektionieren die Notlösungen der Tierpfleger. Wir zeigen Lösungen auf, an die niemand denkt!« Herr Hofenkamp, Natalies Chef, warf sich in seinen schweren Ledersessel zurück und rollte samt Gefährt ein paar Zentimeter über das Laminat Richtung Glaswand.

Seit der Betreiber der Firma Konrad, ein knochiger Mann mit anthrazitfarbenem Anzug und violetter Krawatte, aus dem Büro geschlichen war, mieden alle Kollegen den Chef. Es gebe einen neuen Auftrag, der, mangels Größe und Wichtigkeit, an nur eine Person gehen sollte, munkelte man. Natalies Kollegin Theresa könnte das Projekt zugeteilt bekommen. Immer hielt Natalie ihr aber vor Augen, wie unrealistisch die Vorstellung war. Schließlich war ihr beider Fachwissen im Museumsteam unentbehrlich.

Jetzt stand sie selbst im Büro des Chefs. Beinahe wäre ihr der Kugelschreiber aus der Hand gefallen. Das hatte ihr noch gefehlt, so kurz vor dem Ziel. Gebäude besuchen zu müssen, in denen Viecher durch den Schlamm wateten und an ihr hochsprangen. Seit Anfang des Jahres war es im Büro verboten, eigene Hunde mitzubringen. Dafür hatte sie sich bei der Abstimmung eingesetzt. Wie hätten ihre Kollegen schließlich reagiert, wenn jemanden gebissen worden wäre?

»An welchen Ort hatten Sie gedacht?« Natalie verschränkte die Arme und klickte zweimal mit dem Kugelschreiber. Vielleicht nur Österreich.

»Welchen Ort? Welche Orte! Plural, meine Dame. Deutschland, Spanien, Frankreich, Osteuropa!«, rief er und Natalie zuckte bei jedem Wort zusammen. »Informieren Sie sich, welche unseren Projektvorschlag optimieren. Schließlich ist es eine Ausschreibung, zu der wir eingeladen wurden. Besuchen Sie zahlreiche Orte – aber das kennen Sie ja. Impressionen brauchen wir, so viele wie nötig, so außergewöhnlich wie möglich!«

Ihre Arme sanken langsam an ihrem schwarzen Kleid hinab, dann strich sie sich eine Haarsträhne vom Gesicht. Ihr Armband klimperte bei jeder Bewegung. Sie drückte es energisch hoch, bis es sich an der Haut festklemmte. Eigentlich reiste sie gerne, ließ das Flair einer neuen Stadt auf sich wirken und besuchte Museen als Inspiration. Aber jetzt sah sie nur noch die Mauern ihres Museums zusammenbrechen.

»Sie fliegen nächste Woche nach Spanien, nach Andalusien. In der Nähe gibt es zwei Tierheime, die mir Herr Konrad empfohlen hat. Ich war so frei, meine Sekretärin mit der Buchung Ihrer Reise zu beauftragen.«

»Nächste Woche? Spanien? Und was wird aus dem Meeting vom Museumsprojekt am Dienstag?«

»Lassen Sie das meine Sorge sein. Konzentrieren Sie sich auf Ihr neues Projekt. Das Tierheim.« Er nickte.

»Sie haben mir damals versprochen, dass ich das Museum bis zur letzten Sekunde mit im Team planen werde. Jetzt können Sie mich doch nicht vom Projekt abziehen! Außerdem bin ich nächste Woche verhindert. Da wollte ich … zu einer Fortbildung.« Natalie strich das Armband wieder hoch, das beim Gestikulieren herunter gerutscht war. Sicherlich, er war ihr Chef, und Wiederworte durfte sie nicht geben – aber sie konnte nicht anders.

»So? Eine Fortbildung von der ich nichts weiß? Der Flug ist gebucht. Gehen Sie schon rüber, Frau Leistner wird Ihnen die Daten mitteilen. Sonst müssen wir mal sehen, ob wir hier noch eine Aufgabe für Sie haben … Sie wissen, dass ich Sie nur eingestellt habe, weil Herr Wiesner ausgeschieden ist.« Er beugte sich über den Schreibtisch, sodass sein Bauch sich um die Tischkante vor ihm schlang und der dritte Knopf seines Hemdes sich in die Papiere drückte. Natalie kannte Herrn Wiesner nur aus Gesprächen mit ihren Kollegen. Talentiert soll er gewesen sein, aber dickköpfig und das missfiel dem Chef. Theresa warnte Natalie deshalb regelmäßig.

»Beim Museum werden Sie vorläufig nicht mehr gebraucht, Frau Feldt …« Er sprach so leise, dass sie es beinahe nicht gehört hätte. Aber seine Aussprache war klar und deutlich. Er begann zu schreiben, füllte ein Formular so schwungvoll aus, dass der ganze Tisch vibrierte, die daran befestigte goldene Tischleuchte zu wackeln begann und den Schatten seines Kopfes auf der Holzplatte flackern ließ.

Es hatte keinen Sinn. Herr Wiesner war zwei Semester vor ihr mit dem Studium fertig geworden. Jetzt arbeitete er in einem Zwei-Mann-Büro in der Nordstadt und plante Hinterhöfe und Parkplätze. Sie riss die Arme auseinander und dachte für einen Moment darüber nach, die Glastür hinter sich zuzuschlagen. Im letzten Moment beherrschte sie sich, das Empfehlungsschreiben und die Stelle standen auf dem Spiel, zumindest noch drei Monate.

Den ganzen Tag mied sie das Büro von Frau Leistner, obwohl es zentral am Hauptgang lag. Natalie nahm Umwege, ging durch das steinerne Treppenhaus am Hintereingang, anstatt den Fahrstuhl zu nutzen oder durchquerte die Büros ihrer Kollegen. Er sollte begreifen, dass sie sich nicht herumkommandieren ließ. Er sollte wissen, dass man sie nicht so einfach los wurde, dass sie zum Museum gehörte!

»Aber wenn du das Projekt nicht machst, ist er dich ganz einfach los«, rief Miriam. Der Wind zerrte an ihren Worten und Haaren. Sie standen auf dem Dach des Bürogebäudes um einen mickrigen Stehtisch, den jemand für die Raucher aufgestellt hatte. Sie betrachteten die grauen Wolken, die sich gemächlich voreinander schoben, während Miriam Rauchwolken zu ihnen blies. Jede Pause standen sie hier und tauschten sich über die Geschehnisse in ihren Firmen aus. Miriam hustete. Ihre Zigarette qualmte auf, bevor sie erlosch. »Der wird dich einfach rausschmeißen. Und das geht doch nicht. Kannst du dir nicht erlauben, brauchst doch das Geld und den Wisch!«

»Du solltest weniger rauchen und mehr Sport treiben«, entgegnete Natalie. Miriam ignorierte sie und aschte in die Luft.

»Du hast ja Recht. Verdammt! Aber wofür habe ich so lange studiert und mich abgearbeitet? Um bei Hofenkamp & Meyer eine Stelle zu bekommen und das in meinen Lebenslauf schreiben zu können? Vielleicht. Aber um irgendwelche Straßenhunde anzugucken? Niemals!« Sie lehnte sich an das Edelstahlgeländer. Hofenkamp & Meyer – Museumsarchitekten! Ein Tierheim ist weit entfernt von einem Museum. Da wird kein Glas verbaut, nur meterlange Gitterstäbe, hinter denen noch viel dreckigere … – wieso sollte man für ein Tierheim überhaupt einen Architekten brauchen?

»Komm, gehen wir wieder runter.« Miriam wandte sich dem Treppenhaus zu. »Warum nehmen wir eigentlich nicht den Aufzug?«

Natalie seufzte und folgte ihrer Freundin bis zur siebten Etage. Sie lauschte dem Hall von Miriams Schritten, den die nackten Betonwände zurückwarfen und steckte das Ende des Gürtels in die Schlaufe, aus der es manchmal heraus rutschte, drückte den schweren Messinggriff tief und ließ die Holztür hinter sich wieder ins Schloss schnappen.

2924 Hunde und 10 Tierheime : Roman

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