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Kapitel 1 – Eine neue Welt
ОглавлениеEs war einer dieser Tage. Voller Spannung und bereit wieder neue Kenntnisse über die englische Geschichte zu entdecken, saß ich in meinem Gefährt. Wer ich bin? Mein Name ist Marcel und ich bin Ingenieur an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Gemeinsam mit einem Team aus den hochrangigsten Forschern der Bereiche Physik und Geschichte arbeitete ich am Wurmlochprojekt. Mithilfe dieser Portale gelang es mir in einer Carbon Kapsel ins England der Renaissance zu reisen und dort dank historisch korrekter Kleidung mich unter die Leute zu mischen und diese zu studieren. Mittlerweile bestritt ich meine fünfzehnte Reise dorthin und dennoch war meine Nervosität so hoch, wie beim ersten Mal. Auch wenn alle bisherigen Reisen reibungslos verliefen, so blieb doch immer ein Restrisiko. Angespannt saß ich in einem weißen Leinenhemd mit bordeauxrotem Surkot, schwarzen Hosen und braunen Stiefeln in der Kapsel und erhielt die letzten Instruktionen.
„Wir erwarten leichte Turbulenzen, aber nichts Dramatisches“, gab mir Doktor Lenny Hofstädter durch. „Könnte nur etwas ruckeln während des Fluges. Deinen Transponder hast du dabei?“
Ich berührte das goldene Amulett um meinen Hals, öffnete es und blickte auf die blinkenden Leuchtdioden. Sie halfen mir in der fremden Zeit zur Kapsel zu finden und den Rückflug einzuleiten.
„Einsatzfähig. Ich bin bereit, Doktor Hofstädter“, entgegnete ich.
„Dann mach dich bereit. Ich starte den Countdown.“
Eine Computerstimme zählte von zehn abwärts. Dann öffnete sich das Portal und die Kapsel stürzte in schwarze Tiefen. Wie angekündigt gab es leichte Turbulenzen. Ich hielt mich sicherheitshalber an den Haltegriffen in der Kapsel, die zusätzlich zu einem Sicherheitsgurt angebracht waren, fest. Das Wackeln wurde stärker und ich verfluchte schon fast den Döner, den ich mir zum Mittagessen gegönnt hatte. Ich konzentrierte mich darauf, mich nicht zu übergeben. Plötzlich drehte es die Kapsel, sie überschlug sich. Ich betrachtete mein Spiegelbild in der Scheibe. Eine angsterfüllte Grimasse blickte mir entgegen, über deren rechter Augenbraue sich ein feiner blitzförmiger Riss abzeichnete. Ein weiterer Riss folgte am Mundwinkel entlang. Ich erschrak und tastete über mein Gesicht, ehe ich bemerkte, dass das Glas der Kapsel langsam aber sicher riss. Bevor ich irgendwie reagieren konnte, zerbarst die Scheibe in tausende kleine Splitter, die mir entgegenflogen. Schützend hielt ich mir die Hände vors Gesicht. Ich spürte, wie die scharfen Kanten über meine Hand streiften und feine kleine Kratzer verursachten. Dann spürte ich, wie sich die Laufbahn meiner Kapsel veränderte. Sie war im freien Fall und ich mit ihr. So gut, wie ich konnte, versuchte ich mich auf einen unvermeidbaren harten Aufprall vorzubereiten.
Auf einer grünen Weide, unweit eines kleinen Schlosses saß eine blonde junge Frau auf einem Stein. Um sie herum saßen fünf junge Menschen, die ihr gespannt zu lauschen schienen.
„Der Verwandlungszauber ist für junge aufstrebende Zauberschüler, wie ihr es seid eine Herausforderung. Drum passt gut auf“, erklärte sie und deutete auf eine graubraune warzige Kröte, die vor ihr saß. „Mit diesem Spruch werde ich diese Kröte in einen anmutigen schönen Schmetterling verwandeln.“
Fasziniert schauten ihre Schülerinnen und Schüler zu, während sich die Frau räusperte, die Ärmel ihres Umhangs zurückschob und einen hölzernen Stab zückte.
„Arogas Almendin.“ Obwohl ihre Stimme mutig klang, war ein ängstlicher Unterton nicht zu leugnen. Die Kröte saß immer noch vor ihr und quakte vor sich hin.
„Das kann schon mal passieren“, meinte sie entschuldigend und ihr Gesicht errötete sich. „Arogas Almendin.“ Dieses Mal lag etwas mehr Selbstbewusstsein in ihrem Tonfall, doch erneut geschah nichts.
„Arogas Almendin“, versuchte sie es ein drittes Mal und Verzweiflung machte sich breit. „Kröte verwandle dich. Bei den Göttern, du hässliche quakende Amphibie verwandele dich in einen Schmetterling.“
Nichts geschah. Unruhe unter ihren Schülern machte sich breit. „AROGAS ALMENDIN!“, schrie sie verzweifelt, doch die Kröte blieb unverändert.
„WAS TREIBST DU DA TAMINA!“ Die Frau zuckte zusammen als ihr Name genannt wurde.
„Meister Folrik. Was ich … äh hier treibe, ähm“, stammelte Tamina und sie suchte nach den passenden Worten. „Ich ähm …“
„Habe ich dir nicht ausdrücklich befohlen dich um das Vieh zu kümmern?“ Zornig funkelte Folrik sie mit seinen stahlgrauen Augen an.
„Habt Ihr, Meister Folrik und ich bin mit diesen Aufgaben auch soweit fertig. Aufgrund dessen wollte ich …“
„Wolltest du MEINE Schüler mit deinen unfertigen Künsten beeindrucken?“ Folrik lachte höhnisch auf. „Als deine Eltern starben und du vor meiner Schule standst, habe ich beschlossen dich in meinem Haushalt anzustellen und dir ein wenig Einblicke in die magischen Künste zu geben. Jedoch geschah dies stets unter dem Leitsatz: Erst die Pflichten und dann die Magie.“
„Ja Meister.“ Betreten blickte Tamina zu Boden, während Folrik sich den Schülern zuwandte.
„Ihr begebt euch ins Schloss auf eure zugeteilten Gemächer, während ich Tamina einen ihr angemessenen Tadel gebe.“
Ohne große Widerworte verließen die Schüler die Wiese und begaben sich in Richtung Schloss. Folrik blickte ihnen hinterher und als er sich sicher war, dass sie außer Hörweite waren, wandte er sich Tamina zu.
„Du mistest sämtliche Ställe aus und sorgst dafür, dass die Tiere mit ausreichend Wasser und Futter versorgt sind. Und achte darauf, wenn du die Schafe eintreibst, dass keins verloren geht. Schließlich sollen sie nicht Opfer der Wölfe werden. Wenn du damit fertig bist, kannst du dein Essen einnehmen und dich in dein Schlafgemach begeben. Ich möchte heute nicht mehr gestört werden.“ Folrik fixierte Tamina, wie ein Greifvogel, der seine Beute ausgemacht hatte. „Heute Abend werde ich das Auge von Ibis befragen. Ich habe das Gefühl, dass sich die Prophezeiung bald erfüllen wird.“
„Ihr befragt das Auge von Ibis, Meister? Bitte lasst mich einmal diesem Zeremoniell beiwohnen“, bat Tamina höflich.
Folrik antwortete mit einem Blick des Argwohns.
„Bitte, Meister Folrik. Ich verspreche meine Aufgaben für den heutigen Tag besonders gewissenhaft und gründlich auszuführen“, versuchte Tamina den alten Zauberer umzustimmen.
„Meine Antwort lautet Nein. Hättest du heute getan, was ich dir aufgetragen habe, wäre es eine Überlegung wert gewesen, aber so musst du dir die nächste Gelegenheit verdienen.“
Mit dieser Antwort ließ Folrik Tamina zurück, die ihm zornig nachblickte.
„Das darfst du nicht, Tamina. Du bist ein Scharlatan. Deine Zauberkünste sind noch nicht ausgereift! Bla, bla, bla. Was bin ich denn? Nur seine Magd, die ab und an ein wenig Magie gezeigt bekommen darf?“ Zornig und laut vor sich hin fluchend lief Tamina über die Weide und trieb die Schafe in Richtung Stallungen. Der Schweiß lief ihr die Stirn hinab, als auch das letzte Tier im Stall war.
Nachdem die Pferde und Schweine ausgemistet und versorgt waren, begab sich Tamina in Richtung Haupttor des Schlosses. Sie dachte an nichts Böses, als plötzlich am Himmel ein heller Blitz aufglomm und etwas Ovales mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Boden raste. Ehe die blonde Frau reagieren konnte, schlug das Geschoss nahe einer alten Eiche in den Boden. Eine Rauchwolke stieg auf, als sich Tamina langsam und vorsichtig dem Gegenstand näherte. Eine Person saß in der deformierten Kapsel. Tamina hielt etwas Abstand, als die Person anfing sich zu bewegen und aus dem Wrack zu steigen.
„Tut … tut mir nichts“, stammelte Tamina und versuchte mutiger zu klingen, als sie es war. „Ich kann zaubern.“
„Zaubern?“, entgegnete die sichtlich mitgenommene männliche Person. „Wo bin ich denn hier nur gelandet? Hier ist nicht London um 1520?“
„London?“ Tamina senkte ihre Hände. Offenbar war der Fremde völlig durcheinander und eher ungefährlich. „Ihr seid in Smorland in der Nähe der Magierschule des großen Zauberers Folrik gelandet.“
Nach dem heftigen Einschlag, den ich glücklicherweise ohne größere Blessuren überstanden hatte, schnallte ich mich ab und begegnete einer blonden jungen Frau, die etwas von Zaubern erzählte. Jedoch war es nicht London oder England in der Renaissance. Ich war laut der Frau in Smorland gelandet. Und das Schloss sollte eine Schule für Magier sein und von einem Zauberer, namens Folrik geleitet werden. Ich brauchte einen Moment, um diese Auskunft zu verdauen. Nicht nur, dass mein Unfall einen unerkannten Einstieg bei solchen Zeitreisen vermied, ich schien in einer anderen Welt gelandet zu sein, vielleicht sogar auch in einer ganz anderen Zeit. Ich versuchte zu kooperieren.
„Dann bin ich hier wirklich falsch. Können Sie …“, begann ich, ehe ich mich eines Besseren besann, „Könnt Ihr mir weiterhelfen? Oder zumindest mich zu jemandem bringen, der mir helfen kann?“
Die blonde junge Frau lächelte. „Ich bringe Euch zu meinem Meister Folrik. Er ist allwissend und wird Euch bestimmt weiterhelfen.“
Sie nahm mich bei der Hand und mit einem mulmigen Gefühl folgte ich ihr. Von der Inneneinrichtung des Schlosses nahm ich in meiner Aufregung kaum Notiz. Am Ende einer langen Wendeltreppe folgte ein kleiner Gang an dessen Ende eine große hölzerne Tür geschlossen auf uns wartete. Meine Begleiterin klopfte an und trat nach einem Augenblick des Wartens ein. Im Zimmer stand ein großer hagerer Mann, der zornig herumfuhr. Er trug einen roten Kapuzenumhang, der mit silbernen Monden und Sternen verziert war. Sein Gesicht umrahmte ein weißer langer Bart und an seiner rechten Hand trug er einen Ring mit einem roten Rubin. Seine Augen, die stahlgrau waren fixierten mich, während er die Frau für ihr Eindringen tadelte.
„Tamina! Ich sagte dir doch, dass ich unter keinen Umständen gestört werden möchte. Und dazu zählt auch nicht der Umstand, dass du mir deinen Freund vorstellen möchtest, wie auch immer du ihn zu meinem Erstaunen kennengelernt hast.“ Tamina schien ganz schön unter dem Scheffel des Mannes zu stehen. „Wenn du schon mal da bist, dann berichte, was du zu berichten hast und dann geh, wie ich es dir befohlen habe.“
„Meister“, entgegnete Tamina zögerlich. „Das ist … Verflixt. Ich vergaß Euch nach Eurem Namen zu fragen. Wie heißt Ihr?“
„Marcel“, antwortete ich kurz.
„Das ist ein schöner Name“, ließ Tamina beiläufig fallen. „Meinen hast du ja von meinem Meister gehört.“ Sie wandte sich nun wieder dem alten Mann zu. „Meister Folrik, das ist Marcel. Und er ist der Prophezeite.“
Folrik musterte mich abschätzend. „Der Prophezeite?“
„So ist es. Er ist aus dem Nichts hier aufgetaucht.“ Tamina warf mir ein freundliches Lächeln zu. „Besser gesagt: Er ist eingeschlagen.“
„Ich verstehe“, erwiderte Folrik und klang ein wenig freundlicher. „Nun, das Auge von Ibis hat mir angekündigt, dass Eure Ankunft nicht mehr fern sei. Dass es so rasch ging, ist eine erfreuliche Überraschung. Tamina, begleitet ihn auf sein Zimmer. Ich denke im dritten Stock, linker Korridor, wo sich die Gästezimmer befinden, werden wir ihn unterbekommen. Und bringt ihm uns angemessene Kleidung. Mit dem, was Marcel aktuell anhat, wirkt er arg befremdlich.“
Ich wollte etwas darauf antworten, doch da hatte mich Tamina schon am Arm gepackt und mich aus dem Zimmer geführt. Geführt nicht, ich stolperte mehr oder weniger hinter ihr her. Ich blickte aus den Fenstern und sah die einsetzende Abenddämmerung. Über Nacht würde ich es wohl wagen können, die Gastfreundschaft des Magiers Folrik ausnutzen, ehe ich Morgen einen Versuch unternehmen wollte, nach Hilfe für die zerstörte Kapsel zu fragen.
„Meister Folrik war doch ganz nett“, unterbrach Taminas weiche Stimme meinen Gedankengang.
„Oh ja. Nur dich behandelt er wie den letzten Dreck“, bemerkte ich.
„Das ist seine Art“, berichtete Tamina mit neutraler Stimme, doch ich entdeckte die Traurigkeit in ihrem Gesicht. „Vor fünf Jahren starben meine Eltern. Ich war ganz alleine und niemand fühlte sich für mich zuständig. So irrte ich umher. Lebte mal hier, mal dort. Schließlich klopfte ich an der Pforte dieses Schlosses. Folrik nahm sich meiner an. Mit sechzehn Jahren war ich leider zu alt, um den regulären Studienweg der Magier zu gehen und so arbeite ich in seinem Haushalt. Als Belohnung neben Obdach, Speis und Trank weist er mich in die Kunst der Magie ein. Ich kann schon ein paar richtig gute Zaubersprüche. Leider wollen nicht alle funktionieren. Da wären wir nun.“
Tamina öffnete eine der Türen und zeigte mir mein Schlafgemach für diese Nacht. Ein Bett, ein großer hölzerner Schrank, eine Kommode, sowie ein Tisch mit vier Stühlen boten allen Komfort für die Nacht.
„Morgen früh, werde ich dich wecken. Sollte es dir noch an etwas fehlen, so lass es mich wissen“, sagte Tamina gastfreundlich.
„Ähm ja da wäre tatsächlich etwas“, erwiderte ich zögernd. „Wo ist hier die Toilette?“ Als ich es ausgesprochen hatte, schlug ich gedanklich die Hände an den Kopf. Das kannten die hier bestimmt nicht. „Wo finde ich hier den Ort für … für die …?“
„Du meinst die Notdurft“, griff Tamina mir vor und ich schämte mich ein wenig, dass sie es so direkt aussprach.
„Ja.“
„Einfach die Tür raus und den Gang runter. Am Ende befindet sich zur Rechten eine Tür.“ Sie lächelte freundlich. „Wenn dir beliebt, bringe ich dir in der Zwischenzeit einen kleinen Imbiss und etwas zu trinken.“
„Danke, das nehme ich sehr gerne an“, sagte ich, während ich mich an ihr vorbeischlängelte und ihrer Wegbeschreibung folgte. Die Aufregungen der vergangenen Stunden hatte ihren Tribut gefordert. Natürlich gab es hier keine Toilette nach Villeroy und Boch, sondern in dem Raum befand sich lediglich ein dunkles schwarzes Loch, das ins Nichts zu führen schien. Vorsichtig verrichtete ich mein Geschäft und befand mich sogleich in der nächsten Notsituation wieder. Das Toilettenpapier hatte man hier noch nicht erfunden und so behalf ich mir, in dem ich mein Hemd auszog, es in Streifen riss und mir damit behalf. Am Ende lag ein zerrissenes Hemd auf dem Boden des Raumes für die Notdurft und die verwendeten Streifen befanden sich auf dem Weg in die dunkle Tiefe. Mit nacktem Oberkörper schlich ich über den Gang, um in mein Zimmer zu gelangen. Dort angekommen, stieß ich beinahe mit Tamina zusammen, die gerade das versprochene Essen und Trinken auf den Tisch gestellt hatte. Sie errötete und ihr Blick verweilte ein wenig zu lange auf mir. Unsere Blicke trafen sich, ehe sie sich abwandte, mir guten Appetit und eine angenehme Nacht wünschte und ihrer Wege ging. Verträumt blickte ich ihr hinterher, ehe ich mich dem Essen zuwandte. Ein Krug Bier, dazu ein Brotfladen mit einem Fleischeintopf. Neugierig probierte ich es und war erstaunt, wie gut es schmeckte. Mit dem Krug Bier in der Hand blickte ich aus dem Fenster in den Nachthimmel. Es war eine sternenklare Nacht, lediglich ein paar Nebelschwaden zogen hindurch. Ich schaute zum Mond – es wirkte alles so surreal, falsche Proportionen, zu grelles Licht. Nach einem tiefen letzten Schluck ging ich zu Bett, wo ich schon bald einschlief.
Am nächsten Morgen wurde ich von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, doch war die Nachtruhe keineswegs unangenehm. Im Gegenteil: Zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich erholt und ausgeschlafen. Ich stand auf, trat ans Fenster und blickte hinaus. Das Fenster war zum Schlosshof gelegen, der sich mit Leben füllte. Dann hörte ich Pferdegetrampel, das näherkam. Zwei in Rüstung gekleidete Krieger ritten hinein und wurden von zwei Stallknechten empfangen, die sich um die Pferde kümmerten. Die Krieger saßen ab und begaben sich in das Schloss. Ich folgte den Knechten, wie sie die Pferde wegbrachten, als es an der Tür klopfte.
„Marcel“, vernahm ich eine mir bekannte Stimme rufen.
„Kleinen Moment“, antwortete ich und ich bemerkte, dass ich nichts anhatte. Schnell schlüpfte ich in meine Shorts und öffnete Tamina die Tür.
„Du bist schon auf, das ist schön. Ich habe dir ein paar Kleidungen mitgebracht, die dich unauffälliger kleiden.“ Sie überreichte mir ein Stapel mit diversen Kleidungsstücken. „Wenn du dich angezogen hast, wäre es schön, wenn du dich in der großen Halle einfinden würdest. Der große Krieger Balon ist mit seinem Adjutanten Rodge eingetroffen, um mit Folrik die weitere Strategie zu besprechen.“
Vorsichtig packte ich die Kleidung aufs Bett, suchte etwas Passendes aus und zog mich um. Dabei vergaß ich, dass sich Tamina noch immer in meinem Zimmer befand.
„Na das nenne ich mal einen hübschen zweiten Sonnenaufgang“, meinte sie lächelnd und erschrocken zog ich meine neue Hose über meine blanke Kehrseite.
Ich lächelte verlegen, schlüpfte in ein weißes Hemd und knöpfte es zu. „Die Reparatur meines Gefährtes dauert wohl länger?“, mutmaßte ich. „Sonst hättest du mir nicht so viel Kleidung vorbeigebracht.“
„Was das angeht“, entgegnete Tamina und sie suchte nach den richtigen Worten, „musst du diesbezüglich mit Meister Folrik Rücksprache halten.“
Verwirrt blickte ich die junge Frau an. „Ihr habt gar nicht vor, mich wieder in meine Welt zurückkehren zu lassen oder?“
„Das besprich bitte mit Meister Folrik. Ich bin nur eine einfache Dienerin und schlechte Schülerin.“ Mit Tränen in den Augen und dem Geschirr in den Händen schritt sie aus dem Zimmer. Auf der Türschwelle drehte sie sich noch einmal um. „Geh in die große Halle und enttäusche sie einfach alle!“
Ich blickte ihr hinterher, ehe ich mich fertig anzog und mich in die große Halle des Schlosses begab. Dort angekommen sah ich Folrik, der einen violetten Umhang mit goldenen Punkten trug. Er unterhielt sich mit den beiden Kriegern. Balon und Rodge, wie mir Tamina heute Morgen mitgeteilt hatte. Einer der Krieger hatte mich bemerkt und plötzlich beendete das Trio seine angeregte Unterhaltung.
„Schönen guten Morgen“, begrüßte mich Folrik, als er mich bemerkte. „Bitte tritt näher.“
Ich folgte der Aufforderung mit einem leicht unguten Gefühl und trat an den Tisch. Die beiden Krieger blickten abwechselnd mit Verwunderung Folrik und mich an.
„Wer soll das sein?“, fragte einer der Krieger. Er war etwas kleiner, aber kräftiger als sein Begleiter. Sein Gesicht schmückte ein schwarzer Vollbart. Das schwarze Haar war schulterlang und seine braunen Augen bargen eine Mischung aus Ärger und Verwirrung.
„Das ist Marcel, Rodge“, erklärte Folrik freundlich. „Er ist der Prophezeite. Tamina hat selbst gesehen, wie er aus dem Nichts auftauchte, wie es in der Prophezeiung steht.“
„Und du glaubst Tamina. Nicht, dass sie wieder zu viel vom Wein getrunken und fantasiert hat“, entgegnete Rodge verächtlich.
„Wenn er wirklich der Auserwählte sein soll, dann hat er eine faire Chance verdient, dies zu beweisen. Wenn er zum Drachenrat vorgelassen wird, dann ist er es, wenn nicht müssen wir uns so unserem Feind entgegenstellen. Ohne Drachen“, meinte Balon nachdenklich.
„DRACHEN? SO WAS GIBT ES DOCH GAR NICHT?“, entfuhr es mir und die Beiden nahmen wieder Notiz von mir.
Folrik lächelte freundlich. „Doch, die gibt es Marcel. Bis vor 1000 Jahren lebten wir Menschen in Einheit und Verbundenheit mit den Drachen. Doch ein Verräter sorgte für den Bruch dieses Bundes, sodass sich die Drachen in die Smaragdgebirge zurückgezogen haben und nichts mehr mit uns Menschen zu tun haben wollen. Jedoch gibt es eine uralte Prophezeiung, die besagt, dass ein Jüngling aus dem Nichts in unsere Welt gelangt und den Drachen entgegentritt, um eine neue starke Allianz zu schmieden, die uns hilft gegen einen übermächtigen Feind zu bestehen. Dieses Bündnis soll viele tausend Jahre andauern.“
„Der Feind sind echsenartige Wesen, namens Rapgonen“, ergänzte Balon.
„Drachen? Rapgonen? ICH WILL DAS NICHT MEHR HÖREN!“ Vor Zorn schreiend und mich für dumm verkauft vorkommend verließ ich die Halle und zog mich auf mein Gästegemach zurück. Ich griff unter mein Kopfkissen, zog das Amulett mit dem Transponder hervor und versuchte damit Kontakt zu meinem Forschungsteam zu finden. Jedoch waren da nur zwei blinkende rote Nullen. Die Technik hatte in dieser Welt ihren Geist aufgegeben. Tränen der Enttäuschung und des Zorns liefen über mein Gesicht und benetzten das Gerät. Zitternd streifte ich mir die Kette über den Kopf und ließ das Amulett über meiner Brust baumeln.
In der großen Halle hatte Marcels Ausbruch entgeisterte Beteiligte zurückgelassen. Man war schockiert.
„Ein ganz toller Auserwählter“, höhnte Rodge nach einer Weile des Schweigens. „Trotzig wie ein kleiner ungezogener Junge. Und der soll uns gegen die Rapgonen helfen?“
„Unterschätze ihn nicht“, entgegnete Folrik freundlich. „Wir haben ihn mit unseren Informationen ein wenig überfordert. Vergiss nicht, dass seine Welt, nicht wie die Unsere ist.“
„Woher weißt du das?“, fragte Balon.
„Als Tamina ihn mir vorgeführt hat, trug er höchst eigentümliche Kleidung, die nichts mit den Unseren gemeinsam haben. Später schaute ich mir sein Gefährt an. Das ist höchst eigentümlich gearbeitet.“
„Dennoch. Wer weiß, was Tamina da wahrgenommen hat. Jeder im Umkreis im Reich von Smorland weiß doch, dass sie nichts verträgt“, spottete Rodge.
„Genug! Lass mich noch einmal mit Marcel reden. Ich denke, ich weiß wie ich ihn für unsere Sache gewinnen kann“, meinte Folrik lächelnd, ehe er das Thema wechselte. „Berichtet mir aber, was Sache mit den Rapgonen ist.“
„Die Späher des Königs vermelden, dass sich die einzelnen Stämme zusammenrotten, um zu einem großen Schlag auszuholen. Sie berichten, dass sie einem Rapgonenfürst, namens Goor folgen. Ziel soll die Hauptstadt Eskandrias sein.“ Balon räusperte sich kurz, ehe fortfuhr: „Nach der Eroberung Tyrrells soll von dort ganz Eskandria unterworfen werden.“
„Eskandria hat 10.000 Soldaten. Laut unseren Spähern verfügt Goor über ein Heer von 50.000 Kämpfern. Das heißt, wir sind Eins zu Fünf unterlegen. Jedoch sind die Rapgonen schlecht ausgerüstet. Ein guter Eskandria-Soldat kann durchaus mehrere Krieger aus Goors Truppen abschlachten“, ergänzte Rodge. „Jedoch soll dieser Reptilienfürst über schwarze Magie verfügen. Das macht die Sache unvorhersehbar für uns. Wenn wir die Drachen an unsere Seite bringen könnten …“
„Würde das die Sache enorm erleichtern“, beendete Folrik nachdenklich den Satz. Seid unbesorgt. Ich werde dafür sorgen, dass unsere Mission nicht schon endet, bevor sie überhaupt beginnt. Und ganz wichtig: Verschweigt ihm den letzten Teil der Prophezeiung. Das würde alles zunichtemachen!“
Mit diesen Worten ließ Folrik die beiden Krieger allein.
An meiner verschlossenen Türe klopfte es, doch ich reagierte nicht. Schließlich konnte ich es mir schon denken, wer es war.
„Marcel“, hörte ich Folriks Stimme dumpf durch das Holz klingen. „Öffne bitte, sodass ich mich dir erklären kann. Hör mich an und ich überlasse dir die Entscheidung.“
Einen Moment hielt ich inne. Welchen Nutzen hatte ich davon hier eingesperrt zu warten? Früher oder später würde ich mich damit selbst gerichtet haben. Mit Folrik, der mir sehr weise erschien, konnte ich eine Rückkehr in meine Welt anstreben. Ich stand auf, ging zur Tür, drehte den Schlüssel und öffnete sie Folrik.
„Ein schweres Schicksal betrifft dich und viele fremde Dinge sind auf dich eingeprasselt“, begann er einfühlsam. „Ich kann durchaus verstehen, dass das zu viel für dich ist. Jedoch verstehe ich deine Entscheidung, wenn du wieder zurück in deine Welt möchtest.“
„Wirklich? Dann helft mir bitte, das Ziel zu verwirklichen, Meister Folrik“, antwortete ich knapp.
„Nun, ich kann es probieren. Schließlich bin ich der mächtigste Magier in Eskandria. Andererseits ist Magie über Dimensionen heraus schier unmöglich.“ Sein Blick haftete auf meinem Amulett und seine Miene hellte sich ein wenig auf. „Ein hübsches Amulett hast du da. Sehr schmückend.“
Ich versteckte es mit meinen Händen, doch seine langen dürren Finger waren schneller. Vorsichtig prüfend wiegte er es in seinen Fingern und betrachtete es eingehend.
„Weißt du, wo ich schon mal so eins gesehen habe?“, fragte mich Folrik.
„Woher soll ich als Fremder das denn wissen?“
„Bei meinem alten Freund, dem Magier Tumar“, entgegnete Folrik. „Er besitzt genauso ein Amulett, wie das deine.“
„Aber woher …?“
„Das kann ich dir nicht beantworten“, meinte Folrik lächelnd. „Jedoch, wenn du in die Hauptstadt Tyrrell reist, wirst du es ihn fragen können.“
Skeptisch betrachtete ich den Magier. Ich musste ihm wohl trauen, wenn ich unbeschadet zurück in meine Welt kommen wollte. „Was wäre der Preis?“
„Ich kenne Tumars Preise nicht“, erwiderte Folrik und ich bemerkte, dass meine Frage ihn leicht verwirrte, „jedoch könntest du unserem Land einen großen Dienst erweisen: Erneure das Drachenbündnis und verhelfe uns zum Sieg gegen die Rapgonen.“
Ich blickte in die stahlgrauen Augen meines Gegenübers. Sie flehten mich an, ihnen zu helfen. Und es würde meine Chancen in meine Welt zurückzukehren enorm steigern.
„Welch andere Wahl habe ich“, antwortete ich seufzend. „Ich helfe euren Truppen zum Sieg über die Rapgonen und Ihr helft mir mit Tumars Amulett zurück in meine Welt zu gelangen.“
„Ausgezeichnet. Lasst uns sogleich zurück in die Halle gehen und Balon und Rodge über diese freudige Nachricht in Kenntnis setzen.“
Wir begaben uns zurück in die Halle. Balon und Rodge hatten mittlerweile Gesellschaft von Tamina bekommen, die sich verzweifelt versuchte den Beschimpfungen von Rodge zu erwehren.
„Es ist gut, Rodge“, sagte ich schließlich, „fahr mal runter. Ich werde euch helfen.“
Skeptisch blickte der Krieger Folrik und mich an. „Kannst du überhaupt kämpfen?“
Ich schüttelte den Kopf.
Balon lächelte. „Dann erwartet dich Morgen ein hartes Training. Wir müssen dich im Schwertkampf ausbilden.“
„Schwertkampf? Ich soll auch kämpfen?“
„Nein, aber du solltest wissen, wie du dich verteidigen kannst“, entgegnete Balon.
„Großartig“, murmelte ich. Davon hatte ich schon immer geträumt. Mit dem Schwert kämpfen in einer mittelalterlichen Welt und dann irgendwo aufgespießt verrecken. Es konnte ja nur besser werden.
„Ich sehe, wir verstehen uns. Dann genießt den Rest vom Tag, ehe ab Morgen die Mission Drachenbund beginnt“, schloss Folrik.
Tamina führte Balon, Rodge und mich zu den Gästezimmern. Die beiden Krieger würden mir gegenüber ihr Nachtlager beziehen.
„Danke Tamina“, sagte Balon schließlich und schloss die Zimmertür. „Das ist dann alles.“
Ich wollte mich gerade in mein Zimmer zurückziehen, als Tamina mich zurückhielt.
„Warte bitte.“
„Ja? Was ist?“, wollte ich wissen.
„Danke, dass du mich vor Rodges Schimpftiraden gerettet hast“, flüsterte sie dankbar.
„Du hast keinen besonders guten Ruf bei ihm?“, fragte ich.
Tamina errötete ein wenig. „Du kennst ihn ja schon ein wenig. Er ist ziemlich grobschlächtig und bärbeißig. Seiner Meinung nach gehören Frauen an die Feuerstelle und nicht in irgendwelche Zauberschulen.“
„Der Arme hätte mit diesem Denken in meiner Welt einen ganz schweren Stand“, erwiderte ich lachend.
„Es gibt heute in der Küche der Schule Hirschbraten. Ich werde sehen, dass ich ein besonders gutes Stück für dich ergattern kann“, bot sie mir grinsend an.
Ich wollte noch etwas erwidern, doch dann war sie mit ihrem elfengleichen Gang schon den Korridor hinuntergelaufen. Fasziniert blickte ich Tamina hinterher. Hatte ich meine Entscheidung den Smorländern zu helfen nur mit der Tatsache auf Rettung aus dieser Welt zu tun gehabt? Oder hatte ich diese Entscheidung wegen ihr getroffen?
Im Süden des Landes, in einer dunklen Taverne. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt. Eine schwarzhaarige junge Frau betrat das Lokal. Sofort hatte sie die Blicke sämtlicher anwesender Männer auf sich gezogen, was sie genoss und ihr gleichzeitig leicht peinlich war.
„Fünf Silberstücke und wenn die Nacht gut war, leg ich nochmal das Doppelte oben drauf“, rief ein grobschlächtiger Mann mit Zahnlücke.
Die Frau drehte sich in einer raschen Bewegung um, griff in die Innentasche ihrer Weste, zog einen Dolch heraus und hielt diesen dem Mann an die Kehle.
„Selbst, wenn du mir die Schatzkammer des Königs zahlen würdest, würde ich mit einem so hässlichen Troll wie dir nicht ins Bett steigen“, zischte sie und verstärkte den Druck auf den Dolch. Blut trat aus dem Druckpunkt heraus und floss langsam herab.
Geschockt blickte der Mann die Frau an. Er versuchte zu schlucken, doch der Dolch auf dem Kehlkopf verhinderte den Reflex. „Ich… bitte dich. Lass Gnade … walten“, erklang es stockend.
Die Frau verstärkte noch etwas den Druck, ehe sie den Dolch zurück in sein Futteral steckte. Triumphierend blickte sie in die Runde, ehe sie sich an den Lüstling wandte. „Da wurden sie ganz klein, deine großen Worte und dein Schwanz. Vielleicht denkst du an unser Treffen, wenn du über eine billige Straßendirne steigst.“
Mit diesen Worten ließ die schwarzhaarige Frau den Mann stehen, setzte sich an den Tresen und bestellte beim Wirt etwas zu essen und zu trinken, sowie ein Zimmer für die Nacht.
Nach einem ausgiebigen Mahl begab sie sich auf ihr Zimmer. Es war bereits dunkel geworden. Fackeln legten den Korridor in flackerndes diffuses Licht. Schließlich fand sie ihr Zimmer, schloss es auf und wollte die Tür hinter sich schließen, als diese auf Widerstand traf. Eine dunkelgekleidete Gestalt mit Kapuzenumhang hatte seinen Stiefel in den Rahmen gestellt. Bereit zum Kampf zog sie ihren Dolch.
„Warte“, entgegnete der Fremde. „Ich habe einen Auftrag für Euch.“
Das Klimpern von Münzen in seinen Taschen ließ die Frau jegliche Angriffsbereitschaft vergessen. Sie senkte ihren Dolch.
„Woher wisst Ihr, dass ich hier bin?“, fragte sie.
„Mein Fürst hat seine Diener und seine Späher“, erwiderte die Gestalt.
Die Frau blickte sich um. Auf dem Korridor näherten sich Stimmen. „Tretet ein“, flüsterte sie, „oder soll halb Smorland von diesen Geschäften erfahren?“
„Kluges Mädchen“, meinte der Fremde, trat ein und schloss die Tür.
Die Frau nahm auf dem Bett Platz, während die Kapuzengestalt sich auf den hölzernen Stuhl setzte.
„Nun, Rapgone“, begann die Frau. „Ihr habt einen Auftrag für mich? Was soll ich tun?“
Die roten Augen unter der Kapuze begannen im Halbdunkel des Zimmers zu leuchten und bedrohlich zu wirken. Der Rapgone warf einen Beutel mit Münzen auf das Bett. „Du sollst einen Mann töten, den mein Fürst loswerden möchte.“
Die Frau musterte den Beutel und zählte seinen Inhalt. „400 Goldstücke? Nun, was soll ich für deinen Sumpfechsenfürsten tun?“
„Beleidige nicht meinen Lord“, zischelte der Rapgone unter seiner Kapuze. „Ich bin dem großen Fürsten Goor persönlich unterstellt.“
Die Frau schluckte. Jetzt hatte der Rapgone sie in der Hand. „Wessen Burg möchte Goor dieses Mal erobern?“
Höhnisch blickten die roten Augen auf die attraktive schwarzhaarige Frau. Der Rapgone wusste, dass er im Zweikampf gegen sie keine Chance hatte. „Keine Burg, Shandra. Du sollst verhindern, dass sich eine alte Prophezeiung erfüllt.“
„Es ist also eingetreten?“, wollte Shandra wissen. „Ein Auserwählter ist aus dem Nichts in unsere Welt eingedrungen, um das Drachenbündnis zu erneuern?“
„So ist es. Mein Fürst wird diese Unterkunft für dich weiterhin bezahlen, ehe ich Informationen bekomme, wohin der Auserwählte und seine Begleiter ziehen. Dein Auftrag: Bring Goor den Kopf des Prophezeiten.“
Der Rapgone stand auf und verließ das Zimmer. „Versagst du, werde ich bei meinem Fürsten darum bitten, dass ich mich persönlich um dich kümmern darf.“
„Shandra hat noch nie versagt“, rief die Kopfgeldjägerin dem Rapgonen hinterher, doch erhielt sie keine weitere Antwort. Im diffusen Schein der Fackeln im Zimmer, wog sie den Beutel in der Hand und dachte an die Zukunft. Dieser Auserwählte würde gegen die Jägerin keinen Stich machen.
Kaum war die Sonne aufgegangen, weckte mich Tamina und holte mich zum Frühstück. Nach einem sehr kargen Frühstück ohne Kaffee begab ich mich mit Balon nach draußen. In seiner Hand hielt er zwei Stöcke, mit denen er den Schwertkampf mit mir üben wollte. Ausgiebig wies er mich in die Techniken des Kampfes ein, bevor wir loslegten. Balon war ein strenger Lehrmeister, der mir im Training schon alles abverlangte.
„Stock hoch! Konzentrier‘ dich! Vernachlässige nicht deine Deckung! Jetzt Schlag!“ Wie beim Militär brüllte Balon mir Anweisungen entgegen, während wir kämpften. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, wusste nicht, wie lange wir schon übten. Mit jeder Sekunde wurden die Arme immer schwerer und auch die Konzentration ging flöten.
„Pass doch auf!“, brüllte Balon, als sein Schlag an meiner Deckung vorbei auf meine linke Schulter traf. „Würden wir mit echten Schwertern kämpfen, hätte ich dir jetzt den Arm abgeschlagen!“
„Können wir vielleicht mal eine Pause machen“, gab ich schnaufend zurück. „Ist ja nicht jeder so austrainiert, wie du.“
„Im Krieg gibt es keine Pause“, erwiderte Balon streng und sein Schlag brachte mich völlig aus dem Stand und ich ging zu Boden.
„Es ist hoffnungslos“, sagte er enttäuscht und blickte mich an. „Du kämpfst ja noch schlechter als ein Waschweib.“
Balon wandte mir den Rücken zu. „Wir machen eine Pause. Vielleicht bist du danach besser in Form.“
„Ja, da könntest du Recht haben“, entgegnete ich leise, doch hatte ich einen Plan gefasst. Ich nutzte Balons Arglosigkeit aus, schlich mich an und schlug mit dem Stock zu. Das Holz prallte auf seinen Rücken, zerbrach in zwei Teile, während Balon zu Boden ging. Auf den Knien stützend blickte er mich verdutzt an.
„Regel Nummer eins: Beleidige niemals einen Ingenieur und wende ihm den Rücken zu!“, meinte ich.
Anstatt zu schimpfen, lachte Balon lauthals los. „Du kämpfst ja noch hinterhältiger als ein Rapgone, das muss ich dir lassen. Gut gemacht. Aber die Pause gönnen wir uns trotzdem.“
Wir betraten den Speisesaal, wo Tamina uns Kekse auftat. Dankend nahm ich das Angebot der frischen Kuhmilch an, während Balon sich ein Bier bestellte. Hungrig stürzte ich mich auf das Gebäck, während der Smorland-Krieger mich beobachtete.
„Unfassbar. Nicht mal Rodge ist so ein Vielfraß, wie du“, meinte er lachend.
Verlegen wischte ich mir ein paar Krümel von den Mundwinkeln. „Nun ja, das Leben hier raubt einem mehr Energie, wie mir lieb ist.“
„Du sprichst sehr merkwürdig. Energie und Indschör. Woher stammt das alles?“
„Wie Folrik, ja schon dir sicher erzählt hat, komme ich von sehr weit her.“ Ich suchte nach einfachen Worten, um dem Krieger zu erklären, wo ich herkam. „Meine Welt ist komplett anders, als die eure. Wir haben Strom, heizen mit Gas und Öl. Anstatt auf Pferden zu reiten, nutzen wir Fahrzeuge. Es gibt so vieles, was uns unterscheidet.“
„Ich bin sehr wissbegierig alles zu hören, was unsere Welten unterscheidet“, antwortete Balon und ich erkannte Neugierde in seinem Blick.
„Folrik erzählte etwas, dass ich der Prophezeite bin. Kannst du mir den Wortlaut der Prophezeiung wiedergeben?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln. „Folrik hat sie nur grob zusammengefasst, doch würde ich gerne den genauen Wortlaut meines Schicksals kennen.“
Balon dachte einen Augenblick nach und ich meinte einen Moment der Unsicherheit im Blick des sonst so selbstsicheren Recken zu bemerken. Schließlich antwortete er.
„Die Prophezeiung lautet: Es wird die Zeit kommen, da dieser Jüngling unser aller Leben rettet. Aus dem Nichts in unsere Welt geschlüpft, mit Mut, Verstand und Güte wird er den Drachen entgegentreten, ihnen ins Antlitz blicken und eine neue, starke Allianz schmieden. Ein Bündnis, mit dessen Hilfe der übermächtige Feind besiegt werden kann. Eine Freundschaft, die viele tausend Jahre währen soll und ein friedliches Miteinander zwischen Mensch und Drache ermöglicht.“
„Und wann soll dieses Entgegentreten stattfinden?“, wollte ich wissen.
„Das entscheidet der Rat der Drachen. Das sogenannte Triumvirat. Niemand von uns ist diesem Rat gegenübergestanden. Ich kann dir da auch nicht weiterhelfen“, erhielt ich von Balon als Antwort. „Die Sonne geht bald unter. Bist du bereit für eine weitere Übungseinheit?“
Ich nickte stumm. Hatte ein flaues Gefühl im Magen. Irgendetwas an Balons Antwort stimmte mich skeptisch, doch ich entschloss mich mir nichts anmerken zu lassen. Schließlich war ich auf Balon und seine Genossen angewiesen, um zu Tumar zu gelangen, der ein ähnliches Amulett wie das Meine besaß.
Auf dem Weg zum Übungsplatz entschloss ich mich Balon auf die Probe zu stellen. „Wie gelangen wir zum Magier Tumar?“, fragte ich unvermittelt.
„Tumar lebt in der Hauptstadt Eskandrias. Tyrrell ist eine faszinierende Stadt, sehr lebhaft und riesig“, berichtete Balon und fügte im Nachsatz an. „Aber auch sehr gefährlich. Deswegen kann es auch nicht schaden, wenn du ein bisschen Nachhilfe im Kampf bekommst. Rodge und ich können nicht immer in deiner Nähe sein.“
„Und wie erreichen wir Eskandria?“
„Über den Seeweg. Übermorgen legt unsere Flotte ab. Der König stellt uns vier große Schiffe zur Verfügung“, antwortete Balon. „Dann werden wir etwa vier Wochen unterwegs sein über das Meer der Morgenröte, ehe wir dann im Osten des Eskandrias die Hauptstadt Tyrrell erreichen.“
„Vier Wochen?“ Ich war entsetzt über diese Antwort. „Wie groß ist Eskandria eigentlich?“
„Es ist riesig. Wenn du willst, kann ich dir nachher ein wenig von Smorland zeigen.“ Balon blickte mich mit seinen graugrünen Augen freundlich an. „Dann zeig mal was du kannst.“
Vor einer hölzernen Übungspuppe, die mit strohgefüllten Säcken verziert war, blieben wir stehen und Balon reichte mir das Übungsschwert. Vorsichtig griff ich an und merkte schon bei den ersten Schlägen, dass die Puppe mittels Sprungfedern auf meine Angriffe Kontra gab. Ich spürte, wie mich Balons Blicke fixierten und jede meiner Bewegungen genau verfolgten. Schließlich schlug ich mit einem lauten Schrei dem Trainingsgerät den Kopf ab und mit einem zweiten Hieb folgte dessen Schwertarm. Die Puppe pendelte aus und schwer atmend stand ich dem Gerät gegenüber. Balon näherte sich mir und legte mir die Hand auf meine Schulter.
„Das hast du gut gemacht. Trotz Drucks des Gegners nicht nachgegeben und stets konzentriert geblieben“, lobte der Heeresführer und er führte mich in die Stallungen.
„Was ist mit den Überresten der Puppe?“, fragte ich.
„Das erledigt Folriks Personal“, antwortete er knapp. „Ich denke mal dieser Fuchs passt ganz gut zu deinen Körpermaßen.“
Balon holte aus einer der Boxen ein schönes rotbraunes Pferd und sattelte es. Dann ging er in eine andere Box und holte seinen schwarzen Rappen heraus. Es war ein nahezu majestätischer Anblick. Das Fell und die Mähne glänzten als Balon mit seinem Tier ins Licht trat.
„Lass uns aufbrechen“, meinte er. „Ich möchte schließlich vor Einbruch der Nacht wieder zurück sein.“
Ich nahm auf dem Sattel meines Fuchses Platz und wir ritten in Richtung Nordwesten. Über wunderbare grüne Hügel, die mit Nadelhölzern bewachsen waren, erreichten wir eine Anhöhe mit einer großen Lichtung und einem wunderbaren Ausblick. Balon stoppte seinen Rappen und auch ich brachte meinen Fuchs zum Stehen. An einer Kiefer banden wir die Zügel unserer Pferde.
„Hier hast du eine tolle Aussicht. Wenn du weiter in Richtung Süden schaust, erkennst du das Meer der Morgenröte. Und etwas östlich siehst du am Horizont die Weiten des Meeres“, erklärte mir Balon.
Ich folgte seinen Erklärungen. Das Meer wirkte in der Tat schier unendlich. Der Grund für den langen Seeweg war gefunden. Ich ließ noch ein wenig meinen Blick über das Gelände schweifen und versank in meinen Gedanken, als Balons lauter Ruf mich herausriss.
„SCHNELL INS UNTERHOLZ!“, brüllte er und zog mich mit seiner Hand mit.
Stolpernd flüchtete ich mich mit Balon in den Wald, als ich den Grund für unsere Flucht bemerkte. Lange Schwingen und ein riesiger Körper nahmen unseren Platz auf dem Ausguck ein. Ein langer Hals bewegte sich in unsere Richtung. Balon kroch noch tiefer ins Unterholz, während ich zu fasziniert von diesem majestätischen Anblick war. Am Ende des Halses befand sich ein riesiger violett und schwarz geschuppter Kopf und ein Maul, das von feinen goldenen Spitzen umzogen war. Ein großes rotglühendes Auge mit einer schwarzen fast schlitzartigen Pupille blickte mich an. Ich versuchte nicht zu blinzeln und dem Blick Stand zu halten. Der Kopf näherte sich zu mir, das Maul mit den wahrscheinlich schwertgroßen scharfen Zähnen jedoch geschlossen. Unschlüssig streckte ich dem Tier meine Hand entgegen und streichelte an seinen Nüstern entlang. Kleine schwarze Rauchwolken stiegen empor und ich fürchtete das Schlimmste. Ehe Balon oder ich weiter reagieren konnten, zog das majestätische Tier seinen Kopf zurück, erhob sich vom Boden und stieg mit kräftigen Schlägen seiner Flügel in den Himmel auf. Die Flügelschläge waren so stark, dass sie den Smorland-Krieger und mich beinahe von unserem Platz wehten. Ich kniff die Augen zusammen, um keinen Dreck hineinzubekommen. Als der Wind abgeklungen war, wagten Balon und ich uns langsam aus unserem Versteck und gingen zu unseren Pferden.
„Das war sehr leichtsinnig und gefährlich“, schimpfte der Smorland-Krieger. „Was hättest du gemacht, wenn dieses Untier dich attackiert hätte?“
„Ich kenne mich ein wenig mit Tieren aus. Dieses „Untier“, wie du es nennst war überhaupt nicht im Angriffsmodus.“
„Was weißt du schon von Drachen? Sie sind hinterhältig, fies und gemein! Wenn sich das Maul dieser Tiere öffnet und du ein Grollen vernimmst, dann ist es für dich zu spät. Dann trifft dich der flammende Tod“, entgegnete Balon zornig.
„Ihr wisst ja so viel über Drachen“, erwiderte ich ebenfalls angesäuert. „Wie lange war die letzte Begegnung eines Menschen und eines Drachen in dieser Welt her? Mehr als tausend Jahre? Da warst du bestimmt in der Blüte deiner Jugend.“
„Bei den Göttern“, stöhnte Balon und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Du bist nicht nur im Kampf hinterhältiger als ein Rapgone, sondern auch mit deinen Argumenten sturer als die engsten Berater des Königs. Du bist neu in unserer Welt, du weißt es nicht besser. Doch ich kann dir sagen, dass seit dem Bruch des letzten Drachenbundes jede Mutter und jeder Vater seinen Nachwuchs vor einer Begegnung mit den Drachen warnt. Insbesondere die schwarzen Artgenossen sind sehr rachsüchtig und haben den Vorrat der ihnen angetan wurde, nicht vergessen.“
„Ich verstehe, was du meinst und ich verstehe deine Bedenken. Jedoch bin ich dazu auserkoren, die Brücke zwischen dem Drachenvolk und euch herzustellen. Das heißt, ich werde mit den Drachen meine eigenen Erfahrungen machen müssen“, erklärte ich ruhig. „Jedoch werde ich mich nicht unnötig in Gefahr begeben.“
Mit dieser Aussage gab sich Balon erst einmal zufrieden. Er murmelte etwas dahin, ehe er seinen Rappen losband, auf ihn stieg und langsam los ritt. Ich folgte meinem Beschützer mit ein wenig Abstand.
Nach einer relativ kurzen Nacht, die immer noch unter den Eindrücken der ersten Drachenbegegnung stand, begab ich mich zum Frühstück in den Speisesaal. Nachdem ich mein Essen so einigermaßen heruntergewürgt hatte, ging ich auf die Wiese und wartete auf Balon. Es war ein so schöner sonniger Morgen, den ich nicht draußen im Schloss verbringen wollte. Das Gras war noch leicht feucht vom Tau und glitzerte im Licht der Sonne. Es dauerte nicht lang, da gesellte sich Balon zu mir.
„Ich habe da was“, meinte er anstelle einer Begrüßung und überreichte mir ein zweischneidiges Kurzschwert, welches in einer edlen verzierten Schwertscheide steckte. „Es ist genauso geschmiedet, wie das Übungsschwert, das du gestern hattest.“
Ich war überwältigt. „Danke“, stammelte ich und befestigte das Schwert an meinem Gürtel.
„Da ist noch etwas“, fügte Balon an. „Rodge!“
Der Adjutant des Smorland-Kriegers kam näher und an seiner Hand hielt er die Zügel, an deren Ende sich der Fuchs von gestern Nachmittag befand. Lächelnd trat ich an das Pferd heran und streichelte über seine Mähne.
„Danke Rodge“, murmelte ich und der Krieger nickte stumm. „Dann steht unserer Mission nichts mehr im Wege.
„Nichtsdestotrotz werde ich dich im Auge behalten“, knurrte Rodge. „Du magst dich im Kampf ja ganz gut schlagen und auch schon ein vermeintlich gutes Verhältnis zu den Drachen haben, zumindest zu einem Drachen. Jedoch warne ich dich. Ein Fehler von dir und ich werde da sein.“
„Du bist ja sehr aufmunternd“, nuschelte ich, während Balon uns skeptisch beobachtete.
„Schluss jetzt!“, schrie er. „Wir sind eine Einheit und kämpfen nicht gegeneinander. Ich vertraue dem Urteil von Folrik und meinen Menschenkenntnissen. Marcel ist der Auserwählte und wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um ihn bei seiner Mission zu unterstützen und zu beschützen. Ist das klar Rodge?“
Der wortkarge Adjutant nickte stumm, warf mir einen höhnischen Blick zu und zog sein Schwert. „Mein Leben werde ich geben, für den Prophezeiten und seinem Auftrag. Das schwöre ich bei den Göttern.“
„Sehr gut“, entgegnete Balon. „Dann werden wir noch ein wenig den Schwertkampf üben, ehe wir Morgen mit drei Schiffen der königlichen Flotte aufbrechen.“
Ich folgte meinen beiden Beschützern und gab während der Übungsstunden alles. Es gelang mir auch Rodge zu entwaffnen und beinahe gelang mir gleiches Kunststück auch bei Balon. Die beiden Krieger wirkten nach dem Ende der Einheit sehr zufrieden.
„Du scheinst dich wirklich zu machen, Marcel“, lobte sogar Rodge, als wir zum Schloss zurückgingen.
„Nur noch ein wenig zu zaghaft“, fügte Balon an. „Aber ich glaube, wenn dir ein Feind gegenübersteht, bist du eh wahrscheinlich gnadenloser als mit uns.“
„Ich hoffe es“, erwiderte ich.
Balon nickte. „Das wird schon. Auf dem Seeweg werden wir sowieso kaum Feinden über den Weg laufen. Der halbe Tagesritt vom Hafen in die Hauptstadt hinein, könnte da schon schwieriger werden.“
Am nächsten Morgen wurde ich schon vor der Morgendämmerung wach. Ich nutzte das schwache Licht und packte meine Sachen für die Reise. Mein Amulett legte ich mir um den Hals. Mit geringer Hoffnung öffnete ich es, doch die LED-Leuchten zeigten zwei blinkende Nullen. Das Gerät war zerstört. Tränen des Ärgers stiegen mir in die Augen. Ich nahm mein Reisegepäck, als es an der Tür klopfte.
„Herein“, rief ich freundlicher gesinnt, als es mir die bisherigen Ereignisse eigentlich erlaubt hätten.
Die Tür öffnete und Tamina trat ein. „Ich darf euch begleiten“, berichtete sie und strahlte über beide Ohren. „Ich werde sogar mit Balon, Rodge und dir auf einem Schiff sein. Das wird so aufregend. Ich hoffe, dass ich so viel lernen kann. Ja, vielleicht kann mir Tumar das Eine oder Andere beibringen, mit dem ich Folrik beeindrucken kann.“
„Das ist wunderbar“, entgegnete ich lächelnd.
„Du wirkst angespannt.“ Tamina trat näher bis wir uns Auge in Auge gegenüberstanden. Sie war einen halben Kopf kleiner und musste sich auf die Zehenspitzen stellen. „So richtig scheinst du dich nicht über deine Bestimmung zu freuen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Überhaupt nicht. Ich kann immer noch nicht glauben, was ich ausgelöst habe. Eigentlich sollte ich im London mitten in der Renaissance spazieren und die Menschen dort beobachten und studieren. Doch jetzt bin ich hier, erfahre von einer Prophezeiung deren Erfüllung ich sein soll. Dann berichtet man mir von Rapgonen und Drachen. Das ist alles andere als ein gemütlicher Ausritt durch die Landschaft dieser Welt.“
„Hättest wohl besser nicht auf dieses Pferd steigen sollen“, versuchte Tamina meine Angespanntheit zu lösen und es gelang ihr tatsächlich mit diesem Satz ein kleines Schmunzeln zu entlocken.
„Wem sagst du das“, murmelte ich verlegen, dann schwiegen wir. Es war kein verlegenes oder peinliches Schweigen. Ich empfand es als angenehm und sicher. Fast schon vertraut.
„Wollen wir hinunter zum Frühstück gehen?“, fragte Tamina schließlich. „Wir werden sehr zeitig mit den Schiffen ablegen, um zur Mittagszeit die besten Winde zu haben.“
Ich war einverstanden und so liefen wir die Treppen zum Speisesaal herab. Balon und Rodge waren weiteren Kriegern und auch Magiern umrahmt. Es mussten etwa 100 Begleiter sein, die sich mit uns auf die Fahrt nach Tyrrell begaben. Das Mahl verlief recht schweigsam und ein Jeder stand zeitig auf. Zum Schluss blieben Folrik, Balon, Rodge, Tamina und ich noch übrig.
„Ich möchte es nicht säumen euch viel Glück für eure Reise zu wünschen“, sagte der alte Magier mit ein wenig Wehmut in der Stimme. „Es wird nicht leicht werden, dennoch bin ich sehr zuversichtlich, dass es euch mit Marcels Prophezeiung gelingen wird den Bund der Drachen zu erneuern und uns starke Verbündete im Kampf gegen den übermächtigen Feind zu gewinnen.“
„Das hoffen wir auch“, erwiderte Balon. „Wir danken für Eure Gastfreundschaft, Meister Folrik und hoffen bald wieder nach erfolgreichem Ende unserer Mission zurück zu sein.“
„Unsere besten Wünsche sind bei euch.“
Balon und Rodge erhoben sich und auch Tamina und ich folgten den Beiden.
„Marcel!“, rief Folrik mir zu und ich wandte mich kurz um. „Du wirst es schaffen. Glaube an dich und unser Glauben an dich wird dir helfen.“
„Habt Dank, Meister Folrik. Auf Wiedersehen.“ Ich hob die Hand zum Zeichen des Abschieds und folgte Tamina mit meinem Gepäck.
Es war ein ganzes Stück Weg von Folriks Zauberschloss zum Hafen. Das Morgenrot entwickelte sich langsam zu Tageslicht, als wir den Hafen erreichten. Schreiber, die auf ihren Hemden ein Wappen mit einer weißen Lilie, mit schwarzem Hirsch auf gelben Grund eingenäht hatten, hielten alles protokollarisch fest.
„Der Heeresführer der königlichen Streitkräfte Balon mit seinem Adjutanten Rodge, der Zauberschülerin Tamina und Marcel bitte nach rechts gehen zum letzten Schiff“, sagte der Schreiberling kühl, ohne groß von seinem Pergament aufzuschauen.
Balon folgte seiner Anweisung und führte uns zu unserem Schiff, wo wir über eine Holzplanke an Bord traten.
„Jetzt beginnt der angenehme Teil der Reise“, sagte er leicht gelangweilt. „Die Fahrt über das Meer und für uns nichts zu tun.“
Ich freute mich auf ein wenig Erholung, nach dem langen und intensiven Schwerttraining. Dreißig Tage auf dem freien, schier unendlich wirkenden Meer der Morgenröte. Ich nahm mir vor, meine Mitstreiter ein wenig näher kennenzulernen und so viel Wissen, wie möglich mitzunehmen. Schließlich wollte ich nicht unvorbereitet meine Mission bestreiten. Jedoch ahnte ich nicht, welch grausames Schicksal unserer Reise nach Tyrrell bevorstehen würde.