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Kapitel 2 – Schrecken des Meeres der Morgenröte
ОглавлениеDie aufgehende Sonne eröffnete den dritten Tag auf dem Meer. Die Segel der königlichen Schiffe waren eingefahren, da der Wind seit gestern Nachmittag eine Pause einlegte. Die Ruderer der königlichen Truppen gaben alles, um der Flotte mit Muskelkraft Vortrieb zu gewähren. Ich begab mich an Deck, wo Balon konzentriert auf einem erhöhten Punkt des Schiffes stand.
„Kein Wind“, murmelte er, als er mich bemerkt hatte. „Das ist kein gutes Zeichen.“
„Guten Morgen“, grüßte ich höflich. „Was meinst du, dass es kein gutes Zeichen ist?“
„Unsere Smorland-Truppen sind ziemlich am Limit. Die Steuermänner geben ihr Bestes die Ruderzeiten für alle erträglich einzuteilen. Wir haben für die Hinfahrt Vorräte für 40 Tage eingepackt, eben um auf so eine Lage reagieren zu können. Jedoch, wenn es so bleibt …“
„Sind auch vierzig Tage zu wenig Planung“, ergänzte ich den Satz.
Balon nickte. „Nicht nur das. Die Ruderer brauchen natürlich mehr von den Rationen, als die normalen Mitfahrer. Das heißt, die Vorräte sind wahrscheinlich schneller verbraucht, als wir gedacht haben.“
„Könnten unsere Magier die Speisen nicht vermehren?“, fragte ich naiv.
„Das wäre eine Möglichkeit. Velrotach kränkelt jedoch und kriegt keinen Zauber zu Stande. Tamina ist fleißig und versucht sich in die Künste selbst einzulesen. Jedoch lässt der Erfolg noch zu wünschen übrig“, seufzte Balon.
Eine Weile blickten wir schweigend auf die unendliche Weite des Meeres. Wie eine Schnecke bewegten sich die Schiffe langsam vorwärts. Getrieben von den Anstrengungen der Ruderer, die alles gaben. Plötzlich wurde es hektisch. Laute Töne eines Horns waren von allen Booten zu hören. Balon blickte gen Himmel und wurde kreidebleich. Ein schwarzer Schwarm riesiger Vögel, so schien es aus der Entfernung, hatte sich versammelt.
„SCHWARZDRACHEN!“, brüllte Balon. „Begib dich unter Deck.“
Ich zögerte.
„Das ist ein Befehl!“, setzte der Heeresführer nach.
In der nächsten Sekunde folgte ich der Anweisung und begab mich unter Deck. Dann schien die Hölle über uns einzubrechen. Ich spürte die sengende Hitze des Feuers, sah verzweifelte Männer, die versuchten mit Löscheimern den Flammen Einhalt zu gebieten. Es war ein Kampf ums nackte Überleben. Tamina zog mich in ihre Kabine, die sie mit einem Schutzzauber belegt hatte.
„Kannst du den Schutzzauber nicht vergrößern?“, fragte ich. „Zumindest auf die bereits gelöschten Teile des Schiffs.“
„Ich versuche es. Jedoch weiß ich nicht, ob ich schon so viel Stärke besitze für so eine große Fläche“, antwortete die junge Zauberschülerin und sie konzentrierte sich. „Sagadu Glamsis Loosis.“
Tatsächlich schien es zu funktionieren und wir verharrten bis der Angriff vorbei war. Danach wagten wir uns heraus. Als ich mich umblickte traf mich der Schlag. Die beiden Begleitschiffe waren verschwunden. Rauchschwaden, die über dem Meer sich auftaten, kündigten unheilvoll von dem grauenhaften Schicksal. Unser Schiff war stark beschädigt. Aus dem Unterdeck kletterte Balon hervor und schüttelte traurig den Kopf.
„Es ist schrecklich“, murmelte er fassungslos. „Zwei Schiffe komplett zerstört. Dieses ist einigermaßen seetauglich. Jedoch kamen viele bei den Löscharbeiten ums Leben. Wir sind krachend gescheitert“, meinte er niedergeschlagen.
Mit betretenen Mienen blickten wir uns um und begutachteten den Schaden. Trotzig setzte Rodge das zerfetzte Segel.
„Wir müssen das Beste aus der Lage machen“, sagte er trotzig. „Wenn untergehen, dann mit wehenden Segeln.“
„Wenigstens haben wir jetzt wieder etwas Wind“, nuschelte Balon. „Lasst es uns versuchen, Männer.“
Das Schiff trieb langsam vorwärts, doch es herrschte überall ängstliches Schweigen.
„Warum haben die anderen Schiffe keinen Schutzzauber durch ihre Magier eingesetzt?“, fragte Balon nach einer Weile.
Tamina zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wurden sie im Schlaf überrascht. Wenn Marcel und du nicht schon auf den Beinen gewesen wärt, wäre es uns genauso gegangen.“
„Der Rumpf ist einigermaßen intakt. Normalerweise zählen die königlichen Schiffe zu den schnellsten Schiffen in ganz Eskandria, aber jetzt müssen wir versuchen das Beste mit diesen Überresten zu erreichen“, meinte Rodge.
Rodge hatte Recht. Wir hatten einen Auftrag und den galt es trotz dieses Tiefschlags zu bewältigen.
„Wie sehen die Vorräte aus?“, fragte ich Balon.
„Da haben wir Glück gehabt“, antwortete der Heeresführer. „Dadurch, dass der Rumpf kaum Schaden genommen hat, sind die meisten Vorräte ebenfalls unbeschädigt.“
„Immerhin etwas“, nuschelte ich unmerklich.
„Wir werden auf alle Fälle Wachposten postieren, dass so ein Angriff besser vorhergesehen werden kann“, befahl Balon. „Rodge, du übernimmst die Tagwache. Ich löse dich mit Sonnenuntergang ab.“
„Verstanden.“
Die Tage und Nächte gingen ins Land. Weitere Angriffe der Schwarzdrachen gab es nicht. Am zehnten Tag unserer Reise, die Sonne war gerade aufgegangen, passierte allerdings etwas, was unser Vorankommen erheblich beeinträchtigte.
„Was ist das da im Wasser?“, rief Rodge plötzlich.
„Versucht zu verlangsamen“, befahl der Steuermann, „und dann lasst die Stange ins Wasser, dass wir es retten können.“
Das Schiff verlangsamte und dank der Windstille, kam es zum Stillstand. Drei Männer kamen mit einer Stange an Deck und hielten sie auf Höhe der schwimmenden Gestalt ins Wasser. Vom Lärm des Ganzen aufgeweckt, trat Balon ebenfalls an Deck. Schwer stöhnend zogen die Männer die Stange herein und so langsam wurde klar, was daran hing. Der Oberkörper wies klar menschliche Züge auf, lange blonde Haare fielen auf zarte Schultern, doch anstatt Beine und Füße hatte das Wesen Flossen. Eine Meerjungfrau kam es mir ins Gedächtnis. Zumindest wies die Gestalt starke Ähnlichkeiten mit den Meerjungfrauen auf, wie sie in Märchen beschrieben wurden. Mit einem letzten Ruck landete das Meereswesen auf dem Schiff. Hektisch zappelten ihre Flossen auf den hölzernen Planken. Während sich Balon um sie kümmerte, hatten wir andere Probleme. Schuppige Wesen mit dicken Panzern auf den Rücken sprangen an Deck und griffen uns an. Verzweifelt stellten wir uns den fünf Angreifern. Sie hatten dünne Lanzen zum Angreifen und waren entschlossen sie einzusetzen. Unser Vorteil lag in der strategischen Verteidigung. Die Angreifer stachen ohne Plan zu und versuchten uns zu erwischen. Durch geschickte Bewegungen gelang es uns den Stichwaffen auszuweichen und selbst mit unseren Schwertern Treffer im Brustkorb zu landen. Die Stiche waren nicht tödlich, doch reichten sie dafür zu sorgen, dass die Panzerwesen ihre Waffen fallen ließen. Als das Quintett entwaffnet war und in unsere zum Tod entschlossenen Augen blickte, sprangen sie von Bord und tauchten ab. Perplex schauten Rodge und ich uns an.
„Was war das?“, fragte ich.
„Seeschnecken“, entgegnete die Meerjungfrau. „Sie wollten mich töten.“
„Jetzt bist du erst einmal in Sicherheit“, meinte Balon und kam mit einem Leinentuch, wickelte sie darin ein und trocknete sie ab. Das hatte bei der Meerjungfrau den Effekt, die trockenen Flossen sich in normale Beine verwandelte. Hastig ließ Balon ein weiteres Tuch bringen, um die Blöße des Meereswesens zu bedecken.
Ich schluckte beim Anblick des Wesens und war irgendwie fasziniert von ihrer Grazie.
„Soll ich mir vielleicht auch die Kleidung vom Leib reißen, damit ich hier Aufmerksamkeit bekomme?“, zischte Tamina. „Immerhin hat uns mein Schutzzauber vor größerem Schaden beim Drachenangriff bewahrt.“
„Wie bitte?“
Von Tamina fing ich mir eine heftige Ohrfeige für diese Entgegnung.
„Tschuldige“, nuschelte ich, „jedoch habe ich noch nie so ein Fabelwesen so real aus der Nähe gesehen. Ich kenn sie nur von Büchern in meiner Welt. Dort hält man sie nur für Märchenfiguren, die nicht existieren. Außer in Andersens Märchen.“
„In den Meeren Eskandrias sind sie keine Seltenheit. Normalerweise leben sie mit den Seeschnecken einheitlich und in Frieden zusammen.“ Balon hatte sich zu uns gesellt.
„Was geschieht mit ihr?“, wollte Tamina wissen.
„Zunächst sollten wir ihr erst einmal etwas anziehen. Du bist doch ein Mädchen, Tamina?“, versuchte Balon die Situation zu steuern.
„Gut beobachtet“, lautete die kühle Antwort.
„Meinst du, du könntest etwas aus deinem Gepäck für sie entbehren“, fragte der Heeresführer.
„Bevor euch der Sabber noch weiter aus den Mündern läuft, helfe ich euch natürlich gerne weiter.“ Tamina verschwand in ihre Kabine unter Deck.
„Kann es sein, dass sie irgendwie sauer ist?“ Balon schaute mich irritiert an.
„Unsere Bienenkönigin ist ein wenig eifersüchtig auf unsere Gerettete“, antwortete ich.
„Wieso?“
„Als einzige Frau unter den ganzen Männern hier wurde sie kaum beachtet. Jetzt wird eine Meerjungfrau mit nudistischer Veranlagung gerettet und alle kriegen solche Stielaugen“, erklärte ich und fügte an. „Gut, ich natürlich auch.“
Balon nickte, wenn auch leicht stirnrunzelnd.
Tamina kam wieder zurück. Ein bordeauxrotes Kleid und ein weißes Unterkleid hatte sie in ihren Händen. Entschlossen ging sie zur Meerjungfrau hin und half ihr beim Ankleiden.
„Muss das denn sein?“, jammerte die Gerettete. „Die Kleidung kratzt überall und sie verhüllt meine Schönheit.“
„Glaub mir, du siehst auch so hübsch genug aus, Püppchen“, zischte Tamina leise. „Wie heißt du eigentlich?“
„Wieso willst du wissen?“, fragte die Meerjungfrau. „Möchtest du meinen Namen wissen, um ihn zu nennen, wenn du mich tötest?“
„Bei den Göttern, ich versuche dir zu helfen. Und im Gegensatz zu den ganzen gaffenden Speichelverlierern ist es dein reines Schicksal, was mich interessiert.“
Tamina half ihr das Kleid zuzuschnüren. Sie ließ Vorsicht walten und das beruhigte die Meerjungfrau.
„Schon gut. Ich bin Lavinia.“
„Hallo Lavinia. Mein Name ist Tamina. War das jetzt so schwer?”, fragte die Zauberschülerin.
„Nein. Ich glaube, das war einfach der Schock über den Angriff“, entgegnete Lavinia.
„Warum haben die Seeschnecken dich angegriffen?“, wollte Balon wissen. „Die Meermenschen leben mit den Schneckenvölkern in Frieden.“
„Die Schnecken haben einen neuen Fürsten, namens Baloras“, lautete die Antwort Lavinias. „Er hat die Diplomatie unter Wasser untergraben. Mein Vater und sein Heer führt Krieg gegen Baloras‘ Heerscharen. Diese Seeschnecken haben sich in meinen Palast eingeschlichen und wollten mich entführen.“
„Das ist ja schrecklich“, entgegnete Balon mitfühlend.
„Und auch gefährlich“, knurrte Rodge. „Du weißt schon, dass wir für die Seeschnecken jetzt ein Ziel sind?“
„Die sollen ruhig kommen.“ Balon war konzentriert und bereit sich dem Feind zu stellen.
„Wenn du meinst.“
Die neue Gefahr des drohenden Angriffs der Seeschnecken ließ uns aufhorchen. Balon verstärkte die Tag- und Nachtwachen, doch es dauerte nicht lange, dass wir uns diesen kriegerischen Meeresbewohnern ein zweites Mal gegenübersahen.
Später am Abend suchte Lavinia den Heeresführer Balon auf. Sie klopfte an die Tür zu seiner Kabine und trat ein.
„Wie kommt es, dass so ein tapferer Krieger, wie Ihr es seid, alleine auf seiner Kabine ist?“, fragte sie und wickelte ihren Finger um ihre langen blonden Haare.
„Mein Leben ist nun mal der Dienst im Heer des Königs von Eskandria“, erwiderte Balon. „Da bleibt keine Zeit für eine Frau an meiner Seite.“
„Nicht einmal für eine kleine Affäre“, säuselte Lavinia und legte ihr linkes Knie auf Balons Bettlaken.
„Am Rande der Schlacht und Kriegsstrategien austüfteln teilte ich durchaus mal mein Lager, aber ohne die Beziehung weiter zu vertiefen.“ Balon richtete sich auf. Er ahnte, was die Meerjungfrau von ihm wollte.
„Wenn sich dein Volk mit dem Meinen verbinden könnte, wäre das nicht etwas. Die Menschen der Erde mit den Menschen des Wassers.“ Lavinia kniete vollends auf Balons Lager und rückte langsam an den Heerführer heran.
„Du bist die Tochter des Herrschers der Meermenschen. Ich entspreche nicht dem Stand, den dein Vater für dich bestimmt hat.“ Balon rückte etwas näher und spürte den schmerzvollen Kontakt mit dem hölzernen Kopfende seines Bettes.
Lavinia schmiegte sich näher an Balon heran. Er saß in der Falle der Meerjungfrau. „Lass meinen Vater meine Sorge sein. Er versteht mich bestimmt und mit euren Kriegern an meiner Seite, können wir die Seeschn …“
Weiter kam sie nicht. Die Tür zu Balons Kabine wurde aufgerissen und Rodge kam hereingestürmt.
„Balon. Komm schnell an Deck. Die Seeschnecken greif…“ Er unterbrach sich, als er Lavinia und seinen Heeresführer in relativ eindeutiger Lage sah. „In Ordnung. Ich geh wieder raus und frag die Seeschnecken, ob sie später angreifen.“
„Spar dir deinen Sarkasmus. Ich stehe dir zur Seite.“ Balon stieß Lavinia zur Seite, zog sich etwas an und schnallte sich seinen Gürtel mit dem Schwert um seine Hüfte. „Gehen wir!“
„So will ich dich hören“, erwiderte Rodge ernst.
„Und was ist jetzt mit mir?“, fragte Lavinia.
„Ich schließe dich hier ein, dass die Seeschnecken nicht sofort auf dich aufmerksam werden. Verhalte dich leise“, knurrte Balon. Er schloss die Tür und drehte den Schlüssel ins Schloss.
Auf dem Deck waren die Soldaten bereits in Alarmbereitschaft. Aus der Umgebung war Gekicher zu hören, wie ein kleines Kind, das gerade seinen Schabernack getrieben hatte. Auch ich hatte mich mit Tamina an Deck begeben und hatte mein Schwert gezückt.
„Bleib ja in meiner Nähe“, flüsterte ich der Zauberschülerin zu. „Eine Seeschnecke könnte schon zu viel für dich sein.“
Sie nickte.
„Sind wir schon zu spät?“, fragte Balon außer Atem.
„Nein. Sie scheinen uns zu belauern.“
Balon und Rodge stellten sich vor uns und machten sich bereit. Das Gekicher wurde lauter. Mehrstimmiger. Wir blickten in die Dunkelheit. Plötzlich platschte es. Fünf Gestalten sprangen aus dem schwarzen Wasser.
„Ein hübsches Schiff habt ihr da, Fremde“, sagte einer der Seeschnecken. „Ein bisschen angeschlagen, aber noch seetauglich.“ Das noch betonte der Seeschneck besonders.
„Und ihr wollt uns garantiert auf dem Grund des Meeres versenken“, entgegnete Balon kühl.
„Bitte. Welch schrecklicher Verdacht, Ihr gegen uns hegt. Wir wollen nur eines und dann lassen wir Euch und Euer Schiff seiner Wege ziehen.“
„Was soll das sein?“
Im Licht des Mondes konnte ich ein Grinsen auf den Lippen des Seeschnecks erhaschen.
„Die Meerjungfrau“, zischte er. „Gebt sie uns und ihr seid uns los.“
„Wie kommt ihr darauf, dass wir sie euch ganz einfach so überlassen?“, fragte Balon und er klang selbstbewusst.
„Weil ihr ziemlich aufgeschmissen seid ohne Schiff. Ihr seid keine Meeresbewohner, wie wir.“ Der Seeschneck kniff die Augen zusammen. „Ihr habt bis zum morgigen Sonnenuntergang Zeit. Wenn die Meerjungfrau bis dahin nicht in ihrem Territorium ist, machen wir euer verbliebenes Schiff zu Kleinholz. Ihr habt die Wahl über euer Schicksal.“
Mit diesen Worten, wandte er sich mit seinen Begleitern ab und sie sprangen mit einem lauten Platsch ins Wasser.
„Damit ist die Entscheidung gefallen. Ich hole Lavinia und dann schicken wir sie über die Planke.“ Ich spürte die Entschlossenheit in Rodges Worten und war erschrocken, wie egoistisch er sein konnte.
„Wie kannst du nur so ein Arsch sein, Rodge?“, entfuhr es mir. „Von einem Krieger des Königs hätte ich mehr erwartet, als eine hilflose Meerjungfrau zu opfern.“
„Es geht mir um das Leben meiner Kameraden und vor allen Dingen darum dich heil nach Tyrrell zu bringen“, entgegnete Balons Adjutant. „Aber dir scheint das mit deiner Gutmütigkeit egal zu sein, wenn dafür unsere Truppen sinnloserweise umkommen.“
Rodge ließ mich stehen und zischte davon.
„Rodge ist kein schlechter Kerl“, versuchte Balon die Situation zu entspannen. „Ihm geht es wirklich um das Leben unserer Truppen und um dein Leben. Wir werden Lavinia nicht ihrem Schicksal überlassen. Wir werden die Seeschnecken gebührend empfangen.“ Er wandte sich an Tamina. „Wir brauchen dein ganzes Repertoire an Schutzzaubern. Enttäusche uns nicht.“
„Kann denn nicht Velrotach ihr helfen?“, fragte ich.
„Er kränkelt noch immer. Ihm bekommt die Seefahrt überhaupt nicht“, antwortete Tamina für Balon. „Ich werde sehen, was ich machen kann.“
Den Rest der Nacht und des mit Anbruch des Tages tüftelten wir einen Schlachtplan aus. Sämtliche Kräfte wurden auf Wachposten gestellt. Tamina beschäftigte sich mit dem Schutzzauber, versuchte dabei sogar Informationen von Magier Velrotach zu bekommen, doch der alte Magier war zu schwach, um ihr nützliche Hinweise geben zu können. Hochkonzentriert saß sie über verschiedenen Zauberbüchern und studierte diese.
„Der Schutzzauber, den du beim Angriff der Drachen verwendet hast war doch gut“, meinte ich aufmunternd. „Warum wendest du diesen nicht erneut an?“
Tamina blickte kurz hoch. „Das funktioniert nur bei Drachenfeuer und auch da nur bedingt. Für diese Seeschnecken brauche ich etwas Anderes. Etwas was das Schiff rundum schützt. Wahrscheinlich gegen Stich- und Sägewerkzeuge.“
„Verstehe. Ich helfe dir“, bot ich Tamina an.
Sie wollte etwas einwenden, doch ich schüttelte den Kopf. „So kompliziert kann das doch gar nicht sein.“
Ich schnappte mir ein Buch in schwarzem Einband und öffnete es. Wie ich mich doch irrte. Kompliziert war gar kein Ausdruck für die Zeichen und Schriften in diesem Buch. Stirnrunzelnd konzentrierte ich mich auf den Inhalt.
„Doch schwieriger als gedacht?“, fragte Tamina und das Grinsen der blonden Zauberschülerin hatte etwas Rechthaberisches.
„Nun ja, das sind sehr komplizierte Zeichen und Schriften, die da drinstehen. Völlig anders, wie in meiner Welt“, entgegnete ich.
Tamina hielt mir ein Pergament mit einer Feder hin. „Schreib mal, wie es in deiner Welt der Fall ist.“
Ich schrieb Groß- und Kleinbuchstaben und unsere Zahlen und reichte sie Tamina. Die Zauberschülerin legte die Stirn in Falten, kramte im Bücherstapel und reichte mir ein in braunem Filz eingeschlagenes Buch.
„Versuch das hier mal“, lautete der Kommentar und da war ihr blonder Schopf in ihren Büchern wieder verschwunden.
Ich betrachtete das Buch. Es wirkte relativ alt und brüchig. Vorsichtig öffnete ich es. Die Schriftzeichen ähnelten den Buchstaben aus meiner Welt. „Eure Schrift hat sich enorm weiter entwickelt im Laufe der Jahre?“
„Jahrtausende. Das Buch ist etwa 2.000 Jahre alt“, lautete die knappe Antwort.
Erstaunt blätterte ich mich vorsichtig durch die Seiten, verglich es mit seinem Vorgänger und war einfach fasziniert. In 2.000 Jahren hatten die Menschen hier Schriftzeichen entwickelt, die denen in meiner Welt um Längen voraus war. Ich würde in jedem Fall Tamina bitten, mir ein bisschen Nachhilfe im Übersetzen zu geben.
„Bei den Göttern, es muss doch irgendwo …“, fluchte die Zauberschülerin über ihren Büchern und riss mich aus meiner Konzentration.
Wie viel Zeit bereits vergangen war. Durch das Fenster unserer Kabine kam schwaches Licht. Das ließ den Schluss zu, dass es bereits Mittag war. Somit arbeitete die Zeit gegen uns. Ich blätterte in meinem Buch.
„Tamina?“
„Hm?“ Abwesend blickte sie von einem schweren Buch mit rotem Einband auf.
„Rüstzauber für Schiffe“, sagte ich kurz und zeigte ihr, worauf ich gestoßen bin.
Hektisch riss Tamina das Buch an sich und las sich den Zauber durch. Grübelnd legte sie die Stirn in Falten und sagte erst einmal nichts.
„Was meinst du?“, fragte ich nochmal.
„Ich weiß nicht“, grübelte Tamina. „Behalte es mal im Hinterkopf.“
„Du weißt schon, dass der Zauber etwa eine Stunde Wirkungsdauer benötigt?“, hakte ich nach.
Sie rollte mit den Augen. „Du sollst mich doch nicht so unter Druck setzen. Ich bin längst kein Magiermeister wie Velrotach.“
„Niemand setzt dich unter Druck. Jedoch spielen wir hier mit dem Leben einer Meerjungfrau und dem Leben vieler“, entgegnete ich. „Ich nehme es auf meine Kappe. Hätte ich nicht den Max bei Rodge gemacht, wären wir nicht in der Situation. Dann hätten wir Lavinia geopfert und alles wäre gut.“
„Nein.“ Tamina stand von ihrem Bett auf, trat auf mich zu und legte ihre Arme um meinen Nacken. „Verzeih mir bitte, vielleicht habe ich ein bisschen überreagiert. Lass uns keine Zeit verlieren und den Zauber probieren. Entweder gehen wir mit wehenden Fahnen unter oder wir retten einer Meerjungfrau das Leben und treten den Seeschnecken in den Arsch.“
Ich war erstaunt von Taminas Enthusiasmus. Die unsichere Zauberschülerin fing langsam an, Selbstbewusstsein zu entwickeln. „Dann legen wir los“, antwortete ich aufmunternd.
Gemeinsam mit der Zauberschülerin arbeiteten wir jeden Zentimeter des Schiffs ab und belegten ihn mit dem Schutzzauber. Während der Anwendung war Tamina immer noch skeptisch, doch sie zog es konzentriert durch. Bis zum Nachmittag hatte sie es geschafft.
„Du bist dir sicher, dass der Schutzzauber funktioniert?“, fragte Balon.
„Es gehört zum kleinen Einmaleins der angehenden Magier. Ich möchte sehen, wie sich die Seeschnecken da durchsetzen wollen.“
„Deine Worte in die Gehörgänge der Götter“, murmelte Balon skeptisch und Tamina senkte schüchtern den Blick.
„Es wird schon gutgehen“, warf ich schnell ein und nahm mir den Heeresführer beiseite. „Musste das sein?“, flüsterte ich, als wir außer Hörweite waren.
„Was?“, entgegnete Balon.
„Sie ist ohnehin schon unsicher über die ganze Situation, da macht deine Skepsis es nicht gerade einfacher.“
„Verstehe“, Balon hob die Augenbraue. „Ich glaube, ich sollte mich bei ihr entschuldigen.“
„Wenn du sie weniger wie ein Kleinkind behandelst, sondern sie wie ein vollwertiges Mitglied unserer Gruppe wäre das schon hilfreich“, beschwor ich Balon. „Ja, sie lernt noch, aber wenn Velrotach weiterhin so dahinsiecht, dann ist sie die Einzige mit magischen Kenntnissen auf unserer Reise.“
„Ist ja in Ordnung. Ich gebe mir Mühe. Ob uns das mit Rodge gelingt, weiß ich nicht. Er ist ein Raubein und grobschlächtig, das weißt du ja.“
„Wo ist Lavinia?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
„In meiner Kabine. Eingeschlossen“, lautete die knappe Antwort.
„Wenn Taminas Zauber seine volle Wirkung entfaltet, reicht das vollkommen aus“, meinte ich.
Stumm führte mich Balon an Deck. Tamina sollte unten in ihrer Kabine bleiben, um sich von der Anstrengung der Zauber auszuruhen. Der Himmel zeigte sich wolkenverhangen und der Wind hatte aufgefrischt. Aus der Ferne hörten wir das Kichern von Baloras‘ Kriegern, die sich unserem Schiff näherten.
„Werte Herren“, grüßte uns Rodge, „wir begrüßen die Seeschnecken.“ Der sarkastische Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Ein Seeschneck sprang an Deck. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt. „Schön“, meinte er, „die Mannschaft ist versammelt. Wo habt ihr die Meerjungfrau?“
„In Sicherheit gebracht“, entgegnete Balon kühl.
„Falsche Antwort Mensch.“ Ohne ein weiteres Wort sprang der Schneck zurück ins Wasser.
Das Gekicher nahm schaurige Formen an und wir machten uns zum Kampf bereit.
„Seid gnadenlos, Männer!“, befahl Balon, doch auch er konnte nicht vorhersehen, wo die Seeschnecken zuschlagen sollten.
Wir vernahmen ein sägendes Geräusch. Ich wurde kreidebleich und fing den Blick von Balon, der eine Mischung aus Zorn und Enttäuschung vorwies.
„Unter Deck“, befahl Rodge, der als Erster seine Sprache wiedergefunden hatte. „Sie greifen von unten an!“
Wir hasteten unter Deck und hielten die Ohren offen. Das Gekicher nahm zu. Dann vernahmen wir einen stumpfen Schlag. Wasser drang an Bord.
„So viel zum Thema Schutzzauber“, grummelte Rodge.
Wir folgten dem einströmenden Wasser. Es kam aus der Kabine des Magiers Velrotach. Selig schlafend schien der Zauberkünstler in seinem Bett zu liegen, doch dann entdeckten wir eine größer werdende rote Lache auf seinem Kopfkissen. Balon und ich eilten zu dem alten Mann, doch es war schon zu spät. Die Seeschnecken hatten den geschwächten Körper Velrotachs gepackt und seinen Kopf gegen das hölzerne Kopfende geschlagen. Der Blutverlust und der einhergehende Schock waren wohl zu viel für den von Krankheit geplagten Magier.
„Hier können wir nichts mehr tun“, schloss Balon. „Lasst uns das Schiff verteidigen.“
Wir eilten wieder aus der Kabine des Magiers, als ich einen hellen Schrei vernahm.
„TAMINA!“, schrie ich und eilte in Richtung ihre Kabine. Balon versuchte mich noch zurückzuhalten, doch es schlug fehl. Mit meinem Schwert bewaffnet stürzte ich auf die Seeschnecken, die Tamina entführen versuchten.
„Dich nehmen wir auch mit Mensch, du wirst unserem großen Führer Baloras sehr gefallen“, höhnte der Seeschneck, der vorhin an Bord gesprungen war und seine Drohung hinterlassen hatte.
Ich wollte reagieren, doch ein Schlag traf meinen Hinterkopf. Sterne explodierten vor meinen Augen und ich sank zu Boden in Ohnmacht.
Als ich wiedererwachte, fand ich mich in einem eigenartigen Gebäude wieder. Heller Sand bedeckte den Boden und die Decken wiesen gotisch wirkende Wölbungen auf. Tamina war an meinen rechten Arm gefesselt und blickte sorgenvoll auf mich. Vorsichtig versuchte ich mich aufzurichten.
„Wo sind wir?“, fragte ich schwach.
„Im Reich der Seeschnecken“, lautete ihre Antwort.
Ich wollte etwas erwidern, als eine Tür aufflog und zwei Seeschnecken eintraten.
„Los! Aufstehen! Der große Baloras möchte euch sehen“, höhnte der Eine und packte mich grob am nicht gefesselten Arm.
An unseren Fesseln geführt, liefen wir durch einen langen Korridor, ehe wir rechts abbogen und einen großen Saal betraten. Am Ende befand sich ein Thron aus Muscheln, wo ein mächtiger Seeschneck saß. Langsam führten uns die beiden Wachen zu ihrem Anführer. Ich hatte ein ganz mulmiges Gefühl. Etwa zwei Meter vorm Thron stießen uns die Seeschnecken nach vorne, sodass wir stolperten und vor dem Herrscher zu Boden fielen.
„Was wirft mir mein dekadentes Volk zu Füßen“, fragte Baloras übertrieben und seine Frage war eigentlich falsch. Wie alle Seeschnecken hatte er keine Füße oder Flossen, sondern ein rundliches Ende, wie es bei Schnecken üblich ist.
„Die Meerjungfrau und einen ihrer Schutzgeber“, antwortete die Wache. „Selwyn höchst selbst hat ihn niedergeschlagen, ganz nach Eurem Befehl.“
Baloras musterte uns. An Tamina klebte sein Blick fast schon zu lange. Zornig schlug sein schleimiger Arm auf die Lehne des Thrones. „Einen schönen Fang hat Selwyn mir gemacht! Das ist nicht Lamons Tochter, sondern eine einfache Menschenfrau.“
„Ich bin eine Zauberschülerin“, warf Tamina ein, doch fing sie sich einen Schlag der Wache.
„SELWYN!“, brüllte der Herrscher der Seeschnecken und kurze Zeit später trat der Gerufene selbstsicher ein.
„Ihr habt nach mir gerufen, mein Fürst“, grüßte Selwyn, „hier bin ich.“
„Du Lurch hast versagt“, kam Baloras gleich zur Sache. „Und du weißt, wie ich mit Versagern verfahre.“
„Mein Fürst, ich bitte Euch. Tut das nicht. Es war eine bloße Verw…“
„Verwechslung?“, höhnte Baloras. „Eine Verwechslung, die man sich in Zeiten wie diesen nicht leisten darf!“
„Aber mein Fürst. Seid gnädig“, flehte Selwyn und irgendwie empfand ich ein wenig Mitleid für den Befehlshaber des Fürsten.
„Gnade? Du verlangst nach Gnade?“ Höhnisch blickte Baloras auf seinen Untergebenen und Entschlossenheit loderte in seinen Augen. „Wenn Baloras Gnade walten ließe, wären wir weiterhin die Sklaven dieser Meermenschen. Verabschiede dich von deinem Lebensodem.“
Neben dem Thron des Fürsten stand ein Wagen mit rotschimmernden Kugeln. Baloras nahm sich die Kugel von Selwyn und wog sie in seiner Hand. „Ihr habt mir als Befehlshaber meiner Streitkräfte gute Dienste geleistet, Selwyn, doch so viel Schludrigkeit kann ich nicht durchgehen.“
Selwyn wollte noch etwas entgegnen, doch in diesem Moment zerschlug Baloras die Kugel mit seinem Schwert. Roter Staub fiel zu Boden. Aus Selwyns Mund kam nur noch ein hilfloses Gurgeln, dann brach der Seeschneck tot zusammen. Zwei Bedienstete des Fürsten kamen herbeigeeilt, um die Überreste des Befehlshabers aus dem Saal zu bringen. Sein kühler und gehässiger Blick war nun wieder uns zugewandt.
„Was euch Beide angeht. Für mich seid ihr nutzlos. Also werdet ihr entsorgt. Stellas! Borgword! Ertränkt sie am Wasserloch!“
„Darf ich Euch eine Frage stellen?“, rief ich dem Fürsten zu. „Wie ist es möglich, dass wir unter Wasser atmen können?“
„Unsere Gebäude werden von Sauerstoffblasen umschlossen, mein neugieriger Gefangener“, entgegnete Baloras. „Und jetzt ertränkt sie!“
Die beiden Wachen packten uns grob und führten uns zurück in unsere Zelle.
„Hier wartet ihr, bis wir das Wasserloch vorbereitet haben“, tönten sie und verschlossen die Tür unserer Zelle.
„Was sollen wir nur tun?“, fragte Tamina.
„Auf ein trockenes Wasserloch hoffen oder darauf, dass Balon und Rodge uns irgendwie retten“, antwortete ich, doch schwand auch in mir die Hoffnung.
„VERFLUCHTER MIST!“ Balon schlug mit der Faust auf das Holz. „Nicht nur, dass sie das Schiff zum Kentern gebracht haben! Sie haben auch noch Marcel und Tamina entführt.“
„Und die Meerjungfrau hiergelassen“, spottete Rodge. „Sie ist vollkommen nutzlos für unser Vorhaben. Wie wollen wir unsere Freunde retten können? Wir sind keine Wassermenschen.“
„Ich werde das schon schaffen und wenn ich zehn Stunden die Luft anhalten muss“, entgegnete Balon.
„Das schaffst du nie.“ Lavinia, die bisher schweigend der Diskussion gelauscht hatte, meldete sich zu Wort. „Aber ich kann euch sicher runterbringen und eure Freunde retten.“
„Und wie willst du das anstellen? Ohne dich wären wir jetzt nicht in diesem Schlamassel.“ Rodge war stinksauer.
„Ich gebe zu, dass ich an eurer Lage nicht ganz unschuldig bin und ich wäre lieber an Marcels und Taminas Stelle Gefangene der Seeschrecken, aber das kann ich nicht ändern, Rodge.“ Mitleid schwang in Lavinias Stimme. Sie wusste genau, wie sie Rodge auf ihre Seite bringen konnte. „Zunächst einmal, muss ich mich von diesem Fummel befreien.“
Mit einem kräftigen Ruck, dem man dieser zarten Meerjungfrau gar nicht zugetraut hätte, riss sie das Kleid von ihrem Körper und sprang ins Wasser. Kaum berührte das Nass ihren nackten Körper, wuchs ihr eine Schwanzflosse und ein Büstenhalter aus Muscheln bedeckte ihre Brüste. „Springt rein“, rief sie. „Es sei denn ihr wollt eure Freunde doch nicht retten.“
Ohne weiter nachzudenken sprang Balon ins Wasser. Rodge folgte ihm nach kurzem Zögern.
„Und weiter?“, schrie Balon, um gegen den Lärm der Wogen, die an das Schiff schlugen anzukämpfen.
„Balon und Rodge, ihr erhaltet diese Luftblasen, um eure Freunde retten zu können.“ Lavinia tauchte bis zur Nasenspitze ins Wasser, stieg wieder auf, formte ihre Hände kreisförmig und blies zweimal. Zwei Luftblasen erschienen, die sich um die Köpfe von Balon und Rodge schlossen. Dann tauchte die Meerjungfrau ab und die beiden Smorland-Krieger folgten ihr.
„Soso, dann wollen wir mal euch ins Wasserloch tauchen“, tönte die Stimme von Stellas oder Borgword. Taminas und mein Ende war gekommen.
„Gibt es irgendwie einen Anti-Ertrinkungszauber, den du parat hast“, flüsterte ich Tamina zu.
„Das ist höchst fortgeschrittene Magie. Nichts für eine Zauberschülerin, wie mich“, war ihre Antwort und ihre Stimme war enttäuscht.
„Nicht schlimm“, meinte ich und versuchte optimistisch zu klingen. „Lass uns erhobenen Hauptes, dem uns erdachten Schicksal entgegentreten.“
Die Tür flog auf und die beiden Wachen traten ein. Grob packten sie uns am Arm, nahmen uns in die Mitte und schleppten uns über den Korridor.
„Nicht so schnell.“ Eine mir bekannte Stimme erklang und ehe ich reagieren konnte, lagen die beiden Wachen bewusstlos am Boden und im nächsten Augenblick steckten zwei Schwerter in ihrem Hinterkopf.
„Habt ihr gedacht, wir würden euch im Stich lassen?“
„Balon“, jubilierte ich, während Rodge uns die Fesseln befreite. „Wir danken euch beiden.“
„Wir hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben“, schluchzte Tamina erleichtert. „Dankeschön.“
„Bedankt euch bei Lavinia. Ohne ihre Hilfe wären wir niemals hier heruntergekommen“, antwortete Rodge. Aus dem Hintergrund winkte uns die Meerjungfrau zu.
„Lasst uns aufbrechen“, befahl Balon. „Je früher, wir diesen Schreckensort zurücklassen, umso besser.“
„Warte.“ Ich trat an Balons Seite und flüsterte ihm meine Idee ins Ohr.
„Wenn du meinst Marcel. Dann los. Auf in den Thronsaal.“
Tamina und ich führten unsere Freunde zum Thronsaal. Den Wachen, die uns auf dem Weg begegneten, entgegneten wir mit gezückter Klinge und einem präzisen Stich. Entschlossen öffneten wir die Tür zum Thronsaal. Wie erwartet, lauerte Baloras bereits auf uns.
„WIE KÖNNT IHR ES WAGEN MEINE GASTFREUNDSCHAFT SO AUSZUNUTZEN UND MEINE VERBÜNDETEN ABZUMURKSEN?“, brüllte er.
„Gastfreundschaft? Ertränken wolltest du uns“, erwiderte ich.
„Weil ihr nutzlos für mich seid. Niedere Kreaturen der Natur.“ Sein Blick fiel auf Lavinia. „Doch, ich sehe ihr habt die Meerjungfrau.“ Seine Augen ruhten auf mir. „Ich schlage euch ein Geschäft vor. Übergebt mir die Meerjungfrau und ich lasse euch freies Geleit. Ich schenke euch ein Schiff, das euer versunkenes Schiff ersetzen kann.“
„Wie kannst du es wagen uns ein so krummes Geschäft vorzuschlagen?“ Mit einem Schlag seines Schwertes zerstörte Rodge sämtliche Kugeln auf dem Wagen.
„NEIN!“, brüllte Baloras. „Meine Armee.“
„Einfach dahingemeuchelt, wie unser Velrotach“, knurrte Tamina. „Man hätte ihn retten können, aber Eure Krieger haben ihn brutal erschlagen.“
„Närrisches Kind, wie kannst du es wagen so mit mir zu reden?“ Baloras hatte die Fassung wiedergefunden und plötzlich fiel mir etwas auf. An seinem Hals. Ich stürzte mich vor Tamina und stellte mich zwischen Baloras und der Zauberschülerin.
„Kämpfe gegen jemanden, der auf deinem Niveau ist“, forderte ich.
„Wenn’s sein muss“, erwiderte Baloras. Der Seeschneck stand auf und stellte sich mir mit einem Langschwert zum Zweikampf. „Dann kämpfe, Mensch!“
Baloras verstand etwas vom Schwertkampf. Vom Anspruch konnte er Rodge durchaus Konkurrenz machen. Tapfer hielt ich dagegen und parierte seine Angriffe. Dann entdeckte ich eine Lücke in seiner Deckung. Blitzschnell stieß ich mit dem Schwert rein und hatte mein Ziel erreicht. An der Spitze meines Schwertes baumelte eine Kette mit einer Kugel.
„Hast du was verloren?“, fragte ich.
Der Fürst der Seeschnecken unterbrach seinen Angriff. Er blickte auf mein Schwert und dann auf seinen Hals. „Lass Gnade walten“, bettelte er. „Bitte hab Gnade.“
„Darüber habe ich nicht zu entscheiden“, knurrte ich und warf die Kugel Lavinia zu. „Es ist der Feind deines Volkes, Lavinia. Entscheide du über sein Schicksal.“
Abschätzend wog die Meerjungfrau die Kugel mit dem Lebensodem in ihren Händen. Dann schwamm sie zu einem der toten Wachen und nahm sich sein Schwert.
„NEIN!“, schrie Baloras. „Hab Erbarmen. Ich bitte dich. Ich ersuche Frieden von der Tochter von König Lamon und später bei Seiner Majestät persönlich. Lasst mir mein Leben.“
Lavinia ließ das Schwert sinken. In der nächsten Bewegung hängte sie die Kugel um ihren Hals. „Ich nehme dein Angebot an. Jedoch sollst nicht mehr du über deinen Lebensodem entscheiden dürfen.“
Baloras schwamm ein Stück auf sie zu. „Kluges Mädchen“, schmeichelte er. „Jedoch nicht klug genug.“ Im nächsten Augenblick stieß er mit dem Schwert zu. Lavinia konnte dem Streich gerade noch ausweichen. Doch der Fürst setzte ihr nach. Verzweifelt versuchte die Meerjungfrau ihrem Angreifer zu entkommen.
„Balon, hier nimm!“, schrie sie und warf dem Heeresführer die Kugel zu. Baloras stach zu, doch verfehlte er die Meerjungfrau um Haaresbreite. Dann wandte er sich Balon zu.
Balon fing die Kugel, blickte sie kurz an und schlug mit seinem Schwert zu. Die Kugel des Fürsten zerbarst und der Staub floss über Balons Hand. Mit einem erstickten Gurgeln, sank Baloras zu Boden, während Lavinia zu uns schwamm.
„Wir haben es geschafft“, jubelte sie und hauchte jedem von uns ein Küsschen auf die Stirn. „Mein Dank und der Dank meines Vaters ist euch gewiss.“
„Wir wollen nur eins“, sagte Balon. „Ein Schiff, ans Land und festen Boden unter den Füßen.“
„Das lässt sich einrichten“, erwiderte Lavinia.
Nachdem wir alle von Lavinia mit dem Kopfblasenzauber ausgestattet wurden und sie bei ihrem Vater ablieferten, der sich herzlich bei uns bedankte wurden wir in einem Schiff der Seeschnecken, das sie gekapert hatten, an die Oberfläche gebracht. Der Angriff der Seeschnecken hatte den noch schwimmbaren Rest unseres Schiffes samt Besatzung versenkt. Lamons Aale zogen das Behelfsschiff an Land, wo wir ausstiegen. Nun mussten wir den Rest der Reise nach Tyrrell zu Fuß fortsetzen. Balon orientierte sich und meinte:
„Das wird ein langer Weg nach Tyrrell. Wir werden mindestens einen Monat brauchen.“
„Wo sind wir?“, fragte ich.
„Etwa fünf Meilen von Sakour entfernt“, antwortete Rodge für seinen Heeresführer. „Dort können wir Rast einlegen, unsere Vorräte auffüllen und uns Pferde besorgen. Danach sehen wir weiter.“
Unsere Mission war kurz davor krachend zu scheitern. Die Hoffnung jemals Tyrrell zu erreichen, war auf ein Minimum gesunken.