Читать книгу Wenn Liebe Winterschlaf hält - Marcel Pallasch - Страница 3

Rückblick

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Alles begann im Jahr 2007. Es war Ende Februar, Anfang März. Nach mehreren erfolglosen Dates vertrieb ich mir die Zeit, an diesem Samstag-nachmittag auf einer Online-Dating-Plattform. Mit dem Gedanken meinen Suchradius zu erweitern, schaute ich mich auch in den umliegenden Städten nach einem Mann, welcher mein Herz erobern könnte, um.

Bis heute weiß ich nicht, wie ich auf das Profil meines zukünftigen Mannes kam. Er war zu dieser Zeit im Bereich der Stadt Dessau-Roßlau angemeldet, was eindeutig über meinen Suchradius hinausging. Eigentlich suchte ich im Umkreis von maximal einer Stunde Fahrt. Sein Profil und die kurze Vorstellung seiner Person waren sehr ansprechend. Außerdem war es ein Typ Mann, welchem ich so noch nie Beachtung geschenkt hatte. Da mich auch die Bilder von ihm überzeugten, hinterließ ich als ersten Schritt, und zum signalisieren von Interesse an seiner Person, einen „Süß“-Taps.

Leider erhielt ich keine Reaktion. Die Stunden vergingen und ich tauschte hier und da einige Nachrichten mit anderen Geschöpfen der Gattung Mann aus. Einige suchten nach einem schnellen Vergnügen oder stellten sich als mir nicht gewachsen, leider auch zu oft als arrogant, heraus.

Ich ließ meinen Computer eingeschaltet, die Internetseite geöffnet und widmete mich der Zubereitung meines Abendessens. Um jedoch mitzubekommen, wenn ich auf der Online-Plattform eine Nachricht erhielt, schaltete ich die Sound-Benachrichtigung ein. Inmitten des Wendens meines Abendmahls, Wiener Schnitzel mit Mischgemüse und Kartoffeln, ertönte der Soundeffekt. Da ich mit einigen Herren der Schöpfung an diesem Tag geschrieben hatte und sich fast alle als netten Chat aber nicht als mehr herausstellten, wollte ich zuerst mein Essen fertig Zubereiten. Jedoch erklang der Ton mehrfach hintereinander und erregte somit mein Interesse. Ich ließ alles stehen und liegen und ging zu meinem Computer. Da war er. Dies nicht nur einmal, sondern gleich fünfmal in Folge. Bis zu diesem Moment dachte ich, dass er bei mir mehr Interesse geweckt hätte, als ich mein ihm.

Er entschuldigte sich für die verspätete Antwort. Wieso tat er das? Es war doch erst fünf Stunden her, dass ich ihm meinen Taps setzte. Aber wer zählt denn schon mit? Er schrieb mir, dass er sich über meinen Besuch auf seinem Profil und den hinterlassenen Taps freute. Auch fand er meine Person, anhand des Inhaltes meines Profils, interessant.

Freundlich antwortete ich ihm und bemerkte nicht, dass er gerade ebenfalls online war. Bevor ich mich versah und auch nur die Schaltflächen zum senden meiner Nachricht losgelassen hatte, fand ich schon seine Antwort in meinem Postfach.

Irgendwie schaffte ich es an diesem Abend mein zubereitetes Abendessen zu verspeisen, obwohl es schon kalt geworden war. Wir schrieben bis in die Nacht hinein, ohne dass einer von uns beiden an Müdigkeit litt oder gar die Uhrzeit beachtete. Erst als die Vögel bei Tagesanbruch zu zwitschern begannen, verabschiedeten wir uns vorerst voneinander und ich ging zu Bett. Trotz der vielen Stunden des Wachseins, konnte ich nicht gleich einschlafen. Dieser Mann ging mir nicht mehr aus dem Sinn.

Die darauffolgenden Wochen schrieben wir uns mehrfach täglich. Wir hatten uns sogar eine Uhrzeit am Abend ausgemacht, zu der wir beide online waren und rege via Chat kommunizieren konnten. Wir schrieben über uns selbst, um den anderen besser kennen zu lernen. So erfuhr ich zum Beispiel, dass er in seiner Jugend in einem Box-Club war und mehrere regionale Preise gewonnen hat. Außerdem teilte er mir mit, dass er seit mehreren Monaten ein kleines IT-Unternehmen betrieb und in Dresden wohnt.

Zwei wichtige Kriterien, welche mich erfreuten. Zum einen war es die Entfernung zu einander und zum andern, dass er ein Mann war, welcher Ziele hatte und mit beiden Beinen im Leben stand. Besser hätte es nicht sein können. Somit wagte ich mich hervor und gab ihm meine Telefonnummer. Kaum hatte ich ihm diese geschickt, klingelte mein Handy. Ganz nervös nahm ich das Gespräch an. Seine Stimme klang warm und einladend. Sie vermittelte mir von der ersten Minute an das Gefühl der Geborgenheit. Wie hätte es auch anders kommen sollen, wechselten wir vom Schreiben zum stundenlangen telefonieren. Natürlich schrieben wir uns über den Tag verteilt einige Kurznachrichten. Ich konnte es kaum glauben. Jeden Morgen erwachte ich mit einem Lächeln im Gesicht und Kribbeln im Bauch. Voller Vorfreude las ich seine Nachricht, in welcher er mir einen guten Morgen und einen schönen Tag wünschte.

Am 13.04.2007 war es soweit. Wir tauschten das Telefonieren und Schreiben von Kurznachrichten, gegen ein persönliches Kennenlernen.

Als hoffnungslose Romantikerin und Perfektionistin, plante ich den Abend seiner Ankunft bis ins Detail. Meine Freunde hielten mich für verrückt und meinten, ich solle es einfach auf mich zukommen lassen. Leider konnte ich dies nicht. Es sollte etwas Besonderes sein und sich zudem richtig anfühlen.

Schon einige Tage zuvor begann ich mit den Vorbereitungen. Hierzu gehörte neben dem obligatorischen und für jede Frau essentiellen Friseurbesuch auch das Rasieren der Beine vor einem Date. Natürlich standen auch das Korrigieren der Augenbrauen, sowie die Wahl des perfekten Outfits an. Ich verbrachte viele Stunden damit verschiedene Kleidungsstücke anzuprobieren und zu kombinieren. Am Ende entschied ich mich für ein weißes mit schwarzen Ornamenten besticktes Kleid, einen schwarzen Gürtel, um die Taille zu betonen, und Schuhe mit einem Absatz von sechs Zentimetern. Durch die Angaben in seinem Profil wusste ich, dass er mindestens zwölf Zentimeter großer war und ich etwas an Höhe gewinnen musste, damit ich mich nicht zu klein fühlte.

An diesem besonderen Freitag in meinem Leben flocht ich meine frisch geschnittenen blonden Haare zur einem Fischgrätenzopf und legte diesen über meine linke Schulter. (Meine Schokoladenseite) Ich wurde von Stunde zu Stunde, je näher das erste persönliche Treffen rückte, nervöser und wuselte durch meine Wohnung. Um mir die Zeit etwas erträglicher zu machen, und um etwas Sinnvolles zu tun, saugte ich nochmals Staub. Wischte den Fußboden in der Küche und im Badezimmer. Den zwei einzigen Räumen mit Fließen in meiner damaligen zwei Zimmer Wohnung mit 63 Quadratmetern. Geschuldet der Tatsache, dass ich beim Putzen der Wohnung eine gewisse Routine entwickelt hatte, war ich bereits nach 45 Minuten damit fertig und begann einige kleine Möbelstücke, sowie Dekorationselemente umzustellen.

Mit klopfendem Herzen, zitternden Gliedern und großer Aufregung begab ich mich auf den Weg zum Chemnitzer Hauptbahnhof. Das letzte Mal war ich so nervös, als ich vor die Prüfungskommission bei meiner Abschlussprüfung zur Mediengestalterin treten musste. Die kurze Busfahrt von 20 Minuten fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an und als wäre dies nicht schon genug, rief mich meine Mutter an.

Darf ich dich vielleicht heute Abend oder morgen Vormittag zurückrufen? Ich bin gerade auf dem Weg zum Bahnhof“, antwortete ich meiner Mutter mit zittriger Stimme.

„Was willst du denn am Bahnhof?“, fragte sie.

„Ich hole Robert ab. Davon hatte ich dir erzählt.“

„Ach ja, der süße Kerl, der dich dümmlich grinsen lässt, wenn du von ihm erzählst."

„Genau der“, sagte ich und bemerkte wie ich wieder dümmlich zu grinsen begann.

„Denise, will nicht lange stören. Also mein Computer macht ein komisches Geräusch und ich müsste einige wichtige Briefe schreiben. Könntest du es dir am Wochenende ansehen? Bitte.“

„Jahhhh Mama, ich bin gleich am Bahnhof. Ich komme morgen mit Robert bei dir zum Kaffee vorbei und wir schauen uns dein Problem mal näher an“, sagte ich und legte auf.

Der Bus hielt am Bahnhof. Es waren nur noch zehn Minuten bis zum Eintreffen des Zuges aus Dresden. Ich stand auf dem Bahnhofsvorplatz und zu meinem Leid musste sich mein miserables Gedächtnis zu Wort melden. Das passierte mir jedoch nur, weil ich so aufgeregt war. Somit konnte ich mich beim besten Willen nicht an Roberts Gesicht im Detail erinnern. Auch der Klang seiner Stimme wollte mir nicht mehr in den Sinn kommen. Ich stand am Rande des Parkplatzes, gegenüber dem Zugang zum Bahnhof. In der Hoffnung, dass mein Herz ihn erkennt, wenn er herauskommt. Leider kam es anders als gedacht.

Ich hatte mir die perfekten ersten Worte überlegt und sämtliche Mimik und Gestik einstudiert, um Robert mit Charme, jedoch nicht zu viel Überschwänglichkeit zu begrüßen.

Genau in dem einen Moment, in dem ich mich vom Eingang wegdrehte, kam er auf mich zu. Bevor ich es realisierte und ihn bemerken konnte, sprach er mich an.

„Hey, steh‘ mal nicht so nutzlos rum. Ich bin doch jetzt da“, waren seine ersten Worte.

In meinem Schock über die Nichteinhaltung meiner perfekt einstudierten ersten Geste und überwältigt von seinem Anblick stammelte ich: „Hallo, schön dass du da bist“.

Er sah in natura noch besser aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Einen halben Kopf größer als ich, mit dunkelblondem, verwuscheltem Haar und strahlendblauen Augen. Sein Lächeln verzauberte mich sofort.

Mit dem Bus fuhren wir zu mir nach Hause, damit er sein Gepäck abstellen und erst einmal richtig ankommen konnte. Die gesamte Busfahrt saß ich wie ein kleines Schulmädchen an ihrem ersten Tag neben ihm und lauschte schüchtern seinen Worten. Ich war vom ersten Moment an über beide Ohren in ihn verliebt.

Zum Abendessen gingen wir zu Fuß in ein griechisches Restaurant. Bei einem der langen Telefonate verriet mir Robert, dass er gern griechisch aß. Somit war es selbstverständlich, dass ich mir das Restaurant Olymp auf dem Kassberg heraussuchte. Den ganzen Weg vom Stadtteil Altendorf, wo ich damals wohnte, bis zum Restaurant unterhielten wir uns über die vergangenen Tage und wie jeder von uns diese vor, während und nach der Arbeit bis zum täglichen Telefonat verbrachte. Im Restaurant angekommen, bestellte er sich eine Gyros-Pfanne und ich mir, eben typisch Frau beim ersten Date, einen Salat. Wie jedem bekannt sein dürfte, wird dem Gast in einem griechischen Restaurant ununterbrochen, auf Kosten des Hauses, Ouzo eingeschenkt. Der Alkohol verfehlte seine Wirkung natürlich nicht und ich wurde von Glas zu Glas lockerer und meine Schüchternheit verflüchtigte sich zunehmend. Bis zum späten Abend saßen wir im Restaurant.

Die Nacht brach herein und in mir stieg die Unsicherheit erneut auf. Ich sagte Robert, als wir über das erste Date sprachen, dass ich gewisse Prinzipien bezüglich der Übernachtung hätte. Es war seit Jahren eine strickte Regel, dass ich beim ersten Date nicht mehr mit einem Mann Schlafen würde. Diesen Fehler hatte ich in der Vergangenheit zu oft begangen, nur um kurz darauf abserviert zu werden. Dieses Mal wollte ich etwas fürs Herz und nicht nur zur Befriedigung körperlicher Begierden. Ich bereitete Robert das Sofa vor und begann zu überlegen. Regeln sind zwar etwas Gutes und wenn von einem Selbst aufgestellt, sogar Sinnvoll, aber dürften ab und zu auch gebrochen werden. Ohne weiter lange zu überlegen tat ich dies. Als Robert das Wohnzimmern nur mit einer Boxer-Short bekleidet betrat, sagte ich mit schüchterner Stimme: „Also, du kannst gern auf dem Sofa schlafen. Doch, wenn du dich auch damit abfinden kannst eine Liegefläche von 1,40 Metern mit mir zu teilen, lade ich dich gern mit zu mir ins Bett ein.“

Ohne viele Worte zu verlieren, folgte er mir ins Schlafzimmer. In dieser ersten Nacht schliefen wir nur nebeneinander und nicht miteinander.

Am nächsten Morgen erwachten wir bei strahlendem Sonnenschein. Ich bereitete das Frühstück vor und überlegte wie ich Robert mein Missgeschick vom gestrigen Nachmittag beichten könnte. Irgendwie hatte ich meiner Mutter versprochen, dass Robert und ich zum Kaffeetrinken vorbeikommen und uns ihr Computerproblem anschauen würden. Zwischen frischem Kaffee und warmen, duftenden Brötchen berichtete ich Robert von meinen Eklat und hoffte, dass er nicht gleich das Weite suchen würde. Er lächelte mich an und sagte, dass es das verrückteste und schönste Date ist, was er bis jetzt erleben durfte.

Pünktlich zum Kaffeetrinken standen wir bei meiner Mutter vor der Tür, welche ihn unerwartet freundlich und offen empfing. Dies war für mich ein gutes Zeichen. Wie wir alle wissen, inspizieren Mütter stets den neuen Partner von Kopf bis Fuß, damit dieser auch ja der Richtige für ihr Kind ist. Meine Mutter fragte Robert natürlich ungeniert aus und gab ihm kaum einen Moment um seinen Kuchen zu essen oder gar an seiner Kaffeetasse zu nippen. Außerdem öffnete sie, ohne nur an ihre Tochter zu denken, das Nähkästchen und plauderte Peinlichkeiten aus meiner Kindheit und Jugend aus. Zu diesem Zeitpunkt wäre ich am liebsten im Boden versunken oder hätte meiner Mutter den Mund zugenäht. Robert sah mir an, dass ich peinlich berührt war, beugte sich zu mir rüber und meinte, dass er auch so ein Exemplar an Mutter hätte und ich mich dafür nicht schämen müsste.

Wieder Zuhause angekommen bereitete eine kleine Entschädigung vor. Als völlige Romantikerin und zur Wiedergutmachung für den vorschellen ersten Besuch bei meiner Mutter überlegte ich mir etwas Besonderes. Am Abend wollte ich mit Robert zu einem nahegelegenen Feld mit einer Flasche Sekt gehen, um die Sterne und die Stadt aus der Ferne zu betrachten.

Allein seine bloße Anwesenheit und der wolkenlose Sternenhimmel machten diesen Abend zu etwas Besonderem. Und als wäre dies nicht schon ein perfekter Abend, legte mir Robert, als er bemerkte, dass mir kalt wurde, seinen Mantel um. Von diesem Moment an wusste ich, dass dieser Mann mein Herz in kürzester Zeit erobert hatte.

Mitten in der Nacht, als er schon eingeschlafen war, lag ich noch wach neben ihm. Mir war bewusst, dass dies vorläufig die letzte gemeinsame Nacht sein würde.

Direkt nach dem Aufwachen überströmte mich ein seltsames Gefühl. Ich konnte es nicht deuten oder gar in Worte fassen. Es fühlte sich von Minute zu Minute unerträglicher an, je näher der Abschied rückte. Als der Zeitpunkt gekommen war wurde mir klar, was ich den ganzen Tag über fühlte. Es war weder Trauer noch Schmerz. Es war das Gefühl ihn zu vermissen, obwohl er noch nicht einmal die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Die nächsten Tage vergingen nicht ohne einen Moment, an dem ich nicht an Robert denken musste. Er war zwar nur eine kurze Zugfahrt entfernt, jedoch fühlte es sich wie eine unüberbrückbare Distanz an. Als er mir mitteilen musste, dass er berufsbedingt am Wochenende nicht kommen könne, verfiel ich in einen Zustand völliger Unruhe. Minuten fühlten sich wie Stunden an und Tage wie Monate. Jedoch die Zeit, in welcher wir telefonierten, verging wie im Flug.

Umso mehr freute ich mich, als Robert mir in der darauffolgenden Woche sagte, dass er das Wochen-ende wieder zu mir kommen würde. Mein Herz sprang mir vor Freude fast aus der Brust.

Mit einem schwarzen Kombi fuhr er am frühen Freitagnachmittag vor. In völliger Vorfreude rannte ich zur Tür, öffnete sie und zählte die Stufen, die er hinauf steigen musste. Ohne große Vorwarnung warf er seine Tasche in den Flur, drückte mich gegen die Wand und begann mich zu küssen. Mit einem Fuß peilte ich die Wohnungstür an und trat diese zu. Wenige Momente später lagen wir nackt und eng umschlungen im Bett. Die Kleidung war im ganzen Flur verteilt, als hätte ein Wirbelsturm sein Unwesen getrieben. Es war animalisch, zärtlich, total verrückt. Einfach pure Lust.

Nach dem Frühstück schlug Robert einen Ausflug vor, welchem ich blind und ohne zu fragen zustimmte. Hauptsache ich war bei ihm. Die Fahrt dauerte etwa 2 ½ Stunden und ich versuchte mich mit meinen verkümmerten geographischen Kenntnissen anhand der vorbei rauschenden Schilder zu orientieren. Natürlich war dies vergeblich und ich hatte bis zur Ankunft keinen blassen Schimmer, wo ich gerade war. Wir hielten vor einem Zweifamilienhaus in einer ruhigen Gegend. Um den Ort herum waren nur Felder und Wiesen. Als wir zur Tür gingen und ich das Türschild flüchtig las, dämmerte es mir langsam. Wir standen vor dem Haus seiner Eltern. Noch bevor die Nervosität beginnen konnte in mir empor zu steigen, öffnete seine Mutter die Tür und empfing uns mit einem herzlichen Lächeln.

Da ich natürlich nicht auf eine Übernachtung vorbereitet war, weder frische Unterwäsche oder gar eine Zahnbürste dabei hatte, versuchte ich Robert von einer baldigen Rückfahrt zu überzeugen. Als wir, seine Eltern, Robert und ich, auf der Terrasse saßen, kam ein kleiner Junge vorbei und übergab seiner Mutter etwas, das in einer kleinen Plastiktüte eingewickelt war. Es waren zwei original verpackte Zahnbürsten. Sie reichte uns diese und sagte dabei mit einem Lächeln im Gesicht: „So, nun könnt ihr doch bis morgen hier bleiben“.

Als hätte es Robert geplant, lächelte er zurück und warf mir einen freudigen Blick zu.

Bis weit in den Abend hinein saßen wir auf der Terrasse und unterhielten uns. Etwa gegen elf Uhr fragte sein Vater, welcher zu Bett gehen wollte, ob wir am morgigen Tag erst nach dem Kaffeetrinken die Heimreise antreten würden. Ohne lange zu überlegen stimmten wir beide zu. Ich fühlte mich sehr wohl bei seinen Eltern und beide mochten mich von der ersten Minute an (wie mir seine Mutter später, unter Einfluss von Alkohol auf der Geburtstagsfeier des Großvaters, verriet). Nur sein Vater war mir gegenüber skeptisch eingestellt und dies verging erst gut 5 Jahre später.

Wir schreiben das Jahr 2012 und alles war für den großen Tag, die Eheschließung, vorbereitet. Robert hatte sich für den 30. April entschieden, denn so hätten wir immer nach unserem Freudentag einen Feiertag. Die Hochzeit war atemberaubend und fand im Standesamt im Alten Rathaus von Chemnitz statt. Ich trug ein weißes Kleid mit Korsage, sowie Spitzenbesatz und fließend fallendem Rock. Robert trug einen klassischen Frackanzug mit weißem Hemd und schwarzer Weste. Gefeiert wurde in einem Hotel mit Veranstaltungs- und Festräumen am Rand von Chemnitz. Die Tische waren mit weißen Tauben, silbernen Kerzenständern, weißen Rosen dekoriert und in E-Form aufgestellt. Dies hatte eine besondere Bewandtnis, denn in unseren Eheringen stand nicht, wie bei vielen Paaren, das Hochzeits-datum, sondern die letzten Worte aus einem Liebesbrief von Ludwig van Beethoven an seine Geliebte: Ewig dein, Ewig mein, Ewig uns.

Die gesamte Feier war elegant und trotzdem ausgelassen. Vor allem die Hochzeitstorte brachte jeden zum Staunen. Sie war vier Etagen hoch, aus quadratischen Elementen und war abwechselnd schwarz und weiß eingedeckt. Jede der Tortenelemente hatte eine andere Geschmacks-richtung. Diese waren versetzt zur darauffolgenden, sowie größer werdenden Etage gelegt. Natürlich war es eindeutig zu viel zu Essen, da wir ein ganzes Buffet bestellt hatten und die Gäste nach dem Kaffeetrinken für mehrere Stunden gesättigt waren. Jedoch hielt es sie nicht ab, zu einem späteren Zeitpunkt die Tanzfläche zu stürmen. Ich erinnere mich an einen Moment als der DJ „We will rock you“ von Queen auflegte. Alle begaben sich auf die Knie und schlugen zum Takt mit den Fäusten auf den Boden und klatschten in die Hände. Meine Schwiegermutter trug ein traumhaftes, jedoch auch etwas zu tiefgeschnittenes, olivfarbenes Kleid. Während sie mit ihren Fäusten auf den Fußboden schlug, verabschiedete sich der Halt ihres Ausschnittes und gab dem Busen dem Weg nach draußen frei. Rechtzeitig, durch den damaligen Freund von Roberts Schwester, darauf hingewiesen, rückte und drückte sie alles wieder zu recht. Doch zu spät: Wir brachen in lautes Lachen aus. Die Familie von Robert verstand Humor und konnte bei Missgeschicken auch gern über sich selbst lachen. All die Jahre bis zu diesem, für mich auch Nachnamens verändernden Tag, waren mit Abstand die schönsten in meinem Leben.

Schon im darauffolgenden Jahr ereilte mich ein Schicksalsschlag, welcher mich zutiefst erschütterte und veränderte. Am 30. November erlitt ich ein Burn-Out. Bis zu diesem Tag hatte ich nur durch einige Fernsehberichte oder Dokumentationen davon gehört. Es traf mich wie ein Schlag und völlig unvorbereitet. Ab diesem Tag war ich nicht mehr ich selbst. Ich hatte keine Kraft aufzustehen oder gar mich ohne Schmerzen im Unterbauch zu bewegen. Den ganzen Dezember verbrachte ich im Bett. Stand nur für den Toilettengang auf und aß so gut wie nichts. Auch mein sexuelles Verlangen gegenüber Robert war abgeklungen. Ich fühlte mich in mir selbst gefangen und konnte mich nicht befreien. Bis in den Januar hinein wusste keiner was mir fehlte. Erst auf Anraten eines Arztes und durch eine simple Entspannungsmethode wurde klar, was mich ereilte. Er riet mir, mich mit einfachen Gesellschaftsspielen abzulenken und auf die Reaktion meines Körpers zu achten. Somit stellte er fest, dass ich zusätzlich unter dem Reizdarm-Syndrom litt, was die Unterbauch-scherzen erklärte. Der Arzt aus dem Krankenhaus riet mir zu einer Psychotherapie. Da mir nur zwei Therapieformen bekannt waren, entschied ich mich für die Tiefenpsychologie. Hierbei wird das Problem in der tiefe lokalisiert und durch Gespräch versucht zu neutralisieren. Monate vergingen und mit Hilfe der Therapie und viel Mut schaffte ich es, mich einigermaßen wieder selbst zu beherrschen. Am Anfang der Therapie quälte ich mich täglich mit einem Tablet in den nahegelegenen Park, um für mindestens eine Stunde dort zu bleiben. Jedoch erschuf ich mir gleichzeitig unbewusst eine Schutzhülle. Alles begann sich nur noch um mich und meine Bedürfnisse zu drehen. Ich war so auf mich fixiert, dass ich alles um mich herum übersah. So gern ich Robert den Wunsch nach einem Ausflug erfüllen wollte, so sehr lehnte ich dies vehement ab. Auch Kino- oder gar Restaurantbesuche wurden von mir eiskalt gestrichen, Ich hatte immer große Angst wieder einen Rückfall zu erleiden und nochmals die Torturen eines Burn-Outs zu ertragen. Die Angst vor der Angst oder wie auch immer, kann etwas ganz gemein Heimtückisches sein. Sie zog mich in ihrem Bann. Es verändert nicht nur einen Selbst, sondern bringt auch alles Schlechte aus einem hervor. Man konnte mich zu Recht als Egoistin zu dieser Zeit bezeichnen. Alles, was nicht nach meinem selbstgestrickten Plan lief oder funktionierte wurde ohne Vorwarnung angegriffen. Ich reagierte wie eine Diva auf höchstem Niveau. Leider verfiel ich so sehr meinem Wahn, dass ich auch vor meinem Ehemann nicht Halt machte. Der Alltag und der Haushalt musste strickt nach Plan und Ordnung verlaufen. So musste die Wohnung in exakter Reihenfolge geputzt werden, die Wäsche so zusammengelegt werden wie ich es mir vorstellte. Sogar das gemeinsame samstägliche Einkaufen wurde für meinen Mann und die anderen Kunden gelegentlich zum Spießroutenlauf. Oftmals überkam es mich, wenn sich entweder mein Mann oder jemand anderes ziemlich (für meine Begriffe) dumm anstellte.

Wir waren gemeinsam im Chemnitz-Center und ich war auf der Suche nach neuen Schuhen für den Sommer. Verzweifelt war ich auf der Suche nach einer Verkäuferin. Jede die ich Ansprach wimmelte mich mit ab und sagte, dass sie gerade sehr beschäftig sei. So platze mir nach einiger Zeit der Kragen und ich warf die Schuhe, welche ich gern in einer anderen Größe gehabt hätte, quer durch den Laden und fragte Lautstark ob hier nur Mitarbeiter eingestellt werden, welche bei einem IQ-Test versagt hatten.

Ich sah meinen Mann an, dass es ihm unglaublich peinlich gewesen war. Jedoch erschien es mir in diesem Moment als gerechtfertigt und nötig.

Wenn Liebe Winterschlaf hält

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