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Kapitel 5 Ich sitze im Park und führe ein Gespräch über das Leben
Оглавление“Wo fangen wir an?”, fragte Gott neugierig.
Lara dachte nach. Sie dachte lange nach; so lange wie bei der letzten Physikklausur.
“Also...bei...wie wär's mit…”, stammelte sie.
“Ja?”, fragte Gott ungeduldig.
“Man, das ist gar nicht so einfach”, rechtfertigte sich Lara und entschied sich, einfach ihr Herz zu fragen: “Ähm, sag mal, kannst du eigentlich Liebe empfinden, so als Gott? Das ist zwar irgendwie total klischeehaft und ultra kitschig, aber du kannst nicht den Wert eines Menschenlebens verstehen, ohne Liebe zu kennen.”
Lara fragte sich wirklich, ob es irgendetwas gab, das Gott Glück schenkte. Als sie ihn noch für den ganz gewöhnlichen Jungen Leon hielt, machte er schon den Eindruck, er könne menschliche Emotionen empfinden. Aber warum wollte er dann alles beenden?
“Ich glaube nicht”, sagte Gott nur.
“Wenn du dir nicht sicher bist, dann kennst du wahre Liebe auch nicht. Wie traurig”, sagte Lara und bemerkte, dass sie gerade Mitleid mit dem wohl mächtigsten Wesen im Universum hatte.
“Ich fand es nie traurig”, meinte Gott und hörte sich fast ein wenig beleidigt an.
“Was macht dich denn glücklich?”, wollte Lara wissen: “Ich meine, du kannst doch nicht Milliarden von Jahren existieren und nichts empfinden. Was hat dich motiviert, weiterzuleben?”
“Ich weiß nicht genau”, sprach Gott: “Lange Zeit habe ich nur zerstört. Das schien mir so etwas wie eine Aufgabe zu sein, auch wenn es mir im Nachhinein nicht besonders sinnvoll erscheint. Dann irgendwann erschuf ich die Welt und sah, wie sie sich entwickelte. Und ich fand es spannend. Ich spürte etwas wie Neugier, also beobachtete ich weiter, was passieren würde. Leben entstand; nicht so welches, wie das meine, aber doch war es Leben. Später dann hatte ich plötzlich das erste Mal Angst. Angst, dieses Leben könnte sich selbst wieder beenden und würde mich wieder alleine in der Welt lassen. Aber ich war mir sicher, ein Grund für mein weiteres Dasein würde sich schon finden.”
“Man, dass dir in dieser Unendlichkeit nie langweilig wurde”, meinte Lara: “Nun, wir Menschen amüsieren uns anders. Wir erschaffen keine Welten.”
Neugier blitzte in Gottes Augen auf. Anscheinend war er nicht allwissend.
“Was macht ein Mensch denn, wenn er sich amüsieren will? Jahrmarkt? Laser Tag?”, fragte Gott.
“Woher kennst du denn Laser Tag?”, fragte Lara verblüfft.
“Nun, bevor ich dich traf, habe ich schon hier und da die Menschen beobachtet. Schnell lernte ich ein paar Sprachen und ich eignete mir sogar Humor an. Ich schnappte viele Geschichten auf, die ihr euch erzählt. Irgendwann passte ich mich so sehr an, dass ich sogar die Gestalt eines Menschen annahm, wer hätte das gedacht?”
“Dann ist es also genau umgekehrt”, sagte Lara leise vor sich hin.
“Was meinst du?”, fragte Gott. Man, war Lara froh, dass er anscheinend keine Gedanken lesen konnte.
“Naja”, sagte Lara: “Es heißt doch immer, Gott habe die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen, aber tatsächlich hat er sein Aussehen den Menschen angepasst. Verrückt.”
Gott musste lachen. Lara hatte gerade Gott zum Lachen gebracht, das musste doch was wert sein. Soll Philipp nochmal erzählen, er sei der Witzigere.
“Ja, ich habe einige eurer Geschichten über Gott gehört”, sprach Gott amüsiert. Nun, wenn man die Wahrheit kennt, ist es wirklich amüsant, dachte sich Lara.
“Magst du die Geschichten, die du hörst?”, fragte Lara: “Nicht die über Gott oder so, sondern die, in denen es um Menschen geht.”
“Ich kann zumindest verstehen, warum ihr euch einige davon erzählt”, antwortete Gott und schien zu versuchen, sich an Geschichten zu erinnern: “Es ist unterhaltsam, ihnen zu lauschen.”
“Nun, und einige dieser Geschichten erinnern uns an das Leben. Sie haben herzzerreißend schöne Momente, zu Tränen rührend traurige Momente und Momente, in denen wir einfach froh sind, da zu sein. Und da ist es egal, ob die Geschichten voller atemberaubender Magie, voller fantastischer Technik oder einfach voller faszinierender Menschen sind; denn immer kommen Liebe darin vor, oder Freundschaft oder das Überkommen der eigenen Schwächen. All die Dinge, die eine gute Geschichte ausmachen, aber auch ein gutes Leben.”
Lara redete gerne, aber selten kam etwas aus ihrem Mund, das sie für so weise und clever hielt. Wahrscheinlich weil sie vorher nie jemandem das Leben erklären musste.
“Das macht mich neugierig”, meinte Gott gelassen: “Aber eigentlich wolltest du mir doch erklären, was du machst, um dich zu amüsieren.”
Lara bemerkte, wie schnell sie vom Thema abgekommen waren. Auch fand sie, dass Gott ein besserer Gesprächspartner war als die meisten Menschen. Und er hat nie jemanden zum Reden gehabt.
“Nun, es wäre schwierig gewesen, dir Sachen wie die Liebe und so ein Gedöns zu erklären, geschweige denn zu zeigen. Da wäre es vielleicht wirklich besser, mit den kleinen Sachen zu beginnen”, sagte Lara und Gott wusste nicht, ob sie mit ihm oder mit sich selbst sprach.
“Die kleinen Dinge?”, fragte Gott gespannt.
“Ja du weißt schon. Dinge, die einzeln das Leben vielleicht noch nicht schön machen, aber in der Masse zweifelsohne dazu beitragen.
Dinge, bei denen man froh ist, wenn man sich am Ende der Woche noch daran erinnert, doch letztendlich erinnert man sich am Ende seines Lebens noch daran. Einfach Dinge, die dich lächeln lassen”, erklärte Lara fast in einem Atemzug. Gott schien ihr aufmerksam zuzuhören, was sie fast schon überraschte. Er ist wohl nur äußerlich ein Mann, dachte sich Lara.
“Und was wäre das zum Beispiel, diese kleinen Dinge?”, fragte Gott und schien die Antwort kaum abwarten zu können.
Lara musste erst einmal überlegen, womit sie anfangen sollte. Ihr fiel einfach so viel ein. Sie hielt die meisten Dinge allerdings für zu banal, um einem Außenstehenden die Schönheit des Lebens zu zeigen.
“Ich hab's”, sagte sie plötzlich: “Ich werde dir jemanden vorstellen. Jemanden, der mich immer glücklich macht.”
Lara grinste, sogleich sie innerlich schon sehr zweifelte, ob ihre Idee irgendeine Wirkung auf Gott haben würde.
Aber wie könnte es auf irgendjemanden keine Wirkung haben, ob nun Gott oder Mensch?
“Wen willst du mir vorstellen?”, fragte Gott.
“Ihn wolltest du mir vorstellen?”, fragte Gott zweifelnd. Er starrte auf die schwarze Nase eines jungen Golden Retrievers. Dieser schaute, ebenfalls zweifelnd, zurück.
“Das hätte ich beileibe nicht erwartet”, sagte Gott und sein Blick ließ nicht von dem kleinen Kerlchen ab.
“Wuffel”, sagte Lara und ihre Augen funkelten wild. Sie lächelte, wie Gott es weder als Gott noch als Leon zuvor gesehen hatte.
“Bitte?”, fragte Gott nach: “Welche Sprache ist das?”
“Das ist keine Sprache, man. Das ist sein Name: Wuffel”, erklärte Lara strahlend.
“Und er ist eine dieser kleinen Dinge?”, fragte Gott verwundert: “Naja klein ist er ja.”
“Ja”, sagte Lara: “Also nein. Ihn zu besuchen ist auf jeden Fall etwas, das mich glücklich macht und meinem Herz Wärme schenkt.”
“Wie das?”, fragte Gott. Er sah Wuffel fragend an.
“Öhm, er ist ein Hund?”, fragte Lara und vergaß kurz, dass sie mit Gott sprach: “Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber wir Menschen finden Hunde niedlich. Und sie haben eine so freundliche, herzerwärmende und grundlegend positive Ausstrahlung, dass wir gerne von ihnen umgeben sind, sie streicheln und mit ihnen spielen. Naja, natürlich gibt es auch schwarze Schafe unter den Hunden, von denen wir uns in Acht nehmen, aber wie heißt es so schön: Der Hund ist der beste Freund des Menschen.”
Während sie sprach, kamen Lara Zweifel, ob Gott überhaupt ein Empfinden für Niedlichkeit hatte, aber Wuffels Wesen musste er doch wahrnehmen.
“Ich frage mal, ob wir mit ihm spazieren gehen dürfen”, sagte Lara aufgeregt und voller Vorfreude, ehe sie kurz verschwand.
“Warum wohnt Wuffel denn nicht bei dir?”, fragte Gott, als er neben Lara einen Weg entlang ging. Der junge Hund lief vor Energie nur so über, von links nach rechts und sofort wieder zurück.
“Vor zwei Jahren hatte mein Vater, um mich zu trösten, vor, mir einen Hund zu kaufen. Also nahm er mich mit in dieses Tierheim und wir schauten uns einige der Kläffer dort an. Mir fiel besonders eine Hündin namens Daisy ins Auge. Ein Mischling mit glänzendem Fell und schimmernden Augen. Doch in der Zwischenzeit hatte mein Vater mit der Mitarbeiterin des Tierheims gesprochen. Sie hatte ihm die Verantwortung, die mit einem Hund kommt, noch einmal deutlich vor Augen geführt. So sagte mein Vater schweren Herzens Nein zu einem Hund. Gerade in dieser Zeit hätte ich einem Tier nicht die Liebe geben können, die es verdient hätte. Die Dame im Tierheim sah, wie traurig und enttäuscht ich war und wie sehr ich Daisy bereits ins Herz geschlossen hatte, also machte sie mir den Vorschlag, die Hündin regelmäßig zu besuchen. Natürlich tat ich das und es half mir. Ich ging mit Daisy Gassi und brachte ihr sogar Kunststücke bei. Naja, sehr einfache Kunststücke.
Eines Tages kam eine Familie mit einer kleinen Tochter in das Tierheim und entdeckte Daisy. Das kleine Mädchen schien sofort verliebt zu sein und schaffte es, seine Eltern zu überzeugen. Es gab für mich nun keine Möglichkeit mehr, Daisy zu sehen. Dennoch ging ich weiter in das Tierheim, um mit anderen Hunden zu spielen. Von denen wurde dann Wuffel schnell schon mein neuer Liebling.”
Lara, Gott und Wuffel gingen in Richtung einer großen Wiese, bei der Lara schon oft mit Wuffel, und noch öfter mit Daisy war, um mit dem jungen Hund zu spielen. Lara hatte einen kleinen Ball dabei und warf diesen über die Wiese. Sofort flitzte Wuffel los und war in Rekordzeit mit dem Ball in der Schnauze wieder bei Lara.
“Und das amüsiert dich?”, fragte Gott skeptisch.
“Siehst du doch”, sagte Lara und warf erneut: “Und Wuffel amüsiert es auch auch.”
Gott schaute sich das ganze Schauspiel an und schien zu versuchen, es zu verstehen. Als würde ein Europäer das erste Mal Baseball gucken, sah er äußerst verwirrt aus.
“Mach du auch mal”, sagte Lara und drückte Gott den Ball in die Hand. Noch mehr Verwirrung trat in sein Gesicht und sowohl Lara als auch Wuffel warteten auf seinen Wurf.
Gott blickte auf den Ball, dann zu Wuffel und dann warf er. Der Ball landete mitten auf der Wiese und kurz danach hatte Wuffel ihn zurück zu Gott gebracht.
“Nochmal?”, fragte Gott unsicher.
“Ja man, natürlich”, sagte Lara auffordernd.
“Er scheint mich nicht besonders zu mögen”, meinte Gott, als Wuffel gerade zum Ball lief.
“Er spielt doch mit dir. Du bildest dir das sicher nur ein”, sprach Lara.
“Ich bin Gott. Ich spüre solche Dinge”, sagte Gott überzeugt.
“Aber Hunde sind ehrliche Wesen. Er würde nicht mit dir spielen, wenn er dich nicht mögen würde”, war Laras Ansicht.
“Vielleicht denkt er ja, er würde es sich nur einbilden”, sagte Gott und warf den Ball, den ihm der kleine Wuffel gerade gebracht hatte. Platsch! Der Ball war im Graben am Rande der Wiese gelandet.
“Oh, das war wohl etwas zu kräftig”, stellte Gott fest und Lara schüttelte den Kopf und schlug die Hände vor das Gesicht.
Wuffel lief zum Graben, aber wie sich herausstellte, war er wasserscheu. Er bellte das Wasser an, während er davor hin und her lief, als würde er gerade seinen Mut zusammennehmen.
“Wir müssen den Ball jetzt leider zurückholen. Das ist nämlich Wuffels Lieblingsspielzeug, musst du wissen”, sagte Lara und biss die Zähne zusammen.
Nun standen sie auch vor dem Graben und Lara kam es vor, als wäre er noch nie so voll und das Wasser nie so dreckig gewesen. Der Ball schwamm auch noch nahe am gegenüberliegenden Ufer, an dem dornige und dicht bewachsene Büsche und Sträucher standen.
“Du bist doch Gott”, sagte Lara: “Irgendwozu muss das doch gut sein. Kannst du nicht den Ball schweben lassen oder das Wasser teilen oder so?”
Gott seufzte.
“Für einen Ball soll ich meine Kräfte anstrengen?”, fragte er.
“Nicht für einen Ball”, meinte Lara: “Für Wuffel.”
Sie lächelte und versuchte so, Gott zu überzeugen.
“Wie würden wir denn dieses Problem jetzt lösen, wenn ich nicht zufällig Gott wäre?”
“Mit einem Stock”, sagte Lara nach kurzem Überlegen.
So suchten die beiden einen Stock, der lang genug war, den Ball aus dem Graben zu fischen (und es sah fast so aus, als würde Wuffel auch suchen). Gott fand schnell einen Stock, mit dem es Lara probieren wollte. Sie stellte sich so nah an den Rand des Grabens wie möglich und versuchte, den Ball zu erreichen. Doch der Stock schien zu kurz, also streckte sie sich noch ein wenig, streckte sich zu viel, verlor das Gleichgewicht und landete im Graben. Es platschte laut und selbst Gott bekam noch Tropfen vom schmutzigen Wasser ab.
Schnell kam Lara aus dem Graben gekrochen, nass und dreckig und schlecht gelaunt. Gott reichte ihr die Hand, um ihr auf die sichere Wiese zu helfen.
“Man, wäre ein kleiner Trick, um das zu verhindern zu viel verlangt gewesen?”, schnaufte Lara: “Du hast Autos schweben lassen, da wär ich doch kein Problem gewesen. Kein blöder Spruch!”
“Es sind nun mal andere Menschen hier, die hätten sich nicht wenig gewundert, wenn du einfach über dem Wasser schweben würdest”, erklärte sich Gott.
Lara klopfte sich nasse Blätter und was sonst so in dem Graben war von den Klamotten. Wuffel hatte derweilen aufgehört, wild hin und her zu laufen, und sein Blick sah fast nach Schuldgefühlen aus.
“Man, meine Klamotten sind komplett durchnässt mit dieser ekligen, stinkenden Brühe”, schimpfte Lara: “ Aber immerhin…”
Sie hielt Wuffels Ball in der Hand und zeigte ihn lächelnd und stolz. Wuffel freute sich wie verrückt. Er bellte und sprang und es war ihm egal, dass Lara deswegen im Wasser gelandet war.
“Jetzt sollte ich aber lieber nach Hause, duschen und frische Sachen anziehen”, meinte Lara seufzend.
“Ich werde dich begleiten”, sagte Gott.
“Man, wie soll ich das Papa erklären”, überlegte Lara laut und kratzte sich am Kopf.