Читать книгу Rettet die Nachrichten! - Marco Bertolaso - Страница 8

KAPITEL 1
FREIE NACHRICHTEN:
EINE HISTORISCHE AUSNAHME

Оглавление

Den Anfang macht ein genauerer Blick auf das, für dessen Rettung ich werbe. Ich meine eine Nachrichtenkultur, die den Einzelnen und der Öffentlichkeit den informationellen Rohstoff für demokratische Abwägungen und Entscheidungen verlässlich liefert, die sich den fundamentalen Prinzipien des Grundgesetzes und anderen Normen wie den Menschenrechten verpflichtet fühlt und deren grundsätzlich große Offenheit und Neutralität genau dort ihre wehrhafte Grenze finden, wo diese Werte in Gefahr sind.

Ich meine einen Nachrichtenjournalismus, der seinerseits frei arbeiten kann, in Deutschland zum Beispiel abgesichert durch Artikel fünf des Grundgesetzes und eine funktionierende Justiz. Ich meine Nachrichten, die derart geschützt die Arbeit der demokratischen Institutionen und aller anderen gesellschaftlichen Akteure kontrollieren und kritisieren können. Und ich meine Nachrichten, die sich ihrer Verantwortung zur Herstellung einer demokratischen Öffentlichkeit bewusst sind, die eine funktionierende Fehlerkultur haben und ihre Arbeit ebenso regelmäßig wie transparent überprüfen.

Manche denken, dass eine solche Nachrichtenkultur alltäglich und ungefährdet ist. Wir werden uns das noch genauer ansehen. Historisch betrachtet ist sie jedenfalls die absolute Ausnahme. Frei verfügbare und zuverlässige Information, auf deren Grundlage die Menschen über die Geschicke ihrer Gesellschaft entscheiden können, das war in der Geschichte so wahrscheinlich wie sechs Richtige im Lotto. Meist waren die Nachrichten nämlich Instrument oder Teil der Macht. Wo wüsste man das besser als in Deutschland? Noch vor achtzig Jahren standen die Medien hier unter Kontrolle des Staates. Noch mehr, sie halfen bei der Absicherung einer Diktatur. Durch die Verbreitung von Lügen und Hass wurden Massenmedien zu Massenvernichtungswaffen.

Eine weitere Lehre nicht nur aus der NS-Zeit ist die besondere Rolle der Nachrichten im Journalismus. In einer Diktatur oder in einem autoritären Regime hat es niemand leicht, der von der Meinungsfreiheit Gebrauch machen will. Die Nachrichten aber sind das erste Opfer. So hielten es auch die Nationalsozialisten: Sie unterwanderten und radikalisierten schon 1931 den Reichsverband Deutscher Rundfunkteilnehmer, der sich danach für mehr ›rechte‹ und nationale Inhalte im angeblich links dominierten ›Systemrundfunk‹ stark machte. Eine zentrale Parole lautete »Brecht den roten Rundfunkterror.« In NS-Zeitungen wurde das verbunden mit antisemitischer Hetze, mit Kritik an den Kosten des Rundfunks und Forderungen wie »Fort mit marxistischer Zersetzungspropaganda und verlogenem Literaten-Geseire« (HEIDELBERGER BEOBACHTER 1931).

Bereits 1932 und damit noch deutlich vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler sicherten sich die Nationalsozialisten den Einfluss auf die Drahtlose Dienst AG, die erste deutsche Hörfunknachrichtenredaktion. Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels nannte das Radio das »allermodernste und allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument« (GOEBBELS 1933). Sein Mann für den Rundfunk, Hans Fritzsche, sprach später vom »modernsten und schnellsten Nachrichtenmittel« und von einer »Waffe« (FRITZSCHE 1937).

Die Nationalsozialisten verschafften sich auch sonst die Kontrolle über den Informationsjournalismus, sobald sie es konnten. Der Grund ist leicht erklärt und gilt auch für andere Diktaturen: Wenn den Menschen vertrauenswürdige Nachrichten fehlen, wenn sie der Propaganda ausgesetzt sind, wenn sie nicht mehr wissen, was wahr oder falsch ist, dann ist das autoritäre Ziel erreicht. Dann kann der Staat in anderen Bereichen kalkulierte Freiheiten zulassen, etwa ein gewisses Maß an Kunst und Kommentierung erlauben, als Ventil im Inland oder als Feigenblatt für die Welt.

Rettet die Nachrichten!

Подняться наверх