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1:0 für Team Wagner

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Ich bin Steirer, aber glühender Fan der Fußballmannschaft Rapid Wien. Diese Kombination ist, vorsichtig gesagt, eher selten. Bei mir war es schon von klein auf so, weil auch mein Stiefvater Rapidler war und mich ins Stadion mitnahm, wenn unsere Mannschaft ein Auswärtsspiel gegen einen der Grazer Bundesligaklubs absolvierte.

In meiner Klasse war ich mit dieser Einstellung natürlich ein Außenseiter. 29 von 30 Kindern waren entweder Anhänger des GAK oder von Sturm Graz. Ich hatte es also nicht leicht, wenn ich am Montagmorgen laut jubelnd und Triumphgesänge anstimmend ins Klassenzimmer kam, weil Rapid die Grazer Lokal-Heroes am Vortag in ihrem eigenen Stadion wieder einmal ordentlich paniert hatte (was nicht selten vorkam). Aber schon damals empfand ich eine diebische Freude dabei, Außenseiter zu sein, als Einziger gegen die Masse zu stehen und dieser Masse auch noch provokant auf der Nase herumzutanzen.

»Wie kannst du als Steirer Rapid-Fan sein? Hast du keine Heimatverbundenheit?« Manche beschimpften mich richtiggehend. Aber solange ich ihnen nach gewonnen Spielen mit meinem Rapidschal vor dem Gesicht herumfuchteln konnte, war meine Welt damals mehr als nur in Ordnung.


An diese Zeiten musste ich sofort zurückdenken, als mich vor zwei Jahren ein Video der U14-Mannschaft von Sturm Graz erreichte: »Lieber Marco Wagner! Du und deine Videos gefallen uns. Wir wissen, du bist Rapid-Fan, und möchten dich herausfordern. In der Halbzeit unseres Heimspiels gegen Rapid möchten wir gegen dich Elfmeter schießen. Wir sind fünf Burschen, such du dir auch vier andere. Traust du dich, vor 10.000 Leuten im Stadion?«

Ich fragte mich, ob sie tatsächlich glaubten, dass ich den Schwanz einziehen und die Herausforderung ablehnen würde. Erstens war das nicht mein Stil. Ich hatte selbst schon solche Herausforderungen an Prominente wie Christian Fuchs oder Andreas Gabalier versendet, das war quasi mein Markenzeichen.

Zweitens generierte das Video eine Menge zusätzliche Aufmerksamkeit für mich. Überall poppte es innerhalb kürzester Zeit in den sozialen Netzwerken auf. Viele meiner Fans hatten es geliked und weiterverbreitet und das mit Aufforderungen an mich verbunden, den Vorschlag unbedingt anzunehmen.

Tipp: Die Währung der sozialen Medien heißt Aufmerksamkeit. Alles, was dir Aufmerksamkeit bringt, vergrößert deine Reichweite, die dein größtes Kapital darstellt.

Natürlich waren wie immer auch ein paar Hater dabei, die ich, wie ich es immer tue, für meine Fanseite sofort blockierte: »Da wirst du einmal ordentlich auf die Goschn kriegen, du eingebildete Sau!« Ja, solche Dinge schrieben manche Leute. Ich fragte mich dann immer, was für ein trauriges Leben sie wohl haben mussten. Aber es war nicht an mir, das herauszufinden, und auch nicht, mich mit ihren Beleidigungen auseinanderzusetzen. Ich drückte ganz einfach den Blockier-Button und überlegte dabei bereits, wie ich meine Mannschaft für das Elfmeter-Duell zusammenstellen würde.

Tipp: Füttere keine Facebook-Trolle. Wer dich beleidigt, wird ohne Diskussion blockiert, so hältst du deine Seite frei von Hatern und schaffst ein positives Klima.

Eines war klar: Wenn wir in der Pause eines Bundesliga-Matches zwischen Sturm Graz und Rapid gegen die U14 von Sturm Elfmeter schossen, dann vertraten wir gewissermaßen die Farben von Rapid. Und natürlich mussten wir dieses Duell genauso gewinnen, wie Rapid das Bundesligaspiel, das den Rahmen für unseren kleinen Auftritt bilden sollte.

Eine Woche vor dem großen Tag hatte ich meine Mannschaft zusammen: Drei gute Freunde und mein Schwiegervater, keine Antikicker dabei, alles paletti. Trotzdem legten wir ein paar Tage vor der Veranstaltung eine Elfer-Trainingssession ein, blamieren wollten wir uns vor den 10.000 Zuschauern im Stadion schließlich auch nicht. Es lief nicht so schlecht, aber ich musste daran denken, dass nur mein guter Freund Berni und ich Rapid-Fans waren. Die anderen standen normalerweise auf der Seite unserer Gegner. Natürlich waren sie loyal und wollten, dass wir gewinnen, aber ich machte mir doch ein klein wenig Sorgen, dass ihnen im entscheidenden Moment der Fuß zittern könnte, wenn sie gegen die U14-Mannschaft ihres Lieblingsvereins antreten würden.

Allein, es half nichts, mehr Rapid-Fans als Berni und ich waren im Raum Graz und Umgebung eben nicht aufzutreiben. »Gegen Marco Wagner in Liebenau«, hieß es inzwischen auf einer eigens von Sturm ins Leben gerufenen Facebook-Seite, die innerhalb kürzester Zeit eine beachtliche Anzahl an Fans gewonnen hatte. Viel Feind, viel Ehr, dachte ich und rieb mir vor meinem Computerbildschirm die Hände. Ein Rapidfan aus den eigenen Reihen als Pausen-Kasperl, um mehr Zuschauer ins Stadion zu locken, so stellten sie sich das vor. Oder sollte ich eher das Krokodil sein? Auch dagegen hatte ich nichts einzuwenden, solange am Ende die »Falschen«, also wir als Sieger vom Platz gingen.

Seitdem ich mit meinen Fotos und Videos auf Facebook populär geworden war, hatte ich schon ein paar Discos gefüllt und war der Stargast auf kleineren bis mittelgroßen Veranstaltungen gewesen. Aber ein Fußballstadion? Das war noch einmal eine etwas andere Sportart. Normalerweise schaute ich mir alle Rapid-Spiele in Graz selbstverständlich im Auswärtssektor an, denn für die Dauer des Spiels war ich kein Steirer, sondern Unterstützer meiner aus Wien angereisten Lieblingsmannschaft. Aber diesmal waren meine vier Freunde und ich von der Clubleitung von Sturm Graz eingeladen, das Spiel im VIP-Sektor zu beobachten. Wir bekamen davor eine Tour durch das Stadion und durften den Mannschaften beim Aufwärmen zusehen. Mit einem Wort, wir wurden nicht wie gegnerische Fans, sondern eher wie Prominente behandelt. Das war natürlich nicht übel, aber ich beschloss, mich davon nicht einlullen zu lassen und gab die Parole auch an meine Mitspieler aus: »Wir machen sie trotzdem fertig«, flüsterte ich meinem Team in einem unbeobachteten Moment zu. Alle nickten entschlossen.

Zur Halbzeit stand es eins zu null für Rapid, was ja schon einmal nicht schlecht war. Das Stadion war bummvoll, und sämtliche Sturm-Fans wünschten sich in der Pause natürlich nichts sehnlicher, als dass wenigstens ihre U14-Auswahl dem Verräter Marco Wagner zeigen würde, wo der Bartel in Graz Liebenau den Most holt. Das brachte mich auf eine Idee.

»Die verlassen sich auf euch«, sagte ich zu den fünf U14-Burschen, unmittelbar bevor wir ins Stadion einliefen, »lassts eure Fans nicht im Stich, das müssts ihr jetzt umdrehen!« Mein Team schickte mir verständnislose Blicke, aber ich wusste schon, was ich tat. Noch ein bisschen mehr Druck für unsere Gegner konnte bestimmt nicht schaden.

Als wir ins Stadion eintrabten, blieb mir wirklich ein bisschen die Spucke weg. Die Moderatorin eines regionalen Radiosenders zelebrierte unseren Auftritt wie den Einmarsch der Gladiatoren. Wobei die Rollen klar verteilt waren: »Unsere Sturm-Jugend!«, rief die Moderatorin begeistert, und die tausenden Zuschauer jubelten ihrer Jugendauswahl zu. »Und jetzt das Team von Marco Wagner«, kündigte sie uns gleich darauf an. Nun hätten wir zumindest auf ein bisschen höflichen Applaus hoffen können. Oder es wäre einfach ruhig geblieben.

Nichts davon. Ein Großteil des Publikums buhte und pfiff, dass der ganze Fußballplatz davon dröhnte. Was mich dabei besonders beeindruckte war, dass wirklich die allermeisten Zuschauer auf ihren Plätzen geblieben waren, um sich die Chance nicht entgehen zu lassen, den steirischen Judas Marco Wagner auszubuhen. Normalerweise nutzte das Publikum die Halbzeitpause, um die Blase zu entleeren und sich Nachschub an Bier und Hotdogs zu beschaffen. Auf all das hatten die Besitzer dieser von Wut und teilweise auch Hass verzerrten Gesichter, die ich auf den Rängen um uns sah, verzichtet, um mich verlieren zu sehen.

Ich spuckte auf den Rasen. Die Flüssigkeit in meinem Mund war wieder da, die Pfiffe und »Marco, du Arschloch!«-Rufe waren genau, was ich brauchte, um die Situation so richtig zu genießen. Ich fühlte mich wieder wie damals zu Schulzeiten. Nur, dass ich diesmal selbst auf dem Platz stand und den Mob gegen mich hatte. Ein geiles Gefühl.

Während ich mir die Tormannhandschuhe überstreifte, suchte ich Blickkontakt mit meinen vier Mitspielern. Sie bemühten sich, cool zu wirken, aber ich befürchtete, dass der eine oder andere von ihnen womöglich die Hosen voll hatte. Nun, das würde sich gleich herausstellen. Als Kapitän hatte ich mir die Doppelbelastung zugemutet, sowohl selbst zu schießen, als auch bei den Schüssen unserer Gegner im Tor zu stehen.

Von den fünf Schüssen konnte ich immerhin einen parieren. Dem gegnerischen Torwart erging es genauso, oder besser gesagt: Berni, einer meiner besten Freunde und Teil unseres Teams, war so nervös, dass er froh sein musste, die Kugel überhaupt ungefähr Richtung Tor getreten zu haben.

Auch der Schiedsrichter war nicht unbedingt auf unserer Seite. Als mein Freund Marco mit Schießen an der Reihe war (ja, er heißt wirklich so) und den Ball sicher versenkte, erklärte der Schiedsrichter den Schuss aus irgendeinem Grund, den keiner verstand, für ungültig und bestand darauf, dass der Elfmeter wiederholt wurde. Jetzt lastete natürlich doppelter Druck auf Marco, und ich hatte ein ganz übles Bauchgefühl, dass er verschießen würde. Aber er behielt die Nerven und versenkte den Ball ein zweites Mal – unhaltbar für den gegnerischen Torwart. Menschen, die Marco heißen, sind eben oft coole Hunde.

So ging es jedenfalls ins Stechen, und als die Rampensau, die ich nun einmal bin, nominierte ich mich selbstverständlich als ersten Schützen unseres Teams. Zuerst aber musste ich selbst noch einmal die Handschuhe anlegen.

Von der Tribüne regnete es Feuerzeuge, während ich ins Tor spazierte, um mich ein weiteres Mal zwischen die zwei Stangen zu stellen. Die Buhrufe waren jetzt noch lauter, und ich genoss jeden einzelnen Schritt. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich den gegnerischen Schützen. Er schluckte gut sichtbar, während er sich den Ball zurechtlegte und vermied jeden Augenkontakt.

»Schreit nur noch lauter«, dachte ich, »je mehr ihr buht, umso mehr Druck hat der Kleine.«

Der Schütze lief an. Ich beschloss, so lange wie möglich stehen zu bleiben und erst zu springen, wenn ich zu erkennen meinte, wohin er schießen würde. Als ich gerade dabei war, mich für die linke Ecke zu entscheiden, sah ich, wie der Fuß des Schützen tief unter den Ball fuhr und die Kugel hoch vom Boden abhob.

»Entweder geht der ins Kreuzeck, oder drüber«, schoss es mir durch den Kopf, während ich in der falschen Ecke auf den Rasen krachte. Ein Raunen ging durchs Stadion. Ich drehte den Kopf. Kein Ball zappelte im Netz. Der Schütze schlug die Hände vors Gesicht. Er hatte drübergeschossen.

Jetzt musste ich nur noch selbst verwandeln, und die Sache war gelaufen.

Ich habe in meiner Jugend vereinsmäßig Fußball gespielt, inzwischen kicke ich noch maximal einmal die Woche. Aber meine Elfmeter-Taktik habe ich mir schon als junger Bursche angewöhnt und seither nicht mehr geändert. Ich schieße scharf in die rechte Ecke und versuche dabei, den Tormann durch eine Körpertäuschung in die falsche Richtung zu schicken. Erwischt er die richtige Ecke, dann ist der Schuss meistens immer noch hart und platziert genug, um dem Goalie keine Chance zu geben.

Da ich an diesem Tag als einer von fünf Schützen bereits geschossen und getroffen hatte, kannte der Nachwuchstormann von Sturm Graz meine Technik bereits. Ich beschloss trotzdem, das Ganze noch einmal so durchzuziehen, wie ich es einstudiert hatte. Die Pfiffe waren so laut, dass ich eigentlich überhaupt nichts mehr hörte. Ich konzentrierte mich einzig und allein auf meine Aufgabe, die darin bestand, mit einem Tor die meistgehasste Person dieses Tages im Raum Graz zu werden.

Anlauf, Körpertäuschung, harter Schuss.

Tor! Der Tormann war tatsächlich in die falsche Richtung gesprungen. Entweder er war zu nervös, um sich an meinen ersten Schuss zu erinnern, oder er hatte geglaubt, dass ich nicht die Nerven habe, ihn zweimal mit demselben Trick zu foppen.

Tja, falsch gedacht. Team Marco Wagner: 1, Sturm Graz: 0! Meinen Torjubel hatte ich mir natürlich bereits zuvor zurechtgelegt. Ich lief genau auf die Fankurve von Sturm Graz zu und ließ mich dort plötzlich wie ein toter Fisch zu Boden fallen. Meine vier Freunde rannten mir nach und begruben mich jubelnd unter sich.

»Das ist also das Leben eines Facebook-Stars«, dachte ich, während das Gewicht über mir zunahm und ich immer noch die laut gellenden Pfiffe und Buhrufe hörte. »Könnte schlechter sein.«

Wenn ich diesen Elfmeter nicht verwandelt hätte, dann hätte ich bestimmt einige Nächte sehr schlecht geschlafen. Es ging dabei auch nicht nur um die Ehre, es war eine Wette: Hätte ich verloren, dann wäre ich gezwungen gewesen, mich einen ganzen Tag lang in den Fanshop von Sturm Graz zu stellen und Merchandise-Artikel an die Fans zu verkaufen. Wahrscheinlich wäre ich in diesem Fall von jedem einzelnen Fan mit Häme dafür überschüttet worden, das Elfmeterschießen verloren zu haben.

Nun, da wir gewonnen hatten, sah die Sache allerdings etwas anders aus. Auch Rapid stellte in der zweiten Halbzeit noch auf 2:0, und ich feierte beide Siege bis in den späten Abend. Am nächsten Tag war ich zwar verkatert, aber das Video meines Triumphes auf meine Facebook-Seite hochzuladen und zuzusehen, wie die Likes in den fünfstelligen Bereich kletterten, vertrieb meine Kopfschmerzen besser als jede Medizin.

»Ich fühl mich heute so großzügig«, sagte ich zu meiner Freundin, die froh war, dass ich es endlich aus den Federn geschafft hatte.

»Du willst mir was schenken?«, fragte sie, und Sonnenschein machte sich auf ihrem schönen Gesicht breit.

»Äh … nein. Eigentlich wolle ich sagen …«

Und schon war der Sonnenschein wieder weg.

»Versprich keine Sachen, die du dann nicht hältst, Marco!«, sagte sie.

»Aber ich hab doch gar nicht …«

Sie war bereits im Nebenzimmer verschwunden. Ich notierte mir im Kopf, Dinge, die ich zu mir selbst sagen wollte, nicht mehr laut auszusprechen, sondern nur zu denken, und übte gleich einmal fleißig: »Hätten wir das Elferschießen verloren, dann wäre es mir saumäßig peinlich gewesen, als Loser dort im Fanshop zu stehen. Aber jetzt, wo wir gewonnen haben und auch Rapid gewonnen hat …«

Das war es, was ich mit Großzügigkeit gemeint hatte. Ich sah mich schon im Grazer Fanshop stehen, von allen als guter Gewinner geehrt, der eine Wettschuld begleicht, die gar nicht vorhanden ist. Alles, was ich persönlich im Handverkauf einspielte, sollte schließlich der U14 von Sturm Graz zu Gute kommen. Marco Wagner, der selbstlose Förderer des österreichischen Nachwuchsfußballs.

Na ja, vielleicht hatte ich mich etwas zu sehr in diese Fantasie verliebt. Zwar nahm Sturm Graz mein Angebot zunächst hocherfreut an, aber letzten Endes fand die Sache nicht statt. Als der Club die Aktion auf seiner Facebook-Seite ankündigte, hagelte es Drohungen von einigen Spinnern, die ankündigten, mich einmal so richtig auseinandernehmen zu wollen, wenn ich im Sturm Fanshop auftauchen sollte. Leider gibt es unter den Fußballfans einige Idioten, und im Gegensatz zu Facebook lassen sie sich in der realen Welt nicht mit einem einfachen Klick blockieren.

Mein Samaritertum für die Fußballjugend kam damals also nicht zustande. Aber immerhin bleibt der Welt und mir das Video meines Triumphes erhalten, solange es Facebook gibt.


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