Читать книгу Slavkos Reise - Marga Rodmann - Страница 8
Оглавление3. Kapitel: Zu viel Menschliches
Ein Geräusch reißt Slavko aus seinen Träumen und lässt ihn aufhorchen. Es kommt aus dem Himmel über ihm. Es nähert sich und macht einen fürchterlichen Krach, der immer lauter wird. Slavko blickt durch die Zweige der Fichten hindurch und sieht etwas großes Dunkles am Himmel, das kurz näherkommt und sich dann wieder entfernt. Wie ein großer Vogel. Nur viel, viel größer und lauter. Ohne nachzudenken folgt er der Richtung, in die es geflogen ist. Obwohl er das Ding am Himmel längst nicht mehr sehen oder hören kann, läuft er immer weiter durch den hellen Tag. Denn er fühlt sich gut dabei. Er befindet sich tief im Wald, nur unterbrochen von kleinen offenen Flächen inmitten des Waldes und von kleinen Bändern, die nicht grau, sondern braun sind. Sie riechen nach Waldboden und er kann nichts Menschliches darauf wahrnehmen. So läuft er entspannt weiter und hat keine Ahnung, wie viel Zeit in der Zwischenzeit vergeht.
Als die Schatten mehr und mehr das Licht verdrängen, wehen unbekannte Geräusche und Gerüche zu ihm herüber. Er geht davon aus, dass es menschliche Geräusche sind. Ein weiteres graues Band und mehrere Behausungen tauchen in der Ferne auf. Erst einzelne, versprenkelt in der Landschaft sitzende. Dann werden es immer mehr. Sie rotten sich zusammen, bis sie in größeren Haufen ganz dicht beieinanderstehen. Er ist sich sicher, dass er sich der großen Ansammlung nähert, die er von dem Hügel am Vortag gesehen hat. Er ändert seine Richtung, um genügend Abstand zu wahren. Allmählich wird es dunkler, so dass er wieder zum Schatten wird und sich sicherer bewegen kann.
Doch die Sicherheit der Dunkelheit ist diesmal trügerisch. Denn der Wald lichtet sich und die Behausungen häufen sich nach wie vor. Wieder ändert er seine Richtung und gelangt auf eine langgezogene Wiese. Es ist Niemand zu sehen. Aber von überall her drängen Geräusche auf ihn ein. Als wären die Geister der Menschen hier überall in der Luft, um anzuzeigen, dass er sich in ihrem Revier befindet. Vielleicht haben sie eine andere Methode dafür und markieren ihre Reviere mit ihrem Krach, so wie die Wölfe ihre Reviere mit ihrem Urin markieren.
Geduckt schleicht Slavko weiter bis an einen weiteren kleinen Fluss, den er vorsichtig durchquert. Der Fluss führt sehr wenig Wasser, so dass nur Slavkos Pfoten von dem kalten Wasser umspült werden. Diesmal bleibt er in der Mitte stehen und trinkt ein wenig, bevor er schnell weiterläuft und sicher die andere Seite erreicht.
Als er den Wall dahinter erklommen hat, sieht er, was dort ist. Die Richtungsgeber für die schnaufenden Schlangen der Menschen, die immer nur der vorgegebenen Spur folgen können. Der Spur, die Slavko hier vor sich sieht. Doch diesmal liegen die Richtungsgeber ruhig und verlassen da, daher trabt Slavko einfach über sie hinweg. Vorsichtshalber achtet er darauf, dass er die Stränge selber nicht berührt. Nicht dass sie ihn fassen und auch ihn dazu zwingen, sich nur noch in der von ihnen gewünschten Bahn zu bewegen. Aber sie rühren sich nicht. Lassen ihn ungerührt weiterziehen.
Gleich dahinter ist wieder ein großes Band der Menschen, auf dem sich einige Rennhilfen bewegen. Dennoch überquert Slavko es ohne weiter darüber nachzudenken, denn weiter vorne sind schon wieder einige Behausungen der Menschen.
Diese Region behagt ihm ganz und gar nicht. Er will zusehen, dass er möglichst schnell wieder in eine andere Landschaft kommt. Da er aber auf keinen Fall umdrehen will, läuft er einfach weiter. Er taucht zwar wieder in ein bewaldetes Gebiet ein. Doch der Wald ist hier noch viel lichter als zuvor und der Krach der Menschen ist immer noch allgegenwärtig und scheint sich in jedem Haar seines Fells festzusetzen.
Eine besetzte Zone, die er möglichst schnell durchqueren will. Er hofft nur, dass diese Zone nicht unendlich groß ist. Auf dem Wall vor den Richtungsgebern der schnaufenden Schlangen konnte er trotz Dunkelheit erahnen, dass er den Bergen, die er zuvor schon aus weiter Ferne gesehen hatte, nähergekommen ist. Er hofft darauf, dass es dort ruhiger sein wird. Dass die Menschen sich lieber in den Tälern und Niederungen aufhalten.
Doch zunächst muss er schon wieder ein graues Band überqueren. Er entscheidet sich schnell, zwischen zwei Rennhilfen hindurch zu schlüpfen, und springt auf das graue Band. Plötzlich ist der Abstand zwischen den beiden viel kleiner, als noch Sekunden zuvor. Panisch springt er in die Höhe, zur Seite und dann in gestrecktem Galopp nach vorne. Eine der Rennhilfen ist ihm dabei so nahegekommen, dass er glaubt, schon ihren Luftzug gespürt zu haben. Die Rennhilfe schlingert in Kurven dahin und wäre beinahe mit der zweiten Rennhilfe zusammengestoßen. Es quietscht und ächzt aus ihnen. Sie werden langsamer und bleiben schließlich laut zischelnd stehen. Die Menschen krabbeln aus ihnen heraus und fangen an zu brüllen.
Slavko ist irritiert hinter dem grauen Band stehen geblieben und schaut die Menschen an. Sie sind so nah, wie er ihnen noch nie gekommen ist. Er ist neugierig, hat aber auch Angst. Der Eine ist groß und dünn, der zweite klein und dick. Der dritte, es scheint ein Weibchen zu sein, hat ein unglaublich großes Gesäuge. Sie hat es zwar mit unechtem Fell bedeckt. Doch das ist so dünn, dass er die darunterliegende Masse wackeln sieht. Alle drei sind plötzlich verstummt und starren ihn an. Das steigert seine Angst. Als das Menschenweib den Arm in seine Richtung ausstreckt und laute Geräusche von sich gibt, dreht er sich um und rennt davon.
Nur wenig später kommt er an einen breiten Fluss, der träge vor sich hinfließt. Dort wagt er es, stehen zu bleiben und seine Nase schnuppernd in die Richtung zu strecken, aus der er gerade gekommen ist. Niemand ist ihm gefolgt. Dann blickt er an beiden Seiten des Flusses entlang und macht in jede Richtung ein paar Schritte. Doch immer wieder hört er Menschen in der Ferne. Also läuft er wieder zurück zu der Stelle, an der er anfangs auf das Wasser getroffen ist und watet vorsichtig hinein. Er ist kalt und so tief, dass Slavko schwimmen muss. Da der Fluss aber kaum Strömung hat, ist er schnell auf der anderen Seite. Das Ufer dort ist schlammig. Der Schnee ist weg und der Boden aufgeweicht. Daher gleitet er aus und rutscht zurück ins Wasser. Bei seinem zweiten Versuch ist er aufmerksamer und erreicht den festen Boden ohne Probleme. Dort schüttelt er sich das kalte Wasser aus dem Fell und überlegt, in welche Richtung er weiterlaufen soll.
Die ersten Anzeichen der Dämmerung zeigen sich bereits wieder. Da er schon mitten am Tag losgelaufen ist, wird es Zeit, dass er sich nochmal ein wenig ausruht. Doch sein Magen meldet sich. Er würde liebend gerne etwas Essen. Da der ganze Tag so aufregend war, hat er unterwegs nicht einmal nach einer Maus Ausschau gehalten. Er läuft ein Stück in den lichten Wald hinein und hat das Gefühl, dass der Lärm der Menschen dort ein wenig gedämpfter zu spüren ist. Er entspannt sich etwas. Fühlt sich leichter. Fühlt sich erleichtert.
Mit federnden Schritten trabt er noch ein wenig weiter. Dorthin, wo der Wald endlich wieder ein wenig dichter wird und mehr Schutz bietet. Dort will er ein wenig verweilen. Keine Aufregung mehr erleben und keine Energie mehr verbrauchen. Also beschließt er, sich gleich einen netten Schlafplatz zu suchen. Die Mäuse sollen heute von ihm verschont bleiben. Immerhin ist es noch nicht lange her, dass er ein ganzes Reh verspeisen konnte.
Schnell hat er eine wunderbare Stelle gefunden. Eine kleine Senke zwischen niedrigen Fichten. Der Boden ist bedeckt mit altem Buchenlaub. Darauf rollt er sich zusammen, die Schnauze zwischen den Vorderpfoten. Das Spiel des schwindenden Lichts, das kleine und große Schatten auf ihn wirft, lässt ihn nahezu unsichtbar werden und mit dem Untergrund verschmelzen.
Als die Sonne ganz verschwunden ist und der Mond sein bizarres Licht verströmt, träumt Slavko von Rehen und Mäusen. Plötzlich drängt sich die Erinnerung an den Anfang seiner Reise dazwischen, als er diese besonders großen grauen Bänder der Menschen überwinden musste. Das fühlt sich mittlerweile ganz weit weg an. Seitdem hat er schon so viele graue Bänder überquert, dass er sie gar nicht mehr zählen kann. All das, was mit den Menschen zu tun hat, ist ihm nicht vertrauter geworden. Im Gegenteil. Diese Dichte an Behausungen und der ständige Lärm um sie herum beunruhigen ihn immer noch sehr. Es fühlt sich zwar nicht mehr lebensbedrohlich an, aber ihm wäre es immer noch lieber, es gäbe keine Menschen. Sie sind ihm nicht geheuer und er kann überhaupt nicht einschätzen, was sie tun, wenn er welche sieht. Er will nicht in ihrer Nähe sein. Dennoch will er unbedingt seine Reise fortsetzen. Auf keinen Fall will er hierbleiben oder gar umkehren. Zumal er in seinem heimatlichen Revier auch immer wieder auf Menschen gestoßen ist.
Slavko hebt seinen Kopf und schnuppert in die Luft. Der Mond hat sich schon wieder verabschiedet. Die Schatten erwachen aus ihrem Schlaf und werden allmählich ein wenig heller. Zwischen ihnen wuselt es. Und es riecht gut. Mäuse huschen umher. Kleine Leckerbissen, die er sich nun nicht mehr entgehen lassen will. Vorsichtig dreht er sich auf die Füße und schleicht um die Fichte, neben der er gelegen hat. Dann springt er vor und drückt die Schnauze zwischen den Blättern hindurch. Er hat bereits das Fell einer Maus berührt. Dennoch ist sie ihm entwischt. Jetzt wuselt es überall um ihn herum. Schnell entscheidet er sich für eine Geräuschspur links von sich und springt erneut mit gesenkter Schnauze vor. Diesmal hat er die Maus. Einmal nachfassen und herunter schlingen. Weg ist sie. Weiter vorne wuselt es nach wie vor. Wieder entscheidet er sich schnell für eine Geräuschspur und stößt zu. Sein zweiter Snack ist genauso schnell verzehrt und rutscht dem ersten hinterher, bevor dieser den Magen erreichen konnte.
Zufrieden streckt sich Slavko und setzt zu einem morgendlichen Heulen an. Doch bevor der Ton richtig in die Höhe kommt, bricht er wieder ab. Er ist zu dicht umgeben von dem ganzen Menschlichen. Da sollte er lieber vorsichtig sein und nicht unnötig seine Position verraten. Sicher ist sicher. Erst im tieferen Wald will er sich dieser Freude wieder hingeben. Oder in den großen Bergen, von denen er immer noch hofft, dass dort überhaupt keine Menschen sind.
Zumindest in den höheren Höhen. Sie sind ja eher ungeschickt und behäbig. Ohne ihre Rennhilfen kommen sie nur langsam vorwärts. Und die Rennhilfen brauchen offensichtlich diese grauen Bänder. Auch sie sind nicht frei in ihrer Laufbahn. Ähnlich wie die schnaufenden Schlangen der Menschen. Dennoch will Slavko sich weiterhin vor ihnen in Acht nehmen. Vor den Rennhilfen, die sehr plötzlich auftauchen können. Und vor den Menschen, die trotz ihrer Behäbigkeit schlau und geschickt sein sollen. Das haben ihm seine Eltern beigebracht, die es von anderen Altwölfen wissen. Was er von ihnen gelernt hat, nimmt er auch jetzt noch ernst. Er möchte auf keinen Fall leichtfertig werden.
Slavko findet einen kleinen Bach, an dem er seinen Durst stillen kann. Dann läuft er wieder los. Als der Wald sich lichtet, ändert er seine Richtung. Aber nur ein wenig, denn er will sein einstweiliges Ziel – die Berge, die er aus der Ferne gesehen hat – nicht aus den Augen verlieren. Nach kurzer Zeit steht er erneut vor einem dieser ganz großen grauen Bänder. Diesmal befinden sich am Rand keine seltsamen Gebilde, sondern es ist frei zugänglich. Zahlreiche Lichter huschen darauf umher. Sie gehören zu den Rennhilfen. Das hat Slavko schon herausgefunden. Die Lichter sind immer auf die grauen Bänder gerichtet. Abseits davon bleibt es dunkel. Aber die Rennhilfen sind schnell. Und hier sind es so viele, dass Slavko verzagt und sich nicht traut, das graue Band zu überqueren. Er legt sich auf den Bauch und beobachtet das Treiben auf dem Band eine Weile.
Es werden nicht weniger. Eine Rennhilfe nach der anderen rennt über das graue Band. In die eine Richtung und in die andere Richtung. Wie eine große Ameisenkolonie, die eine neue Futterquelle entdeckt hat. Nur scheinen die Menschen nicht aufhören zu wollen mit ihrem Hin- und Her-Gerenne. Sie haben offensichtlich eine niemals versiegende Nahrungsquelle gefunden, von der sie nicht genug bekommen können. Und anstatt das zu genießen, was sie haben, rennen sie immer wieder los, um noch mehr davon zu bekommen. Was auch immer es ist, es erscheint Slavko nicht gesund, so zu leben. Slavko schüttelt sich. Vielleicht sind das auch ganz dumme Gedanken. Er kennt die Menschen ja nicht und weiß nicht, was sie wirklich machen.
Eine große, laute und besonders stinkende Rennhilfe nähert sich. Sie ist langsam, die anderen bleiben alle hinter ihr. Sie dürfen wohl nicht an diesem Anführer vorbei. Das ist Slavkos Chance. Schnell stürmt er hervor und rennt vor dem großen rollenden Wesen in die Mitte des Bandes. Es brüllt mit einem dunklen anhaltenden Ton, während Slavko über die zweite Hälfte des Bandes rennt. Doch das Gebrüll interessiert Slavko nicht mehr. Er ist schon auf der anderen Seite angekommen und in den Schatten der Büsche eingetaucht, ehe der lange tiefe Ton verklingt. Mit rasendem Herz erkennt er, dass gleich dahinter noch so ein graues Band liegt. Dass er das Ganze nochmal durchmachen muss. Das zweite Band ist zum Glück weniger voll, so dass Slavko weiter huschen kann, ohne erneut gesehen zu werden. Sein Herzschlag normalisiert sich und er setzt seinen gewohnten Trab fort.
Nach kurzer Zeit gelangt er auf eine offene Wiese, in deren Mitte sich eine Absperrung befindet. Sie ist dünn und löchrig. Slavko kratzt daran. Doch das nutzt nichts. Mit seinen Zähnen bekommt er die dünnen Streifen zu fassen. Einige von ihnen kann er ein klein wenig verbiegen. Andere sind auch dafür zu fest und starr, obwohl sie so dünn sind. Letztendlich macht das Ganze aber überhaupt keinen Sinn. Er vergrößert die Löcher nur so geringfügig, dass gerade mal eine Maus hindurchkommen würde. Dieses Hindernis lässt sich nicht beseitigen. Eine Weile läuft Slavko daran hin und her. Er möchte auf die andere Seite und dort seinen Weg fortsetzen. Aber das scheint unmöglich. Er versucht, daran hochzuspringen, um darüber zu klettern. Doch es ist zu hoch. Viel zu hoch. Auch darum braucht er sich nicht weiter zu bemühen.
Plötzlich kracht es laut und es wird ganz hell. Grelles Licht flutet um ihn herum. Kurz erstarrt er vor Angst, dann rennt er davon. An dieser Sperre entlang, weg aus dem grellen Licht, das er sich nicht erklären kann. Die Sonne ist untergegangen und taucht nicht so unvermittelt und gleißend wieder auf. Auch würde sie viel höher am Himmel stehen. Die kann es also nicht sein.
Das Licht verfolgt ihn. Rennt hinter ihm her. Aber es erwischt ihn nicht mehr. Er ist schneller. Irgendwann kommt er erneut an ein graues Band, das er einfach überrennt. Dahinter ist die Sperre verschwunden und auch das Licht kommt nicht mehr hinter ihm her.
Erst ist er erleichtert. Doch dann bemerkt er, dass er in die falsche Richtung gerannt ist. Er ist ganz in der Nähe von der Stelle, an der er vor der Begegnung mit der löchrigen Sperre auch schon gewesen ist. Frustriert lässt er sich nieder, wo er gerade ist und legt den Kopf auf seine Vorderpfoten. Die Sperre ist riesig und er weiß nicht, wie er sie überwinden soll oder welche Richtung er stattdessen einschlagen soll. Da er hier aber nicht bleiben will, kriecht er vorsichtig auf seiner eigenen Fährte entlang, die er zuvor hinterlassen hat, bis er diese Lochwand in der Ferne wieder erahnen kann.
Da riecht er etwas. Interessant. Bekannt. Auch wenn er nicht sofort darauf kommt, was es ist. Vorsichtig schleicht er in die Richtung. Dann sieht er zwei rote Wesen, die miteinander rangeln. Zwei kleine Füchse. Eine Weile lang beobachtet er sie. Sie rennen um ein Bäumchen und fangen ihre buschigen Schwänze. Dabei quieken sie und purzeln übereinander. Selbst in dem wenigen Licht ist das Rot ihres Felles deutlich zu erkennen. Sie gefallen ihm.
Daher beschließt er, sich ihnen zu zeigen. Vorsichtig nähert er sich den beiden. Offen, mit erhobener Rute und glattem Gesicht. Die zwei Füchse halten inne und sehen ihn an. Als er noch einen Schritt näherkommt, entfernen sie sich ein paar Meter und geben ein bellendes Geräusch von sich. Jetzt erkennt Slavko, dass es ein Paar ist. Sie wollen für sich sein.
Also zieht Slavko sich wieder zurück. Was sollte er auch mit Füchsen anfangen. Sie sind doch zu anders, auch wenn er sie sympathisch findet und gerne gemeinsam mit ihnen herumgetollt wäre. Wenigstens für eine kleine Weile.
Ist das ein Zeichen dafür, dass er einsam ist? Hätte er doch bei seiner Familie oder zumindest in deren Nähe bleiben sollen? Aber wofür in der Nähe? Was hätte er davon gehabt? Sie wären dennoch nicht mehr zusammengekommen. Slavko hat keinen seiner älteren Geschwister je wiedergesehen.
Aber er hätte sie immer wieder hören können und sie ihn. Man hätte sich sicher sein können, dass die anderen noch leben. Ob er sie dann nicht doch auch hätte besuchen können? Bisher war zwar noch keiner seiner Geschwister wiedergekommen und er hatte noch keinen, der abgewandert war, je wiedergesehen. Aber hieß das auch gleich, dass das nicht möglich war?
Er hätte es einfach anders machen können. Anders als die meisten macht er es auch jetzt, indem er in die weite Ferne geht. Dorthin, wo noch keiner seiner Geschwister gegangen ist. Obwohl er das natürlich nicht wissen kann. Er kennt ja keine der Routen, die seine Geschwister genommen haben. Aber Niemand hat zuvor schon deutlich gemacht, dass ihn die weite Ferne reizt.
Verwirrt hält Slavko inne. Als er mit seinen Gedanken beschäftigt weitergelaufen ist, ist er unbemerkt wieder an die löchrige Sperre gekommen, da er dem Duft seiner alten Spur gefolgt ist. Schnell weicht er zurück in den Schatten einiger Büsche, um sich zu orientieren. Es ist schon recht hell geworden. Unbemerkt hat sich der Tag angeschlichen. Jetzt erkennt Slavko auch, dass sich hinter der Sperre riesige kurzgefressene Wiesen mit zahlreichen breiten grauen Bändern befinden. Weiter entfernt brummt es laut und ein Ungeheuer, das wie ein übergroßer Vogel aussieht, bewegt sich dort langsam vorwärts. Als er genauer hinsieht, sieht er weiter hinten noch mehr davon. Ob das dieselben Riesenvögel sind, von denen er eines bereits über sich am Himmel gesehen hat?
Zügig zieht er sich tiefer in die Schatten der Büsche zurück. Bei diesem hellen Licht will er nicht weitergehen. Er will lieber im Verborgenen bleiben und warten, bis die Dunkelheit ihn umhüllt und unsichtbar macht. Momentan machen ihn zum Glück die einigermaßen dunklen Schatten der Büsche auch einigermaßen unsichtbar, so dass er sich zusammenrollen und die Augen schließen kann.
Er schläft unruhig. Er träumt davon, mit den Füchsen auf Jagd zu gehen, bis sie diesen Riesenvögeln zu nah kommen und sie die Füchsin auffressen. Er und der Fuchs rennen weg. Das Ungeheuer hinterher. Es kommt dem kleinen Fuchs mit seinen kurzen Beinchen immer näher.
Als es ihn fast erwischt hat, wacht Slavko auf und sieht tatsächlich die beiden Füchse in der Nähe der Sperre. Sie bewegen sich ganz unbefangen. Nichts ist passiert. Keine Sonne leuchtet plötzlich auf.
Also wagt auch Slavko sich hervor und trabt an dem Zaun entlang. In die gleiche Richtung wie anfangs, bevor er in die falsche Richtung weggerannt ist. Aber er hält vorsichtshalber mehr Abstand.
Als das grelle Licht erneut, begleitet von einem lauten Geräusch, auftaucht, rennt er wieder los. Diesmal achtet er aber darauf, nicht abermals die falsche Richtung einzuschlagen, sondern weiter zu laufen. Auch diesmal rennt ihm das Licht hinterher. Auch diesmal ist er schneller als das Licht. Zügig sprintet er dahin, diesmal allerdings ohne die Panik, die ihn am Vortag begleitet hat. Als die Sperre einen Knick macht, rennt er gerade aus weiter über eine Wiese, einen kleinen Bach und ein graues Band hinweg, das dunkel und verlassen daliegt. Dahinter folgt hohes Gras mit einzelnen Büschen und Bäumen. Nicht sehr dicht. Aber in der Dunkelheit dient ihm das als ausreichender Schutz, um anzuhalten und erst nochmal in Ruhe durch zu schnaufen. Er überlegt, was das alles zu bedeuten hat, kommt aber zu keinem Ergebnis.
Nach diesem unangenehmen Erlebnis läuft er zielstrebig weiter Richtung Norden. In Richtung der Berge, die er vor langer Zeit das letzte Mal gesehen hat. Er hofft, dass er ihnen nähergekommen ist. Dass sie nicht mehr so weit weg sind. Dass er sie vielleicht erreichen kann, bevor er sich das nächste Mal schlafen legt. Zu ihren Füßen möchte er sich das nächste Mal zusammenrollen. Das würde ihm gefallen.
Bald kommt er an einen kleinen Fluss, der ruhig und verlassen vor sich hinplätschert, so dass er ungestört verweilen und trinken kann. Er möchte nun doch erst mal eine Pause machen. Aber das undefinierbare Lärmgemenge der Menschen ist hier immer noch so durchdringend, dass Slavko sehr unruhig ist und nicht richtig ausruhen kann. Er versucht, die Ruhe des Flusses in sich aufzunehmen. Aber es gelingt ihm nicht.
Die Geräusche einiger Menschen werden deutlicher und zeigen an, dass sie in der Nähe sind. Laut und unangenehm dringen Stimmen, Getrampel und der Lärm der Rennhilfen an sein Ohr. Vermengt mit weiteren Geräuschen, die er nicht erkennt, aber ebenso den Menschen zuordnet. Also bricht er wieder auf. Erneut sieht er viele Behausungen der Menschen. Er läuft nah an ihnen vorbei, auch wenn sie sich hier wieder zusammengerottet haben. Aber im diffusen Licht des abgewandten Mondes hat er zuvor einen Blick auf die Berge, denen er sich entgegensehnt, erhaschen können. Sie sind tatsächlich schon ganz nah. Wenn er sich beeilt, kann er bald bei ihnen sein. Seine Sehnsucht treibt ihn dazu, keine weiteren Umwege mehr zu machen.
Eine Weile läuft er am dunklen Rand eines grauen Bandes entlang, an dem auf der anderen Seite einige Behausungen stehen. So nah ist er ihnen nie zuvor gekommen. Vor den Behausungen stehen die Rennhilfen. Sie dürfen offensichtlich nicht mit ins Innere. Er hört kleine Menschenwelpen schreien und Hunde bellen. Im Gegensatz zu den Rennhilfen dürfen die Hunde mit hinein in die Behausungen.
Slavko schnuppert in die Luft. Alle Gerüche sind intensiv, aber nicht frisch. Auch die Geräusche sind zahlreich und laut, aber gedämpft. Niemand ist in seiner Nähe zu sehen. Seine Neugierde siegt über seine Angst. Er nimmt all seinen Mut zusammen und geht näher an eine Behausung heran. Er steht nun direkt vor einer Rennhilfe und schnuppert daran. Es riecht warm, aber tot. Ein wenig nach den grauen Bändern. Den Rest kann er nicht zuordnen. Aber auf jeden Fall tot. Wie können sie sich nur bewegen, wenn sie nicht leben? Was haben die Menschen sich da ausgedacht?
In der Nähe öffnet sich eine Behausung und Licht strömt heraus. Ein Mann erscheint dort und betritt das graue Band. Slavko duckt sich in den Schatten der Rennhilfe. Der Mann, der wie alle Menschen auf seinen Hinterbeinen steht und geht, schwankt hin und her als sei er verletzt. Er hat etwas in seiner Vorderpfote, das er zu seinem Mund führt.
„Beni“, dröhnt es durch die Nacht. „Wo bist du? Komm sofort zurück!“ Der Mann stolpert und fällt hin. Mit dem Gesicht zum Boden liegt er da und stöhnt. Slavko ist so neugierig, dass er es wagt, sich diesem verletzten oder tollpatschigen Wesen zu nähern. Er kommt ganz nah heran, duckt sich und schnuppert an dessen Gesicht. Der Mann stützt sich auf die Vorderpfoten und hebt den Kopf. Er blickt Slavko an, blinzelt und schüttelt ein wenig den Kopf. Dann fängt er an zu brüllen. So laut, dass Slavko zurückschreckt und davonspringt. Während er das graue Band ein Stück entlangläuft, wird es in einigen Behausungen heller und sie öffnen sich. Menschen blicken hinaus. Einige treten auf das graue Band. Sie brüllen ebenfalls. Schnell rast Slavko weiter und hechtet auf der anderen Seite, wo sich keine Behausungen mehr befinden, einen bewachsenen Hang hinauf. Gleich dahinter ist eine Wiese, die er zügig überquert.
Kurz darauf ist er wieder in den schützenden Wald eingetaucht. Dennoch rennt und rennt er immer weiter, bis ihm auffällt, dass das Gelände immerzu ansteigt. Auf einer freien Fläche hält er endlich an, um sich zu orientieren. Die vielen Ansammlungen menschlicher Behausungen liegen bereits deutlich unter ihm und strecken sich dort tröpfchenweise bis ins Unendliche aus. Wo er steht, ist es wieder eben. Aber vor ihm geht es erneut bergauf. Er ist am Fuße der Berge angekommen. Er hat es geschafft.