Читать книгу Die steinernen Türme - Margarete Hachenberg - Страница 5

Nahendes Unheil

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„Es ist leider, Gott erbarme, nicht nur in den Nachbarorten, nein, auch hier das grobe hochstrafbare Laster der Zauberei. Menschen wie Vieh werden bezaubert, vergiftet und umgebracht, worüber hier in Thierdorff oft geklagt wird. Diese Menschen müssen ermittelt und bestraft werden nach weltlichen und göttlichen Rechten. Darum bitten wir. Bisher geschah nichts auf diese Klagen und Bitten hin. Die Unholde trachten nach der Nahrung anderer und deshalb bitten wir, der Graf möge in Thierdorff einen Ausschuss bestellen. Dieser Ausschuss soll auf Kosten der Hexen und Hexenmeister genau diese ergreifen und verhaften und ihren Verbrechen gemäß mit Schwert und Feuer vom Leben zum Tod bestrafen. Dieses Unkraut muss ausgerottet und das Übel aus dem Land geschafft werden. Der arme Mann möge an Leib und Nahrung gesichert und beschützt sein.“

Graf Hermann II hob sein Haupt mit der Lockenperücke. Bisher brannte weder in Thierdorff noch in den Nachbarorten ein Scheiterhaufen. Trotz vieler Bitten konnte er sich bisher noch nicht dazu entscheiden, einen Hexenausschuss auszurufen. Jetzt blieb ihm keine andere Wahl. Er stand unter Druck, denn die Bürger drohten damit, Hexen und Unholdinnen mit ihren Holzäxten auf den Gassen zu erschlagen.

„Vielleicht“, so überlegte der Graf, der am Sekretär der Bibliothek saß und den Brief gelesen hatte, „ist es wirklich so, dass der Teufel uns regiert und mitten unter uns lebt, denn all das Elend kann doch nicht der Wille Gottes sein. Auch ich will mich auf die Seite unseres Herrn stellen, denn wer will schon ewig im Feuer der Hölle schmoren, wenn wir eines Tages diese Erde verlassen müssen? Dazu will ich auf keinen Fall gehören.“ Er runzelte die Stirn und überlegte fieberhaft.

Da gab es den Krieg, die Verwüstungen durch die einfallenden Soldaten, die Leute, die zu Tode gekommen waren, der Hunger, die Missernten und die Kälte, dazu noch die Pestilenz. Alle die, die sich mit dem Teufel und seinen Helfern einließen und sich mit ihm verbündeten, sollten zur Verantwortung gezogen werden. „Gottes Wille kann das wirklich nicht sein“.

Er dachte auch an die letzte Predigt in der Kirche. Was hatte der Priester noch gepredigt? Da ging es doch darum, dass es wohl hauptsächlich die Frauen sind, die für alle die Schäden zuständig sind, da sie sich mit dem Teufel einlassen. Wer weiß? Vielleicht ist da ja auch was Wahres dran.

„Um den geforderten Ausschuss zu bilden, bedarf es eines Amtsmannes, zwei Geschworener, eines Henkers und seines Knechtes, der die denunzierten Personen von Zuhause abholt und sie in den Kerker bringt“, so wanderten die Gedanken des Grafen weiter. „Wer kommt alles dafür in Frage?“ schoss es Hermann II durch den Kopf. Er stand auf und rief nach seinem Rat. „Jakob!“ schallte es durch die Mauern der Burg. Er drehte sich zur Türe aus Eichenholz und wartete auf eine Reaktion.

Forsche Schritte huschten über den Gang, ein Klopfen erschallte, dann öffnete sich die Türe zur Bibliothek.

„Eure Durchlaucht hat nach mir gerufen?“ ließ Jakob hören.

„Ich will einen Hexenausschuss bilden. Wer von den Bürgern Thierdorffs ist mir treu ergeben? Wer bringt regelmäßig und ohne Eintreibung sein Lehen?“ fragte er weiter. „Wer von den Bürgern ist gebildet und wer hat einen sehr guten Leumund?“

Jakob dachte nach. Seine Stirn legte sich in Falten. „Da gibt es nur einige wenige Leute, die dafür in Frage kommen. Für den Hexenausschuss eignen sich am besten Nikolaus Kohligsohn, Bastian Steltz, der Johann Rothback. Es sind Männer ganz ohne Tadel und zudem reiche Bauern. Ich muss darüber nachdenken, wer dafür noch in Frage kommt.“

Schnell bestimmte der Graf genau diese Leute für den Ausschuss, der fortan im Mittelturm Gericht halten sollte. Damit aber war der Ausschuss noch nicht vollständig, das würde der Graf noch nachholen.

Agathe eilte zum Lager, um den Männern des Heeres Brotlaibe zu bringen. Prasselnd loderte das Feuer am Friedhof gleich hinter der Kirche, über dem ein Eisenkessel an einer Holzstange hing. Zelte dienten als Nachtlager und als Schutz vor Regen, Hagel oder Graupel. Stroh lag aufgeschichtet, Pferde standen da, die mit Leinengurten an Pfosten gebunden waren. Tilly, der Feldmarschall und Heerführer gehörte der katholischen Liga an und seine Flagge, die im Wind wehte, zeigte die Gestalt der Heiligen Maria.

Ganz in der Nähe stand ein kahler Baum mit ausgestreckten Armen, an denen Menschen an knirschenden Stricken hingen. Vögel piekten mit ihren Schnäbeln an den Augen der auf Pfählen aufgespießten Köpfe. Diese Räuber waren von einem Richter zum Tode verurteilt worden, vor Gott mussten sie sich noch einmal rechtfertigen für ihre Schandtaten auf Erden. Sie waren Mahnmal für die Bürger der Stadt.

„Da geht sie wieder und macht gut Wetter. Huprecht, diese Hexe treibt ihr Unwesen nicht nur mit uns, auch mit diesen Söldnern. Selbst jetzt in diesem Krieg weiß sie sich noch aus jeder Schwierigkeit herauszuwinden.“ Greth sah Agathe nach und schüttelte ihren Kopf. Die Haube auf ihrem hochgesteckten Haar wandte sich mal nach rechts, dann nach links.

Agathe hatte es sehr gut angetroffen mit Thönges, ihrem Mann. Seit sie mit ihm verheiratet war, ging es ihr gut, sie war reich und angesehen trotz des Elends in dieser Zeit.

„Diese Schlange verhext sogar die Soldaten und verdreht ihnen die Köpfe. Fast täglich sehe ich sie dort.“ Huprecht flüsterte, so als könne Agathe seine Worte hören. „Ihr wisst doch sicher noch, wie Ihr sie vor ein paar Wochen im Wienawer Gebück beim Tanzen gesehen habt.“

„Na klar. Soll ich Euch das mal genau berichten?“ Greth drehte sich mehr zu ihrem Mann hin. „All das, was Gott erschaffen hat, vernichtet diese Hexe. Wisst Ihr was? Ich sah, wie Agathe sich in eine Eule mit solchen Glotzaugen verwandelte und auf einem Besen zum Hexentreffen flog.“ Greth zeigte ihrem Mann die Größe der Eulenaugen.

„Ich will alles genau wissen, jede Einzelheit.“ Huprecht platzte vor Neugier.

„Also gut. Es dämmerte bereits, die Nacht zog heran und ich sah an der Stelle Frauen, die sich sitzend um den Teufel scharten. Die Bäume waren kahl, gespenstig sah alles aus mit den knorrigen Ästen und Zweigen, die Stämme dick und gedrungen. Dort fand der Tanz der Hexen statt.“ Greth schaute ihrem Mann fest in die Augen.

„Wen hast du denn außer Agathe noch alles erkennen können?“ wollte Huprecht wissen.

„Da war die Resi, die alte Magd, die so gebeugt nach vorne ging. Auch sie fand sich zu dem Treffen ein. Alle anderen saßen mit dem Rücken zu mir. Die Gesichter habe ich nicht gesehen. Da gab es Hexen, die mit einem Besen durch die Luft flogen und mit dem der Satan ein Fest feierte.“ Greth überlegte und legte eine Pause ein. „Holz lag aufgestapelt auf dem Flecken zwischen den Bäumen, Feuer knisterte in der Dunkelheit. Als ich mich dann weiter umschaute, saß der Teufel aufrecht zwischen den Hexen in der Gestalt eines schwarzen Ziegenbockes mit geschwungenen Hörnern und einem Lorbeerkranz. Über dem Geschehen zog die Sichel des Mondes vor die schwarze Wolkendecke und die Sterne leuchteten. Schwarze Fledermäuse habe ich da fliegen sehen und hinter einer dieser Frauen sah ich einen Spieß, auf denen Leichen von nackten Kindern steckten.“

„Was hat sie denn auf dem Kerbholz?“ wollte Huprecht wissen und sah Greth mit großen Augen an.

„Agathe packte die Kuh des Johann Schmidt an einem ihrer Hörner, strich ihr mit der Hand etwas ins Maul. Die Kuh fiel um und war tot. Sie hat diese Kuh bezaubert.“ Greth schauderte.

„Da war der Teufel im Spiel! Das kann gar nicht anders sein.“ Huprecht konnte es gar nicht fassen. „Der Satan wütet auf der Erde herum und steckt auch in Agathe.“ Greth und Huprecht beobachteten alles ganz genau, was sich da im Lager abspielte. Agathe hielt gerade ihre Schürze auf.

„Diese Dirne! Gibt sich diesem Gesindel hin. Wo bleibt ihr Anstand?“ Greth glaubte nicht, was sie da sah.

Agathe indessen freute sich innerlich darüber, einen Weg gefunden zu haben, von diesem Krieg nicht aufgefressen zu werden. Ihrem Ludwig zuliebe brachte sie immer etwas von ihren Vorräten in das Lager, so blieben sie unversehrt und konnten ihrem Tagewerk nachgehen ohne ausgeplündert zu werden oder räuberischen Angriffen ausgeliefert zu sein. Ihr wäre es viel lieber gewesen, ihr Mann wäre gegangen und hätte die Lieferung ins Heereslager gebracht. „Wenn Thönges mich jedoch schickt, bin ich ihm ein gehorsames Weib.“ Ängstlich und zitternd trat sie den Rückweg an.

Greth und Huprecht beobachteten, wie Agathe ihren Rock des Kleides etwas nach oben raffte, damit der Saum nicht den nassen Lehm berührte.

Thierdorff lag in Trümmer, kein Haus war mehr vollständig, die Dächer abgebrannt, das Holz zertrümmert durch die Äxte und Beile der Soldaten, die Menschen erstarrten aus Furcht. Die Hütte von Agathe und Thönges hatte in all den langen Jahren des Krieges kaum Schaden gelitten.

„Schau mal, was macht denn Agathe jetzt?“ Greth blickte ihr verdutzt nach, Agathe stand gebückt in ihrem Garten und scharrte in der Erde.

Greth und Huprecht wussten in ihrer Not nicht mehr, was sie noch essen sollten. In diesem Elend zogen sie gar einer toten Katze das Fell ab und brieten das Fleisch. Hunger war der ständige Begleiter dieses bereits älteren Ehepaares. Huprecht war der Knecht des Grafen und versorgte im Stall des Grafen die Pferde, legte neues Stroh in den Stall. Hin und wieder nur bekam er die Reste des Mahles der Grafenfamilie zu essen. Das nahm er dann mit nach Hause, damit Greth dann auch was davon abbekam. Da er keine Abgaben leisten konnte, arbeitete er.

Die Lebensmittel waren sehr teuer geworden und so konnten sie sich nichts kaufen, nicht einmal das Notwendigste. So ging es vielen anderen Thierdorffern auch.

„Dieses Weib hat sich die Schürze gefüllt. Was sie mit in die Hütte nimmt, kann ich nicht sehen. Sicher hat sie da einen Vorrat.“

Direkt gegenüber Huprechts Haus lag das von Agathe und Thönges. Greth und Huprecht grüßten herüber. Agathe winkte sie arglos zu sich.

„Tach, wie geht es Euch?“ Gerade war Agathe im Begriff, ihre Hütte zu betreten. Im Stall nebenan quiekten Schweine und Kühe, die Hühner liefen über die lehmige Erde im Wohnraum der Küche.

Greth schielte in den Wohnraum. Kleine Töpfchen aus Holz standen fein aufgereiht mit Gewürzen auf einem Regal und vorne hingen Kräutersträuße kopfüber nach unten. Aus dem eisernen Kessel über dem Feuer duftete es köstlich. Darüber hing ein Stück Schinken an der Decke, um es zu räuchern.

„Kommt herein“, lud Agathe die Nachbarn ein. Agathe schritt beschwingt zum hölzernen Tisch und nahm sich ein Messer, schnitt die Schalen der Zwiebel ab und dann die Zwiebel in kleine Stückchen und warf die Pilze hinterher in den Topf. Kleine Laibe Brot lagen bereits im Feuer. Sie brauchten etwas mehr Zeit. „Heute seid ihr meine Gäste. Gleich ist das Essen so weit.“ Agathe lächelte zu Greth und Huprecht hinüber.

Greth sah sich weiter um. Neben einem Holzfass lehnte ein Reisigbesen. Grob gezimmerte Stühle standen um den dunklen Eichentisch, an den sie sich setzten. Auf der anderen Seite des Fasses lehnte eine lange Leiter, die hoch zum Heuboden führte. In der Mitte des Raumes lagen Holzscheite übereinander gehäuft, die lichterloh brannten und die Hitze unter den eisernen Topf brachte, der an einer rasselnden Eisenkette an der Decke hing. Hühner pickten die Körner vom Boden.

Dann schaute Greth zur Öffnung der Hütte hinaus. Vor zwei nebeneinander stehenden Hütten gegenüber wuchsen Bäume, vor denen Gänse und Hühner schnatterten und gackerten. Schweine schnüffelten mit ihren rosa Rüsseln, die Rücken bewegten sich schaukelnd, um Eicheln und Bucheckern aufzuspüren.

„Nichts an dieser Hütte hat einen Schaden genommen. Unsere jedoch muss wieder ganz neu aufgebaut werden. Wie machen die das bloß? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu“, überlegte Greth. „Steht Agathe etwa mit dem Teufel im Bunde?“ Tief war die Frau in ihre Gedanken versunken. Mager war sie geworden, denn sie litt Hunger wie auch ihr Mann. Heute würden sie sich ihre Bäuche einmal füllen. Darauf freute sie sich bereits.

Thönges sah von seiner Arbeit auf. Er saß auf einem Baumstumpf vor dem Viehstall und sah seine hübsche Frau mit den Nachbarn plaudern. Mit einem Messer schnitzte er an einem Stück Holz.

„Schön, Euch hier zu sehen“, rief er ins Haus hinein. Er war gerade dabei, für den eigenen Haushalt, aber auch für die Soldaten Becher und Schalen zu schnitzen. Nur so würde seine kleine Familie den Krieg vielleicht überleben. Bis jetzt hatten sie es auf diesem Weg geschafft.

Wieder neigte er seinen Kopf nach vorne über seine Arbeit. Wutentbrannt hatten die Soldaten die Hütten der Leute zerschlagen, Geschirr und alle Nahrungsmittel geraubt, alles Vieh mit sich in ihr Lager genommen, die nicht freiwillig gegeben hatten. So sputete er sich und sah zu, dass er weiterkam mit seinem Vorhaben. Von dem Gespräch in der Wohnstube ließ er sich nicht stören.

Johann Henrici, der Türmer, wohnte hoch über dem Treiben des Städtchens. Von hier oben gleich unter dem Glockengeläut des Mittelturmes sah alles so klein und unbedeutend aus. Der Rauch brennender Katen stieg zu ihm empor. Wo sich vor dem Krieg noch Krähen und Raben niederließen, war die Spitze des Turmes nun leer. Der Türmer sah vom Fenster seiner Wohnung auf die Schänke, die links des Mittelturmes stand. Dort stand der Wirt an manchen Tagen mit seiner weißen Zipfelmütze. War Johann mal in der Stadt und kehrte wieder nach Hause zurück, stieg er die Steinstufen hinauf bis zur Glocke. Bei schönem Wetter schien die Sonne durch die winzigen Fenster des Gemäuers und fegte der Sturm, pfiff er um die Spitze des Turmes.

In der engen Wohnung des Wärters, dem Hüter der Stadt, standen ein kleiner Holztisch und ein grobgehauener Klotz, auf den er sich setzen konnte. Er besaß auch ein Horn, in das er bei Gefahr blasen konnte.

Nachdem Johann Henrici auf das ankommende Heer aufmerksam gemacht hatte, verzog er sich schnell in seine Wohnung hoch über den Gassen und Hütten. Es pochte an die hölzerne Türe, in die noch kein Soldat eingedrungen war.

„Wer steht vor der Tür?“ rief er nach draußen. Damit hatte er nicht gerechnet.

„Ich bin es, Thönges Rothback. Macht mir auf!“ Laut polternd bewegte sich der Türmer in Richtung Türe mit seinen hohen Stulpenstiefeln und öffnete.

„Was treibt Euch denn hierher, Rothback? Zu so später Stunde schaut Ihr noch vorbei?“ Der Magen des Türmers knurrte. Thönges reichte ihm ein großes Stück Speck und einen Laib Brot hin. In einer Schale hielt Thönges den Rest Bohnenbrei von diesem Abend. „Ich bedanke mich für Eure Warnung, Türmer. Das habt Ihr Euch verdient.“

„Das ist doch meine Aufgabe. Vielen Dank für dieses Mahl.“ Der Türmer war nicht verheiratet und schon mittleren Alters. Da er keine Frau hatte, die ihm kochte, freute er sich sehr über diese Mahlzeit. „Vergelts Gott, lieber Rothback und wie geht es Eurem kleinen Jungen?“

„Dank Eures Glockenschlages konnten wir uns darauf einrichten und haben das Heer Soldaten nicht abgewiesen, sondern mit Lebensmitteln versorgt. Bisher war das unser Glück.“ Thönges atmete tief durch.

Seit Tagen hatte der Türmer keinen Bissen mehr zu sich genommen. „Kommt, vertreibt mir etwas die Zeit. Die Bretter aus Holz knarrten, als Johann Henrici mit großen Schritten durch den Raum ging, um sich an den Tisch zu setzen. Er brach sich ein Stück Brot ab, tunkte es in den noch heißen Gemüsebrei und aß es mit Genuss.

Die steinernen Türme

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