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2 Die Fragestellung: Dreh- und Angelpunkt der Bachelorarbeit

Quellen für Forschung

Der Anstoß für Forschung ist die Neugier. Am Anfang jeder wissenschaftlichen Fragestellung und Forschungsarbeit steht deshalb ein Problem. Dieses Problem kann sich unterschiedlich entwickelt haben: zum Beispiel einfach aus der Feststellung der Forscherin, dass ihr zu einer Frage, einem Phänomen, einer Beobachtung Wissen fehlt, sie sich also etwas nicht erklären kann. Oder aber die Fragestellung entwickelt sich aus Ungereimtheiten, die sich aus widersprüchlichen Erklärungen und Befunden in der Literatur ergeben haben. Manchmal wird das Problem auch von außen an die Forscherin herangetragen, z. B. als Forschungsauftrag (das kann auch die Aufgabe sein, die Ihnen Ihre Betreuerin bzw. ihr Betreuer stellt). Gerade in der Psychologie sind Alltagsbeobachtungen ein interessanter Ausgangspunkt für Forschungsarbeiten. So können Beobachtungen, die sich ein Forscher bzw. eine Forscherin zunächst nicht erklären kann, zu der Frage führen: Warum verhalten sich Menschen in bestimmten Situationen so, wie sie sich verhalten? Wie erleben Menschen bestimmte Phänomene, wie ist ihre Wahrnehmung? Was denken sie dabei?

Insgesamt gibt es also viele mögliche Quellen für die Forschungsfragen, mit denen Sie sich in Ihrer Bachelorarbeit beschäftigen. Diese Forschungsfrage(n) zu finden und festzulegen, ist von zentraler Wichtigkeit, denn mit der Forschungsfrage bestimmen Sie, worüber Sie schreiben. In die Bachelorarbeit gehören nur Informationen, die zu dieser Fragestellung passen, sie ist das Leitmotiv für Ihre schriftliche Ausarbeitung. Die einzelnen Kapitel Ihrer Bachelorarbeit organisieren sich genau um die Fragestellung herum. Aus diesem Grund ist es elementar wichtig, dass Sie Ihre Forschungsfrage und damit Ihr Thema ganz klar in Zusammenarbeit mit Ihrer Betreuerin bzw. Ihrem Betreuer herausarbeiten und immer im Blick behalten.

Nach diesem Kapitel können Sie…

die Bedeutung der Forschungsfrage für Ihre Bachelorarbeit erklären.

den Unterschied zwischen Forschungsfragen und Hypothesen erkennen.

Hypothesen für Ihre Bachelorarbeit formulieren.

2.1 Die Bedeutung der Forschungsfrage für die Bachelorarbeit

Sanduhr-Struktur des Textes

Warum ist die Forschungsfrage für Ihre Arbeit so wichtig? Zunächst einmal hilft Ihnen eine präzise formulierte Forschungsfrage, das Thema Ihrer Arbeit einzugrenzen. Aus der Forschungsfrage können Sie auch ableiten, wie Sie Ihre empirische Studie oder Ihren Review planen müssen, damit Sie eine Antwort auf Ihre Forschungsfrage finden können. Bem (2003) beschreibt die Forschungsfrage als Dreh- und Angelpunkt einer wissenschaftlichen Arbeit in der Psychologie. Dabei bezieht er sich nicht nur auf die Planung und Durchführung der Forschungsarbeit, sondern gerade auch auf die schriftliche Ausarbeitung. Der gesamte Text muss nach Bem (2003) um die Forschungsfrage herum organisiert werden. Er bedient sich zur Veranschaulichung der Metapher einer Sanduhr (siehe Abbildung 2.1). Der Text beginnt inhaltlich allgemein und breit, engt sich aber immer mehr ein und wird dann wieder breiter und allgemeiner bzw. verallgemeinernder.


Abbildung 2.1 Das Sanduhrmodell für die Struktur eines wissenschaftlichen Textes in Anlehnung an Bem (2003)

An der engsten Stelle einer Sanduhr muss der Sand hindurchlaufen. Diese engste Stelle Ihrer Bachelorarbeit entspricht Ihren Forschungsfragen und Hypothesen. Die Textabschnitte vor der Forschungsfrage müssen auf diese enge Stelle zulaufen, der Text nach den Forschungsfragen leitet sich aus der Forschungsfrage ab. Das bedeutet, die Theorien und Verweise auf frühere Forschungsarbeiten zum gleichen Thema strukturieren Sie so, dass Sie Ihre Leserinnen und Leser zu Ihrer Forschungsfrage hinleiten und dass sich Ihre Annahmen bzw. Hypothesen logisch daraus ableiten (siehe auch Kapitel 3). Aus der Forschungsfrage leiten sich außerdem die Vorgehensweise der Arbeit (siehe Kapitel 4) und die Auswertung (siehe Kapitel 5) ab. Schließlich erweitern Sie in der Diskussion die Perspektive wieder, wenn Sie Ihre Ergebnisse unter Einbezug der Theorien und anderer Forschungsarbeiten genauer beleuchten und im Vergleich mit anderen Arbeiten interpretieren (siehe Kapitel 6).


Im Online-Material können Sie Ihr Verständnis prüfen (Quiz 2).

2.2 Von der Alltagsvermutung zur wissenschaftlichen Fragestellung

Forschungsfragen

Eine erste wichtige Aufgabe ist also, die wissenschaftliche Fragestellung zu finden. Klären Sie zunächst, welches Ziel Sie mit Ihrer Bachelorarbeit verfolgen (siehe auch Kornmeier, 2018):

•Möchten Sie ein Phänomen beschreiben? Die zentrale Frage ist dann, wie ein Sachverhalt in der derzeitigen Lage konkret aussieht.

Beispielsweise wird oft behauptet, dass Abiturientinnen und Abiturienten aus der Schule anspruchsvolle Lernstrategien mitbringen. Aber wissen wir denn wirklich, welche Strategien die Studienanfängerinnen und -anfänger kennen und nutzen? Daher die (mögliche) Forschungsfrage: Welche Lernstrategien setzen Studierende zu Beginn ihres Studiums ein?

•Möchten Sie ein Phänomen erklären? Möchten Sie einem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang auf den Grund gehen und herausfinden, warum etwas passiert, welche Ereignisse andere Ereignisse verursachen?

Bleiben wir bei den Studienanfängern: Angenommen, wir stellen fest, dass Studienanfängerinnen und -anfänger anspruchsvolle Lernstrategien aus der Schule mitbringen, diese aber im Studium nicht einsetzen, dann wäre es interessant, folgende Forschungsfrage zu bearbeiten: Warum favorisieren Studierende bestimmte Lernstrategien zu Beginn ihres Studiums?

•Möchten Sie zukünftige Zustände oder Entwicklungen prognostizieren? Wollen Sie also wissen, welche Auswirkungen bestimmte Faktoren (Prädiktoren) auf andere haben oder wie man Verhalten (nachweislich) beeinflussen kann? Sie könnten sich dann folgende Forschungsfrage stellen: Setzen die Studierenden anspruchsvolle Lernstrategien ein, wenn sie einen Anreiz dafür erhalten?

•Möchten Sie etwas verändern und das Verhalten beeinflussen? Wenn das Ihr Ziel ist, stellen Sie die Frage, wie bestimmte Maßnahmen oder Strategien funktionieren. Aus unserem Beispiel bietet sich als Forschungsfrage an: Hat ein Trainingsprogramm zum Thema Lernstrategien einen Einfluss auf das Verhalten und die Leistung der Studienanfängerinnen und -anfänger?

•Möchten Sie etwas bewerten (evaluieren)? Interessiert es Sie, ob bestimmte Maßnahmen funktionieren und eventuell auch, wie sie optimiert werden können? Eine mögliche Forschungsfrage wäre: Wie effektiv ist das Programm XY, um Lernstrategien zu vermitteln im Vergleich zu einem Appell an die Vernunft und Eigenverantwortung der Studierenden?

Wenn Sie sich über die Ziele Ihrer Bachelorarbeit Klarheit verschafft haben, sind Sie schon ein gutes Stück vorangekommen. Sie haben damit eine erste Arbeitsgrundlage, um das Thema weiter einzugrenzen. Die Beispiele für Forschungsfragen illustrieren, wie die Ziele der wissenschaftlichen Arbeit die Formulierung und damit Richtung der Forschungsfrage beeinflussen. Sie sind jedoch noch sehr weit gefasst. Deshalb ist es erforderlich, dass Sie Ihre Forschungsfrage noch präziser formulieren. Hier die Forschungsfragen, die in unseren drei Beispiel-Bachelorarbeiten untersucht wurden:


Waltraud und Valerie: Kann man mit Podcasts ganz nebenbei lernen?

Tobias: Sind Experimente im Chemieunterricht motivierend?

Lea: Welche Ereignisse empfinden Lehrer und Schüler im Unterricht als störend?


Wie lautet Ihre Forschungsfrage? Formulieren auch Sie die Frage, die Sie in Ihrer Bachelorarbeit untersuchen möchten.

2.3 Von der Forschungsfrage zu den Hypothesen

In der psychologischen Forschung werden Erkenntnisse systematisch aus Beobachtungen hergeleitet. Dabei ist das Ziel, möglichst zuverlässige und gültige Erkenntnisse zu gewinnen (siehe auch Kapitel 4). Im wissenschaftlichen Handeln haben sich unterschiedliche Wege zur Erkenntnisgewinnung, also zur Problemlösung herausgebildet (Hussy, Schreier & Echterhoff, 2013). Zwei für die psychologische Forschung typische Wege sind das induktive und das deduktive Vorgehen.

Unter Induktion versteht man, dass aus Einzelfällen auf Gesetzmäßigkeiten geschlossen wird.

Induktion

Wenn wir viele Kinder kennen, die gerne Pudding essen, schließen wir daraus, dass alle Kinder gerne Pudding essen. Die Induktion entspricht damit weitgehend der Alltagsstrategie, Erkenntisse aus Erfahrungen abzuleiten. Das Problem dabei ist, dass induktive Schlüsse nicht sicher sind. Vielleicht haben Sie Kinder vor allem in Mitteleuropa dabei beobachtet, wie sehr sie sich über Pudding zum Nachtisch freuen. Wenn Sie aber z. B. in asiatische Länder gehen, werden Sie Kinder erleben, die Pudding sehr skeptisch gegenüberstehen – das ist wahrscheinlich auch gut so, da die meisten Asiaten die Fähigkeit, Milchzucker zu verdauen, schon in sehr jungen Jahren verlieren (Vesa, Marteau & Korpela, 2000). Diese Beobachtung widerlegt also Ihre induktiv aufgestellte Regel. Induktive Schlüsse haben nur Wahrscheinlichkeitscharakter. Trotz dieses Nachteils hat auch die induktive Methode ihre Berechtigung in der Wissenschaft. Wenn Regelhaftigkeiten und Gesetzmäßigkeiten unbekannt sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als sie zu erschließen. Die induktive Methode spielt also vor allem zu Beginn des Forschungsprozesses eine wichtige Rolle und ist damit Grundlage für andere wissenschaftliche Methoden. Um mit induktiven Schlussfolgerungen wissenschaftlich belastbare Aussagen zu treffen, ist eine sorgfältige und systematische Vorgehensweise wichtig (siehe Kapitel 4). Darin unterscheidet sich der wissenschaftlich induktive Schluss vom alltagspsychologischen Vorgehen, denn im Alltag ziehen Menschen oft weitreichende Schlüsse auf der Basis von wenigen, ins Auge fallenden, subjektiv eindrucksvollen Beobachtungen.

Beim deduktiven Vorgehen versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst eine grundlegende Theorie zu finden, die eine Antwort auf ihre Frage beinhalten könnte.

Deduktion

Die Theorie ist z. B. „Alle Kinder essen gerne Pudding“. Da Theorien immer in gewisser Weise unsicher sind, wird die Theorie dann in Bezug auf eine konkrete Frage geprüft. Dazu muss die Forscherin eine Hypothese, also eine Annahme aus der Theorie, für eine konkrete Situation ableiten.

Hypothesen sind konkrete, in der Realität überprüfbare Aussagen.

Hypothesen

Im Gegensatz zu den Forschungsfragen sind Hypothesen sehr konkret. Die interessierenden und zu untersuchenden Variablen werden in den Hypothesen explizit benannt, ebenso wie der vermutete und überprüfbare Zusammenhang/Unterschied/Einfluss. Wichtige Merkmale von Hypothesen sind:

•Sie beziehen sich auf reale, beobachtbare oder messbare Sachverhalte.

•Sie gehen über Einzelfälle hinaus.

•Sie sind falsifizierbar, d. h., es gibt potenziell Ereignisse, die der Hypothese widersprechen (Wörter wie „vielleicht“ oder „manch-mal“ haben in Hypothesen nichts verloren!).


Aus ihren Forschungsfragen leiteten die Autorinnen und Autoren unserer Beispiel-Bachelorarbeiten folgende Hypothesen ab (unvollständige Liste):

Waltraud und Valerie:

•Der Lernerfolg ist beim Lernort Universität höher als beim Lernort Bus.

•Das Lernen mit einem Podcast wird als schwieriger wahrgenommen als das Lernen mit einem Lehrbuch.

Tobias:

•Je höher das Interesse der Schülerinnen und Schüler an Chemie, desto besser ist ihr Lernerfolg.

•Schülerinnen und Schüler, die eine Unterrichtsstunde mit Experimenten erlebt haben, bewerten ihre Motivation höher als Schülerinnen und Schüler, die eine traditionelle Unterrichtsstunde erlebt haben.

Lea:

Aktive Unterrichtsstörungen werden als störender empfunden als passive Unterrichtsstörungen.

Lehrerinnen und Lehrer schätzen passive Störungen störender ein als Schülerinnen und Schüler.

Das Ableiten von Hypothesen ist auch Ihre nächste Aufgabe zur Spezifizierung Ihres Forschungsthemas. Da wir ja oben geschrieben haben, dass sich Hypothesen aus Theorien ableiten, sollten Sie sich zunächst Gedanken machen, welche Theorien einen Beitrag zu Ihrem Forschungsthema leisten, und daraus Annahmen ableiten für Ihren Untersuchungsgegenstand. Formulieren Sie nun Aussagen darüber, welche Ergebnisse Sie in Ihrer Untersuchung erwarten.


Formulieren Sie Aussagen, die konkret Ihre Erwartungen in Bezug auf die Ergebnisse Ihrer Untersuchung ausdrücken. Das sind Ihre Hypothesen.

2.4 Und wie geht’s weiter? Der wissenschaftliche Prozess

Am Beginn des wissenschaftlichen Prozesses steht die Neugier. Aus der Neugier heraus wird eine Forschungsfrage gestellt. Aus der Theorie werden überprüfbare Annahmen, also Hypothesen, für konkrete Situationen abgeleitet. Wie geht es weiter?

Forschungszyklus

Der Forschungszyklus ist in Abbildung 2.2 dargestellt. Die Forschungsfrage erfordert eine Untersuchung. Hierfür sind die Hypothesen zu prüfen. Dazu muss zunächst eine Studie konzipiert werden. Aus den Hypothesen wird abgeleitet, welche Variablen erfasst werden müssen und welches Forschungsdesign für die Untersuchung sinnvoll ist, damit die Ergebnisse möglichst zuverlässig sind (siehe Kapitel 4). Die Ergebnisse der Studie werden dann ausgewertet (siehe Kapitel 5) und mit Blick auf die Hypothesen und die Theorie, aus denen die Hypothesen abgeleitet wurden, interpretiert (siehe Kapitel 6). Meist ergeben sich daraus neue Forschungsfragen, die wiederum zu neuen Hypothesen und neuen Studien führen. So entwickeln sich Theorien stetig durch die Forschung weiter.

Auch mit Ihrer Bachelorarbeit tragen Sie zur Weiterentwicklung einer Theorie bei – vor allem, wenn Sie Ihre Erkenntnisse auch in einem Forschungsartikel veröffentlichen und/oder auf Konferenzen und Tagungen vorstellen. Vielleicht fragen Sie Ihre Betreuerin bzw. Ihren Betreuer nach dem erfolgreichen Abschluss Ihrer Bachelorarbeit nach den Möglichkeiten, diese gemeinsam der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen?


Abbildung 2.2 Der Forschungszyklus von der Forschungsfrage über die Forschungsarbeit bis zur Generierung neuer Forschungsfragen

Tipps zum Weiterlesen:

Bem, D. J. (2003). Writing the empirical journal article. Zugriff am 30.07.2019 unter http://dbem.ws/WritingArticle.pdf

Esselborn-Krumbiegel, H. (2017). Richtig wissenschaftlich schreiben. Paderborn: Ferdinand Schöningh.

Kornmeier, M. (2018). Wissenschaftlich schreiben leicht gemacht: für Bachelor, Master und Dissertation (8., überarbeitete Aufl.). Bern: Haupt Verlag.

Tesser, A. (2000). Theories and hypotheses. In R. J. Sternberg (Ed.), Guide to publishing in psychology journals (pp. 58–80). New York, NY: Cambridge University Press.

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