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I. Nichts als Probleme

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„Demi, beeile dich bitte, das Frühstück ist fertig!“ Schrill riss die sonst so sanfte Stimme der Mutter das Mädchen aus seinen Träumen. Sie saß bereits angezogen auf ihrem Bett und die roten Haare fielen ihr ins sommersprossige Gesicht. Flink bändigte sie die Lockenpracht mit einem Haargummi und schlüpfte in ihre Turnschuhe, deren Schnürsenkel sie immer gebunden ließ. Dann griff sie ihre Schultasche und verließ rasch das kleine Zimmer, in dem gerade genug Platz für ihr Bett, den Minischrank und einen Schreibtisch war. Die Wohnung bestand nur aus diesem Zimmer, dem Wohnraum mit Kochnische, in dem auch ihre Mutter schlief und einem winzigen Bad.

Sie grinste ihre Mutter entschuldigend an, ließ sich vor der Schlafcouch auf den Boden plumpsen und verschlang ihre Cornflakes, die bereits auf dem niedrigen Tischchen standen.

„Musst du denn gleich nach dem Aufstehen mit dem Träumen anfangen?“ fragte ihre Mutter vorwurfsvoll. „Neben der Spüle liegt der Einkaufszettel und das Geld. Vergiss es bitte nicht, sonst haben wir morgen keine Milch zum Frühstück!“ „ Oh je, jetzt musst du aber los, sonst verpasst du noch den Bus.“

Die Mutter streifte Demis Stirn mit den Lippen, drückte ihr die Jacke in die Hand und öffnete die Wohnungstür. Das Mädchen schnappte sich ihre Schultasche und zog im Hausflur fröstelnd die Jacke an. Kaum hatte sie den Reißverschluss hochgezogen, als der von unten schon wieder aufging. „Mist, jetzt ist er endgültig hin“ dachte Demi. „Wie soll ich Ma nur beibringen, dass ich eine neue Jacke brauche?“ Nein, das ging gewiss nicht. Dann musste sie sich eben damit behelfen, die Jacke mit einer Hand zuzuhalten.

Das Mädchen bog um die Ecke und sah, dass die letzten Passagiere soeben den Bus bestiegen. Instinktiv beschleunigte sie ihre eh schon schnelle Gangart. An der Haltestelle angekommen fuhr der Bus bereits an. „Herr Hohlstein, Herr Hohlstein, so warten sie doch bitte“ hallte ihre Stimme durch die Straße. Gleichzeitig ruderte sie wie verrückt mit den Armen und versuchte, auf dem schlüpfrigen Schneematsch das Gleichgewicht zu halten. Vor Verzweiflung, Demi schrieb es allerdings der beißenden Luft zu, traten ihr bereits die Tränen in die Augen. Wenn sie wieder zu spät zur Schule kam, würde Frau Weiß wirklich ihre Mutter verständigen und was das bedeutete, mochte sie sich gar nicht erst ausmalen.

Nachdem sie den Bus fast fünfzehn Meter verfolgt hatte und bereits einmal mit dem linken Knie im Matsch gelandet war, hielt der Fahrer den Bus doch noch an. Keuchend, kaum in der Lage, einen Ton aus dem schmerzenden Hals zu bringen, dankte sie Herrn Hohlstein. Der schüttelte nur den Kopf. „Na, setz‘ dich erst mal hin und komm wieder zu Atem.“

Während Demi sich gleich gegenüber dem Busfahrer auf den Sitz fallen ließ, betrachtete sie den Mann eingehend. Herr Hohlstein war schon älter, bestimmt vierzig oder fünfzig. Er hatte kurzgeschnittenes, dunkles Haar mit etwas Grau an den Schläfen und die intensivsten grünen Augen, die sie je gesehen hatte. „Er sollte etwas Sport treiben“ dachte das Kind. „Langsam bekommt er ein kleines Bäuchlein wie Papa.“

Papa! Die Erinnerung an ihren Vater brachte Demi oft zum Verzweifeln. Es war doch alles so schön gewesen. Sie hatten in ihrem eigenen Haus gewohnt. Demi war damals erst sieben gewesen. Mit einem tiefen Seufzer erinnerte sie sich an ihr riesiges Zimmer mit dem Balkon und den großen Fenstern. Im Wohnzimmer war sogar ein Kamin gewesen und sie hatte Papa immer beim Aufschichten des Holzes helfen dürfen. Wenn sie daran dachte, hatte sie noch jetzt den vollen, harzigen Geruch in der Nase.

Papa hatte immer viel gearbeitet, aber wenn er zu Hause war, verbrachte er immer Zeit mit seiner kleinen Prinzessin, wie er Demi nannte. Sie spielten im riesigen, wilden Garten, gingen im Sommer schwimmen und im Winter rodeln. Mama war immer fröhlich und musste nicht zur Arbeit gehen. Und dann, eines morgens, war Papa plötzlich verschwunden. In der Zeitung stand, er hätte Geld gestohlen. Ma weinte die ganze Zeit und Demi wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Sie war noch viel verwirrter, als ihre Mutter, denn für sie war ihre kleine Welt bis zu diesem Moment völlig heil gewesen. Sie konnte einfach nicht verstehen, was passiert war….

„Demi, träumst du schon wieder?“ drang die Stimme des Busfahrers, kaum wahrnehmbar, in ihr Bewusstsein.

Erschrocken schüttelte sich Demi, um in die Wirklichkeit zurückzukehren. „Du musst aussteigen, Kind. Wir sind schon an der Schule!“ mit einem leichten Hochziehen der Mundwinkel bedankte sich das Mädchen bei Herrn Hohlstein und stieg aus dem Bus. Dann schlenderte sie zum Schulgebäude und steuerte ihr Klassenzimmer an. Fast fiel sie über einen Stiefel, noch ehe sie die unangenehme Fistelstimme von Thomas Bernreuther hörte, der sie anscheinend zum alleinigen Ziel seiner Aggressionen gemacht hatte. „Na, haben wir es heute geschafft, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen? Kaum zu glauben! Frau Weiß wird sich sicher riesig freuen!“ Thomas brachte sein Gesicht so nah an das von Demi, dass sein Pfefferminzatem, er hatte ständig Kaugummi im Mund, auf ihrem kalten Gesicht kondensierte.

Das Mädchen versuchte, die Feuchtigkeit mit ihrem Ärmel wegzuwischen, aber der größere Junge hatte ihre Arme mit seinen Händen an der Wand fixiert. Sein schwerer Stiefel grub sich langsam in ihren Fuß. Demi wollte aufschreien, denn ihre Turnschuhe waren bestimmt eine Größe zu klein und die verkrampfte Haltung ihrer Zehen steigerte den Schmerz ins Unermessliche.

„Thomas Bernreuther“ dröhnte es plötzlich durch den Gang. „Höre sofort auf, deine Mitschülerin zu tyrannisieren und begebe dich umgehend in dein Klassenzimmer!“ Murrend ließ Thomas von ihr ab. Frau Weiß nahm Demi am Arm und sah ihr in die tränengefüllten Augen. „Alles ok?“ fragte sie mitfühlend.

Das Mädchen nickte nur und ließ sich von der Lehrerin bis zum Klassenzimmer führen. Dort zog sie schnell ihre Jacke aus, warf sie über einen Kleiderhaken und huschte in den Unterrichtsraum. Sie konnte heute Morgen keine von Frau Weiß einfühlsamen „Armes-Mädchen-Reden“ ertragen.

Steif setzte sie sich auf ihren Platz und starrte nach vorn zur Tafel.

Frau Weiß warf ihr noch einen mitleidigen Blick zu und begann mit dem Matheunterricht.

Demi hatte das Gefühl, sich heute Morgen besser als sonst auf den Unterricht konzentrieren zu können. Eigentlich war sie ziemlich schlau. Die Lehrer meinten jedoch alle, sie könnte locker eine „Einserschülerin“ sein, wenn sie nicht die ganze Zeit träumen würde.

Demi schluckte, kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich wieder auf die Tafel und Frau Weiß.

Sie versuchte ja wirklich alles, damit ihre Lehrer und vor allem Ma mit ihr zufrieden waren. Aber es gab in ihrem jungen Leben, Demi war gerade elf geworden, einfach zu viele Fragen, die ihr niemand beantworten konnte. Nur darüber geriet sie ständig ins Grübeln.

„Also Demi, wie würdest du diese Aufgabe lösen?“ drang die Stimme der Lehrerin wie durch Nebel.

Erschrocken sprang das Mädchen auf und stieß dabei an ihren Stuhl, der daraufhin donnernd zu Boden fiel. Dies führte zu lautem Gelächter. „Ähm, ich … „ stotterte Demi.

„Na, komm an die Tafel. Und ihr anderen Ruhe!“ half ihr die Lehrerin aus der Verlegenheit.

Mit hochrotem Kopf nahm das Mädchen die Kreide entgegen, besah sich die Aufgabe und schrieb sowohl Rechenweg als auch Lösung an die Tafel. „Sehr gut“, kommentierte Frau Weiß ihre Arbeit und schickte sie mit einem leichten Nicken zurück auf ihren Platz.

In Mathe konnte sich Demi immer retten, da dies ein Fach war, welches nicht ihre volle Konzentration erforderte, sobald sie einmal verstanden hatte, worum es ging. Bis die Lehrerin die Klasse verließ, war das Mädchen ganz bei der Sache.

Durch Geschichte und Englisch schaffte sie es ebenfalls, ihre Aufmerksamkeit dem Lehrstoff zu widmen, da sie um keinen Preis nochmal zum Gespött der ganzen Klasse werden wollte.

Gegen Mitte der Deutschstunde jedoch drifteten ihre Gedanken wieder ab.

Warum waren damals so viele seltsame Leute zu ihnen nach Hause gekommen, warum hatte ihre Mutter wieder ihren Mädchennamen angenommen und auch Demis Nachnamen auf Richter ändern lassen? Warum waren sie nicht nur aus dem Haus ausgezogen, sondern gleich aus der Stadt? Das mit dem Haus hatte Ma ihr erklärt. Es war einfach zu teuer, denn die Bankkonten waren vor seinem Verschwinden von ihrem Vater restlos geplündert worden. Aber sonst hatte die Mutter nur gesagt, sie wisse auch nicht, was passiert sei.

„Vielleicht kann uns Fräulein Richter die Antwort auf diese Frage erläutern!“ meinte Herr Wolf soeben in ziemlich scharfem Ton.

Diesmal war Demi gelassener, um nicht wieder einen Anlass zur allgemeinen Belustigung zu liefern.

„Nun ja, das kommt ganz auf die Betrachtungsweise an!“ entgegnete sie zögernd. “Dann sei doch so freundlich und teile deine Betrachtungsweise mit uns! Weshalb hatte der Junge in Thomas‘ Geschichte plötzlich so großen Erfolg in der Schule und bei seinen Mitschülern?“

„Vielleicht, weil er plötzlich netter wurde?“ rutschte e ihr spontan heraus. Kopfschüttelnd betrachtete Herr Wolf sie mit dem für ihn typischen, stechenden Blick. Dann tat er mit lehrermäßiger Überheblichkeit seine, natürlich einzig richtige, Antwort kund. „Nein, er erkannte, dass ein Weiterkommen nur möglich ist, wenn er sein Leben selbst in die Hand nimmt!“

„… selbst in die Hand nimmt“ echote Demi.

Das war die Lösung! Sie konnte nicht darauf warten, dass ihr irgendjemand alle Antworten zu ihren Fragen auf einem silbernen Tablett lieferte. Sie musste selbst nach Lösungen suchen. Das war es! Warum hatte sie diesen Gedanken nicht längst selbst gehabt?

„Setz dich, Demi und pass gefälligst besser auf.“

Mit gesenkten Lidern und der Andeutung eines Lächelns auf ihrem sommersprossigen Gesicht setzte sich Demi und beschloss, gleich nach der Schule zur Zentralbibliothek zu gehen, um mit Herrn Gruber zu sprechen.

Eigentlich war dies der ungünstigste Wochentag dafür, denn nach der letzten Schulstunde hatte sie noch Klavierunterricht. Dieser wurde von der Schule kostenlos angeboten und im Anschluss konnte sie die erlernten Stücke im Musiksaal üben, da sie selbst kein Instrument besaß. Demi wusste, dass sie nicht sonderlich begabt war, aber ihre Mutter bestand auf den Unterricht. Deshalb quälte sie sich auch diesmal durch die Stunde und übte danach noch unter den strengen Blicken der Musiklehrerin, Frau Grötschl.

Als sie das Schulgebäude verließ war es bereits später Nachmittag und dem Mädchen war klar, dass viel Arbeit zu Hause auf sie wartete. Die Hausaufgaben waren zu machen, saugen musste sie und das Geschirr vom Frühstück stand auch noch auf der Spüle. Trotzdem wollte sie kurz bei Herrn Gruber vorbeischauen, denn sie musste einfach mit jemandem sprechen. Auf der kurzen Strecke zur Bibliothek hoffte Demi, dass der alte Mann heute Nachmittagsdienst hatte und nicht anderweitig beschäftigt war.

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