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II. Ein hoffnungsvoller Ausflug

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Demi war eine richtige Leseratte und Bücher waren teuer. Deshalb kam sie mindestens einmal die Woche hierher, um sich neue Lektüre auszuleihen. Auf der Suche nach der Fortsetzung eines sehr spannenden Buches hatte sie Herrn Gruber kennengelernt und war mit ihm ins Gespräch gekommen. Seitdem hatte sie schon so manchen Nachmittag mit dem alten Herrn über Bücher diskutiert oder einfach nur geplaudert.

Herr Gruber war ein opamäßiger, rotgesichtiger Mann, der mit Pantoffeln durch die riesigen Hallen der Bibliothek schlurfte. Er wirkte fast immer griesgrämig, obwohl er eigentlich total nett war.

„Ah, du! Brauchst du etwa schon wieder Nachschub?“ fragte er mit strengem Blick. Demi lächelte. Sie wusste, dass der Alte diese schroffe Art nur schauspielerte. Schelmisch hob sie ihre Augenbrauen und legte den Kopf schief. „Nein, eigentlich suche ich Sie heute in ihrer Eigenschaft als Informationsquelle zu allen Lebensfragen auf“ erklärte sie spitzbübisch.

„Wie alt bist du? Anhand deiner Ausdrucksweise könnte man dich schon für ziemlich alt halten. Na, dann schieß mal los!“

„Tja, also ich habe beschlossen, ab heute mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Aber ich weiß nicht, wie ich damit anfangen soll. Und Sie werden mich nicht auslachen, wenn ich Sie um Rat frage“ endete Demi schüchtern.

Herr Gruber sah sie lange und ernst an. Gerührt legte er ihr dann einen Arm auf die Schulter und räusperte sich leicht. „Dann komm mal mit in mein Allerheiligstes, wenn du schon so viel Vertrauen in einen alten Griesgram wie mich setzt.“

Genau das war es, was sie so an Herrn Gruber mochte. Er fand nichts lächerlich, unwichtig oder tat es als „Kinderkram“ ab. Er behandelte sie, als ob er einen Erwachsenen vor sich hätte.

Das „Allerheiligste“ war ein kleiner Raum mit einem Schreibtisch und zwei Stühlen. Es gab nicht einmal einen Computer. Herr Gruber weigerte sich strikt, eines dieser Dinger in sein Büro zu stellen, um damit die Schönheit seiner Bücher zu verschandeln. Da er seine Arbeit jedoch längst nicht mehr komplett ohne verrichten konnte, stand ein passwortgeschützter PC gleich um die Ecke. Die Regale an den Wänden waren bis zur Decke vollgestopft mit Büchern und Akten. Demi setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, Herr Gruber auf den dahinter. „Also, dann erzähl mal, wofür du meinen Rat benötigst.“

Demi erklärte ihr Problem und der alte Mann zupfte an seinem kurzen, weißen Bart. Nachdem sie geendet hatte, schüttelte er den Kopf und das Mädchen befürchtete, dass ihre Suche nach Antworten schon gescheitert wäre, ehe sie noch richtig begonnen hatte.

„Hm“, murmelte der Bibliothekar und nochmal „hm“ während er weiterhin den Kopf schüttelte. Demi konnte schon nicht mehr still sitzen, wollte sein Grübeln beenden, aber als sie den Mund öffnete, schüttelte Herr Gruber den Kopf nur umso eindringlicher und gebot ihr mit einer Handbewegung zu schweigen.

Dem Mädchen kam es wie eine Ewigkeit vor, bis der alte Herr anfing zu sprechen. Er begann, als wollte er ein Märchen erzählen.

„Vor vielen Jahren lernte ich einen Jungen kennen, der damals etwa in deinem Alter war. Dem ging es aber längst nicht so gut wie dir…“ begann Herr Gruber und fuhr mit schärferer Stimme fort, als sie ansetzte, ihn zu unterbrechen.

„Es ging ihm also längst nicht so gut wie dir. Denn seine Eltern und sein älterer Bruder waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen und er wuchs in einem Waisenhaus auf. Ich habe damals die Bibliothek dort ehrenamtlich verwaltet und so lernte ich diesen jungen Mann kennen. Wir sahen uns oft, denn er verbrachte fast seine gesamte Freizeit mit Lesen und kam deshalb immer, um Nachschub zu holen. Am besten gefielen ihm Kriminalromane.“ Demi unterdrückte ein Gähnen. Falls Herr Gruber ihr aufzeigen wollte, wie gut es ihr im Vergleich zu manch anderen Kindern ging, war dies der falsche Augenblick! Als sie jedoch ins Gesicht des Mannes blickte, sah sie, dass er in Gedanken weit weg war, bei schönen Momenten aus lang vergangenen Tagen. Deshalb wollte sie ihm aufmerksam zuhören, auch wenn seine Geschichte sie zu Tode langweilen würde.

„Schon damals“, fuhr Herr Gruber fort „war sich der kleine Dieter sicher, dass er eines Tages ein berühmter Privatdetektiv werden würde.

„Super“ dachte Demi spöttisch. „Er kennt einen berühmten Detektiv, der mir aus alter Freundschaft zu Herrn Gruber mit Wonne helfen wird herauszufinden, was mit meinem Papa passiert ist.“

„Dieter war ein kluges Kerlchen und irgendwann bürgerte es sich ein, dass wir jeden Dienstagabend Schach spielten.“ „Das tun wir übrigens auch heute noch“ unterbrach Herr Gruber seine Geschichte mit einem Lächeln.

„Nun, der kleine Junge wurde groß und größer. Er hätte werden können, was er wollte. Seine Lehrer rieten zu einem Jurastudium. Aber Dieter war noch immer fest entschlossen, sich seinen Kindheitstraum zu erfüllen. Als er Ende Zwanzig war, hatte er bereits die beste Privatdetektei der ganzen Stadt.

Irgendwann, er war wohl Mitte Dreißig, lernte er eine Frau kennen. Sie war wunderschön und es endete, wie es enden musste, die beiden heirateten. Sie kauften sich eine alte Villa in einem riesigen Park, waren glücklich und bekamen bald einen kleinen Jungen. Dieter verbrachte so viel Zeit wie möglich mit seiner Familie, aber natürlich hatte er noch immer seinen Beruf und war auch häufig unterwegs.

Eines Tages flog er bei schlechtem Wetter mit einem Kunden in dessen Privatflugzeug. Die Maschine stürzte ab und Dieter wurde schwer verletzt. Er verbrachte fast ein Jahr in einer Rehaklinik. Danach war er zwar soweit genesen, dass er wieder gehen konnte, aber die Narben, die zurückblieben beschränkten sich nicht auf die sichtbaren an Kinn und Brust.

Seine Frau hatte ihn immer seltener besucht und als er endlich nach Hause durfte, fand er nur die Haushälterin mit seinem Sohn und einem Brief vor. Darin stand, dass es ihr Leid täte, aber sie hätte sich verliebt und müsse ihr eigenes Leben leben, anstatt ständig nur in dem großen Haus auf ihn zu warten. Zur Mutter sei sie anscheinend nicht geeignet und deshalb würde sie mit ihrem Freund nach Amerika gehen und dort eine Kunstgalerie eröffnen.

Dieter war am Boden zerstört. Seine Firma lief weiter gut und er war gut gegen Unfälle versichert, weil er in seinem Beruf einem erhöhten Risiko ausgesetzt war. Trotzdem erholte er sich nie so richtig von seinen Schicksalsschlägen und verlässt seitdem kaum sein Grundstück. Er lebt zurückgezogen mit seinem Sohn und einer Hausdame. Mit seiner Firma verkehrt er nur telefonisch oder per Mail.“

Nach einer kurzen Pause fuhr Herr Gruber fort: „Ich glaube, ich würde euch beiden einen Gefallen tun. Er ist – oder war der beste Detektiv, den man sich denken kann und vielleicht fehlt ihm nur der richtige Auslöser – nämlich du –„ flocht er mit nach oben gezogenen Brauen ein, „um wieder etwas von seiner alten Motivation zurückzubekommen.“

„Also gebongt – oder wie ihr jungen Leute das gerade nennt – morgen Nachmittag gehen wir beide Dieter besuchen!“

Demi war sich nicht sicher, ob sie begeistert sein sollte oder nicht. Aber ein bekannter Detektiv – es könnte auf keinen Fall schaden, mit ihm zu sprechen. Lächelnd verabschiedete sie sich von Herrn Gruber und machte sich auf den Heimweg.

Im Bus kamen ihr allerdings Zweifel. Eigentlich kannte sie ja nicht mal Herrn Gruber besonders gut – eben nur aus der Bücherei. Konnte sie da so einfach mit ihm weggehen, in ein wildfremdes Haus, von dem sie nicht einmal wusste, wo es lag? „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“ wischte sie ihre Zweifel beiseite und als sie die Wohnungstür aufschloss war sie frohen Mutes, dass sich alles in ihrem Sinne entwickeln würde.

Ihr Blick fiel zur Spüle und dann sofort zu dem kleinen Wecker, der neben der Couch stand. Noch zehn Minuten bis 18 Uhr! Dann würde der Edeka-Laden um die Ecke schließen und ihre Mutter wäre schrecklich ärgerlich, wenn sie gegen 22 Uhr von der Arbeit kam und der Einkauf nicht erledigt war.

Flink schnappte sie sich Einkaufszettel und Geld und rannte zum Geschäft. Der Besitzer steckte soeben den Schlüssel ins Schloss, als Demi um die Ecke bog.

Er sah das völlig aufgelöste Mädchen vor der Tür stehen und öffnete ihr freundlich, um sie schnell noch zu bedienen.

Zurück nach Hause, zwei Scheiben Toast gegessen, den Abwasch erledigt, zwei Minuten Staub gesaugt und das Bad gewischt, geduscht und Zähne geputzt, dann fiel Demi todmüde ins Bett, was sie allerdings nicht hinderte, noch mit widerstrebenden Augen zu lesen.

Als die Mutter nach Hause kam, war sie mit dem Gesicht auf dem Buch eingeschlafen. Vorsichtig zog Frau Richter es unter ihrem Kopf hervor, hauchte einen Kuss auf die Stirn ihrer Tochter und löschte das Licht.

Der nächste Tag in der Schule verlief außergewöhnlich ruhig. Thomas war nirgends zu sehen und sie hatte keine Schwierigkeiten, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Na ja, vielleicht ab und zu, wenn sie versuchte, sich vorzustellen, wo diese alte Villa nun lag, wie es dort aussah und wie dieser „Dieter“ wohl auf sie reagieren würde. Die Zeit bis zum Schulschluss verging im Schneckentempo. Demi konnte sich nicht erinnern, jemals einen derart langen Schultag erlebt zu haben und als die Glocke endlich das Ende der letzten Stunde kundtat, flog sie förmlich aus dem Schulgebäude hinüber zur Bibliothek.

Herr Gruber wartete bereits vor dem Gebäude und winkte ihr zu. Er stand vor einem uralten, grauen Mercedes, der aber in Top-Zustand war, und bedeutet ihr einzusteigen, während er sich hinters Steuer quetschte

Wieder überkamen Demi Zweifel. Wie gut kannte sie Herrn Gruber wirklich? Konnte sie ihm so weit vertrauen, einfach zu ihm ins Auto zu steigen? Sie hatte nicht einmal ihrer Mutter gesagt, dass sie mit ihm unterwegs sein würde, weil diese es ihr sofort strikt verboten hätte. Aber wieder gewann der Wunsch nach Antworten die Oberhand und das Mädchen hüpfte schnell in den alten Wagen.

Herr Gruber fuhr sehr langsam. Eben seinem Alter entsprechend, dachte Demi gähnend, während sie sich mit 40 km/h durch die Stadt bewegten.

Demi überlegte: wohnt dieser Typ tatsächlich an dem Ende der Stadt, das am weitesten von der Bibliothek entfernt ist? Aber mit welcher Begründung sollte sie jetzt aussteigen? Herr Gruber würde sie glatt für bescheuert halten.

Sie lachte halbherzig über die Anekdoten des alten Mannes und blickte interessiert auf jedes große Haus, an dem sie vorbeikrochen.

Lächelnd warf ihr der Bibliothekar einen Seitenblick zu. „Gleich sind wir da, Fräulein Ungeduld.“ Und schon stoppte er den Wagen vor einem riesigen Metalltor. Herr Gruber ging zur Gegensprechanlage, sagte etwas und kaum saß er wieder im Auto, öffnete sich das Tor.

Sie fuhren durch einen riesigen, wilden Park und machten vor dem Portal der Villa halt.

Demi war sprachlos. Niemals hatte sie etwas derart gigantisches gesehen. Dieses Haus hatte bestimmt 15 Zimmer oder mehr. Die Eingangstür war fast doppelt so hoch wie jede Haustüre, aber im Gegensatz zu dem verwilderten Garten wirkte das Haus hell und gepflegt. Selbst auf der breiten Treppe war kein Staubkorn zu sehen.

Apropos sehen – sehen konnte sie sonst nichts, aber durch das offene Fenster neben dem Eingang drang ein Höllenlärm nach draußen.

„Dieses Kind treibt einen einfach in den Wahnsinn. Das hält auf Dauer kein normaler Mensch aus! Und dazu der Hund!“ Die letzte Äußerung wurde von einem tiefen, wütenden Bellen quittiert. „Irgendwann beißt der nochmal! Und diese Hundehaare. Schon beim ersten Wischen ist das Putzwasser vollkommen verseucht. Man kann dann nicht mehr putzen, sondern nur noch Hundehaare verteilen! Meine Nerven machen da nicht mehr mit. Deshalb werden Sie in Zukunft Ihren Rotzlöffel von Sohn und diese Bestie wohl selber zähmen müssen! Auf Wiedersehen – oder besser auf Nimmer-Wiedersehen!“

Demi konnte kaum noch zurückspringen, als die große Eingangstür aufgerissen wurde und eine völlig aufgebrachte, ziemlich füllige Frau mit wirrer Frisur an ihr vorbeirauschte.

„Guten Tag, Frau Hartmann“ grüßte Herr Gruber freundlich. Aber die würdigte ihn nur eines kurzen „Tsss" im Vorübertrampeln, wobei man ihr die Geschwindigkeit, mit der sie sich fortbewegte bei ihrer Leibesfülle gar nicht zugetraut hätte.

Sprachlos starrten die beiden der aufgebrachten Frau hinterher, bis aus dem Inneren des Hauses eine resigniert klingende Stimme drang! „Hallo Benno, kommt doch rein.“ Vorsichtig schob sich Demi hinter Herrn Gruber ins Haus und sah sich argwöhnisch nach dem Sprecher um.

Aber zunächst war sie nur überwältigt von der Größe der Eingangshalle. Graue Marmorfliesen, ein wunderschöner Kamin, ein Sofa, ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln und ein – Indianerzelt – in Originalgröße? Tatsächlich, das war ein echtes Tipi mit der Grundfläche ihres Schlafzimmers. Es stand mitten in der Halle und verdeckte den Redner.

Als sie hinter Herrn Gruber um das Zelt bog, sah sie einen Mann auf der untersten Treppenstufe sitzen, die Ellbogen auf den Knien und das Gesicht in den Händen vergraben.

Ehe sie diese Figur auch nur einer näheren Betrachtung unterziehen konnte, brach schon das nächste Spektakel los. Sie hört „Thekla, hiiiiiiiiiier“, dann sprang ein riesiges schwarz-braunes Ungetüm bellend die Treppe herunter, rempelte den dort kauernden Mann an und rannte sie und Herrn Gruber fast nieder.

Vor der von Demi geschlossenen Tür setzte sich der Hund und bellte lautstark weiter. Das Mädchen, das eigentlich alle Tiere liebte, drängte sich näher an Herrn Gruber und sah hinter seinem Rücken hervor einen kleinen, blonden, etwa fünf Jahre alten Jungen, schreiend die Treppe herunterspringen. „Thekla hiiiier, hiiiiier habe ich gesagt, aber schnell!“

Der auf der Treppe sitzende Mann zog sich am Geländer hoch. Er war fast 1,90 m groß, hatte dunkelblondes Haar und wunderschöne blaue Augen. Über sein Kinn zog sich eine tiefe, hässlich orangerote Narbe, was aber Demi nicht davon abhielt, ihn für gut aussehend zu halten.

„Thekla hier! Und du Tim, gehst sofort wieder auf dein Zimmer. Zu dir komme ich später noch!“

„Aber Papa, sei doch froh, dass wir die alte Zimtziege los…“ weiter kam er nicht.

„Auf dein Zimmer“ wiederholte der Vater in scharfem Ton. Seine vorher so resigniert wirkende Gestalt drückte plötzlich eine Autorität aus, die sogar Demi fast Angst machte. Der Hund lag bereits still zu seinen Füßen und auch das Kind wagte keine weiteren Einwände, rannte die Stufen hinauf und entschwand ihren Blicken.

„Guten Tag Benno. Entschuldige bitte dieses Chaos.“ Der Mann zog sein rechtes Bein schleppend hinter sich her, als er mit ausgestreckter Hand auf Herrn Gruber und sie zukam. „Ah, und du musst Demi sein. Herr Gruber hat mir schon von deinem Problem erzählt.“

Unsicher lächelnd streckte ihm Demi die Hand entgegen. „Guten Tag, Herr…“ – oh Mist, sie wusste ja nicht einmal seinen Nachnamen.

„Das Herr lass mal stecken, ich bin einfach Dieter“ unterbrach er sie lächelnd. Er sah wirklich gut aus und in seinen Augen blitzte es lustig auf, als er sie ansah. Damit gab er dem Mädchen das Gefühl, willkommen zu sein und während sie zurücklächelte, wusste sie bereits dass sie Dieter mochte.

„Willst du Thekla kennenlernen? Sie ist eigentlich eine ganz Liebe, aber Frau Hartmann konnte sie nie leiden und als die dann noch so gebrüllt hat, war der Hund richtig aufgebracht.“

Etwas unsicher ging Demi zwei Schritte auf den riesigen Hund zu. Der blickte an ihr vorbei und bewegte sich erst in ihre Richtung, als Dieter ein leises „ok“ von sich gegeben hatte. Langsam beschnüffelt Thekla eine Hand des Mädchens und ließ dann ihre furchteinflößenden Zähne sehen. Sie schleckte zuerst die Finger und danach den gesamten rechten Ärmel von Demis Jacke.

Erleichtert lachte das Kind auf, ging neben dem Hund in die Hocke und kraulte das weiche, schwarze Fell. „Na du bist ja eine Brave, eine Schöne….“ „Hilfe!“ Thekla war vor Freude über diese Zuwendung völlig aus dem Häuschen und hatte Demi beim Versuch, ihr Gesicht zu lecken, mit ihrem massigen Körper zu Boden geworfen.

„Thekla, aus!“ kaum mehr als ein Raunen und schon saß der große Hund wieder neben Dieter. Lachend erhob sich das Mädchen von den Fliesen. „Eine stürmische bist du, nicht wahr?“

Dieter lächelte und lud sie ein, ihm ins Arbeitszimmer zu folgen. Auf dem Tisch der kleinen Sitzgruppe stand eine Thermoskanne bereit. Der Mann schenkte Herrn Gruber und sich selbst Kaffee in große bunte Kaffeebecher. „Ich nehme an, du möchtest lieber Saft“ wandte er sich an Demi und schenkte ihr ein Glas Apfelsaft ein. Der Hund hatte sich gleich neben Dieters Stuhl gelegt und machte keinen Mucks.

„Also, dann schieß mal los und erzähle, was ich für dich tun kann!“ kam der Detektiv gleich zur Sache.

Plötzlich unsicher geworden wusste Demi nicht, was sie sagen sollte. Das Auffinden verschwundener Personen gehörte schließlich zu seinem Beruf und nach dem Aussehen seines Hauses war er sicherlich auch nicht billig. Herr Gruber hatte zwar nichts von Bezahlung gesagt, aber Demi hatte nicht einmal Genug Geld für eine neue Jacke, wie sollte sie da einen Privatdetektiv bezahlen? Dieter schien ihre Gedanken zu erraten. „Herrn Grubers Freunde sind auch meine Freunde und unter Freunden verlangt man kein Honorar. Also mach dir um eine Bezahlung keine Sorgen!“

Erleichtert erzählte Demi das Wenige, das sie wusste und blickte dann gespannt in Dieters Gesicht.

„Na ja, viel ist das ja nicht gerad, aber doch genug, um einen Anfang zu machen. Ich möchte jedoch ehrlich mit dir sein. Die Aussichten auf Erfolg sind nach vier Jahren nicht besonders groß. Außerdem müssen wir uns vorher noch über etwas anders unterhalten. Benno, ich meine Herr Gruber, hat mir erzählt, dass deine Mutter nichts von deinen Absichten weiß. Wenn meine Ermittlungen also etwas zutage bringen, werde ich die Ergebnisse selbstverständlich zuerst deiner Mutter mitteilen müssen. Es kann schließlich sein, dass Sie gar nicht möchte, dass du bestimmte Einzelheiten erfährst, weil sie dich schützen will. Das ist meine Bedingung, um diesen Fall anzunehmen. Einverstanden?“

Leicht enttäuscht nickte das Mädchen. „Wenn ich sagen würde, dass ich nicht einverstanden bin, würden Sie, äh, würdest du mir nicht helfen, stimmt’s?“

„Stimmt. Aber mach dir darüber erst einmal keine Gedanken, denn vielleicht kommt bei der ganzen Sache gar nichts heraus oder wir finden eine derart unspektakuläre Erklärung, dass es gar nicht nötig ist, mit deiner Mutter zu sprechen. Ich hab ein dieser Hinsicht schon die seltsamsten Dinge erlebt.“

Nun ja, das war vielleicht nicht ganz das, was sich Demi vorgestellt hatte, aber es war mit Sicherheit ein guter Anfang.

„Du kannst uns gerne öfter besuchen. Thekla würde sich bestimmt freuen und vielleicht kommst du sogar mit Timmy zurecht. „Ach ja, Benno“ wandte er sich mit einem Seufzer an Herrn Gruber. „Kennst du vielleicht jemanden, der mir den Haushalt führen könnte? Die Bezahlung ist gut, sonst rennt mir eh jede gleich wieder weg, denn Hund und Kind, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, sind den meisten Damen schon nach kurzer Zeit zu viel. Es ist mir ungeheuer wichtig, dass Tim endlich eine Bezugsperson bekommt, die nicht gleich bei seinem ersten Wutanfall das Weite sucht. Ich wäre sogar bereit, das Gästehaus herzurichten, falls die Frau hier wohnen möchte.“

Der alte Mann schüttelte hilflos den Kopf. „Tut mir leid, Dieter. Mehr als das Arbeitsamt und die Jobagenturen kann ich dir leider auch nicht empfehlen.“

Demi horchte gespannt auf. „Ähm, wie sieht denn dieses Gästehaus aus und was muss die Frau hier so machen?“ erkundigte sie sich.

Belustigt sah Dieter sie an. „Ich glaube, das gnädige Fräulein sind noch etwas jung für diese Aufgabe.“ Ich dürfte dich schon deines Alters wegen nicht einstellen“ fügte er hinzu, als er Demis verletzen Gesichtsausdruck missdeutete.

„Nein, nein, ich dachte an meine Mutter. Sie musste eine Arbeit als Schreibkraft annehmen, obwohl sie eigentlich Sekretärin ist. Aber das war der einzige Job, den sie bekommen hat und danach geht sie noch putzen und kommt immer erst um 22 Uhr nach Hause, nur damit wir die Schulden von meinem Papa, die Miete und das Essen bezahlen können.“

Dieter schien zu überlegen. „Ich würde auf jeden Fall gerne mit ihr sprechen, wenn deine Mutter Interesse hat. Aber ich brauche jemanden, der nicht nur vorübergehend etwas sucht und sich nicht von Kind und Hund ins Bockshorn jagen lässt. Außerdem sollte sie einigermaßen fit in Deutsch und Mathe sein und über eine ausreichende Allgemeinbildung verfügen, damit sie später auch die Hausaufgabenbetreuung übernehmen kann und sich von Tims altklugem Getue nicht beeindrucken lässt.“ Falls deine Mutter Interesse hätte, müsstest du ihr vorher alles erzählen. Denn lügen werde ich mit Sicherheit nicht! Ich bin allerdings völlig verzweifelt und wäre überglücklich, wenn deine Mutter sich uns wenigstens mal anschauen würde!“

„Ach ja, das Haus“ fuhr er fort, als Demi ihn noch immer fragend anblickte. „Es steht hinten im Garten, hat eine kleine Küche, Wohnzimmer mit Terrasse, zwei Schlafzimmer und ein Bad mit Wanne. Ich bin sicher, dass es dir gefallen würde.“

Plötzlich sprang der Hund auf und stieß polternd gegen den Tisch. Die Zimmertür schlug gegen die Wand und herein kam der kleine, blonde Junge.

„Hallo, Herr Gruber! Sie haben noch nicht mal Hi zu mir gesagt. Wer bist du denn?“ wandte er sich übergangslos an Demi.

Das Mädchen wollte eben zu einer Antwort ansetzen, als der Junge schon weitersprach. „Das ist Thekla, ein Rottweiler, die besten Hunde der Welt für Kinder und sie gehört mir. Thekla Hier, Thekla Sitz, Thekla Platz.“

Der arme Vierbeiner folgte dem ersten Befehl augenblicklich. Dann sah das Tier den Jungen an und setzte sich, legte sich, setze sich, legte sich, wobei ihr die Ohren nur so um den Kopf flogen.

Demi musste laut lachen. „So sieht sie aus wie eine Fledermaus“ prustete sie dann. „Schluss jetzt“ fiel Dieter ein. Thekla legte sich neben ihren Herrn und Tim sah Demi an, um sofort den nächsten Redeschwall loszulassen.

„Du bist ja das erste Mal hier. Soll ich dir da Haus zeigen? Mein Zimmer ist am tollsten und mein Bad ist auch ganz klasse. Das hat ein Klo mit Wasserreinigung und Sitzheizung und nein, es ist kein Bidet, es ist ein WC. Außerdem sind da ganz viele Pflanzen und wenn ich bade, tue ich immer so, als ob ich in einem See mitten in einem Zauberwald schwimme. Komm schon. Zuerst mein Zimmer. Da steht sonst das Tipi und eine Hängematte hab ich auch und einen Balkon und ein Hochbett. Jetzt komm doch!“

Tim packte Demi bei der Hand und versuchte, sie aus dem Zimmer zu ziehen. Unsicher sah das Mädchen in Dieters Richtung. Aber der lächelte und nickte. „Geh‘ nur mit. Der kleine Racker gibt sowieso keine Ruhe mehr, bis er dir jeden Winkel hier gezeigt hat.“

Das Haus war wirklich wunderschön. Alles war noch viel größer und heller als im Haus ihrer Kindheit und wehmütig verglich es Demi in Gedanken mit der kleinen Mietwohnung, in der sie jetzt lebte.

Tims Tatendrang war nicht zu bremsen. Er erzählte vom Kindergarten, zeigte ihr seine Spielsachen und sang ihr Lieder vor. Sie mochte den kleinen Kerl auf Anhieb. Klar, etwas anstrengend war er schon. Er steckte einfach voller Energie und musste sich mitteilen. Aber er war auch ein aufmerksamer Zuhörer und unterbrach sie fast nie, wenn sie etwas erzählte.

„Demi“ rief irgendwann Herr Gruber von unten. „Es wird Zeit, wir müssen gehen.“ Ein Blick auf die Wanduhr in Tims Zimmer zeigte ihr, dass sie über eine Stunde mit dem Kind verbracht hatte.

„Oh je“, sie schlug sich mit der Hand auf den Mund „schon so spät!“ „Es tut mir leid Timmy, aber ich muss jetzt gehen.“

„Besuchst du mich wieder?“ fragte der Junge leise.

„Versprochen!“ Demi ging in die Knie und drückte das Kerlchen, ehe sie zu Herrn Gruber in die Halle eilte.

„Tschüss Dieter und vielen Dank für alles. Über den Haushälterinnenjob spreche ich noch heute Abend mit meiner Mutter“ verabschiedete sie sich von Tims Vater.

Herr Gruber lieferte Demi zu Hause ab und schrieb ihr noch schnell Dieters Telefonnummer auf einen Zettel.

Die DeThekTiVe

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