Читать книгу Mit den Augen meines besten Freundes - Margarithe W. Mann - Страница 4
Darf ich mich Ihnen vorstellen
ОглавлениеGestatten, Nele ist mein Name, ich bin eine deutsche Boxerhündin. Das sind die Hunde, denen man oft unterstellt, dass sie zu den so genannten Kampfhunden gehören sollen. Also wissen Sie, ich muss Ihnen sagen, das ist eine ganz üble Nachrede und grenzt ja fast schon an Rufschädigung. Vielleicht kommen manche Menschen zu dieser irrigen Annahme, weil unserer Vorfahre der „Brabanter Bullenbeißer“ ist. Er wurde im Mittelalter an europäischen Fürstenhöfen zur Jagd auf Großwild gezüchtet und eingesetzt. Man sagt, wir wurden arbeitslos, als die Menschen begannen Feuerwaffen zur Jagd einzusetzen. Wir haben einen quadratischen, kräftigen Körperbau, nur so sind wir von Grund auf „echt“. Ein Rüde kann und darf durchaus um die 40 Kilo auf die Waage bringen. Seit 1895 nennen wir uns „Deutscher Boxer, zu dieser Zeit wurde in München der „Verein Deutscher Boxer“ gegründet. Wir gehören zu den mittelgroßen, doggenartigen Hunderassen. Unsere meist dunkle, faltige Maske und die kantige Schnauze verleiht uns ein etwas grimmiges Aussehen. Lasst es Euch ruhig sagen, wir Boxer sind eine ganz ausgeglichene, liebenswerte und freundliche Hunderasse. Wir eignen uns bestens als Familienhund. Als Begleithund und Therapiehund lobt man unseren Einsatz bei alten, kranken und einsamen Menschen. Wir arbeiten zudem mit Erfolg bei der Drogenfahndung und spüren in diesem Zusammenhang organisierte Verbrechen auf. Aber wir spielen auch gern, eigentlich unser ganzes Leben lang und lieben besonders Kinder. Wir bellen nicht dauernd unnützer Weise umher, sowie Nachbars Wolfi, der bei jeder Kleinigkeit gleich immer „Wer da? Wer da?“ in den Hausflur hinein bellt, obwohl weit und breit niemand zusehen ist und das vermeintlich bedrohende Geräusch nur von einem klappernden Fenster verursacht wurde. Natürlich passen auch wir Boxer auf unser Rudel auf, sehr gut sogar, unsere Ohren sind immer auf Empfang gestellt, aber wir tun es bedächtig. Fast alle kleinen Rassen meiner Artgenossen bellen erst einmal pauschal drauf los und schauen erst dann nach, was überhaupt Sache ist. Wir großen Hunde sehen zuerst nach ob Gefahr droht und entscheiden dann, ob sich eine laute Gefahrenansage notwendig macht oder nicht. Um noch einmal auf das Thema Kampfhund zurück zu kommen, muss ich dazu sagen, dass es sicher solche Rassen gibt, die als solche ausgeschrieben sind. Aber bei den Zweibeinern gibt es auch Exemplare, die den Begriff Kampfhund verdient hätten. Ich meine, es kommt immer auf die Erziehung an, bei den Menschen und bei uns Hunden eben auch. So wie wir erzogen werden, so verhalten wir uns auch. Viele Menschen sagen: So wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch zurück. Die Zweibeiner, die das erkannt haben, konnten es damit treffend formulieren. Wir Boxer haben ein sehr pflegeleichtes kurzes, anliegendes Fell in hellen bis dunklen Brauntönen, man sagt auch Rot dazu. Es gibt uns aber auch mit hellem oder dunkel gestromten Fell. Fast alle haben wir mehr oder weniger große weiße Abzeichen. Ich selber bin rotbraun, habe einen weißen Fleck auf meiner Brust und einen ganz schmalen weißen Streifen auf meiner weichen, knuffigen Schnauze. Mein Papa ist ein großer, kräftiger rotbrauner Rüde und meine Mama ist dunkel gestromt, wie es auch meine Großmutter war. In jungen Jahren war meine Schnauze schwarz, aber jetzt, wo ich gemeinsam mit meinem Frauchen ein wenig in die Jahre gekommen bin, ist sie schon recht grau geworden. Mein Frauchen sagt jetzt öfter Graubart zu mir. Zum Glück wurde es zumindest in Deutschland endlich verboten, an uns Vierbeinern herum zu manipulieren. Es gab Zeiten, da wurde uns an den Ohren herum geschnitten, damit sie aufrecht stehen sollen. Wir Boxer haben von Natur aus kurze Hängeohren, das sieht doch gut aus, ich weiß nicht, warum man das verändern wollte. Ich finde, dass wir damit noch strenger und finsterer ausgesehen haben. Noch viel schlimmer war es aber, dass man uns bis vor nicht allzu langer Zeit den Fortsatz am hinteren Ende bis auf ein kleines Stück ein abgeschnitten hat. Kupieren haben die Menschen zu all diesen Untaten gesagt, die uns regelrecht zum Krüppel gemacht haben. Als junge Hundedame habe ich noch öfter Artgenossen gesehen, die man verstümmelt hatte. Heute ist dieser Anblick Gott sei Dank schon seltener geworden. Bei uns Hunden geht es nicht um das Aussehen, so wie es bei den Zweibeinern sehr oft von großer Wichtigkeit zu sein scheint. Wir Vierbeiner verständigen uns ebenso untereinander wie die Menschen auch. Wir brauchen den Fortsatz an unserem hinteren Ende, um uns artikulieren zu können, wie es vernünftige Zweibeiner richtig erkannt haben. Nicht nur zur Verständigung der Artgenossen untereinander brauchen wir unsere Rute, sondern auch, um dem Menschen unsere Stimmung und Absicht zu vermitteln. Uns Vierbeinern ist es auch vollkommen egal, wie unser Herrchen oder Frauchen aussieht. Wir lieben unseren Rudelführer, egal, ob er nun nach Ansicht des Menschen eine Schönheit ist oder ob man ihn als hässlich bezeichnet. Völlig „wurscht“ ist es uns auch, wie unser Zweibeiner angezogen ist und ob er arm oder reich ist. Für uns sind nur das Verständnis und die Liebe entscheidend, die uns entgegen gebracht wird. Wir sind dem Menschen ergeben und wir verteidigen Euch, wenn es sein muss auch unter Einsatz unseres Lebens. Ein Hund sollte Euch Menschen deshalb aus Liebe und nicht aus Angst gehorchen.
Nachdem ich mich ein wenig vorgestellt habe, möchte ich Euch etwas ausführlicher aus meinem Leben erzählen. Gemeinsam mit meinem Frauchen bin ich wie gesagt nun etwas in die Jahre gekommen, wie es die Menschen bezeichnen. Wir haben jetzt viel Zeit, die wir miteinander verbringen dürfen. Bis vor kurzem ging mein liebster Zweibeiner, so wie ich mein Frauchen auch bezeichne, noch sehr oft weg, arbeiten sagen die Menschen. Viele Male habe ich sie dabei begleitet, aber nun ruhen wir uns gemeinsam vom Leben aus. Nachdem mein Frauchen mit mir noch einmal in eine andere neue Hütte gezogen ist, Wohnung, heißt das bei den Menschen, sitzen wir öfter in einer verlängerten Stube. Mein Frauchen beschäftigt sich, indem sie mit den Enden ihrer Vorderläufe auf einem, na sagen wir, einer Art Brett tippt. Wenn es regnet, oder wenn es meinem Frauchen zu kalt ist, dann setzt sie ihre Beschäftigung in der Hütte selbst fort, denn der äußere Teil unserer Wohnung hat nur ein Dach aber ringsherum keine Mauern. An einem schönen, sonnigen Tag sitzen mein Frauchen und ich auf dem Balkon, so wie diese Freiluftstube von den Zweibeinern genannt wird. Mein Frauchen hat ihr Brett geholt, sie nennt es Leptopf oder so ähnlich. Sie legt es auf den Tisch, schaut mich an und sagt: „Siehst du Nele, mein Buch, dass ich zuletzt geschrieben habe ist nun fertig. Jetzt brauche ich eine neue Idee, um noch ein Buch zu schreiben. Irgendwie fällt mir gerade nichts Passendes ein“. Ich stehe auf und stupse meinen liebsten Zweibeiner mit der Schnauze ganz sachte in die Seite. Mein Frauchen versteht mich, so wie immer, denn es sagt zu mir: „Ganz genau, Graubart, du hast recht, ich schreibe deine Geschichte auf, … ja, genauso machen wir es!“. Also fange ich an, meine Geschichte, so wie ich das Leben mit meinen Augen gesehen habe, zu erzählen. Und weil wir Hunde nun mal nicht lesen und schreiben können, tut es mein Frauchen für mich:
Als ich geboren wurde, konnte ich vorläufig nichts sehen und auch nichts hören. Wie alle Hunde kam ich blind und taub zur Welt. Wir neugeborenen Welpen können auch noch nicht unsere Körpertemperatur selbst regulieren und wir brauchen die Wärme von unserer Mama. Sie macht bei uns Hundebabys auch eine Bauchmassage, indem sie uns das Bäuchlein leckt, damit wir pullern und unser „Würstchen“ loswerden können. Die Menschen sagen, wir Hunde gehören zu den Nesthockern, weil wir zu Beginn unseres Lebens so unbeholfen sind. Erst nach etwa zwei Wochen beginnen sich unsere Augen und die Ohrkanäle zu öffnen. Aber riechen können wir bereits. Wenn auch dieser Sinn noch nicht vollständig ausgebildet ist, erkennen wir in den ersten Tagen unsere Mama und unsere Geschwister am Geruch. Der Geruchsinn hilft uns auch, im ständigen Gedränge zwischen den Geschwistern die süßen Milchquellen zu finden, die unsere Mama für uns bereithält. Nachdem unser Welpendasein in den ersten zwei Wochen nur aus Schlafen und Trinken bestand, öffnen sich nun langsam unsere Augenschlitze und die Ohrkanäle auch. Allerdings sehen wir nicht gleich so gut wie wir bereits hören können, denn das Sehvermögen entwickelt sich langsamer als das Hörvermögen. Der Geruchsinn bleibt für uns ein Leben lang der wichtigste Orientierungssinn den wir haben. Wir können um ein vielfaches besser riechen und auch hören als die Menschen. Wir sehen nicht verschwommen oder unscharf, wie man früher meinte, wir sehen auch Farben, aber wir haben Schwierigkeiten bei den Farben rot und grün. Nach etwa vier bis sechs Wochen können wir fast so gut hören, sehen und natürlich riechen wie ein erwachsener Hund. Was wir in dieser Zeit lernen, das prägt unsere Persönlichkeit und das Temperament für ein ganzes Leben lang, das vergessen wir auch nicht. Wir fangen so etwa in der 8. Lebenswoche an, mit den Geschwistern zu spielen, wir messen unsere Kräfte und „proben“ schon mal für die spätere Rangordnung. Wir lernen unsere Umgebung kennen und wissen, wer unsere Futterschalen füllt und wer zum Rudel dazugehört. Wir werden zwar von unserer Mama auch noch gesäugt, aber wir bekommen außer der Milch von der Mama bereits feste Nahrung zugefüttert. Wir lernen viel von unserer Mama, sowie ein Menschenjunges auch, drei Monate sollten wir deshalb in unserem alten, bekannten Rudel bleiben dürfen.