Читать книгу Sphinxgeflüster - Margret Jacobs - Страница 5

Vergangene Zeiten

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>>Amenophis!<<, rief ich, wenn ich vermutete, dass er sich wieder versteckt hatte. Mein Unterton war vorwurfsvoll, denn in den Gängen konnte man sich leicht verirren. Ich fand auch nach vielen Jahren bisweilen einen Gang oder Zugang, der bisher nicht da war. Ich vermutete, die dunklen Worte der Pharaonenpriester dahinter, die ab und zu her kamen, um das Gebäude aus riesigen Steinquadern den Göttern zu weihen.

Die Gänge veränderten sich. Das wusste Amenophis. Aber damals war er noch so jung und so unerfahren. Nur ein junger Pharao, der noch in dem Alter des Kindes steckte, konnte einen solchen Leichtsinn begehen. Aber ich mochte das.

Der unerschöpfliche Mut von Amenophis führte ja schließlich dazu, dass er sich auf mich eingelassen hat. Einem Wesen, das nicht-menschlich ist und das älter ist, als ein Mensch es sich vorstellen kann.

Amenophis kannte keine Angst. Zumindest nicht in seinen jungen Jahren. Wenn er sich versteckt hatte, um mit mir zu spielen, tat ich so, als würde ich nicht mitbekommen, wo er sich gerade befindet. Sein Kichern schalte durch die Gänge der Pyramide und erhellte sie für Sekunden mit Lebensfreude. Das liebte ich!

Als Amenophis so jung war und sich lachend durch die Gänge seines zukünftigen Grabes bewegte, wie eine Gazelle im Sonnenlicht des Morgens, vergaß ich, dass er ein Sterblicher ist. Ich verliebte mich in die Unbekümmertheit dieses Geschöpfs und wollte mehr.

Jeden Tag wartete ich stundenlang auf den Moment, wo ich leben durfte in der Anwesenheit dieses Jungen. Er war in jungen Jahren stets gesund geblieben und von Alter und sterben wusste er nichts. Niemand hatte ihm gesagt, dass er wie seine Vorgänger in diesem gigantischen Meer aus leblosem Stein enden wird.

Ich sagte ihm auch nichts.

Was hätte ich auch sagen sollen? Hätte ich seine Lebenslust nehmen sollen, damit er flieht und nicht geopfert wird? Das konnte ich nicht! Ich war nach wenigen Minuten bereits süchtig nach seinem Lachen, seinen anmutigen Bewegungen seiner Beine und dem Tanz seiner Arme, wenn er hüpfend und jauchzend in der Vorkammer sich aufhielt. Wer konnte da widerstehen? Ich nicht!

Ich bildete mir ein, dass dieser Junge etwas Besonderes ist. Anders als die anderen, die bereits begraben waren, in Pyramiden oder anderswo. Nun, manche von ihnen waren in den Pyramiden nicht begraben, sondern waren, als man die Kammern schloss, erstickt und sie lagen jetzt noch so da. Es war kein schöner Anblick zu sehen, wie sie ihren letzten Atemzug nahmen, in dem Bewusstsein, dass sie gleich sterben würden. Ich hatte das nie miterlebt. Aber ich wusste davon.

Dieser Junge war anders. Er bewegte sich nicht gezwungen und sprach auch nicht leise in den angeblich heiligen Gängen der Pyramide. Er war laut, ungezwungen und man konnte sehen, dass er sich und dieses Gebäude nicht in Verbindung brachte. Er wirkte wie ein Fremdkörper. Dieses Leben gehörte nicht in das Grab.

Wir waren uns nie fremd gewesen. Das klingt vielleicht komisch, da ich kein Mensch bin. Aber ich kann die menschliche Natur verstehen, da ich sie über Äonen studiert habe. Die Menschen sind komisch, Sie leben endlich und doch versuchen sie, dies zu leugnen und abzuändern. Sie erfinden viel, um sich über ihren Tod hinweg täuschen zu können. Dieses Grab, das das Ausmaß eines Tempels hat, ist das beste Beispiel dafür. Wie lange haben diese kleinen Kreaturen gebraucht, um unter Mühsal, Gefahr und unzähligen Verletzungen, dieses Monument, was gegen den Tod trotzen soll, zu bauen.

Ich kann mich noch an die Anfänge erinnern. Es ist wirklich sehr lange her. Das muss der Beginn meiner Existenz gewesen sein. Ich erwachte. Es war dunkel und ich lag in einem See von Sand. Über mir kein Himmel. Über mir war das Steinenmeer mit der immer gleichen Farbe. Quadratisch ohne Ausnahme. Alle Quader waren sorgfältig um mich herum aufgetürmt worden. Links eine Mauer neben mir und rechts ebenso. Darüber die Steinfläche und unter mir der Sand. Das war es. Mehr gab es nicht.

Ich konnte mich kaum bewegen und dachte schon, das wäre mein Ende, obwohl es ja der Anfang war. Mühsam drehte ich mich um meine Achse. Der Steinkäfig hatte einen Durchgang. Hinter mir. Nicht sehr breit oder hoch, aber so, dass ich meinen Kopf und meinen Körper hindurch bewegen konnte.

Ich lauschte den Schlägen der Steine, die auf Stein geschlagen wurden. Stimmen drangen zu mir durch und ich verstand, was da gerufen wurde. Es waren Menschen. Sie bauten an noch mehr Steinmauern. Und sie nahmen mich nicht wahr. Meine Vorsicht war unbegründet.

Ich konnte mir nicht erklären, warum sie mich ignorierten. Vielleicht musste das so sein. Menschen und Sphingen sind nicht von der gleichen Art. Zumindest nicht sehr. Ich kannte diese menschlichen Wesen, aber ich wusste nicht woher. Das Wissen war einfach da. Ich war einfach da.

Ich war nicht klein, sondern ausgewachsen, wie ich später feststellte, denn ich veränderte mich weder in meiner Statur noch in meinem Geist. Ich war einfach.

Die Menschen sahen seltsam aus. Zwei Beine, zwei Arme, einen Kopf und keinen Schwanz. Nun, ich wusste, dass bei der männliche Ausgabe der Menschen, sie das kurze Teil vorne zwischen den Beinen auch „Schwanz“ nennen, aber ich meine den langen Schweif, den eine Sphinx hinter sich trägt. Menschen haben keinen Schweif.

Und natürlich habe ich auch einen „Schwanz“, denn ich bin eine männliche Ausgabe einer Sphinx. Außerdem bin ich das einzige Exemplar in dieser Steinhöhle, die eher eine Hölle ist.

Woher ich weiß, dass es auch noch weibliche Sphingen gibt, wenn ich doch die einzige Ausgabe in der Pyramide bin? Ich weiß es eben. Und man muss mir glauben.

In den vielen, gefühlten tausend Jahren, die ich hier bin, habe ich niemanden getroffen, der etwas anderes war als ein Mensch. Aber das genügte mir – zumindest in der Zeit, der kurzen Spanne, als Amenophis noch lebte.

Ich unterhielt mich mit ihm. Und ich vermutete, dass er dadurch, dass er ein Pharao war, andere Fähigkeiten besaß, als die eifrigen Arbeiter um ihn herum. Amenophis konnte mich sehen, riechen, spüren und er konnte sich mit mir unterhalten. Und das beste war: Er bevorzugte meine Gesellschaft vor der der menschlichen. Ich war entzückt!

Am Anfang hielt er mich wohl für so eine Art Haustier. Die Ägypter schätzten ihre tierische Verwandtschaft und manchmal ging die Liebe so weit, dass sie sie verspeisten. Das war auch der Grund, warum ich anfangs sehr vorsichtig im Umgang mit dem jungen Pharao war. Ich hielt mich bedeckt und stellte mich stets in sicherer Entfernung vor ihm auf.

Amenophis wurde begleitet von Wächtern, die Messer aus Bronze trugen. Es war seine Leibwache, denn er als Junge konnte sich noch nicht wehren.

Die Menschen, die unaufhörlich nach dicken Bohnen und Fisch rochen, waren genauso skeptisch mir gegenüber, wie ich es ihnen gegenüber war. Ich war in den engen Räumen nie sicher vor ihnen. Doch meistens war ich für sie Luft. Sie interessierten mich auch nicht. Ich witterte eine Abwechslung in dem Kontakt zu dem Pharao. Und so sollte es auch sein.

Eigentlich war es verwunderlich, dass sie mich nicht sofort getötet haben, oder es zumindest versucht haben. Ich war viel größer als sie und sah auch nur zum Teil wie ein Mensch aus. Aber sie taten es nicht. Stattdessen bauten sie an der Pyramide. Sie war da noch bei weitem nicht fertig. Es gab meinen Raum, in dem ich mich hauptsächlich aufhielt und in dem ich geboren worden war. Und es gab einige Nebenräume, die aber noch kleiner waren als der Raum, in dem ich mich aufhielt.

Neben der Pyramide erschufen sie ein zusätzliches neues Bauwerk. Es dauerte lange, bis ich sehen konnte was es war. Eine Sphinx. Oder sagen wir mal, dieses Bauwerk hatte durchaus Ähnlichkeiten mit mir. Es hätte sein können, dass sie mir ein riesiges Denkmal erbauten, allerdings passte ihr Verhalten mir gegenüber nicht dazu. Sie zeigten sich mir gegenüber gleichgültig und gingen mir aus dem Weg. Aber ich dachte, nun ja, wenn sie mir ein Denkmal errichten, dann habe ich ein Platz in ihrem Herzen und daher töten sie mich nicht.

Dann dachte ich mir, dass sie mich verschonten, weil der Pharao Interesse an mir zeigte. Vielleicht hielt ich mich ja dort in der werdenden Pyramide auf, damit dieser Kontakt zustande kam. Vielleicht sollte ich das göttliche Kind unterhalten oder amüsieren.

Die erste Begegnung mit Amenophis verlief allerdings eher unspektakulär. Als wäre ich eine Maus oder ein anderes uninteressantes Tier, das sich in den heiligen Räumen aufhielt und dem man keine Beachtung schenken braucht. Ich war etwas enttäuscht und gleichermaßen erleichtert, dass diese Menschen, die mich zum ersten Mal aus der Nähe sahen, nicht in Gekreische ausbrachen. Sie mussten wissen, was ich bin und wozu ich da bin, sonst wäre ihre Reaktion auf mich anders gewesen.

Nun, ich war also wie immer in meinem Raum und hörte schon von weitem, dass sich Menschen näherten. Sie blieben jedoch nicht in einem der angrenzenden Räume stehen und fingen an, Steine zu behauen, sondern kamen zielstrebig auf meinen Raum zu.

Mein Herz fing an zu hämmern. Meine Muskel spannten sich. Noch hatte ich Zeit, aus dem Raum zu entfliehen und … Ja, ein „und“ gibt es nicht, denn ich wusste tief in mir drin, dass ich nicht raus konnte. Irgendwie war ich mit meinem Körper mit diesen Steinen verbunden. Sollte ich diese verlassen, würde ich vergehen. Ich wusste zwar nicht, wie das aussehen würde. Aber ich war mir sicher, dass das mein Tod bedeuten würde. Und ich wollte nichts riskieren. Mein Zuhause war zwar eingeschränkt und ziemlich eintönig, aber immer noch besser als das Nichts zu erfahren, oder die Totenwelt mit ihren Schrecknissen.

So harrte ich also aus und lauschte den näher kommenden Schritten. Es waren drei Menschen und der eine von ihnen machte offensichtlich kleinere Schritte als die anderen beiden, denn der Widerhall seiner Schritte war öfters zu hören, als der seiner Begleiter.

Die Ausdünstungen von Bohnen und Fisch konnte ich auch sofort riechen. Kein unangenehmer Geruch nur fremdartig. Die Steine rochen nach Kälte und ließen meine Nüstern sich zusammen ziehen. Die Luft hinterließ ein Gefühl von Taubheit in meiner Nase. Die Bohnen und der Fisch belebten dagegen mein Riechorgan, als wäre es zum ersten Mal in Funktion getreten.

Ich blähte meine Nasenflügel so weit es ging auf und nahm einen tiefen Zug. Ich wusste nicht, wie Bohnen aussahen oder schmeckten. Ebenso wenig hatte ich je einen Fisch zu Gesicht bekommen. Aber ich war mit einem Wissen ausgestattet, das mir erlaubte, sogar die Fischsorte zu bestimmen. Und ich wusste, dass dieser Fisch, den sie gegessen hatten, mit Reusen gefangen worden war. Ich war zufrieden. In nur wenigen Minuten hatten diese Menschen meinen Horizont erweitert.

Amenophis machte eine seltsamen Eindruck auf mich. Er war viel kleiner als seine beiden menschlichen Begleiter. Auch trug er nicht das schlichte Gewand eines Arbeiters, sondern sah aus, wie jemand, der den ganzen Tag in seiner Kleidung auf einem Thron posiert. Er wirkte nicht echt, sondern wie jemand, der mit viel Pomp zur Unbeweglichkeit verdammt wurde. Auf seinem Kopf thronte ein Schmuck aus Gold und bunten Steinen. Viel zu schwer für das kleine Haupt. Daher neigte sich sein Kopf auch leicht nach vorne, als er um die Ecke in meinen Raum kam.

Ich wusste, was die Uräusschlange auf seinem Kopf zu bedeuten hatte. Sie war seit Jahrhunderten das Zeichen der Könige und Götter. Der kleine Mann vor mir war ein Pharao. Nun ja, zumindest war er ein Knabe von königlichem Geblüt.

Die Situation besaß eine gewisse Komik. Ich tat so, als wäre es das Normalste, dass eben drei Menschen in meine Kammer getreten waren und versuchte so desinteressiert wie möglich drein zu blicken. Wenn ich nicht fliehen konnte, wollte ich mir meine Panik zumindest nicht anmerken lassen. Aber die Angst in mir war auch ganz unnötig.

>>Ich grüße dich!<<, war die schlichte Begrüßung des Kindpharaos an mich.

Seine Stimme wirkte weder aufgeregt noch unsicher. Es klang, als hätte er einen alten Bekannten begrüßt. Ich nickte nur. Meine Augen versuchten in seinem Gesicht zu lesen. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und er hatte die weiche Haut eines etwa zehnjährigen Jungen. Auf seiner Nase thronte ein kleiner Höcker. Sie war aber ansonsten anmutig lang. Für einen Knaben war er etwas klein geraten. Zumindest kam mir das so vor. In seinen Sandalen aus weicher Rindshaut steckten zehn kleine Zehen, die braun schimmerten. Die Füße wirkten gepflegt und gesund und verrieten, dass er selten barfuß lief, wie ansonsten die meisten Menschen hier.

Ich starrte ihn an.

Nichts passierte.

Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich mich einfach umgedreht und wäre gegangen. Mir wurde klar, dass dieser Junge irgendetwas von mir wollte und das war mir nicht geheuer. Niemand begrüßt einen anderen, wenn er damit nicht eine Absicht verband.

Doch ich musste mich täuschen. Nach der formlosen Begrüßung drehte der Pharao sich um und verließ wortlos meine Kammer. Seine Leibwächter begleiteten ihn. Dann war ich wieder allen.

Das war es.

Mehr passierte nicht.

Ich war enttäuscht.

Und ich war froh, dass ich noch am Leben war.

Komisches Volk, das der Menschen.

Nach dieser Begegnung bei mir in meiner Kammer, vergingen viele Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge. Auf Re war stets Verlass.

Ich zählte inzwischen sieben Kammern unterschiedlicher Größen, die sie neu erbaut hatten. Die Pyramide, wenn es dann mal eine solche werden sollte, erstreckte sich im Moment hauptsächlich nach Süden.

Ich bekam von der Hitze da draußen nichts mit. Die Arbeiter kamen stets bei den ersten Sonnenstrahlen des Tages und verschwanden nach getaner Arbeit, wenn Re sein Licht am hellsten erstrahlen ließ.

Wenn ich meine Nase in eine der schmalen Lichtschächte steckte, wodurch das Tageslicht hindurch schien, spürte ich den großen Temperaturunterschied, der draußen und bei mir drinnen herrschte. Es mussten sich um viele Grade handeln, denn schon nach wenigen Augenblicken war mir das Licht auf meiner Nase zu heiß. Unangenehm. Ebenso war es sehr unangenehm, länger in das grelle Licht zu schauen. Wenn ich es tat und dann meinen Blick wieder ins Innere wandte, sah ich Punkte, die auf und ab tanzten. Die Steine schienen sich zu bewegen. Sie hüpften rauf und runter und mir war schwindelig. Die Abstufungen von Beige in den Mauern schienen dunkler zu sein und eine Weile hatte ich das Gefühl, woanders zu sein. An einem Ort, wo die Steine lebendig waren und die Luft von Punkten erfüllt war.

Sonst war die Luft durchdrungen von feinem Staub und dem Hämmern der Arbeiter auf Stein. Ab und zu riefen sie etwas, wie: „Vorsicht!“ oder „Pass doch auf!“. Anfangs hat es mich noch interessiert, was die Menschen von sich gaben. Aber sie waren im Grunde wortkarg. Die Laute, die über ihre Lippen kamen, waren immer die gleichen. Sie unterhielten sich nicht, zumindest nicht an dem Ort der gemauerten Steine.

Auch mieden sie es, mit mir zusammen zu stoßen. Ich hatte den Eindruck, als würden sie besonders schnell durch die Gänge huschen, die an meine Kammer grenzten. Ganz so, als würden sie sich fürchten, mich zu sehen oder mir in den Weg zu treten. War ich denn so fürchterlich anzuschauen?

Ich konnte es nicht sagen. Zu der Zeit hatte ich noch keine Wasseroberfläche in meinem Steingehäuse, um mich darin erblicken zu können. Erst sehr viel später hatte Amenophis angeordnet, an meiner Kammer, einen Raum in ein Badehaus zu verwandeln. Dort gab es dann ein tiefes Bassin, welches regelmäßig von den Arbeitern mit frischem Wasser auf gefüllt wurde. Das Wasser spiegelte mein Aussehen wieder. Besonders, wenn man mit einer brennenden Fackel dem Wasser nahe kam.

Doch all die Zeiten zuvor war ich im Ungewissen über mein Aussehen gewesen. Und ich machte mir Gedanken. Ich hatte nicht die glatte, unbehaarte Haut eines Menschen, sondern ein Fell zog sich über den hinteren Teil meinen Körpers. Und es hatte die Farbe der Steine, die sich um mich herum befanden. Hell und beige. Das Fell war nicht sehr weich. Eher etwas struppig. Wenn ich denke, wie weich sich die Kopfhaare von Amenophis anfühlten, waren meine Haare auf meinem Körper eher hart und unbiegsam. Trotzdem fand es Amenophis schön, mein Fell zu streicheln. Er fand mich attraktiv.

Manchmal dachte ich, ich wäre eine Verkörperung von Sachmet. Sie hatte einen Löwenkopf. Nun ja, ich habe einen Löwenkörper. Nicht ganz, aber fast. Der hintere Teil von mir ist Löwe. Der vordere Teil nur ein wenig. Wenn ich an mir runter schaue, sehe ich zwei menschliche Arme mit zwei menschlichen Händen. Halbwegs. Die Arme sehen zumindest nicht so aus wie meine Hinterläufe und die Hände haben keine Ähnlichkeiten mit meinen Hinterpfoten. Allerdings sind meine Arme und Hände mit dünnem Fell überzogen. Und da, wo ein Mensch seine Brust hat, sehe ich ebenfalls tierisch aus. Und schaue ich noch weiter an mir runter, sehe ich die Fortsetzung von meinem Löwenkörper. Ich habe vorne zusätzlich Vorderläufe mit Tatzen dran. Eben wie ein Löwe und darüber oder daneben – wie ihr wollt – hängen meine menschlich anmutenden Arme. Ich bewege mich mit meinen Löwenläufen auf allen Vieren fort. So bin ich am schnellsten. Ich kann zwar auch auf meinen Hinterläufen wie ein Mensch aufrecht gehen, mache aber das nicht so gerne. Und natürlich habe ich einen langen Löwenschwanz mit einer dunklen Haarquaste dran. Tja, ich bin wohl doch nicht Sachmet in einer ihrer Gestalten.

Es gab Zeiten, da hätte ich was dafür gegeben, diese Göttin zu sein. Sie konnte heilen. Sie konnte das Leben zurück geben. Ich jedoch nicht. Amenophis ist verstorben, wie alle anderen auch.

Ja, ich bin ein Mischwesen. Doch gänzlich ohne Macht.

Mein Gesicht ist übrigens auch recht menschlich. Nicht ganz, aber einen Löwenkopf habe ich nicht. Die Ohren sitzen bei mir wie bei einem Menschen seitlich am Kopf und ich habe keine wirkliche Schnauze. Allerdings ist meine Zunge sehr viel breiter und länger als bei einem Menschen und wohl auch rauer, denn Amenophis fand, dass sie sich wie Sandkörner anfühlte, wenn ich mit meiner Zunge über seine Arme leckte. Seine Zunge dagegen hinterließ bei mir ein Gefühl von außerordentlicher Weichheit.

Ich hätte gerne gewusst, ob andere Sphingen mir ähnlich sehen. Aber vielleicht bin ich ja auch das einzige lebende Exemplar. Nicht ganz Tier und nicht ganz Mensch.

Mein Mund sähe aus wie ein Maul, nicht wie ein Mund, meinte der kleine Pharao damals. Als wir das Wasserbassin hatten, konnte ich es auch sehen. Mein Mund ist recht lang und beide Lippen sind gleich breit. Ich kann diese Lippen aber genauso zu einem Lächeln verziehen, wie es die Menschen tun. Ich kann auch ein Spitzmäulchen machen.

Ach ja, meine Zähne sehen denen der Menschen nicht ähnlich. Ich habe rechts und links oben zwei sehr spitze lange. Auch ansonsten sind meine Hauer viel größer als die Zähne eines Menschen. Sie sehen gruselig aus. Wenn ich meine Zähne blecke, wirke ich wie ein gefährliches Monster. Bisher gab es aber wenig Anlass dazu.

Ich frage mich, warum ich so große Zähne habe, wo doch Nahrung gar keine Rolle für mich spielt. Ich weiß nicht wie, aber ich existiere, ohne jedwede Nahrung zu mir zu nehmen oder ohne etwas zu trinken. Amenophis meinte, ich wäre ein mythisches Wesen, ein Wesen, was eigentlich nur in der Phantasie der Menschen existieren würde. Daher bräuchte ich auch keine Nahrung zum überleben. Ja, aber warum kann ich dann denken, fühlen und verschwinde nicht einfach wieder, nachdem die Menschen kein Interesse mehr an mir zeigen?

Sachmet bin ich also nicht.

Dann dachte ich, ich könnte auch Isis sein. Das wünschte ich mir innig und verzweifelt, als der Pharao tot war. Ich dachte, wenn ich Isis bin, dann kann ich Amenophis wieder ins Leben holen. Schließlich hatte ich das als Isis schon mal bei meinem Gemahl gemacht. Ich war verzweifelt und hielt mich an jedem Strohhalm fest, den das Reich der Götter zu bieten hatte.

Osiris zu sein, wäre auch nicht schlecht gewesen. Als Gott über das Totenreich hätte ich nach Amenophis Tod unsere Freundschaft eben in der Totenwelt weiter führen können. Das wäre vielleicht die beste Lösung gewesen.

Natürlich kam mir auch der Gedanke, einfach Amenophis in den Tod zu folgen. Dann wären wir auch wieder zusammen gewesen und ich nicht so allein. Aber stimmt das? Ich war mir nicht sicher. Ich wusste, dass tote Menschen ins Totenreich kommen. Ein Pharao sowieso. Aber eine Sphinx? Ich wusste ja nicht mal, woher ich kam, oder wer mich erschaffen hatte oder gezeugt. Wie konnte ich wissen, wohin ich ging, wenn ich starb? Und konnte ich das überhaupt – sterben meine ich?

Nein, ich bin auch nicht Osiris. Osiris ist schwarz wie die Nacht oder die Erde, wo sein Totenreich sich befindet. Mein Fell ist hell wie der Sand und nichts Schwarzes ist darin.

Nein, an mir ist nichts Dunkles. Amenophis fand, ich würde in das Dunkel, welches in der Pyramide herrscht, Helligkeit bringen. Und später, als er älter war, versicherte er mir, dass ich auch Licht in sein sonst düsteres Leben brächte. So war ich sein Lebenslicht. Ich war stolz darauf!

Trotzdem hat das nicht ausgereicht. Sein Lebenslicht erlosch und trotz all der Kenntnisse der Priester und Heiler haben wir ihn verloren. Ich habe ihn verloren.

Amenophis hat mir mal von seinem Onkel erzählt, der auch Pharao war und der sich den Heilkünsten der Priester hingeben musste. Diese probierten ungewöhnliche Heilmethoden an ihm aus. Die Priester schlugen dem erkrankten Pharao ein Schlammbad im Nil vor. Das hat er gemacht. Als das nicht wirkte, haben sie den Schlamm aus dem Nil in den Palast gebracht und haben einen großen Bottich damit gefüllt. Darin hat der Pharao ein mal am Tag gebadet. Sie dachten, wenn er in dem heiligen Schlamm badet und das regelmäßig, findet eine Heilung statt. Irgendein Gott würde schon Erbarmen zeigen. Aber der Onkel von Amenophis gesundete nicht. Er wurde immer schmaler im Gesicht und sein Körper ließ schon das Gerippe sehen. Da war er gerade mal dreißig. Oder etwas älter, Amenophis wusste es nicht so genau. Sein Onkel ist schließlich qualvoll gestorben und die Priester waren machtlos.

Amenophis war jung. All die Jahre war er so jung. Auch als er tot war, kam er mir ungeheuer unverbraucht vor.

Wir waren ein komisches Gespann. Er so jung, ich so alt. Ich mit all dem Wissen, was in mir war von Anfang an meiner Existenz und Amenophis mit seinen jungen Jahren und dem Wissen eines Wesens, das außerhalb meiner Mauern existieren konnte. Er hatte gesehen, was ich zwar wusste, aber nie gesehen hatte. Er konnte Pelikane beobachten und Feigen pflücken. Die Feigen brachte er in meine Behausung mit, damit ich sie betrachten konnte. Ich leckte mit meiner Zunge über die Feigen und meine Sinne waren berauscht. Sie waren witzig anzusehen, denn sie hatten nichts von Sand oder Steinen, die mich stets umgaben. Es war ein schönes Spiel: An Feigen lecken.

Meine Gedanken versuchen sich zu verstecken. Sie kommen aber immer wieder. Mein Gehirn kreist unaufhörlich um den Gedanken, ob ich mit Schuld daran bin, dass Amenophis sterben musste. War er an gebrochenem Herzen gestorben? Ich will das nicht denken!

Wir leckten zusammen die Feigen ab. Auch mit fast zwanzig Jahren hatte er noch Freude daran. Wir alberten herum und sogen die Süße der Feigen in uns auf. Manchmal aß Amenophis auch eins dieser Dinger. Ich begnügte mich damit, die Süße in meinem Mund zu spüren. Nach essen war mir nicht. So etwas wie Magengrummeln kannte ich nicht. Aber ich konnte trotzdem die Speisen, die er brachte, mit meinen Sinnen aufnehmen. Und das tat ich begierig. Steine schmecken nämlich nicht und fühlen sich immer gleich rau und staubig an.

Amenophis brachte eine ganz neue Welt in meine Kammern. Es waren inzwischen unzählige. Zumindest kam mir das so vor. Der Pharao besuchte mich anfangs ab und zu, dann später fast täglich. Ich konnte es kaum erwarten, seine Schritte in dem Mauerlabyrinth zu hören. Er hatte inzwischen Feuerschalen und brennende Fackeln überall aufstellen lassen. Und die Priester sorgten dafür, dass diese ständig brannten.

Am Anfang hatte ich Angst vor dem Feuer. Ich merkte, das es meinem Fell und meinem Körper etwas anhaben konnte. Und da die Gänge sehr eng und ich recht groß bin, dauerte es eine Weile, bis ich mich an die veränderte Situation gewöhnt hatte und genauso schnell und beweglich war, wie zu den Zeiten ohne das künstliche Licht.

Die häufigen Besuche bei mir hatten Folgen. Amenophis bekam Ärger. Als er noch sehr jung war, schien sich keiner daran zu stören, dass er bei mir war. Ja, sie schienen es zu begrüßen, dass der Junge einen Kontakt zu einem Wesen pflegte, das irgendwie in eine jenseitige Welt zu gehören schien.

Die Ägypter liebten Mischwesen wie mich. Die meisten ihrer Götter, die sie verehrten, waren welche. Und es schien für den jungen Pharao förderlich zu sein, mit so einem Wesen Zeit zu verbringen. Seine Untertanen sahen in ihm auch die Eigenschaft, dass er einen engen Bezug zur Götterwelt hatte, oder sogar göttlich war. Die Zeit mit einem Wesen zu verbringen, was ebenfalls eine Verbindung zur Götterwelt hat, schien daher logisch. Aber das änderte sich.

Als Amenophis weitere Male bei mir in meiner Kammer erschien, kam er alleine, ohne Leibwächter. Er erzählte mir, dass er von so einem Wesen wie mir von seiner Amme gehört hätte und diese ihn ermutigt hatte, mich zu suchen. Die Amme wusste auch, wo ich war und wo Amenophis hin gehen musste.

Ich war verblüfft. Der Junge hatte tatsächlich keine Angst vor mir. Die Amme musste nur Gutes über mich erzählt haben.

Er kam zu meiner Überraschung regelmäßig und hatte die Gewänder des Pharaos stets abgelegt. Er war nun ein normaler Junge, der spielen wollte.

Ich wollte wissen, ob die Amme ihn aufgeklärt hatte, was eine Sphinx in Zusammenhang mit einem Pharao für eine Aufgabe hat. Aber Amenophis meinte nur, dass ich zum spielen da sei und ich ihm seine Zeit vertreiben sollte, denn der Alltag als Pharao langweilte ihn zu Tode. Ich glaube eher, dass ihn die Aufgaben des Pharaos ängstigten und zum Teil überforderten. Wenn er zu mir kam, durfte er ganz Junge sein und alle Sitten, Gebräuche, Vorschriften und strenge Regeln blieben draußen im Sand der Wüste stecken.

Dabei blieb es. Amenophis kam, wir spielten verstecken. Er schlief in meinen Armen und erzählte mir ab und zu von der Außenwelt in die ich nicht konnte. Es war unspektakulär. Ich glaube, er sah in mir ein Haustier. Und ich war glücklich. Amenophis machte mit seinem Lachen die Steinmauern weich.

Es ging glückliche Jahre so.

Eines Tages kam der Junge mit hängenden Schultern in mein Gemach und Wasser lief aus seinen Augen. Sein Gesicht war rötlich geschwollen und seine Stimme brach, als er mir erzählte, dass er unbestimmte Zeit nicht zu mir kommen dürfe. Seine Aufpasser hatten es ihm verboten. Wie unverschämt!

Mich fröstelte. Ich konnte nicht weinen, aber es fühlte sich so an, als wäre es mein Todesurteil. Ich hatte sowieso schon damit zu kämpfen, jeden Tag aufs Neue auf ihn zu warten. Schon die letzte erzwungene Wartezeit auf ihn, war mir unendlich vorgekommen.

Menschen waren so zerbrechlich. Und so ein junges Ding wie Amenophis erst recht. Statt ihn vor allen Gefahren zu beschützen, setzten die Leute aus dem Palast ihn Situationen aus, in denen er verletzt werden konnte. So war er von seinem Pferd gestürzt und hatte sich dabei seinen Fußknöchel verletzt. Die Menschen starben manchmal an solchen Ereignissen. Amenophis hatte sich aber – Re sei dank – wieder davon erholt. Aber er konnte als Folge davon zwei Wochen nicht zu mir kommen. Ich wusste nicht, was los war und machte mir Sorgen, dass es etwas Schlimmes war, was passiert war. Ja, ich schlug mich sogar mit dem Gedanken herum, meine Mauern zu verlassen, um nachzusehen. Was für ein absurder Gedanke! Die Umsetzung hätte meinen Tod bedeuten können.

Doch es ging alles glimpflich aus. Amenophis humpelte nur eine Zeit lang. Re hatte seine Fürsorge geschickt und den jungen Pharao gerettet. Ich war selig! Er kam wieder regelmäßig zu mir.

Lasst mich weiter in den glücklichen Jahren schwelgen!

Sphinxgeflüster

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