Читать книгу Escape oder schreib um dein Leben - Maria Hademer - Страница 6
Donnerstag, 20. April, etwas später
ОглавлениеGut gelaunt ging Sophia in ihr Zimmer und stellte erfreut fest, dass ihr Laptop noch eingeschaltet war. Sie wollte dringend die neuen Informationen für ihr Projekt zum Impressionismus aufschreiben, sonst würden die Eindrücke, die sie bei Oma gewonnen hatte, schnell verblassen.
Als sie das Gerät aus dem Stand-by-Modus erlöste, öffnete sich sofort die letzte Browsersitzung.
@ Wie soll es weitergehen?
Die grünen Buchstaben wirkten verheißungsvoll. Bis jetzt hätte es kaum besser weitergehen können, stellte sie für sich selbst fest: ihre Oma, die immer für alles eine Lösung wusste; Timo, der ihr, abgesehen davon, dass er nervte, Instrument, Noten und Jacke vorbeigebracht hatte; und nicht zuletzt Johnny, der sich zu einem gewissen Grad für sie zu interessieren schien. Wenn da bloß nicht Linda wäre.
Linda … die störte ganz einfach.
Na, das war doch einen Versuch wert. Sophia begann zu schreiben.
@ Am nächsten Tag kam Linda zu Johnny in die Wohnung. Sie sah nicht sehr erfreut aus, als sie die Gitarrenklänge aus seinem Zimmer hörte.
Sophia biss sich auf die Lippe. Sie wollte nicht fies sein, doch jeder wusste, dass Linda sich kein Stück für Musik interessierte. Daher hatte Sophia nie verstanden, wie Johnny und sie miteinander klarkamen. Für Sophia dagegen war Johnnys Gitarrenspiel reine Inspiration.
@Linda stieß die Zimmertür auf. Johnny saß halb von ihr abgewandt. Die schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht. Er war vollkommen auf sein Spiel konzentriert, über seine Gibson Les Paul gebeugt, die sein Vater in Amerika gekauft hatte.
»Johnny? Johnny?! Johannes! ...« Linda versuchte vergebens sich Gehör zu verschaffen. Das einzige, was sie noch mehr hasste als zu warten, war übersehen zu werden. Entschlossen zog sie den Stecker aus dem Verstärker.
Johnny blickte erschrocken auf. »Sag mal, spinnst du?«, fuhr er sie an. »Weißt du, was der Verstärker gekostet hat?«
Linda blieb unbeeindruckt. Sie hatte das Ding doch bloß ausgesteckt, nicht gegen die Wand geworfen! »Ich schätze mal, du erinnerst dich nicht, dass wir vor einer halben Stunde verabredet waren?«
Johnny stöhnte auf. »Nein, das habe ich total vergessen. Sorry, aber ich kann hier gerade nicht weg. Die Band hat einen Gig am Freitag und ich muss den Akkordübergang hier noch richtig hinbekommen …«
Langsam wurde Linda wütend. »Weißt du was?«, sagte sie, »manchmal glaube ich wirklich, deine dämliche Gitarre ist dir wichtiger als ich.«
Wenigstens hält sie die Klappe, wenn ich Ruhe haben will, dachte Johnny, doch als er das Gesicht seiner Freundin sah, erwiderte er hastig: »Ach Quatsch. Aber es geht jetzt wirklich nicht. Hol dir doch was zu trinken aus dem Kühlschrank und hör’ ein bisschen zu, damit ich weiß, was ich noch verbessern kann.«
Es war als Friedensangebot gemeint, doch Linda fühlte sich auf den zweiten Platz verdrängt. Sie war ihr Leben lang immer die erste Wahl gewesen, hatte von ihren Eltern alles bekommen, was sie wollte. Und in ihren Augen hatte kein Junge der Welt das Recht, sie, das bestaussehende Mädchen des Dorfes, auch nur fünf Minuten warten zu lassen. Wortlos drehte sie sich mit wehendem Haar um und stöckelte zur Tür.
Johnny war versucht ihr nachzulaufen, doch er hatte ihre Eskapaden und Stimmungsschwankungen langsam satt. Also drehte er stattdessen den Volume-Schalter des Verstärkers bis zum Anschlag nach rechts und spielte Good riddance[1], bis er sich tatsächlich befreit fühlte.
Sophia las sich den Text noch einmal durch. Sie musste schmunzeln, als sie sich vorstellte, wie Linda aus der Wohnung lief, vor Zorn ganz pink im Gesicht. Es machte Spaß, die Konkurrenz so aus dem Rennen zu schreiben. Eigentlich hätte sie große Lust gehabt, noch eine Weile weiterzuschreiben, doch da warteten noch Chemie-Formeln und Vokabeln auf sie. Morgen würde sie auch keine Zeit dafür haben, denn freitags unterrichtete sie mit Timo zusammen die neuen Messdiener.
Was ihre Mutter bloß an Timo fand? Sicher war er auf den ersten Blick ganz nett. Aber sie kannte eben seine Pingeligkeit nicht! Sophia wandte sich wieder ihrem Laptop zu.
@ Timo hatte, pflichtbewusst wie immer, seinen Nachmittag mit Hausaufgaben und Üben verbracht. Dabei merkte er nicht, wie die Zeit verging. Als er das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es schon vier Uhr. Nun würde er zu spät zur Kirche kommen!
Gerne hätte Sophia noch ein paar Missgeschicke herbeifantasiert, die auch mal Timo und nicht immer ihr passieren sollten, doch als sie auf ihren Wecker schaute, gab sie dieses Vorhaben zunächst auf.
»Verdammt, dieses Referat wird niemals fertig!«, murrte sie.
[1] Song: Good riddance von Greenday; Übersetzung: »Und Tschüss!«