Читать книгу Tübinger Fieberwahn - Maria Stich - Страница 10
5. Die ersten Fragen
Оглавление»Sehen toll aus, die Osterglocken in der Rabatte«, bemerkte Bernadette, während sie das alte Holzfenster im Büro öffnete, um Frischluft hereinzulassen und einen Blick auf den Parkplatz vor dem Kommissariat mit seinen riesigen alten Kastanien zu werfen.
»Die neuen Möbel riechen so …, so neu!«, teilte sie mit.
Es roch wirklich etwas penetrant nach den nagelneuen Möbeln, die sie erst letzte Woche bekommen hatten. Die Industrieleuchten, die den Raum erhellten, hatten das falsche Licht für die farbenfrohe Einrichtung, sie sollten aber auch noch ausgetauscht werden.
Die drei Schreibtische und die Aktenschränke waren in Dunkelgrau gehalten mit hellgrauen Kanten und roten Schubladen. Die ergonomischen Bürostühle waren mit rotem Kunstleder bespannt. Nur der hellgraue, abgetretene Boden war nicht ausgetauscht worden. Er passte nicht so recht zu dem neuen Design.
Außerdem hatte man ihnen ein paar Grünpflanzen in Hydrokultur spendiert, die von der Gärtnerei »Rudenauer« geliefert worden waren und auch von deren Mitarbeitern gepflegt werden sollten. Sonst hätten sie wohl nicht lange überlebt.
Bernadettes Kollegen Robert Altmann und Wotan Wilde saßen schon am Besprechungstisch.
Alle starrten auf die »Wand der Schande«, wie sie die magnetische Glastafel nannten, die auf Stelzen im Raum stand. Bernadette behauptete immer, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Glas konnte nicht magnetisch sein. Trotzdem pinnte sie die Bilder und Dokumente mit den Magneten, die auf der Seite der Tafel gebunkert waren, an das Board.
Momentan hingen das vergrößerte Foto aus dem Ausweis des Toten und Bilder vom Tatort an der Wand.
Jetzt öffnete sich die Tür und Wolfgang kam herein.
»Macht das Fenster zu, da kommen alle Pollen rein!«, rief er panisch. Seufzend erhob sich Bernadette und schloss das Fenster. Sie kannten alle Wolfgangs Pollenallergie, die ihn besonders im Frühling plagte, und taten alles, um seine Leiden zu lindern.
Erleichtert verkündete der große Rothaarige: »Einen schönen guten Morgen, liebe Kinder. Papa hat euch Frühstück mitgebracht. Vier Teile zum Preis von drei.«
Er trug einen Becherhalter mit vier Pappbechern und warf eine Tüte mit dem Logo der Bäckerei Padeffke auf den Tisch. »Dreimal Kaffee für unser Spitzenteam und einmal Tee für den Herrn Altmann. Dazu Butterbrezeln und ein Croissant für Eure Durchlaucht, die Prinzessin.« Er verbeugte sich leicht in Richtung Bernadette.
»Du immer mit deinen Sonderangeboten. Ist ja schon krankhaft!«, murrte Robert.
Wolfgang ließ sich durch diese Bemerkung nicht seine gute Laune verderben. Na und, er war ein Schnäppchenjäger. Die Discounter machten es einem doch einfach mit ihren Preisschlachten. Und so üppig war sein Gehalt ja auch wieder nicht. Heute Abend würde er noch bei Aldi vorbeifahren und die günstigen Duftkerzen für seine Freundin Claudia besorgen.
Er sah Bernadette beifallheischend an. Die blickte kurz auf, verdrehte ihre Augen und starrte dann wieder auf die Tafel.
»In Zukunft gibt es bei Padeffke nur noch heiße Getränke im Mehrwegbecher, soll ich ausrichten! Aber hoffentlich bekommen wir bald unsere neue Kaffeemaschine, dann hat sich das sowieso erledigt!«, laberte Wolfgang Schickenrieder ungerührt weiter. »Und dir, lieber Wotan, hab ich einen Flyer für die Schwerterausstellung im Alten Schloss in Stuttgart mitgebracht.«
Er legte Wotan die dunkelrote Broschüre neben sein Handy. Der warf einen interessierten Blick darauf. »Faszination Schwert«, las er laut und schob die Broschüre neben seinen aufgeklappten Laptop.
»Ich habe schon eine neue Maschine beantragt, aber ihr wisst doch, dass unser Controller da extrem pingelig ist«, bemerkte Wotan.
Die alte Jura-Maschine gab nur noch gurgelnde Geräusche von sich, ohne das ersehnte braune Getränk auszustoßen. Außerdem bildete sich regelmäßig eine Wasserlache unter dem Gerät, wenn man auf den Ausgabeknopf drückte. Und den Kaffee aus dem Automaten im Eingangsbereich des Kommissariats konnte man beim besten Willen nicht trinken.
Wolfgang verteilte die Kaffeebecher auf dem Besprechungstisch und riss die Tüte mit dem Gebäck auf. Alle griffen beherzt zu und ließen es sich schmecken.
Dann konzentrierte sich die Truppe auf die Fotos an der Tafel.
»Was wissen wir schon von dem Toten von Hohenneuffen?« Robert Altmann nahm den Becher mit dem Tee, öffnete den Deckel und schnupperte.
»Warum hast du keinen Rooibos Orange genommen?«, fragte der Teekenner anklagend.
»War aus! Vanille wird dich nicht umbringen!«, antwortete Wolfgang gleichmütig und biss in seine Butterbrezel.
»Also Schluss jetzt mit den Essensgesprächen!«, fuhr Wilde dazwischen. »Welche Infos gibt es zur Identität der Barfußleiche?«
Bernadette stand auf und ging zur Tafel. Mit weißem Filzer schrieb sie unter das vergrößerte Passfoto »Werner Wüst«. Sie malte ein Kreuz vor seinen Namen.
»Der Tote war ein gewisser Werner Wüst«, sagte sie ergänzend. »Geboren am 2.8.1957 in Tübingen. Er wohnte hier in der Meisenstraße drei. Ein Schickimicki-Viertel, wenn ihr mich fragt. Er fuhr einen Porsche Chayenne, laut Kraftfahrzeugschein. Außerdem waren in seinem Geldbeutel noch Karten von einem Fitnesstempel, obwohl er nicht so aussah, als wäre er einmal dort gewesen, die Eintrittskarte zur Spielbank im SI-Centrum in Stuttgart, ein Organspenderausweis, diverse Kreditkarten, ein Foto von einem sehr gut aussehenden dunkelhäutigen Mann und etwa 200 Euro in bar. Wir haben seinen Wohnungs-, nicht aber seinen Autoschlüssel gefunden.«
»Hat man seinen Wagen an der Burg entdeckt?«, fragte Wilde.
»Nein, da sind wir noch dran«, antwortete Bernadette.
Jetzt meldete sich Robert Altmann zu Wort: »In seiner Hosentasche war ein iPhone, das neueste Modell von Apple. Leider hat es durch das Wasser und den Aufprall Schaden genommen. Unsere Techniker sind aber dran und versuchen, zumindest den Speicherchip zu retten.«
»Hat ihn noch niemand vermisst?« Wilde legte die angebissene Butterbrezel auf eine Serviette und rührte den Kaffee um.
»Robert, du schaust mal in der Meisenstraße vorbei. Wir kennen seinen Familienstatus nicht. Du bist doch der Einfühlsamste von uns!«, schmeichelte Bernadette.
Der zog eine Grimasse und schob seine Lesebrille auf die Stirn. Außendienst war nicht so sein Ding. Er widmete sich lieber Computerproblemen. Bernadette knabberte dem Croissant eine Ecke ab und wischte sich die Brösel von ihrer Jeans.
»Was sagt eigentlich unser allseits geschätzter Pathologe Herr Burmeister? Gibt es schon Fakten von der Obduktion oder soll ich mal anrufen?«, fragte Wolfgang dazwischen.
»Ich fahr nachher mal bei ihm in der Pathologie vorbei«, beeilte sich Bernadette zu versichern. Wenn man genau hinsah, konnte man das Leuchten in ihren Augen bemerken.
Robert machte hinter ihrem Rücken einen Kussmund und Wotan klimperte mit den Wimpern und zog seine gespitzten Lippen mit einem imaginären Lippenstift nach. Jeder hier wusste, dass Bernadette einen Narren an dem smarten Kollegen gefressen hatte.
»Ich fasse zusammen«, Wilde wandte sich wieder seinem Laptop zu, »der gute Mann heißt Werner Wüst, hat ein teures Auto, wohnt in einer teuren Wohngegend in Stuttgart, geht ins Spielcasino, geistert nachts mit einer Stablampe über den Burghof von Hohenneuffen. Wie er dorthin kam, ist rätselhaft. Er macht schließlich einen Kopfsprung von der Burgmauer. Wir warten mal ab, was der Doc sagt.«
»Das Seltsamste ist aber, dass er vor seinem Sprung in den Abgrund seine Schuhe und Socken auszieht und sie fein säuberlich abstellt.« Bernadette zeigte auf das Foto mit den ordentlich abgestellten Mokassins.
Ratloses Schweigen machte sich breit. Alle starrten auf die Schuhe und ein Foto von den nackten Füßen des Opfers. Wotan zuckte die Schultern.
»Das Problem werden wir wohl jetzt nicht lösen!«, meinte er. »Robert und Wolfgang, ihr stattet der Wohnung von Wüst einen Besuch ab, Bernadette, du schaust beim Doc vorbei! Und ich versuche, noch mehr über den Toten zu erfahren!«
Wotan stand auf und steuerte auf seinen Schreibtisch zu. Auch die anderen brachen auf.
»Nehmt ihr den Dienstwagen! Ich fahre mit meinem gelben Flitzer!«, meinte Bernadette und warf Wolfgang den Autoschlüssel für den BMW zu.