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Kapitel 1: Mordverdacht

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15. April

Mein Frauchen hat sich gestern vorgenommen, ein Buch zu schreiben. Momentan ist sie auf der Suche nach einem spannenden Stoff, und sie weiß noch nicht so genau, was es werden soll: ein Sachbuch (über Katzen, mit schönen Katzenfotos), eine Liebesgeschichte (Frau mit Katze verliebt sich in total sympathischen Katzenfan) oder ein Krimi (die Detektivin hat eine Katze).

Wie Sie sehen, liebt mein Frauchen Katzen. Sie hat sechs. Ich bin die jüngste der Meute und ich kann – was ja für eine Katze eher ungewöhnlich ist – lesen, schreiben, Yoga und recherchieren.

Ich habe beschlossen: Ich schreibe ebenfalls ein Buch. Zu was ist man mit dem Computer und dem iPhone aufgewachsen. Da bin ich doch fast prädestiniert (oder wie das heißt), um ein ebook zu schreiben. Es wird eine Liebesgeschichte und ein Krimi, und zwar beides gleichzeitig, denn mit Sachbüchern hab ich‘s nicht so. In meinem Leben muss etwas passieren, und wenn nicht von selber was passiert, dann sorge ich dafür!

17. April

Seit vorgestern überlege ich, wie ich mein Frauchen zur Heldin einer Liebesgeschichte machen kann. Aber es ist ganz schön schwierig! Mein Frauchen ist 45 und seit vier Jahren geschieden. Da würde ein Traumprinz schon reinpassen. Ja, okay – kein so junger, schöner mehr wie in meinem Lieblings-Märchen „Drei Nüsse für Aschenbrödel“. Aber es gibt ja auch Männer in ihrem Alter, die einfach umwerfend sind, oder nicht? Irgendwie sitzt ihr jedoch der Schreck noch in den Knochen, und sie macht einen großen Bogen um jeden, der meiner Meinung nach in Frage käme.

In einem Ratgeberbuch habe ich gelesen, man solle eine Liste seiner gewünschten Eigenschaften erstellen, dann kommt der Traummann auch. Ja, ab und zu lese ich auch Ratgeberbücher. Menschen kommen manchmal auf sehr unterhaltsame Ideen, und Katzen amüsieren sich gern.

Aber vielleicht stimmt es ja doch, und deshalb schreibe ich jetzt meine Liste.

Mein Traummann für mein Frauchen sollte folgende Eigenschaften haben, also bitte, liebes Universum, jetzt bist du dran:

1. Er sollte große Hosentaschen mit vielen Leckerlis drin haben.

2. Er sollte abends auf dem Sofa sitzen und es toll finden, wenn sich eine Katze in seinem Schoß einkringelt und schnurrt. Nämlich ich. Er sollte es so toll finden, dass er mich ständig mit Leckerlis füttert.

3. Er sollte witzig sein, weil ich’s mag, wenn mein Frauchen lacht. Bei dem Mann, von dem sie jetzt geschieden ist, da hatte sie nicht so viel zu lachen, haben mir die anderen erzählt, und das soll jetzt besser werden!

4. Ein Auto muss er nicht haben, denn Autofahren mag ich nicht.

5. Er muss nicht viel Geld haben, aber ein großes Herz für Menschen und für Tiere sowieso.

Naja, wenn das jetzt zu viel verlangt ist, dann verzichte ich auf Punkt 1. Wenn Punkt 2 in Erfüllung geht.

*smile*


18. April

Ich habe grade festgestellt, dass ich mich noch gar nicht vorgestellt habe.

Dann möchte ich das ganz schnell nachholen.

Also: Ich heiße Coco, bin fast ein Jahr alt und erwarte mir vom Leben einen süßen Kater, eine Menge Spaß und viel Erfolg als Bestsellerautorin.

Zu meinem Frauchen kam ich mit zwölf Wochen. Vorher war ich bei einer Pflegemama, zusammen mit meiner Mutter und mit meinen drei Brüdern. Die Pflegemama war ebenfalls sehr nett. Sie nahm mich sogar dann noch in den Arm und streichelte mich, wenn meine Mama Katze sie ganz gefährlich anfauchte. Manchmal verteidigte meine Mama Katze ihre Kinder so nachdrücklich, dass dabei Blut floß! Entsprechend viele Katzenkratzer waren auf den Armen meiner Pflegemama, leider. Meine Mama Katze ist eine sehr schöne Dame, sehr zart und feingliedrig, temperamentvoll und ganz schwarz. Bis auf drei kleine weiße Haare mitten auf der Brust.

Meine drei Brüder sind ebenfalls alle ganz schwarz. Ich dagegen falle aus der Reihe: Ich habe ein flauschiges Tigerchen-Fell, dessen Farbe am Bauch in ein zartes Apricot übergeht, bin zartgliedrig wie meine Mama, und wenn ich das richtig überblicke, bin ich schön, klug und selbstbewusst.

An einem Nachmittag kam eine Dame zum Fotografieren, und die ist jetzt mein Frauchen. Damals war ich gerade mal sechs Wochen alt. Ich fand das witzig, wie so ein Model fotografiert zu werden und setzte mich ganz doll in Pose! Die Pflegemama hatte auf dem Schreibtisch ein paar Modezeitschriften liegen, über die ich immer wieder wegstolziert bin – ich wusste deshalb damals schon, wie das geht.

Die Fotografin war natürlich ganz hin und weg von mir, wer kann ihr das verdenken! Ich bedankte mich für ihr Entzücken, indem ich ihr um die Beine strich und sie von unten hoch ganz herzig anguckte. Jetzt wohne ich bei ihr und hab sie lieb.

Bei ihr wohnen außerdem noch Maxi, Purzel, Goldie, Merlin und Percy. Maxi und Purzel sind zwei ältere Damen, aber noch ganz schön fit! Wenn’s etwas Gutes zu fressen gibt, dann hechten die die Treppen rauf und runter, da bin ich auch nicht schneller!

Da fällt mir etwas ein, das muss ich Ihnen unbedingt erzählen: Es gibt zwei Treppen im Haus meines Frauchens. Eine vom Erdgeschoss in den ersten Stock, und eine – mit Kurve – vom ersten Stock in den zweiten. Das finde ich richtig gut. Das ist viel besser als der höchste Kratzbaum! Vor allem wegen der Kurve. Da muss man genau wissen, wann man bremsen und wann man beschleunigen muss, das ist eine Kunst!

An meinem zweiten Abend beim neuen Frauchen stellte ich mich unten an der Treppe vom ersten Stock auf und schaute sie ganz kummervoll an. Man muss die Leute schließlich beschäftigen, und es sollte von vornherein klar sein, dass Katze Coco gehätschelt und umsorgt werden will. Das neue Frauchen konnte meinem hilflosen Babyblick auch gar nicht lange widerstehen. Sie bückte sich, hob mich auf, ich guckte zwischen ihrem Daumen und ihrem Zeigefinger heraus, sie hielt mich ganz behutsam und trug mich die Treppe hoch. Oben angekommen setzte sie mich vorsichtig ab.

Aber jetzt! Ich preschte die Treppe runter, sauste um die Kurve wie ein Formel-1-Fahrer, machte eine elegante Kehrtwendung und rannte wieder rauf! Ihr verblüfftes Gesicht werde ich nie vergessen und auch nicht, dass oben an der Treppe fünf Katzen standen, eine dicke schwarze, eine große schwarze, eine schwarzweiße, noch eine kleine schwarzweiße und eine goldene, und alle starrten mich verwundert an.

Gute Show, Coco! Präsent sein und die Leute verblüffen, das ist der erste Schritt für jeden, der berühmt werden will!

Also bei sechs Katzen ist ja eigentlich immer etwas los. Da kann man einander jagen, man kann das kleine Tischchen in der Diele umschmeißen, man kann halbe Nachmittage zusammengekuschelt verdösen, aber irgendwann reichte mir das alles nicht mehr. Ich begann, Frauchens Bibliothek zu nutzen. Dann entdeckte ich die Weiten des Internets für mich, weil sie im Schlafzimmer so einen Tablet-Computer rumliegen hat. Nachdem ich zweimal im Online-Casino verloren hatte, beschloss ich, dass ich keine Spielernatur werden möchte, sondern eine hochgebildete Katze, und seitdem surfe ich durch Wikipedia, lese ebooks und ziehe mir Hörbücher rein. Mein Frauchen ahnt von all dem nichts, und Maxi, Purzel, Goldie, Merlin und Percy sind verschwiegen.


20. April

Sonntag. Nix los.

Den halben Nachmittag hat es geregnet, und wir konnten nicht raus. Gegen halb vier kam dann doch noch die Sonne durch. Frauchen packte ihre Fotoausrüstung und ging in den Stadtpark fotografieren.

Ich verzog mich auf die Terrasse und rollte mich auf der Hollywoodschaukel zusammen. Das Wetter macht einen einfach müde. Als ich wieder aufwachte, saß Merlin auf dem Gartentisch und pennte, Percy saß auf der Terrassenmauer und pennte, Goldie lag auf der Wiese und pennte und Maxi und Purzel hatten sich aneinander gekuschelt und schnarchten.

Abends mit Frauchen „Tatort“ geguckt (Münster, mit Professor Boerne).

Abgesehen davon ein absolut langweiliger Tag!!! Früh schlafen gegangen.


21. April

Gestern hatte ich einfach keine Lust, draußen herumzustromern. Kater Felix von schräg gegenüber war auch nicht draußen, es war also ziemlich langweilig!

Heute regnet es dicke Tropfen, und dabei scheint die Sonne. Über unserem Haus leuchtet ein wunderschöner Regenbogen.

Ich also nix wie raus und Regenbogen jagen!

Als ich von meinem Ausflug wieder zurückkam, stand auf unserem Parkplatz neben dem Auto von meinem Frauchen, das Frederik heißt (das Auto heißt so, natürlich, das Frauchen heißt Rebekka) – also neben Frauchens Frederik stand ein Auto, das war weiß und blau. Ich renne schnell durch die Katzenklappe ins Haus. Die Wohnzimmertür ist zu, und ich versuche es mit Maunzen. Manchmal funktioniert das nicht sofort, aber wenn ich dann die Lautstärke erhöhe, also dann hat es bisher immer geklappt.

Aber nicht heute.

Drinnen höre ich die Stimme meines Frauchens, dann die eines Mannes, und dann noch eine andere Männerstimme.

Gut – wenn Maunzen nicht hilft, dann mach ich es eben anders. Ihr habt es ja so gewollt, nicht wahr.

Ich stelle mich auf die Hinterpfoten und kratze an der Tür. Frauchen mag das gar nicht. Nach so einer Kratzattacke sieht die Tür nämlich etwas bearbeitet aus, und das gefällt ihr nicht. Normalerweise ist sie dann sofort da, egal, was sie gerade macht. Aber nicht heute. Einer der Männer im Wohnzimmer sagt etwas. Frauchen sagt etwas. Sie redet in kurzen Sätzen, was sonst nicht grade ihre Stärke ist. Der Mann sagt etwas. Ich kratze an der Tür wie eine Weltmeisterin im Türkratzen. Der andere Mann sagt etwas. Ich kratze und maunze.

Endlich geht die Tür auf. Na also! Mit hoch erhobenem Schwanz stolziere ich ins Wohnzimmer.

Aber mein Frauchen beachtet mich gar nicht. „Nein“, sagt sie. „Es gibt niemanden, der bezeugen kann, dass ich gestern Abend zu Hause war.“

Also, das stimmt jetzt schon mal überhaupt nicht. Natürlich war sie gestern Abend zu Hause, und es gibt sechs vertrauenswürdige Persönlichkeiten, die das bezeugen können: Maxi, Purzel, Merlin, Percy, Goldie und ich.


22. April

Morgens um 9 geht mein Frauchen normalerweise rüber ins Büro. Da arbeitet sie bis halb 11, und dann holt sie sich einen Kaffee. Nach einer kurzen Pause macht sie weiter. Manchmal darf ich mit. Dann inspiziere ich den Raum mit dem Schreibtisch und den Bücherregalen, danach noch das Besprechungszimmer. Anschließend setze ich mich aufs Fensterbrett und beobachte die Touristen, die an unserem Haus vorbeispazieren.

So ist das normalerweise. Heute war alles anders.

Der Wecker klingelte bereits um 6. Das ist für jemanden wie mein Frauchen so kurz nach Mitternacht. Sie drehte sich auch ein paar Mal herum und zog das Kissen über den Kopf, aber der Wecker war gnadenlos. Ich tröstete sie sofort und strich ihr liebevoll mit der Zunge übers Gesicht.

„Baaahhh“, machte sie und schüttelte sich. So langsam rappelte sie sich auf. Sie war vielleicht früher mal eine Katze, wer weiß. Wir mögen es auch nicht, wenn wir abrupt aus dem Schlaf gerissen werden, und wir lieben es, am Morgen erst mal genüsslich in den Tag hineinzublinzeln, uns dann zu recken und zu strecken, einander kurz zu streicheln und dann noch mit viel Schlaf in den Gliedern zum Napf mit der Katzenmilch zu tapsen.

Das Frauchen macht es ähnlich, nur tapst sie zur Kaffeemaschine.

Aber nicht heute!

Heute brummte sie „So ein Mist!“, setzte sich auf, lief mit einer für Menschen völlig ungesunden Geschwindigkeit die Treppe hinunter, haute sich den Zeh an, kippte uns das Futter in die Näpfe, rannte ins Bad, schlüpfte in Hose, Pulli und Mantel und patschte die Tür hinter sich zu.

Eine Stunde später war sie wieder da. Sie führte Selbstgespräche. Das ist immer ein schlechtes Zeichen. „Dieser Idiot, kann der nicht mit 90 an Altersschwäche sterben, und gut ist’s!“ schimpfte sie. „Was immer der macht – es geht nicht ohne Drama ab.“

Ich fragte sie, was denn los sei, aber Kätzisch versteht sie nur, wenn sie Zeit hat und gut drauf ist. Das war heute ganz offensichtlich beides nicht der Fall.

Also schlüpfte ich hinauf ins Schlafzimmer und griff mir den Tablet-Computer. Ewigen Dank an Fritz-Kasper Schulze, den genialen Erfinder dieses genialen Tools, das Tablets für Katzen verwendbar macht. Er hat eine Software entwickelt, die unser Miauen in Menschensprache übersetzt und das Ergebnis dem Computer übermittelt. Der macht dann wieder Buchstaben draus. Auf diese Weise können wir so ein Tablet oder iPhone bedienen und ihm Befehle wie „speichern“ oder „App öffnen“ zumaunzen, und auf diese Weise können wir auch Texte eingeben. Computertastaturen sind nun einmal, leider, nicht für Katzenpfoten gemacht, und diese Touchfelder, mit denen man mobile Computer bedient, die schon gleich gar nicht.

Ich habe gehört, dass Fritz-Kasper Schulze eigentlich Katzen nicht ausstehen kann. Er erfindet nur so furchtbar gern.

Sei es, wie es sei.

Wenn Frauchen nichts erzählt, dann hole ich mein Wissen eben aus dem Internet. Ich rief die App unserer Tageszeitung auf und wechselte in den Lokalteil. Da stand, gleich auf der ersten lokalen Seite:

„Mord in Überlingen! Ehefrau fand Opfer tot im Wohnzimmer

Der Unternehmens-Berater Franz F. aus Überlingen wurde vorgestern ermordet. Seine Frau, Gundula F., die den Abend bei einer Chorprobe des Kirchenchors verbracht hatte, fand den 56-Jährigen bei ihrer Rückkehr tot auf der Couch sitzend. Die Wohnung wies keinerlei Einbruchspuren auf, woraus die Polizei schließt, dass das Opfer seinem Mörder selbst die Tür geöffnet hat.

Die Nachbarn des Toten sind geschockt. ‚Er war so ein freundlicher Mensch‘, berichtet Nachbarin Ottilie S., ‚kein Mensch hätte sich vorstellen können, dass er mal umgebracht wird‘. Nachbar Gustav B. will am Abend der Tat eine ihm unbekannte Frau im Aufzug gesehen haben. Die Polizei ermittelt noch.“

Um ein paar weitere Details zu erfahren, rief ich die App einer anderen Zeitung auf. Da stand in großen, dicken Buchstaben: „Hat irre Ex-Frau Franz F. auf dem Gewissen? Aus TV und Presse bekannter Business-Coach heimtückisch mit Giftcocktail gekillt, Polizei verdächtigt Ex!“

Ich lief rüber zu Purzel, die – wie meistens – direkt auf Frauchens Kopfkissen zusammengerollt döste.

„Sag mal, Purzel“, fragte ich aufgeregt, „hieß der Ex von unserem Frauchen nicht Franz Frummelmann und war Unternehmens-Berater?“

Purzel öffnete schläfrig ihre Augen und streckte sich. Sie hatte die Ruhe weg. Erst das linke Hinterbein, dann das rechte Hinterbein, dann die linke Vorderpfote, schließlich die rechte Vorderpfote. Danach gähnte sie eine Weile. Anschließend schaute sie hinüber zum Fressnapf, aber da war nichts drin. Sie kam langsam auf ihre Pfoten, dehnte nochmals das linke Hinterbein, dann nochmals das rechte, und als ich schon dachte, dass das Dehnen wohl nie aufhören würde, da maunzte sie: „Ja, so hieß der. Er war aber kein Unternehmens-Berater, sondern so ein Erfolgsguru. Also keiner, der in ein Unternehmen geht und denen hilft, es besser zu machen, sondern so ein Schwätzer, so einer mit den drei Stufen zum Spitzen-Erfolg oder so. Warum fragst Du?“

„Ein Franz F. ist ermordet worden. Mit einem Giftcocktail. Seine Ex-Frau steht unter Mordverdacht. Gestern war doch die Polizei bei uns. Und heute Morgen musste Frauchen ganz schnell weg…“.

„Wann ist er denn ermordet worden?“ fragte Purzel schläfrig. Die ist wohl durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

„Vorgestern Abend.“

„Na, dann kann es unser Frauchen nicht gewesen sein. Vorgestern nach dem Tatort ging Frauchen gleich ins Bett und hat die ganze Nacht im Traum vor sich hingemurmelt. Ich habe alles mitbekommen, alte Leute wie ich brauchen nicht mehr so viel Schlaf.“

Sie rollte sich wieder zusammen.

Bevor sie erneut eindöste, hob sie noch einmal den Kopf und fragte: „Vergiftet, sagst Du?“

„Ja, vergiftet.“

Purzel nickte weise vor sich hin und schnurrte: „Ja, irgendwann wird jeder von seinen Taten eingeholt.“

Dann steckte sie ihr Köpfchen zwischen die Pfoten, und schon kurz darauf hörte ich sie leise schnarchen.


23. April

Heute waren die zwei Männer schon wieder da. Frauchen retuschierte im Büro für einen Kunden Fotos, als sie kamen. Sie ging dann mit ihnen ins Wohnzimmer und machte die Tür zu. Ich bin aber schnell noch mit reingeschlüpft und habe mich hinter der Couch versteckt.

„Frau Sommerthal, Sie wurden am 16. April von einer Zeugin zusammen mit dem Ermordeten gesehen. Und zwar in einer Modeboutique. Sie probierten ein dunkelblaues Modellkleid an, er zahlte dafür. Obwohl Sie angeblich keinen Kontakt mehr mit ihm haben. Warum haben Sie uns gestern angelogen?“, fragte der eine der beiden Männer streng. Er war drahtig, durchtrainiert, groß, um die 40 und trug einen Schnauzbart. So der Typ Goldkettchenmann, wenn Sie wissen, was ich meine. Tatsächlich hatte er auch eine schwere goldene Kette um den Hals. Meine empfindliche Nase hielt seinen durchdringenden Gestank fast nicht aus. Wenn ich mich in Herrenparfums auskennen würde, könnte ich Ihnen das näher schildern, aber glücklicherweise habe ich nicht viel Erfahrung damit.

„Ja, das stimmt“, sagte mein Frauchen. Sie wirkte ziemlich verkrampft, obwohl sie doch zur Tatzeit diesen „Tatort“ geguckt hatte, und man kann keinen „Tatort“ aus Münster anschauen und gleichzeitig ganz woanders jemanden mit einem Giftcocktail ermorden, ist doch logisch.

„Ich habe ihn zufällig in der Stadt getroffen, wir tranken dann einen Kaffee zusammen. Er fragte mich um Rat, weil er nicht wusste, was er seiner Frau zum Geburtstag schenken sollte. Sie hatte an dem Tag Geburtstag. Er war richtig gut gelaunt und nett und freundlich, ich freute mich, dass er sich so positiv verändert hatte und wollte nicht nachtragend sein. Also ging ich mit in die Boutique, und weil ich eine ähnliche Figur habe wie sie, probierte ich das Kleid an. Das war alles.“

„Nun“, sagte der andere Mann, der bisher nichts gesagt hatte, und lächelte mein Frauchen ganz lieb an. „Sie werden verstehen, dass die Sache mit dem Kleid uns interessiert. Denn wenn er Ihnen ein Modellkleid gekauft hat, im Wert von knapp tausend Euro, wie die Besitzerin der Boutique aussagte, dann müssen wir davon ausgehen, dass Sie eben doch wieder eine Beziehung hatten. Und wenn Sie eine Beziehung hatten, die Sie vehement leugnen, dann gehören Sie zum Kreis der Verdächtigen, ist ja wohl klar. Sie können sich eine Menge Ärger ersparen, wenn Sie uns einfach einen kurzen Blick in Ihren Kleiderschrank werfen lassen.“

Mein Frauchen guckte verwundert. Wir schauen ja fast jeden Sonntag „Tatort“, und deshalb wissen wir, dass ein Ermittler nur in den Kleiderschrank gucken darf, wenn er einen Durchsuchungsbefehl von der Staatsanwältin hat. Die Staatsanwältin schreibt aber ziemlich ungern Durchsuchungsbefehle aus, das wissen wir auch aus dem „Tatort“. Ohne Durchsuchungsbefehl kein Blick in den Kleiderschrank. Mit Durchsuchungsbefehl: Hinterher ein Chaos wie nach einem Tsunami.

Mein Frauchen seufzte und stand vom Sofa auf. Wahrscheinlich waren in ihrer Phantasie die gleichen Bilder aufgetaucht wie in meiner. „Kommen Sie mit“, sagte sie. „Aber tun Sie mir einen Gefallen: Schmeißen Sie nicht alles durcheinander!“

Die beiden Männer standen ebenfalls auf. Bei dem, der so nach Parfum stank, klapperte das Goldkettchen, als er zur Tür ging. Sie folgten meinem Frauchen ins Schlafzimmer. Percy und Merlin, die im Flur am Futternapf saßen, verschluckten sich fast. Denn ins Schlafzimmer hatte unser Frauchen schon lang keinen Mann mehr mitgenommen, und jetzt gleich zwei.

Ich schlüpfte hinter den beiden Ermittlern ins Zimmer. Percy und Merlin kamen nach, und auch die weise Purzel kam dazu.

Der eine Mann sicherte das Zimmer – wirklich, wie im Krimi! Als würde er erwarten, dass Frauchen sie alle beide im nächsten Augenblick, unterstützt durch Batman oder so jemanden, mit gezogener Pistole überwältigt. Ich fand das sehr komisch und musste niesen.

Frauchen guckte mich genervt an. Sie fand das offenbar überhaupt nicht komisch.

Der andere Mann, der mit dem Goldkettchen, öffnete den Kleiderschrank. Da hängt alles dicht an dicht, denn Frauchen liebt schöne Kleider, und wegwerfen kann sie auch nichts. Er guckte jeden Bügel einzeln durch, er zog Bügel mit Kleidern, Blusen und Hosen heraus, er untersuchte sie genau, denn manchmal hängt Frauchen mehrere Sachen übereinander, aber das Modellkleid aus der Boutique fanden sie natürlich nicht. Wie auch? Dieser Herr Frummelmann, der glücklicherweise schon lang vor meiner Geburt aus Frauchens Leben verschwunden war, hatte sie schon während der Ehe nicht gut behandelt – das erzählten mir die älteren Katzen. Er hätte ihr als seiner Ex bestimmt kein teures Modellkleid geschenkt.

Nach einer Dreiviertelstunde wirkten die beiden Männer ziemlich gefrustet, mein Frauchen aber auch. Der Goldkettchen-Mann schubste die Schranktür wieder zu. Auf dem Bett verteilt lagen Blusen, Hosen, Pullis und Kleider. Das ließ ich mir nicht entgehen. Mit einem großen Satz hopste ich dazwischen. Hmmmm – ich liebe Seide! Die fühlt sich so gut an, wenn man sich reinkuschelt! Leider darf ich das normalerweise nicht, weil meine Krallen schon mal Fäden ziehen, aber heute war ja nicht „normalerweise“.

Heute war wirklich nicht „normalerweise“. Das merkte ich spätestens, als ich hörte, wie mein Frauchen draußen im Garten schrie.

Zuerst schrie sie laut, dann ging das Schreien in ein verzweifeltes Schluchzen über: „Das kann überhaupt nicht sein! Ich habe keine Ahnung, wie das in meine Mülltonne kommt! Neiiinnn, neiiiinnn, ich habe ihn nicht umgebracht!“

Ich schoss aus dem Schlafzimmer, die Treppe hinunter und durch die Katzenklappe in den Garten. Vor der Mülltonne saßen Purzel, Maxi, Goldie, Merlin und Percy. Daneben standen mein Frauchen und die beiden Männer.

Der mit dem Goldkettchen hielt ein dunkelblaues Modellkleid hoch. Es war verknittert und hatte einen Riss. Der andere jedoch – der hatte eine Flasche in der Hand, die roch sehr exotisch, ich kannte den Geruch nicht, und auf ihrem Etikett war auf orangem Grund ein schwarzer Totenkopf aufgedruckt.


23. April, abends

Unser Frauchen ist noch immer nicht zurück. Es geht nicht nur darum, dass unsere Futternäpfe leer sind (auch, aber nicht nur). Wir machen uns große Sorgen um sie.

Was können wir tun?

24. April, nachts um 4

Ich habe Akif Pirinçcis „Felidae“ gelesen, bis gerade eben. Eigentlich nur, weil ich so aufgewühlt war und nicht schlafen konnte.

Aber jetzt steht mein Entschluss fest: Ich werde mein Frauchen retten.

Ich werde selbst ermitteln.


Sechs Katzen und ein Todesfall

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