Читать книгу 360 Grad - heisse Erzählungen - Marianne Sophia Wise - Страница 5

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Privatausstellung

von Stephanie Gaarde Caruana

Es gibt etwas, das schlimmer ist, als keine Talente zu haben: Ein Talent zu haben, aber nicht in der Lage zu sein, es ausleben zu können oder darauf reduziert zu sein, lediglich das Talent anderer zu erkennen und weiterzuvermitteln. Das denke ich mir, während ich die Leinwände und Menschen betrachte, die sich heute Abend vor mir tummeln. Es ist Freitag und ich sollte mich eigentlich schon auf den Weg zur nächsten Galerie gemacht haben. – Ich bin spät dran. Aber es ist mir egal. Hier, in diesem riesigen, hell beleuchteten Raum gibt es Leute aller Art zu sehen. Und diese Leute sehen mich.

Ich werfe mich in Pose. Ein wenig, nicht zu viel, doch ich ziehe die Blicke auf meinen jungen Körper, den ich in lässiger Haltung positioniere, als könnte er mit seinen Muskeln, seiner Geschmeidigkeit und seinen Tätowierungen nicht mehr Gleichgültigkeit ausdrücken. Ich bin eine Form, die ihren Inhalt verbirgt. Ich zerzause mein halblanges Haar, lächle für niemanden, strecke mich. Ich bin ein Rock-Star in einem Lolita-Körper – wenn ich das selbst beurteilen kann. Ich bin die Art Mensch, die sich durch die Menschenmenge windet und diejenigen Menschen und Partys findet, die interessant sind – wenn ich die Feste nicht gerade selbst gebe. Die erste Vernissage des heutigen Abends habe ich ursprünglich nicht angepeilt, aber irgendwo muss man schließlich beginnen. Es gibt reichlich Wein, der DJ ist gut und ich habe das Bedürfnis mich zu betrinken, vielleicht einen Skandal zu provozieren, mit neuen Leuten zu quatschen, mit der Sprache zu spielen und die Zeit hinauszuzögern. Ich sollte bereits woanders sein, aber das muss warten.

Jedenfalls habe ich vorhin nicht von mir gesprochen. Ich habe viele Talente und weiß das auch. Ich meine den dort drüben; diesen heißen Typen, der vor dem neongrünen Bild steht, quasselt und sich mit Wein volllaufen lässt – diesen Architekt-artigen Typen, geschniegelt und schwarzgekleidet. Ein Sammler. Das Bild unterstreicht seine Umrisse, während er sich zu einem Mädchen vorbeugt, das allzu laut über das, was er nun sagt, lacht. Natürlich ist er hier. Geil auf Kunst kriecht er durch die Galerien, wenn die Vernissagen die Stadt in weiße Quadratkilometer aus Fleisch und Kunst verwandeln. Ich habe ihn an unzähligen Freitagabenden zuvor gesehen. Er ist legendär. Ein Gott. Alle kennen ihn. Und ich habe beschlossen ihn mir zu krallen. Heute Abend. Warum? Er sieht gut aus. Oder, nein, eigentlich nicht, aber ich sehe ihn gerne an. Er sieht aus wie einer, der nach einem Fick schreit. Aber ist das nicht egal? Ich habe darauf gewartet, dass er auftaucht, habe mich gefragt, ob ich ihn schon hier oder erst später am Abend treffen würde, vielleicht in einem heruntergekommenen Hinterhof einer Afterparty in Vesterbro.

Ich gehe hinüber zu seinem kleinen Grüppchen, bereit eine Konversation zu führen. Im Anbetracht dessen, dass ich eigentlich eine sehr zurückhaltende Person bin, mache ich mich unverschämt gut auf gesellschaftlichen Veranstaltungen und dergleichen. Es ist einfach. Man muss undurchschaubar aber zugänglich sein – immer interessant, neu, niemals verzweifelt. Man muss einen Anknüpfungspunkt finden, sich die anderen spannend machen und ich sehe, wie gut er darin ist, dieses Spiel zu spielen. Ich stelle mich dicht an ihn, höre zu. Er spricht über das, was an den Wänden hängt. Dann sage ich:

„Ich weiß nicht … wo liegt der Anreiz? Das ist doch totaler Mainstream.“

Ich breche seinen Wortfluss. Er lässt sich nicht aus der Fassung bringen, aber er antwortet auch nicht. Neuer Versuch.

„Das hat man doch schon so oft gesehen, oder? Versuch dich mal mit den Hexagonen zu beschäftigen, die in die Haptik des Bildes gezwungen werden. Die Geometrie ist unnatürlich, das Abstrakte und das Figurative versuchen sich zu treffen, schaffen es aber nicht, oder?“

„Entschuldigung, hallo, aber was willst du hier eigentlich sagen?“

Seine Stimme hat einen warmen, tiefen Klang, der gut zu ihm passt.

„Nichts. Schönes Bild, oder? Mögt ihr es? Prost!“

„Prost, auch. Nein, ich stehe nicht besonders auf das Bild als solches, aber ich finde, dass du ein bisschen zu hart warst. Ich finde, um ehrlich zu sein, sie hat da schon etwas richtig gemacht.“

Der Kreis um ihn herum schweigt – sieht mich an, aber nicht mit dem Blick, den er mir zusendet. Ich kenne diese Leute nicht. Ich visiere nur ihn an. Er genießt die Aufmerksamkeit – überlegt, ob er mich niedermachen oder auf meine Meinung aufbauen soll. Ich ergebe mich, lege meinen Kopf zur Seite.

„Ja, stimmt, genau. Es ist einfach zu richtig, oder? Ich meine, sie hat echt viel Talent, besonders wenn sie jetzt dran bleibt. Soviel steht fest. Der Wein schmeckt gut. Mehr für euch?“

Aha, jetzt hat er’s begriffen. Gut.

„Nein, also, ich weiß nicht. Wollt ihr? Ich muss gleich weiter, möchte noch auf ein paar andere Veranstaltungen.“

Er checkt mich ab. Ich weiß wohl, dass ich neben ihm aussehe wie eine Lüge. Mein Kapuzensweater und die Hosen sehen aus, als hätte ich in ihnen geschlafen – das habe ich auch. Schmutzige, schwarze Stiefel, filziges Haar. Metall in den Ohren. Verschmierter Eyeliner. Ich stecke die Hände in die Hosentaschen. Lasse einen Mundwinkel nach oben wandern und halte meinen Blick auf ihn gerichtet. Er hat leuchtend blaue Augen. Dichte, dichte Wimpern. Er sieht mich an wie jemand der verwirrt, aber nicht uninteressiert ist.

„Na gut, ich sollte eigentlich weiter. Kommt ihr auch zu Peters Dingens?“

Und ich meine nicht die lächerlichen Überreste seines Slangs, ich meine ihn und meine Zunge gleitet über meine Lippen, nur ein wenig und er sieht es. Es wirkt.

„Ja, vielleicht.“

Ich lächle und schleiche mich. Er hat keine Chance.

Am nächsten Ort sind tonnenweise Menschen. Ich küsse einige Wangen, bin höflich und lustig, umarme Künstler und lobe ihre Werke, selbst wenn ich finde, dass sie scheiße sind. Ich stelle mich zur Wand. Zupfe an meiner Lippe, betrachte die Installationen. Drüben in der Ecke bei den bemalten Metallrohren läuft ein Video. Mehr Wein. Es ist warm.

„Ich weiß nicht. Ist das ein Drahtesel oder was versucht diese Skulptur darzustellen?“

Er steht hinter mir. Reicht mir ein neues Glas. Mit breitem Grinsen nehme ich es entgegen. Ich sage:

„Ja, es schafft auf den ersten Blick keine Struktur, die man ohne den Kontext verstehen kann. Aber es ist irgendwie ziemlich gut, die Form ist wirklich geschmeidig – eine Art koreanische Dystopie.“

„Nord oder Süd? Was glaubst du?“

Süß! Er hat einen Witz gemacht. Ich lache, aber nicht zu laut, nehme das Gespräch auf – es läuft wie am Schnürchen. Ich denke, dass es die anderen sehen müssen, wie mega heiß ich auf ihn und dieses Projekt bin. Ich stehe mir selbst im Weg und bis auf weiteres läuft es, wie es soll. Er ist zu mir gekommen, alleine. Das bedeutet etwas. Der Dialog ist ein Tanz. Ich erhebe die Stimme, sage:

„Bedeutung ist eine Konstruktion, die über den Trieb hinausgeht.“

Er antwortet:

„Der Trieb ist eine Konstruktion, die sich der Bedeutung entzieht.“

Ich habe Lust vor ihm auf die Knie zu fallen – mitten in diesem Menschenmeer, das plaudert und trinkt. Eine Performance für zwei, mit Mund und Schwanz. Mein Mund, sein Schwanz. Und ich könnte sein Hemd aufreißen, ihn auspacken und meine Finger über seinen Brustkorb gleiten lassen. Ich bin sicher, dass er behaart ist. Sein Bauch ist rundlich. Ich glaube nicht, dass er trainiert. Höchstens noch Yoga. Mit bloßen Füßen auf einer Matte. Ich versuche ihn nicht mit einem dunkelhaarigen Pfeil vor mir zu sehen, der vom Nabel ausgehend über die Rundung des Bauches zeigt – der Hüftknochen, der aus dem Hosenbund blitzt, die Andeutung seines steifen Penis hinter losen Hosen, die spielend leicht heruntergezogen werden können.

Sein Schwanz, gemütlich wippend, dick, warm. Seine breite Hand mit behaarten Knöcheln, die ihn nonchalant, fast gleichgültig umfasst. Wir bewegen uns durch den Raum, diskutieren. Die Menschen schauen ab und zu. Meistens auf ihn. Auch ein bisschen auf mich, weil sie nicht verstehen können, was er mit jemandem wie mir zu tun hat. Würden sie mich kennen, würden sie noch mehr glotzen. Wenn sie wüssten, was ich heute Abend mit ihm vorhabe.

„Wie heißt du eigentlich? Ich heiße …“

Nein, du bekommst meinen Namen nicht. Ich tue so, als wäre mir nicht bewusst, dass er mit der Kunstakademie zehn Jahre, bevor ich selbst hineingekommen bin, fertig geworden ist. Wir haben viele gemeinsame Bekannte. Er weiß nicht, wer ich bin, obwohl er sagt, dass er mich von Abenden wie diesen kennt. Ich verrate ihm meinen Vornamen, das muss genug sein. Er fragt:

„Du bist selbst künstlerisch tätig, nicht wahr?“

Er wirkt aufrichtig neugierig. Nicht so, als würde er denken, dass ich mit Händen und Fingern über seine Muskeln und seine Haut streichen möchte, in die Richtung seines Schwanzes. Aber das will ich. So bin ich.

„Ich? Nein. Nicht wirklich. Ich bin mehr eine Art Musiker – kreativ.“

„Gott sei Dank! Ich kann Künstler nicht ertragen, ha ha. Die sind allesamt so abscheulich emotional. Und habgierig.“

Jetzt denke ich an seine Oberschenkel. Sie sehen stark aus. Ich betrachte sein Schlüsselbein, das gerade noch in der Öffnung seines Shirts zu sehen ist. Ich beobachte seinen Kiefer, die Art, wie er seinen Nacken beugt, um meine Worte in all dem Lärm zu hören. Ich stecke die eine Hand tiefer in die Hosentasche, pule an etwas eingetrocknetem Kleber an meinem Daumen. Die andere Hand ist damit beschäftigt, das Glas zu leeren.

„He he. Wie das?“

„Es ist doch diese Selbstauslieferung, die manche in ihrer Kunst anwenden, nicht wahr? Die Art und Weise, wie sie andere vollkommen schonungslos dazu benutzen, sich auszudrücken. Das ist doch verstörend und … vulgär.“

Er spuckt das Gesagte aus. Dass ich mich für einen Paranoiden begeistern könnte, hätte ich mir nie gedacht, aber offenbar passiert mir das gerade. Er hat eine Scheißangst davor, in einem Kunstwerk verarbeitet zu werden. Und gleichzeitig ist es das, wozu er Lust hat. Weder ich noch er betrachten das, was rund um uns an den Wänden hängt.

„Stimmt. Aber … bei der künstlerischen Freiheit kann man auch nicht einfach Kompromisse eingehen. Im Prinzip. Weil dann wären wir ja wieder zurück im Dritten Reich oder in der McCarthy-Ära oder einfach in der vergangenen Regierung.“

„Ja klar. Versteh mich nicht falsch. Kennst du die Künstlerin, die sich ISM nennt?“

Ich lasse es mir nicht anmerken, aber es ist lustig ihn gerade diesen Namen nennen zu hören.

„Was ist mit ISM? Und wie kannst du dir sicher sein, dass es eine Künstlerin ist?“

„Nun ja, natürlich hat sie niemand gesehen und es ist ja auch nur ein Pseudonym, um interessanter zu wirken, aber ich bin mir da doch ziemlich sicher. Ziemlich prätentiös, oder? Ein geheimnisvoller Künstler. Sich hinter diesem Namen zu verstecken? Ismus? Ich glaube übrigens, dass sie mich gemalt hat. Das kann man doch verdammt nochmal nicht einfach machen.“

Nun ist er in Rage – ich nicht so sehr. Nur ein bisschen, aber nicht genug, um ihn aufzustacheln.

„Warum?“

„Come on. Hast du die Werke gesehen?“

„Ja. Diese ausgestreckten Männer, oder? Konzeptartig mit irgendetwas anderem aufgezogen, nicht wahr?“

„Ja genau! Grauenhafte, grauenhafte Bilder.“

„Und warum glaubst du, du wärst einer dieser Männer?“

Er beugt sich zu mir. Ich kann ihn riechen. Supersexy, schweineteurer Duft.

„Es war eines der Werke, die vergangenes Jahr ausgestellt wurden und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auf einem davon abgebildet bin. Es ist derart schweinisch und liederlich. Ich habe nie etwas mit ihr zu tun gehabt, aber sie macht so etwas einfach. Sie missbraucht die Leute für ihre eigenen Ambitionen.“

Nun riecht er intensiv. Hitze und Wut steigen auf. An seinen Schläfen kann ich Feuchtigkeit glitzern sehen. Ich inhaliere ihn. Ich kämpfe damit nicht auszusprechen, dass ich ihn hier und jetzt haben will, darum sage ich:

„Pfui Teufel. Und so gut malt ISM nicht mal. Aus rein künstlerischer Sicht ist das doch ziemlich ordinär. Sehr durchdacht.“

„Absolut! Aber kennst du sie nun eigentlich? Das dürfte doch deine Generation sein, oder?“

Jetzt wird er ein bisschen nervig und wirkt mittelalterlich. Ich fühle einen Ansatz von Zweifel in mir hochsteigen, ob das hier ein Fehler sein könnte, bin aber immer noch heiß auf ihn. Er berührt mich an den Schultern, sieht mich mit seinen blauen Augen an und beugt sich so weit zu mir hinüber, dass ich seinen Schweiß wahrnehme. Ich frage mich, wie die Haut auf seinem Brustkorb schmeckt, denke daran, meinen Mund und meine Zunge um seine Brustwarze zu schlingen, um das Salz zu lecken und meine Finger in den Haaren zu vergraben, von denen ich denke, dass sie da sind. Seinem Fleisch entlang nach unten. Ich kaue an meiner Unterlippe, um ihn nicht zu küssen – nippe am Wein.

„Ich war nicht ehrlich zu dir. Ich kenne ISM. Ich kann dir die Geschichten zu den Bildern erzählen, aber nicht hier. Hier sind zu viele Menschen. Wollen wir abhauen – uns ein netteres Plätzchen suchen?“

Selbstverständlich.

Wir betreten einen Hinterhof nicht weit von der Party, auf welcher der heutige Abend begann. Einer der Sorte, in der man sich verirren konnte, aber das tun wir nicht. Auf dem Weg hierher haben wir einige Male Halt gemacht und eine Flasche geklaut. Ich lade ihn ein an meinem Joint zu ziehen, was er macht, obwohl er äußerlich wie eine kleinkarierte Person aussieht. Er atmet den Rauch tief ein – um seinen Mund glüht es orangefarben im Blau der Dunkelheit. Wir reden darüber sich zur Verfügung zu stellen. Für Erlebnisse und für die Kunst. Ich sage:

„Etwas von sich selbst zu verschenken, wie ein Objekt, das von jemand anderem wahrgenommen werden kann, ist eine radikale und extreme Erfahrung. Die größte Erfahrung. Es ist ein Zusammentreffen von Philosophie und Sexualität. Verstehst du? Das Objekt und die Sinne bilden eine Allianz, wo Abstraktion und Begeisterung ununterscheidbar und gleichzeitig nicht in Korrelation zueinander zu bringen sind. Nicht einfach nur eine konkrete Konstruktion im Trieb, sondern eine Aufhebung des Persönlichen, welches das neue Ganze schafft. Du zerstörst dich selbst, die ganze Welt, um zu Schaffen, nicht wahr?“

Er versucht mir zu folgen und versucht sich an einer Kette aneinandergereihter Wörter, die langsam beginnt sich aufzulösen.

„Ich weiß nicht warum, aber es fühlt sich irgendwie seltsam an mit dir über solche Dinge zu sprechen. Wir kennen einander ja nicht wirklich.“

Er sagt das, während er gegen einen Mülleimer pinkelt. Mit einer an die Mauer gelegten Hand und gespreizten Beinen steht er da und ich muss mich wirklich zusammenreißen, mich nicht selbst zu befummeln, während ich ihn so ansehe. Es liegt etwas Obszönes im Szenario dieser Sommernacht.

„Manchmal ist es leichter mit Leuten zu sprechen, die man nicht so gut kennt.“

„Schon möglich. Ich bin nicht dumm – das bist du auch nicht. Es muss nicht unbedingt sein, dass alle wissen, was wir heute Abend geredet haben. Du bist der erste Mensch, dem ich von dem Bild erzählt habe. Es ist furchtbar das Motiv eines anderen zu sein.“

„Warum sollte ich die Geschichte auch weitererzählen? Nun gut – willst du wissen, was sich hinter dem Namen ISM verbirgt?“

Er packt seinen Schwanz weg, bevor ich ihn sehen kann.

„Ja! Woher kennst du ISM?“

„Man hört ja die eine oder andere Geschichte in diesem Milieu. Man klatscht und tratscht. Auch ich habe so einiges gehört und gesehen. Es gab ja schon viele Theorien über ISM und wer hinter dem Namen, den Malereien, Fotos und Installationen derselben Ästhetik steckt. War es nicht dein Kollege, der glaubte, es wäre ein Sammelbegriff für mehrere Personen, als ISM vergangenes Jahr den Durchbruch hatte? Du kannst ihn von mir grüßen und ihm ausrichten, dass ISM nur eine Person ist, und zwar ein verficktes Monster. ISM ist bei den eigenen Vernissagen inkognito, aber immer dabei und macht einen auf smart. Macht die eigenen Kunstwerke vor den anderen schlecht, nur, damit diese eine ehrliche Stellung dazu beziehen. ISM wirkt wie ein seriöser Künstler, hat gleichzeitig jedoch Sperma an den Fingern, im Mund und zwischen den Beinen herunterlaufen. Nichts anderes als ein kleines, durchgeficktes Künstlerluder. Mit tonnenweise Talent. Und die Leute zahlen ein Vermögen für dieses Scheißkonzept.“

Er ist sprachlos. Sein Mund steht einen Spalt weit offen, gerade richtig um einen Finger oder die Zunge hineinzustecken. Ich mache einen letzten Zug und spicke den Joint weg.

„Wirklich?“

„Ja. Komm mal mit, dann zeig ich dir was. Ich weiß, wo etwas über die kommende Ausstellung steht und ich weiß, wie wir hineinkommen können. Ich habe einmal für diese Galerie gearbeitet. Sie ist auf der anderen Seite dieses Hinterhofes. Komm mit. Du sollst ja verdammt noch mal nicht auf solch eine Weise missbraucht werden. Ich habe gehört, dass es dieses Mal eine Hommage an Kate Bush werden soll.“

„Ha! Lächerlich! Total billig und girly. Ich habe irgendwo gelesen, dass ,Running up that hill’ einer der am häufigsten missverstandenen Songtexte in der Geschichte der Popmusik ist.“

Es ist ein fantastischer Hinterhof mit aneinandergereihten Kellerschächten entlang der Mauern, sieben Hinterhäuser und mehrere Tore. Ich aber finde die Stelle, die wir brauchen. Ich suche nach dem Schlüssel zu einer morschen Tür, wir schleichen hinein – kichern und albern in der Dunkelheit herum. Ich knipse eine Tischlampe im Hinterzimmer an. Regale, Staub, Leinwände. Die Lampe gibt nicht viel Licht, aber genug, um die großen Malereien zu sehen. Sie stehen mit der Rückseite zu uns gedreht da, aber trotzdem ist eindeutig zu erkennen, dass es die Bilder sind, von denen er gefaselt hatte. Muskeln und Fleisch, ausgestreckt, ungehemmt, aufreizend. Geschmiert über Quadratmeter von Stoff. Details von Schönheit, Fetzen von Materialien – aufgeklebt, um eine andere Stofflichkeit zu erzeugen – die Körper aufgeraut, fast schon fieberhaft heraufbeschworen. Als wären sie schon im Bild gefangen gewesen bevor sie entstanden sind. Als ob sich das Motiv aus dem Bild gedrängt hätte, wie eine gigantische, kaleidoskopische, farbexplosionsartige Ejakulation – mein neuer Freund natürlich ganz außer sich als er den ausgestreckt dahindrapierten Körper auf den Knien mit aufgesperrtem Mund vor sich sieht.

„Zum Teufel! Zum TEUFEL!“

„Pssst … Das bist doch sicher nicht du.“

„Nein. Es sieht ehrlich gesagt eher aus wie du. So ein dünnes, junges Ding. Spindeldürr und Ringe über dem ganzen Körper. Du bist offenbar als nächstes dran?“

„Fuck.“

Er steht so da, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Er versucht sich nüchterner aussehen zu lassen, beginnt zu brabbeln. Quasselt Scheiße über Kunst und den selbst erzeugten, kreativen Hunger der Künstler, in dem Glauben mich damit aufzumuntern. Ich wirke bedröhnt – was ich vermutlich auch bin, nach zwei Flaschen Rotwein und einem Joint. Er stützt mich. Seine Hände sind stark. Ich lehne mich an ihn, inhaliere ihn, seinen Brustkorb, Hals. Spüre die Stärke in ihm.

„Ist schon okay. Ich habe nichts dagegen, falls das ich sein soll. Es steckt wohl ein bisschen von einem Exhibitionisten in mir. Aber es ist schon etwas befremdlich, es anzusehen. Unerwartet.“

Er lässt mich ein wenig los, wirft einen Blick hinter das vorderste Bild und findet eine weitere Leinwand. Er zieht sie heraus. Es sieht ihm eigentlich sehr ähnlich.

„Siehst du! Das hier meinte ich.“

Die Version von ihm liegt faul auf einer Couch, den einen Arm über den Kopf, den anderen auf den Schoß gelegt. Es sieht fast so aus, als schliefe er. Das eine Auge jedoch formt sich zu einem durchbohrenden, ungehemmt lüsternen, leuchtend blauen Blick. Ein wirklich obszöner, genießender Satyr. Der barbarische Faun auf Viagra und LSD. Die Beine gespreizt, der Penis verzerrt und enorm, beinahe vibrierend im Auge des Betrachters. Sein Gemütszustand ist irgendwo zwischen schockiert und aufgeheizt.

„Ja, das ist intensiv. Ich verstehe, dass du entrüstet bist. Das ist sehr nackt … fast schon so, als wäre nicht dein Körper, sondern deine Seele auf der Leinwand.“

„Danke – glaube ich. So habe ich das noch nie gesehen. Deshalb gefällt es mir wohl nicht.“

Er stellt das Bild zurück zu dem vorderen, dem, das mir ähnelt. Er starrt es an, gedankenverloren, bevor er sie beide von sich stößt.

„Ich sollte jetzt eigentlich schon wieder woanders sein, aber ich kann fast nicht mehr gehen. Ich glaube noch mehr Eindrücke verkrafte ich heute nicht.“

„Same here. Du …?“

Jetzt. Jetzt ergreife ich die Initiative. Hier, wo ich das ernte, was ich schon lange in ihn gepflanzt hatte. Ich fahre fort;

„Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber ich glaube ehrlich gesagt, dass ISM ein Mann ist. Und wenn ich dich hier so sehe … Die Art und Weise wie du auf diese Bilder reagierst..., dann denke ich, dass ja eigentlich du ISM sein könntest? Du hast doch früher gemalt. Und du warst verdammt gut darin – ich habe einige deiner alten Werke gesehen. Du hättest es zu etwas bringen können, das war echtes Talent, aber du hast einen anderen Weg eingeschlagen – in die Vermittlung – und bist dort groß geworden. Diese Werke könnten deine Lösung sein, dich selbst wieder zu finden.“

„Was zur Hölle sagst du da? Glaubst du etwa mir könnte so ein Blödsinn einfallen? So eine Schweinerei?“

Ich öffne meinen Kapuzensweater. Mein T-shirt ist abgewetzt, feucht und es klebt an mir, sodass er meine Piercings sehen kann. Er checkt meine Arme ab, sieht die Farbkleckse auf den Tätowierungen. Farbe, die sich wie eine Form auf die Farbe in meiner Haut gelegt hat. Das Licht der Lampe spiegelt sich in meinen Fingerringen, als ich meine Hand langsam hin zu meinem Schritt gleiten lasse – über meinen Brustkorb – meine Brustwarzen strecken sich durch den Stoff in seine Richtung. Ich ziehe es aus. Er genießt den Augenblick, als könnte er mich mit bloßen Blicken ficken.

„Alles was ich sage ist, dass es mir nichts ausmacht. Du kannst mich gerne malen. Ich habe schon bemerkt, dass du mich Freitag für Freitag immer abgecheckt hast. Du hast Lust auf etwas anderes, etwas Unverfrorenes. Aber das ist schon in Ordnung. Du stimulierst mich. Du bist interessant, es wäre mir eine Ehre. Mal mich!“

Sein Blick bleibt an meinen Händen hängen. Langsam öffne ich meinen Gürtel.

„Du liegst falsch, ich steh’ nicht auf Männer und diese Bilder habe ich auch nicht gemalt. Ich bin kein … Künstlerluder, wie du es nennst …“

Jetzt ist er bereit. Ich lüge – lutsche an meinem Finger und sehe ihn an.

„OK, dann warst es doch nicht du. Ist ja eigentlich auch egal, wer die Bilder gemalt hat, sie zeigen jedenfalls ihre Wirkung. Sieh uns an. Auf der Rückseite. Ich möchte es gerne fühlen. Komm schon …“

„Du bringst mich in Verlegenheit. Oder vielleicht sind es die Bilder. Ich weiß nicht wirklich, ob ich über die Bilder kotzen oder abspritzen soll.“

„Mir geht es genauso. Was möchtest du jetzt lieber sehen, die beschissenen Bilder oder mich, wie ich mich befummle? Ich sterbe hier, verdammt noch mal. Du hast mich den ganzen Abend lang angeglotzt und jetzt das hier.“

Er denkt nach während ich am Reißverschluss spiele. Er lächelt, seine Augen wandern nach unten.

„Die Bilder. Aber du kannst gerne, wenn du möchtest. Ich werde jetzt gehen. Ich bin noch zu einer Sonderveranstaltung geladen. Man rechnet mit mir.“

Er versucht von seinen prallen Hosen abzulenken. Ich stelle die Leinwand so um, dass es aussieht, als würde die Version von mir nach seinem Penis greifen.

„Ja, das hast du schon gesagt. Aber sieh dir das mal an. Das ist pervers. Hör mal, das könnte doch unsere Rache sein, oder? Ich habe solche Lust dich über die Rückseite dieser Leinwand kommen zu sehen. Dein Sperma würde dann dort sitzen und sein eigener Prozess hinter dem Motiv sein – in die Fasern des Stoffes eindringen, deinen Duft und deine Marke zurücklassen. Das wäre so cool. Dreh dich um! Sieh es an!“

Und das macht er verflucht nochmal! Er lässt mich seine Hosen öffnen, das Hemd öffnen. Er hat tatsächlich eine weiche Haut und er riecht fantastisch und hat Haare. Genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Wunderbares, kräftiges und glattes Haar, das sich nach unten hin zu einem gestutzten, krausen Flor kumuliert, das die Wurzel seines Schwanzes umrahmt. Er ist ganz hart und möchte meine Hand dort unten spüren. Die Ringe an meinen Fingern machen Musik in seinem Schritt. Er fühlt sich warm und glatt an, in meiner Hand, die metallisch und rau von den Farbrückständen ist, und sich an seinem glänzenden, pulsierenden Geschlechtsteil entlang bewegt. Sein Schwanz ist schön und dick, zeigt mehr in die eine Richtung, als auf dem Bild, aber das macht nichts. Er sagt nichts, lehnt sich zurück, an mich, während ich ihm einen runterhole. Ich nehme die andere Hand dazu, fühle das Gewicht seiner Eier. Er stöhnt mit warmer, tiefer, rauer Stimme. Es liegt eine Art Verzweiflung in der Luft, es ist beinahe zu viel, ich bremse mich ein wenig ein, während ich zu ihm sage:

„Es ist egal, wer das gemalt hat. Es ist völlig egal, weil es dich anmacht, dass du jemanden inspiriert hast, du bist zu einem Ding geworden, kondensiert durch den Blick eines Anderen. Du hast Lust, über diese Version deiner selbst abzuspritzen, darüber zu kommen. Es hat nichts damit zu tun, ob ich es bin, oder du es bist, der auf dem Bild zu sehen ist, es ist die Art wie es gemacht ist. Schamlos und ungehemmt und anstößig. Das bist du – innerlich. Endlich hat dich jemand erkannt.“

Er greift nach hinten, sieht mich nicht an, berührt mich jedoch, begrapscht mich. Nicht plump, sondern fordernd, als hätte er so etwas schon einmal gemacht.

„Tu es auch! Ich will deinen Saft auf meinem Saft sehen. Auf diesem beschissenen Bild. Tun wir es verflucht nochmal … pack zu, ja, ja, ja, verdammt, JA!“

Er brüllt und kommt völlig orgiastisch über meine Hand, über das gesamte Bild. Sein Körper zittert, er seufzt tief, während ich den letzten Rest aus ihm herausknete. Am Betonboden ein wenig Sperma – ich lächle, er sieht verlegen aus, lässt mich los, als hätte er Angst davor, sich bei mir revanchieren zu müssen. Ich schüttle den Kopf. Es macht mir nichts aus, aber ich möchte, dass er mich ansieht. Ich lasse ihn los, lecke an seinem Saft, inhaliere den Duft seines Schwanzes an meiner Handfläche. Er sieht, wie scharf mich der Geruch und der Geschmack machen. Ich umfasse meinen eigenen Penis, benutze sein Sperma für meine eigenen Zwecke, spüre meine Ringe, die rauen Farbkleckse an meinen Fingern, genieße es, ihn mir zusehen zu sehen, wie er sich am Blick meiner Selbstbearbeitung ergötzt, was letztendlich meinen Samenerguss über das Bild provoziert. Sein Blick auf meinen Schwanz.

„Das war …“

Die Kontrolle über sich selbst kommt allmählich zurück, während er nach Worten sucht. Er zieht sich an, sieht jetzt fast vernünftig aus. Er lächelt. Ich trockne mich mit meinem T-Shirt ab, öffne den Kapuzenpulli und sage:

„Ja, das war es.“

Er senkt den Blick zu den Leinwänden.

„Glaubst du, man sieht das auf der Vorderseite?“

„Keine Ahnung. Ist das nicht egal?“

„Die liegen bei rund 50.000 bis 60.000 Kronen …“

„Scheiß drauf.“

„Du? Es wäre mir recht, wenn das hier diesen Raum nie verlassen würde.“

Das verspreche ich selbstverständlich. Man muss Vertrauen schaffen. Das ist eine der Hauptregeln in der Kunst. Man muss Vertrauen haben, am meisten in sich selbst. Man muss dieses Selbstvertrauen herausfordern, um alles geben zu können. Es geht jedoch auch darum, den Mut zu haben, alles wieder zu zerstören, wenn es darauf ankommt – das sage ich natürlich nicht.

„Wem zur Hölle sollte ich das auch erzählen?“

Er sieht ein wenig verloren aus. Vielleicht ist er gerade dabei auszunüchtern. Scheiße. Die Zeit läuft uns fort. Mir fehlt noch etwas, bevor ich ihn verlassen kann.

„Da geht es mir genau so. Ich kann ja auch nicht wissen, mit wem du dich so unterhältst. Du könntest ja ebenso gut die Geschichte von dem Typen erzählen, der total heiß darauf war, es dir in einem Hinterhof zu besorgen. Können wir einen Pakt schließen? Koste die Markierung, die wir hinterlassen haben. Nur ein bisschen davon. Ich möchte dich deinen Finger darin eintauchen sehen. Schlucke es.“

Er tut es. Ein wenig uninteressiert setzt er seinen Daumen in das Weiße auf den Farben. Es leuchtet auf. Er vermischt unsere Samen und saugt es von seinem Finger – als wäre es nichts – als wäre es geschmolzenes Eis. Langsam. Als würde es ihm gefallen. Es sieht verdammt schön aus. Ich fühle mich, als hätte ich etwas erschaffen, das alles verändert.

„Reicht das? Ich muss jetzt wirklich gehen.“

„Ja, das ist in Ordnung. Danke. Ich bleibe noch ein bisschen – räume hinter uns auf. Genehmige mir noch ein Bier, wenn ich schon da bin. Dann muss ich nach Vesterbro. Vielleicht bis bald?“

Er nickt und verschwindet hinaus in den dunklen Hinterhof. Ich bin entspannt und doch zugleich euphorisch – fast schwebend, obwohl das Adrenalin dabei ist, mir durch die Poren zu entrinnen. Ich höre ihn ein Fahrrad umstoßen und darüber fluchen. Stille macht sich breit.

Ich stoppe die Kamera im Regal, öffne die Tür zu den Assistenten. Es wird etwa sieben Minuten dauern bis er es aus dem Hinterhof schafft, um den Häuserblock geht und die Galerie auf der Vorderseite erreicht. Die Bilder werden hinausgetragen. Du verbleibst hängend. Neugierde.

„Es hat geklungen, als wäre es gut gewesen. Mit wem bist du hier gelandet?“

„Ich gebe dir nur das hier. Das ist etwas zwischen mir und ihm. Ganz gleich, wie sehr zur Schau gestellt er sich fühlen wird. Niemand wird ihn wiedererkennen, aber man wird alles sehen. So wie ich ihn gesehen habe. Seine Finger, seine Lippen. Ihn – wie er daran leckt. Er wird es in Worten sehen. Es ist das erste Mal, dass ich mit Schwarzlicht arbeite.“

„Make a deal with God. Get him to swallow.“

Ich singe die Worte. Das Bild leuchtet über denen, die bereits in der Galerie angekommen sind, ich kann Jubel hören, während die Assistenten die Leinwände aufhängen – eine Performance.

Ich sage:

„Ja, es ist schön geworden. Fangt schon mal an, die Sonderausstellung zu eröffnen. Ich werde im Atelier schnell einen Loop für den Projektor zusammenschneiden – ich schick dir dann den Link. Ich hätte schon lange auf Visuals umsteigen sollen. Das wird die geilste Show. Tut mir richtig leid, dass ich nicht dabei sein kann. Haben wir eigentlich genug Wein?“

360 Grad - heisse Erzählungen

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