Читать книгу Einmal um die ganze...(halbe) Welt - Marianne Theil - Страница 7
ОглавлениеDer Ursprung
Diese Idee kam buchstäblich aus heiterem Himmel. Eines Sonntagvormittags während des Kochens hörte ich nebenbei einen bayerischen Radiosender. Dort gab es regelmäßig interessante Berichte über Leute, die etwas Außergewöhnliches in ihrem Leben unternommen oder erreicht hatten. An diesem Sonntag wurde ein Ehepaar interviewt, das mit seinen beiden Kindern eine Segeltour um die ganze Welt gestartet hatte.
Diese Begeisterung und die Freude in ihren Erzählungen ließen mich dann doch genauer zuhören. Als dann die Frau am Schluss den Hörern noch mit auf den Weg gab, so eine Reise würde sie jedem wünschen, da es einen jeden prägen und im Positiven verändern würde, keimte ganz klein ein Plan auf.
Als mein Jüngster, der als Einziger noch daheim bei mir lebte, pünktlich zum Mittagessen aufstand, überfiel ich ihn erst einmal mit der Frage: „Was hältst du davon, wenn wir nach deinem Schulabschluss eine Weltreise machen?“ – … – Tja, wahrscheinlich dachte er sich: „Die Mama spinnt!“
Gesagt hat er es zum Glück nicht.
Aber die Idee schien ihm zu gefallen, denn sogleich machten wir uns über den Computer her, um uns alle Weltwunder zu betrachten, die wir uns ansehen wollten. Dabei stellten wir fest, dass uns alle Weltwunder gar nicht so sehr interessierten, waren doch einige dieser Bauten in Ländern, die als nicht ungefährlich eingestuft wurden.
Also fingen wir an, uns die Route um die Erdkugel einmal genauer anzusehen. Innerhalb einer Stunde mussten wir allerdings feststellen, dass wir unmöglich alles bereisen konnten. Die Welt ist ganz schön groß und so wurden immer mehr Abstriche gemacht. Ich denke, in der ersten Zeit unserer Planung haben wir unsere Reiseziele fast täglich verändert, aber bald kristallisierten sich dann doch unsere Schwerpunkte heraus. Wir hatten eine sehr abwechslungsreiche Route, in der ich doch für mich ein paar Abstriche machte.
Zum Beispiel war da Afrika mit Mauritius. Das wurde gecancelt, da sich mein Jüngster absolut nicht mit diesem Land anfreunden wollte. Dafür sollten es die Strände von Goa in Indien sein, Party am Strand und kiffen bis zum Abwinken. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich darauf wirklich Lust hatte. Teenager haben dann wohl doch noch eine andere Vorstellung von kultureller Bildung. Allerdings wollte ich unbedingt das Taj Mahal in Indien besuchen und da wir schon in diesem Land wären, könnten wir den Süden gleich mitnehmen.
Nun gut, ein Reiseplan ist eine Sache. Arbeit, Haus und Berufsausbildung für ein Jahr allein zu lassen bzw. zurückzustellen eine andere. Am nächsten Tag fragte ich meine Mitarbeiterin, ob sie es sich zutrauen würde, für ein Jahr die Praxis im Alleingang zu meistern. Wahrscheinlich nahm sie mich nicht ganz ernst, aber sie sagte gleich zu.
Im Anschluss ging es zum Steuerberater. Von ihm kam grünes Licht und einige gute Tipps, wie es ohne mich weiterhin gut laufen könnte. Da wurde mir bewusst, wie entspannt es doch sein kann, ersetzbar zu sein. Meistens ist es doch das Ziel, ob privat oder beruflich, unersetzlich zu sein, einzigartig. Aber was passiert, wenn man ausfällt?
Natürlich kratzt es gewaltig am Ego, wenn sich der Ehemann problemlos anderweitig tröstet oder deine Arbeitsstelle ohne große Umstellung von jemand anderem besetzt werden kann. Andererseits birgt es doch auch eine große Freiheit in sich, zu erkennen, dass sich das Leben ohne einen weiterdreht.
Nun müsste ich lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das gleichgültig lassen würde. Denn letztendlich möchte man nicht nur als Hausfrau und Mutter gelten, als Fachkraft in seiner beruflichen Tätigkeit, sondern auch als Mensch, der geliebt wird. Zu spüren, dass man eine Lücke hinterlässt, macht den Menschen aus, der man in der Gemeinschaft ist.
Den Beginn unserer großen Reise planten wir für den September des kommenden Jahres. Dann war die Abschlussprüfung von meinem Jüngsten vorbei und meinen Geburtstag Anfang September wollte ich noch mit meinen Freunden und Kindern feiern, bevor es für ein Jahr auf große Wanderschaft (mit dem Flugzeug) ging. Jetzt hatten wir Mitte April im Jahr davor, genug Zeit, die Sache zielgerecht und entspannt anzugehen.
Ich muss dazu sagen, meine zwei großen Kinder waren alles andere als begeistert, als sie hörten, dass wir zwei für ein ganzes Jahr unterwegs sein sollten.
„Mama, du kannst nicht mal einen Handyvertrag allein abschließen. Wie willst du denn so eine Reise bewerkstelligen?“
Meine Tochter zeigte sich dann doch noch kooperativ und schickte mir einige Links zur „Inspiration“:
- Vergewaltigung im Ausland
- Terrorismus in Tourismusgebieten
- Flugzeugabstürze im Jahr 2010–2018 etc.
Nach einer ernsten Aussprache unterließ sie dann doch ihre Mitarbeit an diesem Projekt, wollte sich aber auch nicht mehr zu weiteren Reiseplänen meinerseits äußern. Schade eigentlich, denn ich verreise grundsätzlich sehr gern mit meiner Tochter. Sie spricht fließend mehrere Sprachen, ist sehr weltgewandt und auf sämtlichen Flughäfen dieser Welt zu Hause. Von der ganzen Familie ist sie (bis jetzt) die Einzige, die das Reiseholic-Virus in sich trägt.
Zudem sieht sie sehr gut aus: groß, schlank, mit langen dunkelblonden Haaren und einem erstklassigen Modegeschmack. Egal wohin uns unsere Reisen bisher verschlagen hatten, immer war irgendein aufmerksamer Rezeptionist, Kellner oder Verkäufer zur Stelle, der uns überfreundlich weitergeholfen hatte, falls wir Hilfe brauchten. Dabei hatten diese jungen Männer nur Augen für sie. Vielleicht lag das auch daran, dass ich klein und nicht ganz so schlank und jung war. Auf meinen Modegeschmack möchte ich auch nicht näher eingehen, schließlich kann man nicht auf allen Gebieten talentiert sein.
Außerdem teilen wir viele Interessen, gehen gern in Museen, Theater und alte Kirchen. Wir lieben es, in Straßencafés zu sitzen, die Menschen um uns herum zu beobachten und über das Leben und die Liebe zu philosophieren. Wie fast alle weiblichen Individuen gehen wir leidenschaftlich gern shoppen, egal ob es sich um Souvenirs, Kleidung, Schuhe oder Modeschmuck handelt. So hatten wir schon mehrmals Paris, Stockholm, Hamburg und Singapur für uns eingenommen und jedes Mal unseren Spaß dabei gehabt.
Nur mit dieser Reise hatte sie dann doch ihre Probleme. Gut, man kann eine Weltreise nicht mit einem kulturellen Wochenendtrip vergleichen, aber ein bisschen mehr Anteilnahme hätte ich mir doch von ihr erhofft.
Natürlich hatte sie Angst um mich. Ich konnte das verstehen, schließlich war mein Englisch mehr wie dürftig, andere Sprachen sprach ich gar nicht. Allerdings war ich der Meinung, das Essen, Trinken und Schlafen auch nonverbal mitgeteilt werden konnte. Und das wäre auf so einer Reise eh das Wichtigste. Nicht zu vergessen, mein Handy war inzwischen voll von lauter Apps, um Übernachtungen aller Preisklassen zu buchen, sämtliche Sprachen zu übersetzen und (Aus)Flüge zu organisieren. Ich wusste nicht, warum, aber ich hatte keine Bedenken, nur eine übermäßige Vorfreude auf dieses Abenteuer, das mich erwartete. Und wenn ich wieder daheim war, dann würde es auch mit dem Englisch klappen, dachte ich mir.
Mein ältester Sohn ging mit meiner Idee sehr pragmatisch um. „Mama, du hast dein Leben lang viel gearbeitet, ich finde, das kannst du dir jetzt schon mal gönnen. Schließlich wirst du auch älter und jetzt kannst du es körperlich noch meistern. Aber nicht alles ausgeben, denk an die Rente!“ Und: „Wieso willst du eigentlich den Kleinen mitnehmen? Der hat doch nichts geleistet. Allein könntest du viel individueller reisen, außerdem hättest du mehr Geld für dich und deine Sicherheit. Zum Beispiel bessere Hotels statt billiger Absteigen sowie geführte Reisetouren. Du könntest die Sehenswürdigkeiten anschauen, die dich interessieren, und hättest keinen maulenden Teenager dabei, der ständig meckert, dass er kein WLAN hat.“
In diesen Punkten musste ich ihm recht geben, daran hatte ich auch schon gedacht. Aber es erschien mir dann doch zu riskant, ihm für ein ganzes Jahr allein das Haus zu überlassen. Nur hatte ich auch schon seit einigen Wochen das Gefühl, das mein Jüngster meine Begeisterung nicht mehr teilte. Sobald das Thema darauf fiel, wurde er sehr einsilbig. Als dann von mir noch der Vorschlag kam, in den Ferien oder an den Wochenenden zu jobben, war seine Laune zu diesem Thema auf dem Nullpunkt. Schließlich konnte er nicht erwarten, dass er mit fast achtzehn Jahren keinerlei Beitrag dazu leisten musste.
Als ich ihn nach einigen Monaten direkt darauf ansprach, ob er denn überhaupt noch mitwolle, druckste er ein bisschen rum und gestand mir dann, dass ihm ein Jahr doch zu lang wäre, schließlich hätte er seit Kurzem eine Freundin. Außerdem würden ihm seine Freunde fehlen und überhaupt …
Gut, damit war es entschieden, er würde daheimbleiben, eine Lehre beginnen und sich um das Haus und die Katzen kümmern.
Inzwischen hatte ich noch zwei Studenten für die Zeit meiner Abwesenheit gewinnen können, die sich jeweils ein Zimmer mieten und das Haus als Wohngemeinschaft nutzen würden. So hatte ich wenigstens ein paar Mieteinnahmen, damit sämtliche Unkosten daheim gedeckt wären. Mein Exmann würde ein bis zweimal die Woche mit meinem Sohn essen gehen und sich vergewissern, dass alles in Ordnung war. Wenigstens hatte er mir das versprochen, aber ich dachte, dass ich mich in dieser Hinsicht auf ihn verlassen könnte.
Eine sehr gute Freundin würde regelmäßig nach dem Rechten sehen, schließlich hatte sie auch Kinder in diesem Alter und wusste, was alles schiefgehen konnte. Ich war froh, dass ich sie zur Unterstützung hatte, das ließ mich diese Reise auf jeden Fall viel gelassener angehen.
Nun waren es nur noch zwei Monate, bis zum Tag X und ich wurde langsam doch aufgeregter, als ich es mir vorgestellt hatte. Plötzlich sah ich meine Umgebung mit ganz anderen Augen. Nein, nicht anders, aber vielleicht genauer. Ich nahm mein Heim, meinen Garten, die Berge viel genauer wahr, überlegte mir, ob ich das alles vermissen würde oder vielleicht etwas Neues kennenlernen würde, das mich alles hier vergessen lassen würde.
Daran wollte ich gar nicht denken, denn ich flüchtete nicht, wollte aber meinen Horizont erweitern und neue Landschaften und Kulturen kennenlernen. Ich freute mich auf neue, fremde Menschen und hoffte, dass ich mich mit ihnen verständigen könnte.
Ich konnte es gar nicht erwarten, unbekannte Bauten und Tempel zu erleben. In Landschaften zu wandern, die mir absolut neu und unbekannt waren. An Stränden zu liegen und die Wolken am Himmel zu beobachten oder mit den Fischen um die Wette zu tauchen.
Ich wusste auch, dass ich Heimweh bekommen würde. Ich liebe meine Kinder, mein Zuhause und auch meine Arbeit. Aber das alles war nicht aus der Welt und nur für eine kurze Zeit aus meinem Leben verbannt. Schließlich würde ich wieder zurückkommen.
Tausend Gedanken gingen durch meinen Kopf: “Hoffentlich werde ich nicht krank und liege einsam irgendwo auf einer Pritsche, wo man mich vergisst.“ – „Hab ich auch nichts vergessen, werde nicht bestohlen oder erschlagen? Ab sofort werden keine Krimis mehr angesehen, nur noch Traumschiff-Reisen und Rosamunde Pilcher-Filme“.
Bis jetzt hatte ich keinerlei Bedenken, diese einzigartige Reise anzugehen, und ich wollte, dass es auch so bliebe. Denn viele Bekannte und Patienten in meiner Praxis gaben mir zu verstehen, wie gefährlich und risikoreich diese Auszeit werden könnte. Ich wollte mich dadurch nicht verunsichern lassen und redete inzwischen nur noch mit den Leuten darüber, von denen ich wusste, dass sie sich mit mir freuen würden.