Читать книгу Das Buch der Liebe - Marie Eugenie delle Grazie - Страница 5
3.
ОглавлениеAls der Sekt in den feingeschliffenen Glaskelchen perlte, begannen die Trinksprüche. Gutgemeinte, billige Redensarten, mit etwas Salbung versetzt, bald mit einigem Witz. Manch einer wohl auch darauf angelegt, in die Wangen der Braut ein flüchtiges Rot zu jagen. Und dann war auch das vorüber. Man ließ sich nur mehr den köstlichen Wein munden oder schlürfte das Eis, das immer wieder die Runde um die Tafel machte – und schwatzte sich dabei den letzten Zwang vom Herzen. Nun war auch die Braut vergessen –
Annemarie bemerkte zuerst, daß ihr Gatte sich entfernt hatte. Gleich darauf trat die Mutter hinter ihren Stuhl und teilte ihr leise mit, daß draußen der Wagen halte, der sie nun in ihr eigenes Heim bringen sollte.
»Ich werde mit dir hinausgehen«, sagte Frau Krüger, »und unterdes frischen Champagner herumreichen lassen. So wird es weiter nicht auffallen.«
Annemarie erhob sich und folgte der Mutter ruhig und wie in einer häuslichen Angelegenheit. Draußen warf sie sich noch einmal in ihre Arme. Dann glitt sie wie im Traum über die teppichbelegten Stufen, durch den noch in hellem Sonnenglast prangenden Garten. Am Schlag des Wagens stand schon ihr Gatte und half ihr hinein. Dann fiel die Türe zu. Es war diesmal ein geschlossener Wagen.
»Ist es hier schwül!« stammelte Annemarie unwillkürlich.
»Wenn du befiehlst, lass' ich das Dach zurückschlagen,« erwiderte der junge Gatte. »Aber weil du auf der Fahrt von der Kirche über die vielen fremden Blicke geklagt hast –«
»Laß nur,« bat sie. »Gewiß ist es so besser!«
Schweigend fuhren sie dahin.
Er hatte sich zurückgelehnt, ihre Hand in der seinen, und Annemarie fühlte, wie seine Blicke immer wieder über sie hinirrten, der Druck seiner Rechten immer heißer und fester wurde.
»Nun soll es nur um Gottes willen unserem tauben Faktotum nicht auch noch einfallen, uns mit einem reichbesetzten Tisch zu erwarten,« sprach er mit einer Art komischer Verzweiflung in das Schweigen hinein.
Annemarie lächelte. »Wenn Mama keine Aufträge gegeben hat –«
»Du weißt, daß ich deine Mutter schätze,« sprach der junge Gatte mit einer gewissen Nachlässigkeit. »Aber es soll mich wundern, wenn sich all diese mütterliche Fürsorge nicht zuletzt noch in einen guten Kaffee ergießt.«
Annemarie schwieg.
»Vielleicht wär' es doch besser gewesen, wenn wir sofort eine kleine Reise angetreten hätten. Trotz der großen Hitze.«
»Das haben wir so gründlich durchgesprochen und so oft jedes Für und Wider erwogen –«
»Ja,« nickte er. »Und dann, es ist wahr – wenn wir morgen erwachen, sind wir daheim!«
»Und das wird unsäglich schön sein,« lächelte Annemarie versonnen, »dieser alte, verträumte Garten, rings um das Haus!«
»Und alles so still ringsum,« kam es gepreßt zurück, »dort wird dich wirklich niemand sehen als ich!«
Und wieder flammten seine Blicke über sie hin. Dann hob er ihre Hand an die Lippen. Wie sein Kuß brannte!
Annemarie errötete. »Mit unserem Hausgeist werd' ich mich anfangs wohl nur mühsam verständigen können,« sprach sie wie ablenkend. »Sie ist schon mehr als schwerhörig, und da sie so lange deine Junggesellenwirtschaft geleitet, wird sie für die Befehle einer Frau erst recht taub sein. Und vielleicht sogar mit einem gewissen Vergnügen.«
»Da tätest du der guten Alten unrecht,« lachte Annemaries Gatte auf. »Die war immer willig, weiß Gott. Und wenn deine Mutter endlich das rechte Stubenkätzchen gefunden, kannst du ja deine Befehle auf Umwegen geben.«
»Dazu wird man wohl nicht die Frau seines Mannes,« kam es etwas spitz zurück.
»Aber Mie!« schmeichelte er.
»Doch, Will!« beharrte Annemarie, während der Gatte seine Zähne wie zu einem scherzhaften Biß in ihre Handfläche grub. »Ich weiß, daß solche Leute sehr ehrlich, sehr vertrauenswürdig und in mancher Beziehung oft nicht genug zu schätzen sind. Aber die gute Alte hat nun einmal etwas allzu lange bei dir das Regiment geführt. Und das macht eigenwillig.«
»Aber Mie, ich liefere sie dir ja aus, mit Haut und Haaren!«
»Ihre Krallen wird sie wohl für sich selber behalten,« meinte Annemarie nachdenklich. »Und mich auf Schritt und Tritt belauern.«
»Das gewiß!« neckte er mit einem eifersüchtigen Blick.
Annemarie schüttelte das Haupt. »Ich meine das nicht so. Aber sie hat dir im Laufe der Jahre all deine Gewohnheiten abgeguckt. Darunter vielleicht Liebhabereien, von denen ich noch keine Ahnung habe. Um das ist sie mir voraus!«
Er hatte sie ruhig weiterreden lassen und gleichsam belustigt zugehört, noch immer ihre Hand in der seinen. Da glaubte sie plötzlich zu fühlen, daß seine Finger einen leisen Ruck machten, als wär' es ihm mit einem Male peinlich, ihr gerade bei diesen Erörterungen so körperlich nahe zu sein.
Es war vielleicht nicht die richtige Stunde für ein solches Gespräch. Warum aber wich er ihr plötzlich auch mit den Augen aus und starrte so angelegentlich in den Abend hinein?
»Er soll wissen, daß ich nur als Herrin dort ankommen will!« dachte Annemarie und setzte sich hoch.
*
Die Bienen hingen noch in den blühenden Linden, als der Wagen vor dem zierlichen Hause hielt, und ihr tiefes Gesumme wehte der jungen Frau wie ein ferner Glockenton entgegen.
Wilhelms alte Dienerin stand mit einem Strauß heiß duftender Lilien vor der Türe. Sie hatte ihr Antlitz in die freundlichsten Falten gelegt und strich während der Begrüßung voll Eifer über die weiße Schürze. Fest und ehrbar waren die schwarzseidenen Haubenbänder unter dem eckigen Kinn zusammengeknüpft.
Und da war ja auch wieder Annemaries Bologneserhündchen! Sie hatte keinen Begriff, wie es hierhergekommen war. Es sollte wohl eine Überraschung mehr sein. Denn sie selbst hatte während des ganzen Tages keine Zeit gefunden, sich um den kleinen Liebling zu sorgen.
»Bijutti!« jubelte sie ganz entzückt auf, als der Kleine mit aufjauchzendem Gekläff über die Treppe auf sie zustürzte und mit den großen, besorgten Kugelaugen immer wieder zu ihr emporsah.
»Siehst du, nun haben wir uns wieder!«
»Ja,« lächelte der Gatte: »Nur in deinem Bett wird kein Platz mehr für ihn sein.«
Annemarie errötete und ließ den Kleinen wieder vorsichtig zur Erde gleiten.
»So werd ich ihm sein Pölsterchen vor die Türe legen.«
»Meinetwegen,« klang es übermütig zurück. »Um das, was er besser hört als Renate, muß er schweigen.«
Es war gut, daß sie in die grüngoldige Dämmerung des Flurs traten, so heiß brannten Annemaries Wangen unter den Worten des Geliebten auf.
Wenn sie bis heute im Jubel ihres Glückes, unter dem Sturm seiner Küsse zuweilen ein gehauchtes: »Ich bin dein« vor sich hingestammelt, war es doch bloß eben nur ein Wort gewesen gegen das jede andere Empfindung nun gleichsam verschlingende Gefühl der Gewißheit seines Rechtes in dieser Stunde.
Und wieder schien sich etwas ganz leise, ganz heimlich in ihr aufzulehnen. Aber es kam nicht mehr zu Wort. Hier war hinfort ihr Heim, in den Armen des Gatten ihr Glück und ihre Zuflucht. Mit nassen Augen und scheuem Blick starrte sie auf die Schwelle des Flurs, bevor sie hinüberschritt in das Reich, in dem die Liebe das Weib wie eine Sklavin fesselt.
Die Fenster der Stuben, die sie zuerst durchschritten, standen weit offen und sahen mitten in den Garten hinein und über ein Beet voll dunkler Violen, die wie violetter Sammet im letzten Schein des Abends aufleuchteten. Das grüne Gerank des wilden Weines spann sich bis zu den Fenstern herein. Dazwischen zog sich ein dichtes Gewirr blühender Waldreben. Sie dufteten heiß und seltsam, als atme ein ferner Birkengrund herüber.
Leis, wie verträumt plätscherte aus der Tiefe des Gartens ein Wässerchen. Annemarie hatte als Braut zuweilen das heiße Antlitz in dem moosigen Becken des kleinen Springquells gekühlt. Nun rief ihr ein Geplauder die Erinnerung an die lieblichen Stunden wach, da sie in Begleitung der Mutter während der Einrichtung des jungen Heims hier zuerst voll stillen Glückes aus- und eingegangen. Das seidige Grün des Mai war damals noch über diesen Wipfeln gehangen. Alles war sonniger und freier und heller gewesen, wie ihr schien. Nun lag die Schwüle des Sommers und der heiße Duft seiner Blumen über dem alten Garten und dem stillen Haus, und die Zweige hingen wie grüne Sammetvorhänge überall an den Fenstern nieder. Kaum fühlbar und wie beklommen atmete die Luft.
Auch Annemaries Herz begann leise zu pochen ...
Die Blumen, die Annemarie während dieser Tage als Angebinde erhalten, waren in die Vasen der Stuben verteilt, ihre Hochzeitsgeschenke, kostbare Teppiche, Spitzen und Silberzeug in gefälligen Lagen und Gruppen geordnet.
Und da – wahrhaftig! Annemarie sah es zuerst und kicherte leise auf – da stand auch der gedeckte Kaffeetisch! Nein, Mama hatte nichts vergessen.
»Ich hab' es ja gewußt!« lachte der junge Gatte ... »Aber ich denke – davon haben wir heute genug! Du bist doch derselben Meinung?«
Annemarie sagte weder ja noch nein. Sie errötete und starrte zum Fenster hinaus.
»Tragen Sie diese Kannen wieder hinab,« wandte sich Wilhelm mit erhöhter Stimme an die alte Dienerin.
»Hinab, ja!«
»Der Tisch kann gleich für morgen früh gedeckt bleiben.«
Die runzeligen Lider der Alten fielen halb verschämt, halb verständnisvoll über die dunklen Augen. Mit einem tiefen Knix und in einer Art komischer Hast eilte sie über die Treppe in ihre Küche hinunter.
Einen Augenblick blieb es still. So still, daß das tiefe Gesumme der Bienen und Hummeln nun bis in die Stube hineinklang.
Annemaries Gatte schritt leis auf eine Türe zu, die bisher verschlossen geblieben war. Mit einer einzigen Bewegung schlug er beide Flügel zurück.
Weiße Spitzenkissen leuchteten aus dem Dunkel. Rosa Brokatvorhänge. Weiche, seidene Haidschnuckenfelle. In einer Ecke hielt die kristallhelle Fläche eines silbernen Toilettenspiegels den purpurnen Glanz des Abends fest. Aus allen Vasen und Kelchen aber blühten hochgestielte, dunkle Zentifolien, tiefrot, fast schwarz wie jene, die Annemarie gestern in den Händen gehalten – um dieselbe Stunde.
Wie eine heiße Welle schlug ihr Duft aus dem Brautgemach ...
Sie hatte alles gesehen, alles – und starrte doch noch immer scheinbar in den Garten hinaus, den Kranz im Haar, den weißen Schleier um den noch jungfräulichen Leib.
»Wie schön dieser Abend ist!« hauchte sie mit langsam stockendem Atem.
Es sollte unbefangen klingen und riß ihr doch alles von den Lippen, was in ihr zagte und jubelte.
»Ja,« sprach der junge Gatte, mit einem raschen Schritt an Annemarie herantretend. »Und das Schönste an ihm ist, daß er ganz mir gehört.«
Und während er die Braut mit der einen Hand an sich zog, ließ die andere rasch die seidenen Sonnenblender nieder.
*
Es war in derselben Nacht, daß Annemarie plötzlich und wie angerufen aus einem wirren Traum emporfuhr. In ihren Ohren sang das Blut. Ihre Pulse pochten noch immer im hämmernden Takt der ersten Liebesstunde. Eine seltsame Beklemmung preßte ihr das Herz zusammen. Als wäre die weite Stube plötzlich enger geworden und hätte keine Luft mehr für ihren stockenden Atem.
Ihr erster Blick fiel auf den Gatten. Schien ihr doch, als hätte er eben ihren Namen genannt und sie wäre darüber erwacht. Doch er schlummerte tief und fest, auf den Lippen ein Lächeln, das sie heimlich erröten machte.
Rasch kippte sie das Licht wieder ab, sah mit großen Augen um sich – fremd und fast verwundert.
Draußen stand die blaue Mondnacht über den Wipfeln ... Wie eingewebt lag der Schatten des Fensterkreuzes in der blaßgelben Seide der Blender. Und wie Annemarie so aufhorchend dasaß, schien ihr, als käme ein leises Singen von draußen, weich, geheimnisvoll, unsäglich verlockend.
»Mondzauber!« dachte sie. Da war es fast eine Sünde, hinter geschlossenen Fenstern wachzuliegen.
Sie erhob sich, tappte mit den Fußspitzen nach den blauseidenen Pätschelchen in dem weißen Haidschnuckenfell, stahl sich sachte, ganz sachte vom Lager, immer weiter in die Stube hinein, dann in das nächste Zimmer, wo der Tisch noch gedeckt stand und die Blumen ihren betäubenden Atem in die schwüle Luft hauchten.
»Hier werd' ich öffnen!« dachte Annemarie. »Drinnen könnt' ihn das Mondlicht wecken ...«
Woher ihr mit einem Male die Sehnsucht kam, ganz allein zu sein, wie im weißen Frieden ihrer Mädchenkammer?
Sie gab sich keine Rechenschaft darüber, meinte wohl auch, daß sie das alles nur darum so verstohlen tue, um den Gatten nicht zu wecken. Und doch hatte sie ganz deutlich das Gefühl, es zittere auch in ihrer Seele etwas von dem geheimnisvollen Glanz der Gestirne da draußen und zöge sie ihnen nach in Fernen, die weit jenseits der Welt lagen, in der ihr Gatte lebte und träumte.
Mit vorsichtiger Hand öffnete sie die Fenster, zog die Blender auf, stieß die äußeren Flügel in das leis aufrauschende Gerank der wilden Reben zurück.
Da lag der Garten vor ihr wie ein Traum, und über ihm stand die Nacht – die Nacht, die ihr das Selbst genommen und nicht nur ihren Leib, sondern auch ihre Seele in eines Mannes Hand gegeben ...
Welch eine große, schicksalsvolle, geheimnistiefe Nacht das war!
Sie faltete die Hände wie zu einem Gebet. Ihr selbst unbewußt kam mit einem Male wieder etwas von der Frömmigkeit ihrer Kindes- und Mädchenjahre über sie – Die Feierlichkeit des Glaubens ihrer Kirche, dem die Ehe ein Sakrament ist. »Ein Geheimnis in Christo.«
Und war es nicht so? In der Umarmung, die aus der Jungfrau das Weib machte, lag zugleich das Geheimnis der Zeugung. Einen Teil seiner eigenen Schöpferkraft hatte Gott an die Kreaturen weitergegeben mit der Liebe und ihrer Lust. Und wer es so nahm, dem war sie heilig für immer. Der durfte nicht enttäuschen, noch jemals enttäuscht werden, sollte nicht alles in ihm zusammenbrechen, alles, alles, was den Leib vor Schmach bewahrt und die Seele vor Verzweiflung.
Wenn die Weltanschauung ihres Gatten auch eine ganz andere war – daran hatte er bis heute noch mit keinem Wort vor ihr zu rühren gewagt.
War ihm auch ihr Glaube nicht heilig – sie selbst war es ihm. Und so würde, so mußte es bleiben.
Und eine Regung flüchtiger Zärtlichkeit kam über sie, wie sie dastand, in den rieselnden Spitzen des spinnwebdünnen Nachtgewandes noch den Geruch des Nestes, in dem sie eines Mannes Weib geworden.
Der ganze Rausch, die tiefinnerste Seligkeit der kaum entwichenen Stunden schlug wieder in ihr empor ... Ja, sie war glücklich, unsäglich glücklich.
Auch das innige Gefühl der Geborgenheit kam nun zum erstenmal über sie – der fromme, tiefe Frieden des jungen Heims. Daß ihr war, als sang' er ihr selbst sein Lied, mit dem leisen Geraun der taunassen Zweige da draußen, dem rhythmischen Fall des Springquells, der so melodisch in die Stille hinein sprach, dem leise Gepieps der jungen Schwalben über dem First. Und die Nacht saß zwischen ihren Sternen und drehte an dem goldenen Faden ihres Glücks.
›Was man nicht alles zusammenträumt, wenn man in so eine blaue Mondnacht hinaussieht,‹ dachte Annemarie mit einem leisen Lächeln. Und hatte dabei das Gefühl, nun überhaupt nicht mehr einschlafen zu können. Auch eine Regung ehrlichen Hungers empfand sie plötzlich.
Sie entsann sich, daß die Früchte und der Kuchen und das kleine Backwerk noch auf dem Tisch stehen mußten, wie die vorsorgliche Mutter es angeordnet. Mit dem Schelmenlächeln eines Kindes trippelte sie zurück, fingerte in der silbernen Dämmerung der Stube zwischen den Früchten und Konfitüren herum – schlürfte mit heißen Lippen den Saft einer Nektarine und begann zuletzt wie ein Mäuschen darauflos zu knabbern.
»Wahrhaftig wie ein Mäuschen,« dachte sie, »das sich's wohl sein läßt in der tiefen Stille der Nacht und sich dabei ordentlich pfiffig vorkommt.«
Und sie kicherte leise auf und naschte selig weiter und ließ die Blicke dabei vergnügt durch den schönen Raum gleiten, der im blauen Zwielicht der Mondnacht noch einmal so vornehm und behaglich aussah: mit den tiefgrün ausspalierten Paneelen, dem samtenen Geleucht der Mahagonimöbel, den wenigen, aber kostbaren Bildern, die in schweren Goldrahmen von der Ledertapete herleuchteten ...
Doch plötzlich kam es wie ein leises Unbehagen über Annemarie ... Es ging von den zwei dunklen Augen eines Mannes aus, dessen Bild über dem niederen Büfett hing und gerade ins Mondlicht hineinsah und durch das Mondlicht zu Annemarie herüber. Große, weitgeöffnete Augen, denen ein herrisch-selbstbewußter Blick zu eigen war und zugleich eine versteckte Gier, die gleichsam lauernd hinter dem samtenen Dunkel der Pupille brannte. Zwei Mannesaugen, die einer Frau, die allein und halbentblößt dasaß wie Annemarie, wohl einen heimlichen Schauer in der Seele wecken konnten – in der Seele, die ein Mann soeben wachgeküßt ...
Ihres Vaters Bild!
Nun erst erkannte sie es und besann sich wie aus einem tiefen Traum heraus auf das, was hinter ihr lag: die unfrohe Kindheit zwischen den Eltern, die einander so ungleich waren ... all die langen, traurigen Jahre, da sie die Mutter immer still weinen gesehen – den Vater mit dröhnenden Schritten und übereinandergepreßten Lippen durch die verängstigten Stuben gehen, um zuletzt oft für ganze Tage zu verschwinden.
Wenn ihre Mutter auch bis heute geschwiegen, in der schönen Regung, eines toten Vaters Andenken für die Ehrfurcht der Kinder lebendig zu halten – Annemarie hatte sich doch manches gedacht und viel durchschaut. Daß auch ihre junge Weiblichkeit seltsam wissend geworden war an dem versteckten Zwist und scheu gehüteten Unglück dieser Ehe.
Der Vater, ja ... Wie er dort hersah, war er auch gewesen: der schöne, selbstbewußte, rücksichtslose Mann! Immer irgendeinem Genuß nach, der nur für ihn da war – der Fährte einer schönen Frau, mit der ganzen heimlichen Gier und Lust des Jägers.
Annemaries Mutter hatte Freundinnen gehabt, mit denen der Gatte sie jahrelang betrogen. Die im Hause aus- und eingegangen waren und ganz arglos getan hatten. Bis irgendein Zufall, ein anonymer Dienstbotenbrief, oder schadenfroher Klatsch die Untreue an den Tag brachte. Dann gab es Sturm und Tränen, niemals aber eine ehrliche Reue. Sowie die Lüge nicht mehr vorhielt, wurde der Vater brutal und zynisch.
Das harte Lachen der gierigen Augen, die so heischend aus dem Bild dort zu ihr herübersahen, es hatte auch in seiner Stimme gewohnt. Wie oft hatte Annemarie es gehört! Wie oft war es kalt und grausam selbst unter dem Geschluchze der Mutter laut geworden.
O ja, sie hatte wohl gewußt, warum sie diese Frage gestern an die Mutter gerichtet. In jungfräulicher Seele noch einmal vor einem Glück zurückbebend, das dem Weibe alles nahm, um zuletzt mit einer Erinnerung zu bezahlen die schlimmer war als ein heimlich fressendes Gift. Ihre Mutter war ja auch einmal eine junge, strahlende Braut gewesen! Und hatte ihr gestern doch keine andere Antwort gewußt als dieses arme, verlegene und verlogene Lächeln.
Aber nicht nur die Mutter, auch die meisten Frauen, die sie kannte, standen mit einem Male so vor ihr. Enthüllt und arm bis auf das entselbstete Schweigen ihrer Seele. Und manche hatten nicht einmal so lange dazu gebraucht wie Frau Krüger. Selbst unter Annemaries älteren Freundinnen gab es einige, die schon trüb und resigniert in enttäuschter Ehe dahinlebten. Sie wußte es. Hatte es ihnen mit dem Blick aus dem armen Antlitz abgelesen, der an dem Unglück der eigenen Mutter wissend geworden war.
Und die noch froh und leicht dahingingen, das Haupt noch stolz trugen ... Je nun, von denen waren eben wieder andere Geschichten zu erzählen, die Annemarie nicht weniger gut kannte.
Die eine hatte ihren Mann bloß seines Reichtums wegen genommen und hielt, wie man sich erzählte, nur darauf, daß der jährliche Aufwand für ihre Toiletten und ihren Schmuck immer doppelt so groß sein mußte wie der für ihres Mannes Mätressen. Alles andere übersah sie, lächelnd und gerne, denn er selbst war ihr ein Ekel ...
Eine andere hatte die erste Untreue sofort mit derselben Münze gelohnt und seitdem so viel Geschmack an der Sache gewonnen, daß Annemarie sich schon ernstlich gefragt hatte, ob es nicht am besten wäre, der lachenden Sünderin in Hinkunft für immer ihr Haus zu verschließen.
Sie war nicht schön. Eigentlich fast häßlich. Aber irgend etwas machte alle Männer in ihrer Nähe fahrig. War es ein geheimes Fluidum, das rein geschlechtlich hinüberwirkte, wie die Wellen eines elektrischen Stromes? Ihr Lachen, das satte Bronze ihrer Haut, die fast jünglinghaften Formen des marderschlanken Leibes? Eine Frau kam da nie auf das letzte. Aber Annemarie entsann sich, daß auch ihr Bräutigam immer seltsam geworden war in Melas Nähe.
So oder so kam es wohl für die meisten. Durfte man da wirklich für sich an ein wandelloses Glück glauben ... an diese Treue bis an das Grab, von der ihr Beichtvater gestern bei der Trauung so schön gesprochen?
Im Antlitz ihres Gatten war alles still geblieben bei dieser Rede. Nur einmal hatte er dem Priester leise zugelächelt – wie ein Weltmann dem anderen. Annemarie hatte es wohl bemerkt. Und der alte Priester war unter diesem Lächeln leise errötet.
Hatte sie sich getäuscht, oder gab es wirklich ein Wissen, das von Mann zu Mann ging, wie es heißt, und selbst vor dem Altar nicht haltmachte? Oder hatte sie selbst wieder mehr gesehen, als tatsächlich vorgegangen war?
Wie töricht, so dazusitzen, nach der höchsten Stunde, die das Schicksal dem Weibe vorbehalten, und sich die Seele wieder wund und weh zu sinnen. Aber – nun war es geschehen. Und ihres eigenen Vaters Blick hatte Annemarie so weit gebracht ...
Ein leises Frösteln lief über ihren Leib. Sie erhob sich, warf wie angeekelt eine Makrone von sich, die sie vor einigen Minuten aus dem silbernen Körbchen herausgelangt. Vielleicht waren es schon die nahenden Schauer des Morgens, die sie so seltsam erbeben machten, diese unheimliche Stille der letzten Stunden nach Mitternacht – vielleicht ...
Und da kam es plötzlich wieder durch dieselbe Stille zu ihr – ein leises, leises, gleichsam sprechendes Knistern. Derselbe Ton, mit dem sie das uralte Kruzifix in den weißen Nächten ihrer Mädchenjahre so oft zu sich gerufen.
Annemarie wußte, daß es diesmal nur eines der neuen Möbel sein konnte. Daß der Betschemel mit dem redenden Kreuz noch immer in ihrer leeren Stube daheim stand. Sie wußte es so gewiß, wie sie da saß, ein schönes, glückliches Weib in seinem jungen Heim.
Und doch kam plötzlich ein wildes Sehnen, ein banges, ratloses und irres Heimweh über ihre Seele – nach allem, was sie verloren und vergessen und hingegeben hatte in dieser einen, einzigen Nacht!
*
So fand sie der Gatte, der wohl auch erwacht war, wenn ihn nicht Annemaries leises Geschluchze aus seinem lächelnden Traum geweckt hatte.
Die Kerze in der Hand, stand er einen Augenblick vor ihr – erstaunt, verstört – bis ihn die halb aufgegessene Nektarine und das zerbröckelte Backwerk einigermaßen beruhigten.
»Ja sag' mir nur, Maus, was treibst du denn da? Essen und weinen?«
Es war in der Tat drollig, Annemarie fühlte es selbst. Und in ihr Weinen mischte sich ganz leise und wie von ferne her ein kindlich verlegenes Lachen. Aber ihre Tränen flossen weiter. Und nun sank auch ihr Haupt auf den Arm herab, den sie wie hilflos weit über den Tisch gestreckt hatte. Die gelösten Haare fielen auf das glühende Antlitz. Immer heftiger und lauter wurde ihr Geschluchze. Wilhelm stellte den silbernen Leuchter nieder und haschte wie scherzend nach der Linken, die schlaff und bebend herabhing.
»Nun sag' mir, wo ich dir helfen soll? Beim Essen oder beim Weinen?«
Sie schüttelte bloß das Haupt.
Er blickte nach dem Fenster, merkte, daß es weit offen stand, und sog mit geblähten Nüstern den irren Duft der Blumen ein, die draußen blühten. Dann sah er wieder in die Stube zurück und nach Annemarie. Mit Augen, die vom kaum gelöschten Brand der Sinne wieder aufzuglimmen begannen und heiß und trunken über ihre hilflose Gestalt hinirrten. Aber auch mit einer gewissen Verlegenheit. War es ihm doch noch neu – das jungfräuliche Weib, dem die Liebe ein Schreck ist und eine Qual.
Wieder griff er nach ihrer Hand, strich kosend unter den Spitzen des Nachtgewandes über ihren schwellenden Arm hin. Ihre Pulse flogen unter dem tastenden Druck seiner Finger – der ganze Leib war eine einzige Erschütterung. Er fühlte es.
Und da kam es aufs neue über ihn:
Jetzt sie in die Arme nehmen, gerade jetzt!
Und weil er ein Mann war und das Weib zu kennen glaubte, seufzte er auf.
»Hab' ich dich so unglücklich gemacht?«
Seine Stimme bebte. Der samtene Ton darin, der ihre Sinne zuerst gefangengenommen hatte, warb auch diesmal nicht umsonst.
Sie fuhr fast erschrocken empor, starrte ihn an.
»Aber, Wilhelm!«
»Erlaub mir ... Die erste Nacht! Und du schleichst dich weg von mir, um heimlich zu weinen!«
Und nun starrte er wirklich trostlos in das Licht hinein.
»Nein, nein,« stammelte sie befangen und verwirrt. »Erst – erst wollt' ich nur das Fenster öffnen, um etwas frische Luft zu bekommen, die Rosen rochen so stark ...«
»Die Rosen, so?« Er sah sie an und lächelte.
Annemarie errötete. Sein Lächeln hatte immer mehr verraten als sein Wort und sein Blick. Es war die eigentliche Seele seines Antlitzes. War selbst im Schlummer nicht von seinen Lippen gewichen in dieser Nacht. Sie wußte, warum sie es fürchtete, davor errötete – gleichsam in ihr Innerstes zurückflüchtete, soweit es noch ihr eigen war.
Aber das Lächeln wich nicht aus seinen Zügen. Vielleicht kannte er schon seine Gewalt. So brach sie langsam darunter zusammen, wie ein Vöglein.
»Und dann –?« fragte er weich.
Sie wies wie beschämt nach dem Obst und dem Backwerk.
»Dann überkam mich der Hunger.«
»Versteh' ich!« nickte er, immer mit dem gleichen Lächeln.
Annemarie fühlte, wie es wieder in ihren Wangen emporlohte. Gab es denn keinen Schleier mehr für ihre Seele?
Sie schlug den Blick in den Schoß.
»Das alles war aber doch um Gottes willen noch kein Grund, um zu weinen?« sprach er sichtlich gekränkt. »Womit ich auf meine erste Frage zurückkomme.«
Sie starrte ihn fast erschrocken an.
»Auf welche?«
»Nun ... Ob ich dich so unglücklich gemacht habe? Und ich glaube, daß ich als Mann von Kultur und Zartgefühl ein Recht habe, das zu fragen!«
Was sollte sie antworten, wenn sie ihr Geheimnis nicht preisgeben wollte? Das letzte, scheu gehütete, keusche Geheimnis ihrer Seele! ... Zu einem Kreuze führte es zurück – nur zu einem Kreuz und zu dem heiligen Meister der Menschenseele, der daran hing.
Er würde es gar nicht verstehen, dieses Geheimnis, es vielleicht wieder belächeln, im Innersten seines Herzens ihr vielleicht nicht einmal glauben – so ganz anders geartet, wie er war!
Und doch fühlte Annemarie, daß ihr nichts übrig blieb als dieser Verrat an ihrem Letzten. Wenn nichts mehr zwischen ihr und dem Gatten sein sollte – auch nicht die leiseste Sehnsucht, der die Gewalt gegeben war, ihre Seele fortzuführen aus seinem Heim.
Vielleicht sah er besser, was in ihr vorging, als sie selbst merkte. Denn plötzlich stand er auf, zog sie schmeichelnd erst an sich, dann langsam aber stark auf seinen Schoß nieder, bog ihr Haupt zurück, bettelte sich mit einem Kuß an ihr Ohr:
»Sag' mir, was es ist?«
Und mit stammelnden Lippen, mit geschlossenen Augen, mit einem Schauer, der ihren ganzen Leib durchrieselte, gab sie ihm das letzte preis, was sie noch verborgen hatte vor ihm.
Dann sah sie ihn an mit einem großen, gleichsam wartenden Kinderblick.
Aber er sah nicht den Blick, der um Verständnis, um Güte, um Schonung flehte in dieser Stunde.
Wie trunken saugte er sich an ihren zuckenden Lippen fest, – riß sie mit sich empor und mit den starken Armen in den schwülen Frieden der Stube zurück, in der sie sein war mit Leib und Seele ...
*
Wie in einem Meer von Blumen gingen nun die Tage für Annemarie unter. Sie selbst verkroch sich immer tiefer, immer wohliger, immer gedankenloser in der duftenden Stille des jungen Nestes.
Wie ein schnäbelndes Taubenpaar irrten sie den halben Tag in dem alten, verträumten Garten herum. Der junge Gatte hatte sich für ein ganzes Halbjahr einen Urlaub erwirkt. Erst im Herbst, wenn der Süden noch einmal so warm und goldig schien, wollten sie ihre Hochzeitsreise antreten. Bis dahin blühte der dämmrige Garten über ihr Glück hinweg, sangen die Vögel der Heimat in ihr Geplauder, lachten sie von Tag zu Tag herzlicher über die Studien, die sie für die Fahrt in das gelobte Land der Kunst betrieben, ohne jemals vom Fleck zu kommen.
Und bald schien es Annemarie, als könne es auch dort nicht schöner sein.
Ein tiefer Sommerfriede spann sich um das einsame Haus am Ende des ländlichen Vorortes. Ein Friede, der wie verzaubert war. Als hielten die uralten Linden- und Ulmenwipfel schon von ferne alles ab, was an das laute Leben der Stadt da weit draußen erinnerte. Nicht einmal der Schein ihres abendlichen Lichterkranzes leuchtete vom Horizont herüber. So dicht und schwer hing überall das Grün an Fenster und Türen. Nur das Gepolter der Bauernwagen, die früh zu Markte fuhren, hörte man. Die Ausflügler fanden sich selten herüber. Abseits und still, wie es seit fast zwei Jahrhunderten hier gestanden, schien das alte Haus noch immer von dem süßen Dämmer der Tage zu träumen, zwischen denen das Leben so schlicht, so treuherzig und innig seinen Weg gegangen war. Wie ein frommes Bürgerkind mit leise lächelnden Lippen, verwunderten Blauaugen und zierlich trippelnden Kreuzbandschuhen ...
Annemaries Hausrat war prächtig und gediegen, und das feine Verständnis Wilhelms hatte dafür gesorgt, daß er sich so weit als möglich dem wohnlichen Behagen der alten Räume anpasse. Er hatte den Besitz in Bausch und Bogen erstanden und manches alte, wertvolle Stück miterworben. Zierliche Büsten und Figürchen und Bilder, die nun mit großen, verwunderten Augen in die neue Welt hineinsahen und mit einem seltsam wissenden Lächeln, das oft einen leisen Schauer in Annemaries Seele weckte.
»Was die wohl alles geseh'n haben mögen!« sagte sie einmal bei Tisch. »Und was sie erzählen würden, wenn sie reden könnten.«
»Immer wieder dasselbe,« hatte Wilhelm mit seiner kühlen Forscherruhe geantwortet. »Was alles sich auch um uns ändert – das Leben der einzelnen geht immer den gleichen Weg. Nur die Art, wie wir es genießen oder erdulden, ist verschieden, die Etappen sind dieselben.«
»Glaubst du?« fragte Annemarie mit erschrockenen Augen. Und mit einem scheuen Blick nach dem Bild ihres Vaters fügte sie hinzu. »Das zu denken wäre mir entsetzlich!«
Der junge Gatte war gerade daran, ein Hühnchen zu zerlegen. Er hatte nicht aufgeblickt. So war ihm Annemaries Ausdruck entgangen. Und wie um eine flüchtige Beunruhigung zu verscheuchen, sprach er lächelnd: »Aber das hat noch keinen angefochten. Weil jeder für sich das Leben aufs neue zu entdecken glaubt. Und sich die Gewißheit seiner Wandelbarkeit so wenig zu Herzen nimmt wie den Gedanken an den Tod. Es sind einfach Tatsachen, die gerade dadurch, daß sie als Gewißheit im menschlichen Bewußtsein verankert sind, merkwürdig viel von ihrem Schreck verlieren.«
»Aber wir, Wilhelm, wir!« hatte Annemarie plötzlich aufgeschrien. Und dann waren ihr die Tränen über die Wangen gestürzt, große, dicke Tränen, wie sie verängstigte Kinder weinen, wenn es plötzlich dunkel und still wird um sie.
Damals hatte er sie auf den Schoß gezogen und unter tröstenden Küssen an ihren Ohren vorbeigelacht:
»Behüte! Wir werden natürlich immer dieselben bleiben! Gleich jung, gleich vergnügt und verliebt und natürlich unsterblich.«
Und dann waren sie wieder die alten Kinder, die in dem blühenden Garten Haschen spielten und sich müde tollten oder Gott und die Welt und sich selbst vergaßen in der Glut einer einzigen Umarmung.
Bijutti, das weiße Zwerghündchen, lag immer irgendwo in der Nähe und sah mit den großen Kugelaugen besorgt und vorwurfsvoll auf die schöne Herrin, die nur noch gute Bissen hatte für ihren Hund und keine zuckernen Worte mehr dazu, wie einst.
Frau Krüger vermied es noch immer, das junge Glück ihrer Tochter zu stören. Auch keine Freundin ließ sich sehen. Zuweilen schien es Annemarie, als ob etwas im Tiefsten ihrer Seele doch nach dem jüngsten Bruder verlange. Wenigstens für eine Stunde; um ihn zum Zeugen ihres Glückes zu machen. Aber er kam nicht, und Wilhelm liebte es nicht, wenn Annemarie von ihm zu reden begann.
So glitten die Tage weiter und kaum merklich in den Herbst hinein. Aber es war ein Herbst, der die ganze Schwüle des Sommers behielt und nur mit den ihm eigenen Blumen und den etwas kürzeren Tagen an seine Herrschaft erinnerte.
Doppelt süß war es nun, im Dämmer der frühen Abende so eng aneinandergeschmiegt im Grünen zu sitzen. Aber sich das leise Rauschen der Wipfel, kein anderer Ton in der tiefen Stille sonst, als das Plätschern der kleinen Fontäne, und da und dort der dumpfe Fall einer reifen Frucht auf den Rasen.
Einmal war Annemarie bei solchem Ton erschrocken aus der heißen Umarmung des Gatten aufgefahren und hatte wie erschauernd gesagt: »Möchte man glauben, daß auch dieser Apfel einmal eine der zarten, rosigen Blüten war, die im Frühling wie Schnee niedergleiten, leis, gewichtlos, unhörbar?«
Wilhelms brennende Wange lag im Ausschnitt ihrer Bluse. Er schwieg und wühlte sein Haupt noch tiefer in ihre Brust. Sie fühlte mit einem leisen Frösteln, daß nun und nun wieder der Augenblick kommen mußte, daß er sich erheben und sie in das dunkle, weiche Nest heimziehen würde, in dem ihr Glück wohnte.
Und da war es, daß Annemarie zum erstenmal von dem Kinde zu sprechen begann. Leis, fromm, wie angeweht von der schauernden Ehrfurcht vor der Gewalt, die Gott der Liebe gegeben.
»Und wenn wir eines Tages nicht mehr allein erwachen, Wilhelm?«
Er hatte das Haupt erhoben, sie mit trunkenen Blicken in sich gesogen, dabei mühsam aufgehorcht, als müsse er sich erst besinnen, was sie da sprach.
Dann hatte er fast angewidert das Haupt geschüttelt.
»Ich will so lang wie möglich die Geliebte haben. Wie du da bist – jetzt ... immer!«