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Rache für Tweedys Verrat!

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Die ganze zwölfte Klasse war dafür, Rache an Dr. Herbert Jung zu nehmen. Alle Schülerinnen fühlten sich von ihm an der Nase herumgeführt, auch diejenigen, denen er niemals besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Auch sie hatte er durch sein bloßes Auftreten, seine anziehende männliche Erscheinung, seine klugen grauen Augen und die sympathischen Lachfältchen zu Träumen verfuhrt, in die sie sich nicht hineingesteigert haben würden, wenn sie von vornherein gewußt hätten, daß er schon in festen Händen war.

Margot, Hannelore und Helga schien es zwar kindisch, den Ärger über ihre Enttäuschung durch einen Streich abzureagieren, aber keine von ihnen wollte sich gegen die Allgemeinheit stellen. Helga, die wohl am tiefsten getroffen war, fühlte sich immer noch ganz verwirrt und erledigt und sehnte sich danach, endlich mit ihren Gedanken allein zu sein. Sie hätte im Augenblick beim besten Willen nicht die Kraft aufgebracht, sich für den geliebten Lehrer einzusetzen.

So kam es, daß Yvonnes Vorschlag einstimmig angenommen wurde. Nur über die Art des Denkzettels, den man Dr. Herbert Jung verpassen wollte, konnte man sich nicht so rasch einigen, und die Sitzung wurde vorerst durch den Gong, der zum Mittagessen rief, unterbrochen.

Aber ohne daß eine bestimmte Verabredung getroffen worden war, fanden sich alle in der Freizeit wieder zusammen, und zwar unter der großen Ulme im Park. Der dicke Stamm des alten Baumes war von einer runden hölzernen Bank umgeben, bei der sie sich schon in den ersten Jahren ihrer Internatszeit zu treffen pflegten, als das Heimweh sie noch geplagt hatte und sie Pläne schmiedeten, wie sie am besten ausreißen könnten. Die Vorliebe für diesen Platz war ihnen seitdem geblieben.

Heute stand die Ulme entlaubt, die Bank war feucht, und der Wind pfiff um den Stamm, so daß die Mädchen sich unwillkürlich zusammenduckten, denn sie froren in ihren Jacken und Anoraks.

Yvonne sah von einer zur anderen. ”Puh, wie seht ihr aus! Nun macht gefälligst mal andere Gesichter.”

”Wir sind alt geworden, Yvonne”, erklärte Helga, und sie empfand es wirklich so; sie fühlte sich wie eine uralte, vom Leben enttäuschte Frau.

”Wahnsinn!” rief Babsy. ”Nun zieht bloß kein Drama ab. Es ist bloß lausig kalt hier, das ist alles.”

”Dann laßt uns doch ins Gewächshaus flüchten”, schlug Kicki vor.

Damit waren alle einverstanden, und sie trabten mit eingezogenen Köpfen, hochgeschlagenen Jackenkragen und. Kapuzen, die Hände tief in die Taschen gebohrt, zur Gärtnerei.

Das Treibhaus war so niedrig, daß die größeren der Mädchen nur gebückt stehen konnten. Dafür aber war es hier drinnen mollig warm, und es roch angenehm nach schwarzer feuchter Erde und nach blühenden Blumen. Sie schoben sich ein paar leere Kisten zurecht und hockten sich in den engen Gang.

Wieder war es Yvonne, die als erste das Wort ergriff. ”Meine Damen”, rief sie, ”wir sind uns, wie wir heute früh durch Abstimmung festgestellt haben, alle darin einig, daß Dr. Herbert Jung, genannt Tweedy, schändlich und verräterisch an uns gehandelt hat und deshalb Strafe verdient hat. Die Frage ist jetzt nur noch: Was wollen wir ihm antun?”

”Vielleicht”, sagte Kicki und hob eifrig ihren schlanken gelben Finger, als säße sie in der Klasse, ”vielleicht könnten wir ihm die Ärmel und Hosenbeine seines Schlafanzuges zusammennähen oder … oder ihm einen nassen Schwamm ins Bett legen!” Sie war ganz erstaunt, als die anderen sie auslachten.

”Was gefällt euch denn daran nicht?” fragte sie. ”Das wäre doch eine gute Idee!”

”Nein, Kicki”, sagte Yvonne energisch, ”das wäre einfach kindisch.”

”Wir wollen ihn ja demütigen”, erklärte Babsy. ”Und mit so einem dummen Streich würden wir höchstens erreichen, daß er uns für alberne Gänse hält.”

”Das hat er wahrscheinlich von Anfang an getan”, sagte Helga bitter.

”Dich vielleicht!” platzte Yvonne heraus. ”Aber mich bestimmt nicht!”

”Nein, dich nicht!” bestätigte Babsy mit gespielter Bewunderung. ”Für dich hat er sich ehrlich interessiert, schöne Yvonne, in dich war er sogar wie verrückt verliebt… deshalb hat er sich dann ja auch mit Trudchen verlobt.”

Alle lachten. Yvonne bekam einen roten Kopf.

”Kinder, Kinder, seid friedlich”, mahnte Ellen, ”wenn wir uns jetzt untereinander streiten, können wir unseren Racheplan gleich aufgeben.”

”Ellen hat recht”, stimmte Margot zu, ”überlegt euch, was ihr wollt: euch gegenseitig bekriegen oder gemeinsam auf Tweedy losgehen. Nur Einigkeit macht stark.”

”Na schön”, sagte Yvonne. ”Ich nehme hiermit feierlich zurück, was ich gesagt habe, und behaupte das Gegenteil: Tweedy hat es mit mir genauso wenig ernst gemeint wie mit jeder anderen.” Sie warf einen Seitenblick auf Helga. ”Jetzt zufrieden?”

Helga war mehr als zufrieden. Sie gestand sich, daß sie selber kaum in der Lage gewesen wäre, ihre Niederlage so rückhaltslos zuzugeben. Aber ehe sie noch etwas sagen konnte, kam Babsy ihr zuvor.

”Na klar!” rief sie. ”So genau nehmen wir es ja gar nicht. Aber wenn ich jetzt mal einen Vorschlag machen darf: Wie wäre es, wenn wir seinem Pferd Pfeffer unter den Schwanz streuen würden, so daß es mit ihm durchgeht? Ich meine natürlich, wenn er darauf sitzt.”

”Wie willst du denn das bewerkstelligen?” fragte Yvonne.

”So weit habe ich noch gar nicht gedacht”, mußte Babsy zugeben.

”Das mit dem Pferd ist jedenfalls gar nicht schlecht”, erklärte Uschi. ”Man müßte es irgendwie erschrecken, so daß es in die Luft geht und er es kaum noch bändigen kann.”

”Wäre das nicht zu gefährlich?” warf Helga ein. ”Wenn er sich nun das Genick bricht?”

”Quatsch”, sagte Yvonne. ”Denk mal nach: Wie oft bist du schon vom Pferd gefallen und hast dir niemals was gebrochen!”

”Ist mein Vorschlag also angenommen?” fragte Babsy hoffnungsvoll.

”Nein, abgelehnt”, erklärte Ellen, ”wegen völliger Undurchführbarkeit. Tweedy ist nie allein in der Reitbahn sondern immer mit Herrn Künzel, dem Reitlehrer, Trudchen, dem Direx und meist noch Doktor Meyr, unserem Physikus, zusammen. Wenn wir also einen Knallfrosch losließen oder so etwas, würden alle Pferde scheuen, nicht nur das arme Viech, auf dem er sitzt. Wenn wir dem Pferd Pfeffer in den Potsch streuten, würde es unruhig, noch bevor er aufsteigt. Und da er sich, wie wir wissen, sein Pferd immer selber sattelt und aufzäumt, ist es ausgeschlossen, irgend etwas Stechendes unter den Sattel zu praktizieren. Auch wenn es ginge, wäre ich dagegen, denn was kann der gute ’Sultan’ dafür, daß wir’ne Wut auf den Tweedy haben?”

Es wurden noch verschiedene Vorschläge gemacht. Einige waren sehr harmlos und nichts anderes als ganz gewöhnliche Schulstreiche: Tinte auf dem Lehrerstuhl ausschütten oder den Sitz mit Uhu bestreichen, Heftzwecken ausstreuen, einen Wecker aufziehen und im Klassenschrank verstecken und was dergleichen Witze mehr sind. Andere aber wurden schon gefährlicher: Die Luft aus den Reifen seines Autos lassen, die Bremsleitung beschädigen, ihm Steine durch die Scheiben ins Zimmer werfen. Aber die Mädchen konnten sich auf nichts einigen.

”Ich glaube, ich glaube”, sagte Yvonne endlich und strich sich nachdenklich mit dem Finger über den Rücken ihres hübschen Näschens, ”Babsy war vorhin doch auf dem richtigen Wege. Es müßte ihm etwas beim Sport passieren, das wäre das beste. Nur eben mit Pferden geht es nicht.”

”Dann eben beim Schwimmen!” rief Babsy.

”Das ist das Ei des Columbus!” Uschi hopste so aufgeregt hoch, daß sie fast mit ihrem Kopf die Scheibe des Treibhauses durchstoßen hätte. ”Tweedy schwimmt manchmal abends mutterseelenallein einige Runden, ich habe das schon ein paarmal zufällig beobachtet …”

”Wirklich zufällig?” fragte Yvonne sofort. ”Oder wolltest du dich nicht vielmehr an seinem behaarten Männerkörper erfreuen?”

“Keine persönlichen Spitzen, Yvonne”, mahnte Kicki. Babsy meinte arglos: ”Aber er ist doch gar nicht behaart!”

Alle lachten.

“Schwimmbad ist gut”, sagte Ellen, “soviel steht fest. Aber was können wir im Bad mit ihm anstellen? Ihn runterschubsen, wenn er auf das Sprungbrett tritt?”

”Nein, nein, zu kompliziert”, sagte Yvonne. ”Ich weiß etwas viel Einfacheres. Wir müssen ihm auflauern. Wenn er mal wieder einsam seine Runden zieht, stürzen wir uns alle gleichzeitig auf ihn und tunken ihn unter.”

”Aber nicht zu lange”, mahnte Helga.

”Natürlich nicht, du Dummchen”, sagte Yvonne, ”wir wollen ihn ja nicht umbringen. Er soll es nur mit der Angst zu tun bekommen und merken, daß er mit uns nicht so umspringen kann.”

“Ausgezeichnet”, stimmte Ellen zu, ”laßt uns darüber abstimmen!”

”Moment mal”, wandte Helga ein, ”ich weiß nicht, ob das wirklich ganz das Richtige ist! Wäre es nicht besser, wir würden einfach in eine Art … Sprechstreik ihm gegenüber treten? Uns in seinen Stunden überhaupt nicht mehr melden? Und wenn er uns aufruft, ihn bloß angucken und schweigen?”

Diese Idee fanden alle großartig.

”Das ist goldrichtig, Helga”, rief Yvonne, ”aber allein ist es nicht wirkungsvoll genug. Ich schlage vor, daß wir beide Methoden koppeln. Wir treten bei Tweedy in den Sprechstreik und tunken ihn bei nächster Gelegenheit unter.” Sie blickte Helga aus funkelnden Augen an. ”Oder hast du etwa Mitleid mit ihm? Willst du ihn schonen?”

”Nein”, behauptete Helga. Sie verstand selbst nicht, warum sie, trotz allem, was geschehen war, Tweedy immer noch schützen wollte.

”Dein Glück”, erklärte Yvonne. ”Also nun … wie steht es? Können wir jetzt zur Abstimmung schreiten?”

Alle Mädchen waren für die beiden zur Debatte stehenden Rachefeldzüge.

”Also abgemacht!” rief Yvonne triumphierend. ”Tweedy soll sich noch wundern. Die Sitzung ist hiermit geschlossen, das heißt, ihr könnt natürlich hocken bleiben, solange ihr wollt. Ich habe noch etwas zu erledigen.”

Helga hatte das bestimmte Gefühl, daß Yvonne im Begriff stand, eine große Dummheit zu machen. Wäre sie noch so befreundet mit ihr gewesen wie früher, ehe die Rivalität um die Gunst des Lehrers sie auseinandergebracht hatte, wäre sie ihr sicher nachgelaufen. Sie hätte sie mit Fragen bestürmt und sie gegebenenfalls gewarnt. So aber unterließ sie es. Sie fühlte sich nicht mehr für die ehemalige Freundin verantwortlich.

Yvonne aber rannte durch den Park zum Schloß zurück und lief die breite steinerne Treppe hinauf durch den Wohnraum und in ihr Zimmer. Rücklings auf dem Bett liegend verfaßte sie einen langen Brief an ihren Vetter Hans.

Hans Mayr war ein gutaussehender junger Mann, der – und das war das Wichtigste für Yvonne – sie seit Jahren heiß verehrte. Zwar war er nicht gerade eine geistige Leuchte: Obwohl er schon zwanzig Jahre alt war, sah es nicht so aus, als ob er in absehbarer Zeit das Abitur schaffen würde. Aber seine Eltern waren reich, so daß seine Schulleistungen keine große Rolle spielten. Später würde er doch die väterliche Firma übernehmen und, falls er nicht ausgesprochenes Pech hatte, bis ans Ende seiner Tage gesichert sein.

Aber daran dachte Yvonne jetzt gar nicht, sondern nur daran, daß er immerhin in greifbarer Nähe, nämlich im Schullandheim Marquartstein war. Er würde auf einen Wink von ihr zu jeder Dummheit bereit sein. Außerdem fuhr er ein schickes, knallrotes Sportauto, so daß man ihn wirklich nicht als einen gewöhnlichen Schuljungen einstufen konnte.

Bei jedem zärtlichen Wort, das sie zu Papier brachte, mußte sie vor sich hinlächeln. Sie stellte sich vor, was Hans für ein Gesicht machen würde, wenn er diesen Erguß las. Er war nicht an Liebeserklärungen von ihr gewöhnt.

Gleichzeitig aber hatte Yvonne auch das Gefühl – obwohl sie mit dem Verstand wußte, daß sie sich nur selber etwas vormachte –, Tweedy dadurch zu kränken und zu verletzen. Und so bereitete ihr dieses Schreiben, das ihr bestimmt nicht aus dem Herzen kam, dennoch in doppelter Hinsicht Genugtuung.

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