Читать книгу Tödliche Hände - Marie Louise Fischer - Страница 4
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ОглавлениеStaatsanwalt Gert Lamprecht starrte angestrengt aus dem Fenster seines Autos auf die Landstraße. Der Nebel war fast undurchdringlich, und Lamprecht wagte nicht schneller als im Schrittempo zu fahren. Er verfluchte das ganze Abenteuer von Herzen.
Als ihm die anonyme Anzeige gegen Maria Sebaldt, die Herrin auf der halbverfallenen Burg Eberstein, vor einigen Tagen auf den Schreibtisch geflattert war, hatte er die Angelegenheit für interessant gehalten. Maria Sebaldt war eine extravagante Persönlichkeit, von der man sagte, daß sie übersinnliche Fähigkeiten besitze. Sie pflegte von sich selber zu behaupten, daß sie Geister beschwören könne.
Staatsanwalt Gert Lamprecht haßte solchen Hokuspokus und war begeistert gewesen von der Aussicht, eine Betrügerin, die ihren Profit aus der Dummheit der Menschen zu schlagen pflegte, überführen zu können.
Um seinem Besuch einen nicht gar so offiziellen Anstrich zu geben, hatte er sich entschlossen, Lisa, seine Frau, und deren 22jährige Schwester Monika Müller mitzunehmen.
Die beiden Frauen hatten in der Erwartung eines interessanten Abends geschwelgt, aber das unwirtliche Wetter hatte sich dann auch auf ihre Stimmung gelegt; seit einer halben Stunde sprachen sie kaum noch etwas.
Jetzt, plötzlich, lichtete sich der Nebel, die Sicht wurde besser. Im ungewissen Licht des abnehmenden Mondes zeichnete sich kaum hundert Meter vor ihnen eine düstere Silhouette ab: ein runder romanischer Turm, Giebel, Erker, Fensterbögen.
»Burg Eberstein«, brummte Staatsanwalt Gert Lamprecht. »Wir sind am Ziel.«
Sekunden später rollten sie über eine Zugbrücke, die unter der Last des Wagens ächzte und polterte.
Dann hielten sie auf dem Kopfsteinpflaster des Burghofes.
Heulend riß eine riesengroße Dogge an der Kette. Ein Tor öffnete sich, eine breite Bahn hellgelben Lichts ergoß sich über den Hof, eine schwarze Gestalt tauchte auf.
Sie kam auf den Wagen zu. Ein altes, runzeliges Gesicht, umrahmt von einem Franz-Joseph-Backenbart, wurde sichtbar.
»Wollen Sie nicht aussteigen?« fragte der Mann.
»Bitte, können Sie nicht erst den Hund einsperren?« antwortete ängstlich Lisa, die Frau des Staatsanwalts, die das Wagenfenster heruntergekurbelt hatte.
Der alte Mann wandte sich mit einigen besänftigenden Worten an das Tier, das sich daraufhin knurrend in seine Hütte zurückzog.
Mit steifen Beinen stiegen sie aus.
»Danke«, sagte Lisa, »vielen Dank, Herr…«
»Anton, der Diener.« Der alte Mann verbeugte sich. Als er sich wieder aufrichtete, schien leichter Spott in seinen wäßrigen blauen Augen zu liegen.
Sie gingen auf die breite steinerne Freitreppe zu, als ein schwerer amerikanischer Wagen in den Burghof fuhr. Ein dicker, großer Mann stieg schnaufend aus, fragte auf deutsch, aber mit unverkennbarem amerikanischen Akzent:
»Bin ich hier richtig auf Burg Eberstein?«
Sie hörten auch noch, wie der Diener die Frage bejahte und dann hinzufüete: »Habe ich die Ehre mit Mr. George Pearson?«
Dann nahm etwas anderes ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Ein Mann kam mit schlenkernden Armbewegungen eilig die Freitreppe herab, trat auf sie zu und sagte mit altmodischer Förmlichkeit: »Ich heiße Sie auf Burg Eberstein willkommen.«
Der Mann hatte tiefliegende Augen und einen auffallend schmallippigen Mund.
Staatsanwalt Lamprecht verbeugte sich knapp. »Dr. Zacharias, wenn ich mich nicht irre …«
»Sehr richtig.« Der Mund des Mannes verzog sich zu einem breiten Lächeln; gelbe, leicht auseinanderstehende Zähne wurden sichtbar. »Arzt und Pathologe.« »Staatsanwalt Lamprecht.«
Das Gesicht des Arztes wurde plötzlich besorgt. »Es ist auf Burg Eberstein nicht üblich, sich vorzustellen, Herr Staatsanwalt«, sagte er, »um Peinlichkeiten zu vermeiden, und außerdem … Sie werden verstehen, die Anwesenheit eines Staatsanwalts könnte beunruhigend auf unsere anderen Gäste wirken.«
Der Staatsanwalt hob ironisch seine farblosen Augenbrauen. »Ich verstehe durchaus, Herr Doktor. Aber immerhin wird es Sie vielleicht interessieren, daß dies hier meine Frau und diese junge Dame meine Schwägerin ist.«
Dr. Zacharias musterte Monika unverhohlen. Die Pupillen seiner dunkelgrauen Augen waren klein wie Stecknadelköpfe. »Wir hatten Sie nicht erwartet«, sagte er zu Monika, »aber … ja nun … Sie sind uns natürlich willkommen.«
Monika hätte es dabei bewenden lassen können, aber sie wollte ihre Anwesenheit möglichst plausibel machen. »Ich bin Studentin der Psychologie. Meine Doktorarbeit beschäftigt sich mit den Grenzfällen der Psychologie. Deshalb bin ich …«
»Aber selbstverständlich«, unterbrach Dr. Zacharias sie, »wir haben es bisher immer so gehalten, daß jeder das Medium Maria Sebaldt konsultieren durfte, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.«
»Ich will sie keineswegs konsultieren, ich will nur …«, erklärte Monika, aber nun unterbrach ihr Schwager sie: »Schon gut.«
Zu Dr. Zacharias gewandt, fügte er mit ruhiger Stimme hinzu: »Pflegt Maria Sebaldt Honorare für ihre Bemühungen zu verlangen?«
»Niemals! Auch dann nicht, wenn sie ihr freiwillig angeboten werden. Herr Staatsanwalt, ich habe immer streng darüber gewacht, daß ihre spiritistischen Sitzungen in rein wissenschaftlichem Rahmen stattfinden. Wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen gerne Einblick in die Gutachten von namhaften Wissenschaftlern geben, die Maria Sebaldts außergewöhnliche Begabung bestätigt haben.«
»Danke, ich möchte mir lieber selbst ein Bild machen«, erwiderte der Staatsanwalt.
»Ich beglückwünsche Sie zu dieser Einstellung, Herr Staatsanwalt«, sagte Dr. Zacharias mit einer Begeisterung, die reichlich übertrieben schien. »Ich bin ganz sicher, wenn Sie das Wirken des Mediums mit eigenen Augen beobachtet haben, werden Sie zugeben, daß dabei von Betrug keine Rede sein kann.«
Sie waren ins Treppenhaus getreten. An einigen Haken an der Wand hingen Mäntel, die sich im scharfen Luftzug bauschten.
»Bitte, legen Sie ab«, sagte Dr. Zacharias und half Lisa, der Frau des Staatsanwalts, aus dem Mantel.
Monika zögerte, den Mantel auszuziehen, denn im Treppenhaus herrschte die modrige Kühle einer Gruft. Aber sie gab ihren Widerstand auf, als ihr Schwager ihr den Mantel abnahm und ihn ans Ende der Kleiderablage hängte.
»Sie müssen mir glauben«, wandte sich Dr. Zacharias wieder an den Staatsanwalt, »niemand bedauert den Entschluß Maria Sebaldts mehr als ich …«
»Sie plant also tatsächlich, regelrechte Tourneen zu veranstalten?«
»Ja, leider. Vielleicht ist jener Mann daran schuld, der in ihr Leben getreten ist. Jedenfalls … die heutige Sitzung ist die letzte, die auf Eberstein stattfindet. Maria hat einen Käufer für die Burg und den Grundbesitz gefunden. Und morgen vormittag – aber ich bitte, diese Tatsache diskret zu behandeln – heiratet sie.«
»Was? Maria Sebaldt heiratet?« Monika schrie es fast und wurde rot, als alle sie erstaunt anblickten. »Wen heiratet sie?«
»Einen gewissen Kasimir Kratky«, antwortete Dr. Zacharias.
Monika atmete auf. Sie hatte schon befürchtet, der Bräutigam könnte … Martin Sommer heißen.
Martin Sommer war der Mann, den sie liebte. Aber es war schmerzlich, zu wissen, daß er ihr soviel mehr bedeutete als sie ihm. Zwischen ihnen stand ein Schatten, die Persönlichkeit einer anderen Frau. Einer Frau, von der Martin Sommer mit unwiderstehlicher Gewalt angezogen wurde – Maria Sebaldt.
»Sie mögen Herrn Kratky nicht?« fragte Monika den Arzt.
»Es liegt mir fern, ein Urteil über den Menschen abzugeben, den Maria Sebaldt liebt«, erklärte Dr. Zacharias voller Würde.
Er öffnete eine Tür, und sie traten vom Treppenhaus in die Halle.
Was zuerst auffiel, war das rotlodernde Feuer in einem mächtigen, altertümlichen Kamin. Dann erst bemerkten sie die kleine Gesellschaft, die stumm in hochlehnigen, holzgeschnitzten Sesseln vor dem Kamin saß. Obwohl jeder die Schritte der neuen Gäste gehört haben mußte, drehte sich niemand um.
Der Staatsanwalt ging geradewegs auf den Kamin zu und setzte sich zu den anderen.
Seine Frau folgte, ohne zu zögern, wie immer seinem Beispiel.
Nur Monika stand noch unter der Tür, sah sich in dem riesigen Raum um. Die Wände waren bis zur halben Höhe getäfelt. Von der Mitte des romantischen Gewölbes hing ein vielarmiger geschmiedeter Leuchter herab, an dem jedoch nur wenige Glühbirnen brannten, die spärliches Licht verbreiteten. Düstere Schatten lauerten in allen Ecken und Winkeln. Ritterrüstungen mit herabgelassenen Visieren standen da, eine Unzahl alter, vergilbter Ölgemälde, wahrscheinlich Ahnenbilder, hing an den Wänden.
»Na, hast du nun genug geschaut?« fragte eine tiefe Stimme hinter ihr.
Monika erkannte die Stimme sofort. Sie hätte Martins Organ ohne Zögern unter Hunderten erkannt. Niemand verstand es wie er, in einen einfachen Satz eine so doppelsinnige Bedeutung zu legen.
Sie drehte sich zu ihm um, nicht im geringsten überrascht, ihn hier zu treffen. Er hatte ihr zwar erzählt, daß er übers Wochenende seinen kranken Vater besuchen müsse. Aber das hatte Monika ihm von Anfang an nicht geglaubt. Sie hatte gleich vermutet, daß es ihn zu Maria zog.
»Guten Abend, Martin«, sagte sie mit beherrschter Stimme und reichte ihm die Hand.
»Wie kommst du hierher?« fragte er sie direkt.
»Mein Schwager war so liebenswürdig, mich mitzunehmen.«
»Warum hast du …« Er stockte, biß sich auf die runde, volle Unterlippe.
»Warum ich dich nicht vorher um Erlaubnis gefragt habe?« erwiderte sie freundlich.
»Unsinn. Aber du hättest es mir doch wenigstens sagen können.«
»Du hast mir ja auch nichts gesagt. Du hast mich sogar belogen.«
Er packte sie beim Arm. »Hör mal, Monika …« Er dämpfte die Stimme zu einem fast unhörbaren Flüstern. »Du kannst hier nicht bleiben.«
»Und warum nicht?«
»Frag mich nicht, ich kann es dir nicht erklären. Aber es liegt etwas in der Luft, etwas sehr Ungutes.«
»Gib dir keine Mühe. Ich bin froh, daß ich hier bin. Jetzt werde ich sie endlich kennenlernen. Du ahnst nicht, wie lange ich mir das schon gewünscht habe.«
»Ach so, deswegen … Hast du immer noch nicht eingesehen, daß deine Eifersucht völlig unsinnig ist?« »Nicht unsinniger als deine Liebe zu dieser Frau«, brach es nun aus Monika heraus.
»Ich liebe sie nicht. Glaub mir doch endlich. Fährst du nun zurück?«
»Nur, wenn auch du mitgehst.«
»Ich kann nicht«, flüsterte er.
»Danke, das ist eine klare Antwort.«
Sie wandte sich ab und ging auf den Kamin zu. Martin versuchte nicht, sie aufzuhalten.
Kurz darauf trat Mr. George Pearson, der Amerikaner, in die Halle. An seiner Seite schritt eine Frau, offensichtlich seine Gattin.
Sie war hochgewachsen, fast mädchenhaft schlank, trug ein hervorragend sitzendes, mit schmalem Nerzfell besetztes Kostüm aus violettem Wollstoff. Ihre hochhakkigen Pumps waren violett wie ihr Kostüm, und violett geschminkt war auch ihr Mund.
Sie gehörte zu jenen Frauen, deren Alter schwer zu schätzen ist. Sie konnte ebensogut eine guterhaltene Vierzigerin wie eine frühverbrauchte Dreißigerin sein.
In jeder anderen Gesellschaft hätte sie sofort alle Blicke auf sich gezogen. Hier aber war Monika die einzige, die sie überhaupt zu bemerken schien.
Kein Wunder, daß Mr. Pearson, der stolze Besitzer dieser Dame, von dem frostigen Empfang einigermaßen schockiert war. Er räusperte sich und schmetterte ein lautes »Hälloh!« in den Raum.
Niemand antwortete ihm.
Er rieb sich verlegen die Nase, duckte sich unter dem verweisenden Blick seiner Gattin und sagte dann, plötzlich unsicher geworden:
»Entschuldigen Sie bitte …«
Er war Monika in diesem Augenblick sympathisch, weil ihn seine Verlegenheit irgendwie anziehend machte.
Vom Gang her kam ein scharf quietschendes Geräusch. Es stammte von einem klapprigen Teewagen, den Anton in die Halle rollte. Während der Diener den Tee einschenkte, betrachtete Monika die vier Personen, die schon bei ihrem Eintritt um das Feuer gruppiert waren. Ihr Blick glitt von einem gutgenährten blonden Mann in einem hochgeschlossenen schwarzen Anzug zu einer jungen Frau in einem schlecht sitzenden hellbraunen Kleid, mit regelmäßigem, etwas herbem Gesicht und streng zurückgekämmtem Haar.
Dicht beieinander saßen ein Herr mit eisgrauem Schnurrbart und eine platinblonde Dame. Beide waren groß und schlank, beide wirkten außerordentlich vornehm. Monika schätzte sie als Ehepaar ein.
Anton kam mit dem Teewagen zu ihr, und Monika hatte dann alle Mühe, die Tasse, das Sandwich und die Zigarette gleichzeitig in ihren Händen zu blancieren.
So kam es, daß ihr jener bedeutsame Augenblick entging, auf den sie gewartet hatte, seit sie sich dieser merkwürdigen Gesellschaft gegenübersah. Monika erblickte Maria Sebaldt erst, als diese schon mitten im Raum stand.
Monika war von ihrer Schönheit nicht überrascht. Die Sebaldt mußte ja bildschön sein, um Martin so sehr an sich fesseln zu können.
Das klare Gesicht war eingerahmt von langen, blonden, lose herabfallenden Locken. Die dunkelblauen Augen waren von zarten Schatten umgeben, die sie noch größer erscheinen ließen. Ein Lächeln umspielte den feingeschnittenen Mund. Die weißen Hände hielt sie leicht erhoben.
Auf Monika wirkte sie ungemein reizvoll und … außerordentlich unsympathisch.
Monika starrte Maria Sebaldt immer noch an, als sie durch ein klirrendes Geräusch neben sich aus ihrer Betrachtung gerissen wurde.
Sie wandte den Kopf und sah, daß Lisa ihre Teetasse kaum noch in ihren zitternden Händen halten konnte. Lisa war totenbleich geworden, ihre Lippen bebten. »Lisa … was hast du?« fragte Monika erschrocken. »Ist dir nicht gut?«
Lisas Lippen formten ein krampfhaftes Lächeln. »Es ist schon vorbei«, flüsterte sie.
Es schien so, als starre Lisa unverwandt auf Maria Sebaldt. Aber als Monika ihrer Blickrichtung folgte, wurde ihr klar, daß es gar nicht Maria Sebaldt war, die Lisa so beeindruckte, sondern der Mann, der hinter der Sebaldt stand: Kasimir Kratky.
Er wirkte faszinierend mit seinem fast blauschwarzen Haar, den dunklen, stechenden Augen, dem gutgeschnittenen Gesicht. Es ging etwas geradezu Dämonisches von ihm aus.
Trotzdem … warum war Lisa bei seinem Anblick so erschrocken? Sie muß ihn kennen, schoß es Monika durch den Kopf. Gab es in der Vergangenheit ihrer ruhigen, zurückhaltenden Schwester Lisa vielleicht ein Geheimnis?
Kasimir Kratky begann zu sprechen. Seine Stimme klang überraschend hoch und schneidend. »Wenn die Herrschaften ihren Tee ausgetrunken haben«, sagte er, »können wir beginnen. Das heißt… eigentlich erwarten wir noch einen Gast.«
Der blonde Mann im hochgeschlossenen schwarzen Anzug zog eine silberne Taschenuhr aus seinem Jackett. »Ich hoffe, es wird nicht zu spät«, sagte er.
»Haben Sie Angst, Herr Oberlehrer?« Das streng frisierte Mädchen beugte sich vor und sah ihn an.
»Nicht vor Geistern, Annette«, sagte der Oberlehrer lächelnd zu ihr.
»Ist es wahr, es spukt in diesem Schloß?« fragte der Herr mit dem eisgrauen Schnurrbart. Seinem Akzent nach war er ein Engländer.
»Allerdings, Sir Ambery«, bestätigte das strengfrisierte Mädchen, das Annette hieß, sofort. »Hier geht ein Gespenst um.«
Dr. Zacharias warf ihr einen verweisenden Blick zu, weil sie, entgegen den Gesetzen des Hauses, einen Namen genannt hatte.
Er sagte zu dem Engländer: »Ich als Parapsychologe kann Ihnen versichern, Sir, daß es keinen Grund zur Beunruhigung gibt. Der Geist eines Verstorbenen besitzt nicht die Macht, einem lebenden Menschen Schaden zuzufügen.«
»Weiß man denn auch, wer dieser Geist zu Lebzeiten war?« mischte sich Monika Müller ein. »Und warum er keine Ruhe gibt oder keine Ruhe findet?«
»Ja nun, ich enthülle kein Geheimnis, wenn ich es Ihnen erzähle«, sagte der Arzt. »Es handelt sich um den Feldhauptmann Jakobus Rex. Er hat mit seinen Landsknechten während des Dreißigjährigen Krieges, im Jahre 1628, hier Quartier bezogen. Er. hat sich in die Tochter des Burgherrn verliebt, und sie erwiderte seine Neigung. Mit dieser Verbindung waren die Eltern nicht einverstanden, und kurzerhand wurde Jakobus Rex wegen Verführung eines unbescholtenen Mädchens vor Gericht gestellt. Gerichtsherr war der Burgherr selbst. Er verurteilte den Feldhauptmann zum Tode durch Erhängen. Jakobus Rex starb unschuldig, und wahrscheinlich ist das der Grund, warum er noch immer in Verbindung mit den Menschen stehen will. Er hat mit seinem Schicksal nicht fertig werden können.
»Das wissen Sie alles so genau?« fragte Monika Müller. »Wie kommt das?«
»Er hat es uns selber berichtet«, erwiderte Dr. Zacharias, als wenn das die natürlichste Sache von der Welt wäre. »Allerdings habe ich mir die Mühe genommen, seine Erzählungen nachzuprüfen. Und sie werden, stellte ich fest, durch glaubhafte Überlieferung bestätigt.«
»Es ist also der Geist des verstorbenen Jakobus Rex, wenn ich recht verstanden habe, mit dem Frau Sebaldt in Verbindung steht?« hakte Staatsanwalt Gert Lamprecht nach.
»Ja.«
Der Staatsanwalt wandte sich nun an Maria Sebaldt selbst:
»Sind Sie denn ganz sicher, gnädige Frau, daß Sie mit diesem Geist auch außerhalb der Burg, in der er doch seit Jahrhunderten lebt, wie ich höre, in Verbindung treten können?«
Maria Sebaldt schwieg.
»Aber selbstverständlich«, antwortete Kasimir Kratky an ihrer Stelle. Er sah auf seine Armbanduhr. »Ich denke, wir beginnen jetzt. Bitte, Maria.«
»Aber es fehlt doch noch …«, widersprach sie ihm fast flehend.
Er schnitt ihr das Wort ab:
»Nicht so wichtig. Ich glaube nicht, daß es Sinn hat, noch länger zu warten.«
Ihre schmalen, zarten Hände zitterten. »Ich möchte nicht, Kasimir …«, sagte sie.
»Willst du die Sitzung etwa ausfallen lassen?« In seiner Stimme lag eine kaum noch verhüllte Drohung.
»Nein, natürlich nicht«, versicherte sie rasch. »Nur… ich fühle mich sehr elend, Kasimir. Kannst du das nicht verstehen?«
»O doch, ich glaube, wir alle haben für Ihre Situation Verständnis, Maria«, mischte sich der Oberlehrer mit fester Stimme ein. Er blickte sich beifallheischend unter den Gästen um, aber alle wichen seinem Blick aus, so daß Maria auf Kasimir Kratky zutrat und demütig sagte: »Wenn du meinst… gehen wir also hinüber ins Sitzungszimmer.«
Alle standen auf. Mrs. Pearson versuchte mit beschwörenden Blicken, Kasimir Kratky auf sich aufmerksam zu machen. Sie war als einzige beim Kamin stehengeblieben und schnippte, während sie Kasimir Kratky unter ihren langen, schwarz getuschten Wimpern unentwegt ansah, ihren Zigarettenstummel ins Feuer.
Kratky verhielt den Schritt, löste sich von der Seite Marias und blieb zurück. Er und die Amerikanerin hatten eine Sache zu besprechen, bei der sie keine Zeugen brauchen konnten.