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Die anderen gingen in den sich anschließenden Raum, wo die spiritistische Sitzung stattfinden sollte. Auch dieses Zimmer war holzgetäfelt, auch hier standen Ritterrüstungen herum und hingen historische Gemälde an den Wänden. In der Mitte befand sich ein großer, rechteckiger Tisch, der von hochlehnigen Stühlen umgeben war.

Maria Sebaldt stand schon am oberen Ende des Tisches, als Kasimir Kratky und Mrs. Pearson nachkamen. Das Lächeln, das Kasimirs Mund verzerrte, wirkte abstoßend. Mrs. Pearsons grüne Augen flackerten vor Erregung. Sie ging um den Tisch herum und setzte sich an die Seite ihres Gatten.

Kasimir Kratky schickte sich an, Maria Sebaldts Füße mit Stricken an die Stuhlbeine zu fesseln. Doch Staatsanwalt Lamprecht erklärte, er wolle diese Maßnahme selber durchführen. Die Prozedur hatte etwas Peinliches an sich, aber Maria Sebaldt schien das Demütigende, das für sie in der Fesselung lag, gar nicht zu empfinden.

Als Dr. Zacharias und Kasimir Kratky sich zu ihrer Linken und Rechten setzen wollten, war es wieder der Staatsanwalt, der Einspruch erhob.

Er beanspruchte den Platz Kasimirs auf der rechten Seite des Mediums.

Kasimir Kratky wählte nach kurzem Zögern den Platz am anderen Ende des Tisches, genau gegenüber von Maria. Die anderen setzten sich, wo sie jeweils gerade standen. Es war kein Zufall, daß Monika Müller neben Martin Sommer zu sitzen kam.

Kasimir Kratky klopfte mit dem Siegelring auf den Tisch, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Meine Damen und Herren«, sagte er, »Sie wissen, das Medium Maria Sebaldt steht seit mehreren Jahren in Verbindung mit einem guten Geist namens Rex. Sie wird versuchen, hier in diesem Raum und in Ihrer Anwesenheit mit ihm zu sprechen.«

Er räusperte sich und fuhr fort: »Das Medium wird dem Geist Fragen stellen. Er wird sie mit einem Klopfen des Tisches beantworten. Zwei Klopfzeichen bedeuten ›nein‹, ein Klopfzeichen bedeutet ›ja‹. Für alle Buchstaben gibt es bestimmte Klopfzeichen, mit denen Sie sich aber nicht zu belasten brauchen. Das Medium wird Ihnen die Zeichen in unsere Sprache übersetzen.«

Kasimir Kratky legte seine Hände Daumen an Daumen vor sich auf den Tisch, und alle folgten seinem Beispiel, so daß die Hände sämtlicher Anwesenden miteinander in Berührung waren.

»Bitte, achten Sie darauf, daß während der ganzen Sitzung die Kette der Hände nicht an einer Stelle abreißt«, gab Kratky Anweisung. »Schweigen Sie, was auch immer geschehen mag. Die Gesundheit des Mediums, das während der Sitzung in Trance ist, hängt von Ihrer Disziplin ab. Noch Fragen?«

»Ja«, sagte Monika Müller. »Kann man den Geist sehen?«

»Das Medium sieht ihn immer. Unter besonders glücklichen Umständen kann er sich auch für die Augen anderer materialisieren. Er wird dann als eine Art Nebelgebilde erkennbar, an dem man Kopf, Arme und Beine deutlich zu unterscheiden vermag.«

Dr. Zacharias ging zur Tür und knipste das Licht aus. Man hörte, wie er dann seinen Platz einnahm. Es herrschte undurchdringliche Dunkelheit.

Einen Augenblick war es totenstill, dann erhob Maria Sebaldt ihre Stimme.

»Rex!« rief sie in einem seltsam schwebenden Ton. »Guter Geist Rex!«

Unvermittelt wurde die Tür noch einmal geöffnet, und im schwachen Lichtschein sah man einen Mann eintreten. Anton, der mit ihm hereinkam, schob ihm rasch einen Stuhl hin. Dann verschwand er wieder.

Erneut war Maria Sebaldts schwebende Stimme zu vernehmen: »Rex … komm zu uns!«

Nichts geschah. Kein Laut war zu hören, außer dem schweren Atem von Mr. Pearson, der zur Rechten von Maria saß.

Alle warteten darauf, daß Maria Sebaldt ihre Aufforderung wiederholen würde, aber sie blieb stumm.

Es war immer noch stockfinster, doch ein leichter Luftzug wurde spürbar, so, als hätte sich irgendwo eine Tür geöffnet.

»Rex, bist du da?« rief Maria Sebaldt fragend.

Der Tisch hob sich erkennbar, stand waagrecht in der Luft, und es war, als verspüre man einen schwachen elektrischen Schlag auf den Hinterkopf. Jemand schrie leise auf.

»Du bist da, Rex«, sagte Maria Sebaldt, und in ihrer Stimme klang Erleichterung.

Der Tisch senkte sich, klopfte ›ja‹.

Wieder durchdrang die Stimme Maria Sebaldts die Stille: »Rex, guter Geist… willst du uns helfen, die Wahrheit zu erkennen?«

Der Tisch klopfte einmal ›ja‹ und fuhr dann fort, in langsamen, rhythmischen Schlägen zu pochen.

»Die Wahrheit ist unendlich und unfaßbar«, übersetzte Maria Sebaldt. »Das Unbegreifliche ist unbeschreiblich.«

Monika Müller zweifelte keinen Augenblick daran, daß das Ganze ein ausgemachter Schwindel war, von Maria und Kratky inszeniert. Vielleicht hatte auch Dr. Zacharias seine Hand im Spiel.

Maria Sebaldt fragte: »Erwarten uns im Jenseits Leiden? Müssen wir uns vor dem Tod fürchten?«

Antwort: »Die Strafe ist das Leben.«

Nun konnte man Maria Sebaldts Gesicht erkennen. Es schien von einem grünen fluoreszierenden Licht schwach beleuchtet. Eine Lichtquelle gab es aber nicht. Es war so, als ob die Helligkeit von innen durch ihre weiße Haut hindurchschimmerte.

Plötzlich wackelte ihr Kopf. Es sah aus, als ob sie von einer unsichtbaren Hand im Genick gefaßt und geschüttelt würde.

Sie stieß einen gutturalen Laut aus, einen seltsamen Seufzer.

»Wer bist du? Was willst du von mir?« schrie sie angsterfüllt.

Dann antwortete sie selber, aber ihre Stimme klang vollkommen verändert, männlich, rauh, ja ordinär: »Ihr habt mich gerufen!«

»Ich kenne dich nicht!« rief Maria Sebaldt mit ihrer alten Stimme bebend.

»Du wirst mich kennenlernen«, antwortete die heisere Stimme drohend.

»Wer hat dich gerufen?«

»Ein Mann, der dir nahesteht.«

Maria Sebaldt riß die Augen weit auf, sie schien etwas zu sehen, das sie erschreckte. »Nein!« rief sie. »Du lügst! Geh weg!«

Monika Müller starrte angestrengt in dieselbe Richtung wie das Medium. Aber alles, was sie sehen konnte, war – unheimlich genug – ein Nebelgebilde über dem Kopf von Kasimir Kratky, das alle Augenblicke seine Gestalt veränderte.

Die brutale männliche Stimme lachte höhnisch. »Das könnte euch so passen. Erst wollt ihr die Wahrheit wissen … aber wenn sie euch nicht schmeckt, dann kneift ihr?«

»Du willst uns täuschen und verwirren. Geh dorthin, woher du gekommen bist!«

Das Nebelgebilde schrumpfte zusammen. Die männliche Stimme knurrte heiser: »Das werdet ihr bereuen. Und am meisten dieser Verbrecher …«

»Wer ist ein Verbrecher?« fragte Maria Sebaldt.

»Ihr alle, ihr verd …« Die rauhe Stimme brach mitten im Wort ab, gerade so, als ob sie mit Gewalt am Weitersprechen gehindert worden wäre.

Einen Augenblick später begann der Tisch, der die ganze Zeit über in der Luft geschwebt hatte, in gleichmäßigen, fast beruhigenden Schlägen zu klopfen.

»Es war ein böser Geist, ich konnte es nicht verhindern«, übersetzte das Medium. »Er wird nicht wiederkommen.«

»Guter Geist Rex, ich danke dir für deinen Schutz. Bitte, verlaß mich nie.«

Der Tisch senkte sich, klopfte.

Maria Sebaldts Stimme klang ungläubig, als sie übersetzte: »Du wirst es sein, die mich verläßt.«

Gleich darauf antwortete sie: »Nie, Rex, nie!«

Der Tisch schwebte in der Luft, ohne sich zu rühren. Eine lange quälende Pause entstand.

Dann sagte Maria Sebaldt in einem ungeheuer gespannten Ton: »Rex, ich weiß, du meinst es gut mit mir. Habe ich dich richtig verstanden, willst du mich warnen?«

Sie schwieg einen Augenblick, fuhr erst fort, als sich nichts rührte: »Bitte, hilf mir. Rate mir. Ist es richtig, was ich tun will? Soll ich den Mann heiraten, den ich liebe? Ich beschwöre dich, sag es mir.«

Sie hatte kaum ausgesprochen, als der Tisch stürmisch zu klopfen begann, in wilden Schlägen.

Kleine Blitze schienen durch den Raum zu zucken. Eine Frauenstimme schrie gellend auf.

Mr. Pearson, der neben Monika Müller saß, riß seine Hand zurück.

Das elektrische Licht flammte auf, alle saßen mit blassen verstörten Gesichtern auf ihren Plätzen. In der geöffneten Tür stand Anton, der Diener.

Dr. Zacharias, der das Licht angeknipst hatte, stürzte zu Maria.

Sie lag in ihrem Sessel, totenbleich, die Augen geschlossen. Sie war ohnmächtig geworden.

Mit überraschendem Impuls schloß Martin Sommer Monika in seine Arme, als wolle er sie beschützen. Erst als er sie wieder freigab, sah sie, was geschehen war.

Kasimir Kratky war mit ausgebreiteten Armen vornüber auf die Tischplatte gefallen.

Aus seinem Rücken ragte der kunstvoll geschmiedete Griff eines Stiletts.

Mord!

Sir Ambery drückte den Mittelfinger auf Kratkys Pulsader.

»Er ist tot«, sagte er.

Lisa, die Gattin des Staatsanwalts, schrie auf: »Nein! Nein! Das ist …«

Sie verstummte, denn ihr Gatte legte ihr seine Hand auf den Mund.

Ein Mann im braunen Anzug – offenbar der verspätete Gast – hatte den Mund vor Entsetzen weit aufgerissen.

Maria Sebaldt erwachte aus ihrer Ohnmacht, seufzte, schlug die Augen auf.

Dr. Zacharias beugte sich vor, um ihr die Sicht auf den Toten zu verstellen. Aber sie hatte diesen schon gesehen. Ihre dunkelblauen Augen weiteten sich, wurden fast schwarz.

»Maria, ich bitte dich …«, stammelte Dr. Zacharias. Annette streichelte Marias Hand. »Schau nicht hin«, sagte sie, »schau nicht hin.«

Maria Sebaldts Lippen bebten. Sie versuchte zu sprechen, aber es dauerte eine Weile, bis sie Worte formen konnte. »Meine Füße«, flüsterte sie.

Sofort befreiten der Oberlehrer und Annette sie von den Fesseln.

Maria erhob sich schwankend.

Dr. Zacharias versuchte sie zurückzuhalten, aber sie ging entschlossen um den Tisch herum, auf den Toten zu. Sie weinte nicht.

»Kasimir«, flüsterte sie nur, »Kasimir …« Sie hob die Hand, als ob sie dem Toten übers Haar streichen wollte, ließ sie aber mitten in der Bewegung wieder fallen. »Maria«, sagte Dr. Zacharias eindringlich, »bitte, nimm es, wie es ist. Vielleicht haben die Geister dir die Entscheidung abnehmen wollen …«

»Ich glaube nicht, daß Geister morden«, fuhr der Staatsanwalt mit schneidender Stimme dazwischen. »Dies hier ist nämlich Mord! Mord durch Menschenhand!« »Aber Mord von wem?« rief Mrs. Pearson. »Von wem?«

»Das herauszubringen ist Sache der Kriminalpolizei«, erklärte der Staatsanwalt.

Dr. Zacharias wandte sich an den Diener:

»Bitte, Anton, helfen Sie mir, ihn auf sein Zimmer zu bringen.«

»Wozu?« Der Staatsanwalt sah den Arzt scharf an.

»Ich möchte ihn untersuchen, Herr Staatsanwalt!« Die Stimme des Arztes klang ehrlich erstaunt. »Vielleicht ist er gar nicht tot.«

»Dies festzustellen«, erwiderte Lamprecht, »dürfte Ihnen auch möglich sein, ohne die Lage des Ermordeten zu verändern.«

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie mich an der Ausübung meiner ärztlichen Pflicht hindern.«

Der Staatsanwalt beugte sich über den Toten, zog die Augenlider hoch, ließ sie fallen.

»Kasimir Kratky bedarf keines Arztes mehr, Herr Doktor.«

Dr. Zacharias zuckte die Schultern. »Nun gut, wie Sie meinen. Die Verantwortung liegt bei Ihnen.«

Martin Sommer war sehr nahe an den Toten herangetreten. »Hier!« rief er. »Ist das nicht ein Zettel? Dieses Röllchen, das im Knauf steckt?«

Der Staatsanwalt machte eine Bewegung, als ob er es herausziehen wolle, ließ dann aber die Hand wieder fallen.

Sir Ambery holte Lederhandschuhe aus seiner Jackentasche.

»Darf ich?« fragte er Lamprecht.

»Bitte, aber mit äußerster Vorsicht.

Der Engländer zog die Handschuhe an, faßte mit den Fingerspitzen das Papier, rollte es vorsichtig so auseinander, daß er nur die äußeren Ränder berührte, und hielt es dem Staatsanwalt hin. Es standen nur fünf Worte darauf, mit roter Tinte in Druckbuchstaben geschrieben: Ich komme aus dem jenseits.

»Also doch ein Geist«, sagte Dr. Zacharias.

»Genausogut können Sie an den Weihnachtsmann glauben«, erwiderte der Staatsanwalt kalt.

»Darf ich den Zettel einmal sehen?« fragte Maria Sebaldt überraschend.

Aber Annette und Dr. Zacharias beschworen sie, darauf zu verzichten, und Maria, die sich völlig erschöpft fühlte, fügte sich.

Sir Ambery rollte den Zettel wieder zusammen und steckte ihn zurück in den Knauf.

»Komm, Maria, ich bring dich zu Bett«, erbot sich Annette. »Oder…«, fragte sie ziemlich aggressiv und wandte sich dem Staatsanwalt zu, »… haben Sie etwas dagegen?«

»Natürlich nicht«, versicherte dieser. »Aber ich muß Sie bitten, das Haus nicht zu verlassen. Das gilt natürlich auch für die anderen, die während des Mordes hier im Raum anwesend waren.«

Mr. Pearson, der bisher völlig benommen dagestanden hatte, protestierte lebhaft: »Soll das gelten auch für mich? Für mich und meine Frau?«

»Ich bedaure sehr, aber …«

George Pearson unterbrach den Staatsanwalt: »Sie scheinen nicht zu wissen, wer ich bin … Ich bin George Pearson, und ich werde nicht dulden, daß …«

»Bitte, Mr. Pearson, regen Sie sich doch nicht auf. Sie müssen begreifen …«

»Ich bin amerikanischer Staatsbürger!« schrie Pearson, und seine Stimme schnappte über. »Niemand hat das Recht, mich hier festzuhalten! Ich werde mich mit meinem Konsul in Verbindung setzen! Ich werde …« »Das, Mr. Pearson, bleibt Ihnen unbenommen. Es handelt sich ja nur darum …«, versuchte der Staatsanwalt zu erklären, aber jetzt schrien sie von allen Seiten auf ihn ein.

»Sie werden doch nicht glauben, daß ich Ihretwegen meine Hunde verhungern lasse!« rief Annette empört. »Ich denke nicht daran, auch nur eine Minute länger …«

»Sie scheinen zu vergessen, daß ich Arzt bin«, erklärte Dr. Zacharias wütend. »Was, glauben Sie, werden meine Patienten sagen, wenn ich hier …«

»Ich bleibe nicht!« rief Mrs. Pearson hysterisch. »Keine Macht der Welt kann mich zwingen, auch nur eine Minute länger in diesem Mordhaus zu bleiben! Ich will…«

»Auch ich protestiere«, erklärte der Oberlehrer, aber im Gegensatz zu den anderen war er ganz ruhig.

Sir Ambery sprach mit leiser, beruhigender Stimme auf seine Frau ein.

Der Staatsanwalt hob die Hand. »Meine Herrschaften, Ruhe!« verlangte er nun zornig. »Sie verkennen die Lage. Nicht weil Sie etwa nur Zeugen eines Mordes geworden sind, verlange ich von Ihnen zu bleiben, sondern weil sich unter Ihnen der Mörder selbst befindet. Ich besitze die Befugnis, Sie zurückzuhalten. Die Kriminalpolizei wird bald hier sein. Sie können versichert sein, daß jeder, der die Burg eigenmächtig verläßt, sofort wieder zurückgeholt wird. Sie alle stehen unter Mordverdacht…«

»Sie etwa nicht?« rief Annette dazwischen.

»Doch, ich auch. Aber im Gegensatz zu Ihnen werde ich der Polizei keine Schwierigkeiten machen.«

»Herr Staatsanwalt«, sagte der Mann in dem braunen Anzug bedrückt, »kann ich Sie einen Augenblick unter vier Augen sprechen?«

Jetzt erst richteten sich alle Blicke auf den Fremden. »Wer sind Sie überhaupt?« fragte Dr. Zacharias verblüfft.

»Aber Doktor«, fiel Maria Sebaldt ein, »das ist doch Signor Bressoni.«

»Nein, Maria, das ist er nicht. Signor Bressoni kenne ich. Dieser Mensch hier hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit deinem Manager, der sich heute bei dir vorstellen wollte.«

Der Mann im braunen Anzug hob flehend die Hände, breite, leicht behaarte Hände mit kurzen Fingern.

»Ich kenne überhaupt keinen Signor Bressoni«, sagte er aufgeregt.

»Nicht?« herrschte der Arzt ihn an. »Wenn ich die Situation richtig sehe, haben Sie sich doch unter diesem Namen bei uns eingeschlichen?«

»Nein!« Er schrie es fast. »Bitte, lassen Sie mich doch zu Wort kommen. Das war es ja gerade, was ich dem Herrn Staatsanwalt auseinandersetzen wollte. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, daß hier eine spiritistische Sitzung stattfindet.«

Er wies auf Anton, den Diener. »Dieser Mann da hat mich einfach hier hereingeführt, bevor ich mich überhaupt vorstellen konnte. Er hat gesagt: ›Sie werden erwartet.‹ Ich frage Sie, meine Herrschaften, was hätte ich denn tun sollen? Ich bin ihm gefolgt. Jeder andere Handelsvertreter hätte das auch getan. Die Schwierigkeit in unserem Geschäft liegt ja hauptsächlich darin, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Wenn man erst einmal in der Wohnung ist…«

»Sie sind Vertreter?« unterbrach der Staatsanwalt ihn. »Jawohl, Vertreter für Staubsauber. Vielleicht darf ich Ihnen einmal unser Gerät…«

»Sie heißen?«

»Heinz Heinrich. Sie müssen schon entschuldigen, Herr Staatsanwalt, aber man nutzt jede Gelegenheit…«

»Schon gut, Herr Heinrich. Ich unterstelle, daß das, was Sie uns erzählt haben, der Wahrheit entspricht. Trotzdem muß ich auch Sie bitten, auf Burg Eberstein zu bleiben, bis die Kriminalpolizei Ihnen die Erlaubnis erteilt, sich zu entfernen.«

»Aber, Herr Staatsanwalt, heute ist doch Freitag. Meine Frau und meine Kinder erwarten mich. Ich komme jeden Freitagabend pünktlich nach Hause.« Er fuhr sich verzweifelt durch sein onduliertes blondes Haar. »Ich hätte es wissen müssen … weiß Gott, ich hätte es wissen müssen. Freitag, der Dreizehnte. Also, das sage ich Ihnen, das ist der letzte Freitag, der Dreizehnte, an dem ich gearbeitet habe.«

»Ist hier ein Telefon?« fragte der Staatsanwalt.

»Leider nein«, antwortete Maria Sebaldt. »Ein Telefon paßt nicht zu unserer alten Burg. Wir haben ganz bewußt darauf verzichtet.«

»Wo ist das nächste Telefon?«

»In einer kleinen Wirtschaft, etwa fünf Kilometer von hier entfernt; sie liegt ziemlich versteckt.«

»Ich kenne den Weg«, sagte Martin Sommer rasch. »Ich könnte die Kriminalpolizei anrufen.«

»Sie werden mich begleiten«, bestimmte der Staatsanwalt. Er wandte sich an alle: »Wenn ich jemanden verständigen soll, daß Sie aufgehalten worden sind, bitte, sagen Sie es mir. Ich werde es erledigen.«

Aber niemand machte von diesem Angebot Gebrauch. Alle schienen sich in ihr Schicksal gefügt zu haben. Einer nach dem anderen verließ das Séance-Zimmer. Nur der Tote blieb zurück. Der Staatsanwalt schloß den Raum von außen ab, steckte den Schlüssel in die Tasche. Er und Martin Sommer verschwanden durch die kleine Tür ins Treppenhaus.

»Wenn Sie erlauben, werde ich mich jetzt zurückziehen«, sagte Maria Sebaldt zu den anderen. »Falls Sie irgendwelche Wünsche haben, wenden Sie sich an Anton. Bitte, Anton, leg doch noch ein paar Scheite nach, damit unsere Gäste nicht frieren müssen.«

Seite an Seite mit Annette verschwand sie im Dunkel des Ganges. Die anderen setzten sich.

»Wie ist der Mörder an das Stilett gekommen?« fragte Monika Müller.

»Der Dolch hing im Séance-Zimmer an der Wand«, antwortete der Oberlehrer.

»Ja, das ist richtig«, bestätigte Mr. Pearson. »Ich interessiere mich für solche alten Sachen. Ich habe ihn sofort gesehen.«

»Wo?« fragte Monika Müller.

»Da Sie es so genau wissen wollen: Der Dolch hing an der Querwand des Raumes, schräg hinter dem Rücken Kasimir Kratkys«, antwortete Dr. Zacharias.

»Aber sind denn diese alten Waffen hier so scharf geschliffen?«

»Das Stilett, mit dem Kasimir Kratky getötet worden ist, war es wahrscheinlich.«

»Das wäre nicht einmal nötig gewesen«, erklärte Sir Ambery. »Der menschliche Körper ist verletzlicher, als man glaubt. Ein Brieföffner, richtig geführt…«

Er ließ mit der rechten Hand einen imaginären Brieföffner so anschaulich durch die Luft sausen, daß Mrs. Pearson leise aufschrie.

»Wenn die Klinge des Stiletts wirklich geschliffen war, muß der Mord von langer Hand vorbereitet gewesen sein«, folgerte Monika Müller.

»Aber hören Sie denn nicht?« widersprach ihr der Arzt. »Sir Ambery hat doch gerade erklärt, daß sie gar nicht geschliffen gewesen sein muß.«

»Dann gehörte ungewöhnliche Kraft dazu«, behauptete Monika. »Demnach ist der Mörder ein Mann.«

»Ich bitte dich, Monika, hör auf damit«, flehte Lisa, ihre Schwester, sie an.

Monika Müller sah Lisa an und begriff erst jetzt, daß diese am Ende ihrer Kraft war.

»Sie sollten sich ausruhen, gnädige Frau«, sagte Dr. Zacharias, nachdem er Lisa, die Frau des Staatsanwalts, prüfend gemustert hatte. »Anton, führe die gnädige Frau in ein Zimmer, in dem sie sich hinlegen kann.«

»Selbstverständlich«, erklärte sich Anton sofort dazu bereit.

Monika Müller faßte ihre Schwester unterm Arm. »Komm, ich werde dich begleiten.«

Sie folgten Anton durch den breiten Gang und einige Stufen hinauf.

Anton öffnete eine Tür, in deren Schloß ein ungewöhnlich großer, verschnörkelter Schlüssel steckte.

Sie traten in ein geräumiges, hohes Zimmer. Wenn man von Staub und Moder absah, wirkte es ausgesprochen elegant. Die Wände waren mit verblichenen, altrosa Seidentapeten verkleidet. Es gab einen großen, kunstvoll gerahmten Toilettenspiegel mit einem niedrigen Hocker davor und ein sehr breites Bett mit einer rosa Seidendecke.

Monika Müller stieß eines der kleinen Butzenfenster auf, aber die feuchte, neblige Nachtluft, die von außen hereindrang, war um nichts angenehmer als die kalte Moderluft im Zimmer.

»Könnten Sie Feuer machen?« bat Monika Anton und wies auf den runden Kamin, in dem verstaubtes Feuerholz aufgeschichtet war.

»Sofort.« Anton holte aus der Tasche eine Schachtel Streichhölzer hervor, ging in die Kniebeuge und riß ein Hölzchen an.

»Am besten legst du dich gleich hin«, sagte Monika zu ihrer Schwester Lisa, die blaß und verloren im Zimmer stand.

»Wenn Sie Bettwäsche wünschen …«, erbot sich der Diener.

»Nein, danke, Anton. Wir werden ja wohl nicht die ganze Nacht hierbleiben müssen.«

»Wer weiß?« murmelte Anton.

Lisa hatte sich aufs Bett gelegt und die Augen geschlosen. Sie atmete tief und regelmäßig. Wahrscheinlich war sie vor Erschöpfung eingeschlafen.

Monika trat zum Kamin, wo Anton sich immer noch bemühte, Feuer zu machen. »Anton, haben Sie eigentlich etwas bemerkt, als der Mord geschah?«

»Wann ist der Mord geschehen?« fragte er zurück.

Diese Gegenfrage war berechtigt. Monika sagte: »Ich meine, haben Sie etwas bemerkt, als Sie ins Zimmer traten? Zufällig ist mir nämlich aufgefallen, daß Sie die Tür schon geöffnet hatten, bevor das Licht angeknipst wurde.«

»Sie haben eine sehr gute Beobachtungsgabe, gnädiges Fräulein«, entgegnete Anton, »deshalb werden Sie verstehen, daß ich nichts bemerkt haben konnte. Es ist bekanntlich ganz unmöglich, etwas zu sehen, wenn man von einem erleuchteten Raum in ein vollkommen dunkles Zimmer tritt.«

»Sagen Sie, Anton, es war doch Kasimir Kratky, der Frau Sebaldt drängte, die Burg zu verkaufen, nicht wahr?« »Sehr wohl, gnädiges Fräulein.«

»Ihnen kann es doch keine Freude bereiten, in Ihren alten Tagen hier wegziehen zu müssen.«

»Nein, sicher nicht.«

»Nun, durch den Tod Kasimir Kratkys hat sich diese Sache doch wohl erledigt.«

Ganz unvermittelt fingen die Scheite Feuer. Prasselnd schossen die Flammen hoch. Anton erhob sich und klopfte sich den Staub von den Knien. »Haben gnädiges Fräulein sonst noch Wünsche?«

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir meine Frage beantworten würden.«

»Oh, natürlich. Ja, sehen Sie, Burg Eberstein ist schon verkauft. Ich werde also doch wegziehen müssen. Aber wenn ich dem gnädigen Fräulein einen Rat geben darf …«

»Ja?«

»Es wäre besser, man ließe die Dinge auf sich beruhen.«

»Was soll das heißen?«

»Neugier kann manchmal sehr gefährlich werden.« Der Diener zog seine nicht mehr ganz weißen Zwirnhandschuhe an. »Kasimir Kratky war kein guter Mensch.« »Sie meinen doch wohl nicht, daß man den Mörder laufenlassen sollte?«

Antons schmale Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. »Sie haben nicht bedacht, daß der Mörder ein Mensch sein könnte, der Ihnen selber nahesteht.«

Er verbeugte sich und ging rückwärts aus dem Zimmer.

Tödliche Hände

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