Читать книгу Die silberne Dose - Marie Louise Fischer - Страница 6

3

Оглавление

»Hoffentlich findest du deine Kiste nachher wieder«, sagte ich, als Robby zu mir an die Haustür trat und den Schnee von seinem Mantel schüttelte. – Wenn ich geahnt hätte, wie dieser Abend enden sollte!

»Keine Bange, Mädchen«, beruhigte er mich und drückte auf die Klingel.

Kurz darauf wurde die Haustür aufgedrückt, und wir stiegen die Treppe hinauf.

Ein Mädchen in einem kasakartigen Gewand erwartete uns schon in der Wohnungstür; ich wußte, daß es Ftatateta war, noch ehe Robby uns bekannt gemacht hatte. Sie reichte mir die Hand mit einem fast schmerzhaften Druck, und ich sah in ein dunkles, beherrschtes Gesicht mit breiten Backenknochen und einer breiten, niedrigen Stirn. Sie lächelte nicht bei der Begrüßung, aber sie machte auf mich einen äußerst sympathischen und zuverlässigen Eindruck.

»Es sind schon alle drinnen«, erklärte Ftatateta, als wir in der kleinen Diele standen, »zieht euch aus und kommt rein – du weißt ja hier Bescheid, Robby!«

Sie verschwand durch einen leuchtend blauen Vorhang, hinter dem man Gelächter, Gläserklirren und Stimmengewirr hörte.

Einen Augenblick blieb ich auf der Schwelle stehen, um mich in dem großen Raum zurechtzufinden. Es war eines der behaglichsten Zimmer, die ich je gesehen hatte, schon allein durch seine gut proportionierte Form und durch die beiden sehr breiten Fenster, vor die dieselben leuchtend blauen Vorhänge gezogen waren wie vor die beiden Türöffnungen, von denen die eine wohl ins Schlafzimmer führte. Die Einrichtung war mit sicherem Geschmack aus echten alten Stilmöbeln und hochmodernen Stücken zusammengestellt, der mächtige rote Schafwollteppich gab dem Zimmer Behaglichkeit. Das Schönste aber war der breite Backsteinkamin, in dem ein prächtiges Feuer loderte.

Der Raum war voller Menschen, die zwanglos umherstanden, es sich in Sesseln oder auf Polstern auf dem Boden bequem gemacht hatten. Vor dem Kaminfeuer stand ein großer Mann, der sich jetzt, als wir eintraten und die Unterhaltung unwillkürlich für einen Augenblick verstummte, umdrehte und zu uns hinsah. Es war Florian.

Es gab mir einen kleinen Ruck, aber dann faßte ich mich wieder und ging, begleitet von Robby, auf die Gastgeberin zu, die uns entgegenschwebte. Cleo wirkte mit ihrem schimmernden Haar, der weißen Haut und den hellen Augen noch zarter und durchsichtiger, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte.

»Robby«, rief sie mit klingender Stimme, »Robby, was für eine reizende Idee von dir, Monte mitzubringen! Guten Abend, Monte … Ich darf Sie doch so nennen? Es ist wundervoll, daß Sie heute abend gekommen sind!«

Sie reichte mir die Hand und lächelte mich an. Das Erstaunliche war, daß nichts an ihrem Benehmen aufgesetzt oder affektiert wirkte.

»Ich bin glücklich, daß Sie mich nicht hinauswerfen«, sagte ich.

Sie lachte, und – so abgeschmackt der Vergleich klingen mag – ihr Lachen tönte wie das Läuten von Silberglöckchen. »Ich finde es so nett, daß wir uns endlich einmal näher kennenlernen! Ich habe vor einiger Zeit ein Treatment von Ihnen gelesen, es schien mir … unwahrscheinlich begabt!«

Ehrlich gestanden, ich fühlte mich nicht allzu wohl bei dieser reizenden Begrüßung. Es macht mich unsicher, wenn Menschen gar zu liebenswürdig zu mir sind, selbst wenn sie es ehrlich meinen sollten.

Wir waren an den Kamin getreten, und Robby nahm mich beim Arm und führte mich zu Florian.

»Darf ich dich mit Florian Maria Reinberger bekannt machen, Mädchen? Florian Maria ist ein hochberühmter österreichischer Dichter!« spöttelte Robby.

»Wir kennen uns, Robby«, erklärte ich. »Guten Abend, Florian. Nett, daß wir uns doch noch treffen!«

Florian entgegnete nichts und sah mich an.

Robby machte mich mit seiner Schwester Marjorie bekannt, einer zierlichen kleinen Person mit Kulleraugen und braunen Stirnfransen, die ihr etwas Exotisches gaben. Sie war der Typ einer alternden munteren Naiven; nur wenn sie lachte, wie jetzt zur Begrüßung, wirkte sie plötzlich wie ein ganz junges Mädchen.

Dr. Sintesius drückte mir nicht die Hand, er hielt sie mir einfach so hin, eine Art, die mir verhaßt ist. Obwohl er Ansatz zu einer etwas schwammigen Fülle zeigte, war er keineswegs ein Fettwanst, wie Robby behauptet hatte. Auffallend an ihm waren seine sehr grünen Augen, die hinter scharfen Brillengläsern hervorblitzten und die irgendwie nicht zu seinem schütteren hellen Haar, seiner rosigen Haut und seiner stumpfen kleinen Nase paßten.

Helm Ritter verbeugte sich, als ich ihm die Hand gab, so formell, als wenn er auf der Bühne stände; seine eisblauen Augen sahen an mir vorbei.

Jan Guntram war trotz der festlichen Gelegenheit ostentativ in Lumberjack und Manchesterhosen erschienen, das unvermeidliche rote Halstuch umgeschlungen. Auf einem Polster zu seinen Füßen hockte Lisa, eine unscheinbare graue Maus in langen Hosen und Pullover.

»Warum kommt ihr erst so spät?« fragte sie vergnügt. »Den Clou des Abends habt ihr schon verpaßt!«

»Wieso?« wollte ich wissen.

»Was war los?« erkundigte sich Robby.

»Dreimal dürft ihr raten!« Lisa tat sehr geheimnisvoll.

»Mein Silvesterknallbonbon!« rief Cleo strahlend.

»Cleo hat ein Engagement nach Hollywood!« verriet Marjorie.

»Wahrhaftig?« Robby war sichtlich erstaunt.

»Gratuliere, Cleo!« sagte ich.

»Sie sollten sich das noch einmal überlegen, Cleo«, mahnte Jan Guntram und klopfte seine Pfeife bedächtig am Kamingitter aus.

»Zu spät«, entgegnete Cleo mit leuchtenden Augen. »Ich habe schon unterschrieben!«

»Sie passen nicht nach Hollywood«, beharrte Jan Guntram, stocherte in seinem Pfeifenkopf herum und zog einen ledernen Tabaksbeutel aus der Tasche.

»Es würde mich interessieren«, ging Robby aggressiv auf ihn los, »woher Sie Ihre genauen Kenntnisse über Hollywood schöpfen, Herr Guntram?!«

Jan Guntram stopfte seine Pfeife. »Sie werden sich daran gewöhnen müssen, junger Freund, daß es eine Menge Dinge gibt, von denen ich mehr verstehe als zum Beispiel Sie!«

»Ich habe bereits feststellen müssen, daß Sie mehr zu können vorgeben, als es in Wahrheit der Fall ist!« parierte Robby hitzig.

»Robby!« Cleo legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm. »Robby, ich bitte dich!«

»Dafür sind Sie mir bisher noch den Beweis schuldig geblieben«, erklärte Jan Guntram und setzte behutsam seine Pfeife in Brand.

Robbys Gesicht hatte sich verzerrt. »Sie … Sie werden sehen!« Seine Stimme überschlug sich.

»Robby, hör auf damit!« mahnte Ftatateta.

»Ich … ich werde ….«

Jan Guntram zog an seiner Pfeife und sah Robby aus seinen ein wenig hervorquellenden Augen vergnügt an. Wie er da saß, breit, behäbig und glatzköpfig, glich er eher einem flämischen Bauern als dem gewiegten Schriftsteller, der er tatsächlich war. Robby, mager und zerbrechlich, wirkte ihm gegenüber sehr hilflos.

»Regen Sie sich nicht auf, junger Freund«, meinte Jan Guntram, »es lohnt sich wirklich nicht und schadet nur Ihrer Gesundheit!«

Robby drehte sich brüsk um und verzog sich in eine dunkle Ecke des Zimmers.

»Robby im Schmollwinkel«, hörte ich Marjorie leise sagen, sie kicherte.

Ich sah mich suchend nach einer geeigneten Sitzgelegenheit um.

Ftatateta zog aus einer der Ecken, die im Halbdunkel lagen, einen modernen, bequemen Sessel hervor und schob ihn gerade vor den Kamin, Einen besseren Platz hätte ich mir nicht wünschen können.

Niemand schien sich über den kleinen Zusammenstoß zwischen Jan Guntram und Robby Gedanken zu machen; harmlos und vergnügt ging die Unterhaltung darüber hinweg. Das Gespräch drehte sich um Wintersport und Wintersportmöglichkeiten.

Ich weiß nicht, ob das dekorative Zimmer mit dem prächtig lodernden Kaminfeuer oder was sonst daran schuld war, aber plötzlich kam es mir so vor, als wenn wir uns alle auf einer Bühne befänden. Personen in einem modernen Unterhaltungsstück. Die anderen schienen das Stück und ihre Rollen genau zu kennen, so, als ob sie es schon mehr als einmal gespielt hätten; nur ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen würde, ich fühlte mich wie eine Anfängerin, die plötzlich und ohne Probe hatte einspringen müssen.

Ich sah zu Cleo hin, die neben ihrem Bruder saß. Ein Geschwisterpaar, und doch, wie verschieden waren die beiden, die zarte weiße Cleo und der plumpe aufgeschwemmte Dr. Sintesius. Obwohl Cleo sich unverkennbar zurückhielt, war sie doch der Mittelpunkt unserer kleinen Gesellschaft. Sie spielte, ohne sich dessen bewußt zu sein, alle anderen an die Wand, neben ihr kam niemand sonst zur Geltung. Dabei war sie gar keine wirkliche Schönheit. Mit ihrem schimmernden Haar, mit den hellen Augen und dem sensiblen Mund war sie hübsch, nichts weiter; ihr Zauber hatte nichts mit ihrer äußeren Erscheinung zu tun, er kam ganz von innen her. Ja, jetzt wußte ich, wie sie wirkte – wie eines jener Räucherlämpchen, durch deren hauchdünne Wände man das leuchtende Flämmchen zittern sehen kann. Jetzt wußte ich auch, warum mich ihre Gegenwart irritierte – ich kam mir neben Cleo grob, primitiv und unbehauen vor.

Nur keine Minderwertigkeitskomplexe, Monte, sagte ich mir, dem Himmel sei Dank, du bist ja keine Schauspielerin, und Cleo ist auch nicht deine Rivalin.

Nein, wir waren keine Rivalinnen. Wenn ich auch im ersten Augenblick angenommen hatte, daß es eine Frau war, die Florian heute abend hierher gelockt hatte, so mußte ich doch bald einsehen, daß dies nicht zutraf. Er beschäftigte sich mit keiner der anwesenden Weiblichkeiten; er, den ich schon eine ganze Gesellschaft hatte verzaubern sehen, war aufallend still, ja nervös. Er sah großartig aus in seinem schwarzen Steireranzug, dem weißen Hemd und dem kleinen Mascherl, aber er schein sich sehr unbehaglich zu fühlen.

Auch Ftatateta war ständig unterwegs, wenn auch aus einer anderen Ursache. Sie bot Berliner Pfannkuchen und Neujährchen rund, füllte die Gläser immer wieder mit heißem Punsch, sah darauf, daß jeder zu rauchen hatte. Sie machte das so geräuschlos, so unauffällig und gewandt, daß ich wohl die einzige war, die ihre Geschäftigkeit bewußt bemerkte. Wenn Robby sie eine Eskimöse genannt hatte, so erinnerte sie mich eher an eine Indianerin. In ihren Slippers bewegte sie sich, schmalhüftig und breitschultrig, so leise und sicher wie in Mokassins, in ihrem pechschwarzen Haar fehlte nur noch die bunte Feder, um den Eindruck vollkommen zu machen.

Helm Ritter, herb, männlich und verschlossen, rauchte eine Zigarette nach der anderen und beteiligte sich nur mit einem hin und wieder dazwischengeworfenen Wort an der Unterhaltung.

Ich sah zu Lisa und Jan Guntram hinüber. Er tätschelte gerade ihren Kopf mit derselben herablassenden Freundlichkeit, mit der man einen kleinen Hund streichelt. Dann stand er auf, die Hände in den Taschen, die Pfeife im Mund, und schlenderte aus dem Zimmer.

Wie ein Schatten tauchte Robby hinter Lisa auf und beugte sich zu ihr nieder. Ich schaute in eine andere Richtung, aber ich spitzte die Ohren, um das Gespräch der beiden mitzubekommen.

»Haben Sie sich die Sache nun überlegt, Lisa?« fragte Robby leise.

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen!« verwahrte sich Lisa.

»Von meinem Angebot!«

»Dieses Thema ist doch wohl langsam totgeritten!«

»Haben Sie es sich überlegt?«

»Es … es ist bestimmt sehr freundlich von Ihnen, Robby … sehr ehrenvoll und das alles … aber …«

»Aber?«

»Robby! Ich habe es Ihnen schon hundertmal erklärt!«

»Sie könnten Jan Guntram damit schützen!«

»Ich glaube nicht, daß er einen Schutz braucht!«

»Vielleicht doch!« beharrte Robby.

Lisa lächelte freundlich zu ihm auf. »Was kümmert es den Mond, wenn ihn der Hund anbellt!« Sie sprang gewandt mit gekreuzten Beinen hoch und ließ sich dann auf der anderen Seite des Feuers zu Füßen von Helm Ritter nieder.

Ich hatte natürlich keine Ahnung, von was zwischen den beiden die Rede gewesen war, aber ich hatte begriffen, daß Robby wieder eine Abfuhr erlebt hatte, die zweite an diesem Abend.

»Robby, Brüderlein … Willst du nicht mit mir tanzen?« rief Marjorie ihm zu.

Robby gab keine Antwort, sondern zündete sich eine Zigarette an.

»Wenn Sie mit mir fürlieb nehmen wollen, Marjorie!« Dr. Sintesius verbeugte sich vor ihr.

»Wie lieb von Ihnen«, dankte sie vergnügt, »das hätte ich nicht zu hoffen gewagt!«

Jan Guntram war wieder ins Zimmer gekommen und ließ sich auf seinem alten Platz am Kamin nieder. Robby sah zu Florian hinüber und verließ das Zimmer. Zu meiner Überraschung folgte Florian ihm wenige Augenblicke später.

Niemand schien es aufgefallen zu sein, daß die beiden so kurz nacheinander verschwunden waren, aber das konnte doch kein Zufall sein. Ich grübelte und zerbrach mir den Kopf, was zwischen Robby und Florian vor sich gehen mochte.

Jan Guntram versuchte eine Unterhaltung über das künstlerische, beziehungsweise unkünstlerische Niveau des deutschen Films mit mir anzufangen, aber soviel mir zu jeder anderen Zeit an einem Gespräch mit ihm gelegen gewesen wäre, so konnte ich mich doch jetzt nicht darauf konzentrieren.

Marjorie und Dr. Sintesius tanzten immer noch miteinander, und ich konstatierte gedankenlos, daß Marjories Beine recht krumm waren. Dann bemerkte ich, daß Helm Ritter auf einmal sehr gesprächig geworden war; er unterhielt sich angeregt mit Lisa, die vor ihm am Boden hockte. Sieh an, Lisa, dachte ich, diese kleine graue Maus!

Aber ich nahm all das sozusagen nur mit halbem Auge und halbem Ohr wahr; meine ganze innere Aufmerksamkeit galt den beiden Männern, die den Raum verlassen hatten.

»Die beiden draußen haben sich ganz schön in der Wolle«, sagte Ftatateta plötzlich; sie hatte sich, ohne daß ich es gemerkt hatte, neben mir niedergelassen.

»Um was geht es …?« fragte ich.

Sie zuckte die Schulter. »Keine Ahnung.«

»Haben Sie nichts verstehen können?«

»Nur Gebrüll.«

Ich stand auf und ging in den Flur hinaus. Aus dem Badezimmer klang wirklich ein mörderisches Gebrüll.

»An Lump san S’ …,an ganz g’scherter!« schrie Florian.

Robby entgegnete etwas, das ich nicht verstehen konnte.

»Wann S’an Mann waren …«, tobte Florian.

Die Badezimmertür wurde aufgerissen, und Florian stürzte heraus. Er, der immer konziliante und sonnige, war zum Erschrecken verändert. Ich habe selten einen Menschen gesehen, dem die Wut so auf dem Gesicht geschrieben stand.

Robby, ein zynisches Lächeln um den Mund, verschwand im Wohnzimmer.

»Florian«, rief ich, »Florian! Was war denn?«

»Nichts, Muckerl, gar nichts«, wich er mir aus, fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn und versuchte zu lächeln. Dann faßte er mich unter den Arm und führte mich ins Wohnzimmer zurück.

»Gut, daß ihr kommt!« rief Cleo uns entgegen. »Wir wollen jetzt Blei gießen!«

Die silberne Dose

Подняться наверх