Читать книгу Ahoi, liebes Hausgespenst - Marie Louise Fischer - Страница 6
Der Tagesplan
ОглавлениеObwohl Monika in der Nacht so lange auf gewesen war, erwachte sie doch am nächsten Morgen sofort, als Ingrid Anstalten machte, aufzustehen. Sie hatte sich inzwischen daran gewöhnt, mit sehr wenig Schlaf auszukommen. Dafür war sie aber, seit Amadeus in ihr Leben getreten war, durch alle Aufregungen sehr dünn geworden, und ihre zarte Haut wirkte fast so durchscheinend wie die des Gespenstes.
Natürlich erzählte sie Ingrid gleich alles, was passiert war.
Zuerst kugelte sich die Freundin vor Lachen, dann sagte sie besorgt: „Amadeus wird immer frecher! Paß nur auf, daß er uns nicht unmöglich macht!“
Monika war dabei, sich das rote Haar zu kämmen. „Und wie, bitte, soll ich das tun?“ fragte sie.
„Du mußt ihm den Kopf zurechtsetzen!“
„Leichter gesagt als getan!“
Wenig später liefen sie nebeneinander zum Speisesaal, der auf dem gleichen Deck lag wie ihre Kabinen. Beide trugen einen ärmellosen Pulli, Monika zu Jeans, und Ingrid, die immer etwas feiner gekleidet war, zu einem weißen Faltenrock.
Norbert und seine Eltern saßen schon an einem der runden, weiß gedeckten Tische, und die beiden Mädchen begrüßten sie und setzten sich zu ihnen.
Monika verspürte plötzlich einen mächtigen Hunger. „Was kriegt man denn hier zu essen?“
„Alles, was dein Herz begehrt!“ erklärte Norbert.
Etwas verwundert sah Monika daraufhin auf das Steinsche Frühstück, das aus Brot, Butter, Marmelade, Tee und Kaffee bestand.
Frau Stein verstand ihren Blick. „Wir haben uns vorgenommen, genauso zu essen wie zu Hause … damit wir nicht dicker werden!“
Wie langweilig! hätte Monika beinahe gesagt, aber sie verbiß sich die Bemerkung, um Frau Stein nicht zu ärgern.
„Das ist nämlich die größte Gefahr auf einer Schiffsreise!“ fugte Herr Stein hinzu.
Jetzt konnte sich Monika aber beim besten Willen nicht mehr zurückhalten. „Du lieber Himmel!“ rief sie. „Und was ist mit Schiffbrüchen, Orkanen und Hurrikanen?!“
„Kommen höchst selten vor“, behauptete Herr Stein. „Und außerdem hat die Wassermann Stabilisatoren. Die werden bei hohem Seegang ausgefahren, so daß der Kreuzer dann nicht einmal ins Schaukeln kommt.“
„Klingt seht beruhigend!“ sagte Ingrid, die inzwischen die Frühstückskarte studiert hatte. „Ich nehme eine halbe Pampelmuse und Toast.“
Monika nahm ihr die Karte aus der Hand, und ihre grünen Augen wurden riesengroß, als sie die angebotenen Speisen sah. „Und ich auch eine Pampelmuse und dann … Spiegeleier mit Speck … und gebackene Leber!“ Sie ließ die Karte sinken und sah von einem zum anderen. „Oder findet ihr das unverschämt?“
„Man darf auf einem Schiff essen, soviel man will, das ist im Preis einkalkuliert“, erklärte Herr Stein.
„Und außerdem kannst du es dir erlauben“, fügte seine Frau gönnerhaft hinzu, „für dich wäre es ganz gut, wenn du ein bißchen mehr auf die Rippen bekämst.“
Der Steward – in Gedanken nannte Monika ihn immer noch „Ober“, sie mußte sich erst an die schiffsüblichen Bezeichnungen gewöhnen – lächelte nicht und staunte nicht, als Monika ihre Bestellung aufgab. „Und zu trinken?“ fragte er.
„Kakao!“ Sie las das kleine, silbern glänzende Schildchen auf seiner Jacke ab und sagte: „Bitte, Peter!“
Es schien ihn zu freuen, daß sie ihn beim Namen genannt hatte, denn jetzt lächelte er doch, bevor er enteilte. Er war ein magerer, flinker, dunkelhaariger Mann, den die kurze beige Jacke, die alle Stewards trugen, trefflich kleidete. Gleich darauf kam er mit den Pampelmusen zurück. Die Mädchen streuten sich tüchtig Zucker darüber und aßen mit gutem Appetit.
Die Steins waren schon mit Essen fertig, als er den Toast – in eine warme Serviette eingeschlagen – und eine heiße Silberschüssel mit Spiegeleiern und Speck für Monika brachte.
„Dürfen wir schon aufstehen?“ fragte Frau Stein höflich.
„Aber klar doch!“ erwiderte Monika erstaunt. „Sie brauchen auf uns doch keine Rücksicht zu nehmen!“
„Auf den Meeren herrscht die Freiheit!“ fügte Ingrid vergnügt hinzu.
„Ich bleibe“, erklärte Norbert.
So waren die drei dann wenig später allein am Tisch, und Ingrid berichtete von Monikas nächtlichem Abenteuer, während Monika selber voll beschäftigt war, ihre Mahlzeit zu bewältigen. Norbert und Ingrid kicherten und tuschelten miteinander.
„Ich finde, ihr könntet zur Abwechslung mal über was anderes lachen!“ sagte Monika und wischte sich den Mund ab.
„Über was zum Beispiel?“ wollte Norbert wissen.
„Na, gestern nachmittag, als sie uns in die Schwimmwesten verpackt haben, das war doch auch sehr komisch! Wie dein Vater sagte: ,Nicht nötig, ich kenne das schon! Ich bin schon oft zur See gefahren’ – und wie Simon erwiderte: ,Es ist mein Beruf, und ich mache die Übung jede Woche wieder!’“
Ingrid lachte laut, aber Norbert war es etwas peinlich, daß sie sich über seinen Vater lustig machten.
„Sei nicht böse, Norbert“, sagte Monika rasch, „Ich wollte niemanden beleidigen. Ich fand’s nur wirklich komisch, und ich sehe nicht ein, daß ihr immer meinen lieben Amadeus verspotten müßt.“
„Tun wir ja gar nicht!“ protestierte Ingrid. „Über ihn lachen wir nicht, sondern über diesen Brian …, der muß ja eine selten dämliche Figur gemacht haben!“
„Na ja“, sagte Monika, bevor sie sich über die gebratene Leber hermachte, die Peter ihr serviert hatte, „es ist eben ziemlich schwer, sich an den Umgang mit Gespenstern zu gewöhnen.“
Ingrid und Norbert warteten ungeduldig, bis Monika mit dem Essen fertig war, denn draußen war herrlicher Sonnenschein. Aber sie wollten sie doch auch nicht allein lassen.
„Was fangen wir heute an?“ fragte Norbert, „Wir bleiben den ganzen Tag auf hoher See.“
„Ingrid hat den Tagesplan eingesteckt“, sagte Monika mit vollem Mund.
„Den hab ich auch schon gesehen! Aber zeig her!“
Ingrid holte den Plan hervor, den sie zusammengefaltet und in ihren Rock gesteckt hatte, und überflog die ersten Zeilen. „Das haben wir schon hinter uns, also, wo fangen wir an … Um zehn Uhr wird Bouillon im Patio serviert.“
„Die werd’ich mir schenken“, verkündete Monika.
Norbert und Ingrid steckten die Köpfe über dem Tagesplan zusammen. „Unser Ausflugsbüro ist bis dreizehn Uhr auf dem Vela-Deck geöffnet …“, las Norbert.
„Das ist auf diesem Deck!“ warf Monika ein.
„… bitte, geben Sie Ausflugsbestellungen auf!“
„Nur für Haiti?“ fragte Ingrid. „Oder für alle anderen?“
„Das müssen wir Simon fragen!“ entschied Monika.
„Um elf Uhr fünfzehn“, las Norbert, „ist ein Einführungsgespräch über Cap Haitien in der Diskothek auf dem Dorado-Deck!“
„Sicher sehr lehrreich“, sagte Ingrid.
„Ein Stockwerk unter uns“, erklärte Monika.
„Sag mal, warum willst du unbedingt den Fremdenführer spielen?“ fragte Ingrid.
„Weil ich mich besser auskenne als ihr!“
„Angeberin!“ sagte Norbert.
„Wenn ihr es so seht! Na, bitte. Dann findet euch eben allein zurecht!“
„Gehen wir hin?“ fragte Ingrid.
„Ich bestimmt nicht! erklärte Monika. „Erstens habe ich nicht vor, in den Ferien auch noch zu lernen, und zweitens möchte ich mich bei so schönem Wetter nicht im Schiffsbauch verkriechen!“
„Wenn einer von uns geht, genügt das!“ meinte Norbert. „Das ist etwas für dich, Ingrid. Du bist die Schlaueste von uns und kannst uns nachher das Wichtigste erzählen.“
„Na schön“, stimmte Ingrid friedfertig zu.
„Dann gibt es noch das Mittagessen“, fuhr Norbert fort, „erste Sitzung um zwölf und zweite um dreizehn Uhr … und um zwölf ein Büfett im Patio für alle Passagiere, die ein schnelles Mittagessen vorziehen.“
„Da ich mich überzeugt habe, daß die Küche hier Spitze ist“, sagte Monika, „bin ich für ein richtiges Mittagessen. Bis ein Uhr, denke ich, kann ich es aushalten.“
„Ich weiß nicht“, sagte Norbert, „ich muß meine Eltern fragen. Außerdem muß man sich für das richtige Mittagessen bestimmt umziehen.“
„Ich ziehe mich ganz gern um“, erklärte Ingrid.
„Also essen wir beide um eins“, sagte Monika. „Das müssen wir gleich nachher dem Chief Steward sagen.“
„Wird gemacht“, erklärte sich Ingrid einverstanden.
„Hui!“ sagte Norbert. „Da sehe ich was, das ist das Richtige für mich! Tontaubenschießen in der Nähe vom Pool! Drei Schuß ein Dollar!“
„Wenn du dein Taschengeld verpulvern willst, von mir aus! Für mich ist das jedenfalls nichts! Was meinst du, Moni?“
„Verzichte dankend.“
Jetzt las Ingrid weiter: „Um fünfzehn Uhr treffen wir uns in der Belvedere-Bar …“
„Die liegt …“, entschlüpfte es Monika, aber sie hielt sich sogleich die Hand vor den Mund.
„Nun sag schon!“ drängte Norbert.
„Ihr wolltet doch nicht …“
„Mach dich nicht wichtig!“
„Die Belvedere-Bar liegt gleich vor dem Constellation Room! Und was ist da los?“
„Dort treffen wir uns zum Skat, Bridge und Backgammon!“ sagte Ingrid.
„Das ist nur was fur Erwachsene!“ meinte Norbert. „Weiter! Ein Film auf englisch in der Diskothek! Da gehen wir hin, ja?“
„Aber wir würden kein Wort verstehen!“ gab Monika zu bedenken.
„Macht doch nichts! Filme bestehen doch hauptsächlich aus Bildern!“
„Laßt uns das später entscheiden!“ schlug Ingrid vor.
„Dann haben wir noch eine Teestunde im Patio“, stellte Norbert fest, „und danach Bingo im Patio!“
„Was ist Bingo?“ fragte Monika.
„So ’ne Art Glücksspiel!“ erklärte Norbert. „Wir können ja malzuschauen.“
Damit waren die beiden Mädchen einverstanden.
„Jetzt kommt das Höchste!“ rief Norbert. „BegrüßungsCocktail des Kapitäns im Constellation Room! Da müssen wir selbstverständlich hin!“
Ingrid las: „Kleidungsvorschlag: elegant! Was ziehe ich an?“
„Du hast noch einen ganzen Tag Zeit, dir das zu überlegen“, sagte Norbert. „Ich jedenfalls werde mich in meinen weißen Cordsamtanzug werfen, den habe ich extra für solche Gelegenheiten gekriegt!“
„Na, hoffentlich erkennen wir dich dann noch wieder!“ Monika lachte.
„Wollen wir nicht endlich raus?“ drängte Ingrid.
„Nein, wartet, laßt uns das noch zu Ende studieren! Wir haben’s ja gleich!“ sagte Norbert. „Karibisches Abendessen, erste Sitzung um neunzehn Uhr, zweite Sitzung um zwanzig Uhr fünfundvierzig …“
„Das ist für mich entschieden zu spät!“ erklärte Monika.
„Für mich auch, also erste Sitzung! Sprich mit deinen Eltern drüber, Norbert!“
„War da nicht noch was mit Pferderennen?“ fragte Monika.
„Ja, um acht Uhr.“
„Könnt ihr euch etwas unter Pferderennen vorstellen? Auf einem Schiff?“
„Wer lebt, wird sehen“, erklärte Norbert lakonisch.
„Danach Tanzmusik mit der Calypso-Band“, las Ingrid weiter, und sie fügte hinzu: „Aber Calypso kann ich leider nicht tanzen.“
„Wer kann das schon!?“ meinte Monika. „Aber dafür gehen wir nachher in die Disko, ja?“
Norbert öffnete den Mund und schloß ihn wieder.
Ingrid seufzte. „Ich weiß, ich weiß, du mußt erst deine Eltern fragen!“
„Was kann ich denn dafür?!“
„Gar nichts!“ sagte Monika rasch. „Reg dich ab! Ich schlage vor, wir ziehen uns jetzt zum Baden um und sehen zu, daß wir an Deck kommen!“
Damit waren die beiden anderen einverstanden.
Ingrid faltete den Tagesplan wieder zusammen und steckte ihn in ihren Rockbund. „Jedenfalls“, sagte sie abschließend, „eins steht fest: langweilig kann es uns an Bord nicht werden!“