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Am nächsten Morgen war der Schrecken der Nacht fast vergessen.

Sie hatten sich geliebt, ungestümer als gewöhnlich, Eva gelöst vor Erleichterung. Sie hätte gern noch länger in seinen Armen gelegen, den Kopf an seiner Brust, um dem wilden Pochen seines Herzens zu lauschen. Aber er trieb sie hoch, denn er war begierig, die ersten Kritiken über die gestrige Premiere im Theater auf dem Ku’damm zu lesen.

Folgsam rappelte sie sich hoch, gönnte sich eine kurze Dusche und zog sich eine Garnitur frischer Wäsche, Jeans und ein T-Shirt über – obwohl sie nicht bei ihm wohnte oder gerade deshalb, bewahrte sie immer ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln in seinem Atelier. Als sie zurückkam, warf sie ihm einen Stoß Zeitungen auf die Bettdecke. »Da hast du! Frische Brötchen habe ich auch mitgebracht, mit Aufschnitt.«

»Gehört sich wohl auch so«, knurrte er und schlug als erstes Blatt die »Berliner Morgenpost« auf.

Sie schaltete eine Herdplatte an, setzte Wasser auf, verteilte Pulverkaffee in Tassen, Wurst, Schinken und Käse auf einen Teller und schüttete die Brötchen in einen kleinen Korb. »Lies mir vor, wenn du was findest!« bat sie. »Bloß eine ›Nachtkritik‹«, brummelte er enttäuscht, »hör dir das an! – ›Eine muntere Komödie, munter gespielt, mit vielen Gags und Pointen, die nicht immer sitzen. Mehr in der Montagsausgabe‹.«

»Das ist doch besser als gar nichts«, tröstete sie, »warte nur bis Montag. Da wirst du bestimmt erwähnt.«

»Erwähnt, erwähnt. Glaubst du, man spielt sich die Seele aus dem Leib, um nur erwähnt zu werden?«

»Reg dich nicht auf. Ich habe mich bloß falsch ausgedrückt. Das ist auch schon alles.«

»Wenn du dir eine präzisere Sprache angewöhnen könntest.«

»Du bist der Dichter, nicht ich.«

Fabian warf die »Morgenpost«, die er achtlos durchgeblättert hatte, zu Boden und nahm sich die nächste Zeitung vor.

Das Wasser kochte, der Kessel pfiff.

»Soll ich dir ein Tablett bringen?« fragte Eva. »Oder erhebst du dich?«

»Ich steh’ schon auf.«

Nackt und ganz ungeniert schwang er sich aus dem Bett und angelte mit den Füßen nach seinen ledernen Latschen. Eva gab vor, ihn nicht anzusehen, tat es aber doch. In ihren Augen besaß sein Körper die Schönheit einer Statue. Er war glatt und wirkte wie aus Elfenbein geschnitzt.

Fabian verschwand im Bad und kam gleich darauf in einem kurzen weißen Frotteemantel zurück. Eva goß heißes Wasser in die Tassen. Sie hatte auf dem modernen Tisch mit der Glasplatte gedeckt und die beiden Sessel herangezogen. Jetzt nahmen sie Platz.

Während er aß, beschäftigte Fabian sich weiter mit seinen Zeitungen. »Wieder nichts«, stellte er ärgerlich fest, »nicht mal ein Hinweis.«

Eva rührte in ihrer Kaffeetasse. Sie hätte ihn gern ermahnt, die Zeitungen nicht so zu zerknüllen, denn er würde sie später noch in Ruhe lesen wollen. Aber sie mochte nicht an ihm herumnörgeln. ›Ich jedenfalls werde sie ihm nicht neu zusammenfalten und glätten‹, schwor sie sich. Dabei wußte sie, daß sie es doch tun würde, wenn er sie bat.

Es klingelte an der Wohnungstür.

»Wer kann das sein?« fragte sie.

»Mach auf, dann wissen wir es«, erwiderte er, ohne von der Zeitung aufzuschauen.

»Besuch? Um diese Zeit?«

»So früh ist es bestimmt nicht mehr.«

»Aber du bist nicht einmal angezogen.

»Wen kümmert’s?«

»Mich bestimmt nicht«, behauptete sie, obwohl sie es innerlich doch unpassend fand, in dieser Situation Besuch hereinzulassen. Die Bettcouch war noch nicht gerichtet, Zeitungen lagen in chaotischem Durcheinander auf dem Boden, und Fabian war weder gekämmt noch rasiert.

Es klingelte wieder, diesmal anhaltender.

»Es ist bestimmt doch nur Gisela, die sich was ausborgen will«, redete Eva sich ein. Gisela war eine junge Malerin, die das Atelier gegenüber gemietet hatte.

Eva stand auf, rief: »Ich komm’ ja schon!« und riß mit einem Ruck die Tür auf. Sie sah sich zwei Polizisten in Uniform gegenüber und schnappte nach Luft.

Einer der beiden zückte ein schwarz gebundenes kleines Notizbuch, blätterte es auf und sagte: »Dies ist die Wohnung von Fabian Grundner.«

Eva wich keinen Schritt zur Seite und brachte keinen Ton heraus.

»Das hat doch seine Richtigkeit«, fügte der Polizeibeamte hinzu.

Eva nickte, blieb aber immer noch, wie schützend, in der offenen Tür stehen.

»Dann lassen Sie uns mal rein, Fräulein!«

»Im Moment …«, begann Eva.

»… wollen wir den Herrn sprechen«, erklärte der Polizist mit Entschiedenheit und schob sie sanft, aber energisch beiseite.

Sein Kollege folgte ihm. Beide waren sie jung, frisch rasiert, trugen saubere Uniformen und gut gebügelte Hemden. Eva spürte, wie ungünstig der Anblick der unaufgeräumten Wohnung, der zerstreuten und zerknüllten Zeitungsblätter und der zerwühlten Bettcouch auf sie wirken mußte. Sie schämte sich. Fabian kam ihr in seinem kurzen Bademantel, der nicht einmal die Knie bedeckte, sehr verletzlich vor.

Fabian aber hob nur indigniert die Augenbrauen. »Meine Herren«, fragte er in gelassenem Hochmut, »woher nehmen Sie das Recht, hier einzudringen?«

»Wir haben ein paar Fragen an Sie.«

»Ich bin gerne bereit, mich mit Ihnen zu unterhalten, aber nicht jetzt. Rufen Sie an, und wir werden einen Termin ausmachen.«

»Nun, da wir schon einmal hier sind …«

Fabian fiel dem Beamten ins Wort. »… können Sie gleich wieder gehen.«

Jetzt griff der andere Polizist, der bisher geschwiegen hatte, ein. »Das Auto unten im Hof mit dem Freiburger Kennzeichen gehört Ihnen, Herr Grundner.«

Fabian schwieg.

»Es ist in Freiburg zugelassen, und zwar auf den Namen Ihrer Mutter.«

»Elfriede Grundner«, las sein Kollege aus dem Notizbuch ab.

»Das weiß ich so gut wie Sie«, gab Fabian zurück. »Warum erzählen Sie mir das?«

»Es ist anzunehmen, daß Sie dieses Auto benutzen.«

»Hin und wieder«, sagte Fabian achselzuckend.

»Mit diesem Auto ist gestern nacht, genauer gesagt in den Morgenstunden, ein Fußgänger angefahren worden.«

Fabian setzte sich gerade. »Das ist mir allerdings neu.«

»Der Täter beging Fahrerflucht«, fuhr der Polizeibeamte unerbittlich fort.

»T, t, t«, machte Fabian, »so etwas tut man doch nicht.« Eva war starr. Konnte ein Mensch tatsächlich so unverfroren lügen? Oder war es möglich, daß er den nächtlichen Zwischenfall, den er nicht ernst genommen hatte, tatsächlich ganz vergessen hatte?

Ihr wurde schwach in den Knien, und sie hätte sich am liebsten gesetzt. Aber es erschien ihr unpassend, am Frühstückstisch oder auf dem Bett Platz zu nehmen, und eine andere Möglichkeit gab es nicht. Halt suchend lehnte sie sich gegen die Wand.

Die beiden Beamten fuhren mit ihrer Vernehmung fort, sehr ruhig, fast gleichgültig. Sie waren beide zwischen 20 und 30 Jahre alt, der, der am meisten fragte, mochte einige Jahre älter sein als der andere. Er trug das Haar kürzer geschnitten, während seinem Kollegen ein paar braune Locken auf den Hemdkragen fielen. Eva nahm ihre Züge nur verschwommen wahr; sie hätte keinen von ihnen auf der Straße wiedererkannt. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf Fabian gerichtet, der ihr, trotz seiner Kaltschnäuzigkeit, immer mehr wie ein in die Enge getriebenes Wild vorkam.

»Sie wollen das Auto in der vergangenen Nacht also gar nicht benutzt haben?«

»Sie haben es auf seinem üblichen Platz auf dem Hinterhof stehenlassen?«

»Es werden sich leicht Zeugen finden, die das Gegenteil beweisen können, Herr Grundner.«

Fabian fuhr auf. »Sie unterstellen mir da etwas, das ich nie behauptet habe! Ich bin gestern abend mit dem Auto in die Innenstadt gefahren. Ich hatte Premiere in einem Stück von Gilbert Warren. Am Kurfürstendamm.«

»Na, sehen Sie, Herr Grundner«, sagte der ältere Beamte mit gespielter Gutmütigkeit, »so kommen wir schon weiter. Anschließend an die Premiere kam es dann zu einer feucht-fröhlichen Feier.«

»Ja.«

»Sie waren also nicht ganz nüchtern, als es passierte?«

»Immerhin noch nüchtern genug, um an meiner eigenen Fahrtauglichkeit zu zweifeln.«

»Soll das heißen, Sie haben sich nicht selbst ans Steuer gesetzt?«

»Genau das.«

»Würden Sie dann, bitte, so freundlich sein, uns zu erklären, wie Sie nach Hause gekommen sind?«

»Und wie das Auto zurück in den Hof gelangt ist?«

Fabian sah Eva an. Niemals würde sie mit Sicherheit erfahren, ob er es mit Absicht tat. Jedenfalls folgten die Augen der Polizisten seinem Blick. Eine kurze Stille entstand, ein Schweigen, das in Evas Ohren rauschte.

»Ich«, sagte sie, »ich war es, die das Auto gefahren hat.« Ihr wurde schwarz vor Augen; sie spürte noch, wie sie an der Wand entlangrutschte, und dann nichts mehr.

Als sie wieder zu sich kam, hatte jemand ihr Kissen unter die Füße und ein nasses, kaltes Tuch auf die Stirn gelegt.

Die Gesichter der Beamten beugten sich wie runde, blasse Monde über sie, und sie hatte den Eindruck, auf dem Grund eines Brunnens zu liegen.

»Sie brauchen jetzt nichts mehr zu sagen, Fräulein«, erklärte der ältere der beiden, »Sie haben ein Geständnis abgelegt. Das genügt uns.«

»Nein, laß sie reden«, widersprach der jüngere, »das wird ihr guttun.«

Fabian drängte die Beamten beiseite, kniete sich neben sie, hob ihren Kopf und hielt ihr ein Glas Brandy an die Lippen. Sie nippte daran, rappelte sich auf und brachte sich in sitzende Stellung. Fabian führte ihr das Glas noch einmal zum Mund, und gehorsam nahm sie noch einen Schluck.

»Trink aus!« drängte er. »Es wird dir guttun.«

Sie nahm ihm das Glas aus der Hand, und er erhob sich aus seiner knienden Stellung.

»Ihre Personalien, bitte!« sagte der ältere Beamte. »Aber bleiben Sie ruhig sitzen.«

»Eva Maria Silbert«, erklärte sie mit rauher Stimme und zog die Beine unter sich zum Schneidersitz zusammen, »mein Führerschein ist in meiner Handtasche. Die kleine schwarze. Neben dem Herd.«

»Also, wie war’s?« fragte der jüngere der beiden Polizisten, hockte sich neben sie und nahm die Mütze ab. »Der Herr Grundner hat Sie also gebeten, ihn nach Hause zu fahren?«

Eva nickte.

»Und Sie hatten keine Bedenken? Ich meine, Sie waren doch sicher auch nicht mehr ganz nüchtern?«

»Ich hatte sehr viel weniger getrunken als er. Nur ein paar Gläser Wein.«

»Gut. Und dann? Sie müssen den Unfall doch bemerkt haben.«

»Nicht wirklich«, behauptete sie.

»Das müssen Sie uns schon näher erklären.«

»Es gab so etwas wie …« Sie suchte nach Worten. »… einen dumpfen Schlag gegen den rechten Kotflügel. Aber ich dachte nicht, daß wirklich etwas passiert wäre.«

Der Polizeibeamte richtete sich auf und sah Fabian an. »Und Sie, Herr Grundner? Was können Sie uns zu diesem Zwischenfall sagen?«

Gespannt wartete Eva, was er zu ihrer Entlastung vorbringen würde. Gegen alle Vernunft rechnete sie mit seiner Hilfe. Sie wußte, sein Einfallsreichtum kannte keine Grenzen.

Aber er zuckte nur die Achseln und erklärte leichthin: »Ich? Gar nichts. Ich habe tief und fest geschlafen. Fräulein Silbert mußte mich erst wecken, als sie den Wagen geparkt hatte. War es nicht so, Eva?«

Sie schwieg.

»Sie standen also vor der Entscheidung, sich um den Unfall zu kümmern oder Ihren Freund unbehelligt nach Hause zu bringen?«

Sein Kollege hatte inzwischen die Handtasche gefunden und prüfte Evas Führerschein. »Das geht zu weit, Gerd«, sagte er, »darüber muß das Gericht befinden. Sie werden verstehen, daß ich Ihren Führerschein einziehen muß, Fräulein Silbert.«

»Ja«, sagte Eva und versuchte aufzustehen, mühsam, das immer noch halbvolle Brandyglas in der Hand.

Der Polizist nahm es ihr ab und half ihr auf die Beine. »Das wär’s dann. Sie werden eine Vorladung bekommen.« Er stellte das Glas auf Fabians Schreibtisch ab und stülpte sich die Mütze auf die braunen Locken.

»Einen Augenblick noch, bitte!« rief Eva. »Was ist mit dem Verunglückten? Ihm oder ihr? Den ich angefahren haben soll, meine ich?«

»Seinen Papieren nach ein gewisser Titus Durchdenwald.«

»Seinen Papieren nach? Was heißt das?«

»Er war noch nicht ansprechbar«, sagte der Polizist, den sein Kollege Gerd genannt hatte.

Eine plötzliche Röte schoß in Evas bisher geisterhaft blasses Gesicht. »Aber er wird doch nicht … sterben?«

»Wir wollen’s nicht hoffen. Also dann. Gehen wir.«

Die Polizisten tippten sich an ihre Mützen und wandten sich zur Tür.

Eva lief ihnen nach. »Wo ist er? Wo kann ich ihn finden?«

»Man hat ihn ins Kreuzberger Krankenhaus gebracht.«

»Aber, wie gesagt, er ist noch nicht ansprechbar.«

Dann waren sie gegangen, und Eva und Fabian blieben allein zurück.

»Eine schöne Scheiße«, sagte Fabian aus tiefstem Herzen.

»Wir hätten anhalten sollen! Wir hätten …«

»Hör auf damit! Das nützt uns jetzt doch auch nichts mehr.«

Eva ging zum Schreibtisch und leerte das Glas. »Stimmt«, sagte sie nur. Sie begriff, daß es keinen Sinn hatte, sich selber oder gegenseitig Vorwürfe zu machen. Was geschehen war, war geschehen und ließ sich durch Worte nicht aus der Welt schaffen.

Sie begann den Tisch abzuräumen, hielt mitten drin inne und fragte: »Oder ißt du noch was?«

»Danke. Mir ist der Appetit vergangen.«

»Ich spüle das nur noch eben weg und bring’ die Couch in Ordnung. Dann muß ich nach Hause.«

»Ich weiß schon. Großer Putztag mit Tante Katrin.«

»Einmal in der Woche muß es sein«, verteidigte Eva sich mechanisch.

Es war durchaus nicht so, daß er sie ständig um sich haben mochte. Aber es ärgerte ihn immer wieder, wenn sie von sich aus nicht bei ihm bleiben wollte. Doch in dem einen Punkt blieb Eva ihm gegenüber fest: daß sie den Samstag ihrer Tante widmete, für die sie während der Woche meistens zu wenig Zeit hatte. Sie hatte der jüngeren Schwester ihres Vaters so viel zu verdanken. Tante Katrin war es gewesen, die sie zu sich geholt hatte, als sie, noch in der Pubertät, durch die ewigen Streitereien ihrer Eltern an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben worden war. Ohne das Eingreifen ihrer Tante, davon war sie auch heute noch überzeugt, wäre sie in der Klapsmühle gelandet. Sie war damals so weit gewesen, daß sie mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen hatte, in dem verzweifelten Versuch, nichts mehr hören und sehen zu müssen.

Sie war froh, als er sich ausnahmsweise nicht näher auf dieses Thema einließ; er mußte wohl spüren, daß er damit den Bogen überspannt hätte.

»Soll ich dich nach Hause bringen?« fragte er statt dessen.

»Danke. Sehr lieb von dir. Aber ich kann genausogut die U-Bahn nehmen.«

»Ganz, wie du willst.«

Mit leichter Verbitterung wurde ihr bewußt, daß er, der den Unfall verursacht hatte, in aller Seelenruhe weiter Auto fahren durfte, während es ihr jetzt und auf unabsehbare Zeit verwehrt war. Aber war sie denn wirklich ohne Schuld? Hätte sie ihn nicht zwingen müssen anzuhalten? Es war ihre verdammte Schwäche, die sie schuldig oder zumindest mitschuldig hatte werden lassen.

Hastig schaffte sie Ordnung. Dann rollte sie ihr kleines schwarzes Partykleid von der Nacht zuvor zusammen – dachte daran, daß sie es wohl niemals mehr ohne schwere Gedanken würde tragen können – und verstaute es mitsamt ihrer gebrauchten Wäsche und anderen persönlichen Utensilien in ihrem kleinen leichten Koffer aus Leinen und Leder. Sie nahm Geld aus ihrer Handtasche und legte sie in den Koffer.

Er hatte inzwischen weder Anstalten gemacht, ihr zu helfen, noch sich anzuziehen, sondern war unruhig auf und ab gegangen und ihr im Weg gewesen, während sie die Zeitungen eingesammelt und zusammengefügt hatte.

Als sie in ihren Mantel geschlüpft war, standen sie sich gegenüber.

»Also bis dann«, sagte sie.

»Bis dann«, wiederholte er.

Aber sie rührte sich nicht von der Stelle.

Sie wartete darauf, daß er sie bitten würde, die letzten Seiten seines Manuskriptes abzuschreiben. Aber er tat es nicht. Sie wußte, daß es klug gewesen wäre, jetzt einfach zu gehen. Doch sie brachte es nicht über sich.

»Bist du mit deinem Theaterstück weitergekommen?« fragte sie.

»Ja.«

»Das freut mich für dich.« Es kostete sie eine gewaltige Willensanstrengung, aber es gelang ihr, sich zur Tür zu wenden.

»Eva«, sagte er leise.

Wie erlöst drehte sie sich zu ihm um. »Ja?«

»Bist du denn nicht gespannt darauf, wie es weitergeht?«

›In meinem eigenen Leben gibt es Spannungen genug‹, hätte sie beinahe erklärt. Statt dessen sagte sie das, was er hören wollte: »Doch, natürlich. Darf ich es lesen?«

»Wenn du es mir abschreibst.«

»Tue ich das nicht immer?«

»Ja, das tust du.« Er ging zum Schreibtisch, öffnete die mittlere Schublade und nahm einen flachen Stapel beschriebenen Papiers heraus. »Du bist eine sehr brauchbare Person.«

»Brauchbare Person!« wiederholte sie mit Bitterkeit. »Ist das alles, was ich für dich bin?«

»Ich finde, das ist nicht wenig. Die meisten Menschen sind ja bloße Schwätzer. Wenn es darauf ankommt, versagen sie alle.«

Wollte er so seine Anerkennung dafür ausdrücken, daß sie die Schuld an der Unfallflucht auf sich genommen hatte? Sie meinte, daß sie einen herzlicheren Dank verdient hätte. »Für einen Dichter«, sagte sie, öffnete ihren Koffer noch einmal, legte die beschriebenen Blätter obenauf, »bist du verdammt wortkarg.«

»Gerade weil ich ein Dichter bin, hasse ich pompöses Gerede. Wer beruflich mit Worten jongliert, weiß, wie wohlfeil sie sind. Zwischen dir und mir bedarf es doch keiner großen Worte.«

Sie ließ das Schloß des Koffers zuschnappen und richtete sich auf. »Bist du sicher?«

»Ganz und gar.« Er legte den Arm um ihre Schultern und schob sie zur Tür. »Wann, meinst du, kannst du fertig sein?«

»Wenn ich mich dranhalte – bis morgen nachmittag.«

»Ich erwarte dich dann.«

Er entließ sie ohne Kuß. Fabian küßte nie. Er empfand, wie er behauptete, diese »Schleckerei« als unhygienisch.

Hörigkeit des Herzens

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