Читать книгу Liebe, gefährliches Spiel - Marie Louise Fischer - Страница 6
ОглавлениеAls das Mädchen gemeldet hatte, daß Christa sie zu sprechen wünschte, hatte Frau Landau im ersten Augenblick nichts als eine riesengroße Erleichterung gespürt. Christa lebte, sie war gesund, das schien ihr in diesem Augenblick das einzig Wichtige.
Aber schon während sie durch die Diele zur Haustür eilte, um ihre Tochter persönlich einzulassen – sie hatte das Mädchen auf ihr Zimmer geschickt –, schlug ihre Stimmung wieder um. Alles, was sie in Hamburg erlebt hatte, trat plötzlich greifbar vor ihr inneres Auge – Frau Anna Krannich und ihre zweideutigen Reden, das leere Tablettenröhrchen, Michael, barfuß, in Blue jeans, mit zerrauftem Haar in einer unaufgeräumten Bude.
In welchen Sumpf ist Christa da geraten, dachte sie, mein Gott, und jetzt soll ich die Verantwortung übernehmen, und niemand steht mir zur Seite! Jörg, ihr Mann, ist natürlich nicht da, und wer weiß, wann er nach Hause kommt. Er macht es sich leicht, indem er einfach alles von sich wegschiebt. Wenn er erfährt, was passiert ist, wird er bestimmt mir die Schuld geben. Ich habe ja immer für alles meinen Kopf hinhalten müssen, was in seinem Leben schiefgegangen ist. Und Christa ist genauso egoistisch wie ihr Vater. Wenn sie mir einmal im Monat schreibt, hat sie das Gefühl, mir ein wer weiß wie großes Opfer gebracht zu haben, aber jetzt, da sie in der Patsche sitzt, bin ich gut genug, ihr zu helfen.
Als sie Christa wenige Minuten später durch den Vorgarten auf das Haus zukommen sah, verstärkte sich ihr Zorn noch. Christas Gang, die Art, wie sie mit ihren langen Beinen elastisch ausschritt, erinnerte sie stark an ihren Vater; die gerade, stolze Haltung ihres Kopfes war für ihre Mutter fast eine Herausforderung.
Wenn sie Christa krank wiedergefunden hätte, elend, auf dem Krankenlager, dann hätte sie wahrscheinlich nichts als mütterliches Mitleid für sie empfunden. So aber glaubte sie zu fühlen, daß Christa ihre Situation nicht ernst genug nahm.
Keine der beiden Frauen vermochte ihre innere Zurückhaltung zu überwinden.
Sie umarmten sich, küßten sich auf beide Wangen, aber dennoch fiel diese Begrüßung eher förmlich als herzlich aus.
Christa zog ihren hellen Regenmantel aus und hängte ihn in die Garderobe.
Frau Landau musterte ihre schlanke Figur, die in Rock und Pullover vorteilhaft zur Geltung kam.
»Na, immerhin«, sagte sie, »man sieht dir noch nichts an!«
Christa fuhr herum, blutübergossen.
»Wie meinst du das, Mutti?«
»Du kannst dir deine Heimlichtuerei sparen«, sagte Frau Landau, »ich weiß alles. Ich war in Hamburg, und ich habe auch mit Michael gesprochen!«
Christa biß sich auf die Lippen.
»Dazu hattest du kein Recht!«
»Ich, deine Mutter, kein Recht!?«
»Du kannst mit mir schimpfen, ich habe es verdient. Aber auf Michael losgehen, das war einfach … gemein!«
»Soll das heißen, du liebst diesen Schnösel?«
»Michael ist ein lieber und anständiger Junge …«
»O ja! Abgesehen davon, daß er dir ein Kind gemacht hat. Das war vielleicht nicht ganz so anständig oder?«
»Es war meine Schuld!«
»Ach nein! Er hat wohl gar nicht gewußt, was er tat?«
»Mutti«, sagte Christa und strich sich mit einer heftigen Geste die braunen Locken aus der Stirn, »sprich nicht so. Damit machst du alles nur noch schlimmer. Du weißt genau, wie ich es meine. Ich bin einundzwanzig Jahre alt, und ich weiß, um was es geht. Ich hätte Michael nicht nachgeben dürfen.«
»Aber er… er durfte dich bedrängen, wie?«
»Ach Mutti«, sagte Christa müde, »das versucht doch jeder! Als Mädchen muß man einfach wissen, wie weit man gehen darf.«
»Ich danke dir für diesen sehr interessanten, kleinen Vortrag. Du konntest diesem verlotterten Bohemien also nicht widerstehen und nimmst die Verantwortung auf dich, ja?«
»Etwas anderes, Mutti, bleibt mir doch gar nicht übrig!«
»Nun, immerhin hätte er doch auf die Idee kommen können, diese Verantwortung mit dir zu teilen, wie?«
»Das wollte er ja. Er wollte mich heiraten.«
»Na und? Dann ist doch alles in bester Ordnung!«
»Michael ist zwanzig Jahre alt, Mutti, er muß sich sein ganzes Studium allein verdienen, er ist beim besten Willen nicht imstande, eine Familie zu gründen.« Ohne es zu wollen, hatte Christa einen Ton angenommen, in dem man einem sehr begriffsstutzigen Menschen etwas zu erklären pflegt, und dieser Ton war durchaus nicht dazu angetan, Frau Landau gnädiger zu stimmen.
»Der arme Junge!« sagte sie gereizt. »Erwartest du etwa, daß ich auch noch Mitleid mit ihm habe?«
»Nein. Ich kann nur nicht vertragen, wenn du ungerecht über Michael urteilst!«
»Ich höre wohl nicht recht! Du willst mir, deiner Mutter, diktieren, wie ich über deinen… deinen Liebhaber zu denken habe?«
»Mutti, bitte«, sagte Christa gequält, »so habe ich das doch nicht gemeint! Mach mir nicht alles noch schwerer!«
Aber Frau Elisabeth Landau war so leicht nicht zu bremsen.
»Du kommst hierher, weil du Hilfe brauchst, und statt zu bitten, stellst du Forderungen«, sagte sie aufgebracht, »statt dich zu schämen, trumpfst du auch noch auf! Nein, jetzt verstehe ich dich wirklich nicht mehr. Christa! Wir hätten dich niemals nach Hamburg lassen sollen. Du scheinst dort in eine sehr schlechte Gesellschaft geraten zu sein und jedes Gefühl für Anstand verloren zu haben!«
Christas braune Augen loderten auf, ihre Züge verhärteten sich.
»Entschuldige, Mutti, aber ich sehe ein, daß ich mich nicht an dich hätte wenden sollen. Tatsächlich habe ich auch gar nicht erwartet, daß du mir helfen oder mich auch nur verstehen würdest. Ich bin eigentlich nur gekommen, weil Beate mir sagte, daß du dir Sorgen um mich machst… jetzt sehe ich ein, daß auch das ein Fehler war!«
Sie wandte sich zur Garderobe, riß ihren Mantel vom Bügel und machte Anstalten, hineinzuschlüpfen.
»Christa«, rief Frau Landau, nun ernsthaft erschrocken, »du willst doch nicht schon wieder gehen?«
Christas weicher Mund verzog sich zu einem wehen Lächeln.
»Was bleibt mir denn anderes übrig? Ich sehe keinen Sinn darin, mich länger von dir beschimpfen zu lassen!«
Frau Landau nahm ihr den Mantel aus der Hand.
»Ach, Kind«, sagte sie, »warum bist du bloß so bockbeinig! Genau wie dein Vater! Keiner Einsicht fähig, immer bereit, die Schuld anderen zuzuschieben!«
»Das stimmt ja gar nicht, Mutti! Gerade das versuche ich dir ja die ganze Zeit klarzumachen… nur ich, ich allein bin schuld daran, daß ich in diese Situation geraten bin. Das gerade ist ja das Schreckliche!«
»Und was willst du jetzt tun?« fragte Frau Landau. »Wie, denkst du, soll es weitergehen?«
»Ich weiß es nicht, Mutti«, sagte Christa verzweifelt. »Ich weiß es wirklich nicht!«
Bisher hatte sie sich mit äußerster Anstrengung aufrecht gehalten, jetzt aber konnte sie nicht länger verhindern, daß ihr Tränen in die Augen traten.
»Mein armer Schatz«, sagte Frau Landau weich, »mein armer, armer Schatz!«
Sie zog Christa mit echter, mütterlicher Zärtlichkeit an ihr Herz.
»Weine dich nur aus, ich verstehe ja, wie schrecklich das alles für dich ist! Was mußt du durchgemacht haben! Aber jetzt bist du endlich wieder zu Hause, bei deiner Mutter, jetzt wird alles wieder gut. Komm mit mir in die Küche, ich werde dir etwas zu essen machen, und dann gehst du in dein Bett und schläfst dich erst einmal richtig aus. Morgen früh werden wir beide dann gemeinsam überlegen, was zu tun ist, ja?«
Christa hob ihr tränenüberströmtes Gesicht, zwang sich zu einem Lächeln.
»Tut mir leid, Mutti, daß ich vorhin so frech gewesen bin, aber… es ist alles einfach ein bißchen zuviel für mich!«
»Ich habe auch nicht gleich die richtigen Worte gefunden, Liebling, ich bin augenblicklich in keiner sehr guten Verfassung!«
»Was ist los mit Dir, Mutti? Bist du krank?«
»Nein, das nicht, du brauchst dir keine Gedanken über mich zu machen. Nur… das werde ich dir alles später einmal erzählen! Komm, du mußt zuallererst mal etwas essen!«
Christa wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen und zog die Nase hoch – Gesten, die seltsam kindlich wirkten und Frau Landau in die Zeit zurückversetzten, da ihre Tochter noch ein kleines Mädchen gewesen war, das zärtlich an ihr gehangen hatte.
»Da, nimm ein Taschentuch!« sagte sie.
Christa wischte sich die Tränen ab und putzte sich die Nase.
»Danke, Mutti!«
Frau Landau legte ihren Arm um die Schultern ihrer Tochter.
»Vielleicht ist es ganz gut, daß alles so gekommen ist, Christa«, sagte sie, »damit du begreifst, daß Eltern doch etwas mehr als lästige Anhängsel sind… daß die Mutter der einzige Mensch ist, auf den man sich verlassen kann, wenn es einmal ganz schlecht geht.«
Christa entschlüpfte ein kleiner zitternder Seufzer.
»Du bist sehr lieb, Mutti, nur… ich fürchte, du wirst mir auch nicht helfen können!«
»Warte es ab, wir werden beide die ganze Angelegenheit mal überschlafen, und morgen früh fällt uns dann schon etwas ein!«
»Ich werde alles tun, was du mir rätst«, versprach Christa, »nur eines muß ich dir gleich sagen…«
»Ja?«
»Ich werde mir das Kind nicht nehmen lassen. Ich will es zur Welt bringen, und ich will es behalten!«
»Aber ich dachte«, sagte Frau Landau, »du hättest in Hamburg versucht …«
Sie stockte mitten im Satz, weil sie sich scheute, die Dinge beim Namen zu nennen.
»Ich war verrückt«, sagte Christa, »ich muß verrückt gewesen sein. Aber inzwischen ist mir eines klar geworden: Man kann einen Fehler nicht durch ein Verbrechen ungeschehen machen. Ich will mein Kind behalten, und wenn ich mein Studium aufgeben und als Putzfrau arbeiten muß!«