Читать книгу Liebe, gefährliches Spiel - Marie Louise Fischer - Страница 8
ОглавлениеDirektor Grosser musterte seine Tochter mit jenem strengen Blick, der ihr noch von frühester Kindheit her nur zu gut bekannt war und unter dem sie sich auch heute noch sofort wie eine ertappte Sünderin zu fühlen begann.
Aber sie bezwang sich, seinem Blick standzuhalten, und es gelang ihr sogar, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.
»Hallo, Vater«, sagte sie, so unbefangen wie möglich. »Du wolltest mich sprechen, und schon bin ich da! Grenzt das nicht fast an Hexerei, wie?«
»Guten Tag, mein Kind«, sagte Direktor Grosser.
Er war ehrlich überrascht, seine Tochter zu sehen, und er begriff nicht, wie sie so schnell hatte kommen können – aber natürlich, sie mußte einen besonderen Grund gehabt haben, nach Bad Harsfeld zu kommen!
»Hast du dich mit Klaus Leonhardt getroffen?« fragte er.
»Ich? Wie käme ich denn dazu?«
Gisela setzte sich auf den Besucherstuhl gegenüber vom Schreibtisch. Sie wollte gerade ihre hübschen Beine übereinanderschlagen, besann sich aber noch rechtzeitig und stellte sie brav nebeneinander.
»Jedenfalls ist Klaus Leonhardt hier in der Stadt«, sagte Herr Grosser.
»Du bist schon der dritte Mensch, der mir das heute erzählt«, erwiderte Gisela sehr gefaßt, »aber eigentlich ist es doch keine solche Sensation, nicht wahr? Wir mußten doch damit rechnen, daß er vorzeitig entlassen werden würde!«
»Ich hatte nicht erwartet, ihn je wiederzusehen.«
Direktor Grosser beugte sich vor, legte die Fingerspitzen seiner knochigen Hände gegeneinander.
»Er war hier bei mir, Gisela… er hat mit mir gesprochen!«
Gisela gelang es prächtig, große erstaunte Kinderaugen zu machen.
»Was wollte er denn?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
»Eigentlich nicht – oder doch …«
Gisela legte den Finger an ihre kleine Stupsnase.
»… entweder wollte er seinen Sohn sehen, oder aber er hat noch einmal versucht, dich davon zu überzeugen, daß er nicht der Vater ist!«
Alfred Grossers schmales Gesicht wirkte plötzlich sehr müde.
»Gisela«, sagte er, »du weißt, daß ich immer Vertrauen zu dir gehabt habe.«
Gisela schwieg und sah ihren Vater erwartungsvoll an.
»Ich bin immer überzeugt gewesen, daß du außerstande wärest, zu lügen. Schließlich haben wir dich von kleinauf zu äußerster Wahrheitsliebe erzogen.«
»Das stimmt, Vater.«
»Aber heute… zum erstenmal …«
Direktor Grosser gelang es nicht länger, sich zu beherrschen.
»Entweder ist Klaus Leonhardt ein Wahnsinniger, oder du bist eine Meineidige!« brach es aus ihm heraus.
Gisela saß ganz ruhig da, nur ihre geballten Fäuste verrieten ihre unterdrückte Erregung.
»Ich habe ihn schon immer für ein bißchen schizophren gehalten«, erklärte sie kühl.
»Du behauptest also nach wie vor, daß er es war, der sich an dir vergangen hat?«
»Ich behaupte es nicht nur, sondern ich habe es ja auch vor Gericht bewiesen. Ich hatte Zeuginnen – wenn du dich erinnerst. Willst du wirklich diese ganze Geschichte jetzt noch einmal aufrollen? Ich dachte, ich hätte sie glücklich überstanden.«
»Nicht ich will das, Gisela, sondern Klaus Leonhardt«, sagte Direktor Grosser ernst. »Er will beweisen, daß Christoph nicht sein Sohn ist!«
»Na, dann bin ich aber mal gespannt, wie er das anstellen will!«
»Durch eine erbbiologische Untersuchung, soviel ich verstahden habe. Er behauptet, in seiner Familie hätte es noch nie Rothaarige gegeben, und …«
Jetzt, zum erstenmal, fiel Gisela ihm ins Wort.
»Aber, Vater«, sagte sie, »das ist doch geradezu lächerlich! Soviel weiß doch sogar ich von der Vererbungslehre, daß ein solches Merkmal Generationen überspringen kann… außerdem kann es sich auch um eine Mutation handeln, eine neue Eigenschaft, die ganz plötzlich auftritt… das haben wir doch alles in Biologie gelernt!«
»Gebe Gott, daß du recht hast!«
Gisela beugte sich vor.
»Du glaubst diesem Menschen also mehr als mir?«
Direktor Grosser legte die Hand vor die Augen.
»Ich weiß einfach nicht mehr, was ich denken soll! Auf alle Fälle wird er überall herumlaufen und Lügen über unsere Familie verbreiten, und wenn ich ihn verklage, spiele ich ihm damit nur in die Hände, denn dadurch würde die Vaterschaftsfrage noch einmal vor Gericht aufgerollt!«
»Dann verklage ihn eben nicht«, sagte Gisela, »laß ihn doch reden, was er will. Er schadet sich damit selber mindestens so sehr wie uns!«
»Es geht auch um das Kind, Gisela… ein solches Gerede kann tödlich für Christoph sein! Denke doch nur daran, daß er in drei Jahren in die Schule kommt. Seine Kameraden werden es ihn entgelten lassen. Kleine Jungen können so bösartig sein!«
Gisela wurde blaß, ihre leuchtenden, blauen Augen wirkten plötzlich unnatürlich dunkel, das Lächeln auf ihren Lippen gefror.
»Ich weiß, daß du dein Kind liebst«, sagte Direktor Grosser, »und ich rechne dir das hoch an… im Hinblick auf die Umstände, unter denen du es empfangen hast …«
»Danke«, sagte Gisela mit steifen Lippen.
»Deshalb wirst du auch einsehen, daß Christoph fort muß!«
»Wohin?«
»In ein Heim. Besser noch… wir geben ihn zur Adoption frei!«
Einen Augenblick lang verhielt Gisela sich ganz still, dann, als hätte sie jetzt erst die ganze Tragweite dieser Eröffnung begriffen, sprang sie auf.
»Niemals, Vater! Das werde ich nicht zulassen!«
»Gisela, laß diesen Ton!« sagte Direktor Grosser streng. »Vergiß nicht, daß ich dein Vater bin …«
»Du bist nicht nur mein Vater, du bist auch Christophs Großvater!« rief Gisela erregt. »Du kannst und darfst den Jungen nicht verstoßen, ihn fremden Menschen überlassen, nur weil du einen Skandal fürchtest!«
»Den Skandal, mein Kind, habe ich schon durchgestanden – und wie mir scheint, in guter Haltung. Andere Eltern hätten sich von ihrer Tochter losgesagt, hätten sie in ein Erziehungsheim gesteckt… du hast allen Grund, dankbar und vernünftig zu sein.«
»Wenn ich andere Eltern gehabt hätte, wäre das alles wahrscheinlich gar nicht passiert!« platzte Gisela heraus.
»Sehr interessant«, sagte Direktor Grosser kalt, »würdest du so gut sein, diese ungeheuerliche Behauptung etwas zu präzisieren?«
Gisela begriff, daß sie zu weit gegangen war.
»So geht es immer«, murmelte sie, »nie gelingt es mir, dir meinen Standpunkt klarzumachen. Immer schaffst du es, daß ich mich ins Unrecht setze.«
»Weil du im Unrecht bist.«
Gisela nahm allen Mut zusammen.
»Nein, das ist nicht wahr, Vater«, sagte sie, »ich habe es jahrelang mit mir herumgetragen, aber jetzt muß es heraus. Du bildest dir ein, daß du mich prächtig erzogen hast. Aber das Wichtigste hast du bei deinem ausgeklügelten pädagogischen Plan vergessen. Verständnis und Liebe.«
Direktor Grosser lachte böse auf.
»Das wird ja immer schöner. Du wirfst uns vor, daß wir es dir, unserer einzigen Tochter gegenüber, an Liebe hätten mangeln lassen? Ja, wen sollen wir denn sonst noch auf der Welt lieben – außer dir?«
»Jedenfalls habt ihr es mir nie gezeigt. Ihr habt mir immer nur befohlen, und ich habe gehorchen müssen. Ich bin niemals aufgeklärt worden, und niemals habe ich über meine Wünsche, meine Sorgen, meine Hoffnungen… über die ganze maßlose Verwirrung, in der ich damals steckte… mit euch reden dürfen. Weder mit Mutter noch mit dir.«
»Kurzum, wir sind schuld, daß du ein Kind bekommen hast – wir, deine Eltern!«
Der Spott ihres Vaters schien an Gisela abzugleiten.
»Ihr seid mit verantwortlich«, sagte sie ernst, »ich war ja damals noch ein Kind. Und ihr seid heute auch mitverantwortlich für Christophs Schicksal. Ihr könnt ihn jetzt nicht einfach fortgeben wie einen zugelaufenen Pudel, der euch lästig geworden ist!«
»Gisela, bitte mäßige dich«, sagte Direktor Grosser unangenehm berührt, »was ist denn das für ein Vergleich! Der Junge ist mir in keiner Weise lästig …«
»Doch! Weil er dich immer wieder an das erinnert, was deiner behüteten Tochter passiert ist!«
Direktor Grosser zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb.
»Du tust mir Unrecht, Gisela«, sagte er gepreßt, »ich habe es Christoph nie entgelten lassen, daß er ein außereheliches, ein unerwünschte Kind ist! Ich habe mich mit aller Kraft bemüht, ihm ein guter Großvater zu sein.«
Gisela ließ sich wieder auf den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch sinken.
»Ja, du hast dich bemüht«, sagte sie müde, »du bist ein Ehrenmann und tust immer das, was du für deine Pflicht hältst. Aber du hast Christoph eben doch nicht wirklich lieb. Zur Liebe kann man sich nicht zwingen. Sonst wärst du nie auf die Idee gekommen, ihn fortzugeben.«
»Ich habe doch nur das Beste für den Jungen im Auge!
Hier in Bad Harsfeld wird er, allein durch seine Herkunft, immer ein Außenseiter bleiben …«
»O ja«, fiel ihm Gisela ins Wort, »in einem Heim wäre er unter seinesgleichen, einer mehr in einem Haufen unerwünschter, ungeliebter, zur Einsamkeit verurteilter Kinder!«
In ihrer Stimme war eine ganz ungewohnte Bitterkeit.
»Das Heim wäre ja nur eine Übergangslösung«, sagte Direktor Grosser, »Christoph ist ein hübscher, gesunder Junge, die Erbanlagen seiner Eltern sind in Ordnung. Bestimmt würde das Jugendamt rasch Adoptiveltern für ihn finden. Widersprich mir nicht gleich wieder, Gisela, sondern höre mich erst einmal in Ruhe an! Wenn der Junge erst adoptiert ist, kann Klaus Leonhardt dir nichts mehr anhaben! Er will das Kind benutzen, um zu beweisen, daß er nicht der Vater ist… aber wenn Christoph erst adoptiert ist, da… dann ist es genauso, als existierte er gar nicht mehr. Jedenfalls für Klaus Leonhardt …«
»Und für mich, Vater! Aber ich lasse mir meinen Jungen nicht nehmen, ich lasse mich auch nicht einschüchtern… weder von dir noch von Klaus Leonhardt! Er ist mein Kind, ich habe ihn geboren, er gehört mir und nur mir. Du hast kein Recht, über sein Schicksal zu verfügen, Vater!«
»Aber ich habe die Pflicht, für ihn zu sorgen, nicht wahr?«
Gisela erhob sich langsam und sah auf ihren Vater herab. Es war, als wäre sie in dieser Stunde um einen Kopf gewachsen. Zum erstenmal wurde es Direktor Grosser bewußt, daß sie kein unreifes Mädchen mehr war, sondern eine sehr entschlossene junge Frau.
»Auch das nicht mehr, Vater. Ich nehme Christoph mit nach Garmisch.«
»Das kannst du nicht!«
»Was wird mich daran hindern? Etwa du, Vater? Warum solltest du? Du bist doch im tiefsten Inneren froh, wenn du ihn nicht mehr zu sehen brauchst!«
»Du bist außerstande, für ihn zu sorgen! Wieviel verdienst du überhaupt?«
»Genug, daß Christoph und ich nicht zu verhungern brauchen.«
»Und wo soll Christoph wohnen? Etwa mit dir auf dem möblierten Zimmer?«
»Sehr lieb von dir, daß du dir darüber Gedanken machst, aber das laß nur meine Sorge sein, Vater!«
Auch Direktor Grosser stand auf.
»Du spekulierst auf meine und Mutters Gutmütigkeit«, sagte er, »aber diesmal gehst du zu Weit. Wenn du wirklich entschlossen bist, deinen Willen durchzusetzen …«
»Das bin ich, Vater!«
»… dann geschieht das gegen meinen ausdrücklichen Befehl und unter meiner äußersten Mißbilligung. Du hast keine wie auch immer geartete Unterstützung mehr von uns zu erwarten, Gisela!«
Gisela zuckte die hübschen Schultern.
»Das ist schade, macht aber nichts.«
»Willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen?«
»Tut mir leid. Ich kann Christoph nicht hergeben.«
»Er wird dich eines Tages verfluchen, wie ich dich jetzt verfluche, Gisela! Wenn du dies Haus mit deinem Jungen verläßt, dann haben wir keine Tochter mehr… und auch keinen Enkelsohn!«
Gisela verbarg ihre Betroffenheit unter einem frechen Lächeln.
»Was eine große Erleichterung für dich sein dürfte, Vater!«
Sie riß wütend die Tür auf. Ihre Mutter machte sich draußen auf dem düsteren, kleinen Flur zu schaffen.
»Ich nehme an, daß du alles mitgehört hast, Mutti«, sagte Gisela, »ich brauche dir also nichts mehr zu erklären. Willst du mir helfen, Christophs Sachen zusammenzupacken! Oder ist auch das zuviel verlangt?«
»Gisela, bitte, nimm doch Vernunft an! Vater hat es gar nicht so gemeint! Du hast ihn schrecklich beleidigt! Bitte ihn um Verzeihung, und alles ist gut!«
Eine Sekunde lang wurde Gisela in ihrem Entschluß schwankend.
»Und Christoph bleibt hier? Bei euch? Und kommt nicht in ein Heim? Und schon gar nicht zu Adoptiveltern?«
Frau Grosser öffnete den Mund zu einer Entgegnung, aber sie brachte kein Wort hervor.
Gisela begriff, was dieses Schweigen zu bedeuten hatte.
»Du kannst es mir also auch nicht garantieren, Mutti… ich danke dir, daß du wenigstens ehrlich bist!«
Sie ging mit großen Schritten auf das Kinderzimmer zu. Ihre Mutter hastete hinter ihr her.
»Gisela«, bat sie, »denk doch auch an den Jungen! Für ihn wäre es sicher das Beste, in geordneten Familienverhältnissen aufzuwachsen …«
»Ich bin da anderer Meinung«, sagte Gisela, »auch die besten Adoptiveltern können die eigene Mutter nicht ersetzen, auch wenn die Mutter arm ist und ohne Schutz und Hilfe in der Welt steht. Christoph gehört zu mir.«
»Du hast nicht immer so gedacht«, sagte Frau Grosser, »sonst hättest du uns den Jungen ja nicht drei Jahre lang überlassen! Gib doch zu, du bist jetzt aufgeregt, du steigerst dich da in etwas hinein, nur weil du dich über deinen Vater geärgert hast!«
Gisela blieb stehen und sah ihre Mutter an.
»Wie wenig du mich kennst! Seit Christoph auf der Welt ist, habe ich nur auf den Tag gewartet, an dem ich ihn endlich zu mir nehmen könnte! Unsinn! Heute weiß ich, daß eines wichtig ist… nämlich, daß wir beide zusammen sind, mein kleiner Junge und ich. Dann wird uns nichts und niemand etwas anhaben können!«
Sie öffnete die Türe zum Kinderzimmer.
»Nicht schlafen, Chris«, rief sie fröhlich, »schlafen kannst du später im Zug! Wir fahren mit der Puff-puff-Eisenbahn! Weit weg, deine Mammi und du! Und wir werden immer, immer zusammenbleiben!«
Sie hob den schläfrigen Jungen aus dem Bettchen und drückte ihn fest an ihr Herz.
»Nicht traurig sein, Goldschatz«, flüsterte sie. »es wird alles gut werden, und wir werden sehr sehr glücklich sein!«