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Was nun?

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Dennoch blieb Monika bei allem ein flaues Gefühl in der Magengrube. Wie würde Amadeus sich verhalten, wenn er es erfuhr? Als der Tag des Abflugs näherrückte, wuchs ihre Hoffnung, sich heimlich, still und leise davonstehlen zu können, ohne daß Amadeus etwas davon merkte. Aber sie wußte sehr gut, daß sie sich damit nur selber etwas vormachte.

Ihre bösen Ahnungen trogen sie nicht. Eines Nachts erwachte sie, weil sie fror. Sie hatte das schon so oft erlebt, daß sie sofort wußte, was geschehen war: Amadeus hatte ihr die Bettdecke weggezogen.

Sie rieb sich die Augen und gähnte herzhaft. „Ach, du bist es! Ich muß schon sagen: Du hast dich aber lange nicht mehr blicken lassen!“ Monika angelte nach der Decke, richtete sich zum Sitzen auf und stopfte sich das Kopfkissen in den Rücken; sie wußte, daß dies eine längere Unterhaltung werden würde.

Amadeus, das Gespenst, hatte den zierlichen Sessel, der sonst vor dem Schreibtisch stand, zum Bett hin umgedreht. Dort saß er nun, durchscheinend, sehr hübsch und von innen leuchtend. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen. Seine blauen, seidig schimmernden Hosen trug er unter den Knien gebunden, dazu weiße Zwirnstrümpfe und schwarze Schuhe mit großen Silberschnallen. „Ich hatte zu tun“, erklärte er herablassend.

„Du?“ fragte Monika erstaunt. – Bisher hatte Amadeus sich immer als ein Müßiggänger ersten Ranges erwiesen, der, obwohl unheimlich stark, für keine wie immer geartete Arbeit zu interessieren war.

Amadeus stützte sehr elegant einen Ellbogen auf sein Knie und das Kinn in die Hand. „Du erinnerst dich an den hohlklingenden Stein im Keller der Schloßruine, n’est-ce pas?“ – Amadeus ließ mit Vorliebe französische Floskeln in seine Unterhaltung fließen, weil dies in der Zeit, da der echte Amadeus gelebt hatte, als vornehm gegolten hatte.

Monika ließ sich davon nicht beirren. „Natürlich, ja“, sagte sie.

„Ich habe ihn untersucht!“ Das Gespenst brachte das mit einem solchen Ausdruck blasierten Stolzes heraus, als hätte es eine Heldentat vollbracht.

„Na und?“ fragte Monika wenig beeindruckt, denn sie war im Augenblick durchaus nicht an altem Gemäuer und seinen Geheimnissen interessiert.

„Du wirst schon sehen!“

„Wann?“

„Um Mitternacht bei Vollmond…“

Monika mochte Amadeus, der trotz all seiner Eigenheiten doch immerhin ihr Freund war, nicht länger etwas vormachen. „Dann bin ich gar nicht mehr da!“ platzte sie heraus.

Diese Erklärung traf Amadeus hart; er begann zu flackern. „Monique!“ rief er – wie immer benutzte er die französische Form ihres Namens. „Was soll das heißen?“

„Bitte, reg dich nicht auf, Amadeus, es ist nur halb so wichtig. Ich verreise bloß.“

Amadeus sprang auf. Monika hatte ihn noch nie so aufgebracht gesehen. Seine weit auseinander stehenden blauen Augen funkelten, und von seinem durchscheinenden hellen Körper gingen Blitze aus, die das Zimmer unheimlich hell erleuchteten. „Das darfst du nicht!“

Monika hatte Mühe, ihre Fassung zu bewahren. „Du kannst es mir nicht verbieten“, sagte sie mit fester Stimme, „und du kannst mich auch nicht daran hindern.“

„Mit wem soll ich dann sprechen? Wer wird sich um mich kümmern?“

Amadeus sank wieder auf den Stuhl zurück, aber seine Haltung hatte die elegante Lässigkeit eingebüßt; er saß da wie ein Häufchen Elend.

„Mutti wird sich deiner annehmen“, sagte Monika, „oder Liane…“

„Aber die mögen mich doch beide nicht.“

„Ich werde ihnen gut zureden.“

„Nein“, sagte Amadeus, „nein, und wenn sie noch so nett zu mir wären… das ist nicht dasselbe.“

„Das weiß ich ja, Amadeus… aber es ist doch nur für vierzehn Tage. Ich habe die Reise gewonnen, verstehst du, in einem Preisausschreiben…“

„Was ist das?“

Monika überlegte, wie sie es Amadeus am einfachsten erklären konnte. „Man muß ein Rätsel lösen…“

„Ja, das kenne ich.“

„Und unter denen, denen das gelungen ist, wird etwas verlost… es findet eine Art Tombola statt… eine Lotterie…“

Amadeus nickte, zum Zeichen, daß er verstanden hatte. „J’ai compris.“

„Es ist ein Glücksfall, Amadeus… ein ungeheurer Glücksfall! Du wirst mir mein Glück doch nicht vermasseln wollen?“

Es schien so, als würde Amadeus mit sich reden lassen. „Wohin soll die Reise denn gehen?“

Mit Begeisterung war Monika bereit, über ihr Lieblingsthema zu reden. „Zuerst fahren wir mit dem Auto nach München… wir, das sind Ingrid und ich, aber Norbert und seine Eltern kommen auch mit… von dort fliegen wir nach Frankfurt…“

Amadeus lachte. „Du willst fliegen? Wo hast du denn deine Flügel?“

„Das Flugzeug hat Flügel, Amadeus!“

„Flugzeug, was ist das?“

„Ach, du hast bestimmt schon welche gesehen. Guckst du denn nie zum Himmel? Diese großen, silbriggrauen Dinger mit den Flügeln und den stumpfen Nasen…“

„Jetzt weiß ich!“ rief Amadeus. „Flugzeuge sind das also! Aber… sie flattern ja gar nicht mit ihren Flügeln.“

„Nein, das tun sie nicht.“

„Wie kommen sie dann vom Boden? Sind sie so leicht, daß der Wind sie hebt? Wie welke Blätter?“

Monika runzelte die Stirn. „Nein, Amadeus, soviel ich weiß, sind sie sogar sehr schwer. Es haben ja auch Hunderte von Menschen in einem Flugzeug Platz. Sie haben sehr starke Motoren… viel stärkere als Autos. Autos kennst du doch.“

„Quand même… ich verstehe nicht, wie sie in die Luft kommen.“

„Sie haben Düsen…“

„Qu’est-ce que c’est?“

Jetzt mußte Monika noch schärfer nachdenken. „Verengungen eines Strömungskanals. Durch die kann man Druckenergie in Geschwindigkeitsenergie umwandeln.“

„Aber durch Geschwindigkeit kommt so ein Ding doch nicht nach oben!“

Monika kratzte sich am Kopf. „Du hast ja recht, Amadeus, es ist wirklich höchst eigenartig, wie diese schweren Dinger so hoch in die Luft kommen. Sie fliegen sogar meist über der Wolkendecke… aber erklären kann ich es dir leider nicht. Das ist ein Wunder, ein technisches Wunder… wie Telefon, Radio, Fernsehen und all das…“

„Ach so“, sagte Amadeus, und damit war zum Glück sein Interesse an diesem Thema erloschen, „ich kann auch ohne Düsen fliegen.“

„Ja, ich weiß“, sagte Monika, „und wie gut.“

„Wenn du fliegen willst, warum fliegst du dann nicht einfach mit mir?“

„Ich will ja nicht nur fliegen, Amadeus, sondern eine richtige Reise machen. Von Frankfurt fliegen wir ja noch weiter… bis nach Nassau!“

„Was ist das?“ fragte Amadeus völlig verständnislos.

„Du solltest lieber fragen: ‚Wo liegt Nassau?“ verbesserte Monika und gab gleich selber die Antwort: „Nassau ist die Hauptstadt der Bahamas… es liegt an der Nordküste der Insel New Providence.“ Sie war gut orientiert, denn sie hatte eine Menge Prospekte über ihre Reise bekommen, die sie eifrig studiert hatte. „Unter den Bahamas versteht man eine Kette von etwa siebenhundert Inseln und über zweitausend Korallenbänken und Felsen. Sie liegen im Atlantischen Ozean, wenn du dir darunter etwas vorstellen kannst, der Ostküste Floridas und der Nordküste Kubas vorgelagert. Bis in das Karibische Meer erstrecken sie sich.“

Amadeus flackerte. „Aber dann willst du ja… ans Ende der Welt!“

Monika lachte. „In der Karibik ist die Welt noch lange nicht zu Ende, und außerdem…“ Aber sie kam nicht dazu, weiterzusprechen.

Es war, als würde Amadeus sich von innen aufblähen. Wie der bekannte Geist aus der Flasche wurde er riesengroß, so daß sein Kopf die Zimmerdecke berührte und seine Brust entsetzlich anschwoll. „Das darfst du nicht!“ brüllte er mit dröhnender Stimme.

Monika, die im allgemeinen keine Angst vor dem Hausgespenst hatte, sträubten sich die Nackenhaare. „Aber Amadeus …“, sagte sie hilflos.

„Ich verbiete es dir!“ dröhnte er, und dann zerplatzte er mit einem ungeheuren Knall in tausend blitzende Funken.

Der Knall war so gewaltig gewesen, daß das Haus erbebt war. Erschrocken stürzten Vater, Mutter, Liane und Peter in Monikas Zimmer. Kaspar, der bernhardinerartige Hund, der die Nächte draußen zu verbringen pflegte, stimmte ein klägliches Jaulen an.

Der Vater knipste das Licht an, und die Familie sah auf Monika, die sehr klein, blaß und verängstigt am Kopfende des Bettes saß.

„Gott sei Dank, dir ist nichts geschehen!“ Frau Schmidt lief zu Monika und nahm sie in ihre Arme.

„Amadeus, nicht wahr?“ fragte Herr Schmidt.

Monika konnte nur stumm nicken, der Hals war ihr wie zugeschnürt.

„Dem werd ich es noch geben!“ Peter fuchtelte mit der rechten Faust in der Luft.

„Es ist nicht zum Aushalten!“ Liane drehte sich um und rannte in ihr Zimmer, dessen Tür sie heftig ins Schloß warf.

Wie ein Echo darauf wurde eine zweite Tür zugeschlagen, eine dritte, eine vierte – alle Türen im Haus gingen erst auf und krachten dann zu, auch die von Monikas Zimmer.

„So hat er sich aber seit langem nicht mehr aufgeführt“, sagte Herr Schmidt mit bemerkenswerter Ruhe.

Monika brach in Tränen aus. „Er… er will nicht, daß ich… verreise“, stammelte sie.

Frau Schmidt blickte, Monika im Arm, zu ihrem Mann auf. „Ja, was machen wir denn da?“

„Zuerst einmal, schlage ich vor, legen wir uns schlafen.“

Aber das war leichter gesagt als getan. An Schlaf war in dieser Nacht kaum zu denken. Das Gespenst krachte und toste durch das Haus wie in seinen schlimmsten Zeiten.

Komm mit mir, liebes Hausgespenst

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