Читать книгу Mrs. Jones and me - Marie Lu Pera - Страница 3
Das Kollektiv
ОглавлениеAlles ist unendlich weit weg. Meine lauten Atemgeräusche vernehme ich, als wenn mir jemand die Ohren zuhalten würde. Ich spüre meinen Körper nicht mehr. Es fühlt sich so an, als würde ich fallen.
Dumpfe Schmerzen an meiner Wange lassen mich einen verschwommenen Punkt vor mir fixieren. Ich blinzle irritiert.
Langsam erkenne ich Noah, der mich ohrfeigt. Er ist über mich gebeugt und bewegt die Lippen, ich verstehe aber nicht, was er sagt.
Dieser Freak hätte mich fast umgebracht – die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag in meine Magengrube. Mir wird speiübel und ich verliere das Bewusstsein.
„… wach ist … nicht bereit …“ Ich öffne die Augen. Hey, wie lange war ich weg?
Da ist nur Schmerz, der in Wellen durch meinen Körper jagt und ich muss husten, was die ganze Sache nicht besser macht.
Grüne Augen mustern mich besorgt – verdammt, dieser abartige Psycho ist ja immer noch da. Was kommt als Nächstes? Werde ich jetzt geteert und gefedert? Hm, okay, also jetzt hab ich wirklich den Verstand verloren. Er bringt mich fast um und mir ist noch nach Scherzen zumute.
„Wie fühlst du dich?“ Ist das jetzt sein Ernst?
Mehr als ein heiseres Flüstern schaffe ich nicht: „Als hätte jemand versucht, mich zu ertränken.“ Ist doch so, was kuckst du so blöd?
Ich schließe die Augen und rolle mich auf die Seite. Autsch, meine Lunge brennt wie Feuer. Das zahl ich dir heim, du Arschloch. Du kannst dich auf was gefasst machen. Mit meinen Füßen voran schlüpfe ich aus der Decke und versuche, mich aufzurichten.
Seine Hand greift nach meiner Schulter, die ich ihm ruckartig entziehe, während ich ihn böse anfunkle. Dass er es wagt, mich zu berühren.
Er ignoriert meine Körpersprache – baut sich stattdessen vor mir auf, sodass sein Schatten auf mich fällt.
Schon allein das Aufsetzen war anstrengend. Meine Füße berühren den Boden. Nach und nach belaste ich sie.
Ich unterdrücke ein Stöhnen – ich muss ihm zeigen, dass ich stark bin, sonst hat er gewonnen. Außerdem muss ich schleunigst aus dem Bett raus. Wer weiß, auf was für abartige Gedanken er sonst noch kommt.
Das ging ja gar nicht mal so schlecht – zumindest bin ich jetzt mit ihm „fast“ auf Augenhöhe. Der Blick, den er mir jetzt zuwirft, löst akute Angst aus. Das ist so eine aufgesetzte Nettigkeit, die mich erschaudern lässt.
Und als ob das nicht schon Qual genug wäre, streichelt seine Hand über meine Wange. Instinktiv schlage ich seinen Arm weg. Dabei ich schwanke bedrohlich. Was fällt dir ein, du „Psycho“. Ups, hab ich das laut gesagt?
Schlagartig steht wieder die Arroganz in Person vor mir.
„Zieh dich um. Ich erwarte dich unten“, schleudert er mir an den Kopf und schlägt die Tür hinter sich zu.
Okay, geht das auch ohne Befehlston? Stimmt, ich bin ja seine Gefangene. Toll.
Ich tue, wonach er verlangt, denn ich habe keine Lust, mich wieder mit seinem Bulldozer anzulegen, der wenig später ins Zimmer poltert und mir das obligate „Mitkommen“ an die Birne knallt.
Mir ist immer noch schwindlig. Ich fühle mich schwach, aber gehe brav mit dem Türsteher nach unten. Was bleibt mir auch anderes übrig?
An der Treppe kralle ich mich ans Geländer, um meinen weichen Knien nicht nachgeben zu müssen. Du bist stark, du zeigst ihm jetzt nicht, dass du eine scheiß Angst hast. Meine zitternden Hände, die ich zu Fäusten balle, verstecke ich im Stoff meines Kleides.
Wir steuern wieder den Saal an, in dem ich ihn mit dem Brötchen bombardiert habe, aber dieses Mal ist er nicht allein.
Männer sitzen entlang der Tafel. Das müssen um die zwanzig sein. Noah steht am Kopf des Tisches und deutet meinem massigen Schatten, der mich gerade in den Raum bugsiert, mich näher zu bringen.
In dem Moment, in dem ich mich frage, wo die Frauen sind, die ich bei meinem Fluchtversuch gesehen habe, bleibt mir die Luft weg und meine Kinnlade klappt runter.
Irgendjemand hat gerade ein „Ach du Scheiße“ ausgestoßen und ich fürchte, dieser Jemand war ich, denn ein kollektives Lufteinziehen geht durch die Reihen.
Ich blinzle ein paar Mal, um zu prüfen, ob ich träume. Nein, die Frauen knien definitiv am Boden zwischen den Beinen der sitzenden Männer und haben ihren Kopf an ihr „Teil“ gelegt.
Ich schlucke laut. Was für eine abartige Scheiße läuft hier? Wut steigt in mir hoch, als Noah seine Faust auf den Tisch schlägt, wie er es vor meinem Fluchtversuch getan hat.
Das erschreckt sogar ein paar der Männer. Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass mir wieder Schläge drohen. Okay, mach jetzt keinen Rückzieher Charlie, deine Strategie ist gut – er ist noch nicht über dich hergefallen – noch nicht.
Er sieht mich an und fordert mit ausgestrecktem Arm: „Komm zu mir.“ Ähm, das kannst du sowas von vergessen. Wenn du glaubst, ich stecke meinen Kopf da rein … „Ich werde mich nicht wiederholen.“ Damit will er anscheinend seinem Befehl Nachdruck verleihen. Funktioniert, wenn ich das mal sagen darf.
Angewidert schüttle ich den Kopf und keuche ein „Nein.“ Wieder geht ein Zischlaut durch die Reihen.
Ich wappne mich innerlich für Prügel, nachdem er näherkommt, aber ich schaffe es, ihm die ganze Zeit in die Augen zu sehen. Mein Atem geht stoßweise. Bedauerlicherweise zucke ich zusammen, als er meinen Arm packt, was ihm mehr als deutlich zeigt, wie viel Angst sich unter dieser Fassade verbirgt. Verdammt.
Meinen Schlag, zu dem ich in dem Moment aushole, wehrt er ab, indem er mich am Handgelenk packt und es mir auf den Rücken dreht.
Ich schreie vor Schmerz laut auf. Er ist viel stärker als ich und egal, wie ich mich winde, sein Griff wird nur unerbittlich stärker.
„Loslassen“, fordere ich – ohne Erfolg.
Nachdem er mich in Richtung Tisch zerrt, erhasche ich den mitleidigen Blick einer blonden, jungen Frau, die neben dem Bein eines Mannes hervorschielt. Sie ist hübsch, sieht man von dem Veilchen ab, das ihr rechtes Auge ziert. Das war sicher einer dieser Primaten. Wut steigt in mir hoch.
„Wieso wehrt ihr euch nicht?“, zische ich sie hysterisch an.
Mit einem Ruck werde ich auf die Tischplatte gedrückt und Noahs schwerer Körper, der sich auf mich quetscht, lässt mich keuchen. Runter von mir. Du tust mir weh.
Ich habe keine Chance, er drückt meine Hände auf den Tisch neben meinem Kopf und flüstert mir ins Ohr: „Ich werde dich hier auf dem Tisch nehmen, vor den Augen aller, wenn du dich noch weiter wehrst.“ Okay, das hat gesessen – bin eingeschüchtert.
Sein triumphierender Blick lässt Aggressionen in mir aufsteigen, aber ich tue, was er sagt und gebe nach. Ich bin sicher, er macht ernst, ich sehs in den Augen der Frauen. Verdammt, wo bist du hier reingeraten, Charlie?
Quälend lange Sekunden später verschwindet die Last von mir und ich werde hochgezogen. Noah ist zurück an seinem Platz. Scheinbar spult er wieder auf Anfang, denn er hält mir erneut die Hand entgegen und wiederholt: „Komm zu mir.“
Okay, also Option A: Ich weigere mich und werde vergewaltigt oder Option B: Ich gebe nach und werde gedemütigt. Hm, scheint so, als hätt ich keine Wahl. Denk nach, Charlie. Aaaahhhh. Hilfe Damian, hol mich hier endlich raus. Wo bleibst du bloß so lange?
Noahs Blick verfinstert sich erneut, nachdem ich wie angewurzelt stehenbleibe, doch wenige Sekunden später setze ich mich in Bewegung. Ich muss mich förmlich zu jedem Schritt, der mich diesem Psycho näher bringt zwingen.
Mein Blick schwenkt zu den anderen Männern – Fehler, sag ich nur – denn sie strahlen den gleichen selbstgefälligen Blick aus wie Noah. Wunderbar. Ich bin in einer scheiß Sekte gelandet. Wie kann es auch anders sein?
Nachdem ich nicht nach seiner mir dargebotenen Hand greife, umfasst er damit meinen Ellbogen und zieht mich das letzte Stück grob an sich heran.
Ich pralle gegen seine harte Brust und kneife die Augen zu. Du packst das, du packst das, du packst das. Es ist gar nicht schlimm – wieso klappt es heute einfach nicht, mich selbst zu belügen? Sonst funktioniert das immer.
Eine Berührung an meinem Kinn lässt mich die Augen aufreißen. Noah sieht mich fragend an. Was glotzt du so? Okay, also vielleicht liegts daran, dass ich mich mit beiden Händen in sein Hemd gekrallt habe.
Seine Hände berühren meine Fäuste, an denen schon die Knöchel weiß hervortreten. Im nächsten Augenblick übt er einen leichten Druck auf sie aus.
„Entspann dich“, flüstert er. Du hast echt Nerven, Mann. Ich entspann mich ja mal sowas von gar nicht jetzt.
Seine Wange berührt meine Schläfe. Der Kerl macht mich wahnsinnig. Wäre ich nicht seine Gefangene, würde ich das als äußerst liebevolle Geste werten.
Sein Druck auf meine Fäuste erhöht sich, was mich abrupt loslassen lässt. So viel zum Thema, dass du dich im Griff hast, Charlie. Toll. Entspann dich selber, du Penner. Er zieht mich weiter mit sich.
„Setz dich.“ Würde seine Hand nicht auf den Platz am Boden vor seinen Stuhl zeigen, könnte ich mich mit dem Gedanken, meine müden Beine auszuruhen, durchaus anfreunden. So gesehen, sträubt sich gerade jede einzelne Zelle meines Körpers dagegen, seiner Aufforderung nachzukommen.
Sein verärgerter Blick schwenkt zum Tisch und soll mich anscheinend an seine Drohung erinnern – okay, ist angekommen.
Alle Augen im Raum sind auf mich gerichtet. Irgendetwas sagt mir, dass seine Geduld bald zu Ende ist.
Im selben Moment drückt er mich an meinen Schultern zu Boden, was mich ziemlich unsanft auf meinem Allerwertesten landen lässt. Meine Hände zittern nun noch stärker.
Von dieser Position aus lasse ich meinen Blick schweifen und begegne meinen Mitgefangenen.
„Hi.“ Hab ich das grad laut gesagt? Auweia, ich hab sogar kurz gewinkt. Bist du vollkommen übergeschnappt, Charlie? Diejenigen, deren Blicke ich erhasche, lassen mich innerlich erstarren. In ihren Augen spiegeln sich Resignation gepaart mit Angst und Panik wider.
Sie gestikulieren mir sichtlich, dass das grad ein Fehler war. Ja, was kann ich dafür – ist mir rausgerutscht.
Eine Faust gräbt sich schmerzvoll in mein Haar, was mich keuchen lässt. Sie gehört zu Noah, der sich in der Zwischenzeit gesetzt hat und meinen Kopf an seine Mitte presst.
Ich kann mir einen angewiderten Laut nicht verkneifen, presse die Augen zusammen und halte die Luft an. Ich will das hier nicht – es soll aufhören.
Ein quälender Laut entweicht mir erneut, als ich dazu gezwungen bin, Luft zu holen. Eine brünette Frau, die linker Hand von mir sitzt, legt sich den Zeigefinger auf den Mund. Zorn steigt in mir auf – wie können die das so gelassen über sich ergehen lassen?
Mein Peiniger drückt mich fester an sich und ich spüre etwas Hartes an meiner Wange. Stopp. Das muss aufhören.
Kurz spiele ich mit dem Gedanken, ihm sein widerliches, nach Mann stinkendes Teil abzubeißen – verwerfe den Gedanken jedoch gleich wieder aus Angst, mir Tollwut oder so eine Scheiße zu holen.
Ich höre klimperndes Besteck, doch niemand spricht ein Wort. Die essen jetzt aber nicht wirklich. Ein Königreich für eine Gabel. Damit könnt ich ihm sein jämmerliches Würstchen aufspießen, das er gerade an mir reibt, dieser abartige Scheißkerl. Er stöhnt sogar leise. Ich balle erneut die Fäuste.
Den Frauen, die mich anstarren, als wär ich eine Anomalie, ergeht es ähnlich, doch sie scheinen keine Anstalten zu machen, sich zu wehren. Vielleicht hat man ihnen auch mit Vergewaltigung gedroht? Wenn ich nur mit ihnen reden könnte. Möglicherweise wissen sie, wie man hier rauskommt.
Ich erhasche den Blick auf eine Rothaarige, die zu meiner Rechten sitzt. Sie wippt stoisch auf und ab. Die ist keine zwanzig. Scheiße. Da sind dann noch zwei Blonde, eine Brünette und eine Schwarzhaarige, die die Augen so weit aufgerissen hat, dass ich Angst habe, sie fallen ihr gleich raus. Sie scheinen allesamt ziemlich eingeschüchtert zu sein. Ob ich bald auch so aussehe?
Bei der Rothaarigen scheint sich etwas zu bewegen. Der Penner greift gerade zu ihr runter und vergräbt seine Hand in ihrem Dekolleté.
Unsagbare Wut formiert sich in mir. Gerade wird mir klar, dass er mich sowieso bald vergewaltigen wird, wenn ich hier in die Runde blicke.
Was eher früher als später passieren wird, wenn man berücksichtigt, dass ich ihm gerade meinen Kopf in seine Kronjuwelen gestoßen habe, was er mit einem dumpfen Laut bestätigt und – wie vorhergesehen – von meinen Haaren ablässt.
Im nächsten Augenblick hechte ich zu der kleinen Rothaarigen rüber, ziehe sie an mich und boxe dem Affen direkt in die Zwölf. Der brüllt, als hätte ich ihm das Teil gerade abgebissen. Memme. Sie sieht mich an, als ob ich vollkommen den Verstand verloren hätte. Ja, ganz sicher sogar.
Besteck fliegt, Stühle werden zurückgerückt und die Frauen halten schützend die Arme über ihre Köpfe. Was haben die bloß mit ihnen gemacht?
Schätze, ich werds gleich erfahren. Der Arm des Teufels schnappt zumindest schon nach mir und zieht mich grob an die Oberfläche. Was immer auch gleich passieren wird, das wars definitiv wert.
Noahs Blick spricht Bände. Ohne ein Wort zu verlieren, schlägt er mir so fest ins Gesicht, dass ich zu Boden gehe. Meine Schläfe schlägt hart auf den Steinboden auf und Schmerz zieht durch meine ganze rechte Körperhälfte. Mir wird etwas schwarz vor Augen, doch ich atme schneller, um gegen den Schwindel anzukämpfen. Wenn ich jetzt ohnmächtig werde, wird er über mich herfallen.
„Sehet, was passiert, wenn man sich mir widersetzt“, verkündet er andächtig. Der will anscheinend ein Exempel statuieren, was ich mit meiner Aktion eigentlich auch vorhatte. Ist wohl nicht angekommen.
Nach ein paar tiefen Atemzügen hab ich mich so weit gefangen, dass ich mich wieder bewegen kann. Ich stemme mich auf meinen Arm, der sogleich unter meiner Last nachgibt. Hey, ich glaube, er hat mich fast k. o. gehauen, ich kann nicht aufstehen. Verdammt.
„Jetzt geht wieder an die Arbeit“, befiehlt er forsch. Arme schieben sich unter meine Knie und ich werde angehoben.
Mein Schädel platzt gleich vor Schmerz. Ich muss das hilflos über mich ergehen lassen, dass er mich nach oben trägt. Mein Kopf ist so schwer, ich kann ihn nur mühevoll aus eigener Kraft halten. Immer wieder schlägt er an die Brust dieses Arschlochs.
Toll. Zuerst ertränkt er mich fast und jetzt schlägt er mich nieder – guter Schnitt für den zweiten Tag in Gefangenschaft. Oder ist es schon der dritte? Wie lange bin ich schon hier? Ich weiß grad gar nichts mehr.
Ob sich die anderen Frauen auch so fühlen? Egal was er mir antut, ich muss stark bleiben. Hier geht es um Dominanz und ich werde ihm nicht den Gefallen tun, mich unterzuordnen. Dann hab ich verloren und der Kerl tut mit mir, was er will.
Er stößt die Tür zu seinem Schlafzimmer auf und ich lande ziemlich unsanft auf seiner Matratze. Das weiche Fell gräbt sich in meine Haut. Schnappatmung setzt bei dem Gedanken an das, was er mir gleich antun wird, ein.
„Du hast wohl noch nicht verstanden, dass es sinnlos ist, gegen mich anzukämpfen“, belehrt er mich. In seiner Stimme erkenne ich unterdrückte Wut
In meiner Panik rolle ich mich aus dem Bett, als er näherkommt.
Meine Beine zittern so stark, dass ich fast zu Boden gehe.
„Ich bin wohl schwer von Begriff. Bleib weg von mir.“ Dies ist der klägliche Versuch, ihn auf Abstand zu halten, was … nicht funktioniert. Er steht bereits bei mir.
„Du hast dich mir widersetzt. Dafür werde ich dich bestrafen.“ Ich schlucke laut, als er dicht vor mir stehenbleibt.
„Zwanzig Schläge. Wenn du vor mir auf die Knie gehst und um Gnade flehst, werden es nur zehn sein“, bietet er an. Um Gnade flehen?! So weit kommts noch. Der hat sie ja nicht mehr alle. Er will mich echt verprügeln. Scheiße, ich hab Angst.
„Du bist ja krank“, speie ich ihm entgegen.
Ich zucke zusammen. Sogar ein Schrei löst sich aus meiner Kehle, als er mich grob an sich reißt und mich zum Bett zieht.
Er lässt sich auf der Bettkante nieder. Einen Wimpernschlag später legt er mich mit einem brachialen Griff über seine Knie, sodass ich mit meinem Oberkörper über seinen Beinen hänge.
Er will doch jetzt nicht wirklich … Aaaahhhh. Gerade hat er mir das Kleid bis zum Rücken aufgerissen. Ich zapple wie eine Verrückte, doch er lässt mich einfach nicht los.
Ich spanne meinen Körper an, als er über meinen nackten Po streicht. In dem Moment spüre ich einen brutalen Schlag gefolgt von Feuer, das sich über meine Haut zieht. Sogar ein Schrei entweicht mir. Ich bin wie gelähmt vor Schmerz.
„Eins“, lässt mich die Augen aufreißen. Der versohlt mir nicht wirklich den Hintern und zählt auch noch mit. Das ist ja der krankeste Psycho auf diesem Planeten, an den ich da geraten bin.
Ein zweiter Schlag lässt mich erneut aufschreien. Tränen laufen bereits über meine Wangen.
„Zwei.“ Ich halt das nicht aus. Noch so einen Schlag ertrag ich nicht.
Nun beginnt er, die nächsten Schläge schnell hintereinander zu setzen. Ich weiß nicht mehr, wie mir geschieht. Da ist nur dieser unsagbare Schmerz und dieser Laut von seiner Hand auf meiner nackten Haut, der aus weiter Ferne zu kommen scheint.
Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon hänge, doch er hat aufgehört und dreht mich zu sich um.
Mein ganzer Körper schmerzt. Ich kann mich nicht bewegen, kann kaum atmen. Er drückt mich an sich und streicht mir übers Haar. Ein Laut des Entsetzens entkommt aus meinen Lungen.
„Schhhhh … Alles ist gut.“ Ich bin zu müde, um darauf einzugehen und lasse es über mich ergehen, dass er mich wiegt wie ein kleines Kind.
Ich werde auf einen kalten Boden gestellt und kauere an einer Fliesenwand – das Badezimmer. Wie bin ich hierhergekommen? Okay, ich war anscheinend kurz bewusstlos.
Meine Wange ruht an der kalten Fliesenwand. Wasser, das auf meinen Körper trifft, lässt mich aufschrecken. Ich drehe meinen Kopf und sehe Noah, der mir gerade kühles Nass an meine geschundene Rückseite laufen lässt.
Das brennt, wie wenn er mich verbrühen würde. Schreiend sacke ich zu Boden. Ich spüre seine Hände überall an meinem Körper, die mich mit einer duftenden Seife waschen.
Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass ich wiedermal knietief in der Scheiße stecke? Echt unglaublich.
Er hört nicht auf, massiert sogar meinen Rücken, was ich mit einigen Protestlauten zu verhindern versuche. Jämmerlich – ich weiß.
Ich weiß nicht, was schlimmer ist, seine Berührungen oder die Schmerzen an meinem Arsch. Ich kann mich noch immer nicht bewegen, so erschöpft bin ich.
Somit muss ich wiedermal hilflos mitansehen, wie ein Mann Macht über mich hat. Kann ich bitte ohnmächtig werden? Ich will nicht mitkriegen, was er macht, wenn er hier fertig ist.
Der Wasserstrahl versiegt und ich spüre ein raues Handtuch, in das ich eingewickelt werde. Dann verlieren meine Beine wieder den Bodenkontakt.
Ich weiß nur noch, dass ich in einen rettenden Schlaf falle.
Da ist ein komisches, konstantes Geräusch, was wie das leise Schnarchen eines Mannes klingt. Erkenntnis erfüllt meinen Geist und lässt mich die Augen aufreißen.
Augenblicklich verkrampfe ich mich, denn das Geräusch kommt von Noah. Besser gesagt, von dem schlafenden Noah, in dessen Arme ich liege. Ich ergänze, in dessen Arme ich nackt liege.
Blitzschnell will ich mich losreißen, doch in dem Moment ist er auch schon wach und hält mich an sich gedrückt.
„Loslassen“, fordere ich.
„Wozu? Ich hatte das Gefühl, es gefällt dir, nachdem du dich die ganze Nacht an mich geschmiegt hast“, knallt er mir vor den Latz. Ich atme schwer. Mein Entsetzen steht mir wohl mehr als ins Gesicht geschrieben, denn er lässt mich gnädigerweise los.
Ich kralle mir das Laken, bringe so viel Abstand wie möglich zwischen uns und ignoriere den Schmerz an meinem Arsch – war wohl doch kein kranker Traum.
Durch das Wegziehen der Decke habe ich männliche Regionen freigelegt, die lieber bedeckt geblieben wären. Ich presse mich bereits ans Fenster, als mich blanker Horror übermannt. Er ist nackt. Wieso ist er nackt?
Er hat mich doch nicht vergewaltigt, oder? Ich meine, ich war irgendwie weggetreten, ich kann mich an nichts mehr erinnern, was nach dem Badezimmer passiert ist.
„Du … du hast doch nicht … das wagst du nicht … oder … ich“, ist alles, was ich rausbringe. Die Ungewissheit macht mich grad sowas von fertig.
Noah steigt beinahe gemächlich aus dem Bett, was mich das Laken fester an meinen Körper pressen lässt.
Sein Teil, auf das ich kurz starren muss – muss wohl genetisch sein – ist riesig und ich schlucke laut. Er hat es natürlich mitgekriegt und lächelt amüsiert.
Sein Blick ist fordernd, als er auf mich zukommt. In seinen lässigen Bewegungen schwingt überlegener Spott mit.
Nachdem er so dicht vor mir steht, dass ich seinen Geruch wahrnehmen kann, flüstert er mir ins Ohr: „Nein, ich habe mir noch nicht genommen, was mir gehört. Noch nicht, wohlgemerkt. Das heißt nicht, dass ich nicht versucht war, dich heute Nacht zu nehmen.“ Ich halte den Atem an, als er seine Härte an mich presst.
„Du bist wunderschön, Leila. Lucas hat nicht übertrieben, als er sagte, du wärst etwas ganz Besonderes.“ WAS? Was zum … oh nein, nicht schon wieder.
Die Erkenntnis trifft mich hart in meine Eingeweide, die sich schmerzhaft zusammenziehen. Lucas ist/war Josefs Vater. Mein Todfeind. Woher kennen sich die beiden bloß? Ist er vielleicht noch am Leben? Verängstigt blicke ich zu den potenziellen Fluchtwegen, falls er gleich zur Tür reinspaziert kommen sollte.
„Was ist denn los, Leila? Keine schnippische Antwort. Kein gegen mich Ankämpfen? Sieht so aus, als würdest du lernen“, kommentiert er die Situation. Oh nein, meine Fassade bröckelt. Ich muss was tun.
„Lucas ist tot“, stelle ich fest. Das soll so eine Art Austesten sein, ob Josef darüber die Wahrheit gesagt hat, dass sein Vater tot ist.
„Ja, aber er hat das Kollektiv erschaffen und es lebt durch mich weiter“, klärt mich Noah auf. Puh, nochmal Glück gehabt – er ist tot. War ja klar, dass er so eine Scheiße hier aufbaut – das trägt definitiv Lucas’ Handschrift. Elender Psycho.
„Vor seinem Tod hat er mich als Anführer auserkoren. Und dich als meine Gefährtin.“ Du hast sie ja nicht mehr alle. Gefährtin? Sklavin würde es eher treffen.
Dieser verdammte Teufel hat doch tatsächlich meine Seele an diesen Sadisten verkauft – metaphorisch gesprochen natürlich. Was denkt er sich bloß? Nur, weil er mich nicht haben konnte, vermacht er mich einem anderen Mann. Reicht es nicht, dass er mich adoptiert und jahrelang gequält hat? Muss er mich noch an eine Sekte verkaufen.
„Das kannst du vergessen“, zische ich.
Ich erschrecke, als er meinen Nacken grob mit seiner Pranke umschließt und mich mit seinem Blick aufspießt.
Er drängt sich näher an mich, was mich erneut die Luft anhalten lässt. „Du gehörst mir und ich werde mir nach dem Ritus nehmen, was mir gehört.“ Welcher Ritus? So eine Art Voodoo-Puppen-Geschichte?
Ich presse ein „Niemals“ heraus, was er ignoriert. Er drückt seine Lippen im nächsten Moment so hart auf meine, dass ich wie gelähmt bin.
Ich schlage ihm auf die Brust, um ihn davon abzuhalten, doch ich bin machtlos. Seine Zunge drängt sich in meinen Mund, da beiße ich zu. Blitzartig lässt er von mir ab. Total verängstigt greife ich mir an die geschwollenen Lippen.
„Du beißt mich“, stellt er überrascht fest. Tja, sieht ganz so aus, ekelhafter Idiot.
Ich atme wieder tiefer und presse mich ans Fensterbrett. Das schreit nach Prügel. Doch anstatt wütend zu werden, lächelt er. Es scheint ihn sichtlich zu amüsieren.
Im nächsten Moment vergräbt er seine Hände wieder in meinem Haar, was mich kurz aufkeuchen lässt.
„Du hast wohl noch nicht genug“, schlussfolgert er. Seine Worte sind voller Verlangen. Er malt sich gerade aus, was er mit mir machen wird – ich sehs ihm an.
Noah fährt mit rauchiger Stimme fort: „Meine Schläge scheinen dir Vergnügen zu bereiten.“ Nein, definitiv nicht – ich bin nicht so eine, die auf Peitschen steht, du Arsch.
Er drückt sich fester an mich und sein Teil bohrt sich in meinen Oberschenkel. Geh weg, du Schwein.
„Spürst du das?“, haucht er genüsslich. Ähm, ja das ist ja nicht zu „überspüren“. „Ich freue mich darauf, dir damit Schreie zu entlocken.“ Ja, das kann ich mir vorstellen.
Okay, das reicht – Ende des Schweigens – definitiv.
„Das Einzige, was du mir entlockst, ist Brechreiz“, entgegne ich.
Damit hatte er nicht gerechnet. Er ist sichtlich erbost über meine Wortwahl – hey, ich bin nur ehrlich. Wiederum wappne ich mich innerlich für Schmerzen die nahen, als er meine Kehle zudrückt.
Tränen steigen mir bereits in die Augen, nachdem er mir die Luft abdrückt. Ich muss sogar die Augen schließen, um den Schwindel zu bekämpfen.
In dem Moment, als mir schon schwarz vor Augen wird, lässt er mich los und ich gehe keuchend zu Boden. Heftig nach Atem ringend zieht er mich am Ellbogen hoch, schleift mich durchs Zimmer und stößt mich brutal aufs Bett.
Ich hab mich immer noch nicht gefangen, als er beginnt, meine Handgelenke und meine Knöchel zusammenzubinden.
Er lässt es sich nicht nehmen, sich über mich zu beugen und mir ein „Er hatte recht. Du bist noch schöner, wenn du Angst hast“ an die Birne zu knallen, bevor er mir zum Abschied einen Klaps auf den Po verpasst. Letzteres treibt mir mehr Tränen in die Augen.
Als er die Tür hinter sich zuschlägt, brechen bei mir alle Dämme. Ich vergrabe mein Gesicht in das Fell, um mein Schluchzen zu dämpfen.
Hör auf, hör auf, hör auf. Hör auf zu weinen, das will er bloß. Doch die Gedanken an Sebastian und die letzten Stunden steigern mich in einen regelrechten Weinkrampf, gegen den ich nur schwer ankämpfen kann. Na toll, jetzt lässt du ihn auch noch gewinnen, du Heulsuse. Aber es ist so schwer – ich kann nicht mehr – ich will, dass das hier aufhört. Ich bin so unendlich erschöpft. Damian, wo bist du?
Ich muss eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffne, steht Gabriel, mein Mönchspsychiater, vor mir. Hey, glotzt er mich etwa an?
Seine Wangen erröten. Blitzschnell bedeckt er meinen nackten Körper mit dem nächstliegenden bisschen Bettdecke, das er erhascht. Das hier wird immer besser.
Er sieht mich an, als ob er gerade eine Begegnung mit der dritten Art hatte. Vielleicht kommen die Erinnerungen an unsere gemeinsame Nacht schön langsam zu ihm zurück und er hatte ein Déjà-vu – oder er hat meinen Arsch gesehen.
„Du siehst ganz schön fertig aus“, kommentiert er meinen jämmerlichen Anblick.
Na vielen Dank aber auch.
„Und du siehst aus wie ein selbstgefälliges Arschloch.“ Okay, vielleicht haben die letzten Tage Spuren hinterlassen und ja, es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass ich leicht aggressiv bin.
Er hält mir mit den Worten: „Darin ist eine Eisentablette aufgelöst“ ein Glas Wasser hin, von dem ich gierig trinke.
„Ich sagte doch, du sollst tun, was er sagt. Ich sagte, er würde dich härter bestrafen, als ich es je könnte. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Ph.
„Sag mal, hast du sie noch alle? Du entführst mich, bringst mich in diese scheiß Sekte und jetzt kommst du mir mit dieser Ich-hab-dich-gewarnt-Scheiße. Geht’s noch?“ Okay, definitiv zu viel Scheiße in einem Satz.
„Du könntest ruhig etwas Dankbarkeit zeigen. Immerhin hat er dich hier aufgenommen und würde dich auch besser behandeln, wenn du ihm mehr Respekt zeugen würdest.“ Was labert der Idiot da?
„Also jetzt mal ganz ehrlich, sei froh, dass ich gefesselt bin, denn für den letzten Spruch hätte ich dir eine verpasst“, mache ich meinen Gedanken Luft.
„Ich dulde nicht, dass du so mit mir sprichst. Ein feindseliges Wort noch und ich züchtige dich.“ Züchtigen? Das kam so verunsichert rüber, dass ich ein Grinsen nur mühevoll zurückhalten kann.
„Fass mich an und ich erzähle ihm von unserem kleinen Ausflug in deinen Whirlpool“, drohe ich. Ihm klappt gerade die Kinnlade runter. Ha, große Töne spucken, aber nichts einstecken können.
„Was … woher … weißt du, dass ich … einen Pool auf … meiner Terrasse …“, stottert er verunsichert.
„Weil wir es da getrieben haben und zwar nicht nur einmal.“ Gerade entweicht jegliche Farbe aus seinem Gesicht.
„Du lügst“, knallt er mir an den Kopf. Seine Stimme ist gedämpft. Wohl Angst, dass dich der Sektenguru hört?
„Du bist beschnitten“, informiere ich ihn, um ihm einen Beweis zu liefern.
„Guter Versuch, doch das sind viele“, kontert er erleichtert.
„Außerdem hast du da eine Tätowierung am Unterbauch, irgend so ein längliches Ornament mit komischen Zeichen drin“, ergänze ich. Das gibt ihm den Rest. Er lässt sich aufs Bett nieder und stemmt seinen Kopf in seine Arme.
„Er wird mich umbringen“, sagt er mehr zu sich selbst als zu mir. Ah, so schließt sich der Kreis, würd ich sagen. Jetzt hab ich ihn in der Hand.
„Hilf mir hier raus, dann wird er nichts davon erfahren“, verhandle ich. Er sieht alarmiert zu mir auf.
„Nein“, stellt er klar. Scheiße, wieso geht er nicht darauf ein?
„Okay, ihn wird sicher interessieren, dass du seine zukünftige Gefährtin verführt hast und die ganze Nacht …“ „Hör zu“, unterbricht mich Gabriel, „ich kann dich nicht hier rauslassen. Die würden das mitkriegen.“
„Dann überbring wenigstens eine Nachricht an Louis, damit er weiß, wo ich bin. Ich sag auch der Polizei, du hättest mir geholfen. Dann bekommst du sicher mildernde Umstände.“ Er scheint angestrengt über meinen Vorschlag nachzudenken.
Bevor er antworten kann, wird die Türe aufgerissen. Es ist Noah, der die Augenbrauen hochzieht und uns skeptisch mustert.
„Was willst du hier?“, herrscht er Gabriel an, der vor ihm auf die Knie fällt. Hey, geht’s noch?
„Ich habe etwas zu Essen gebracht. Verzeiht Herr, ich hätte mich beeilen sollen.“ Hast du jetzt jedes bisschen Selbstachtung verloren, du elender Schleimer?
„Mach, dass du hier rauskommst“, befiehlt Noah forsch.
Gabriel sprintet fast zur Tür. Die Angst steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Sieht so aus, als wäre ich hier nicht die einzige Gefangene, neben den Mädels, versteht sich.
Noah zückt ein Messer und schneidet meine Fesseln durch. Okay, vielleicht hab ich kurz die Augen zusammengekniffen und die Luft angehalten, als er mit der Waffe rüberkam. Kurzer Verlust meiner Fassade, die ich soeben wieder aufschraube.
„Steh auf“, reißt mich dann doch aus meinen Gedanken. Okay, was kommt jetzt?
Ich tue, was er sagt. Er zerrt mich grob aus dem Zimmer. Die Tatsache, dass ich nur das Laken um meinen Körper geschwungen habe, macht die Sache jedoch nicht gerade grazil.
Das wird mir nicht gefallen, das weiß ich jetzt schon, trotzdem frage ich: „Was hast du mit mir vor?“
„Wir machen einen kleinen Ausflug.“ Hm, toll ein Ausflug – wie überaus abartig.
„Wohin?“, fordere ich.
„Das ist eine Überraschung.“ Na prima. Ich liebe Überraschungen. Kann ich mir nicht was anziehen?
Er sieht amüsiert aus, als er meinen Körper mustert. Ich schlucke laut. Nun verliere ich auch gerade jegliche Farbe aus meinem Gesicht. Der Typ ist ja vollkommen durchgeknallt.
Wir verlassen das Gebäude und er stößt mich in eine Limousine, die draußen wartet.
Darauf bedacht, so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen, nachdem er neben mir einsteigt und sich das Gefährt in Bewegung setzt, presse ich mich förmlich an die Wagentür. Wohin zum Teufel fahren wir?
Angestrengt versuche ich, durch die getönten Scheiben einen Hinweis auf meinen Standort zu erhaschen, was mir jedoch nicht gelingt, da es draußen bereits stockdunkel ist. Verdammt.
Ich schließe kurz die Augen, um mich etwas in den Griff zu bekommen – eins ist klar – meine Aufmachung erschwert potenzielle Fluchtversuche.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stoppt der Wagen und Noah steigt aus. Obwohl es klar war, dass er meine Türe wenig später öffnet, zucke ich dennoch vor Schreck zusammen. Wunderbar Charlie.
Seine Hand an meinem Ellbogen manövriert mich im nächsten Augenblick aus dem Auto. Ich versuche angestrengt meine Umgebung einzuordnen. Da muss doch irgendwo ein Hinweis sein, wo ich mich befinde.
Noah stoppt meinen kläglichen Versuch, ein Straßenschild zu entziffern mit festem Griff unter mein Kinn und starrt mich verärgert an. Ich konnte natürlich – wie kann es anders sein – rein gar nichts erkennen.
Meine Aufmerksamkeit wird jedoch auf ein blinkendes Neonschild gelenkt, welches das Gebäude, vor dem die Limousine steht, säumt.
Die Aufschrift „Pussycat“ treibt mir den Angstschweiß raus.
Ich winde mich ängstlich im Arm meines Entführers. Was hätte ich in dem Moment dafür gegeben, des Lesens nicht mächtig zu sein.
Gerade setzt mein Kopfkino ein und Szenarien von Noah als meinen Zuhälter, der mich in dem Laden dazu zwingt, Anschaffen zu gehen, graben sich in mein Bewusstsein.
„Was ist denn los, meine Schöne?“, spricht er mich auf meine offensichtliche Überforderung mit meiner Umgebung an.
Hm, mal sehen, ich steh halbnackt vor einem einschlägigen Club und hab einen Sektenpsycho an der Backe, der mich zu seiner Zukünftigen machen will.
„Ich geh da auf keinen Fall rein“, weigere ich mich. Ich weiß, das ist jämmerlich, aber ich kann nicht klar denken.
Noah lacht laut auf. „Wenn du dich wehrst, gehst du da nackt rein.“ Das ist ja mal eine Ansage. Okay, also auf einen Sprung können wir ja reinschauen.
Bevor ich darüber nachdenken kann, zieht er mich schon hinter sich her. Die Türsteher lassen uns ohne eine Miene zu verziehen rein, als wär es das Normalste der Welt, dass die Gäste mit einem um den Körper gewickelten Laken in den Club kommen.
Nachdem wir schwere Brokatvorhänge hinter uns gelassen haben, erspähe ich einen Clubraum, dessen Mobiliar ganz in Rot gehalten ist. Der modrige Duft eines billigen Puffs steigt mir in die Nase. Ich bin unsagbar froh, dass wir anscheinend die einzigen Gäste sind.
Eine mollige Frau im engen Mieder kommt uns mit skeptischem Blick entgegen. Wow, so sieht also eine Puffmutter aus – ziemlich klischeehaft.
„Die können Sie gleich wieder mitnehmen. Ich brauche nicht noch mehr von den ausgemergelten Dingern, die beim kleinsten Schwanz schon schreien, als würde sie der Leibhaftige holen“, schimpft sie aufgebracht.
Schnappatmung setzt ein und meine Knie geben nach. Kurz nachdem ich an die Schulter meines Zuhälters pralle, der mich soeben überrascht ansieht, setzt mein Hirn wieder ein und ich richte mich räuspernd auf. Meine kurze Ablenkung hat die Hexe ausgenutzt. Sie steht nun direkt vor mir und mustert mich von oben bis unten.
„Naja, ein hübsches Gesicht hat sie ja“, wendet sie ein, „Wie siehts damit aus.“ Sie will gerade nach meinem Laken schnappen. Da ist nichts, gar nichts, glaub mir. Sie quiekt laut auf als Noah ihr Handgelenk festhält.
„Fass sie an und ich breche dir den Arm, du dreckige Nutte“, herrscht er sie an. Synchron starren wir zu Noah. Ich weiß nicht, wer von uns dümmer aus der Wäsche schaut. Oooookkkaayyy, was zum Teufel läuft hier eigentlich?
„Bring mich zu Tony und dann verschwinde“, befiehlt er. Seine Worte lassen keinen Zweifel darüber, dass er gewillt ist, hier alles kurz und klein zu hacken, sollte sie nicht die Beine in die Hände nehmen und das tun, was er sagt.
Sie hat das jetzt auch kapiert. Schnaubend führt sie uns in einen hinteren Bereich des Clubs. Hab ich schon erwähnt, dass ich wirklich nicht wissen will, wer Tony ist? Panisch scanne ich den Raum nach Fluchtmöglichkeiten.
„Keine Angst. Kein anderer Mann wird dich ohne meine Erlaubnis berühren“, haucht mir Noah ins Ohr.
Die Info sollte wahrscheinlich eine beruhigende Wirkung auf mich haben, aber sein stechender, besitzergreifender Blick lässt mich dennoch aufkeuchen.
„Da bin ich aber froh“, spotte ich. Ups, Sarkasmus bricht durch. Er ignoriert mich gekonnt, während er mich weiter durch den Flur zieht.
Durch eine geöffnete Türe erkenne ich einen kleinen Raum, der gefährlich nach einem Massagezimmer aussieht. Ich kipp gleich weg. Lasst mich hier raus. Augenblicklich verkrampfe ich mich.
„Entspann dich“, flüstert mir Noah ins Ohr. Ich kämpfe gegen den Drang an, ihn zu boxen.
Als ich Tony erblicke, verspüre ich plötzlich das latente Bedürfnis, schreiend den Raum zu verlassen.
Da steht ein zwei Meter großer Hüne vor mir, dessen Körper zahlreiche anstößige Tattoos zieren.
Noahs Griff wird fester, als ich mich gegen ihn stemme, um der Situation zu entkommen. Ich scheitere natürlich kläglich.
Tony macht eine tiefe Verbeugung und sie begrüßen sich, indem sie sich gegenseitig kräftig an den rechten Unterarm greifen.
Ich klammere mich an mein Laken und ziehe es fester um mich.
„Ist sie das?“, will Tony wissen.
Die Art, wie er mich dabei mustert, gefällt mir ganz und gar nicht
Ich zapple energischer. Mit dem Resultat, dass Noah mich nun von hinten umklammert hält. Ich spüre sein Nicken an meiner Schulter.
„Ausgezeichnete Wahl, wenn Sie erlauben. Gute Haut.“ Was? Gute Haut. Was soll das denn heißen?
„Sie widersetzt sich mir noch“, erklärt Noah. „Wir müssen sie höchstwahrscheinlich ruhigstellen.“ Hilfe. Holt mich hier raus.
„Nein.“ Mein Widerstand ist kleinlaut und bleibt ungehört.
„Auch dafür habe ich Vorkehrungen getroffen.“ Tony zeigt auf einen Tisch hinter sich, wo jede Menge mir unbekannter Utensilien liegen. Mein Puls beschleunigt sich weiter.
Der Blick des Riesen wird neugierig und er verlautbart: „Kann ich es sehen?“
Ich drücke die Beine in den Boden und will mich freikämpfen. Keine Chance, sag ich nur. Hier gibt’s nichts zu sehen.
„Halt sie fest.“ Mit Noahs Worten werde ich bereits an Tonys Brust geschubst, der mich zu meinem Peiniger umdreht und mir die Arme hinter meinen Rücken dreht.
Die Übergabe ging so schnell vonstatten, dass nach und nach noch erstickte Laute aus meiner Lunge strömen. Okay, ich hab schon Teile meiner Reaktionsfähigkeit eingebüßt.
Zu meinem Entsetzen zieht Noah sein Hemd aus und kommt näher. Seine Muskeln sind fest und wohl definiert. Meine Knie geben erneut nach. Ich baumle wie der Däumling am Riesen.
„Ein exaktes Duplikat – wie wir besprochen hatten“, meint Noah. Was?
Da prangt eine Tätowierung an Noahs rechter Seite, auf die er gerade zeigt. Es ist ein Tribal-Drache, der von seinem Rippenansatz bis zum Unterbauch geht. Hm, komisch – kommt mir irgendwie bekannt vor – ach, so was hat doch inzwischen schon jeder – wahrscheinlich hab ichs im Fernsehen gesehen.
Das „Geht klar“ von Tony reißt mich wieder ins Hier und Jetzt und schön langsam dämmert mir die Bedeutung seines Hautkommentars von vorhin. Die Erkenntnis nimmt mich ganz schön mit. Automatisch beginne ich, zu schreien und mich zu wehren.
Noah ist blitzschnell an meiner Seite, um mich wieder zu übernehmen. Ich glaube, Tony ist ziemlich froh, mich los zu sein.
Unsanft drückt Noah mich an sich und haucht mir ein „Schhhhhh“ ins Ohr. „Ich bin bei dir, es wird nicht sehr wehtun.“
Hast du sie noch alle? Wenn du glaubst, ich lasse mir ein Tattoo stechen hast du dich so was von geschnitten.
„Nein, nicht, das kannst du nicht …“ Mein Protest wird von seinem Versuch, mich auf die Liege zu drücken unterbrochen. Natürlich schafft er es ohne große Mühen, denn ich bin bereits wieder einmal am Ende meiner Kräfte angelangt.
Sie fixieren meine Hände und Beine an Riemen. Ich schreie wie am Spieß und winde mich wie eine Verrückte. Noahs Hand drückt meinen Bauch auf die Liege, als ich mich aufbäume. Zu meinem Entsetzen, entfernt er das Laken.
Das macht mich jetzt zu einer ziemlich nackten Angebundenen, die gleich zwangstätowiert wird. Wie tief kann man eigentlich sinken? Mein Kopf ist vollkommen leer, da ist nur diese Angst, hilflos ausgeliefert zu sein.
„Sie darf sich nicht bewegen.“ Was durchaus schwierig wird, Tony, denn ich werde nicht kampflos aufgeben. Zu der Erkenntnis scheint Noah auch gerade gelangt zu sein, denn er befiehlt knapp: „Stell sie ruhig.“
Ehe ich mich versehe, wird mein Arm festgehalten. Tony jagt mir im nächsten Augenblick eine mir unbekannte Substanz in die Vene.
Okay, so viel zum Thema … Meine Sinne beginnen sich bereits zu vernebeln und meine verkrampften Gelenke werden locker. Jegliche Spannung entweicht aus meinem Körper. Das fühlt sich gut an, so als hätte man mir die erdrückende Last von den Schultern genommen.
Ich bin wie in Trance.
Ein eigenartiges Geräusch umgibt mich. Ich erkenne Noah über mir, der mir Worte zuflüstert, die von weiter Ferne zu kommen scheinen.
Ein stechender Schmerz, den ich nicht lokalisieren kann, durchzuckt mich immer wieder. Der Raum beginnt, sich zu drehen. Alle Farben verwirbeln kreisförmig ineinander. Noahs Kopf nimmt unnatürliche Formen an und ich hab das Gefühl, zu schweben.
Schön langsam werden die Bilder um mich herum wieder schärfer und nehmen Konturen an. Schwerfällig drücke ich mich hoch. Wie lange liege ich hier schon?
Ich bin immer noch in dem kleinen Zimmer in dem Club und reiße mir entsetzt das Laken runter.
Da prangt das gleiche Tattoo an der gleichen Stelle an meiner Haut, wie es auch bei Noah der Fall ist. Wunderbar.
Nach drei tiefen Atemzügen versuche ich, es zu ignorieren, denn jetzt sind andere Dinge wichtiger – zum Beispiel die Tatsache, dass ich hier allein bin und dies vielleicht die Chance ist, hier endlich rauszukommen. Wahrscheinlich denken die zwei ich schlafe noch und könnten jeden Augenblick zurück sein.
Ich kämpfe zwar mit meinem Kreislauf, hab mich aber erstaunlich schnell wieder im Griff, um mich genauer umzusehen. Kein Fenster – prima.
Nach angestrengtem Lauschen an der Tür komme ich zu dem Schluss, dass die Luft rein ist, also öffne ich behutsam die Tür.
Wie bereits vermutet, ist niemand zu sehen. Ich schleiche durch den Gang – vorbei an einem der Zimmer, aus dem Stimmen drängen und an dem die Türe nur angelehnt ist.
„Wann werden Sie den Ritus vollziehen?“ Das war eindeutig Tonys Stimme.
„Eigentlich wollte ich noch warten, bis sie gefügiger ist …“ Gefügiger? Noah. Na toll, sie reden über mich. „… doch meine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt, wenn du verstehst, was ich meine. Sie kämpft gegen mich an.“
Vielleicht verraten sie ja, wo wir hier sind und ich kann irgendwie die Bullen rufen. Angestrengt lausche ich weiter ihrem Gespräch.
„Dann zeigen Sie ihr, wer hier der Herr ist und prügeln Sie sie windelweich. Danach folgt sie Ihnen wie ein räudiger Hund. Hab ich bei meiner Alten auch so gemacht.“ Du abartiger Arsch, was ist das denn für ein Ratschlag?
„Ja, du hast wahrscheinlich recht“, pflichtet ihm Noah bei. Was? Nein, hat er nicht.
„Weiber. Obwohl sie schon ein Sahneschnittchen ist, wenn Sie erlauben“, gibt Tony zu. Sahneschnittchen?
„Was glaubst du, wie schwer es ist, zu warten. Ich muss mich dazu zwingen, sie nicht pausenlos zu ficken“, gesteht Noah. Okay, ich muss hier raus – und zwar schnell.
„Das glaube ich Ihnen, hatte beim Tätowieren eine Dauerlatte. Also nix für ungut, sie gehört Ihnen, ich würd mir nie erlauben sie anzufassen …“
Den Rest des Gesprächs ertrag ich nicht mehr, was mich noch mehr bestärkt, den Flur hinunter zu taumeln.
Okay, ein Plan muss her und zwar schleunigst. Ich brauch Internet oder Telefon und irgendwie eine geografische Positionsbestimmung, bevor ich noch durchdrehe.
Und wie durch einen Wink des Schicksals tut sich eine Tür mit der Aufschrift: „Büro. Kein Zutritt“ auf.
Bitte, bitte, mach dass es leer ist. Zitternd drücke ich die Klinke runter und spähe in das Zimmer. Einmal im Leben scheine ich doch Glück zu haben, denn es ist niemand zu sehen.
Panisch wühle ich in den Unterlagen auf dem Schreibtisch und werde prompt fündig. Da ist ein Brief mit der Adresse des Clubs. Der Name der Stadt sagt mir absolut nichts. Egal.
Auf dem Schreibtisch steht ein Notebook, das zu meiner Überraschung läuft – ist ja gespenstisch. Das läuft ja wie am Schnürchen.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich eine Mail an Damian mit dem Namen des Ortes und des Clubs tippe. Ich lösche die Mail noch schnell aus den gesendeten Elementen und schleiche mich wieder aus dem Raum.
Meine Abwesenheit ist wohl noch niemandem aufgefallen, denn Noah und Tony scheinen noch in ihr Gespräch vertieft zu sein.
So gehe ich zurück in das Zimmer, in dem ich aufgewacht bin und stelle mich schlafend. Innerlich juble ich vor mich hin. Bald wird es hier nur so vor Bullen wimmeln. Dann kann ich endlich wieder nach Hause.
Das Knarren der Tür beschleunigt wieder meinen Puls.
Dumpfe, vom dicken Teppich gedämpfte Schritte nähern sich mir. Eine Berührung an meiner Wange lässt mich die Augen öffnen. Noah.
Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, angestrengt zu blinzeln und so zu suggerieren, gerade erst erwacht zu sein.
„Wie geht es dir?“, will er wissen. Sein Blick ist beinahe liebevoll. Hätte ich nicht ihr Gespräch belauscht, würde ich ihm seine Sorge tatsächlich abkaufen.
Okay, du hast es so gewollt – ich kann auch mittlerweile etwas schauspielern. Außerdem muss ich dringend Zeit gewinnen, bis die Kavallerie kommt.
Mit kratziger Stimme entgegne ich: „Ich fühle mich so schwach. Ich kann mich nicht bewegen.“
Er streicht mir eine Haarsträhne aus der Stirn und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Es war so zurückhaltend, dass ich gar nicht richtig weiß, ob es tatsächlich passiert ist.
Noah will mich gerade hochheben, als ein Handy-Klingeln aus seiner Jackentasche ertönt.
„Ja.“ War seine Miene zu Beginn eher starr, so verfinstert sie sich mit jeder Silbe, die der Anrufer ausstößt.
Kommentarlos legt er auf und packt mich so abrupt, dass mir ein Schrei entfährt.
Wenn Blicke töten könnten, sag ich nur. Ich hab keine Zeit, mich zu beruhigen, denn schon werde ich aus dem Zimmer gezerrt.
Noah brüllt knappe Befehle in sein Handy. Ich frage mich wieder einmal, was ich auf dieser Welt verbrochen habe. War ja klar, dass mir das Pech wieder dicht auf den Fersen ist.
Er hat doch jetzt nicht wirklich von der Email erfahren? Oder hat ihn womöglich einer der hiesigen Polizisten gewarnt? Womöglich haben einige von den Männern der Sekte sogar richtige Jobs. Vielleicht sind das Familienväter, die in ihrer Freizeit Gott spielen und diese Frauen quälen.
Ich stolpere, weil ich kaum Schritt halten kann. Noah reißt mich brutal an sich, damit ich nicht falle. Jetzt wird er mich sicher grün und blau schlagen, so wies ihm Tony geraten hat.
Wir benutzen einen Hinterausgang, an dem der Wagen bereits wartet. Keuchend werde ich ins Auto gedrückt und wir rasen los.
Noah ist immer noch am Telefonieren, während ich versuche, mich wieder in den Griff zu bekommen, was mir nicht wirklich gelingt. Nicht bei den Aussichten.
Nach ein paar Minuten Fahrt stoppt der Wagen und Noah zerrt mich wieder mit sich nach draußen.
Mein letztes Stündlein hat sicher bald geschlagen. Vor lauter Angst zieht sich mein Magen krampfhaft zusammen. Nein, du kotzt jetzt nicht, Charlie.
Wir steigen in einen Sportwagen, auf dessen Beifahrersitz ich gedrückt werde. Noah setzt sich ans Steuer. Ohne eine Silbe zu verlieren, gibt er Vollgas.
Das Motorengeräusch ist so laut, dass ich glaube, mein Schädel platzt gleich. Wenn er weiter so fährt, werden wir sowieso von der Polizei angehalten.
Ich versuche, seine Aufmerksamkeit so wenig wie möglich zu erregen und kralle mich nur panisch ins Armaturenbrett.
Nach ein paar Meilen geht sein Fahrstil ins Gemächliche über, was mich etwas zu laut aufatmen lässt. Er hat es mitgekriegt und mustert mich angestrengt.
Ich hab echt Scheiße gebaut. Das lief absolut nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Wer rechnet denn bitte damit, dass er gewarnt wird, bevor die Polizei da ist?
Wir biegen unvermittelt rechts ab und halten vor einem Rave Club, aus dem ich bis ins Auto die dumpfen Vibrationen des Basses spüren kann.
Noah steigt aus und öffnet meine Tür. Ich presse die Augenlider zusammen, als er mich wieder unsanft aus dem Wagen befördert.
Er drückt mich an die Wagenseite und zieht sich das T-Shirt aus, das er mir sogleich entgegen hält.
„Zieh das an“, befiehlt er mir forsch.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und schlüpfe hinein. Er selbst schließt seine Lederjacke, um seine jetzt nackte Brust zu verbergen.
Mit schier brachialer Gewalt dreht er mich zum Wagen um und schnürt das Laken so fest um meine Hüften, dass ich keuche und mir Tränen in die Augen steigen.
Ehe ich weiß, wie mir geschieht, werde ich wieder über den Parkplatz gezerrt. In dem Aufzug lassen die mich sicher nicht hier rein – ich meine, ich hab ein Laken als Rock an und das T-Shirt ist so groß, dass meine nackte Schulter rausschaut.
Anscheinend ist das mit dem Reinkommen kein Problem, denn am Hintereingang öffnet ein Türsteher schon von Weitem die Tore und wir treten ein.
Schon jetzt versteh ich mein eigenes Wort nicht mehr. Der Bass ist so stark aufgedreht, dass ich glaube, mein Herz fällt außer Tritt.
Wir steigen eine Treppe empor und Noah schließt einen Raum im zweiten Geschoss auf. Das ist eine kleine Wohnung, die spärlich möbliert ist.
Bevor ich mir ein genaueres Bild machen kann, stößt er mich hinein, was mich unsanft auf dem Dielenboden landen lässt.
„GLAUBST DU, DU KANNST MICH FÜR DUMM VERKAUFEN?“ Seine Stimme hallt über die Grundlautstärke hinweg und lässt mich zusammenzucken.
Ich richte mich blitzartig auf und drücke mich an die nächstgelegene Wand. Okay, er ist fuchsteufelswild. Das wird sicher gleich wehtun, wenn er mich verprügelt.
Er läuft durch den Raum zu mir rüber und quetscht mich mit seiner Körpermasse an die Wand.
„Meine Geduld ist am Ende. Ich nehme mir jetzt, was mir gehört“, verlautbart er. Was? Nein. Nein. Bitte schlag mich – alles – nur keine Vergewaltigung.
Ich stemme mich ihm entgegen, als er schon dabei ist, seine Hose zu öffnen und schreie lauthals. Dann schlage ich auf ihn ein, was ihn nicht zu beeindrucken scheint.
Mit einem aggressiven Grölen schubst er mich zurück an die Wand und boxt mir so brutal in den Magen, dass ich zusammensacke.
Ich kann im ersten Moment nicht atmen und sehe Sterne. Meine Beine haben nachgegeben. Mir vergeht gerade Hören und Sehen.
Ich fühle den Boden unter mir. Etwas Schweres liegt auf mir. Noah. Blitzartig komme ich wieder zu mir und spüre schon seine Hand, die meine Schenkel auseinander drücken will. Ich schreie und wehre mich, doch er ist einfach zu stark. Tränen laufen mir über die Wangen, als ich seinen Penis an meinem Eingang spüre.
Auf einmal vernehme ich lautes Hämmern, das in ein Poltern übergeht. Jemand versucht, die Tür aufzubrechen.
„POLIZEI, AUFMACHEN“, dröhnt es von draußen.
Noah lässt schlagartig von mir ab, stößt einen Fluch aus und zieht mich zu sich hoch. Ich bin wie benommen – haben die Polizei gesagt, oder werd ich jetzt endgültig verrückt? Sind die etwa hier, um mich zu retten? Ich kann nicht klar denken. Bin immer noch total verängstigt, wie knapp ich meiner Vergewaltigung entkommen bin. Aber es ist noch nicht vorbei.
Alles geht so schnell und läuft doch irgendwie in Zeitlupe ab. Die Tür fällt krachend aus den Angeln.
Noah, der über sein Gesicht gerade eine Skimaske gezogen hat, schiebt meinen Körper vor seinen und drückt mir von hinten eine Waffe an die Schläfe. Ich kann nicht mal schreien, fühle nur das kalte Metall an meiner Haut, während ich mit einer Ohnmacht kämpfe.
Ein paar Polizisten stürmen mit gezogenen Waffen herein und brüllen um die Wette. Ich kann kein einziges Wort verstehen. Toll, jetzt bin ich wohl geradewegs zur Geisel mutiert.
Dann stößt mich Noah plötzlich in Richtung der brüllenden Polizisten. Im Flug nach vorne vernehme ich nur noch das Zerspringen von Glas, bevor blankes Chaos ausbricht.
Meinen Fall fängt einer von den Beamten ab. Das fröhliche Charlie-durch-die-Gegend-Schleifen beginnt erneut. Nur mit dem Unterschied, dass mir die Knie dauernd wegbrechen.
Dem Bullen scheint das dann doch zu bunt zu werden, denn er hebt mich in seine Arme.
Ich vernehme die Geräusche meiner Umwelt nur, als würden sie durch eine dicke Watteschicht kommen. Ist das der Schock?
Licht wird in meine Augen geleuchtet, was mich gequält die Augen zusammenpressen lässt. Gefühlte hundert Leute quatschen gleichzeitig auf mich ein. Ich werfe meinen Kopf hin und her, um dem Lärm zu entgehen.
Das Ganze wird mir hier zu bunt. Damit das endlich aufhört brülle ich wie von Sinnen: „HALTET DIE KLAPPE!“
Die Laute verstummen sogleich.
Schon viel besser. Die plötzliche Stille hilft mir, mich zu orientieren und als ich in die Runde blicke, erkenne ich Rettungssanitäter, Polizisten und Zivilisten (wahrscheinlich Polizisten in Zivil), die mich verdutzt ansehen. Ich bin wohl laut geworden.
Ein „CHARLIE“, das gerade gebrüllt wurde, reißt uns aus unserem gegenseitigen Anstarren und wir drehen uns alle in die Richtung, aus der mein Name gerade gekommen ist.
Das kam von einem Anzugträger, der – gefolgt von weiteren Anzugträgern, die gerade aus einem Helikopter gestiegen sind – quer über den Parkplatz des Clubs sprintet. Hab gar nicht mitbekommen, dass da ein Heli gelandet ist. Warte mal, den Anzugträger kenn ich doch – Damian.
Da ist diese Sehnsucht in mir, die mich aufspringen und ihm entgegenlaufen lässt.
Dabei pralle ich gegen die Hälfte der hier versammelten Gaffer, was mir in dem Moment sowas von scheißegal ist.
Die Distanz zwischen uns ist schnell überbrückt. Wir fallen uns in die Arme. Meine Knie legen im nächsten Moment ihre Arbeit nieder.
Ich presse mich so fest an ihn, dass es schon wehtut. Gierig atme ich seinen Duft ein. Dabei laufen mir unentwegt Tränen über meine Wangen.
Er ist hier. Es ist vorbei.
Seine Hände umschließen mein Gesicht und er sieht mich an. Da steht so viel Sorge und Erleichterung in seinen Zügen geschrieben, dass meine Knie bereits wieder nachgeben.
Er ringt sichtlich um Fassung – scheint abzuwägen, welche der tausend Fragen, die ihm durch den Kopf schießen, er zuerst stellen sollte.
Das bringt mich zum Lächeln und ich plappere das Erstbeste raus, was mir in den Sinn kommt: „Du hast dir einen Bart wachsen lassen.“ Nach kurzer Verblüffung lächelt auch er.
Gerade als Damian etwas erwidern will, unterbricht uns ein „Charlize“ von einem Anzugträger hinter ihm.
Mein Blick wandert zu ihm und ich erstarre. Okay, fürs Protokoll, jetzt bin ich echt reif für die Irrenanstalt. Panisch klammere ich mich an Damian.
„Damian, ich möchte dich darauf aufmerksam machen, dass ich dabei bin, den Verstand zu verlieren, da ich gerade deinen Vater vor mir stehen sehe, was total unmöglich ist, denn ich war dabei, als er erschossen wurde“, hauche ich eingeschüchtert.
Tränen trüben meinen starren Blick auf Sebastian, der mir im nächsten Moment um den Hals fällt.
Das gibt mir den Rest und könnte jemand mal der Verrückten das Maul stopfen, die sich gerade die Seele aus dem Leib brüllt. Oh, ich glaub, das bin ich.