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Henry

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Ich werde am Arm zurückgehalten. Beliars Berührung löst einen Gefühlsschwall in mir aus, der mir fast die Beine unter den Füßen wegzieht. Wenn ich ihm jetzt in die Augen sehe, gibt mir das den Rest, also weiche ich seinem Blick aus.

„Wage es nicht, vor mir davonzulaufen“, herrscht er mich an. Ich bin so perplex, dass ich fast automatisch seinen Blick suche. Fehler, sag ich nur. Seine Augen nehmen mich bereits gefangen – ziehen mich in den altbekannten Bann, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Lass mich los“, fordere ich ungehalten und versuche, meinen Arm aus seinem Griff zu winden – ohne Erfolg.

Energisch zieht er mich an sich. „Du zweifelst an der Ernsthaftigkeit meiner Worte ... also gut ... ich beweise dir, dass meine Gefühle aufrichtig sind. Werde meine Frau, Raven“, verkündet er.

Bei mir hat Schnappatmung eingesetzt. Er hat mir jetzt nicht gerade einen Antrag gemacht, oder?

Mehr als ein vollkommen überzeichnetes „Wie bitte?“ bekomm ich nicht heraus.

Beliar sieht irritiert aus, erklärt aber nach ein paar Sekunden: „Heirate mich, Raven.“

Ich keuche, weil ich sogar kurz vergessen habe, zu atmen. Unbändige, durch Angst geschürte, Wut steigt in mir auf, die mich vor ihm zurückweichen lässt und in einem fassungslosen „Hhhh“ zutage tritt.

Beliar hat meinen Arm unvorhergesehen losgelassen, was dazu führt, dass ich beim Zurückstolpern fast zu Boden gehe. Im letzten Moment kann ich noch verhindern, dass es mich so richtig schön auf den Hintern setzt. Das Gefühlschaos, das nun in mir wütet, ist fast unerträglich.

„Nein.“ Meine Antwort kam nur in Form eines total verängstigten Flüsterns über meine Lippen.

Beliars Blick spricht Bände. Er ist überrascht, wütend, vor den Kopf gestoßen, enttäuscht und verletzt zugleich. Sein Ausdruck ist wie ein Schlag in meine Magengrube, der mich beinahe würgen lässt.

In meiner Verzweiflung wanke ich zurück und ergreife die Flucht. Unter Tränen sprinte ich den Unicampus entlang, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter mir her. Er hat mir echt einen Antrag gemacht, ich fasse es nicht – ich bin sechzehn, verdammt nochmal.

Unfähig, einen einzigen, klaren Gedanken zu fassen, hab ich den Weg zu meiner Wohnung, dessen Türe ich energisch hinter mir zuschlage, hinter mich gebracht.

Obwohl ich sonst nicht so leicht aus der Puste komme, geht mein Atem stoßweise. Der Aufruhr in meinem Inneren lässt mich mit zitternden Händen nach dem Kräutertrunk greifen, von dem ich mir gleich ein ganzes Fläschchen runterkippe.

Der Druck, der auf meiner Seele lastet, nimmt sofort ab und weicht einer wohligen Wärme. Mein Atem wird ruhiger, der pochende Herzschlag geht wieder in einen gemächlichen Rhythmus über und schlagartig geht es mir besser.

Das Klingeln meines Handys wird mir erst bewusst, als es schon wieder aufgehört hat. Auf dem Display wird das Foto meines Bruders Junus angezeigt, der mir auf die Mailbox gesprochen hat:

Hey Schwesterherz. Wahrscheinlich kannst du grad nicht ans Telefon, weil du dich mit Beliar in den Kissen wälzt. Ich meine, ich will ja echt kein Klugscheißer sein, aber ich hab dir immer gesagt, er wird sich früher oder später für dich entscheiden.“ Mir entweicht erneut ein gequälter Laut. „Wie dem auch sei, als er bei mir war und mich über dich ausgefragt hat, war das so süß – du hättest ihn sehen sollen. Er war richtig nervös, als er hier weg ist. Ich meine, er ist der mächtigste Hexer, den ich kenne – außer deinem Vater natürlich. Ihn kann normalerweise nichts so schnell aus der Ruhe bringen. Wieder ein Zeichen dafür, dass er total in dich verschossen ist. Meld dich und erzähl mir, wie es war – ich meine den Teil, bevor ihrs wie die Karnickel getrieben habt. Du passt doch hoffentlich auf, ich bin eindeutig zu jung, um Onkel zu werden. Ruf mich an. Du hast schon so lange nichts mehr von dir hören lassen und wir haben uns beinahe vier Monate nicht gesehen. Artis wollte schon Hals über Kopf ins Flugzeug steigen und dich besuchen, weil er sich Sorgen macht. Ich mir übrigens auch. Du fehlst uns. Bye, Kleines.

In mir baut sich erneut diese innere Unruhe auf, die ich mit dem Leeren des zweiten Fläschchens im Keim ersticke. Von Weitem kicke ich es in den Mülleimer, wo es scheppernd auf die anderen Zeitzeugen meiner, in letzter Zeit relativ häufigen, Momente der Schwäche, die ich mit dem Mittel zu betäuben versuche, trifft.

Das macht mir grad etwas Angst. Ich nehme den Trank täglich. Er hat mich durch die letzten vier Monate gebracht, sonst wär ich glaub ich nicht fähig gewesen, aus dem Haus zu gehen, geschweige denn in der Uni Leistung zu bringen. Zu sehr haben mich die Erinnerungen an die Zeit im Mittelalter inklusive McConnors Gesicht, als er abgedrückt hat, das mich seitdem verfolgt, runtergezogen.

Kurz frage ich mich, ob einem das Zeug schaden kann, aber die runzlige, alte Kräuterhexe, die ihren Marktstand an der Ecke Eastwood hat, hat mir versichert, es sei alles rein pflanzlich und vollkommen ohne Nebenwirkungen. Ist bloß ein natürliches Beruhigungsmittel, damit ich mich besser fühle – waren zumindest ihre Worte. Sie sagte, sie spüre meinen Kummer bereits, da bin ich noch nicht mal um die Ecke, an der ihr kleiner Kräuterstand steht, gebogen. Keine Ahnung, ob das wahr ist oder ob sie mir einfach nur ihr Zeug andrehen will.

Nach einer ausgiebigen Dusche kuschle ich mich auf die Couch und mache die Glotze an. Beim Zappen stoße ich auf eine Sendung über Planetenkonstellationen.

Sofort muss ich an Gillean denken. Das passiert mir in letzter Zeit öfter. Was er wohl gerade macht? Ich spiele mit dem Gedanken, ihm zu schreiben, trau mich aber irgendwie nicht. Seitdem ich ihn aus dem Krankenzimmer verscheucht habe, hab ich nichts mehr von ihm gehört. Kunststück, er kann ja nicht in meine Zeit kommen – zumindest nicht ohne magische Hilfe. Und seien wir uns mal ehrlich, welcher Hexer würde freiwillig den Großinquisitor per Anhalter durch den Steinkreis mitnehmen?

Ich fühl mich mies, weil ich mich nicht mal für seinen Besuch bedankt habe. Immerhin hat er seinen Vater verloren und trauert sicher um ihn.

Als mich der Lord angeschossen hat, haben ihn einfach zu viele Flüche getroffen. Er war tot, bevor sein Körper den Boden erreicht hat.

Wie kann man nur so egoistisch sein, tadle ich mich selbst. Ich bin in all der Zeit nicht auf die Idee gekommen, ihm mein Beileid auszusprechen, geschweige denn, ihn zu fragen, wies ihm geht. Zu sehr war ich mit meinem eigenen Kummer beschäftigt.

Kurzerhand schalte ich den Fernseher aus, kralle mir ein Stück Papier und schreibe einfach drauflos:

Gillean,

Wusstest du, dass sich die meisten Planeten gegen den Uhrzeigersinn drehen? Wenn ich mich selbst aber im Uhrzeigersinn drehe, wird mir dann weniger schwindlig, als würde ich mich in Richtung der Erddrehung bewegen?

Ich muss immerzu an das denken, was passiert ist.

Können wir uns sehen?

Raven

Gerade wird mir klar, dass ich ihm den Brief gar nicht mit einer Taube schicken kann, denn ich hab ja keine Zauberkräfte mehr. Wieso vergess ich das immerzu? Das passiert mir in letzter Zeit ständig. Manchmal fange ich sogar an, zu singen und stoppe dann abrupt. Ich hoffe, da bricht einfach nur mein Hexeninstinkt durch. Das, oder mein Gehirn ist durch das Koma verbruzzelt. Dementsprechend genervt knülle ich das Papier zusammen und versenke es im Mülleimer.

Ich frage mich gerade, wie lange ich eigentlich noch verdrängen will, dass mir Beliar vorhin einen Heiratsantrag gemacht hat. Auf jeden Fall noch ein bisschen.

Bei dem Gedanken an ihn baut sich in mir wieder dieses Unruhegefühl auf – die Wirkung des Tranks scheint bereits nachzulassen. Toll, normalerweise betäubt das Zeug meine Gefühle länger. Verdammt. Jetzt fühl ich mich wieder in die Zeit vor vier Monaten zurückversetzt und das ist ein Scheißgefühl, über das ich bereits hinweg war – zumindest habe ich es erfolgreich verdrängt. Jetzt kommt alles wieder hoch.

Wieso hab ich „Nein“ gesagt, als er mir den Antrag gemacht hat? Die Frage schießt mir unentwegt durch den Kopf. Aber noch viel beängstigender ist, dass ich darauf keine Antwort habe. Verdammt – hör auf, dich fertigzumachen.

Ich spiele mit dem Gedanken, mir noch ein Fläschchen runterzukippen, verdränge ihn aber aus Angst, mir eine Überdosis von diesem Zeug zu holen und kralle mir meine Jacke, um beim frische Luft Schnappen den Kopf freizukriegen.

Ich bin noch nicht mal zur Tür raus, da sehe ich unentwegt Beliars verletztes Gesicht vor mir. Tränen fluten bereits meine Augen, da brülle ich vor Zorn und schnappe mir erneut eins von den Fläschchen, das ich in einem Zug leere. Nach ein paar Atemzügen setzt dieses Gefühl wieder ein, als wär alles halb so wild. Ich lächle sogar, weil das so guttut.

Im Flur kollidiere ich beinahe mit meinem Nachbarn, Mister Jankins, einem alten, zotteligen Hexenmeister, der mich quietschvergnügt anlächelt.

Ich gehe – wie immer – stumm an ihm vorbei. Er sieht so aus, als sei er der nette Opa von nebenan. Solche Leute haben es meist faustdick hinter den Ohren. Irgendwie habe ich, seitdem ich mich in meinem Onkel so getäuscht habe, Probleme, anderen zu vertrauen.

Manche mögen mich vollen Spottes als Einsiedlerkrebs bezeichnen – ich nenne es eine gesunde Portion Misstrauen gegenüber magischen Wesen.

Durch mein Amulett, das mir Junus zurückgegeben hat, erkenne ich Hexer schon von Weitem. Da stellen sich mir immer die Nackenhaare auf und ein Schauer zieht über meinen Rücken.

Keine drei Schritte später erfasst mich ein Schwindel, der es ganz schön in sich hat. Bevor ich mich irgendwo festkrallen kann, wird mir schon schwarz vor Augen.

Etwas klopft unaufhörlich gegen meine Wange. Genervt grummle ich und schlage die Augen auf. Als ich in das grinsende Gesicht meines Nachbars blicke, rapple ich mich wie vom Blitz getroffen hoch. Okay, was ist hier gerade passiert? Plötzlich wurde mir irgendwie übel, danach bin ich glaub ich zusammengeklappt. Scheiße, ich hätte die dritte Flasche von dem Kräuterzeug nicht runterkippen sollen.

„Ihr jungen Dinger“, stößt der Hexer belustigt aus. „Nichts auf den Rippen und dann bei der kleinsten Anstrengung ohnmächtig werden.“

Erst jetzt erkenne ich die fremde Umgebung inklusive der Couch unter mir. Das ist definitiv die Wohnung eines Rentners. Meine Fresse, hat er mich etwa hier reingeschafft, als ich bewusstlos war?

Meine Alarmglocken läuten. Fast automatisch sucht meine Hand nach meinem Amulett, das sich glücklicherweise noch an seinem Platz befindet. Mister Jankins zieht neugierig die Augenbrauen hoch.

„Hast du etwa Angst vor mir? Rose, nicht wahr?“, will er amüsiert grinsend wissen. Hoffentlich hat er meine Handgelenke nicht kontrolliert, an denen ich immer reichlich Armreifen und -bänder trage, um die Tattoos zu verbergen.

„Ähm“, stoße ich lahm aus, um Zeit für die Suche nach einer anderen Antwort zu schinden, denn den frechen Kommentar: „Was mir Angst macht, ist Ihre Schmuddelcouch, dessen Geruch anhaften bleiben wird“, den ich auf Lager hatte, verkneif ich mir lieber.

Plötzlich bleibt mein Blick an einem Gegenstand im Raum hängen. Es ist ein Bild von einem Mann – nein, einem Krieger mit Vollbart, der auf einem Streitross sitzt. Sein wallendes, hüftlanges Haar schlingt sich um seine nackte Brust, dessen Muskeln so aufgeblasen dargestellt sind, dass das Bild schon fast eine Karikatur sein könnte.

„Wer ist das?“, frage ich, ohne nachzudenken.

„Ähm Jesus“, stößt der alte Mann aus. Er hält mich echt für total dämlich. Das ist doch nicht Jesus.

„Du bist merkwürdig“, stellt er fest, nachdem er mich ausgiebig gemustert hat. Dabei kneift er die Augen zusammen, als würde er durch mich hindurchsehen wollen. Fühlt er etwa, dass ich auch eine Hexe bin?

„Wie charmant“, spotte ich, ohne mir mein Unbehagen anmerken zu lassen.

Er lächelt verschmitzt, steht auf und kramt in einer Schublade. „Wo hab ich denn … ah“, spricht er zu sich selbst.

Meine Glieder versteifen sich, denn er könnte eine Waffe rausziehen. Fast automatisch greift meine Hand in die Jackentasche, in der ich immer ein Messer mit mir rumtrage. Was soll ich sagen, ich bin ein gebranntes Kind.

Als er mir die Karte zur Identifikation von Hexen vor die Nase hält, lockere ich meinen Griff sogleich.

„Was siehst du darauf?“, will er wissen.

Natürlich sehe ich den Raben nur zu deutlich, aber lüge: „Nichts.“ Ich will lieber inkognito bleiben.

Er nickt nachdenklich. Blöderweise weckt die verdammte Karte Erinnerungen. Bilder fluten meinen Geist – glückliche Momente, die ich mit Beliar hatte, als ich noch dachte, ich wär Hope.

„Können Sie mir sagen, wie man Gefühle betäuben kann?“, sprudelt es aus mir heraus. Ja ich weiß, das ist feige, aber ich will nichts mehr fühlen. Es tut so weh, an ihn zu denken.

Der Hexer runzelt die Stirn. Sichtlich vor den Kopf gestoßen erklärt er: „Wieso sollte jemand Gefühle wegschließen wollen? Sie sind doch das, was uns lebendig macht.“

„Was, wenn sie einem Höllenqualen bereiten?“, frage ich ihn.

Einige Sekunden schweigt er nachdenklich. „Verspürst du Höllenqualen?“, will er wissen.

„Ja“, gebe ich zu.

„Aber du siehst nicht so aus. Ganz im Gegenteil. Du wohnst jetzt schon vier Monate hier und jedes Mal, wenn ich dich sehe, machst du einen ganz gefassten Eindruck. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, du wärst glücklich und zufrieden“, teilt er seine Beobachtung mit mir. Tja, ist alles Tarnung.

„Ich bin genauso wenig glücklich und zufrieden, wie der Typ auf dem Bild Jesus ist“, knalle ich ihm vor den Latz.

„Ich wusste es, dass mit dir etwas nicht stimmt“, erklärt er etwas unbehaglich.

„Haben Sie Angst vor mir?“, fordere ich ihn heraus. Kurz sieht er etwas ertappt aus, lächelt aber gleich daraufhin.

„Touché“, gibt er sichtlich beeindruckt zu.

„Wissen Sie jetzt, wie man Gefühle betäubt oder nicht?“, verlange ich ungeduldig.

Er taxiert mich mit seinem Blick, versucht abzuschätzen, was genau an mir seltsam ist, sagt aber dann: „Möglicherweise.“

„Ich höre“, fordere ich.

„Was bietest du im Gegenzug für die Information an?“

War ja so klar. „Was wollen Sie?“

Der Mann lächelt. „Einen Gefallen.“

„Welcher Art?“, verlange ich.

„Ich habe einen Enkelsohn, der sich über ein Rendezvous freuen würde. Er hat ein Auge auf dich geworfen, als er dir vorigen Sonntag im Flur begegnet ist, nachdem er hier zu Besuch war.“ Was?

„Das ist ein Scherz?“, pruste ich mit erhobenen Augenbrauen.

„Keineswegs. Er hat dich sogar angesprochen, aber du bist in Gedanken versunken an ihm vorbeigelaufen, als wäre er Luft“, meint der Hexer. Das muss mir wohl entgangen sein. Naja, vielleicht war der Typ ja unscheinbar oder, was viel realistischer ist, ich hab wieder auf Grübelmodus geschaltet, was mich üblicherweise komplett von der Außenwelt abschottet.

„Wo ist der Haken?“, will ich wissen.

„Es gibt keinen Haken. Mein Enkel ist ein Gentleman, wohlhabend, gutaussehend – ein wahrer Charmeur“, schwärmt der Hexer.

„Da haben wir den Haken“, verkünde ich. „So einen Typen gibt’s nicht. Die Beschreibung ist zu schön, um wahr zu sein. Außerdem, wieso braucht er seinen Großvater, um an Dates zu kommen, wenn er doch solch ein Traummann ist? Äußerst verdächtig, wenn Sie mich fragen. Also ist er entweder ein Herzensbrecher, ein arrogantes Arschloch oder beides.“

„Ich gebe zu, der Hang zum Herzensbrecher ist bei ihm minimal ausgeprägt, was er übrigens von mir geerbt hat“, erklärt der Alte augenzwinkernd. Ich muss lächeln, weil sein Herzensbrecher-Dasein sicher schon ein paar Jahrzehnte zurückliegt. Mann, was für ein Kuppler.

„Krieg ich jetzt die Information oder setzen Sie gleich Kaffee auf und holen die Babyfotos von Ihrem Enkel raus?“, fordere ich mit einem Hauch Sarkasmus.

„Gehst du mit ihm aus, wenn ich es dir erzähle?“, hakt er nach.

„Na schön, aber nur ein Date und Sie quatschen mich deshalb nicht an. Denken Sie bloß nicht, wir wären jetzt Freunde, nur weil wir einen Handel eingegangen sind.“

Er grinst schief und sagt: „Also gut, Efeu gemischt mit anderen Kräutern wie Johanniskraut und Saft der Passionsblume bewirken eine vorübergehende Betäubung von Angstzuständen und innerer Unruhe. Das Mittel heißt Ambrosia – wie die Götterspeise.“ Er hat echt Efeu gesagt – verdammt.

„Ich dachte immer, Efeu wäre giftig“, wende ich ganz nebenbei ein.

„Ist es auch, aber in kleinsten Mengen verabreicht, wirkt es betäubend auf Körper und Geist. Es versetzt einen in eine wahrliche Glückseligkeit“, klärt er mich auf. Mann, her mit dem Zeug.

„Wie lange hält der Trank an?“, will ich wissen.

„Oh, es ist kein Trank – eher ein Mittel, das ins Blut injiziert wird. Je nach der Stärke der negativen Gefühle, wirkt es zwei bis vier Tage lang“, informiert er mich.

„Wo bekommt man so etwas?“

„Nur auf dem Schwarzmarkt“, stellt er fest.

„Auf dem Schwarzmarkt?“, hinterfrage ich seine Aussage.

„Ja klar. Es ist eine Droge“, sagt er doch tatsächlich. Meine Alarmglocken läuten erneut.

„Ich nehm keine Drogen“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

„Sehr vernünftig“, lobt er mich. Hey, was soll das?

Das ist die Information? Sie empfehlen mir Drogen?“, stoße ich aufgebracht aus.

„Glaubst du, Gefühle, die Höllenqualen auslösen, kann man so einfach mit einem Tee betäuben?“

„Woher wissen Sie eigentlich so gut über das Zeug Bescheid? Sind sie Dealer?“

„Nein, mein Enkel nimmt das manchmal auf Partys“, antwortet er.

Ihr Enkel ist ein Junkie?“, pruste ich krächzend. Wo wir wieder beim Haken wären.

„Natürlich nicht. Das sind harmlose Jugendgeschichten. Er ist … stark und bei starken … ähm Menschen hat das Zeug eine … gemäßigte Wirkung“, stottert er. Also das heißt im Klartext, auf Hexen wirkt das Zeug anders, als bei Menschen. Wahrscheinlich werden wir davon nicht süchtig – davor schützt uns möglicherweise die Magie in uns. Klingt logisch. Ich sollte seinen Enkel auf jeden Fall dahingehend ausquetschen.

„Kaffee?“, bietet mein Nachbar an.

„Nein danke. Ich sollte gehen“, erkläre ich. Schnell weg hier. Der Kerl ist mir nicht geheuer.

„Ja, mach dich zurecht. Mein Enkelsohn ist schon auf dem Weg hierher“, informiert er mich. Was? Moment mal.

„Wie kann er auf dem Weg sein, wenn er doch noch gar nichts von dem Date weiß“, wende ich ein.

Sichtlich ertappt redet er sich mit „Er kommt mich … also, heute besuchen, … ganz zufällig … da könnt ihr zwei doch gleich um die Häuser ziehen“ raus. Das war gelogen – sicher stehen sie in mentaler Verbindung oder kommunizieren irgendwie anders miteinander.

Ich nicke, denn ich hab keine Lust, meine Tarnung als Mensch zu verlieren. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist Aufmerksamkeit in der Nachbarschaft zu erregen.

Der Hexer bringt mich zur Tür und hält mich mit den Worten „Du bist ein ganz besonderer Mensch, Rose. Das spüre ich“ zurück. Tja, vielleicht, weil ich kein Mensch, sondern eine Hexe ohne Zauberkräfte bin.

„Wow, danke“, stoße ich überspielt freundlich aus.

Im nächsten Moment setzt er mich schon grinsend vor die Tür. Toll, jetzt hab ich mir doch tatsächlich eine Verabredung mit einem Hexen-Junkie eingehandelt – am Tag meines Heiratsantrages. Mein Leben ist schon irgendwie schräg.

Aber das mit diesem Glückszeug klingt interessant. Diese blöde Kräutermischung vom Markt scheint keine Wirkung mehr zu zeigen – zumindest nicht die, die ich mir erhoffe.

Eine halbe Stunde später klingelt es an meiner Tür, die einen lässig am Türrahmen lehnenden Anzugträger Marke Schönling freigibt. Schlagartig muss ich laut lachen, was ihm sein aufgesetztes Grinsen schlagartig von der Backe fegt. Er ist sexy, aber ein ziemlich von sich eingenommener Modeltyp, der obendrein überhaupt nicht mein Typ ist.

Beliar, der genau mein Typ ist, schafft es erneut, in mein Bewusstsein vorzudringen, aber nur kurz, bevor ich mich am Riemen reiße und die Gedanken verbanne.

„Dein Großvater hat nicht zu viel versprochen“, konnt ich mir jetzt einfach nicht verkneifen.

Sein Blick wird wieder lauernd. „Wir sind uns bereits begegnet, aber du hast mich keines Blickes gewürdigt, Schönheit“, schleimt er.

„Lass mich raten, das bist du nicht gewohnt“, war jetzt nicht die Antwort, die er erwartet hatte.

Er ist noch gefühlsmäßig hin- und hergerissen, ob er die Herausforderung, mich abzuschleppen annehmen oder unter einem Vorwand das Weite suchen sollte – entscheidet sich aber dann für Letzteres. „Ich bin Henry.“

„Rose“, erkläre ich. Er setzt zum Handkuss an, den ich ihm so richtig schön verwehre.

„Damit eins klar ist, ich gehe nur mit dir aus, um deinem Opa einen Gefallen zu tun“, kläre ich die Fronten sogleich. „Es gibt keinen Kuss, kein Rummachen und schon gar keinen Sex, also mach dich locker.“ Dabei klopfe ich ihm freundschaftlich an die Schulter.

Henry ist so perplex, dass er kaum reagieren kann. Nach gefühlten Sekunden hat er sich halbwegs gefangen.

Ich frage mich, wie weit ich gehen kann, bevor ihm der Geduldsfaden reißt, immerhin ist er ein Hexer und ich ein Mensch – zumindest so gut wie, so ganz ohne Zauberkräfte.

„Mein Großvater sagte mir bereits, du wärst etwas Besonderes. Ich verstehe nun, was er damit gemeint hat“, erklärt er interessiert.

„Nur weil ich nicht gleich dahinschmelze und schmachtend an deinen Lippen hänge, bin ich noch lange nichts Besonderes“, knalle ich ihm hin, ziehe die Jacke von der Garderobe, schließe ab und frage: „Können wir?“ Ich sollte ihn vielleicht weniger anmotzen. Er bereut sicher bereits, mit mir ausgehen zu müssen.

Henry nickt und dackelt mir hinterher. Vor dem Haus steht ein protziger, schwarzer BMW, an dem er mir galant die Tür aufhält. Unbeeindruckt, als würde ich in einen rostigen VW Käfer steigen, nehme ich Platz.

Bevor er den Wagen startet, mustert er mich interessiert von der Seite aus. „Du bist wunderschön“, haucht er fasziniert. „Ich mag dein schwarzes Kleid.“

„Hör auf, deine Abschleppnummer abzuziehen. Auf so etwas hab ich keinen Bock“, fahre ich ihn zickig an.

„Auf was hast du denn Bock?“, sagt er so offensichtlich obszön, dass ich beinahe kotzen muss.

„Tanzen“, schwärme ich sehnsüchtig.

Er lächelt und startet den Motor. „Kannst du haben, Baby.“

„Nenn mich nicht nochmal so“, raune ich wild.

„Du bist ganz schön frech für meinen Geschmack“, stellt er sichtlich erbost fest.

„Wer sagt, dass ich deinem Geschmack entsprechen will“, kontere ich.

Zu meiner Verblüffung lächelt er, dreht sich zu mir und verlangt mit beinahe hypnotisch verstellter Stimme: „Du tust, was ich dir sage.“ Er wollte mich gerade verhexen, denn die Gänsehaut zieht in Wellen über meinen Körper. Bin ich froh, dass ich das Amulett trage. Er will also spielen, kann er haben.

Monoton antworte ich: „Ja.“

Der Hexer wendet den Blick ab und verlangt: „Zieh dein Höschen aus.“ Mann, was für ein Primat. Langsam dämmert mir, wie sehr man als Mensch Freiwild für die Hexer ist – besonders als Mädchen. Ich bin sicher, er zieht das jede Nacht mit einer anderen ahnungslosen, jungen Frau ab. Es wird Zeit, ihm eine Lektion zu erteilen. Ich fasse es nicht, dass ich das jetzt tue, aber es dient einem höheren Zweck.

Brav greife ich unter mein Kleid und ziehe mir das Höschen über die Knie, das er mir fast brutal aus der Hand reißt, um es sich in die Jacketttasche zu stopfen.

Er beobachtet mich aus dem Augenwinkel. „Sind das halterlose Strümpfe?“, will er wissen.

„Ja“, antworte ich.

„So mag ich das. Schieb den Rock hoch, damit ich sie sehen kann“, befiehlt er herrisch. Darauf bedacht, ihm das Messer, das ich an meinen Oberschenkel gebunden habe, nicht zu zeigen, schiebe ich den Saum hoch.

Seine Hand greift an mein Knie und wandert meinen Schenkel entlang. Seine Berührungen sind mir unangenehm, aber da muss ich jetzt durch.

Glücklicherweise biegen wir bereits auf den Parkplatz eines Nachtclubs mit dem Riesenschild „Trance“ ein.

Er öffnet mir die Tür und wir betreten den noblen Schuppen, der nur so vor Magie zu pulsieren scheint. Gänsehaut zieht schlagartig über meinen gesamten Körper. Okay Hexenclub, war irgendwie klar.

Gerade beschleicht mich das ungute Gefühl, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, mit einem Hexer auszugehen, den ich kaum kenne. Ich versuche, mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, vertraue auf das Amulett um meinen Hals und bemühe mich, die Tatsache zu verdrängen, ohne Höschen rumzulaufen.

Die Tanzfläche ist gut besucht – sie spielen Rave Rhythmen, die mich bereits locken. Ich will mich bewegen – jetzt.

Blöderweise zieht mich Henry schnurstracks an die Bar, setzt sich auf einen Hocker und bugsiert mich vor sich. Mit beiden Händen an meiner Hüfte presst er mich an sich.

Ich spüre einige interessierte Blicke der männlichen Anwesenden auf mir haften. Henry scheint es auch bemerkt zu haben und drückt mich besitzergreifend an sich, um mir ein „Du gehörst mir. Hast du mich verstanden“ ins Ohr zu flüstern. Der letzte Satz war übrigens keine Frage – es war eher ein Befehl.

Jede Zelle in mir sträubt sich gegen seine Worte, aber ich hauche ein „Ja“, schütte den Drink, den er für mich bestellt hat, in einem Zug runter, winde mich lächelnd aus seinem Griff und laufe auf die Tanzfläche. Ich will jetzt tanzen, nicht quatschen. Die Hoffnung, er sei ein Tanzmuffel, war zugegebenermaßen etwas unrealistisch, immerhin ist er Hexer. Tanzen ist für ihn eins der wichtigsten Rituale.

Schlagartig bin ich in meinem Element, bewege meinen Körper aus tiefster Seele. Das bringt mir, ganz zum Leidwesen meines Dates, interessierte Blicke der anderen Hexer ein, die ich kaum wahrnehme, weil ich bereits wie in Trance bin. Passend zum Namen des Clubs.

Immer wieder kommt Henry näher und grapscht mir an den Arsch, aber ich schubse ihn brutal weg. Er ist sichtlich herausgefordert und erregt von meinem Tanz. Nicht nur er, bald tanzen mich weitere Hexer an, was meinem Begleiter nicht zu gefallen scheint.

Der Nebel, den sie auf die Tanzfläche sprühen, schlingt sich um meinen Körper, als würde er mit mir tanzen, mich überall liebkosen.

Die Männer tauschen irritierte Blicke aus. Sie verstehen nicht, wie ein nichtmagisches Wesen so etwas bewirken lassen kann – ich auch nicht, denn eigentlich hab ich keine Kräfte mehr. Es ist mir auch egal – ich will tanzen, sonst nichts.

Nun wagen sich die ersten Männer näher an mich heran. Ich spüre schon Hände an meiner Hüfte. Energisch brülle ich den Mann, der mich berührt hat, wie eine Verrückte an.

Er stolpert sogar verblüfft zurück. Ich lache laut, drehe mich im Kreis. Erste Handgemenge brechen aus.

Mein Begleiter will mich von der Tanzfläche ziehen, doch ich wehre mich dagegen. Er ist aber stärker als ich, hebt mich in seine Arme und verfrachtet mich – unter lautstarkem Protest seiner Mitstreiter – in einen Nebenraum, in dem er mich runterlässt und mit seinem Körper an die Wand presst.

„Was bist du?“, haucht er halb fasziniert, halb irritiert.

„Ein Monster“, antworte ich böse funkelnd. Er hält es für einen Scherz, drückt sich an mich und küsst meinen Hals.

„Blas mir einen“, fordert er gebieterisch.

Energisch brülle ich ein „NEIN“ und schubse ihn weg. Widerworte ist er wohl nicht gewohnt – seinem Gesichtsausdruck zufolge. Dass sein Zauber keine Wirkung zeigt, realisiert er gerade haareraufend. Jetzt geht seine anfängliche Verblüffung in Wut über, die er an mir auslässt.

Blitzschnell bekommt er meinen Arm zu fassen und stößt mich auf eine der weißen Liegeflächen, die mitten im Raum stehen. Bevor ich reagieren kann, ist er bereits über mir und drückt mir mit einer seiner Pranken die Handgelenke in die Polsterung über meinen Kopf.

Mein Herz schlägt viel zu schnell. Unbändige Wut steigt in mir auf. Als er schon an seiner Hose nestelt, entweicht meiner Kehle ein ohrenbetäubender Schrei, der ihn zurücktaumeln lässt. Wahrscheinlich hat er sich vor der Lautstärke erschrocken. Daraufhin packt ihn jemand von hinten und donnert ihn an die Wand.

Ein Türsteher-Hexer versenkt eine schwarze Kugel in seinem Allerheiligsten. Das hatte Henry wohl nicht kommen sehen, denn er geht stöhnend in die Knie.

Der Bulldozer zieht mich in eine aufrechte Position und lächelt mich scheu an. Ich erwidere es, immer noch mit zittrigen Knien. Wow, das war haarscharf an einer Vergewaltigung vorbeigeschossen.

Nach ein paar Sekunden hab ich mich halbwegs im Griff, sodass ich zumindest aus meiner Schockstarre erwache. Der Ärmel meines Kleides ist abgerissen. Netterweise hängt mir der Türsteher Henrys Jackett um die Schultern, das er ihm gerade vom Leib gehext hat. Da er den Schmerz augenscheinlich noch immer nicht überwunden hat, scheint es ihn nicht zu stören oder er hat es gar nicht mitbekommen.

Dass mich der Gorilla aus dem Club begleitet, beruhigt mich ungemein. Vor allem, weil ich doch lästig viel Aufmerksamkeit errege.

Ich steige in Henrys BMW, dessen Schlüssel ich aus seiner Jacke ziehe und brause davon. Erst jetzt scheint mein Körper die volle Tragweite der letzten paar Minuten zu realisieren. Mein Zittern intensiviert sich, geht in ein Beben über. Da ich schon bald das Lenkrad nicht mehr ruhig halten kann, fahre ich rechts ran.

Wie dumm kann man eigentlich sein, tadle ich mich selbst. Ich geh echt mit einem Wildfremden in einen Hexenclub – ohne Zauberkräfte. Das sieht mir gar nicht ähnlich. Normalerweise passe ich besser auf mich auf. Ich halte diese Scheiße nicht mehr aus – genau davor wollte ich mich schützen, indem ich die Magie in mir losgelassen habe.

Erschöpft lehne ich den Kopf ans Lenkrad. Mein Schluchzen kommt schubweise und geht in heiße Tränen über, die meine Wangen herunterlaufen.

Die morgendliche Dämmerung gibt den Blick auf den Michigansee frei, den ich neben der Straße erkenne. Aus einem Impuls heraus steige ich aus und stapfe das Ufer entlang.

Eiskalter Wind bläst mir entgegen, aber das macht mir nichts aus. Es ist eine Abwechslung, mal etwas anderes als den Schmerz in meinem Inneren zu fühlen, auch wenn es nur die beißende Kälte ist. Aber selbst sie vermag es nicht, mich zu betäuben. Es gelingt mir kaum, meinen Gefühlen Herr zu werden. Wie Wellen schwappen sie über meinen Körper hinweg, zwingen mich in die Knie, sodass sich der Sand in meine Handflächen gräbt.

Ein mir bis jetzt unbekanntes Gefühl erfüllt mich, nachdem ich mit zitternder Hand die Ampulle von Henrys Jackentasche herausgezogen habe. Das neue Gefühl besteht aus Angst, die mit einem Schuss Sehnsucht versetzt ist.

Es ist eine gläserne Spritze, auf der Ambrosia steht, deren Entdeckung ich machte, als ich vorhin nach den Autoschlüsseln gesucht habe.

Meine böse, innere Stimme ermutigt mich, einmal all meine Selbstbeherrschung über Bord zu werfen, aber mein Verstand rät mir davon ab.

Irgendwie treten auf einmal Lord Thalis‘ Worte in mein Bewusstsein: „Wir haben gerade über absolute Körperbeherrschung gesprochen. Für einen Magier ist es notwendig, nicht nur seinen Geist, sondern auch seinen Körper zu kontrollieren. Ich finde, du bist dafür ein gutes Beispiel, Hope“. Ist es das, was ich bin – ein verklemmtes, kontrolliertes Monster, das von seinen Emotionen übermannt wird?

Lass einfach los – sage ich mir wie ein Mantra. „Ich will glücklich sein. Nichts weiter“, ist mein einziger Gedanke, als ich mir die Spritze in die Vene jage.

Das Serum breitet sich wie ein Buschfeuer in meinem Inneren aus, flutet mich mit einer inneren Wärme, wie ich sie noch nie zuvor verspürt habe. Meine Ängste sind wie weggeblasen. Glücksgefühle treten an ihre Stelle, lassen mein Herz höher schlagen. Eine ganzheitliche Euphorie erfasst mich, bringt mich zu herzhaftem Lachen. Ich will tanzen, Spaß haben – einfach leben.

Energisch streife ich mir das Jackett und daraufhin das Kleid ab, weil mich diese Hitze durchflutet, die unglaublich guttut.

Vollkommen befreit stürze ich mich in die Fluten, die meine Haut prickeln lassen. Das Wasser ist wie eine kalte Dusche, die meinen Körper belebt. Vergnügt wirble ich herum, bin einfach frei. Lasse einfach los.

Plötzlich erhebt sich das Wasser vor mir in einer unnatürlichen Form. Einen Wimpernschlag später baut sich eine männliche Gestalt, die vollständig aus Wasser zu bestehen scheint, vor mir auf und streckt mir die Hand entgegen, als würde sie mir anbieten, sie zu ergreifen. Obwohl das hier gerade voll gruslig ist, muss ich trotzdem lächeln. Wow, was für ein Trip, das Zeug haut ja voll rein.

Die Gestalt erwidert mein Lächeln und kommt auf mich zu. Komisch, ich verspüre keine Angst, obwohl mir irgendetwas sagt, dass ich sie empfinden sollte. Gesunder Menschenverstand vielleicht, der bei mir mit über Bord gegangen ist.

Die Hand der Kreatur streicht über meine Wange. Die Berührung ist kalt, aber dennoch nicht unangenehm.

Im nächsten Atemzug spüre ich einen sanften Druck an meiner Hüfte. In den Zügen der Wassergestalt liegt eine Faszination, die mich schlagartig in einen Bann zieht. Ohne Gegenwehr lasse ich es zu, dass mich diese Kreatur an ihre kalte Brust zieht.

Kurz flackert eine unterschwellige Emotion auf, die mich erinnert, dass mich dieser Typ unter Wasser ziehen kann, aber sie schafft es nicht, mich aus der Ruhe zu bringen. Das Glücksgefühl in mir überwiegt, verdrängt jede Furcht.

Mein Atem geht stoßweise, als der Wassermann über meinen Rücken bis hin zu meinem Nacken streichelt und mich mit sanftem Druck näher an sich heran zieht.

Eine Welle schwappt an meinen Rücken und überbrückt den Abstand zu seinem Mund sogleich.

Kurz schrecke ich zurück, weil sich sein Kuss so kalt anfühlt, aber meine erhitzten Lippen vermag das kaum zu kühlen. Seine sanften Berührungen nehmen mir die Scheu vor diesem Wesen. Ganz im Gegenteil, in mir lodert ein Durst auf, den ich kaum zu stillen vermag. Das klarste Wasser, das ich jemals gekostet habe, rinnt mir die Kehle hinab.

Sein Griff schließt sich fester um meinen Körper und auch dem Wassermann scheinen diese Berührungen zu gefallen, denn sein Kuss wird fordernder.

Ich schließe die Augen und fühle nur noch seinen nassen, festen Körper, während ich von seinen reinen Lippen koste. Eine nächste Welle trifft meinen Körper. Es fühlt sich so an, als würde ich von den Fluten fortgetragen werden.

Ich lasse es zu, dass er meinen Körper in seine Arme hebt und mich im seichten Wasser des Ufers ablegt.

Als er sich über mich legt, bin ich wie in Trance. Das Wasser schwappt immer wieder über meinen Körper und zieht sich in stetem Rhythmus zurück. Während mich der Wassermann bis zur Besinnungslosigkeit küsst, ist er stets darauf bedacht, meinen Kopf vor den brechenden Wellen zu schützen, damit ich kein Wasser schlucke. Sie müssen von ihm ausgehen, denn der See ist keinen Gezeiten ausgesetzt.

Das kühle Nass ist überall auf meinem Körper. Ich will mehr, trinke wie eine Verdurstende. In seinen klaren Augen lese ich dieselbe Leidenschaft. Ich bin nur noch am Fühlen – lasse mich in einem Meer aus Empfindungen treiben.


Wer braucht schon Zauberkerle?

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