Читать книгу Der Sandmann kann mich mal - Marie Lu Pera - Страница 4

12 Monate, 1 Tag, 2 Stunden

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Ein paar Stunden später ruft mich ein Klingeln an der Wohnungstür auf den Plan, dem ich nachgebe und aufmachen gehe.

Da steht – zu meiner Verblüffung – mein Beinahe-Boss vor mir, der die Zahnbürste, die mir aus dem Mundwinkel hängt, angewidert fixiert, bevor ich sie ihm herausfordernd entgegenstrecke.

„Woher wissen Sie, wo ich wohne, verdammte Scheiße nochmal?“, knalle ich ihm hin. Was hat Linda noch alles verraten? Ich muss echt mal ein ernstes Wörtchen mit ihr wechseln, wenn sie aufsteht. Wie spät nachts ist es eigentlich? Ich muss wohl schon wieder vor der Glotze die Zeit übersehen haben.

Er hält mir im nächsten Augenblick meine Tasche hin, die ich anscheinend bei ihm liegengelassen habe. Naja, die Schlüssel steck ich immer in die Jackentasche, also ist mir der Verlust noch gar nicht aufgefallen.

Ich bin so ein Schussel. Wenn der Kopf nicht angenäht wär. Mann, ich hoffe, er hat da drin nicht rumgestöbert. Wie peinlich wär das denn?

„Unglaublich, wie viele Habseligkeiten in dieses kleine Ding passen“, stellt er fest. Toll, er hat sie durchforstet. „Unter anderem auch Ihr Personalausweis mit Ihrer Adresse.“

„Gut zu wissen, dass er noch da drin ist. Den such ich schon seit Wochen. Haben Sie mein Tamagotchi gefüttert?“ Er lacht nicht, sieht mich einfach nur emotionslos an.

Der Kerl ist schon ein Schnittchen – naja, wär da nicht der Haken, dass er total von sich eingenommen und sicher ein schwuler Messdiener ist. Wieso sollte sich so ein Prachtexemplar sonst für die vollkommene Entsagung entscheiden?

„Miss Brown“, setzt er an.

„Ruby“, korrigiere ich ihn.

„Wie auch immer“, stößt er genervt aus. „Es trifft sich gut, dass Sie noch nicht zu Bett gegangen sind, denn ich brauche Ihre Assistenzdienste noch in dieser Nacht. Also jetzt sofort. Lassen Sie uns keine Zeit verlieren.“ Klingt irgendwie so, als wolle er mich zu einem spontanen Pornodreh abholen.

„Ich dachte, ich komme nicht infrage. Ich glaube mich zu erinnern, dass Sie bei der Urteilsverkündung so einen angewiderten Gesichtsausdruck draufhatten – wie eben. Aber das kann ich mir auch eingebildet haben“, spotte ich lächelnd.

Er braucht ein paar Sekunden, um etwas zu erwidern: „Sagen wir mal so. Bis ich jemanden finde, der für den Job geeignet ist, werde ich auf Sie zurückgreifen.“ Wie gemein war das denn. Bin ich zweite Wahl, oder was?

Na warte. „Nun zu meinen Bedingungen“, erkläre ich. „Ich putze nicht, koche nicht, spiel nicht den Chauffeur, nenn Sie nicht Meister, mach bei keinem kranken Schweinkram mit und bekomme dreißig Dollar die Stunde.“

Er schnaubt belustigt auf. „Fünfzehn Dollar“, feilscht er.

„Siebenundzwanzig Dollar“, biete ich.

„Achtzehn Dollar“, unterbietet er mein Angebot.

„Sechsundzwanzig Dollar. Vergessen Sie nicht – immerhin wurde ich wärmstens empfohlen“, argumentiere ich.

„Fünfundzwanzig Dollar. Das ist mein letztes Angebot“, informiert er mich. Er ist so ein Macho-Typ, der immer gewinnen muss.

„Kompromiss: Fünfundzwanzig Dollar in der Stunde für Tages- und sechsundzwanzig Dollar für Nachtarbeit. Immerhin berauben Sie mich meines wohlverdienten Schlafes“, entgegne ich.

Er scheint angestrengt zu überlegen, willigt dann mit einem „Abgemacht“ ein und hält mir die Hand hin, die ich beherzt ergreife.

Er gibt sie aber nicht mehr frei, zieht mich daran aus der Wohnung. „Kommen Sie, ich bezahle Sie nicht fürs Rumstehen“, knallt er mir hin, während ich die Zahnbürste in den Flur werfe und nach den Schlüsseln und meiner Jacke fische. Alles, bevor er mich gänzlich durch den Türspalt schleifen konnte. Das fängt ja schon gut an.

Ist ja nicht so, als hätte ich gerade nur eine graue Pyjamahose und ein ausgewaschenes T-Shirt an, das ich unter der Jacke verberge.

„Sagt der Quacksalber zu seiner frisch gebackenen Komplizin“, spotte ich. „Wie lautet eigentlich meine offizielle Berufsbezeichnung: ‚Assistenz der Quacksalbung‘?“

Er schnaubt abfällig und drückt mich vor der Haustür zu so einer schwarzen Luxuskarosse, die im absoluten Parkverbot steht. Meine Fresse, der zieht echt den Leuten gutes Geld aus den Taschen. Naja, solange ein Teil in meine Richtung fließt, solls mir recht sein.

Es ist noch dunkel draußen – womöglich ziemlich spät nachts.

„Schnauben Sie nicht“, tadle ich ihn. „Das brauch ich für die Auswahl des richtigen Formulars beim Finanzamt.“ Wers glaubt. „Und für die Krankenversicherung, die Sie sicher für mich abschließen werden.“

„Ich glaube, Sie träumen noch“, stellt er amüsiert fest. Einen Versuch wars wert.

„Das kann ich mit absoluter Sicherheit verneinen – weil Sie dann nicht drin vorkommen würden“, kontere ich, aber er ist mich schon wieder am Ignorieren. Naja, es sei denn, es wär ein Alptraum, sollte ich einlenken. Ach, drauf geschissen. Immerhin bin ich heute gut drauf.

Blitzschnell umrundet er den Schlitten und steigt ein. Als ich die Türe zuschlage, kann ich mir ein: „Ich dachte immer, diese Penisfortsätze wären mit automatischen Türöffnern ausgestattet. Aber was soll dabei rauskommen, wenn man Männer Autos bauen lässt.“

Ich hoffe, er versteht die unterschwellige Message. Wohl eher nicht, denn er startet den Wagen wortlos und braust los.

Ich versuche, meine Alarmglocken zu ignorieren, die unentwegt schrillen: „Er könnte dir immer noch an die Organe gehen und dann mit dir ins Disneyland. Wahlweise auch in anderer Reihenfolge.

„Also Cowboy, wo geht’s hin?“, breche ich unser Schweigen.

„Zu einem Mandanten“, antwortet er knapp angebunden, „Und nennen Sie mich nie wieder Cowboy“, ergänzt er drohend. Ooooookkkkkaaayyyy.

„Es gibt also Leute, die Ihre Dienste noch zu so später Stunde in Anspruch nehmen, Boss“, stoße ich das bisschen gefährliches Halbwissen aus, das ich zusammenkratzen kann.

„Ja“, bestätigt er das Offensichtliche, ohne mich dabei anzusehen.

„Jetzt lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen. Wie sieht so ein Einsatz aus? Man muss ja ziemlich verzweifelt sein, wenn man sich einen Quacksalber um die Uhrzeit kommen lässt.“

„Was hat Ihnen Andrew über mich und meine Arbeit erzählt?“, will er wissen.

„Dass Sie der Transporter sind, mit All-inclusive-Leichenservice, der die Teile gleich noch mumifiziert oder ausstopft – zu Ausstellungszwecken, versteht sich“, verarsche ich ihn.

Sein Kopf schießt zu mir und erkennt nach kurzer Zeit mein Grinsen. „Es ist nicht sehr klug, mich zu reizen“, sagt er doch tatsächlich.

„Das war ein Scherz.“ Mann, der ist ja noch verklemmter als ich dachte. „Das könnte Ihnen in meiner Gesellschaft durchaus öfter passieren. Was soll ich sagen, wär ich ein Kerl, hätt ich schon Prügel eingesteckt.

Was für ein Quacksalber sind Sie denn? Wir wissen doch beide, dass dieser Pater mich angelogen hat, als er behauptete, Sie wären ‚so was wie ein Arzt‘.“

„Ich bin eher ein Heiler“, berichtigt er mich, während er auf den Highway auffährt.

„Eher so kräuterhexenmäßig, Schamanen-voodooomäßig oder homöopathisch veranlagt?“, versuche ich, Licht ins Dunkel zu bringen.

Er sieht mich mit ausgeprägter Zornesfalte an, was mich die Hände abwehrend in die Höhe heben lässt. „Hey, sehen Sie mich nicht so an. Ich bin auf dem Gebiet der Esoterik ein ziemlicher Blindgänger, also seien Sie nachsichtig mit mir. Ich bin aber gewillt dazuzulernen und mich in vorurteilsvoller Zurückhaltung zu üben.

Immerhin muss ich doch wissen, wobei ich Ihnen assistieren soll, also lassen Sie mal ein paar Infos rüberwachsen, die über Ihre Oberflächlichkeiten hinausgehen.“

„Das erfahren Sie, wenn wir dort sind. Ich werde klare Anweisungen geben, die Sie befolgen werden, ohne zu widersprechen“, befiehlt er förmlich.

„Einspruch“, wende ich ein. „Ich werd schon mal aus Prinzip nicht das machen, was Sie sagen, wenn es nicht vorher durch meinen Plausibilitäts-Filter gerasselt ist. Nennt sich übrigens gesunder Menschenverstand. Bewahrt mich zum Beispiel davor, Dummheiten zu machen, falls Sie mir dort befehlen, jemanden den Arsch zu versohlen oder Ihnen Käsecracker in die Nase zu schieben.“

„So etwas würde ich nie von Ihnen verlangen“, sollte mich wohl beruhigen.

„Gut, wär das dann auch geklärt. Was machen Sie denn jetzt genau mit Ihren Mandanten? Soll ich Ihnen beim Handauflegen Händchen halten oder die Beine rasieren? Sehen Sie, diese Bandbreite an Möglichkeiten, in welcher Art und Weise ich Ihnen zur Hand gehen kann, nagt irgendwie an mir, Boss.“

„Ich lege keine Hände auf, das bringt nichts“, sagt er so ganz nebenbei. Ich wusste es.

„Ich muss Sie unbedingt meiner Mitbewohnerin vorstellen. Könnten Sie den Satz dann mit dem exakten Wortlaut wiederholen, wie Sie es eben getan haben? Vielleicht mit einem Hauch mehr Überzeugung.“

Valentin verlässt den Highway an der nächsten Ausfahrt, biegt mitten im Nirgendwo rechts ab und hält vor einem massiven Eisentor.

„Valentin van Dhart“, textet er die Sprechanlage zu, nachdem er die Scheibe runtergelassen hat. Keine fünf Sekunden später geht das Tor quietschend auf.

Mein Begleiter bemerkt wohl mein Unbehagen über das, was uns da drin erwarten könnte und rät mir: „Entspannen Sie sich, Ruby.“

„Uh, da bin ich ganz schlecht“, gebe ich zu.

Einige Sekunden sieht er mich genervt an, dann ignoriert er mich wieder, bevor er die Auffahrt entlangfährt, die kein Ende zu nehmen scheint.

Wer wohnt denn bitte hier? Sieht nach Senatoren-Villa aus. Als wir an das Haus heranfahren, stoppt er den Wagen und steigt aus. Einfach so.

Ich warte, doch er macht keine Anstalten, mir die Tür zu öffnen. Naja, an ihm ist wohl nur der Nachname gentlemenlike.

Memo an mich selbst: Ich muss endlich aufhören, von mir auf andere zu schließen, da werd ich immer nur enttäuscht.

Wo bleiben Sie denn?“, schnauzt er mich an, als ich ihn bei den Stufen, die zur Haustür hinauf führen, eingeholt habe.

„Ich vergesse immer, dass dieses Ding keinen automatischen Türöffner hat“, versuche ichs durch die Blume zu sagen. Er sieht nicht so aus, als hätte er den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden.

Uns kommt bereits ein älterer Mann im Morgenmantel entgegen. Oh, das ist wohl der passende Senator zur Villa. Er kommt mir sogar bekannt vor. Ich glaube, den hab ich schon mal irgendwo gesehen.

Hm, könnte einer dieser Politiker sein, die ich immer von der Seite anmache, wenn ich vor der Glotze zur Höchstform meiner verbalen Attacken, die nur dazu führen, mir wertvolle Lebensenergie zu entziehen, auflaufe. Freut mich trotzdem, mal zu sehen, wofür ich mein überschüssiges Aggressionspotenzial vergeude.

„Kommen Sie schnell“, stresst er uns und scheucht uns ins Haus, in dem ich schon eine Frau schreien höre, da bin ich noch nicht mal über die Türschwelle drüber.

„Bitte sagen Sie mir, Sie sind Hebamme – spezialisiert auf Hausgeburten – und das sind schon die Presswehen. Alles andere wär echt abartig“, stoße ich meine Hoffnungen laut aus.

Valentin verliert keine Zeit, sprintet die Treppen des feudalen Eingangsbereiches hoch und läuft den Schreien nach. Ich – ganz die Assistentin – bin ihm natürlich dicht auf den Fersen.

Vor der Tür des Zimmers, aus dem sich eine weibliche Person gerade die Seele aus dem Leib schreit, stoppt er und wendet sich mir zu.

„Ruby, sehen Sie mich an“, verlangt er.

„Oh, oh, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Sie mir sagen, dass Sie professioneller Sadomasochist sind und ich ihnen die kranken Sexspielzeuge reichen soll – wo wir wieder beim Schweinkram wären“, spreche ich meine Gedanken laut aus.

„Ich bin Exorzist. Die Frau in dem Zimmer ist von einem Dämon befallen“, sagt er doch tatsächlich.

„Okay. Alles ist besser als die Vorstellung, Ihnen einen Anal-Plug oder grüne Grütze zu reichen“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

Das nimmt ihm sichtlich den Wind aus den Segeln. Er hatte wohl mit mehr Theater meinerseits gerechnet.

Nach ein paar Sekunden fährt er fort: „Sie sollen mir keine Instrumente reichen, sondern dabei assistieren, den Dämon aus dem Körper der Frau zu entfernen.“ Egal, was er geraucht hat, ich will auch was davon abhaben.

„Geht klar, Boss“, spotte ich und klopfe ihm auf die Schulter.

„Also gut“, stößt er überrascht aus und betritt das Zimmer. Was für ein Quacksalber – ich halts nicht aus.

Auf dem Bett windet sich eine junge Frau mit feinen aristokratischen Zügen und nobler Blässe in den seidenen Laken und brüllt vor Schmerz. Hm, sieht nach kaltem Entzug aus.

Valentin tritt ans Bett heran und streicht ihr über die Stirn – warte, er macht ein Kreuzzeichen. Mann, jetzt bin ich an so einen Religions-Spinner geraten. Der Gedanke ist noch nicht zu Ende gedacht, da bäumt sie sich keuchend auf. Das war sicher reiner Zufall. Ein Glückstreffer, dass sie darauf reagiert hat.

Skeptisch gebe ich mir dieses Schauspiel von sicherer Entfernung aus. Der ältere Mann betritt hinter uns den Raum.

„Können Sie meiner Tochter helfen?“, wimmert er.

„Ihrer Brieftasche auf jeden Fall, die wird sich hinterher erleichtert fühlen“, hab ich jetzt leider laut gesagt.

Die Blicke der Männer im Raum als mördermäßig zu betrachten, wäre eine Untertreibung.

„Lassen Sie uns allein. Unverzüglich“, befiehlt Valentin, was der Mann nach artigem Kopfnicken auch gleich macht.

Ich will ihm folgen, da hält mich mein Boss mit den Worten „Doch nicht Sie. Sie bleiben hier“ zurück. Verdammt.

Ein belustigtes Schnauben entweicht mir, als Valentin die Lampe vom Nachttisch aktiviert und unterschiedlich ausgestanzte Anhänger einer Kette, die er gerade unter seinem Hemd hervorgeholt hat, gegen das Licht hält, was lustige Schatten auf den Körper der jungen, dunkelhaarigen Frau projiziert.

„Ich hab den Film ‚Constantin‘ auch gesehen“, musste an der Stelle einfach mal gesagt werden, doch ich werde wiedermal ignoriert.

Komischerweise bäumt sich die Frau auf einmal total schräg auf, als sie einer der Schatten trifft.

Sie hebt das Becken so hoch, dass sie beinahe vornüberkippt. Dabei brüllt sie mit einer grusligen Männerstimme. Okay, ich sollte nicht so viel Fernsehen. Bei mir geht schon die Phantasie mit mir durch – oder mein Verstand flöten. Wer weiß das schon so genau.

Valentin hat gerade ein lautstarkes „Scheiße“ ausgerufen, bevor er aufs Bett steigt, nur um sich im nächsten Moment auf die Frau zu hocken, ein Büchlein aus der Innenseite seines Jacketts zu zücken und irgendwelche lateinischen Beschwörungsformeln daraus vorzulesen.

Was für eine Show. So will er wahrscheinlich sein horrendes Honorar rechtfertigen. Hm, von ihm kann man noch was lernen.

„Sie sollten lieber einen Rettungswagen rufen“, rate ich dem Quacksalber, der mich immer noch ignoriert.

Die Frau wehrt sich, brüllt wie am Spieß – immer noch mit dieser abgefahrenen Gruselstimme – bevor sie beginnt, auf Valentin einzuschlagen, der ihre Hände festhält.

Verdammt“, flucht er.

„Ruby, kommen Sie her“, verlangt er gleich daraufhin. Was? Jetzt zieht er mich da auch noch mit rein. Naja, irgendwie muss er ja meinen Einsatz auch begründen können.

Etwas eingeschüchtert trete ich näher. Das letzte Stück schnappt er mich am Arm und zieht mich grob ans Bett heran.

Erst jetzt erkenne ich die schmerzverzerrten Züge der Frau genauer. Sie leidet hier Höllenqualen und ist scheinbar gerade am Wegtreten. Noch ein Grund, die Finger von Drogen oder Schlankheitspillen zu lassen.

„Steigen Sie aufs Bett“, reißt mich Valentin aus meinen Gedanken. Hey, Moment mal.

„Ich hab Ihnen doch von meiner Filterfunktion erzählt. Naja, Ihre Aufforderung ist hängengeblieben“, informiere ich ihn.

Er packt mich am Kragen und schüttelt mich kräftig durch: „Die Frau wird sterben, wenn Sie nicht gleich hier raufsteigen.“ Das sagt er so ernst, dass ich schlucken muss.

„Sie braucht einen Arzt – rufen Sie einen Krankenwagen“, hauche ich eingeschüchtert.

Er lächelt überheblich. „Sie haben echt keine Ahnung. Wie kann mir Andrew nur so einen Grünschnabel schicken?“ Grünschnabel?

„Jetzt lassen Sie Ihre Überforderung nicht an mir aus!“, verteidige ich mich.

Während ich noch innerlich am Toben bin, packt er mich an der Hüfte und zieht mich vor sich auf die Frau. Damit ich mich nicht wehren kann, hält er mich von hinten fest umklammert.

„Hey, loslassen!“, protestiere ich darauf bedacht, die Frau nicht mit meinem Gewicht zu erdrücken.

„Entspannen Sie sich“, haucht er mir ins Ohr, was mich nur noch mehr verkrampfen lässt. Gänsehaut zieht mir dabei in Wellen über den gesamten Körper. Sein Körper, an den er mich gepresst hält, ist mir dabei nur allzu bewusst.

„Sie sind in meinen Wohlfühlbereich eingedrungen“, ermahne ich ihn.

„Tun Sie, was ich sage, Ruby, dann ist das hier schnell vorbei.“

„Wieso sagen Männer sowas eigentlich immer?“, sollte auf jeden Fall mal gefragt werden.

„Lassen Sie sich darauf ein. Sie können der Frau das Leben retten“, beschwört er mich eindringlich.

„Sie glauben den Scheiß tatsächlich, oder?“ Er antwortet nicht, nimmt stattdessen beide meiner Hände in seine.

Er hat schöne Hände, die total warm sind. Und er riecht gut. Erneut fährt mir ein Kribbeln durch den Körper. Okay, ich hatte schon viel zu lange keinen Sex mehr – ja okay, eigentlich noch nie – sodass ich schon auf Priester abfahre.

Heilige Scheiße, so weit sind wir also schon.

Valentin platziert meine Hände an den Wangen der immer noch bewusstlosen Frau. Seine Hände umschließen dabei die meinen. So hält er inne.

Es tut sich erst mal nichts. Welch Überraschung. Als ob ich sie mit einer bloßen Berührung heilen könnte.

Mein „Sie werden nach Stunden bezahlt, oder?“ lässt er unkommentiert. Stattdessen wartet er einfach ab.

Nach ein paar Minuten frage ich mich, was zum Henker ich hier eigentlich mache.

„Boss?“, setze ich an.

„Hm.“

„Das hier ist irgendwie gruslig, finden Sie nicht auch?“

„Nein.“

„Ach so“, hauche ich eingeschüchtert.

„Verdammt, er beißt nicht an“, zischt Valentin hinter mir. Wer soll denn anbeißen? Ach, ich vergaß der „Dämon“.

„Kann ich jetzt hier runter? Nichts für ungut, aber es ist mir irgendwie unangenehm, wenn Sie mir so nahe auf die Pelle rücken und dabei vom Anbeißen sprechen. Nicht, dass Sie noch Vampir sind. Oder ist das hier ein Rollenspiel?“, hake ich nach.

„Nein.“

„Versteckte Kamera?“

„Irgendetwas stimmt nicht mit Ihnen“, aus seinem Munde trägt nicht gerade zur Erhöhung meines Wohlfühlfaktors bei.

„Ja, das hätt ich jetzt auch vorweg vermutet“, stoße ich sarkastisch aus.

„Sind Sie entspannt?“, fordert er ungeduldig.

„Total“, spotte ich.

Er löst seine Hände von den meinen und platziert sie an meinen Schultern. Schlagartig verkrampfe ich mich nur noch mehr. Er wird doch wohl jetzt nicht …

Der Gedanke ist noch nicht zu Ende gedacht, da startet er ziemlich ungeschickte Knetversuche, die mir ein gequältes „Also, eine Massagepraxis würd ich an Ihrer Stelle nicht aufmachen“ entweichen lassen.

„Sie könnten mir ruhig ein bisschen entgegenkommen“, wirft er mir vor.

„Das ist nahe genug – zumindest für meinen Geschmack.“

„Küssen Sie sie“, verlangt er.

Was?“, bemerke ich.

„Machen Sie schon. Es ist doch nur ein unschuldiger Kuss. Stellen Sie sich vor, sie wär Ihre Freundin.“

„Und wer sind Sie dann in dieser Dreiecksgeschichte? Mein Zuhälter?“

„Wenn sie nicht bald aufwacht, überlebt sie das nicht, also stellen Sie sich nicht so an.“

„Okay, Auszeit. Nehmen Sie Ihre Pfoten von mir und bringen Sie Wohlfühlabstand zwischen uns, sonst können Sie sich eine neue Komplizin suchen“, platzt mir der Kragen.

„Ich weiche erst von Ihrer Seite, wenn sie aufgewacht ist“, droht er förmlich.

„Finger weg. Ich mach den Scheiß jetzt selbst“, schnauze ich ihn an.

„Also gut“, gibt er klein bei, steigt von der Frau runter und betrachtet mich mit vor der Brust verschränkten Armen.

Im nächsten Moment knalle ich ihr eine Ohrfeige runter, die sie schnappatmend die Augen aufreißen lässt. Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, meinem Boss einen Na-siehst-du-ich-hab-sie-wachgekriegt-Blick entgegenzuwerfen.

Als ich die Frau wieder ansehe, bleibt mir fast das Herz stehen. Aus ihr ragt ein ekliger, nackter Alien raus, der mich anbrüllt und nach mir schnappt.

Ich kann nicht mal schreien, so total krank ist diese Situation gerade. Jetzt hab ich schon Halluzinationen – so weit sind wir also schon. Oder ich bin in seiner Wohnung mit Drogen in Berührung gekommen und das hier ist ein ziemlich realer Trip.

Ich spür sogar seine Fingernägel, mit denen sich das Biest in meine Arme krallt, um mich zu sich runterzuziehen.

Erst jetzt beginne ich, mich zu wehren, da packt das Ding meine Kehle und drückt zu. Hinter mir spüre ich meinen Boss, der sich den Arm des Aliens schnappt, mit dem er mich zu erdrosseln droht, gleichzeitig an mir zerrt und dieses lateinische Zeug brüllt. Untermalt wird alles von meinen erstickten Würgelauten.

Irgendwie ist mir total bewusst, was hier passiert, aber dennoch kann ich kaum einen klaren Gedanken fassen, außer, dass ich bald mal wieder ein bisschen Luft brauche.

Das Alien-Ding zieht so fest an mir, dass mein Boss alle Hände voll zu tun hat, um mich festzuhalten.

Es kommt gefährlich nahe an mein Gesicht heran, hat spitze Zähne und sogar Mundgeruch. Die leeren Augenhöhlen, die ich fixiere, geben dem Ganzen einen Hauch Wahnsinn. Schwarze Punkte flackern bereits in meinem Sichtfeld.

Valentin boxt ihm ins Gesicht, aber das scheint das Monster gar nicht richtig zu bemerken. Es mustert mich bösartig, als würde es eine Currywurst ansehen, auf der zu wenig Ketchup ist, bevor es sie verschlingt.

Erneut trifft ihn ein Schlag meines Bosses, der mich fester an sich heranzieht, als es kurz lockergelassen hat, was mich sogar ein bisschen Luft abkriegen lässt. Dabei brüllt er noch immer diese Zauberformeln.

Der Alien scheint angepisst zu sein, dass ihm mein Boss sein Spielzeug wegnehmen will, denn er bäumt sich auf und holt mit der Hand aus.

Valentin fängt sie ab, bevor mich der Schlag, der eindeutig für mich bestimmt war, treffen konnte und legt ihm seinen Anhänger auf den Unterarm, was ein Zischen auslöst, als würde ihn das Metall verbrennen. Ich drohe, das Bewusstsein zu verlieren. Mir wird bereits schwarz vor Augen.

Das Monster brüllt vor Schmerz und lässt schlagartig von mir ab, was mich krampfhaft einatmen lässt.

Blitzschnell stößt mich mein Boss zur Seite, sodass ich vom Bett kippe und polternd auf den Boden auftreffe. Dort angekommen ziehe ich, mir die Seele aus dem Leib hustend, Luft in meine brennenden Lungenflügel.

Ich kann nur panisch dieses Ding anstarren, das sich rauchend in den Laken windet. Unter sich die junge Frau, die schon lange aufgehört hat, sich zu rühren. Über sich meinen Boss, der wie ein Löwe mit dem Ding kämpft, immer wieder Schläge austeilt und einsteckt.

Valentin krallt sich die Kreatur am Hals, zerrt sie aus der Frau, schleift sie vom Bett runter quer durch den Raum und stößt das Ding an einen Wandspiegel, in den es hineinrutscht und darin gefangen ist.

Ich blinzle krampfhaft, erwache aber scheinbar immer noch nicht aus dieser Psychose.

Mein Boss hebt einen Stuhl hoch und donnert ihn an den Spiegel, der in tausend Scherben zerbricht.

Ich hab gar nicht mitgekriegt, dass Valentin bereits vor mir steht und mir „Was zum Teufel war das?“ an die Birne knallt, bevor er mich an den Schultern packt und mich auf die wackligen Beine stellt. Das frag ich mich auch die ganze Zeit über. Ob er das auch gesehen hat?

Zu einer Antwort komme ich nicht, da die junge Frau krampfhaft zu husten beginnt, was meinen Boss erneut auf den Plan ruft und an ihr Bett herantreten lässt. Er hält ihre Hand, flüstert ihr dabei etwas ins Ohr, das ich nicht verstehen kann.

Seine Ablenkung nutze ich, um zu verschwinden. Ich glaube, ich muss gleich kotzen.

Ihr Vater hat scheinbar vor der Tür Wache gehalten und läuft mich fast über den Haufen, als er sich an mir vorbei durch die Zimmertür drückt. Dabei ruft er ständig den Namen seiner Tochter Emanuela.

Ist es eigentlich jetzt Zeit, schreiend im Kreis zu laufen oder kommt das später noch?

„Wo wollen Sie hin?“, will mein Boss wissen, als er mich mit seinem Wagen auf halber Strecke der Auffahrt in Richtung Eisentor eingeholt hat und mich mit heruntergekurbelter Scheibe flankiert.

„Irgendwohin wo es ein CT und Schokokuchen gibt. Wenns geht in dieser Reihenfolge. Und dann geh ich schaukeln“, antworte ich monoton.

„Steigen Sie ein, ich fahre Sie“, bietet er an. Irgendwie kann ich nicht klar denken.

Als er ein „Ruby“ nachsetzt, schaffe ich es erst, dass mein Gehirn den Impuls zum Umrunden des Autos gibt.

Im Inneren des Wagens frage ich: „Sind Sie sicher, dass das Ding keinen Knopf zum Öffnen der Tür hat?“

„Ich bin sicher“, antwortet er.

„Vielleicht ist es ein Hebel oder eins von diesen Sprachsteuerungs-Dingern“, mutmaße ich.

„Ruby, sehen Sie mich an“, fordert Valentin, was ich sogleich mache. „Sie sind nicht verrückt. Es war ein Dämon, der von der Frau Besitz ergriffen hat. Ich bin ein Exorzist, der ihnen die Dämonen austreibt.“ Und was bin ich in dieser Scheiße?

Ich greife mir gedankenverloren an den Hals und versuche zu verdrängen, dass mich das Ding beinahe erdrosselt hätte. Das gibt sicher hässliche Würgemale.

„Brauchen Sie einen Arzt?“, will er wissen. ‘Nen Spezialisten fürs Oberstübchen vielleicht, wenn die sowas dahaben.

Ich schüttle den Kopf. „Er kann ja das CT zum Schaukeln mitnehmen. Ich weiß, ich bin erwachsen, aber da ist so ein Spielplatz an der Fünfzigsten – manchmal steht da auch ‘ne Hüpfburg“, murmle ich.

Er lächelt und gibt Gas.

Wie ich in diesen kleinen, amerikanischen Bagel-Laden gekommen bin, der scheinbar rund um die Uhr geöffnet hat, weiß ich nicht mehr so genau. Wir sind die einzigen Gäste, also scheint das Geschäftsmodell wohl nicht so richtig aufzugehen.

An die Autofahrt erinnere ich mich auch nur bruchstückhaft. Und wieder reiht sich ein Ereignis in die Rätsel-Box ein, in die schon mein Abschlussball einsortiert ist – zusammen mit meiner Bar Mitzwa.

So richtig komme ich erst zu mir, als mich die Kellnerin mit gezücktem Block voller genervter Erwartung ansieht.

„Sie nimmt Kaffee und einen Schokoladekuchen. Ich nehme nur Kaffee“, bestellt Valentin für uns beide. Er hatte wohl schon damit gerechnet, dass ich das gerade nicht hinkriege.

Jetzt ist es mein Boss, der mich erwartungsvoll ansieht.

Den Blick wendet er nicht mal ab, als uns die Kellnerin die Kaffeebecher vor die Nase knallt und sie randvoll macht. Dabei lächelt sie Valentin verführerisch an, der sich nicht mal dadurch ablenken lässt und einen Schluck aus seiner Tasse nimmt.

„Das wäre dann alles“, aus seinem Munde soll so viel wie „Zieh endlich Leine und schmachte ‘nen Bagel an“ heißen, was die blonde Kellnerin auch schmollend macht.

Aber nicht, ohne ihm noch ziemlich offensichtlich eine Serviette mit ihrem Namen und Telefonnummer unter den Kaffeebecher zu legen.

Nicole geht aber ganz schön ran. Sieht sie denn nicht, dass er dieses Kreuz um den Hals trägt? Das bedeutet: „Halten und Parken verboten“.

Valentin geht nicht darauf ein, hat mich zu keinem Zeitpunkt aus den Augen gelassen. Scheinbar genießt er es in vollen Zügen, den unnahbaren Heiligen zu spielen. Verdammt, es funktioniert.

Dieses überlegene Männchen-Gehabe strömt bei ihm aus jeder Pore. Und das Schlimmste ist, er weiß es auch. Auf sowas stehen wir Frauen total, was ich mir natürlich nie anmerken lassen würde.

Nein, ich bin noch zu sehr damit beschäftigt, meinen Verstand zurückzuhalten, der grad winkend an mir vorbeiläuft.

Als wir allein sind, ist es Valentin, der unser Schweigen bricht. „Sie sind etwas blass. Nehmen Sie einen Schluck Kaffee, der wird Ihnen guttun“, rät er mir.

„Hab aufgehört. Bei meinem Konsum wär ich sowieso bald zu Pulver zerfallen“, informiere ich ihn, während ich nach der Gabel greife, mit der ich den Kuchen bearbeite.

„Wollen Sie darüber sprechen?“, will er wissen.

„Eigentlich will ich grad nur Endorphine tanken“, gebe ich zu und führe mir die Gabel an den Mund. Erst als ich den Kuchen auf der Wegstrecke zwischen Teller und Schnabel verliere, wird mir bewusst, dass meine Hände zittern. Hm, vielleicht ist es doch Parkinson.

Okay, dann eben keine Endorphine. Ich schiebe den Teller von mir weg und erkläre: „Also gut. Reden wir. Ich hab ein paar Fragen, dann will ich nie mehr wieder darüber sprechen.“

Valentin zieht die Augenbrauen hoch, willigt aber mit einem „Ganz wie Sie wollen“ ein.

„Warum brauchen Sie mich für diese Scheiße?“ Dabei greife ich mir an den immer noch vor Schmerz pochenden Hals.

„Manche Dämonen sind so stark, dass ich zu gewissen Hilfsmitteln greifen muss, um sie zu entfernen. Der Dämon, der die Frau befallen hat, war sehr stark. Um ihn herauszulocken, gibt man ihm etwas, das er mehr begehrt, als den Körper, von dem er Besitz ergriffen hat.“

„Ich bin also der Käse und Sie sind die Mausefalle“, fasse ich seine Worte zusammen.

„Bildlich gesprochen – ja“, bestätigt er.

„Versteh ich nicht. Wieso sollte er mich mehr wollen, als die Frau, die er bereits hat? Die war doch so was wie Blauschimmel – dagegen bin ich doch der Cheddar.“

Mein Boss nimmt einen kräftigen Schluck, ohne mich dabei aus den Augen zu verlieren. „Sie haben tatsächlich keine Ahnung. Wer Sie geschickt hat, verfügt wohl über einen recht seltsamen Humor“, stellt er vergnügt fest.

Naja, Linda ist schon schräg – manchmal macht sie mir sogar ein bisschen Angst. Immer dann, wenn sie ihre Achselhöhlen oder die Oberlippe nicht rasiert hat – zum Beispiel.

„Was soll ich sagen, ich bin ein Opfer meiner Leidenschaft“, rede ich mich raus. „Sagt zumindest meine Mitbewohnerin. Ich muss an der Stelle zugeben, dass sie kurz Psychologie studiert hat, um einen Psychologen aufzureißen und dass sie zu der Zeit, als sie die Aussage getroffen hat, gerade ADHS durchgenommen haben. Ich fall da wohl in die Risikogruppe. Zwar nur mit dreieinhalb von vier Risikofaktoren, aber … hey, kucken Sie mal, ein Eichhörnchen.“ Was laber ich hier eigentlich?

Ich kompensiere Situationen, in denen ich mich in die Enge getrieben fühle, mit Schlagfertigkeit – ging zumindest aus Lindas Studien an mir hervor. Oder um es in der Fachsprache auszudrücken: Ich ironiere so lange, bis ich zum Sarkasmus komme.

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Sie allwissender Prophet. Also erleuchten Sie mich. Wieso sollte mich der Dämon mehr wollen“, fordere ich.

„Das sage ich Ihnen ein anderes Mal. Sie sind etwas durch den Wind.“ Er spricht wohl den weiteren gescheiterten Versuch an, den Kuchen auf der Gabel zu behalten.

Kurzerhand knalle ich das Werkzeug auf den Tisch und esse mit den Fingern. Nennt man auch zurück zu den anthropologischen Wurzeln.

Mhm, Scheiße, tut das gut. Ich schließe die Augen, damit ich den Schokokick noch intensiver wahrnehmen kann.

Mit vollem Mund löchere ich ihn weiter mit Fragen: „Wie fängt man sich so ein Vieh ein?“

„Sexueller Kontakt“, hat er nicht grad echt gesagt.

Prompt verschlucke ich mich an dem Bissen und huste mir die Seele aus dem Leib, während ich mir an die Brust klopfe. So viel dazu.

Ich hol mir die Dinger also wie eine Geschlechtskrankheit?“, krächze ich mit gereizter Luftröhre. Die Frage, ob Kondome das Risiko minimieren, verkneif ich mir lieber.

„Wenn Sie es damit vergleichen wollen“, winkt er ab.

„Und was macht das Ding in einem drin?“ Ausschlag wird’s ja wohl kaum sein. Die Bilder der, von inneren Qualen gebeutelten, Frau blitzen wieder in meinem Kopf auf.

„Es sind Parasiten, die nach und nach Gewalt über den Wirtskörper erlangen. Je nach Stadium, in dem sich der Befallene befindet, geht das bis hin zur vollständigen Übernahme geistigen Handelns.“ Erneut verschlucke ich mich.

„Heißt das, da draußen laufen diese Dämonen in Menschenkostümen rum, die sich von Wirt zu Wirt vögeln?“, mutmaße ich.

„Ja“, bestätigt er.

Das meinte er also damit, dass wir uns beeilen müssen, bevor sie stirbt. Danach hätte dieses Ding ihre Körperfunktionen vollständig übernommen, bis nichts mehr von ihr übriggeblieben wär. Krass.

Mann, und ich dachte immer, Männer würden einfach evolutionstechnisch zu obsessiver Paarungsbereitschaft neigen. Wer rechnet denn damit, dass das einen höheren Sinn hat?

Ich raufe mir die Haare. „So ein Leben im Kloster wird immer attraktiver“, sage ich mehr zu mir selbst als zu ihm. „Wie erkenne ich, ob ein Dämon in einem Typen steckt? Gibt’s da Schnelltests?“

„Für gewöhnliche Menschen ist es kaum möglich, einen Dämon von einem Nicht-Infizierten zu unterscheiden. Es gibt gewisse Verhaltensweisen, bestimmte Muster, die darauf hinweisen, aber sie sind nicht sehr aussagekräftige Indikatoren und treffen auf so manchen Idioten zu, der aber sauber ist.“

„Lassen Sie mich raten, Sie gehören nicht zu uns Normalos. Haben Sie Antennen unter Ihrem Toupet?“

„Ich kann sie in ihren Wirten sehen“, sagt er ziemlich beiläufig, was mich die Augen aufreißen lässt.

„Dann ist ab sofort klar, dass ich mir von Ihnen das Okay abhole, bevor ich mit einem Typen ausgehe“, stelle ich fest.

„Ich mache nachts Jagd auf sie, daher brauche ich jemanden, der sich in meiner Abwesenheit um mein Büro kümmert. Im Schichtbetrieb, wenn Sie so wollen.

Ich benötige jemanden, der Anrufe meiner Mandanten entgegennimmt, Termine für Exorzismen koordiniert, sich um Papierkram kümmert, Erledigungen macht“ „Und den Käse spielt“, ergänze ich.

„Nein, Sie werden mich nicht mehr bei Hausbesuchen begleiten. Bestimmt wird Pater Andrew bald jemanden finden, der sagen wir mal so … geeigneter ist.“

„Sie sind ganz schön undankbar dafür, dass ich gerade einen Alien aus dem Arsch Ihrer Patientin gezogen habe“, werfe ich ihm wild vor.

„Dämon – kein Alien. Mandantin – keine Patientin. Genaugenommen habe ich ihn herausgezogen und meine monetäre Entlohnung muss Ihnen als Dank reichen.“

„Gut, dass Sie das ansprechen. Ich bin für eine Gefahrenzulage und diverse Spenden für meine Psychiaterkasse.“

Er lacht amüsiert auf. „Das hatten wir nicht vereinbart.“ Ich strecke ihm meine aufgeschürften Arme entgegen, an denen das Biest blutige Kratzer hinterlassen hat.

„Sie können sich ja aus Ihrem Reigen an zahllosen Bewerbern eine geeignetere Assistentin auswählen, die für Sie die Dämonen rausangelt. Das Wort ‚Schichtbetrieb‘ erleichtert den Rekrutierungsprozess sicher ungemein. Das Wort ‚Zwölf‘ im Kontext der Bezahlung übrigens auch“, setze ich alles auf eine Karte.

Er sieht ziemlich verärgert aus. Liegt vielleicht daran, dass ich ihn gerade erpresse. „Sie sind ganz schön unverschämt“, knallt er mir vor die Füße.

„Ich bin nicht unverschämt, ich lass mir nur nicht alles von Ihnen gefallen. Macht Ihnen das Angst?“ Er schnaubt belustigt.

„Dafür, dass es Stunden gedauert hat, bis der Dämon an den Köder – also Sie – angebissen hat und das Ganze absolut nicht nach Plan lief, spucken Sie ganz schön große Töne“, fordert er mich heraus.

Es gab einen Plan?“, krächze ich.

„Der Dämon hat eigenartig auf Sie reagiert.“

„Vielleicht wusste er auch nichts vom Plan.“

„Er hat versucht, Sie zu töten. So etwas ist mir in meiner gesamten Laufbahn als Exorzist noch nicht untergekommen“, verkündet er.

„Sie hatten mich ja auch noch nie dabei.“

„Er hat die Beute angegriffen. Sie scheinen ihn erzürnt zu haben, indem Sie die Hand gegen seinen Wirt erhoben haben.“ Die Backpfeife hat doch gar nicht wehgetan.

„Er hat wohl auch so ein zerbrechliches Ego wie Sie“, kontere ich.

Valentin sieht zum Fürchten aus.

„Hallloooo? Ich hab ein Hello Kitty Shirt auf dem ‚Rubbel die Katz‘ steht drunter an und trag ’ne ausgewaschene Pyjamahose. Dass da kein Typ anbeißt, ist doch wohl klar. Für fünfunddreißig Dollar die Stunde wird der Cheddar zum Camembert.“ Er sieht mich skeptisch an. „Ja okay, zum Schweizer Käse“, knicke ich ein.

Er schnaubt laut auf. „Siebenundzwanzig Dollar – keinen Cent mehr.“

„Geht klar.“

„Kommen Sie – ich fahr Sie nach Hause“, bietet er an. „Dass dieses Gespräch und alles was Sie gesehen haben oder nun über mich wissen vertraulich ist, versteht sich von selbst.“ Das glaubt mir sowieso keiner.

… und so endete ich käseweiß auf die Fußmatte meiner Wohnung starrend, auf der ‚Nur Vollidioten lesen Fußmattensprüche‘ steht. Da fall ich jedes Mal drauf rein.

Der Sandmann kann mich mal

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