Читать книгу Perfekte Trugbilder - Marie Lu Pera - Страница 4

Da warens nur noch drei

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Es kommt mir so vor, als wäre ich erst vor ein paar Minuten eingeschlafen, da ertönt der Weckruf. Ohne Umschweife schlage ich die Decken zurück und verschwinde ins Badezimmer.

Der Rekrut liegt am Boden vor meinem Bett und schnarcht. Wie er mich vor einem Angreifer bewahren will, ist mir schleierhaft. Vielleicht rechnet er damit, dass der Mörder in der Dunkelheit über seinen Körper stolpert. Obwohl er seine wildschweinähnlichen Laute höchstwahrscheinlich bereits vor der Tür vernehmen kann.

Der Zuber mit duftenden Kräutern vermag mich kaum aufzuwecken. Als ich zurück bin, sitzt der Soldat auf meiner Bettkante.

Er grüßt nicht. Ich bin zu müde, um auf ihn einzugehen. Dementsprechend antriebslos löse ich meinen Zopf vor meiner Schminkkommode. Aurelion platziert sich natürlich genau so, dass er mich im Spiegel betrachten kann und umgekehrt, als ich mein Haar bürste.

Er sieht wieder belustigt aus. Ich weiß nicht, ob es an meiner Müdigkeit oder seiner Penetranz liegt, aber mir platzt der Kragen.

„Was amüsiert dich so, Aurelion?“, herrsche ich ihn an.

„Du.“

„Was genau an mir?“, hinterfrage ich seine Aussage.

„Deine Art, die devote Dienerin zu spielen, obwohl du es faustdick hinter den Ohren hast.“ Bleib ruhig, er ist es nicht wert.

„Und was führt dich zu dem Schluss?“

„Dein Blick, als du mich untersucht hast.“ Das war ein Moment der Schwäche.

Fast brutal wickle ich die roten Bänder um mein Haar. „Vielleicht hat mich amüsiert, was ich in dir gesehen habe?“, mutmaße ich.

Das scheint gesessen zu haben, denn er legt die Stirn in Falten und verlangt: „Was hast du denn gesehen?“ Guter Versuch.

„Das wirst du nie erfahren“, kontere ich. Eigentlich hatte ich bei ihm keine Vision, aber das muss er ja nicht unbedingt erfahren.

Ich schnappe mir das rote Kleid aus dem Schrank und verschwinde ins Badezimmer.

„Du willst mich nur herausfordern“, stößt er aus, als ich zurück bin und Puder auf meine Haut auftrage.

Ich lächle, lasse ihn einfach stehen und mache mich zur ersten Unterrichtsstunde auf.

Auf den Gängen ist der Teufel los, denn die männlichen Rekruten, die ab heute mit uns zusammen unterrichtet werden, sind das Gesprächsthema Nummer eins. Sie werden umgarnt und angelächelt, was ihnen sichtlich Freude bereitet. Man kann die erotische Energie, die in der Luft liegt, förmlich auf den feinen Härchen spüren.

Die jungen Männer drehen sich zu mir um und mustern mich fasziniert, was mir reihenweise böse Blicke der weiblichen Konkurrenz einbringt.

Mein persönlicher Krieger, der mich auf Schritt und Tritt verfolgt, scheint sie nicht gerade zu besänftigen. In ihren Augen ist es eine weitere Sonderbehandlung, die mir zuteilwird. Ich kann sie verstehen.

Im Hörsaal erkenne ich dann die anderen Auserwählten. Wir sind leicht von den Nicht-Auserwählten zu unterscheiden, denn wir tragen alle rote Kleider und haben natürlich eine Leibwache.

Ich setze mich. Dabei lasse ich den Blick über die Reihen schweifen. Die, die mein Schicksal teilen, sitzen wie ich abseits. Andalusia – eine wunderschöne Brünette mit dem sinnlichsten Mund, den ich jemals bei einer Frau gesehen habe – ist in ein angeregtes Gespräch mit ihrem Soldaten vertieft. Sie flirtet mit ihm und streckt die Brüste raus. Innerlich brodle ich. Es ist uns nicht erlaubt, so vertraut mit anderen Männern umzugehen. Das sollten sie wissen.

Louisa – eine blonde Göttin, die solch ein Funkeln in den Augen trägt, das jeden schlagartig gefangen nimmt – hat deutlich ihren Zauber eingebüßt. Sie starrt teilnahmslos in die Luft. Es scheint so, als habe sie den Angriff noch immer nicht überwunden.

Warte, gerade fällt mir auf, dass eine Auserwählte fehlt. Emma ist nirgendwo zu erkennen. Der Unterricht beginnt bereits, doch sie taucht nicht auf.

„Wen suchst du?“, will Aurelion wissen.

„Die vierte Auserwählte.“ Jetzt hat auch er die Suche aufgenommen. Wo ist sie nur? Das sieht ihr gar nicht ähnlich. Sie ist sonst immer eine der Ersten im Unterricht.

Mir gefällt das nicht. Nach zehn Minuten erhebe ich mich und trete aus dem Saal.

Der Professor ruft mir ein „Nebukadneza. Ist alles in Ordnung?“ hinterher, das ich unbeantwortet lasse.

„Warte, wo willst du hin?“, fragt mich mein persönlicher Schatten, als er mir zurück zu dem Gebäude, in dem sich unsere Schlafgemächer befinden, hinterherdackelt.

„Ich will sehen, ob mit Emma alles in Ordnung ist“, informiere ich ihn.

„Sie hat sicher den Weckruf nicht gehört oder hat Frauenbeschwerden.“ Ja genau.

An ihrer Türe angekommen, klopfe ich laut.

„Emma. Öffne die Tür! Ich bin es, Nebukadneza.“ Sie meldet sich nicht, also drücke ich die Türklinke herunter, die verriegelt ist.

Ich überlege gerade, wo sie noch sein könnte, da erregt eine kleine, rote Feder meine Aufmerksamkeit, die am Türrahmen hängengeblieben ist. Es sieht so aus, als würde sie von einem Kleid oder Haarschmuck stammen.

Nachdem ich sie berühre, fluten tausend Bilder meinen Kopf. Als würde mich die Berührung verbrennen, ziehe ich reflexartig die Hand zurück und rufe: „Aurelion, mach die Tür auf, schnell!“ Mein Atem geht stoßweise.

„Sie ist verschlossen“, prustet er schulterzuckend.

Verärgert stoße ich ein „Tritt jetzt endlich die Tür ein. Wozu bist du breit wie ein Schrank?“ aus. Wieder zuckt er mit den Schultern, nimmt Anlauf und stemmt sich rammbockartig dagegen.

Polternd fällt sie aus den Angeln und grelles Sonnenlicht blendet meine Augen. Das Fenster steht offen. Unzählige rote Federn wirbeln durch die Lüfte, streifen dabei meine Wangen.

Emma liegt mit ausgebreiteten Armen auf dem Bett. Nackt. Jemand hat ihr die Eingeweide herausgerissen und ihr Blut im ganzen Raum verteilt. Die Federn stammen von keinem Kleid, sondern von ihrem zerrissenen Kissen. Sie sind blutdurchtränkt. Ihr feuerrotes Haar wurde auf dem Kissen wie eine Löwenmähne drapiert.

Ich bin wie erstarrt. Der grausame Anblick hält mich gefangen.

Aurelion stellt sich schützend vor mich und fordert: „Sieh mich an.“

Ich kann nicht atmen, daher sinke ich auf die Knie. Mein gequälter Laut hallt unnatürlich laut in meinem Kopf.

„Nebukadneza, sieh mich an.“ Ich schüttle den Kopf, sinke mit dem Oberkörper auf meine Oberschenkel und vergrabe meine Finger in meinem Haar.

„Ich kann dich nicht berühren, also steh auf, damit ich dich hier rausschaffen kann“, befiehlt er.

„Nein.“ Meine Stimme versagt, aber ich schaffe es dennoch aufzustehen.

Ich atme tief durch und umrunde Aurelion.

„Was hast du vor?“, will er wissen.

„Herausfinden, wer das war“, erkläre ich flüsternd.

„Nein.“ Er stellt sich mir wieder entgegen, doch ich stoße ihn weg. Blitzschnell baut er sich wieder vor mir auf, was mich an seine Brust prallen lässt.

„Geh mir aus dem Weg, Aurelion“, fordere ich.

„So etwas sollte niemand mitansehen müssen“, meint er.

„Aus dem Weg“, verlange ich energisch.

„Nein.“

„Bitte“, flehe ich. „Bald habe ich nicht mehr die Kraft dazu. Ich muss es tun und das weißt du auch.“

Er nickt halbherzig und tritt beiseite.

Vollkommen fertig falle ich vor Emmas Bett auf die Knie. Meine Tränen bahnen sich automatisch einen Weg über meine Wangen.

Mit zitternden Händen berühre ich ihre kühlen Wangen, aus denen jegliches Leben gewichen ist. Die Bilder des absoluten Grauens treten im nächsten Moment in mein Unterbewusstsein.

Ein maskierter Mann in rotem Mantel betritt das Zimmer und fällt über die schlafende Schönheit her. Gewaltsam teilt er ihre Schenkel mit einem Knie, stößt dabei immer wieder in die Frau, die so verängstigt ist, dass sie sich kaum zur Wehr setzt.

Der Anblick ist so schrecklich, dass ich mir die Seele aus dem Leib schreie. Krampfhaft versuche ich, die Vision abzubrechen, doch sie lässt mich nicht los. Erst ihre leblosen Augen geben mich frei.

„Nebukadneza!“

Ich erkenne Aurelion, der von den Männern des Hauptmanns festgehalten wird und den Hauptmann selbst, der mich angestrengt mustert. Aurelion hat sicher versucht, mich von dem leblosen Körper wegzuziehen.

Blut tropft auf die Federn, die den Marmorboden bedecken. Mein Blut, das sich mit meinen Tränen vermischt hat.

Mit den letzten Kräften erhebe ich mich. Der Hauptmann bewegt die Lippen, doch was er sagt, kann ich nicht verstehen, da mich die Dunkelheit bereits in ihre Tiefen zieht.

Ich öffne die Augen. Erst nach ein paar Versuchen bleiben sie offen und die verschwommenen Formen nehmen schön langsam Gestalt an.

„Wie fühlst du dich?“ Es ist Aurelion, der über mir auftaucht.

„Da warens nur noch drei“, hauche ich.

Er ist so perplex, dass er nichts erwidert. Ich setze mich auf und erkenne das Krankenzimmer.

„Wer hat mich berührt?“, flüstere ich atemlos.

„Der Hauptmann“, antwortet Aurelion. Dafür verhängt der König sicher die Folter über ihn.

„Hast du gesehen, wer es war?“, will Aurelion wissen.

Mein Blick wird gequält. Kopfschüttelnd gestehe ich: „Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Er war maskiert.“ Mein Blick wandert ins Leere.

Er trug dieselbe Maske wie der Mann, der Louisa angegriffen hat. Ich gehe davon aus, dass es sich um ein und denselben Täter handelt. Mit übermenschlicher Kraft versuche ich, meine Emotionen zu unterdrücken und steige aus dem Bett.

Ich bin zwar wacklig auf den Beinen, schaffe es aber dennoch, mich aufrecht zu halten.

„Nebukadneza. Warte. Du hast die ganze Zeit nur geschrien, ich …“ Er fährt sich ungestüm durchs Haar.

Ich halte inne und blicke ihn an. „Ich habe schon viele Morde mitangesehen, Aurelion.“ Ich schrecke zurück. Eigentlich wollte ich das nicht laut aussprechen. Es ist mir herausgerutscht.

Der Hauptmann reißt mich aus meinen Gedanken.

„Nebukadneza, kommt bitte mit mir. Rekrut, du bleibst hier.“

Stundenlang verhört mich der Hauptmann, bis ich jedes noch so belanglos erscheinende Detail meiner Vision des Mordes preisgegeben habe. Es war wie eine Folter, die unsichtbare Narben zurückgelassen hat.

Darüber hinaus bat er mich, Stillschweigen über den Mord zu bewahren, um keine Panik bei den Studentinnen auszulösen. Er hat die Information verbreiten lassen, Emma sei frühzeitig in den königlichen Harem gerufen worden.

Vor der Halle des Trainingslagers wartet bereits Aurelion. Er ist in ein Gespräch mit den anderen Rekruten vertieft.

Als er mich sieht, hält er inne. Wie er, laben sich auch alle anderen an meinem Gesicht. Ich fühle mich nackt und irgendwie emotional ausgehungert. Dementsprechend angewidert drehe ich mich um, damit ich mich von ihnen entfernen kann.

An der Brücke setze ich mich und lasse die Beine hinunterbaumeln. Mein Kopf ruht an einem der Pfeiler.

„Du warst über drei Stunden da drin“, stellt Aurelion hinter mir fest. Ich habe nicht einmal mehr die Kraft, mich ihm zuzuwenden.

„Ich gehe meine Visionen wieder und wieder durch. Irgendetwas habe ich übersehen“, sage ich mehr zu mir als zu ihm.

Die Visionen? Du hast doch nur die eine von Emma“, erklärt er.

„Nein“, informiere ich ihn.

„Du hast auch die Vision der ersten Frau, die angegriffen wurde?“, mutmaßt Aurelion.

„Ja. Ihr Name ist Louisa.“

„Was ist geschehen?“, will er wissen.

„Er wollte sie ertränken ...“ Die Bilder treten in mein Bewusstsein. Erschöpft reibe ich mir die Stirn.

„Aurelion?“, setze ich an.

„Ja?“

„Nichts ... ich.“ Eigentlich würde ich mich gerne irgendjemandem anvertrauen. Über die schrecklichen Dinge sprechen, die an meiner Seele zerren, aber ich habe keine Kraft dazu.

„Hast du Angst?“, will er wissen.

„Louisa hat mich gefragt, ob sie an meiner Stelle ins Badehaus gehen kann. Der Anschlag galt mir, nicht ihr. Ich ...“ Meine Stimme versagt. Einzelne Tränen lösen sich aus meinen Augenwinkeln.

„Schon gut. Ich werde dich beschützen. Dafür bin ich doch hier“, versucht mich Aurelion zu beruhigen.

„Du willst mich zum Narren halten, oder?“, pruste ich verärgert.

„Keineswegs.“

„Du bist eingeschlafen, als du eigentlich über mich wachen solltest. Das trägt nicht gerade zu meiner Beruhigung bei“, erkläre ich forsch.

„Ich hatte alles unter Kontrolle“, beschwichtigt er.

„Du hast geschnarcht“, wende ich ein.

„Das ist alles nur Tarnung.“

„Und im Schlaf gesprochen“, ergänze ich. Ertappt reißt er die Augen auf.

„Was habe ich gesagt?“, fragt er überrascht.

„Du kennst doch die Dinge, die du nie erfahren wirst – das gehört auch dazu.“

Ein Windstoß fährt mir durchs Haar und löst eins meiner Bänder, das davonsegelt. Ich greife danach. Genau in dem Moment treffen Aurelions und meine Hand aufeinander.

Als hätte ich mich an ihm verbrannt, ziehe ich die Hand reflexartig zurück. Das Schlimmste ist, die Berührung hat gutgetan – sie hatte etwas Tröstliches.

„Mach nicht so ein Gesicht. Das hat niemand gesehen“, beschwichtigt er. Der Tag wird immer besser.

„Gib mir mein Band“, fordere ich.

Er lächelt und hält es mir vor die Nase. Fast brutal entreiße ich es ihm. „Schwarz steht dir besser als rot – passt zu deiner Laune“, spottet er. Warte mal.

„Wie war das?“, hake ich nach.

„Komm schon. Das hältst du sicher aus. So zart besaitet bist du nicht – geht man von deiner Geiselnahme und dem schrecklichen Fund von heute Morgen aus“, redet er sich heraus.

„Nein. Mein Kleid ... die Farbe.“ Schnell springe ich auf und betrachte das Band in meiner Hand.

„Was hast du?“, will Aurelion wissen.

„Es ist rot“, stoße ich verblüfft aus.

„Glückwunsch, du bist also nicht farbenblind“, knallt er mir überheblich hin.

„Aber natürlich“, sage ich mehr zu mir selbst als zu ihm.

„Könntest du mich auch einweihen? Wäre das möglich?“, verlangt er ungeduldig.

„Das Detail, das mir entgangen ist. Es ist die Farbe unserer Kleider. Sie ist vorgegeben. Jeder Tag steht für eine bestimmte Farbe“, informiere ich ihn.

„Kapier ich nicht“, gesteht er.

„Emma lag in roten Federn – rotes Kleid, verstehst du. Louisa lag im Wasser, als sie angegriffen wurde.“

„Sag nicht, an dem Tag hattet ihr ein blaues Kleid an“, mutmaßt er. Ich nicke bestätigend.

„Vier Auserwählte. Vier Farben. Vier Morde“, hauche ich aufgebracht.

„Welche Farbe ist morgen dran?“, fordert er.

„Grün.“

„Ich informiere den Hauptmann.“ Aurelion will bereits seine Worte in die Tat umsetzen, da halte ich ihn zurück.

„Warte. Da ist noch mehr. Komm.“ Ich steige die Treppen des Anwesens hinunter und betrete den Irrgarten. An einer Biegung stoppe ich.

„Ich hätte eine Idee, was wir im Schutz der Hecken treiben könnten“, schlägt er doch tatsächlich vor. Ich schüttle angewidert den Kopf.

Flüsternd trete ich an ihn heran. „Hör zu. Als mich der Loraner mit dem Messer bedroht hat, da habe ich etwas gesehen.“

Aurelion runzelt die Stirn und verlangt: „Raus damit, ich halte die Spannung nicht mehr aus.“

Ich zögere. „Kann ich dir vertrauen?“

„Natürlich“, stellt er selbstverständlich fest.

„Beweise es“, fordere ich. Sein Blick fixiert mich. Daraufhin beginnt er, sein Hemd aufzuknöpfen.

„Was tust du da?“, will ich aufgebracht wissen. Sicherheitshalber trete ich einen Schritt zurück.

„Sieh dir die Beweise selbst an“, bietet er an und streift sich den Stoff ab. Ich weiß, was er vorhat. Er will, dass ich meine Gabe bei ihm einsetze. Ich zögere.

„Nebukadneza?“ Seine Stimme holt mich aus meinen Gedanken. „Könntest du dich beeilen? Es ist ganz schön kalt hier draußen“, informiert er mich.

Langsam trete ich an ihn heran. Seine Brust hebt und senkt sich stetig. In einem schwachen Moment frage ich mich, wie sich meine Lippen auf seiner warmen Haut anfühlen würden.

Meine Brustwarzen stellen sich bei dem Gedanken auf und meine Brust scheint keinen Platz in der viel zu engen Korsage zu haben. Mein Schoß brennt, als ich seinen Nacken berühre. Mal sehen, ob ich dieses Mal eine Vision von ihm erhalte.

Bilder fluten sogleich meinen Geist. Sie zeigen ihn in unzähligen Schlachten. Er war wohl Mauretanischer Söldner, bevor er hierher kam.

Plötzlich verändert sich die Szene. Er wäscht sich im Fluss. Seine nackte Kehrseite lässt mich keuchen. Er ist wie ein Gott. Perfekt. Instinktiv strecke ich die Hand nach ihm aus, doch sie erfährt keine Berührung.

Mit übermenschlicher Kraft reiße ich mich los und denke an Verrat, Mord, Farben. Nichts – nur wieder weitläufige Schlachtfelder. Erneut wechselt der Schauplatz.

Es ist ein Schlafgemach. Aurelion liegt zwischen den Schenkeln einer Frau und stößt immer wieder fest in sie. Er hält ihre Handgelenke über ihrem Kopf fest. Sie stöhnt ihre Lust in die Welt hinaus und öffnet die Augen. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Die Frau bin ich.

Keuchend breche ich die Vision ab und stolpere rückwärts.

„Was hast du gesehen?“, will Aurelion wissen, während ich zu Atem komme.

Wie ist das möglich? Ich sehe nur Erinnerungen. Diese Frau kann unmöglich ich gewesen sein. Das ist nie zwischen uns passiert.

Vielleicht entwickeln sich meine Kräfte weiter und ich sehe nun die Zukunft? Nein. Niemals würde ich mich ihm hingeben. Ich gehöre dem König.

„Nebukadneza?“

Ich räuspere mich. „Schlachtfelder ... du ... hast gekämpft“, rede ich mich heraus.

„Ja, ist ganz schön blutig meine Vergangenheit“, beschwichtigt er.

Meine Korsage schnürt mir die Luft ab. Ich greife mir an die Seite, um sie zu lockern.

„Ist alles in Ordnung?“, tastet er an. Ich nicke.

„Bist du erregt?“, fragt er mich mit funkelnden Augen. Ich bin so vor den Kopf gestoßen, dass mir Hitze die Wangen emporsteigt. Ist das etwa so offensichtlich?

„Gefällt dir, was du siehst?“, ergänzt er. Um mich zu ärgern, lässt er abwechselnd seine Brustmuskeln hüpfen.

„Vergiss nicht, was ich bin“, raune ich wild.

„Kläre mich auf. Was bist du? Außer launisch, prüde, ...“ „Das Eigentum des Königs“, unterbreche ich ihn.

„Sag mir, wie oft hat er sein Eigentum in letzter Zeit besucht? Hast du ihn überhaupt jemals zu Gesicht bekommen?“, fragt er, während er sich das Hemd überstreift. „Er ist nicht hier, also leg den Keuschheitsgürtel ab und vergnüge dich – vorzugsweise mit mir.“ Ich rolle genervt mit den Augen.

„Hör zu. In meiner Vision des Loraners habe ich den Hauptmann gesehen“, wechsle ich das Thema.

Das verblüfft ihn sichtlich, also ergänze ich: „Er war es, der dem Rekruten das Messer ausgehändigt hat.“

„Bist du sicher?“, hinterfragt Aurelion meine Worte stirnrunzelnd.

„Ich habe es so gesehen und ...“ Ich stoppe, weil ich Schwierigkeiten habe, es laut auszusprechen.

„Was hast du noch gesehen?“, fordert er.

„Emma“, gestehe ich. „Sie lag im Bett des Hauptmanns. Nackt“, kommt mir flüsternd über die Lippen.

Aurelion presst die Luft aus seiner Lunge und kratzt sich nachdenklich am Kopf. „Glaubst du, der Hauptmann ist der Mörder?“, will er von mir wissen.

„Ich weiß es nicht, aber vorerst können wir ihm nicht trauen. Sag ihm noch nichts von den Farben unserer Kleider.“ Ich glaube, ich weiß, wie ich mehr über den Hauptmann herausfinden kann.

„Oh, oh. Was hast du vor?“, raunt Aurelion, der meinen Gesichtsausdruck richtig interpretiert hat.

„Ich will sehen, was der Hauptmann noch alles verbirgt“, weihe ich ihn in meinen Plan ein.

„Nein, das ist zu gefährlich. Was, wenn er tatsächlich der Mörder sein sollte. Du würdest geradewegs in die Höhle des Löwen laufen“, erklärt er aufgebracht.

„So wie ich das sehe, habe ich keine Wahl.“

„Nebukadneza!“ Jemand ruft nach mir. Schnell treten wir aus unserem Versteck.

Es ist einer der Männer des Hauptmanns, der mich mit diesem Blick der Entzückung mustert.

„Der Rekrut Aurelion wird heute an anderer Stelle gebraucht. Ich werde ihn ersetzen und in seiner Abwesenheit für deinen Schutz Sorge tragen“, instruiert er mich mit stolzgeschwellter Brust.

Wieso habe ich dabei ein ungutes Gefühl? Aurelion und ich tauschen Blicke aus, doch er scheint meine Bedenken nicht zu teilen, denn er nickt kurzerhand und lässt mich mit dem Soldaten allein.

Ich bin enttäuscht, denn ich hätte mit mehr Gegenwehr von seiner Seite gerechnet. So viel dazu, dass er mich beschützen will. Was, wenn der Rekrut mit dem Hauptmann unter einer Decke steckt? Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.

Aus dem Augenwinkel erkenne ich die lüsternen Blicke des Rekruten, die auf meinen Ausschnitt gerichtet sind. Das sind die Schlimmsten, die sich nicht einmal die Mühe machen, ihr Starren zu vereiteln.

„Ist der Hauptmann zu sprechen?“, will ich von ihm wissen.

„Nein, er ist heute indisponiert.“ Aha. Und was jetzt?

Ich beschließe, zurück in mein Zimmer zu gehen.

Dort erwartet mich bereits wieder eine neue Box vom König. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich brauche meine Kräfte jetzt an anderer Stelle dringender.

Genervt öffne ich sie und mache mich an die Arbeit.

„Verzeih“, unterbricht mich der Soldat, als ich gerade das Gesicht einer jungen Frau skizziere, die zahllose Tränen in das Stofftaschentuch vergossen hat, das ich untersucht habe. Einen Wimpernschlag später wende ich mich ihm zu.

„Bitte tritt einen Moment vom Tisch zurück“, fordert er.

„Was ist denn los?“, will ich wissen. Er ist bereits bei mir und kontrolliert die Umgebung durch das Fenster. Ich tue, wonach er verlangt hat. Augenrollend trete ich in die Mitte des Raumes.

Scheinbar ist draußen nichts zu sehen, denn sogleich kontrolliert er die Zimmertüre. Die Wachen, die davor postiert sind, haben nichts Ungewöhnliches verzeichnet.

„Es besteht keine Gefahr“, soll mich wohl beruhigen. Ich habe den Verdacht, dass er mir einfach Angst machen wollte, um sich aufzuspielen.

Genervt nehme ich wieder Platz und fahre mit einem Zigarrenhalter fort.

Der Soldat stellt sich wieder in einiger Entfernung hinter mich und starrt mein Gesicht durch den Spiegel an. Wieder einmal versuche ich, seine Blicke, die mir mehr als unangenehm sind, zu ignorieren.

Nach ein paar Stunden habe ich alle Punkte auf der Liste erledigt. Die Portraits lege ich zusammen mit meinen Notizen zurück in die Box.

Es ist vier Uhr morgens und Aurelion ist noch immer nicht zurückgekehrt. Ich frage mich, was er wohl so lange macht.

Genau in dem Augenblick poltert es an der Tür. Ich habe mich so erschrocken, dass ich aufgesprungen bin. Der Soldat, der mich bewacht, zieht seine Waffe, doch als im nächsten Moment Aurelion den Raum betritt, steckt er sie wieder ein.

Der Soldat nickt ihm zu und verlässt das Zimmer. Das war wohl die Wachablöse.

Wir sind keine zwei Sekunden allein, da wankt Aurelion bedrohlich auf mich zu und lacht laut auf. „Sei gegrüßt, Weib.“ Er ist stockbesoffen. Ich rieche den Schnaps bis hierhin.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst“, stoße ich verärgert aus.

„Komm, ich will dich“, lallt er und streckt den Arm nach mir aus.

Ich muss mich dazu zwingen, nicht die Fassung zu verlieren. „Du bist betrunken.“

„Nein. Ich bin hackedicht, Weib. Aber ich stehe noch meinen Mann“, gibt er an. Ich glaube es nicht, dass er das jetzt gesagt hat.

„Hör auf, mich Weib zu nennen“, tadle ich ihn.

„Na gut, Täubchen.“ Er beginnt bereits sein Hemd abzustreifen.

„Was tust du da?“, will ich wissen.

„Ins Bett gehen.“ Fuchsteufelswild malme ich die Zähne aufeinander.

„Du hast gesagt, du beschützt mich“, wende ich ein.

Er streckt die Arme zu beiden Seiten aus und erklärt: „In meinen Armen bist du absolut sicher.“ Ich weiß nicht, ob ich ihn schlagen oder anbrüllen soll, als er sich kurze Zeit später die Hose von den Beinen zieht.

„Könntest du aufhören, dich auszuziehen. Wenn dich jemand so sieht, schlagen sie dir den Kopf ab“, weise ich ihn zurecht.

Er lacht laut auf, zieht die Schultern hoch und prustet: „Komm her. Mein Prügel funktioniert auch ohne meinen Kopf.“ Er hat mir gerade zugezwinkert, sich auf mein Bett fallengelassen und sich zwischen die Beine gefasst.

Angewidert drehe ich ihm den Rücken zu und überlege krampfhaft, wie ich ihn nüchtern bekommen kann.

„Was, wenn ich sein nächstes Opfer bin?“ Meine Frage bleibt unbeantwortet, denn mein „Beschützer“ schnarcht bereits vor sich hin. Ich glaube das einfach nicht.

Erschöpft setze ich mich aufs Bett und betrachte ihn. Meine Hand gleitet wie von selbst zu seiner nackten Brust, aber ich halte in der Bewegung inne, bevor meine Fingerspitzen auf seine Haut treffen. Es ist falsch – ich gehöre einem anderen Mann. Aber der Drang, ihn zu berühren, ist fast übermenschlich.

Wenn er nicht so ein Troll wäre, würde ich mich glatt in ihn verlieben. Was natürlich nicht geht, denn ich muss den König lieben.

In einem anderen Leben würde ich mich an seine Brust lehnen, die Augen schließen und mich in seinen starken Armen geborgen fühlen.

Lächelnd decke ich die „Alkoholleiche“ zu und erhebe mich.

Perfekte Trugbilder

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