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ОглавлениеVorwort
Über das Erinnern
Welche Geschichten haben Platz in diesem Buch gefunden? Welche wurden uns erzählt, an welche wurde sich erinnert? Es sind oft die dramatischen Geschichten, die traurigen, die, die ein Loch in das Leben der Erzählenden gerissen haben. Die, die bis zum Schluss nicht vergessen werden können. Es ist die Erinnerung an Kinder, Eltern, Partner und Freunde, die Erinnerung an eigene Fehler und die Fehler von anderen. Nicht alle Erinnerungen sind qualvoll, oft sind sie ein Andenken an einen Menschen, an eine Entscheidung oder an ein ganz anderes Leben.
Erinnerungen sind nie linear, nie wie eine Geschichte mit Anfang, Ende und strukturiertem Mittelteil. Manchmal verschwimmen Zahlen und Orte, Erinnerungen können nacherzählt sein, so lange, bis man sie glaubt, können verdrängt werden oder im eigenen Unterbewusstsein geschönt, um sie erträglicher zu machen. Die Gefühle, die mit diesen Erinnerungen verknüpft werden, sind dadurch aber nicht weniger wahr. Erinnerung ist immer authentisch, egal, ob sie das Erlebte eins zu eins widerspiegelt.
Erinnern funktioniert nicht über Standbilder und nicht über Fotoalben. Lebendig werden Erinnerungen in Malereien, wie in dem Buch, voll mit den Zeichnungen ihres Mannes, das eine Dame aufbewahrt. Oder über das Medaillon, das einen Herren durch sechs Jahre russische Kriegsgefangenschaft getragen hat. Das Medaillon ist der Schlüssel zu einer Erinnerungswelt, die ihm bis heute die Angst von vor 77 Jahren wieder in die Augen treibt und Tränen herausholt.
Menschen in Pflegeheimen lassen meistens vieles ihres Besitzes in ihren Wohnungen. Mit kommt nur diese Sammlung an Erinnerungen, ob sie mitmöchte oder nicht. Die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, freuen sich, sie mit Ihnen zu teilen. Um Sie zu unterhalten, um Sie zu berühren oder um Sie zu warnen, vor Fehlern, die schon gemacht wurden, die wir deshalb nicht mehr zu machen brauchen.
Um abschließend noch einige Worte über die Liebe zu verlieren, möchte ich zwei interviewte Damen zitieren:
Die Liebe ist der Inhalt des Lebens in allen Lebenslagen.
Aber ich habe nachgedacht und bin auf viele Arten von Liebe gekommen.
– Laura Fischer
Über Lektionen
Und? Was bleibt über nach all den Gesprächen? Was hast du über die Liebe gelernt?
Die Antwort auf diese Fragen, die mir in letzter Zeit immer wieder gestellt werden, halten Sie, lieber Leser, liebe Leserin, gerade in Ihren Händen. Denn jede Geschichte, die Sie auf den folgenden Seiten dieses Buches erwartet, ist das, was für mich nach den Gesprächen übergeblieben ist und was ich nun mit großer Freude an Sie weiterreichen darf. In der Hoffnung, dass auch Sie etwas über die Liebe lernen. Und das werden Sie. Davon bin ich überzeugt.
Sie werden lernen, dass Geschichten über die Liebe immer auch Momentaufnahmen der Zeit sind, in der die Liebe erlebt und gelebt wird. Die meisten Personen, die in diesem Buch so offen und ehrlich über ihre Erfahrungen erzählen, wurden kurz vor, während oder nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Sie spiegeln den Zeitgeist einer Generation wider, die unter ganz anderen Umständen und Regeln groß geworden ist als meine. Das werden Sie vor allem an den Sätzen erkennen, die sich so oder so ähnlich lesen: Das kann man sich heute ja gar nicht mehr vorstellen, aber damals…!
Warum ist das wichtig?
Weil Geschichten über die Liebe, und das werden Sie auch lernen, nie getrennt betrachtet werden können von der Zeit, in der sie spielen. Die Zeit ist es, die die Rahmenbedingungen für Liebe festlegt: Mit ihren Vorstellungen von Richtig und Falsch, von Männern und Frauen, von Normal und Abnormal entscheidet sie letztlich darüber, wie wir lieben und von anderen geliebt werden. »All meine Beziehungen sind am Unverständnis gescheitert, wie eine Frau zu sein hat und ein Mann zu behandeln ist«, hat eine Dame einmal zu mir gesagt, deren Geschichte Sie in diesem Buch noch lesen werden, und die die zweite Lektion hier mit diesem Satz ganz gut auf den Punkt bringt.
Das Dritte, was Sie lernen werden – und damit will ich Sie auch schon in die Lektüre dieses Buches eintauchen lassen – ist: dass Menschen am Ende ihres Lebens nicht nur über die Liebe sprechen, die sie erfahren haben, sondern vor allem über die, die ihnen vorenthalten wurde. Eine, die nicht da war, obwohl sie da sein hätte sollen. Am treffendsten hat das wahrscheinlich die Dame mit den meeresblauen Augen ausgedrückt, die gleich zu Beginn unseres Gespräches meinte: »Ich habe die Liebe daran erkannt, dass sie nicht da war.« In Fällen wie diesen kann die Frage nach dem Warum einen das ganze Leben lang begleiten und selbst am Sterbebett noch großen Schmerz auslösen.
Aber: Auch der Schmerz gehört zur Liebe und niemand, wirklich niemand, der liebt, entkommt ihm. Auch das werden Sie lernen, aber nun will ich mein Versprechen von oben einlösen und Sie wirklich eintauchen lassen: Lesen und lernen Sie am besten einfach selbst! Und haben Sie eine Freude daran.
– Marija Barisic