Читать книгу Die Dunkelheit der Unschuld - Marina Köhler - Страница 6
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ОглавлениеEmma war stolz auf sich. Trotz der widrigen Umstände – wie sie es beschönigend nannte – hatte sie ihr Abitur geschafft, sogar noch mit einer 1 vor dem Komma. Sie hatte nach außen den Schein gewahrt, als hätte sie alles im Griff und nur noch die etwas schmalere Figur zeigte eine Veränderung. Inzwischen traute sie sich auch wieder engere Sachen anzuziehen. Sie war zu einer begeisterten Joggerin geworden, hatte einen guten Abschluss hingelegt und nebenbei intensiv an zwei Fremdsprachen gearbeitet. Sprachen hatten ihr schon immer Spaß gemacht, aber jetzt war es wie ein Rausch für sie Stück für Stück eine andere Sprache zu erarbeiten. Sie konnte es sich nicht genau erklären, vielleicht lag es daran, dass ihr seit dem Vorfall immer wieder ein paar Worte auf Deutsch fehlten, vielleicht benötigte ihr Gehirn so viel Kapazität Vokabeln aus zwei verschiedenen Sprachen gleichzeitig aufzubauen, dass es sich nicht mehr unentwegt um den Vorfall drehen konnte. Der Grund war ihr eigentlich egal, Hauptsache war, dass es half.
Vielleicht war es das, was die Leute meinten, wenn sie sagten, sie seien gestärkt aus einer Krise hervorgegangen. Sie hatte überlebt und war besser geworden, das war doch etwas wert, oder?
Und diese Kraft musste sie sich in Erinnerung rufen, wenn sie nächste Woche in die Verhandlung ging. Sie würde Fischer noch einmal gegenübertreten und sie musste keine Angst haben. Sie war nicht allein und sie hatte sich nicht zu schämen. Er war es, der Angst haben sollte und dem es vor dem Termin grauen sollte. Sie hatte die Bilder von damals tausendmal gesehen, was darin sollte sie noch erschüttern? Sie atmete tief ein und suchte ihren Blick im Spiegel. Trag einfach deine Maske und überlebe, sagte sie sich. Das würde für den Anfang reichen und danach würde alles leichter werden.
***
Bewährung - das Wort hallte in ihr nach. Für ein paar Monate, nicht mehr, kein Gefängnis. Emma saß wie erstarrt. Das durfte nicht wahr sein! Für die Hölle, durch die sie gegangen war, für den ganzen Kampf bekam er nur Bewährung? Wo war da die Gerechtigkeit? Sie spürte Jennys Hand, die die ihre drückte, konnte aber nicht reagieren.
Der Gang vor Gericht war eine einzige Tortur gewesen, Nächte vorher konnte sie kaum schlafen, sie bekam fast nichts herunter und hierher hatte sie es nur mit Beruhigungstabletten geschafft. Sie hatte alles nochmal wiederholen müssen und dies vor den Fremden zu machen war erstaunlicherweise tausendmal schwieriger. Vor allem, weil sie immer das Gefühl hatte, es klang nach zu wenig, so als ob nicht wirklich viel passiert sei. Dann hatte sie sich seine Aussage anhören müssen, er habe eine sehr anstrengende Zeit hinter sich, in letzter Zeit vermehrt getrunken und sie sei ihm gegenüber schroff aufgetreten, das habe ihn geärgert. Hier hatte die Staatsanwaltschaft scharf interveniert. Er hatte weiter Ausflüchte bemüht - ihm seien die Sicherungen durchgebrannt, er könnte sich nicht wirklich erinnern; kein Wort des Bedauerns, keine Entschuldigung. Und dann das Urteil. Sie spürte wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Jenny nahm sie in den Arm und ihre Mutter legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Sieh es so Emma. Er ist vorbestraft und seine Arbeit ist er auch los.“ Emma schluchzte kurz auf. „Aber Bewährung? Auf Nötigung steht mindestens ein Jahr, das habe ich gelesen.“ Ihr Herz krampfte sich zusammen und eine Welle des Schmerzes wogte durch ihren Körper. „Das ist ungerecht. Das ist nicht fair!“ Ihre Mutter wrang verlegen die Hände. „Nun ja, sie konnten wohl nicht das ganze Strafmaß anwenden, weil es nur eine…“ Emma blickte sie mit zitternden Lippen an. „Weil es was war, Mama? Sag schon! Weil es nur der Versuch war? Weil er es nicht zu Ende gebracht hat? Warum fühlt es sich dann aber an, als wäre es geschehen? Für mich hat er es vollbracht, für mich ist es furchtbar! Aber er kommt davon, mit einer kleinen Mahnung, es so schnell nicht wieder zu machen. Das ist einfach falsch!“ Dann brach sie auf der Bank zusammen und ihr Körper wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt. Es war ihr egal, ob er noch da war, ob er es sah, ob er sich daran ergötzte. Die ganze Zeit hatte sie versucht stark zu sein, aber es hatte nichts geändert. Es war egal, was sie machte, sie konnte nur verlieren und jetzt konnte sie nicht mal mehr darauf hoffen, dass Gerechtigkeit ihre Wunden heilen würden. Es blieb ihr nur noch weiterzumachen, aber irgendwie konnte sie endgültig keinen Grund mehr sehen, wofür.
***
Mick wusste nicht, warum er zu der Verhandlung und zur Urteilsverkündung gegangen war. Dieses Verhalten war absolut untypisch für ihn, aber er hatte sich Erklärungen zurechtgelegt: Dass er sich ein Bild vom Vergewaltiger machen wollte. Dass es zeitlich ging und er zufällig auf den Termin gestoßen war und es ihm hilfreich sein konnte für später. Aber die Wahrheit war einfach: Die Frau war ihm wieder nicht mehr aus dem Kopf gegangen, seit er von der Verhandlung gehört hatte. Es war keine Schwärmerei oder sexuelles Interesse, dafür hätte er wohl aufgrund der Umstände auch fast pervers sein müssen. Irgendwie schwirrte sie dennoch immer wieder durch seinen Kopf und er machte sich Gedanken um sie und egal was er tat, er konnte es nicht abstellen. Er hoffte, durch den Besuch des Gerichts endlich einen Schlussstrich ziehen zu können.
Sie wirkte leicht angeschlagen, aber hielt sich erstaunlich gut. Sie straffte ihre Schultern und versuchte mit fester Stimme zu sprechen, aber sie vermied Blicke in Fischers Richtung. Ihm fiel auf, dass dennoch ihre Augen ab und zu für einen kurzen Moment zu ihm wanderten, als ob sie etwas suchten. Reue vielleicht, Scham... Aber davon konnte Mick nichts entdecken, was ihn wütend machte. Der Mann redete nur von sich, er zeigte kein Bedauern, ihm schien nicht klar zu sein, was er dem Mädchen angetan hatte.
Mick atmete tief durch als die Aussage vorbei war und versuchte seine Gefühle runterzufahren, wie er es im Laufe seiner Arbeit gelernt hatte.
Er saß hinten in einer Ecke, weit weg von ihr. Er wollte nicht, dass sie ihn sah. Vielleicht wäre es ihr komisch vorgekommen oder unangenehm und er wollte sie nicht weiter belasten.
Dann kam die Urteilsverkündung, ohne es zu merken, hielt er die Luft an…
Als er das Strafmaß hörte, war er etwas erstaunt. Bewährung konnte er in so fern nachvollziehen, dass er leider wusste, dass dies bei Ersttätern oft angewandt wurde. Aber die Länge erschien ihm wenig, gerade angesichts des kalten Verhaltens des Mannes. Er hatte das Ganze geplant, immerhin hatte er dafür gesorgt, dass sie allein im Geschäft bleiben musste, es war keine Tat im Affekt gewesen. Der Richter hatte das Geständnis als strafmindern angesehen, aber was hätte abstreiten auch gebracht? Es gab einen verlässlichen Zeugen. Mick schüttelte den Kopf und wusste wieder, warum er die Urteile nicht mehr verfolgte, oft hinterließen sie einen schalen Beigeschmack.
Er wandte vorsichtig den Kopf und blickte zu Emma. Sie war schneeweiß im Gesicht geworden, Tränen liefern über ihr Gesicht, aber sie schien es nicht zu merken. Sie saß wie erstarrt und war gleichzeitig in sich zusammengesunken. Die beiden Frauen neben ihr sprachen mit ihr und sie erwiderte etwas, sichtlich erregt. Dann brach sie weinend zusammen. Es gab ihm einen Stich ins Herz. Warum hatte er es nicht bei ihrem letzten Treffen belassen, als sie stark und zuversichtlich gewirkt hatte, hatte sich so an sie erinnert? Jetzt sah sie verloren aus, zerstört, hoffnungslos.
Der Täter ging mit seinem Anwalt an ihm vorbei und er hörte, dass er etwas über Berufung sagte. Mick lachte bitter, der Mann schien sich auch noch ungerecht behandelt zu fühlen. Keinen Blick hatte er zu Emma geworfen, nicht versucht sich zu entschuldigen. Diese saß immer noch aufgelöst da und konnte nicht aufhören zu weinen.
Eine unbändige Wut packte ihn. Womit hatte diese junge Frau, dieses Leid verdient? Er nahm seine Sachen und verließ aufgewühlt den Gerichtssaal. An solchen Tagen fühlte er sich in seiner Arbeit hilflos und erschöpft. Er konnte nur versuchen die Täter zu erwischen, aber über die Strafe entschied ein anderer. Und manchmal schien die Strafe der Tat einfach nicht gerecht zu werden.
Er ging nach Hause, schlüpfte in seine Joggingsachen und begann mit hohem Tempo zu laufen, weg von den Gedanken, weg von der Wut, weg von dem Bild von dem Häufchen Elend auf der Gerichtsbank. Er wollte nicht wissen, wie groß ihr Gefühlschaos erst sein musste, er wünschte sich nur, er wäre nicht bei der Verhandlung gewesen. Dann wäre diese große Ungerechtigkeit zwar auch geschehen, aber er hätte wenigstens nichts davon gewusst. Manchmal war Verdrängen und Abschotten vielleicht wirklich der einzige Weg um mit so etwas umzugehen, denn sein Kampf würde ihr Leid jetzt auch nicht heilen können.
***
Emma lag in ihrem Bett und starrte ins Halbdunkel. Der Wecker zeigte 6 Uhr morgens, viel zu früh für einen Samstag, insbesondere, da sie erst kurz nach 1 Uhr eingeschlafen war. Die Schlafstörungen waren zurückgekommen, stärker als zuvor, aber sie hatte nicht mal die Motivation sich neue Tabletten zu holen. Was sollte es auch bringen? Ob sie schlief, ob sie wach war, ob Albträume sie plagten oder Gedanken – was machte es schon für einen Unterschied? Es war alles gleich, egal ob sie lebte oder tot war. Sie erschrak nicht mehr angesichts dieses Gedankens, sie war es inzwischen gewohnt, dass der Wunsch zu Sterben immer irgendwo anwesend war. Angesichts des milden Urteils gegenüber dem Mann, der ihr Leben zerstört hatte, glaubte sie aber endgültig nicht mehr, dass Selbstmord eine sichere Erlösung war. Sie sollte nicht sterben, sie sollte leiden, so schien es ihr Schicksal zu sein und sie wollte nicht auch noch als Pflegefall enden. Vielleicht wurde sie auch langsam paranoid, vielleicht war das der Grund, warum sich die meisten Bekannten von ihr abgewandt hatten.
Man hatte wohl erwartet, dass sie spätestens nach dem Urteil endlich nach vorne schauen würde, vergessen würde, aber die Verhandlung war ein Schlag ins Gesicht gewesen, hatte sie komplett zurückgeworfen. Wenn sie nach vorne blickte, sah sie nur Dunkelheit, Hoffnungslosigkeit und Angst.
Sie hatte einen Studienplatz bekommen, aber wozu sollte das eigentlich gut sein? Sie würde auch dort kläglich scheitern, dessen war sie sich sicher.
Trotzdem würde sie das Studium antreten, sie musste ja Geld für ihr künftiges Leben verdienen. Außerdem wollte sie hier weg, das Fremde ängstigte sie nicht. Das Verbrechen war in vertrauter Umgebung geschehen, es gab also nichts, was sie schützen würde.
Das Ticken ihrer Armbanduhr bahnte sich einen Weg in ihr Gedächtnis, rational war ihr klar, dass es nicht so laut sein konnte, aber in ihrem Kopf hallte es wider und schien wie ein Flipper-Ball von der einen Kopfseite in die andere zu schießen. Vor ihren Augen begann es zu flimmern und Lichtblitze tanzten in Ihrem Blickfeld.
Scheiße, es ging wieder los, ihr Kopf wehrte sich gegen das ständige Grübeln und den wenigen Schlaf mit einer erneuten Migräneattacke mit starker Aura. Sie spürte wie eine kalte Faust sich um ihren Magen legte und Galle ihren Hals hinaufstieg. Mühsam richtete sie sich auf und suchte fahrig nach ihren Migränetabletten. Sie wusste in ein paar Minuten würde ihr Kopf fast explodieren und sie würde zu keinem Gedanken mehr fähig sein. Doch danach würde sie in einen tiefen traumlosen Schlaf fallen, der alles verschluckte. Vielleicht suchte der Körper also auch nur einen Weg sich zu schützen.
***
Noch ein Schritt, ein weiterer Schritt, immer einer nach dem anderen. Ihre Lunge brannte und ihre Beine waren schwer, aber sie war nicht gewillt aufzugeben. Sie konnte sich nicht zu viel aufraffen, aber das Joggen und Sprachenlernen hatte sie beibehalten. Inzwischen trainierte sie jeden Tag, stets dieselbe Runde im Park. In der weitläufigen Grünfläche war immer etwas los, aber es verlief sich gut, so dass man genug Platz hatte und sich nicht ständig in die Quere kam. Sie mochte das Grüne dort, die großen Büsche und die kleinen Ecken, in die man sich zurückziehen konnte, wenn man wollte. Die Natur beruhigte sie zumindest etwas. Sie hatte immer ihre Kopfhörer dabei, die Musik half ihr den Kampf durchzustehen, sie war einfach keine Sportskanone und ihr Körper versuchte immer wieder die tägliche Anstrengung abzuwehren. Sie schaute sich die einzelnen Menschen, die sie passierten, nicht an; wenn sie grüßten, nickte sie kurz zurück. Bestimmt hatte sie einige von ihnen schon öfter hier gesehen, aber es war ihr egal. Sie wollte niemanden kennenlernen, sie brauchte keine Kontakte, sie war nur zum Laufen hier.
Ein frischer Luftzug wehte ihr entgegen und sie atmete tief ein. Der Wind tat ihr gut, er war angenehm in ihren Lungen und sie stellte sich vor, wie er dunkle Gedanken wegblies.
Sie wusste, sie musste irgendwie in ihrem Leben weiter machen, aber ihr fehlte einfach ein Grund. Immerhin aß sie, sie wusch sich, machte Sport und lernte. Sie fand das ganz gut. Außerdem hatte sie sich ein neues Hobby gesucht, sie verschlang Reiseberichte. Sie träumte sich dann in andere Länder und Städte und tat so als wäre sie dort ein ganz normaler Tourist ohne dunklen Fleck in der Vergangenheit.
Andere mochten ihren Alltag für jämmerlich halten, da sie ja nicht mal „richtig“ vergewaltigt worden war, aber für sie war es manchmal mehr als sie sich vorstellen konnte zu bewältigen.
Sie war seit der Verhandlung nicht mehr bei der Psychologin gewesen, diese konnte auch nichts ändern. Sie konnte nur versuchen, Wunden zu heilen, aber sie nicht vor weiteren schützen.
Sie störte immerhin niemanden, ging keinem auf die Nerven oder zwang die Leute sich ihre Geschichte nochmal anzuhören. Sie existierte, wie es von ihr verlangt wurde. Manchmal hatte sie zwar das Gefühl in Wirklichkeit tot zu sein, aber ihr schneller Herzschlag beim Joggen rief ihr ins Gedächtnis, dass sie noch lebte. Sie war noch da, zumindest Teile von ihr.
***
Einatmen, ausatmen, immer schön in den Brustkorb, damit das leichte Ziehen sich nicht zu einem Seitenstechen auswachsen konnte. Sie war so konzentriert auf ihren Körper, dass sie alles andere ausgeblendet hatte. Sie nahm nicht wahr, dass sie an der kleinen Nische vorbeikam, die in die Büsche gebaut war. Warum auch, sie lief dort jeden Tag, sie kannte die Strecke in und auswendig. Der dunkle Schatten dort war neu, doch sie realisierte auch ihn nicht. Erst als er größer wurde und direkt neben ihr auftauchte, gab ihr Auge eine Meldung ans Gehirn. Im nächsten Moment stolperte sie, knallte hart auf den Boden und spürte wie ihr Kopf aufschlug. Benommen schnappte sie nach Luft. Was war passiert? Hatte sie eine Wurzel übersehen? Kaum hatte sie das gedacht, jagte ein scharfer Schmerz durch ihre Rippen und sie japste auf. Sie krümmte sich zusammen und sah einen schwarzen Schuh vor ihren Augen, dann packte sie jemand am Hals und zog sie grob nach oben. Sie wusste noch immer nicht, wie ihr geschah, da jagte schon die nächste Schmerzsalve durch ihren Körper, als eine Faust heftig ihr Gesicht traf. Oh Gott, was passierte hier?
Fast schon erwartete sie einen neuen Schlag, doch ruckartig wurde sie auf den Rücken geschoben, ein schweres Gewicht drückte sie auf die Erde und dann spürte sie wie jemand ihre Hose nach unten schob. Sie zwang sich ihre Augen zu öffnen, das linke war warm und pochte und sie konnte kaum etwas erkennen, doch was sie sah, ließ ihr endgültig das Blut in ihren Adern gefrieren. Fischers Gesicht war dicht an ihrem, sie roch Alkohol und Schweiß und spürte seinen Körper auf ihren brennenden Rippen. Er schaute sie kurz verächtlich an, während er sich zwischen seinen Beinen zu schaffen machte. „Na, du kleines Miststück? Du dachtest wohl, du kommst so einfach davon?! Wenn ich schon wegen dir Schlampe verurteilt werde, will ich doch auch wenigstens den Spaß haben.“ Erneut schlug er ihr mit voller Wucht ins Gesicht und sie schmeckte Blut. Das konnte nicht passieren, das war nicht wahr, es war nur ein weiterer Albtraum, gleich würde sie aufwachen. Wach auf Emma, wach endlich auf! In diesem Moment rammte er ihr brutal seinen Penis hinein, sie schrie auf vor Schmerz und sofort lag seine Hand schwer auf ihrem Mund, so dass sie kaum mehr Luft bekam. Sie versuchte ihn zu beißen oder sich zu wehren, aber sie hatte keine Chance. Ihr Kopf war benommen von den Schlägen, die Rippen brannten wie Feuer und sie merkte wie ihr schummrig wurde von der eingeschränkten Sauerstoffzufuhr. Immer wieder stieß er tief in sie hinein, ihre Scham glühte, mit jedem Mal wurde der Schmerz heftiger. Dann drückte er sich plötzlich auf ihrem verletzten Brustkorb nach oben und stöhnte laut auf. Seine Hand rutschte von ihrem Mund und sie schnappte in Panik nach Luft. Emma war unfähig sich zu bewegen, wollte nicht glauben, was da gerade geschehen war. Fischer hatte soeben zu Ende gebracht, was er damals geplant hatte. Aber warum war sie letztes Mal gerettet worden, wenn es jetzt doch geschah? Was hatte sie verbrochen? Der Schmerz tobte durch ihren ganzen Körper, sie ekelte sich vor der Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen und sein Geruch hatte sich in ihre Nase gebrannt. Jetzt war sie nicht mehr „fast“ vergewaltigt, jetzt war es geschehen. Dufte sie jetzt endlich sterben?
Im nächsten Moment hörte sie laute Stimmen, Fischers Gewicht verschwand ganz von ihr und sie sah Gestalten um sich rum. Sie konnte erkennen, wie jemand ausholte und Fischer schlug, ein anderer schien ihn festzuhalten. Dann schloss sie die Augen. Sie hörte jemand reden, blinzelte kurz und konnte einen jungen Mann im Trainingsanzug erkennen. Ihr seid zu spät, ihr könnt nichts mehr retten. Lasst ihn machen, vielleicht bringt er mich um und es hat ein Ende, wollte sie sagen, doch aus ihrer Kehle kam kein Laut. Die Geräusche um siehe herum wurden immer lauter, sie hörte einen Hund bellen, sie wollte nichts sehen oder hören. Wenigstens fasste niemand sie an, sie hätte keine weiteren Berührungen ertragen.
Plötzlich war es als würde sich tief drinnen irgendetwas in ihr lösen und ein Teil von ihr verschwinden. Die Schmerzen ließen nach und ihre Gefühle verstummten, es war als läge nur noch ihr Körper da und der Rest existierte nicht mehr.
Sie öffnete die Augen, immer noch konnte sie links wenig erkennen. Rechts sah sie scharf, sie nahm wahr, was um sie herum geschah, aber sie bezog es sich nicht wirklich auf sich. Es war als wäre sie eine Fremde, die die Situation von außen beobachtete. Das hier war nicht mehr sie, das war nicht mehr ihr Leben, was jetzt passiert war, war zu viel gewesen. Sie hatte gekämpft, sie hatte gelebt, sie hatte weitergemacht. Aber jetzt war es vorbei, Emma Schenker war soeben gestorben. Ihre Seele war verschwunden und alles, was blieb, war ein schmutziger, missbrauchter Körper.
Alles einfach abarbeiten wie beim letzten Mal. Die Person, die sie mal gewesen war, wusste ja wie es ging. Man brachte sie in die Praxis zur selben Ärztin wie letztes Mal, man dachte wohl es würde es ihr erleichtern. Als ob es irgendetwas geben konnte, was es besser machen würde. Zur Polizei, wo diesmal eine junge Inspektorin ihre Aussage aufnahm. Sie würde diese Sache genau einmal erzählen, dann nie wieder, das hatte sie sich geschworen – für die Akten, für eine Anklage vielleicht, als Beweis für ein gescheitertes Gerichtssystem.
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Manche Dinge ließen sich nur mit Schicksal oder Vorbestimmung erklären, auch wenn man normalerweise kein Mensch war, der an solche Dinge glaubte
Mick kam von einem Einsatz zurück und sprach gerade mit Kollegen, als er Emma ein Stück weiter vorbei gehen sah. Er musterte sie erstaunt und erschrak. Nur kurz hatte er einen Blick auf ihre Augen erhaschen können, doch diese wirkten wie tot. Ihr Gesicht war bleich und schmutzig, es war geschwollen und wund und sie bewegte sich abgehackt und wie ferngesteuert.
Sein Kollege sagte etwas und er entschuldigte sich. Er ging nach draußen und suchte die Kollegin, von der Emma gekommen sein musste. Er fragte, warum sie da war. Seine Kollegin musterte ihn erstaunt und er erklärte, dass er sie kannte – dienstlich, vom letzten Fall. Sie fragte, worum es gegangen war und er fasste es in kurzen Worten zusammen. Bestürzung trat in ihr Gesicht, dann erzählte sie, was passiert war. Eine kalte Hand fasste nach seinem Herz und er schnappte fassungslos nach Luft. Fischer war also zurückgekommen, er hatte wirklich die Unverfrorenheit und Kälte besessen die Vergewaltigung zu beenden und das kurz nach seiner Verurteilung und am helllichten Tag. Ohne nachzudenken wirbelte er um und lief nach draußen, um Emma zu suchen. Doch sie war verschwunden.
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Ihre Mutter war informiert worden und Emma hatte ihr geschrieben, dass sie allein sein wollte und nicht reden.
Sie wurde nach Hause gebracht, duschte sich, bis die Kälte wenigstens etwas wich und ihre Haut rot glühte. Es war egal, zwischen ihrem Körper und ihrem Herz gab es keine Verbindung mehr und das Gehirn reagierte nur noch automatisch. Sie schrieb einen kurzen Brief an Jenny, auch zu ihr war der Kontakt weniger geworden. Ein einziges Mal schrieb sie auch die Geschichte nieder.
Dann las sie verschiedene Dokumente und machte Vorbereitungen bis spät in die Nacht, erstellte Listen, was es noch zu erledigen gab.
Die nächsten Tage verbrachte sie viel in verschiedenen Internetcafés, recherchierte und löschte ihre Daten danach bestmöglich. Sie machte ein paar wenige kurze Besuche, sie sprach nicht über das, was geschehen war. Sie ging zu Banken, hob immer wieder Geld ab.
Es dauerte nur gut 2 Wochen, dann war alles erledigt, ihr Plan stand fest und gab kein Zurück mehr: Sie musste gehen, um irgendwie zu überleben.