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Das Gespenst des Hauses

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– Die Geschichte ist bewundernswert und ungewöhnlich, – zuckte Fürst Besborodski die Schultern. – Hätte ich sie nicht von ihrem unmittelbaren Teilnehmer gehört, würde ich an ihre Wahrhaftigkeit nie glauben.

– Bedauerlicherweise wird man nur selten Zeuge des edlen Handelns, – machte Graf Orlow-Denissow eine Bemerkung. Er hatte sein Kartenspiel schon aufgegeben, sich mit Ermüdung rechtfertigend (die er sofort empfand, nachdem er eine ganz große Geldsumme verloren hatte), und schloß sich nun den Gästen an. – Die fremde Seele ist ein Finsternis, gnädiger Herr. Nur unser Schöpfer kann herausbekommen, was sich hinter einer reizenden Verhüllung verbirgt.

– Sie haben absolut recht, Graf, – wurde er vom Fürsten Besborodski unterstützt. – Es ist kein seltener Fall, wenn ein Mensch, der ein anziehendes Äußeres besitzt, außergewöhnlich intelligent und überdurchschnittlich begabt ist, hält von allen sein echtes Antlitz geheim, etabliert sich als anständigen Menschen und begeht dabei ein Verbrechen oder eine andere unsittliche Tat.

– C’est horrible[18], – sagte Natalja Andrejewna traurig. – Gibt es etwa auch unter den Menschen von unserem Kreis solche… personnes? Mon Dieu! Wie kannst du so eine Abscheulichkeit zulassen?

– Das gibt es aber nicht! – Gräfin Akussina schlug ihre Hände über dem Kopf zusammen. – Edle, gut gebildete Menschen, die un bon revenue[19] haben, werden ein Verbrechen nie wagen. Pourquoi?[20] Sie haben denn sowieso alles!

– Sie sind zu jung, gnädige Dame, – erwiderte der Fürst liebenswürdig, – und Sie sehen alles rosarot. Leider ist die Welt kompliziert und manchmal sind wir es nicht bewusst, wie mangelhaft sie ist… Haben Sie eben gesagt, dass es einem reichen Menschen nicht nutzt, ein Verbrechen zu begehen, weil er alles hat, was sein Herz begehrt?

– Sicherlich, – rief die Gräfin aus, ohne an ihrer Selbstgerechtigkeit zu zweifeln. – Meinen Sie denn nicht so, Fürst?

– Kann sein, – antwortete Nikifor Andrejewitsch ausweichend. – Aber die Tatsachen beweisen das Gegenteil.

– Die Tatsachen? – fragte Graf Lunin nach. – Würden Sie so freundlich sein und uns diese Geschichte erzählen, gnädiger Herr?

– O ja, – sprach ihm Natalja Andrejewna nach und faltete anflehend ihre zierlichen kleinen Hände zusammen.

– Wir alle bitten Sie darum, Fürst, – stand seiner Frau Nikolaj Wassiljewitsch bei, der sich neben sie setzte und einen vernichtenden Blick auf Grafen Lunin warf.

– Wenn das Ihnen Vergnügen bereitet, Herrschaften, – sagte der Fürst trocken. – Aber ich will Sie gleich warnen: Das ist eine Gruselgeschichte, die kein so glückliches Ende wie die Erzählung Grafen Lunins hat. Au moins[21] keines, von dem ich wüsste.

Den Menschen, die im Salon saßen, lief es eiskalt den Rücken hinunter. Viele wollten schon das Vorhaben aufgeben, aber die Neugierde erlangte die Oberhand über die Angst und erwartende Blicke wurden auf den großen stattlichen Fürsten gerichtet.

– Ihnen allen ist meine Leidenschaft zu alten Büchern bekannt. Ohne Zweifel wissen Sie auch von meinem langgehegten Traum, die Bibliothek von Iwan dem Schrecklichen zu finden, die sich immer noch in Moskau befindet, so die Legende. Um dieses Ziel zu erreichen, gebe ich solide Geldmittel aus, doch meine Suche ist vom Erfolg immer noch nicht gekrönt.

– Gut, dass Sie mich daran erinnert haben, Nikifor Andrejewitsch, – unterbrach Graf Akussin den Fürsten. – Ganz neulich stieß ich dienstmäßig auf ein höchst bemerkenswertes Dokument. Ohne Zweifel wäre es für Sie vom Interesse. Das Dokument ist alt und hat meiner Meinung nach mit Ihrer Suche zu tun.

Die Augen des Fürstens erglänzten fieberhaft. Eine starke Aufregung packte ihn. Nun ähnelte er kaum jenem phlegmatischen Menschen, der selten am gemeinsamen Gespräch teilnahm (und auch wenn er daran teilnahm, tat er das, um sein Skeptizismus über zu beschreibende Ereignisse zu äußern), den man im Natalja Andrejewnas Salon kannte. Man respektierte seine alten Meriten vor dem Vaterland, bespottete aber seine Überheblichkeit hinter dem Rücken.

– Sie lassen das Herz des alten Soldaten klopfen, als sei das Vorabend einer entscheidenden Schlacht. Wie? Wo?

– Ein wenig später, gnädiger Herr, denn wir sind schon auf Ihre Gruselgeschichte gespannt, – protestierten die Gäste, die genauso hasardvoll auf die Erzählung des Fürsten warteten.

Nikifor Andrejewitsch blickte alle aufgeregt an, aber da er keine Unterstützung fand, musste er aufgeben.

– Bien, – ließ der Fürst seinen Kopf hängen. – Wie kann ich unseren schönen Damen Nein sagen… Wie ich schon erwähnt habe, scheue ich weder Zeit noch Geld, um meinen Traum in Erfüllung zu bringen. Als ich aus meinem Dienst ausschied, wurde dieser Traum der Sinn meines Lebens. Deswegen besuche ich Klöster, sitze in staubigen, dunklen Bibliotheken. Manchmal finden sich ungewöhnliche und sehr alte Bücher, altertümliche Schriftrollen. Aber darin gibt es keine Erwähnungen über die Bibliothek des rigorosen Zaren…

Der Fürst schwieg. Die Erinnerungen verdrängten für eine Weile den brennenden Wunsch, nach dem Dokument zu fragen, das Graf Akussin erwähnt hatte. Das Gesicht von Nikifor Andrejewitsch wurde von Besorgtheit überschattet, der Glanz seiner Augen, vor denen sich seine Unterordneten so ängstigten, erlosch. Natalja Andrejewnas Gäste kannten diesen strengen unempfindsamen Mann schon lange. Er stand mit beiden Füßen fest auf der Erde und glaubte weder an übernatürliche Kräfte noch an okkulte Wissenschaften.

Im Salon war es todesstill. Die Spannung stieg mit jeder Minute, aber der Fürst schien das nicht zu bemerken und schwieg, in seine Gedanken vertieft, weiter.

– Lieber Nikifor Andrejewitsch, – brach Natalja Andrejewna schließlich die Stille. – Es ist Ihrerseits so unbarmherzig, uns warten zu lassen. N’est-ce pas?[22] – sie ließ den Blick über ihren Freundeskreis gleiten. Alle nickten beifällig.

Der Fürst zuckte auf und wurde leicht rot, sich seiner Gedankenferne schämend.

– Ich bitte liebe Gräfin und Sie, meine Herrschaften, um Verzeihung – sagte er verwirrt. – Die Erinnerungen haben mich überschwemmt, so dass ich an jenen Tag zurückdenken musste, da mir ein ganz merkwürdiges Buch begegnet war… Das geschah vor einigen Jahren, an einem jener hitzigen Maitage. Ich fuhr von meinem Landgut. Es lag das Petrowski-Kloster (oder, wie es sonst genannt wird, das Hohe-Petrowski-Kloster) auf meinem Wege. Da die französische Armee es im Jahre 1812 ausplünderte, gibt es hier nichts Kostbares. Ich wusste davon Bescheid, deshalb stieg dort seit damals nie ab. Aber an dem Tag trieb eine geheimnisvolle Kraft mich dorthin. Ich wurde vom Klostervorsteher empfangen. Als er erfuhr, wer ich bin, lud er mich zur Abendmahlzeit ein. Beim Abendbrot kam ich mit Priester Nikon ins Gespräch. Als ich ihm von meiner Leidenschaft erzählte, erfuhr ich überraschenderweise vom Klostervorsteher, dass die Mönche es während des Krieges geschafft hatten, eine Menge Folianten und Manuskripten in einem geheimen Ort zu verstecken, und nun werden die in der Klosterbibliothek aufbewahrt. Bei diesen Worten überfiel mich die durchaus verständliche Aufregung. Was wenn…? Ich bat den Klostervorsteher um Erlaubnis, einen Einblick darin zu gewinnen. Priester Nikon hatte nichts dagegen. Wir stiegen die Wendeltreppe hoch und betraten ein dunkles Zimmer, von dessen Größe ich nicht urteilen konnte, weil es nur mit einer Kerze beleuchtet war, die der Klostervorsteher in der Hand hielt. «Man bringt Ihnen noch Kerzen, Ihre Erlaucht» – «Herzlichen Dank, Ihr Hochwürden,» – antwortete ich und fing an, auf dem nächsten Regal stehende Bücher mit Neugierde zu mustern.

Ein hochgewachsener junger Mönch brach noch ein paar Kerzen. Er fragte mich nach etwas, aber ich hatte mich in einen Folianten so vertieft, dass ich auf seine Worte nicht achtete. Meine Gedanken waren nur darauf gerichtet, das zu finden, was mir bei der Suche helfen kann. Ich sah ein Buch nach dem anderen durch, ging von einem Regal zum anderen. So verging die Nacht… Ich kam erst dann zur Besinnung, als der Klang der Glocke die Mönche zum Morgengebet einlud.

– Haben Sie was Interessantes gefunden? – erkundigte sich Graf Akussin.

– Eher nein als ja, – sagte der Fürst ausweichend.

– Ihre Worte haben uns fasziniert, mein Lieber, – rief Natalja Andrejewna aus und sah den Erzähler anspruchsvoll an. – Es ist darin ein Geheimnis zu spüren.

– Sie haben in gewissem Maße recht, – ein Lächeln umspielte das strenge Gesicht von Nikifor Andrejewitsch. – Leider fand ich nichts davon, was mir helfen könnte, wenigstens eine Spanne weiter in meiner Suche vorzurücken. Aber ich stieß mich auf ein höchst bemerkenswertes wie geheimnisvolles Dokument. Es kam mir zuerst vor (eigentlich war es wirklich so), dass ich jemandes Tagebuch gefunden hatte. Ein gewisser Kaufmann – möge er Wassili Nikolajewitsch heißen (ich erlaube mir, ihn bei seinem eigentlichen Namen zu nennen) – beschreibt darin bis ins kleinste Detail sein Leben. Ich will Ihnen diese langweiligen Einträge nicht nacherzählen. Hauptsächlich gibt es da nichts Spannendes: Berichte, Notizen, Berechnungen. Indem ich dieses Tagebuch durchblätterte, begriff ich, dass es sich um einen reichen Kaufmann handelt, der in Sibirien zwei Goldminen besaß…

– Von wem ist denn die Rede? – sagte Graf Lunin stutzig.

– Den vollen Namen dieser Person werde ich jetzt nicht verraten, und am Ende meiner Erzählung werden Sie verstehen warum … Ich hatte schon also jene Notizen zugemacht und beiseite gelegt, aber eine geheimnisvolle Kraft ließ mich das Tagebuch wieder zu nehmen. Ich konnte nicht verstehen, was los war. Ich öffnete das Tagebuch und fing wieder an, darin zu blättern. Es war nicht vollgeschrieben, und als ich den letzten Eintrag las, wollte ich es wieder schließen. Aber meine Finger begannen ganz von sich, die leeren Seiten umzublättern und da… – der Fürst schwieg für eine Weile und holte den Atem. Doch den übrigen Gästen kam diese Weile wie Ewigkeit vor.

– Quälen Sie uns bitte nicht, mein Lieber, – sagte Natalja Andrejewna aufgeregt, ihr Gesicht nervös umwehend.

– Ja, ich kann Sie verstehen, – murmelte Nikifor Andrejewitsch schuldbewusst, – Ich stoß mich auf neuere Einträge. Ihr gehorsamster Diener dachte, das sei die Fortsetzung des Tagebuches, und wollte es schon zuschlagen, aber in demselben Augenblich wurde ich vor Überraschung gelähmt.

– Was hat Sie also in Erstaunen versetzt?

– Die Handschrift…

– Die Handschrift? – fragte Graf Lunin verblüfft. – Was hat das mit der Handschrift zu tun?

– Alles ganz einfach, – setzte der Fürst fort. – Die Handschrift hatte sich geändert.

– Waren die Einträge vielleicht von einem anderen Menschen gemacht?

– Nein, – Nikifor Andrejewitsch schüttelte den Kopf. – Es war dieselbe…und trotzdem eine andere Handschrift. Anfänglich konnte man aus den Geschäftsnotizen das Bild eines selbstbewussten Menschen herausbekommen, – wohl mit einem dicken Vollbart, willensstarkem Gesicht und listigen Augen. Seine Geschäfte hatte er fest in seiner Hand; und mit jener sicheren Hand beschrieb er sie in seinem Tagebuch. Aber die letzten Seiten waren von einem Menschen gekritzelt, in dessen Seele… die Angst herrschte.

– Pourquoi vous avez decide cela[23]? – fragte die Gräfin verwundert und starrte Nikifor Andrejewitsch an.

– Seine Handschrift… Die Buchstaben wackelten tatsächlich. Es kam vor, er sei einmal aus einem herrischen, selbstsicheren Mann zu einem kraftlosen Greis mit zitternden Händen geworden… Um den Grund solcher Veränderungen herauszufinden, beschloss ich, den ganzen zweiten Teil des Tagebuches zu lesen, wozu ich zum Anfang zurückkehrte. Ich war bereit, alles Mögliche zu sehen, nur jene erste Zeile nicht: «Die Beichte eines reuigen Sünders».

– Trotzdem haben Sie alles gelesen? – erkundigte sich Graf Akussin.

– Wie konnte ich das Tagebuch danach bloß gleichgültig schließen? Natürlich habe ich das Bekenntnis des unbekannten Kaufmannes gelesen. Doch das, was ich erfahren musste, erschrak mich… Trotz der Müdigkeit und der schlaflosen Nacht, vertiefte ich mich ins Lesen der grausamen Beichte. Seit dem Tag verging schon ziemlich viel Zeit, aber ich kann mich jedes Wortes jener verzweiflungsvollen Geschichte entsinnen. Wenn Sie mir gestatten, würde ich sie lieber von der Ich-Person nacherzählen… «Wie viele Sachen fängt der Mensch an zu verstehen, wenn ihm der Schleier des Hochmuts fällt… Diese Last zu tragen ist schwer. Ich, Wassili, der Sohn von Nikolai Kuzmitsch, geboren am … Anno Domini, will euch meine schwere Sünde zugestehen, damit ihr, meine Kinder, diesen Weg nie gehen würden. Wegen dieser Sünde hat Herr Gott unsere Familie verflucht… Es geschah vor genau fünf Jahren. Damals war ich ein geschickter und erfolgreicher Kaufmann: Woran ich mich immer machte, hatte ich immer Glück. Das Gold floss in die Kästen – einen nach dem anderen, so dass ich sie nicht mehr zu zählen wusste. Aber ich hatte nie genug. Ich bin selber ein kluger und reicher Kaufmann, alle meine Frauen tragen Kleider aus lauter kostspieligen seidenen Stoffen, die Tafel biegt sich immer unter den Speisen. Doch es fiel mir ein, mich über anderen Menschen zu erheben, um noch mehr Beachtung zu genießen. Dafür kam ich allvorderst auf den Gedanken, ein Haus in Moskau zu errichten. Und zwar ein schönes Haus, damit alle jene Schönheit bewundern würden. Ich war damals, offen gestanden, ein eitler Mensch – möge Herr Gott mein Zeuge sein. Und dazu war ich ein Schürzenjäger. O weh, wie sehr habe die Weiber geliebt!.. Also ließ ich damals einen bekannten Baumeister kommen und erzählte ihm von meinem Wunsch. Also abgemacht: Für eine recht gute Gage versprach er mir, so ein Haus zu errichten, welches es in Moskau noch nie gegeben hatte. Ich scheute dafür kein Geld: Geschirr, Möbel, Ausstattung – alles kam aus fremden Ländern. Nach einem Jahr entstanden anstelle einer Hütte die prachtvollen Gemächer, die man nur mit der Zarenresidenz vergleichen könnte. Dem Haus fehlte nichts: schöner Aufgang, dicke Wände, Türmchen und Arabesken. Innen war es noch schöner: Die ganze Ausstattung aus dem Ausland, alles handgeschnitzt und beschlagen. Der Baumeister gab sich viel Mühe: Jeder Saal hatte seinen eigenen Stil. Ein Saal im Ritterstil, der andere – als Zarengemach ausgeschmückt und dann noch einer – ganz wie das Gemach eines überseeischen Königssohnes… alles überirdisch schön! Aber nur ich dachte so, den Moskauern aber kam mein Haus unbehaglich vor. Die ganze goldkuppelige Hauptstadt verhöhnte mich. Mich, der ich Wassili Nikolajewitsch heiße. Da geriet ich wegen meines Baumeisters in Wut und zahlte ihm seinen Lohn nicht. «Bedenk dich, Wassili Nikolajewitsch, – rief er im Eifer aus, – Siehst du selber etwa nicht, wie herrlich dein Haus ist! Die Neider haben mich angeschwärzt! Lass mal diese Lügen: Man zerrt mich doch wegen des Neides in Staub!» Doch ich wollte niemandem außer mir selbst zuhören. Ich sagte nur: «Hässlich ist alles, was du da errichtet hast. Und Schluss damit,» und schmiss ihn heraus. Da erzürnte er sich, sprang vom Stuhl und rief: «Ich schwöre bei Gott, dass es in diesem Haus niemandem wohl gehen wird! Ich verwünsche es!» Sobald er diese Worte fallen ließ, lief er aus dem Haus und niemand sah ihn wieder. Es kursierte aber einmal ein Geruch, er sei ertrunken oder habe sich erhängt… Ich hielt von diesen Worten nicht besonders viel. Was man von einem wütenden Menschen nicht alles hört! Inzwischen lernte ich eine Jungfrau kennen. Sie war märchenhaft schön und vollblütig! Auf diese und jene Weise bemühte

ich mich, sie anzulocken. Doch sie wollte auf mich so gut wie keinen Blick richten und von mir so gut wie kein Bescheid wissen. Dann habe ich ihr mein Haus geschenkt. Sie nahm das Geschenk gnädig an und begann sogar, mir gegenüber freundliches Entgegenkommen zu zeigen. Und dann… was habe ich meiner Königin nicht alles geschenkt: Schmucksteine, Zobelpelzmäntel, allerlei hochwertige Seidenstoffe – ich war bereit, die ganze Welt für sie zu gewinnen. Über kurz oder lang wurde das Herz meiner lieben Freundin nachgiebig. Nur eines betrübte mich damals: Wir sahen uns zu selten. Gewöhnlich war mein Diener Stjopka auch mein Bote: Er pflegte zu ihr vor mir zu kommen und Bescheid zu sagen, dass ich schon zu ihr unterwegs bin. Aber an dem Tag kam ich unangemeldet, denn ich brannte darauf, meiner Schönen ein Mitbringsel zu reichen. Und da erlebte ich mein blaues Wunder! Sie kam zwar in ihrer Kitschka aus, war aber ganz fusselig, und ihre Kleidung war über die Schultern geworfen. Ich stürzte in die Swetlitza und sah dort ihren Liebhaber. Ich erzürnte mich so, dass der Zorn mein Blut in Wallung brachte. Daran, was ich da tat, kann ich mich jetzt nicht einmal erinnern… Ich schmiss den halbnackt in den grimmigen Frost heraus, und was sie angeht…Ich packte sie am hellblonden Zorn und zog in den Keller hin. Ich ließ das Gesinde kommen und einen Ziegelstein bringen… Aus Geistesverwirrung ließ ich jene unanständige Dirne binden und – möge mir Herr Gott all die Sünden verzeihen – … sie bei lebendigem Leibe in die steinerne Hauswand einmauern. Bis auf den heutigen Tag höre ich ab und zu nachts ihr Klagegeschrei und Weinen, und die haben mir meine Ruhe geraubt – ich kann weder schlafen, noch essen. Egal, ob ich schlafe oder wach bin – steht mir nur eines vor den Augen: das Gesicht meiner Freundin, nass vor Tränen und dunkel vor Entsetzen. Aber damals bereute ich das, was getan wurde, nicht. Das ganze Gesinde schickte ich aus dem Haus in den Pferdestahl, damit niemandem einfallen könnte, ihren Herrn an der Nase herumzuführen, und zog selber aus dem Haus… Nach einiger Zeit kam ich auf den Gedanken, ein Gastmahl zu geben… aber auf eine neue Weise… es sollte nämlich ein Ball sein. Wegen meines Reichtums war ich ehrgeizig und wollte mich, den Wohltäter und Beschützer Wassili Nikolajewitsch, allen ins Gedächtnis einprägen. An dem Abend floßen überseeische spritzige Weine in Strömen, die Tafeln bogen sich unter den erlesensten Speisen. Tausende von Kerzen beleuchteten die Säle meines Hauses. Aber nicht nur darüber wunderten sich meine Gäste: Den Boden des Ballsaales hatte ich mit goldenen Tscherwonzen bestreuen lassen. Wer noch wusste es, sich über andere durch solche Großzügigkeit zu erheben?… Na ja, so was hatten die Moskauer Großtuer bisher nicht gesehen. Wie ein Pfau stolzierte ich von Saal zu Saal herein… Möge Herr Gott mir meinen Hochmut verzeihen. Der Ball erreichte seinen Höhepunkt, als DAS geschah. Es wehte zuerst eine leblose Kälte, und der ganze Saal schien vom Nebel gehüllt zu werden. Den Gästen fiel das nicht sofort auf, denn sie waren durch Tanz und Wein erhitzt. Mich aber überfiel eine große Aufregung. Ich sah mich beunruhigt um… In der Mitte des Saales, wo eben die Gäste auf den goldenen Tscherwonzen tanzten, entstand eine weiße Wolke. Die Gäste traten auseinander, und die Wolke begann, die menschliche Gestalt anzunehmen. Alles Lebendige, was es im Saal gab, wurde vor Entsetzen atemlos. Niemand wagte sich zu bewegen, die Angst fuhr allen in die Glieder. Von dem, was ich sah, stand ich wie gelähmt daher: In der Mitte des Saales stand … meine Schöne, weißgekleidet und ohne ihre weitgeöffneten Augen von mir abzuwenden. Dann schwebte sie langsam auf und näherte mich an. Es wurde mir bange. Ich wollte weglaufen, doch meine Füße schienen dem Boden anzuwachsen. In voller Stille stand das Mädel da und starrte mich an. Dann streckte sie sich und berührte meine Wange mit ihrer durchsichtigen Hand. Brennende Kälte hüllte mich dabei um. Ich trat rückwärts und fiel beinahe. Ein verächtliches Lächeln spielte auf ihren Lippen. Sie nahm ihre Hände von mir weg und begann, jedem meiner Gäste heranzufliegen und jedem in die Augen zu schauen. Ehrlich gesagt habe ich weder zuvor noch danach solche Furcht erlebt. Mittlerweile kehrte das Gespenst zu mir zurück und starrte mich wieder an. Meine Gefühle wurden zu der Zeit schon klärer. Ich schlug Kreuz und begann, ein Gebet zu sprechen. Als sie es hörte, stieß sie einen erbitterten Schrei aus, und ich spürte unsichtbare und baumstarke Hände meinen Hals packen. Ich konnte kaum den Atem holen. Alles drehte sich vor meinen Augen, und da fiel ich auf den Boden, auf die goldenen Tscherwonzen. Als ich zu sich kam, war es schon Tag geworden. Stjopka saß an meinem Bett und rieb die Nase mit dem Ärmel. Als ich aufstehen wollte, fuchtelte er mit den Händen: Der Arzt habe angeordnet, dass ich liegen sollte. Plötzlich hörten wir einen Lärm von draußen. Geleitet vom Rottmeister kamen die Soldaten, um dem Befehl unseres gnädigen Zaren nachzugehen und mich zu verhaften… Meine lieben Gäste hatten schon mich angezeigt und alles sowohl vom Mädel als auch von den goldenen Tscherwonzen mit der Abbildung unseres Imperators erzählt. Wehe ist dem, der unseren Zaren im Zorn sieht. Er ließ mich zuerst auspeitschen, und dann in die Verbannung schicken… Am Morgen soll ich mich also auf den Weg machen. Und was mich in der Fremde erwartet, weiß ich nicht… Damit schließe ich meine Beichte, meine lieben Kinder. Für die Sünden und den Hochmut muss ich in voller Höhe zahlen. Und nie wird meine Seele Ruhe finden, bis die Seele jenes Mädels in Ruhe kommt. Ich vermache euch, meine lieben Kinder, den Willen eures sündhaften Vorfahrens zu erfüllen und seine Seele durch Gebete zu retten…»

Fürst Besborodski schwieg. Erdrückende Stille lag in der Luft. Und niemand von den Gästen wollte sie brechen. Alle waren durch die Erzählung des Fürsten zwar beeindruckt, aber sie rief widersprüchliche Gefühle hervor. Schließlich stand Graf Lunin vom Sessel auf und ging ans Fenster. In seine Gedanken vertieft stand er dort eine Weile, dann drehte er sich zum Fürsten um und fragte:

– Haben Sie von diesem Dokument die Polizei benachrichtigt?

– Ja, aber dort wies man auf den Verjährungsablauf hin und wollte mir nicht einmal zuhören.

– Ist es Ihnen nicht egal, was da passiert ist, meine Herrschaften? – sagte Natalja Andrejewna und zuckte ihre Schultern.

Die Erzählung von sich hinterließ in ihrer Seele einen unangenehmen Nachgeschmack und rief ein zwiespältiges Gefühl hervor. Einerseits tat ihr das Mädel leid, das dem eifersüchtigen Libidinisten zu Opfer gefallen war und einen Märtyrertod gefunden hatte, andererseits meinte sie, das Mädchen habe für ihre Sünde gebüßt, und zwar für den Ehebruch. Der unbekannte Kaufmann war für eine noch größere Sünde bestraft, er hatte Gottes fünftes Gebot gebrochen: Du sollst nicht töten. Das Leben ist ein wertvolles Gottesgeschenk und kein sterblicher Mensch ist berechtigt, darüber zu verfügen.

– Kaum möglich, dass dieser Mann noch am Leben ist, – setzte die Gräfin das Gespräch fort, sich ein wenig zusammenkrümmend. – Das Streben nach der Wahrheit wird jetzt sowieso in nichts resultieren. Seine Seele wird kaum irgendwann ihre Ruhe finden.

– Die menschliche Seele ist ein Finsternis, – zog Graf Lunin Bilanz – Die einen begehen edle Taten, die anderen bereuen sich, begehen neue Sünden und dann wieder bereuen sich. Egal ob du arm oder reich bist – solange es auf Erden Versuchungen gibt und sie so süß vorkommen, wird es immer Sünder geben, die sie kosten wollen. So ist leider das Leben!

18

C’est horrible (fr.) – Das ist unheimlich

19

un bon revenue (fr.) – gutes Einkommen

20

Pourquoi? (fr.) – Wieso?

21

Au moins (fr.) – allerdings

22

N’est-ce pas? (fr.) – Nicht wahr?

23

Pourquoi vous avez decide cela (fr.) – Warum sind Sie zu diesem Schluss gekommen?

Wahre Geschichten eines Abends

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