Читать книгу Albtraum ohne Ende? - Marina S. - Страница 8
Unbekümmerte Zeiten
ОглавлениеDie Beziehung zu meiner Mama wurde immer schlechter. Durch die ganz normalen Veränderungen in der Pubertät, durch meine Suche nach Werten und dem Ziel meines Lebens und durch den Versuch, mich abzunabeln, entstanden immer mehr Konflikte. Die strenge Erziehung durch meine Mama, die mir das Gefühl von Enge gab, führte dazu, dass ich mich zunehmend dagegen auflehnte. Ich wollte einfach mehr Freiheit. Viele dieser Streitereien waren in dieser Entwicklungsphase sicher ganz normal.
Allerdings wurden unsere Auseinandersetzungen durch meine Adoption erschwert. Ich wollte mehr über meine leibliche Mutter Ramona erfahren und sehnte mich danach, meine Wurzeln zu erforschen. Doch immer, wenn ich Mama danach fragte, wie meine leibliche Mutter sei, wo sie lebte und wer mein Vater war, stieß ich auf eine eiskalte Mauer. Sie war nicht bereit, mir etwas preiszugeben. Kein einziges gutes Wort verlor sie über Ramona. Stets erklärte sie mir: „Darüber gibt es nichts zu wissen. Deine Mutter ist eine Hure und wollte dich nie haben. Du warst für sie nur eine störende Last. Sei doch froh, dass es dir bei uns so gut geht!“ Wenn ich dennoch weiter bohrte, wurde Mama zornig und es kam, wie so oft, zum Streit. Traurig zog ich mich dann in mein Zimmer zurück oder verließ das Haus. Ich durfte ja mit niemandem über meine Adoption sprechen. Mein Bruder sollte davon am allerwenigsten erfahren. Es wurde zu einem Tabu, was ich nicht begreifen konnte.
Folglich verbrachte ich viele Stunden im nahe gelegenen Wald. Ich liebte die Ruhe dort, lauschte gerne dem Vogelgezwitscher. Dort hing ich meinen Gedanken nach und versuchte mir vorzustellen, wie schön mein Leben werden könnte, wenn ich von zu Hause ausziehen und meine eigenen Entscheidungen treffen könnte.
Wenn ich an manchen Nachmittagen wenig für die Schule tun musste, schnappte ich mir mein Fahrrad und fuhr ziellos durch die Gegend. An besonders schönen Tagen ließ ich es auch den Berg hinunter sausen, wo meine Tanten Claudia und Lore lebten.
Im selben Haus wohnte auch meine geliebte Oma mütterlicherseits. Ich besuchte sie sehr gerne; bei ihr fühlte ich mich immer angenommen und geliebt. Von ihr lernte ich viele Lebensweisheiten.
Hin und wieder durfte ich auch bei ihr übernachten und dann sogar in ihrem Bett schlafen. Sie wärmte es mir immer mit der Heizdecke vor, was für mich etwas ganz Besonderes war. So fühlte es sich wie ein herrlich warmes Nest an, auf das ich mich stets freute. Am Morgen kuschelten wir uns zusammen und unterhielten uns eine ganze Weile, bis uns der Hunger dann in die Küche trieb.
Meine Oma versorgte auch den Schäferhund Arko, der eigentlich meinem Onkel Holger gehörte. Da er in einer kleinen Wohnung in einem Hochhaus lebte, war der Hund bei Oma untergebracht. Ich liebte Arko und durfte auch, so oft ich wollte, mit ihm spazieren gehen. Das waren stets wunderschöne Stunden für mich. Der Hund gab mir das Gefühl, dass er mich so ziemlich als Einziger verstand. Er blickte mich mit seinen treuherzigen Augen an – besonders wenn ich Kummer hatte –, als wollte er mir zu verstehen geben, dass er mit mir fühlt. Wir hatten eine gute Freundschaft und nicht selten knurrte er andere an, die mir nahe kommen wollten. Selbst meinen Bruder ließ er nur ungern an mich heran. Daniel war eher etwas ängstlich, was Arko vermutlich witterte.
In den Sommerferien nahmen mich meine Tanten öfter mit an den See zum Baden. Dabei hatten wir Kinder einen Riesenspaß. Wenn ich einige Tage bei ihnen bleiben konnte, bekam ich weit mehr Freiraum als zu Hause. Nachmittags konnte ich Rad fahren oder auch mit Nachbarskindern zusammen sein, ohne ständig gefragt zu werden, wo ich mit wem gewesen sei.
Als ich dreizehn war, durfte ich mit meiner Oma nach London fliegen. Wir besuchten dort zehn Tage lang eine Tante. Es war eine der schönsten Zeiten meiner Jugend. Stundenlang saßen Oma und ich im Garten und spielten Karten. Ich spazierte mit dem Hund meiner Tante in den nahe gelegenen Park, und wir besichtigten einige Sehenswürdigkeiten Londons.
Leider war der Sommer immer viel zu kurz. Den nasskalten Herbst mochte ich weniger: ich konnte nicht mehr so oft nach draußen und war gezwungen, länger mit Mama zusammen zu sein.
Die schneereichen Wintermonate verbrachte ich dann wieder reichlich im Freien. Wir Kinder spielten gerne im Schnee und machten oft Wettrennen mit den Schlitten oder bauten ein Iglu. Ich war aber auch eine engagierte Skifahrerin. Zum Glück bekamen wir die Liftkarten immer geschenkt. In diesem Umfang hätten meine Eltern sie wohl kaum bezahlen können.
Doch die unbekümmerten Zeiten sollten bald für immer vorbei sein.