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|17|TEIL 1

Parapsychologie: Mal klappt es und mal nicht

Die Parapsychologie befasst sich mit Gedankenlesen, Bewegung von Objekten durch Gedanken (Telekinese), Kommunikation durch Gedanken (Telepathie), Sehen von verborgenen Dingen oder Ereignissen (Hellsehen) und Voraussagen (Präkognition). In diesem Buch geht es um die ersten drei Vorkommnisse: Gedankenlesen, Telekinese und Telepathie.

Tausendjährige Geschichte: Von den Propheten bis zu deutschen Lehrstühlen

Seit Menschengedenken wird über parapsychologische Phänomene berichtet, so über die Rishis, Seher im hinduistischen Bereich, die Propheten der Bibel, die seherischen Gestalten der griechischen Mythologie und das Schweben von Heiligen, zum Beispiel des Franz von Assisi (1181–1226). Im 19. Jahrhundert erlebte die Parapsychologie in Europa einen enormen Aufschwung. In den Salons der Oberschicht blühte der Spiritismus. Daniel Douglas Home (1833–1886) begeisterte sowohl Napoleon II. als auch Zar Alexander II. mit seinen Vorführungen von schwebenden Personen und Objekten. Im Jahre 1882 wurde von ehrwürdigen Naturwissenschaftlern die Society for Psychical Research in England gegründet, 1886 die parapsychologisch orientierte Gesellschaft für Psychologische Forschung in München. Im Jahr 1955 hielt Prof. Hans Bender die erste Vorlesung an seinem parapsychologischen Lehrstuhl in der Universität |18|Freiburg. Er war danach 46 Jahre forschend aktiv. In jüngster Zeit berichtete sogar die unter Wissenschaftlern renommierte Zeitschrift Nature8 über Vorführungen des Gedankenlesers Uri Geller, bekannt durch seine Fähigkeit, Besteck zu verbiegen.

Die private US-amerikanische Organisation James Randi Educational Foundation hat im Jahre 1964 einen Preis ausgeschrieben, der mit einer Million Dollar dotiert ist, und zwar für denjenigen, der unter wissenschaftlichen Bedingungen parapsychologische Phänomene beweisen kann.9 Doch bis heute hat niemand diesen Preis gewonnen, weil die Beobachtungen nicht wiederholbar sind. Denn in allen berichteten Fällen sah man, dass es mal klappte und mal nicht.

Fazit: Es wurde bislang von verblüffenden parapsychologischen Ereignissen berichtet, aber keines von ihnen konnte bei genauer Prüfung wiederholt werden.

Hat man „Tricks“ gefunden, womit es klappt?

Es gibt erstaunliche Einzelereignisse, bei denen man bislang keinen Trick gefunden hat – so das Erraten von riesigen Mengen verborgener Karten durch den Theologiestudenten Pearce in Untersuchungen von Joseph Rhine an der Duke University im Jahre 1934. Die Wahrscheinlichkeit für die Gesamtzahl der erzielten Treffer durch Zufall lag bei 1 zu 300 Billiarden, war also zig Milliarden Mal geringer als bei einem Sechser im Lotto.10

Problematisch ist allerdings, dass diese und ähnliche Beobachtungen nicht wiederholbar sind und dass immer wieder Tricks entlarvt werden. Diese Tricks müssen dem Vorführer oder dem Beobachter nicht unbedingt bewusst gewesen sein. Beispiele für zunächst unbewusste Tricks sind einige von dem Psychologen, Physiker und Buchautor Walter von Lucadou beschriebene Anekdoten. Eine davon ist ein sprechender Wasserkessel, der zufällig auf einer Anordnung aus Metall platziert war, die wie ein einfacher Radioempfänger wirkte. Eine andere Anekdote beschreibt eine Kompassnadel, die gelegentlich |19|in die falsche Richtung zeigte, was sich durch den Einfluss eines nahe gelegenen Fahrstuhls erklären ließ.11, 12

Ein bewusst angewandter Trick ist der des „Radio-Zahnes“, der von Joseph Hanion in der Zeitschrift New Scientist beschrieben wurde. Hier ging es um einen winzigen Radioempfänger, der an einem Zahn untergebracht wurde. Die empfangenen Radiosignale wurden mit der gegen den Zahn gepressten Zunge abgetastet, was eine Signalübertragung ohne Ohr ermöglichte.13 Ein weiterer berühmter Trick ist der der Besteckteile, die vom schon erwähnten Uri Geller verbogen wurden. Die Bundesanstalt für Materialprüfung wurde beauftragt, das Phänomen zu analysieren, und kam zu dem Ergebnis, dass eine vorherige Behandlung mit Quecksilbernitrat ausreicht, um den Effekt zu erzielen. Auch eine Behandlung mit Chlor, Brom oder Jod ist möglich. Mit dieser Information wurde der 13-jährige Schüler Knut Richter aus Hannover über Nacht als Telekinetiker berühmt.10

Fazit: Bei parapsychologischen Vorführungen findet man manchmal Tricks und manchmal nicht. Auf jeden Fall bleibt es dabei: Die Ereignisse sind nicht wiederholbar.

Was sagt die Statistik?

Ein weiterer Aspekt hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Parapsychologie entsteht durch Recherchen, bei denen namhafte Wissenschaftler die größtmögliche Anzahl von Veröffentlichungen statistisch auswerten. In solchen Recherchen zeigte sich bislang, dass es sowohl Untersuchungen gibt, die zugunsten der Parapsychologie ausfallen, als auch solche, die zum Gegenteil führen. Das Frustrierende ist, dass glaubwürdige und unglaubwürdige Berichte, die in den Untersuchungen ausgewertet werden, sich fast die Waage halten. Es reichen dann geringfügig unterschiedliche Vorgehensweisen beziehungsweise Kriterien in der Auswertung, um die Waage in die eine oder die andere Richtung zu beeinflussen. Jessica Utts von der University of California in Davis machte dies mit einem |20|Beispiel klar: „Charles Honorton fand in seiner Analyse mehr Fehler in nicht erfolgreichen Parapsychologienachweisen als ich, wohingegen ich mehr Fehler in erfolgreichen Nachweisen fand.“14 Das, was Jessica Utts so beschrieb, reichte für entgegengesetzte Gesamtergebnisse im Vergleich zu denen von Honorton aus.

Fazit: In Sachen Parapsychologie halten sich Für und Wider die Waage.

Was meinen Wissenschaftler und Juristen?

Der Ruf der Parapsychologie ist auch dadurch geschmälert, dass die betreffenden Phänomene oftmals in unwissenschaftlichem, ja manchmal sogar vulgärem Kontext dem Publikum präsentiert werden. So berichtete zum Beispiel der bekannte Uri-Geller-Biograph Andrija Puharich, Geller habe seine Fähigkeiten erhalten, als er zusammen mit ihm in der Wüste einer fliegenden Untertasse begegnet sei.10 Und dann gibt es noch die Geschichte, dass Geller von einer Frau verklagt wurde, weil ihr Intrauterinpessar (Spirale) durch die paranormalen Kräfte von Geller verbogen worden sei und sie deshalb ungewollt schwanger wurde.

Der Unmut beziehungsweise der Frust über die Parapsychologie gipfelte im Jahre 1978 in Deutschland darin, dass der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil (BGH NJW 1978, 1207) den Richtern untersagte, telepathische oder sonstige paranormale Beweismittel für ihre Urteile zu verwenden. Im Jahre 2001 wurde in Freiburg der einzige parapsychologische Lehrstuhl Deutschlands nach 46 Jahren aufgehoben. 2007 schloss in den USA das Princeton Engineering Anomalies Research (PEAR)-Labor in New Jersey, und zwar durch Beschluss des Laborgründers Robert Jahn selbst, nachdem dort 28 Jahre lang erfolglos nach wissenschaftlichen Beweisen für das „Paranormale“ gesucht worden war.15

Fazit: Akademiker und Gerichte wenden sich von der Parapsychologie ab.

|21|Alternative: Das Lesen von Körpersprache und Körperfunktionen

Im Jahre 1979 besuchte ich meinen Jugendfreund Claudio Naranjo in Kalifornien, der sich als mehrfacher Buchautor in Sachen Psychotherapie und Spiritualität einen Namen gemacht hatte.16 Bei meinem Besuch schauten wir zusammen sein Aquarium an und irgendwann wurden wir uns einig, dass die Fische die Glaswand verinnerlicht hatten. Sie machten automatisch einen Bogen vor dem Glas, so als würde diese Grenze nicht existieren. Wir wurden uns auch einig, dass dies wohl auch in unserem Leben geschieht. Ich fragte Claudio: „Kennst du jemanden, der außerhalb des Aquariums ist?“ Er sagte: „Nur einen: einen Gedankenleser. Er heißt David Rosenmann, man kennt ihn auch als Dichter.“17

Ich machte mich auf zu David Rosenmann und bat ihn, mich innerlich zu lesen. Das war meine Hippiezeit, in der ich nach Selbsterkenntnis strebte, um mein Leben zu optimieren. Solch eine Suche war damals modern und ich halte es auch heute noch für eine gute Sache. Nach einem langen Gespräch sagte mir David, dass er nicht vorgeben werde, meine Gedanken zu lesen, weil ich als Naturwissenschaftler ihm das sowieso nicht glauben würde. Aber er würde mir sein Geheimnis verraten: Er lese meine Körpersprache. Menschen, die an Gedankenlesen glauben, so sagte er mir, sage er das nicht, weil sie ihm eher glauben, wenn sie ihn für übersinnlich begabt hielten. Außerdem, so fügte er hinzu, meinen die meisten Leute, dass das Lesen der Körpersprache einfach ist und dass das so gut wie jeder kann, womit sie seine Tätigkeit abwerten und nicht so ernst nehmen würden. Seine Lüge war damals wichtig für ihn, weil er teilweise seinen Lebensunterhalt mit Gedankenlesen verdiente.

Ich habe kein schlechtes Gewissen, dass ich jetzt das Geheimnis von David verrate, weil ich mittlerweile überzeugt bin, dass das Lesen der Körpersprache eine hohe Kunst ist, die David, nunmehr 88 Jahre alt, ehrt. Er machte mir einige Dinge über mich selbst bewusst, sodass sich mein Leben durchaus etwas veränderte.

|22|Mutiger als David Rosenmann bei der Methode des „Lesens“ war der FBI-Agent Joe Navarro. Er arbeitete 25 Jahre lang in der Spionageabwehr der USA und schrieb danach das Buch „Menschen lesen“.18 Dort schildert er, wie man mit einer geeigneten Fragetechnik und Suggestionen sowie gleichzeitiger Beobachtung unter anderem der Hände, Augen, Schulter, Lippen und des Atems, Zustimmung, Ablehnung, Befangenheit, Unbefangenheit, Nervosität, Aufrichtigkeit, Verlogenheit und vieles mehr erraten kann. Dadurch kann man letztendlich versuchen, den Menschen transparenter zu machen.

Die Methoden für das Lesen der Körpersprache, wie sie von David Rosenmann oder Joe Navarro benutzt werden, sind ein erster Schritt, um das Gedankenlesen durch objektivere, teilweise reproduzierbare Methoden zu ersetzen. Man sollte jedoch bedenken, dass solche Methoden so alt wie die Menschheit sein dürften. Ich meine einmal gelesen zu haben, dass im alten China die Angeklagten vor Gericht Reis im Mund halten mussten. Blieb der Reis eine längere Zeit trocken, so war das ein Indiz für Schuld, da man bei Nervosität weniger Speichel produziert.

Eine massive Steigerung gegenüber der chinesischen Reis-im-Mund-Methode ist der Polygraph, der sogenannte Lügendetektor. In der ursprünglichen Form des Polygraphen, der um 1915 in den USA entwickelt wurde, maß man die Leitfähigkeit der Haut und den Blutdruck. Später führte man auch Messungen der Stimmlage, der Durchblutung des Gesichtes sowie der Atem- und Herzfrequenz durch. Da dies zu Fehlurteilen führte, hauptsächlich weil der, dessen Körperfunktionen gemessen werden, diese kontrollieren kann, wurde die strafrechtliche Verwendung des Polygraphen in den USA in den 1980er- und 1990er-Jahren offiziell abgelehnt oder erheblich eingeschränkt. In Deutschland ist sein Einsatz laut Beschluss des Bundesgerichtshofs seit Dezember 1998 ausgeschlossen.

Fazit: Mit der Deutung der Körpersprache kann man das Lesen von Gedanken vortäuschen. Auch Körperfunktionen kann man lesen, doch dies hat seine Grenzen, die den amtlichen Einsatz, etwa vor Gericht, verhindern.

|23|Gibt es Alternativen durch die heutige Technik?

In diesem Buch gehen wir einen bedeutsamen Schritt weiter bei der Beobachtung von Gedanken beziehungsweise Gefühlen: Wir schauen direkt ins Gehirn. Auch hierzu gibt es, wie wir sehen werden, allerlei Bedenken und Unsicherheiten. Trotzdem kann man sagen, dass es bislang die effizienteste Form des Lesens von Hirnaktivitäten ist.

Auch andere Ziele der Parapsychologie können mit technischen Mitteln wiederholbar erreicht werden: Telekinese und Telepathie, die im Folgenden beschrieben werden. Technische Hilfsmittel sind dabei notwendig, weil die elektrische Aktivität des Gehirns allein nicht ausreicht, um Phänomene, die bei Esoterikern unter den Begriff „Psi“ fallen, zu realisieren.

Fazit: Heutige Techniken erlauben Blicke in das Gehirn sowie auch Telekinese und Telepathie. Es ist alles wiederholbar und braucht kein geheimnisvolles „Psi“. 23

Das nackte Gehirn

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