Читать книгу Las Vegas - Mario Puzo - Страница 4

I
Wildnis und Neonlicht

Оглавление

Die Fahrt der ›Mayflower‹, die auslief, um die Neue Welt zu kolonisieren, wurde durch eine Lotterie in England finanziert. Soviel über Amerikas puritanisches Erbe.

Einer der zwölf Apostel wurde durch das ›Los‹, also durch eine Art von Lotterie, ausgewählt. Es war aber nicht etwa Judas.

Von George Washington wissen wir, daß er nie log. Aber er hasardierte mit allem, überall und jederzeit. Die Nacht, in der er über den Delaware setzte, um die Hessen zu überfallen, war vielleicht die einzige Nacht im ganzen Revolutionskrieg, in der er nicht Karten spielte oder würfelte. (Dennoch hielt er das Spiel für ›schlecht‹, denn in einem Armeebefehl untersagte er den einfachen Soldaten das Glücksspiel.) Die berühmten Universitäten Yale, Harvard und Dartmouth wurden mit Geldern aus Lotterien errichtet. Dasselbe gilt für die ersten Kirchen der Puritaner in der Neuen Welt und für die ersten Schulen und Brücken. Die Revolutionsarmee, mit der Amerika seine Unabhängigkeit gewann, wurde ebenfalls aus Lotterien finanziert.

Diese Tatsachen führe ich einfach deshalb an, um zu zeigen, daß das Glücksspiel kein widernatürliches Laster, die Stadt Las Vegas – so hoffe ich doch – keine Erfindung des Teufels und auch nicht unamerikanisch ist. An der Meinung, Las Vegas sei die rohe, geldgierige Hauptstadt des Sex und der Sünde, vulgär in seiner Architektur und Atmosphäre, läßt sich ohnehin nichts ändern. Und zwar, weil das Gegenteil zu schwer zu beweisen ist. Dies ist einfach ein Buch über Las Vegas als der Traumwelt des Genusses, die einen Urtrieb der menschlichen Natur befriedigt.

Es gilt der alte Satz: Alles zu seiner Zeit. Es gibt eine Stunde für Champagner und eine für Coca-Cola; eine für französische Küche und eine für Pizza; für James Joyce und für Agatha Christie; eine für Wollust und eine für echte Liebe. Einmal zieht man sich für zwei Wochen in ein Kloster zurück, und ein anderes Mal steht einem eben der Sinn nach drei wilden Tagen in Las Vegas mit Glücksspiel, Saufen und leichten Mädchen. So ein Buch über Las Vegas kann also nicht schaden. Und wer weiß – unter Umständen kann man Weisheit ebenso durch Hingabe an das Laster wie durch Übung der Tugend erwerben. Vielleicht lernt man gerade daraus ein wenig.

Um zum Kern zu kommen, zuerst einige grundlegende Tatsachen. So sehr ich Las Vegas liebe, muß ich doch gleich sagen, daß es keine Chance gibt, nach längerem Aufenthalt diese Stadt als Gewinner zu verlassen. Es ist einfach so, daß der prozentuelle Hausvorteil oder edge, wie wir Spieler ihn nennen, durch ehrliches Spielen nicht aufgeholt werden kann. Ich will damit nicht sagen, daß die Kasinos von Betrügern geführt würden. Im Gegenteil. Kasinos sind die ersten ehrlichen Spielstätten in der Geschichte der Menschheit – und das Glücksspiel ist so alt wie unsere Zivilisation.

Dieses Buch ist also keine Anleitung zum Gewinnen. Es gibt dafür keine Methode, kein System. Es will Ihnen nur zeigen, wie man sich in Las Vegas nicht umbringt. Und das ist im Grunde ganz einfach: Unterschreiben Sie niemals einen Schuldschein. Stellen Sie prinzipiell keinen Scheck aus, sondern spielen Sie bloß mit dem Geld, das Sie in der Tasche haben.

Sicherlich werden Sie auch das eine oder andere Mal gewinnen, vielleicht sogar fünf-, sechs- oder siebenmal hintereinander. Aber schließlich wird alles wieder weg sein. Denken Sie daran, daß eine Pechsträhne weitaus tödlicher ist, als eine Glückssträhne nützlich sein kann. Das ist eigentlich alles, was Sie über Las Vegas wissen müssen. Später werden wir uns ein wenig mit Systemspielen beschäftigen. Da wünsche ich viel Glück.

Erinnern wir uns, daß Las Vegas vor dreißig Jahren noch eine Kleinstadt war, in der es einige Spielkasinos im Wildweststil gab, in denen man mit einem Gewinn von fünfzigtausend Dollar die Bank sprengen konnte. Heute ist Las Vegas eine Großstadt mit einem riesigen Komplex von luxuriösen Kasinohotels im Wert von etwa einer Milliarde Dollar, der jährlich an die zwei Milliarden Dollar Gewinne auszahlt. Vergessen Sie aber nie: Das Geld, mit dem diese Milliardenanlage errichtet worden ist, stammt aus den Taschen der Verlierer.

Nachdem wir diese Dinge einmal beim Namen genannt haben, will ich nun von etwas ganz anderem sprechen. Drei Tage Las Vegas können zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden. Das setzt freilich voraus, daß Sie berühmte Museen, die Freude am Lesen, gutes Theater, klassische Musik, anregende Vorträge großer Philosophen, erstklassiges Essen, ausgezeichnete Weine und wahre Liebe aus Ihrem Gedächtnis streichen. Und zwar zur Gänze streichen. Nur für drei Tage. Glauben Sie mir, diese Dinge werden Ihnen nicht abgehen. Denn: Ihr werdet sein wie die Kinder!

Las Vegas ist heute vielleicht eine der bekanntesten Städte der ganzen Welt. Reisen Sie durch die Kulturzentren Europas, sprechen Sie mit einem beliebigen Taxifahrer oder Hotelkellner über Las Vegas, und Sie können seines aufrichtigen Interesses sicher sein. Reisen Sie in den Fernen Osten, nach Japan oder Hongkong, und die Menschen werden über Las Vegas sprechen und über ihre Hoffnung, eines Tages dorthin zu kommen. Nicht, um dort ihr Glück zu machen, sondern nur um es zu sehen.

Die Ironie besteht darin, daß Las Vegas keinerlei Existenzberechtigung besitzt, außer, daß dort das Glücksspiel gesetzlich erlaubt ist. Es ist eine Wüste inmitten des Nichts. Es besitzt keinerlei Vorzüge des Klimas oder der Natur, hat keine alte Geschichte und keine landschaftlichen Reize, um den Touristen zu bezaubern. Im Grunde genommen müßte es noch immer eine staubige Kleinstadt sein, mit einem bankrotten Bumslokal als Kasino und ein paar verlotterten Motels. Ja wirklich, von Rechts wegen müßte es noch immer ein Provinznest mit einem winzigen Bahnhof sein anstatt einer kleinen Hauptstadt mit einem Flugplatz, auf dem jährlich Tausende Düsenmaschinen starten und landen. Wie ist es zu diesem Wunder gekommen? Um es ganz offen und ehrlich zu sagen: Las Vegas ist das Produkt von Männern, denen man nachsagt, sie seien die raffiniertesten Verbrecher, die Amerika oder sogar die ganze Welt je hervorgebracht hat. Und es ist kein geringer Tribut, den man der verblüffenden Alchemie des demokratischen Kapitalismus Amerikas zollen muß, wenn man feststellt, daß sich das ganze Unternehmen zu einer der achtbarsten Errungenschaften unserer Gesellschaft entwickelt hat, so dekadent diese Gesellschaft auch sein mag.

Es mag Menschen geben, denen Las Vegas ein Greuel ist und die es am liebsten ausgelöscht sehen würden. Aber sie müßten mich vorher überzeugen, daß die Erdölgesellschaften grundanständig sind, die Börse kein Schwindel und die Lateinamerikapolitik der USA nicht verrückt ist. Außerdem müßten sie mir nachweisen, daß die Demokratische Partei und die Republikanische Partei ehrlicher sind als die Mafia.

Das Glücksspiel war immer ein sehr wichtiger und keineswegs nur destruktiver Teil meines Lebens. Las Vegas wurde mein Mekka, das ich im Jahre 1964 endlich erreichte. Das ist möglicherweise eine zu persönliche Bemerkung für ein Buch über Las Vegas, aber ich sollte nicht anders über das Glücksspiel zu schreiben beginnen, auch auf die Gefahr hin, daß man dadurch auf einen seichten Charakter schließen könnte (woran etwas Wahres wäre). Ich muß sogar zugeben, daß das Spiel zu gewissen Zeiten meines Lebens einen absolut zerstörerischen Einfluß auf mich ausübte. Das Schreiben meines zweiten Romans nahm zehn Jahre in Anspruch, teilweise, weil ich soviel Zeit mit Spielen zubrachte, teilweise aber auch, weil ich soviel Zeit darauf verwenden mußte, meine Familie zu ernähren. Und dennoch – obwohl mich das Spiel manchmal aus der Verzweiflung gerettet hat, hat es mich doch nie selbst in Verzweiflung gestürzt. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß ich meist nicht viel zu verlieren hatte. Und als dies schließlich doch der Fall war, schränkte ich mich im Spielen ein. Ich halte die Behauptung, daß das Spiel das Leben vieler Menschen zerstört hat, durchaus für wahr. Aber dasselbe gilt für den Schnaps, die Frauen, die große Liebe, für den Patriotismus, die Kunst, für das Gesetz trotz all seiner Größe und für die Religion.

Der Luxus von Las Vegas ist für jedermann zu haben, unabhängig von Rasse, Klasse, Religion, Aussehen oder anderen Dingen. Alles, was man benötigt, ist ein bißchen Geld. Dafür bekommt man eine Ahnung von königlichem Luxus, von schönen Frauen, die dem Harem eines Sultans wohl anstünden, und von spektakulären Shows mit den bekanntesten Stars aus der Welt des Schlagers, des Tanzes und des Films.

Das einzige, was es in Las Vegas nicht gibt, ist Kunst. Dafür aber viel Religion. In Las Vegas gibt es im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Kirchen als in jeder anderen Stadt der Welt.

Es spielt keine Rolle, wenn die Küche das internationale Niveau nicht erreicht und der Service zu wünschen übrigläßt. Es macht nichts aus, daß viele der faszinierenden glitzernden Shows nur selten ein Körnchen ungetrübter Schönheit oder echten Vergnügens enthalten. Alles ist ein Traum, nichts entspricht der Realität. Diese Stadt ist ein Zufluchtsort vor der Wirklichkeit, vor drückenden Sorgen, vor wahrer Empfindung. Und deshalb ist es irgendwie richtig und angemessen, daß Las Vegas von einer Wüste umgeben ist. Von einer Wüste, die gewissermaßen als cordon sanitaire fungiert.

Ich habe Las Vegas immer geliebt. Aber obwohl ich dort sogar einmal meinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, hielt ich es doch tatsächlich nie länger als drei oder vier Tage aus. Deswegen würde ich aber auch nicht dafür eintreten, daß das Glücksspiel in allen Bundesstaaten legalisiert wird. Dies ist keineswegs die Ansicht eines verstockten Puritaners, sondern die eines Mannes, der das Spiel liebt und es sein ganzes Leben lang genossen hat. Vielleicht liegt es daran, daß ich erst irgendwohin reisen muß, wenn mich das Spielfieber packt. Ich würde in Panik geraten, wenn ich ständig in einer Stadt leben müßte, in der die Spielbanken rund um die Uhr offenhalten.

Las Vegas steht mit seinem durchlaufenden Spielbetrieb einzigartig da. Alles ist auf das Spiel ausgerichtet. Sonst gibt es kaum etwas zu tun. Im Sommer ist es für Tennis im Freien zu heiß, und im Winter ist es zu windig. Man spielt also viel Golf und wettet dabei auf den Sieger. Mit dem Erfolg, daß es wahrscheinlich auf dem Golfplatz ebenso viele Reinfaller gibt wie im Kasino. Sehenswürdigkeiten gibt es kaum. Man kann zum Hoover-Staudamm fahren, das wär’s aber auch schon. Höchstens noch ein bißchen Bootfahren auf dem Lake Mead oder ein kleiner Reitausflug. Und natürlich am Swimming-pool liegen, der nie mehr als zwei Minuten vom jeweiligen Kasino entfernt ist.

Auf den Bahamas werden die Kasinos erst um ein Uhr nachmittags, in Puerto Rico sogar erst um acht Uhr abends geöffnet. Aber dort überall ist das Klima fantastisch, der Strand und das Meer wunderbar. So spielt man eben ein wenig Tennis, schwimmt in der warmen, blauen See, ißt spät zu Abend, und auf einmal ist es elf Uhr. Um vier Uhr morgens schließen die Kasinos. Da bleiben nur fünf Stunden, die Besucher um ihr Geld zu bringen. In so kurzer Zeit kann man zwar ganz schön angeknabbert werden, aber schon bei einer Spur Vorsicht gerät man kaum in Gefahr, sich komplett zu ruinieren. Anders in Las Vegas: Ein 24-Stunden-Spiel kann selbst denjenigen um sein Vermögen bringen, der nur 1-Dollar-Jetons setzt.

Aber für den, der das Spiel liebt, wirklich liebt, ist Las Vegas das Größte. In Europa wird ja viel zu langsam und zu vornehm gespielt, das ist schon fast kein Spielen mehr. Da fehlt jene nervöse Spannung, wie sie an den Crap-Tischen, beim Würfelspiel, in Las Vegas herrscht, bei dem ein Adrenalinschock den anderen jagt. In Las Vegas dreht sich das Rouletterad mindestens fünfmal so schnell wie in Cannes, und Baccara spielt man mit dem gleichen Tempo.

Man kann durchaus der Meinung sein, daß die Erregung von Las Vegas pervers ist. Aber die Lust am Spiel hat den Menschen seit Anbeginn der Geschichte verzaubert und muß daher irgendein Grundbedürfnis des Menschen befriedigen. Nun, auf jeden Fall ist es heute zu spät, Las Vegas loszuwerden. Wohl drohte einmal die Gefahr, daß die Bürger von Nevada durch eine Abstimmung Las Vegas wieder in Vergessenheit zurückfallen lassen würden. Diese Gefahr besteht aber nicht mehr, seitdem 28 Prozent der Arbeitskräfte im Bereich der Spielbanken beschäftigt sind.

Vor nicht allzulanger Zeit trugen sich die Bundesregierung und der Kongreß mit dem Gedanken, die Spielkasinos ihrer Verbindungen zur Unterwelt wegen überhaupt zu verbieten. Auch Robert Kennedy hielt Las Vegas für eine anrüchige Sache.

Wollte man jedoch das Glücksspiel in Las Vegas durch Bundesgesetz verbieten, so gingen über eine Milliarde Dollar an Investitionen und Einkommen verloren. Und das ist in einer demokratisch-kapitalistischen Gesellschaft nicht möglich. Man denke nur an die Zigarettenindustrie.

Die Art, wie ich in das Spiel im Kasino ›eingeführt‹ wurde, war so romantisch, wie es sich ein Schriftsteller nur wünschen kann. Im Jahre 1939 hatte man mich in ein Lager des Naturschutzkorps nach Lovelock, Nevada, geschickt. Außerhalb der Stadt, in der sich unser Lager befand, gab es zwei Bordelle mit den schönen Namen ›Zu Hause‹ und ›Jo Ann’s‹. (Wieso erinnere ich mich überhaupt an diese Namen nach fast vierzig Jahren?) Sagte in einem Film in den Kinos der Stadt ein Schauspieler: »Wir treffen uns bei mir zu Hause«, kreischte das Publikum vor Vergnügen. Lovelock lag nur wenige Stunden von Reno entfernt, das damals die Spielerstadt war.

Eines Tages in jenem Jahr 1939 saß ich, der Teenager aus New York, in Reno im Kasino, das mit seinen ziegelroten Wänden auf Hölle dekoriert war: Die Serviererinnen trugen Teufelsschwänze, dick getuschte Wimpern und Mützchen mit Teufelshörnern. Sündhaft. Sündhaft. Sündhaft. Ich gab meine letzten drei Dollar für ein hübsches Animiermädchen aus, zahlte ihr irgendeinen harmlosen Drink, ohne zu ahnen, daß sie für zwei weitere Dollar mit mir ins Bett gegangen wäre. Sie war so schön, daß mir nicht im Traum eingefallen wäre, daß sie eine Nutte sei. In dieser Nacht schlief ich einige Stunden auf Holztischen im Hinterzimmer, das speziell für bankrotte Spieler reserviert war. Heute freilich weiß ich, daß ich nie ein wirklich ›hoffnungsloser‹ Spieler gewesen bin. Ein vom Spielteufel wirklich besessener Spieler hätte auch mit seinen letzten drei Dollar sein Glück beim Würfeln versucht und sie niemals für Drinks oder für eine Nacht mit einem hübschen Mädchen ausgegeben.

Da ich Narr meine gesamte Barschaft von 23 Dollar vertan und kein Geld mehr für die Heimreise hatte, ging ich hinunter zur Bahnstation. Einige gutmütige Arbeiter ließen mich zu sich auf eine Lokomotive, die nach Lovelock fuhr, um ein paar Güterwaggons abzuholen. Ich stand neben dem Lokführer. Nie werde ich diese Fahrt in der Morgendämmerung durch die Wüste vergessen. Ein halbwüchsiger, bankrotter Spieler, der gerade noch rechtzeitig zum Frühstück ins Lager zurückkommt; kein Geld in der Tasche, keine Sorgen im Kopf; überwältigt von der frischen Morgenluft und der aufgehenden Sonne. Zwei Jahre später war ich nicht mehr in einem Naturschützerlager, sondern in einem Ausbildungslager der Armee, das Land stand im Krieg. Viele weit wichtigere Dinge sollten auf mich zukommen, dennoch habe ich diese Fahrt durch die Wüste niemals vergessen.

Um richtig zu beginnen, muß ich einen kleinen Ausflug in die Geschichte machen. Dieser Teil des Landes hatte früher den Mexikanern gehört, und die Vereinigten Staaten stahlen es ihnen. (Man stoße sich nicht am Wort ›stehlen‹, schließlich und endlich ging ja alles gut aus. In diesem Buch werden keine moralischen Urteile gefällt.)

Im Jahre 1776 jedenfalls, als die amerikanischen Kolonien ihren Freiheitskrieg gegen England begannen, hißten ein gewisser Padre Escalante und seine Truppe spanischer Soldaten die Fahne ihres Landes über einer grünen Oase mitten in einer schier endlosen Wüste. Sie nannten den Ort Las Vegas, was im Spanischen soviel wie Die Wiesen bedeutet. Jene Spanier, die weiter nach Norden vordrangen und den gebirgigen Teil des Staates entdeckten, nannten die gesamte Region Nevada, also verschneit. Gibt es auf spanisch kein Wort für ›Wüste‹?

Nachdem wir das Gebiet den Mexikanern abgenommen hatten, die vorher schon die Spanier vertrieben hatten, wurde Las Vegas hauptsächlich von nackten Paiute-Indianern bewohnt. Diese gaben sich stundenlang dem Vergnügen hin, Knöchelchen und bemalte Stäbchen in einem Würfelspiel über den Sand zu rollen und bei den Wetten ihre Frauen und Pferde einzusetzen. (Könnten das besondere Klima und selbst der Boden den Spieltrieb im Menschen nähren?) Jedenfalls schickte 1855 der Mormonenführer Brigham Young einige seiner besten und zugleich brutalsten Leute nach Las Vegas, um die Indianer zu ›bekehren‹ und das Gebiet in blühendes Farmland zu verwandeln.

Die Mormonen waren in jener Zeit dafür bekannt, gute Farmer und noch bessere Schützen zu sein. Aber selbst sie konnten der heißen Sonne und dem Spielfieber der Indianer auf die Dauer nicht standhalten. Nach drei Jahren gaben die Mormonen auf und kehrten nach Salt Lake City zurück. Später stellte sich heraus, daß sie einen großen Fehler gemacht hatten, denn unter dem heißen Sand lag unsagbarer Reichtum an Gold und Silber.

Aber 1955, hundert Jahre später, übersiedelte ein Mormone, der junge Bankier E. Parry Thomas, von Salt Lake City nach Las Vegas. Während es den Leuten Brigham Youngs nicht gelungen war, aus der Wüstenoase etwas Brauchbares zu machen, zauberte Parry Thomas aus dem Wüstensand die Metropole des Glücksspiels hervor.

Thomas hat die Weitsicht und den Mut, gewaltige Kredite für den Bau fantastischer Paläste in der Wüste von Nevada zu riskieren. (Natürlich hat er damit für sich und seine Freunde sehr viel Geld verdient, es wird auf etwa 30 Millionen Dollar geschätzt.) Zu ihm geht man, wenn man irgendein Geschäft in Vegas anfangen will, ob es nun der Bau eines Hotels ist oder das Anlegen von Kapital oder ein Kredit. Er half Howard Hughes, dessen Hotelimperium in Vegas zu errichten, und es heißt, er sei einer der wenigen, die Hughes in natura auf dem Boden von Nevada gesehen haben. Thomas ist aber auch der Architekt der gesellschaftlichen und der kommunalen Struktur von Las Vegas. Was wäre geschehen, wenn er hundert Jahre früher gekommen und der Mann gewesen wäre, der mit jenen spielenden Indianern zu verhandeln gehabt hätte? Aber besser später als niemals. Es ist irgendwie nett zu wissen, daß Las Vegas erst richtig erblühte, als ein Mormone kam.

Doch im Jahre 1849 lockte der berühmte Goldrausch unzählige Menschen aus dem Osten nach Kalifornien. Sie waren so gierig, daß sie über die sagenhafte gold- und silberhaltige Erzader von Comstock in Nevada einfach hinwegmarschierten. Das ist ganz typisch: Menschen, die sich den Goldsuchern anschließen, sind geborene Spieler, und Spieler versäumen für gewöhnlich den Anschluß. Aber im Jahre 1859 hatten einige von ihnen Glück – wie Spieler eben doch auch manchmal Glück haben – und stolperten über die Goldgrube von Comstock. Und so ließen sich schließlich ziemlich viele Menschen in Nevada für mehr oder weniger ständig nieder. Daß sie die Indianer bei nächstbester Gelegenheit schnurstracks in die Wüste jagten, versteht sich ja fast von selbst.

Im Jahre 1864 zählte Nevada ungefähr vierzigtausend Einwohner. Sie bildeten rechtlich gesprochen noch immer ein selbständiges ›Territorium‹ und haßten die Bundesgesetzgebung. Nach einem der Bundesgesetze stand dem Bezirksstaatsanwalt für jede Verurteilung eines Spielers eine Prämie von hundert Dollar zu. Die Bürger von Nevada wollten so bald als möglich die Anerkennung als vollberechtigter Bundesstaat erreichen, um die direkte Verwaltung durch die Bundesregierung loszuwerden und in Ruhe spielen zu können, bevor ein Großteil der Bevölkerung ins Kittchen wanderte.

Wer sie letztlich vor dem Gefängnis bewahrte, war eine der erlauchtesten Gestalten der amerikanischen Geschichte: Abraham Lincoln, Präsident der Vereinigten Staaten. Er bediente sich dabei – man glaubt es kaum – eines ganz üblen Tricks. Im Jahre 1864 benötigte Lincoln bei der Abstimmung über die Sklavenbefreiung nämlich die Stimmen Nevadas. Nach dem Gesetz waren für die Anerkennung 127 000 Einwohner notwendig. Nevada hatte weniger als ein Drittel. Lincoln ersuchte deshalb den Kongreß um ein Sondergesetz, das auch beschlossen wurde. Auf diese Weise wurde Nevada zum Bundesstaat erhoben. Die ganze Sache war sicherlich nicht zimmerrein, diente aber einem guten Zweck. Woraus sich die Moral ergibt, daß Gutes auch auf krummen Wegen erreicht werden kann. Wenn das aber stimmt, warum sagt man dann immer, daß Las Vegas seinen Ruhm und seinen Wohlstand allein dem bekannten Mörder und Gangster Bugsy Siegel verdanke?

Die Stadt Las Vegas wurde offiziell am 15. Mai 1905 nach einer öffentlichen Versteigerung von Grundstücken der bekannten Eisenbahngesellschaft Pacific Railroad gegründet. Die Eisenbahn brachte damals reiche Kalifornier umsonst nach Las Vegas, damit sie dort ihr Geld für wertloses Wüstenland hinauswerfen konnten. Die Gesellschaft verkaufte die Grundstücke für je fünfzehnhundert Dollar und kassierte das Geld, frohlockend wie ein Zigeuner bei einem Taschenspielertrick. Natürlich konnte niemand ahnen, daß dieselben Grundstücke schon nach fünfzig Jahren für eine Million Dollar verkauft werden würden.

Aber in jenen frühen Tagen war Las Vegas eben nichts weiter als eine Wüstenfläche, umgeben von erschöpften Gold- und Silberminen. Es gab offensichtlich überhaupt keine Einnahmequellen. Das einzige Kapital, das Nevada besaß, war das Freiheitsbewußtsein seiner Einwohner. Die Leute waren, um es unverblümt zu sagen, Spieler und – im puritanischen Sinn des Wortes – ›Hurentreiber‹. Das heißt, sie gestatteten offen die Prostitution und duldeten das legale und illegale Glücksspiel. Diese sogenannten ›Laster‹ stellten sich später als die Existenzgrundlage für den souveränen Staat Nevada heraus. Heute hören das einige Bürger – völlig ohne Grund – nur ungern. Es ist aber einfach eine Tatsache, daß die Einwohner Nevadas eben weit weniger zur Heuchelei neigten als die übrigen Bürger Amerikas und zudem weit mehr Hausverstand hatten. Was gab es denn da draußen in der Wüste tatsächlich an Zerstreuungen? Die Paiute-Indianer mit ihren bemalten Stöckchen und Knöchelchen sind schon auf dem richtigen Weg gewesen!

Bereits im Jahre 1879 wurde das Glücksspiel legalisiert, wenn es auch jeweils der behördlichen Genehmigung bedurfte. Häuser, die keine Lizenz besaßen, zahlten einfach die vorgesehenen Strafen. Unglückseligerweise machte sich aber Falschspiel breit, Menschen ruinierten ihre Karriere und verloren gelegentlich auch im Streit über die Frage ihr Leben, wieso das Pik-As auf wunderbare Weise plötzlich dort auftauchte, wo es nichts zu suchen hatte. Bei allem, was recht ist, warum sollten sich die Bürger von Nevada in irgendeiner Weise von den Spielern im alten Rom oder im England des 19. Jahrhunderts unterscheiden, wo es laufend ähnliche Vorfälle mit noch viel ärgeren Folgen gegeben hat? Während der gesamten Menschheitsgeschichte – man kann bis 4000 vor Christus zurückgehen – war es niemals möglich, ein freundschaftliches Würfelspiel oder einen geselligen Kartenabend zusammenzustellen, an dem nicht irgendein Gauner versucht hätte falschzuspielen. Das war ja immer der Hauptvorwurf gegen das Glücksspiel, jenes sonst ganz sympathische Laster. Die Niedertracht der menschlichen Natur hat es ruiniert!

Der ehrliche Spieler konnte sich nie mit dem Falschspieler und Betrüger messen, der Würfel fälschte, Karten zinkte und mit Drogen, Alkohol und leichten Mädchen den ehrlichen Spieler um sein Geld brachte. Die Lage spitzte sich in Nevada schließlich so zu, daß sich 1909 die Frauenvereine in einen einzigen ungeheuren Teigroller zusammenrollten und Druck auf die Behörden ausübten, um das Glücksspiel zu verbieten. Ein Jahr später war es dann soweit. Um die Bürger vor dem Zorn ihrer Frauen zu schützen und die Morde rund um Falschspieler und betrügerische Bankhalter sowie die Zahl jener Ehemänner, die nicht heimkommen wollten, zu verringern, beschloß die Volksvertretung von Nevada ein Gesetz gegen das Glücksspiel. Es blieb knapp über zwanzig Jahre in Geltung.

In diesen zwanzig Jahren mußten die Bürger von Nevada ihren Lebensunterhalt durch den Anbau von Getreide auf sandigem Boden bestreiten. Sie jagten bei Reno nach Rotwild und rund um Las Vegas nach Hasen, wuschen das bißchen Gold aus den Bächen und züchteten Vieh. Sie benahmen sich brav und gesittet und spielten nicht oder jedenfalls nur illegal. Sie spekulierten nicht an der Börse, weil sie zuwenig Geld hatten, und außerdem war es nach New York zu weit. Einige der unverbesserlichen Spieler aus den alten Tagen beklagten dann ihr Schicksal, beim großen Börsenkrach von 1929 nicht ›ausgenommen‹ worden zu sein. Sie führten ins Treffen, sie seien ja schließlich noch bei jedem Spiel, das der Mensch ersonnen hat, ausgeplündert worden. Warum verwehrte man ihnen da jetzt die Teilnahme an dem faszinierendsten und schlauesten Schwindel-Glücksspiel aller Zeiten? Die große Depression der dreißiger Jahre brachte die Bürger von Nevada wieder zur Vernunft. Sie stimmten für die Legalisierung des Glücksspiels.

Wie ist es zu erklären, daß unsere Moralisten nicht über die Börse schimpfen? Ich habe gewürfelt, Blackjack, Keno und Roulette gespielt; beim Basketball, Football, Baseball und Boxen gesetzt. Beim Pferderennen beschleicht mich immer so ein versnobtes Gefühl: Soll ich mein Glück einem liebenswerten, treuen und noblen Tier anvertrauen, das von weit weniger noblen Menschen eingesetzt wird? Das Spekulieren an der Börse erinnert mich an eine Partie mit einem meiner Freunde, der ein gezinktes Kartenspiel besaß. Er versprach mir, beim Kasino-Poker (eine amerikanische Variante des Pokerspiels) die Zinken nicht abzulesen. Er schlug mich zehnmal hintereinander. Ich war sprachlos. Schon als Teenager hatte ich in dreitägigem ehrlichem Pokern den Süßwarenladen um die Ecke gewonnen. Nun ging ich, kaufte ein ungezinktes Kartenspiel und gewann tatsächlich mein Geld zurück. Mit der Börse ist es ganz das gleiche: Man vertraut sein Geld einigen Typen an, die der Börsenaufsichtskommission versprochen haben, die Zinken nicht abzulesen.

Einmal hatte ich einem dieser Börsenmakler aus der Wallstreet einen Dienst erwiesen. Er riet mir daraufhin, Aktien zu kaufen, ich würde garantiert an ihnen nichts verlieren. Unmittelbar darauf fiel ihr Kurs ins Bodenlose. Mein Makler verkaufte jedoch die Aktien für denselben Betrag, den ich bezahlt hatte. Meine Frage lautet: Wem hat er sie verkauft und wie?

Viel Lärm ist um das Risiko gemacht worden, das man in den Spielhöllen eingeht, über den Ruin, den sie über ehrliche, hart arbeitende Menschen bringen, aber man spricht nicht genug von dem Risiko, das den Leuten in der normalen Geschäftswelt begegnet. Ich persönlich würde lieber in einem Fluß voll Krokodilen schwimmen, als mich an irgendeinem legalen, akzeptierten Geschäftsunternehmen zu beteiligen. Das ist meinerseits keineswegs ein unvernünftiges Vorurteil, sondern vielmehr begründet auf persönliche Erfahrung und auf die Beobachtung der Vorstöße anderer Leute in die Wildnis des demokratischen Kapitalismus.

Ich habe eine große Menge Geld durch das Spielen verloren. Ziemlich spät im Leben habe ich mich entschlossen, mich zu bessern, respektabel zu werden, intelligent, klug und verantwortungsbewußt zu sein. Außerdem besaß ich nun auch Geld und hatte plötzlich eine gewisse Vorsicht erworben, die sonst eben nur derjenige hat, der es besitzt, eben die Moral des Geldbesitzens. Mein größter Wunsch war nun, sowohl die Bundes- als auch die Staatssteuerbehörde zu überlisten.

Ein reicher Geschäftsmann und Freund bot mir die goldene Gelegenheit an, an einer seiner absolut sicheren und auf lange Frist geplanten Grundstückspekulationen teilzunehmen. Ich würde mir ein wahres Vermögen an Steuern ersparen, und meinen Kindern würde ich einen großartigen Besitz an Grund und Boden hinterlassen und einfach nichts verlieren können. Nun, er war ein naher Freund, und ich vertraute ihm. Aber ich war kein Greenhorn; ich engagierte einen erstklassigen Buchprüfer und einen erstklassigen Anwalt. Sie untersuchten die Geschichte und verhandelten über das Geschäft, und schließlich versicherten sie mir, daß es die Gelegenheit meines Lebens sei. Natürlich sei da ein gewisses Spielelement dabei, ein gewisses Risiko; jedenfalls sprang ich buchstäblich in die Sache hinein.

Nun, bei diesem absolut legitimen, narrensicheren und vernünftigen Unternehmen habe ich mehr Geld verloren als in meinem ganzen Leben durch närrisches Spielen. Und es war außerdem viel weniger Spaß dabei. Und ich hatte auch noch den Buchprüfer und den Anwalt zu bezahlen; und deren Dienste sind bei einem solchen narrensicheren Geschäft niemals billig.

Damit will ich nicht sagen, daß jedermann nun spielen sollte, statt in der Wirtschaft tätig zu sein, aber es könnte heißen, daß jedermann ordentlich seine Steuern zahlen und sich im übrigen den Teufel darum scheren sollte, obwohl das vielleicht ein wenig nach Kommunismus riecht. Einer Sache bin ich sicher, nämlich daß ich viel glücklicher war, wenn ich Geld beim Spielen verloren hatte als durch Investitionen. Es mag kindisch sein, ich weiß; ich hoffe, daß ich auch einmal erwachsen sein werde, aber bis dahin zum Teufel damit. Gebt mir ein Kartenspiel statt einer Steuerabschreibung, und ich werde das Risiko mit Freuden auf mich nehmen.

Es ist vielleicht ein Kommentar zu unserer Gesellschaft und unserem System moralischer Werte, daß tatsächlich das einzige Mal, da die schlauen Unternehmer der Las-Vegas-Kasinos übers Ohr gehauen worden sind, dies durch die Wallstreet geschah.

Ein Mann namens Alexander Guterma, ein aus Sibirien stammender Weißrusse, begann in Las Vegas um enorm hohe Einsätze zu spielen. Das mag ein Trick gewesen sein, um mit einigen Topmanagern der dortigen Hotels ins Geschäft zu kommen. Er überredete sie, in seine Unternehmungen zu investieren; beinahe wäre es ihm gelungen, das Desert-Inn-Hotel durch Manipulationen mit einer fingierten Firma in seine Hände zu bekommen. Nur die Schlauheit und der Instinkt des mit allen Wassern gewaschenen Mitbesitzers Moe Dalitz retteten das Desert-Inn aus Gutermas fein gesponnenem Netz. Aber viele der Verantwortlichen im Desert-Inn verloren ihr persönliches Vermögen, und ein Geschäftsführer kam sogar vor Gericht. Schließlich wurde aber doch Guterma ins Gefängnis gesteckt.

Die Banken und Treuhandfonds im Osten sahen Investitionen in Las Vegas nicht gerne. Die Zeitungen griffen die Transportarbeitergewerkschaft an, weil sie das Geld ihres Pensionsfonds in Las Vegas investierte, doch gibt es keinerlei Beweis dafür, daß durch diese Investition ein Schaden entstanden wäre. Es könnte natürlich sein, daß Gewerkschaftsfunktionäre für diese Investition Provisionen bezogen haben. Aber wer sich im Bankwesen auskennt und den Mut hat, über die dortigen Praktiken offen zu sprechen, wird zugeben müssen, daß sehr viele Bankkredite dadurch zustande kommen, daß der zuständige Bankbeamte als Anreiz eine kleine Belohnung erhält.

Als in der allerletzten Zeit New York in seine Finanzkrise geriet, stellte die Lehrergewerkschaft unter der Führung von Albert Shanker der Stadt ihren Pensionsfonds als Darlehen zur Verfügung, um einen Bankrott New Yorks zu verhindern. Man brauchte sich nur das Zeitungsfoto von Mr. Shanker anzusehen, um feststellen zu können, daß dieser ›Kreditgeber‹ das dumme Opfer einer besonders vornehmen ›Ausplünderung‹ geworden war.

Pferderennen, heißt es allgemein, seien der Sport der Könige und dienten der Aufzucht. Für mich ist das Wetten bei Pferderennen die verkommenste Form des Glücksspiels. Nach Abzug der Steuern kann man mit einem ›Handikap‹ von 20 Prozent rechnen. Ich kenne niemanden, der Pferderennen für einen zur Gänze ehrlichen Sport hält. Von allen Sportarten, die mit Wetten verbunden sind, hat nur noch das Boxen einen schlechteren Ruf.

Der Trabrennsport ist ein so himmelschreiender Volksbetrug, daß Fälle bekannt wurden, in denen Zuschauer zu revoltieren begannen und die Jockeys lynchen wollten. Es ist wirklich komisch, daß Las Vegas sich so viele Angriffe durch Moralapostel gefallen lassen mußte, obwohl sich doch das Glücksspiel zur Pferdewette ungefähr so verhält wie Königin Viktoria zu Messalina. Moralische Attacken wirken immer komisch. Das New Yorker Finanzkapital, das größte und konkurrenzfreudigste auf der Welt, wagt es nicht, in die Spielbanken von Nevada zu investieren, während die Lotterie des Staates New York hingegen von Gouverneur Carey suspendiert wurde, weil Unregelmäßigkeiten entdeckt worden waren. Diese Unregelmäßigkeiten sind vermutlich viel ernster, als es nach den Presseberichten oder den Erklärungen der Beamten der für ihre Geradlinigkeit bekannten New Yorker Stadtverwaltung scheinen mag. In New York stehen zweihundert Jockeys unter Anklage, Rennen manipuliert zu haben. Dennoch können sie ihre Startbewilligungen auf dem Klagewege zurückfordern. In Nevada würde man sie auf Lebenszeit sperren.

Freilich brauchte Nevada auch seine Zeit, um das Spiel in den Griff zu bekommen. Als im Jahre 1930 die große Depression heraufzog, bestand Nevada aus nichts als Steppengewächs und erloschenen Bergwerken. Das einzige, was noch funktionierte, war das illegale Glücksspiel mit deutschen Musikkapellen in den Hotelhallen, Restaurants mit Würfeltischen und Hinterzimmern voll Blackjackspielern. Die Beamten der Aufsichtsbehörden wurden von den illegalen Bestechungsgeldern reich.

Im Jahre 1931 entschloß sich daher die Volksvertretung von Nevada, das Glücksspiel mit Ausnahme der Lotterien wieder zu legalisieren. Eine seltsame Entscheidung, da viele der übrigen Bundesstaaten (wie auch manche Länder, in denen dafür wieder andere Arten des Glücksspiels verboten waren) die Lotterien duldeten.

Ohne sich darüber im klaren zu sein, daß sie auf diese Weise den Lauf der Geschichte des Glücksspiels ändern und die bekannteste (ich sage nicht ›berühmteste‹) Stadt der siebziger Jahre kreieren würden, beschlossen die Volksvertreter die Gesetze so, daß sie auch für die Allgemeinheit einen entsprechenden Vorteil herausschlagen konnten. Dabei kam ihnen noch ausgesprochenes Glück zu Hilfe.

Im Jahre 1939 begann nämlich die Bundesregierung mit der Errichtung des Hoover-Staudamms, und Tausende von Arbeitern mit prallen Lohntüten strömten in die Gegend von Las Vegas. Da die Regierung das Glücksspiel direkt im Baustellengebiet verboten hatte, bot sich Las Vegas ganz von selbst als die nächstgelegene ›Großstadt‹ an.

Der Staat Nevada gestattete bestimmten Personen, Spielkasinos zu eröffnen. Die glücklichen Besitzer dieser Kasinos mußten aber dem örtlichen Sheriff und den Kreisbehörden Steuern bezahlen. Diese Gelder würden in die Kassen des Staates fließen, hieß es im Gesetz. 1947 erließ Nevada ein weiteres Gesetz. Die Errichtung eines Kasinos wurde von einer Genehmigung der staatlichen Steuerkommission abhängig gemacht, die aus sieben ausgesuchten, besonders ehrlichen Männern bestand. Nur Personen mit gutem Leumund erhielten eine Genehmigung – so meinte man zumindest. 1947 wurde außerdem eine einprozentige Steuer auf den Bruttoumsatz eingeführt. Dieser Steuer konnte man durch keine noch so schlauen Tricks entgehen. Der Staat wollte sein Geld haben. Die Kasinobesitzer konnten jene Steuerhinterziehungskunststücke nicht anwenden, die Großunternehmen wie General Motors oder geachteten Milliardären wie den Rockefellers offenstehen. So wurden die Kasinos und der Staat von Nevada Partner. In diesem ersten Jahr streifte Nevada hunderttausend Dollar ein, was bedeutet, daß die Kasinos zehn Millionen verdient hatten. Deshalb wurde noch im Jahre 1947 die Steuer auf 2 Prozent erhöht. Außerdem gab es auch eine Lizenzgebühr für jeden Spieltisch, den ein Kasino aufstellte. Alle Spieltische (Blackjack, Craps – das amerikanische Würfelspiel –, Roulette, Baccara, Poker und so weiter) wurden zusammengezählt. Die Einkünfte betrugen über 700 000 Dollar, woraus sich ergibt, daß die Kasinos über 35 Millionen eingenommen hatten. Die Wüste begann zu blühen.

Vor dem Krieg war Reno die Stadt des Glücksspiels in Nevada gewesen, obwohl sie wegen ihrer schnellen Scheidungsmöglichkeit noch weit bekannter war. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich der Hauptbetrieb nach Las Vegas. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens liegt Las Vegas näher bei Los Angeles, und zweitens entdeckte ein Mann namens Bugsy Siegel die Stadt.

Die Geschichte von Bugsy Siegel ist bekannt. Ein großer Gangster und Gewaltverbrecher aus Brooklyn, der dem elektrischen Stuhl nur um Haaresbreite entgangen war und sich dann entschlossen hatte, in den Westen zu gehen. Auf der Fahrt durch die Wüste hielt er im staubigen Las Vegas an, sah den kläglichen Bar- und Kasinobetrieb und hatte eine Vision. Er würde ein Spielerparadies errichten, und Millionen würden in dieses ›gelobte Land‹ pilgern. Er sah sich bereits als zweiter Moses. (Tatsächlich nannte man ihn gelegentlich, wenn auch nur hinter seinem Rücken, den Mördermoses.)

Aber die Wahrheit sieht ganz anders aus. Ursprünglich ging Siegel nach Westen, um Schauspieler zu werden. Von seinem Freund, dem Star George Raft, borgte er Geld und benützte ihn, um Zugang zur Welt des Films zu bekommen. Wie viele Unterwelttypen verfügte Siegel über einen gewissen Charme und unverschämtes Selbstvertrauen. Er besaß ein hübsches, offenes Gesicht, aber keinerlei Talent. Er konnte nicht einmal einen Gangster spielen. Hingegen verdiente er sich einige hübsche Sümmchen auf die krumme Tour und kam auch sexuell bei Filmstars auf seine Rechnung. Die meisten Leute in Hollywood kapierten nicht, woher er kam, so sonderbar das auch Leuten erscheinen mag, die die Insularität der Filmwelt nicht begreifen. Die wenigen, die Bescheid wußten, wurden von Siegels Ruf eher angezogen als abgestoßen: Jean Harlow war die Taufpatin seiner Töchter.

In Kalifornien arbeitete Siegel für das Gangstersyndikat der Ostküste, das sich bemühte, das Pferdewettgeschäft auch an der Westküste in die Hand zu bekommen. Und er hatte Erfolg damit, denn einige Gangsterbosse im Westen verstarben sehr plötzlich. Seine Aufträge führten Siegel oft nach Las Vegas. Schon während des Zweiten Weltkriegs besaß Las Vegas einige Luxushotels, deren Geschäfte gut gingen. Siegel hatte Las Vegas genau studiert und eine geraume Zeit geplant, bevor er seine ›Entdeckung‹ auf sensationelle Weise bekanntgab.

Die Geschichte der Errichtung des Flamingo-Hotels durch Bugsy Siegel ist schon so oft erzählt worden, daß eine kurze Zusammenfassung genügt. Siegel bot alle seine Beziehungen zur Unterwelt und zum Film auf, um Geld und Materialien für das schickste und eleganteste Hotel in ganz Amerika zu bekommen. Er wollte ein legendäres Hotel bauen. Man schrieb das Jahr 1945, und in den Monaten nach dem Krieg war Baumaterial einfach nicht zu bekommen. Siegel ging auf den schwarzen Markt. Er zweigte Material von den Filmstudiokontingenten ab. Senator Pat MacGarran half.

Siegel glich einem Bauern, der sein Haus für Generationen errichten will. Die Grundmauern wurden besonders stark aufgebaut; wahrscheinlich ist das Flamingo das massivste Hotel, das je in der Wüste errichtet worden ist. Siegel legte Wert auf schnelles Bauen. Del Webb, der Bauunternehmer, sagte o. k., wollte aber sein Geld am Ende eines jeden Arbeitstages sehen. Siegel gab es ihm. Siegel organisierte auch die Lieferung des schwer erhältlichen Materials. Aber trotz seines furchterregenden Rufes wurde er von allen bestohlen. Die Lastwagenfahrer, die am Morgen Baumaterial brachten, kehrten im Schutze der Dunkelheit zurück, um es wieder zu holen und am nächsten Morgen erneut zu liefern. Einer der Fahrer erklärte, daß sie dies überhaupt nicht in gewinnsüchtiger Absicht machten. Vielmehr sei das Baumaterial so schwer zu bekommen, und sie fürchteten sich davor, Siegel sagen zu müssen, sie könnten nicht liefern. Sie hatten einfach Angst, er würde sie für die geringste Verzögerung umlegen. Deshalb stahlen sie am Abend, was sie am Morgen lieferten, um seinem Zorn zu entgehen, und verdienten dabei rein zufällig ein paar Dollars.

Siegel verpflichtete den damals besten Innenarchitekten des Westens. Dieser Herr bestaunte die großen Zementvorräte, die Siegel trotz der von der Regierung verhängten harten Nachkriegsbeschränkungen auftreiben hatte können. »Stimmt«, sagte Siegel, »ich brauch’ einen ziemlichen Haufen. Sollte mir aber deine Ausstattung irgendwie nicht gefallen, dann werde ich etwas davon für dich aufheben.« Der Innenarchitekt wollte sich darauf sofort aus dem Staub machen, aber Siegel überzeugte ihn, daß er mit seiner Drohung nur gescherzt habe.

Siegel baute also, wie gesagt, das Flamingo-Hotel wie ein Bauer, der seinen Hof für viele Generationen von Nachkommen errichtet. Die sogenannten Gangster und Berufsspieler, wie Moe Dalitz und Major Riddle, machten es ihm nach, andere folgten. Beachten Sie bitte den Ausdruck ›sogenannte‹: Ich würde es natürlich nicht wagen, derartige Bezeichnungen tatsächlich zu verwenden – genausowenig wie ich Präsident Ford einen Gauner nennen würde, weil er Nixon begnadigt hat, einen Bankier einen Dieb, weil er mit seiner Bank bankrott gemacht hat, oder ein Unternehmen, das Personalkredite gibt, ein Wucherunternehmen.

Siegel und sein Flamingo-Hotel erwiesen sich als keine glückliche Kombination. Das Kasino im Flamingo verlor große Summen an die Spieler. Siegels heimliche Partner waren in hohem Grad paranoid. Und außerdem brutal. 1946 fuhr Siegel in sein Haus nach Beverly Hills, um dort mit einigen Freunden und Freundinnen aus Hollywood ein paar erholsame Tage zu verbringen. Im Schutz der Dunkelheit legte ein unbekannter Schütze seinen Karabiner an und zerschoß das Fenster. Der zweite Schuß zerfetzte Siegels Kopf.

Von da an wurde das Flamingo zu einer Goldgrube. In Las Vegas kursierte der Witz, daß Siegel nicht getötet worden war, weil er unterschlagen, sondern weil er Pech gehabt hatte. Auf jeden Fall war am Flamingo der Beweis erbracht, daß ein Spielerparadies in der Wüste Geld machen konnte.

Der Mord an Siegel versetzte Las Vegas in hellen Aufruhr. Aus Washington hörte man, daß der Kongreß die Spielkasinos durch ein Bundesgesetz nach Art der Prohibition verbieten wolle. Die Bürger waren verstimmt. Die Volksvertretung von Nevada beeilte sich, im eigenen Haus aufzuräumen, ehe dies jemand anderer für sie tat.

Erinnern wir uns daran, daß viele der Kasinobesitzer, bevor sie Las Vegas aufbauten, mit ihrer Umwelt gebrochen hatten, da sie doch gegen die Glücksspielgesetze und wahrscheinlich gegen noch ein paar andere verstoßen hatten. Als Eigentümer illegaler Spielsalons galten sie auch in ihren eigenen Kreisen als Outsider. Las Vegas aber hatte ihnen eine legale Existenz geboten. Sie galten wieder als geachtete Mitglieder der Gesellschaft und konnten sich neu in die Gemeinschaft eingliedern. Nein, es ist kein Zufall, daß sie ihre Familien nach Las Vegas mitbrachten, sich einlebten und bald angesehene Bürger wurden. Zum erstenmal in ihrem Leben lebten sie in Frieden mit der Gesellschaft, wie dies jeder erstrebt, ja erstreben muß, wenn er das will, was man ein normales Leben nennt. Unter dem Einfluß dieser Männer entwickelte sich Las Vegas zu einer geordneten, dem Gesetz unterstellten Gemeinschaft, unabhängig vom Einfluß der verkommenen Spieler aus der ganzen Welt. Es entstanden Schulen und Kirchen, Universitäten wuchsen, der Fremdenverkehr nahm einen ungeahnten Aufschwung.

Freilich stimmt es, daß die Kirchen eine Art Abzahlung für Erpressungen waren. Die Religionsgemeinschaften hatten anfangs das Glücksspiel vehement angegriffen. Die führenden Kasinobesitzer in Las Vegas begannen sich Sorgen zu machen, konnten doch die Bürger von Nevada praktisch bei jeder Wahl dem Glücksspiel ein Ende setzen. Die Kasinobosse lösten das Problem mit dem Gesetz auf die gleiche Weise wie in anderen Staaten, in denen das Spiel gesetzwidrig war: Sie kauften sich die Opposition, oder sie verführten sie. In Las Vegas ließen sie große Beträge für die Unterstützung der verschiedenen Religionsgemeinschaften springen. Sie erbauten Kirchen für alle Konfessionen: Baptisten, Katholiken, Mormonen, Schintoisten – wer immer kam. Sie füllten die Kassen der Wohlfahrtseinrichtungen bis zum Überlaufen. Sie sorgten für Sauberkeit, bis Las Vegas einem Schmuckkästchen glich. Spezialisten für nächtliche Raubüberfälle und Gewalttätigkeiten wurden unsanft über die Grenze befördert, den Prostituierten wurde der Strich nur dort erlaubt, wo er der Öffentlichkeit möglichst verborgen blieb. Es gelang sogar, in der Unterwelt soweit Ordnung zu schaffen, daß sich die Gangster nicht gegenseitig ausrotteten. (Des ewigen Mordens aus Eifersucht kann freilich niemand Herr werden.)

Beim Glücksspiel gab es in Las Vegas in der Regel keine Betrügereien. Wer alles verloren hatte, wurde sanft behandelt und, mit einer Flug- oder Buskarte und etwas Geld für Proviant versehen, nach Hause geschickt. Die Gäste wurden, soweit dies möglich war, vor Verbrechern und geldgierigen, diebischen Prostituierten beschützt, durch Maßnahmen, die über die gesetzlich erlaubten sogar hinausgingen. Es kam selten zu Erpressungen – entgegen den Behauptungen, die das berühmte Buch The Green Felt Jungle (›Der grüne Filzdschungel‹) aufstellte. Ich muß bekennen, daß ich dieses faszinierende Buch, bevor ich nach Las Vegas kam, mit größtem Interesse gelesen hatte. Es enthält eine Kriegserklärung an das Glücksspiel und an Las Vegas, aber anstatt mich abzustoßen, verstärkte es meinen Entschluß, dorthin zu fahren. Ich glaube, das gilt für die meisten Leser. Aber obwohl ich keinen Grund habe, an der Wahrhaftigkeit dieses Buches zu zweifeln (seine Autoren haben einen weit größeren Einblick als ich), darf ich doch sagen, daß ich innerhalb von fünfzehn Jahren in Las Vegas keinen einzigen Fall von Betrug oder Erpressung erlebt habe.

Heute ist die Stadt Las Vegas im Staate Nevada der berühmteste, beliebteste, luxuriöseste und ehrlichste Ort des Glücksspiels, den es auf der Welt je gegeben hat. Eine derartige Behauptung ist leicht aufzustellen, wie aber ist sie zu beweisen? Und wie entgeht man dem Vorwurf der Schmeichelei? Bekomme ich etwa Geld von der Stadtverwaltung? Ich empfinde das beileibe als keine beleidigende Frage. Die Geschichte des Glücksspiels ist voll von Täuschung und Unehrlichkeit. Die komplexe Sozialstruktur des Glücksspiels strotzt von Bestechung auf allen Ebenen. Obwohl ich also über eine solche Frage beleidigt sein könnte, schwöre ich hiermit, daß ich nicht bestochen worden bin. Ich erkläre vielmehr feierlich und in aller Form, daß ich den Kasinos ein Vermögen in Schuldscheinen schulde, von dem sie jeden Cent auf faire und ehrliche Weise gewonnen haben. Ich versichere weiter, daß ich in Las Vegas keinerlei Schuldscheine mehr unterschreiben kann, da ich nicht mehr kreditwürdig genug bin. In der Tat stehe ich bei denen tief in der Kreide. Aber an dem Tag, an dem sie mir den Kredit sperrten und mich zwangen, Jetons in bar zu kaufen und meine Rechnungen bar zu bezahlen, gab ich endlich die Leidenschaft zu spielen auf. Deshalb schulde ich ihnen Dank. Diese Dankesschuld will ich dadurch begleichen, daß ich nachweise, daß es bei ihrem Spiel ehrlich zugeht.

Psychologisch gesehen ist Las Vegas der gefährlichste Ort für das Spiel. Die Kasinos halten 24 Stunden am Tag offen. Sie verfügen über die raffinierteste Methode der Kreditgewährung. In den Kasinos sind Getränke, Speisen, die Shows mit den beliebtesten Stars der Welt und die hübschesten Mädchen gratis. Der ›Strip‹, die Hauptstraße, an der die Superhotels liegen, hat mehr Neonlicht, als es sich der berühmte Broadway je träumen hätte lassen. Wer sich Jetons für ein paar tausend Dollar kauft, wird mit jener Zuvorkommenheit behandelt, die man in Frankreich oder England dem hohen Adel entgegenbringt. Und wer möchte nicht für einen Tag ein Fürst sein?

In den Kasinos von Las Vegas herrscht eine seltsam diffuse, fast märchenhafte Stimmung. Luftzug und Tageslicht werden abgeschirmt, um die Spieler nicht abzulenken. Das Zeitgefühl wird ausgeschaltet, nirgends sieht man eine Uhr. Der Besucher wird zu einem Dornröschen, das darauf wartet, von einem Glücksprinzen wachgeküßt zu werden. Dem Besucher scheint es gar nicht so schlimm, daß ihm während seines Traums die Taschen geleert werden. Er bezahlt gern dafür. Vielleicht kommt es ihm sogar wie eine besonders gute Geldanlage vor. Und erst das Gefühl, gewonnen zu haben!

Abends ist Las Vegas vulgär atemberaubend. Da liegt es mitten in der Wüste, erleuchtet von Millionen, buchstäblich Millionen Dollars aus Neonlicht, auf allen Seiten fast nahtlos von einer Kette schwarzblauer Berge umgeben, die den Zauber des Ganzen noch verstärkt. Nach einem kostenlosen guten Abendessen (inklusive Kognak) beginnt der Bummel entlang dem Strip. Mit geradezu kindlicher Freude atmet man die frische Wüstenluft ein und starrt mit weit geöffneten Augen auf die vier Stockwerke hohen Lichtreklamen, die in goldenen und roten Flammenzeichen Namen wie Frank Sinatra, Buddy Hakkett, Don Rickles, Ann Margret und Shirley MacLaine aufleuchten lassen. Doch Vorsicht, nach drei Tagen hat alles seinen Zauber verloren.

Die Auswahl an Kasinos ist groß: die goldenen und weißen Togen in Caesar’s Palace, das modische, blauschimmernde Tropicana, der dunkelrote Plüsch des MGM, das Hilton mit seinen Kristalllüstern. Näher dem Zentrum gibt es das Glitter Gulch, die Four Queens mit ihren strumpfbandgeschmückten Western-Girls, das Golden Nugget, Binion’s Horseshoe und The Mint. Der Besucher betritt sie mit leiser Hoffnung und wilder Begierde. Hier ist nicht nur alles gratis, nein, hier kannst du deren Geld gewinnen. Wer könnte sich etwas anderes wünschen? Besucher aus aller Welt bringen ihre Träume mit. Immer noch ist Las Vegas billig, wenn auch nicht mehr so billig wie früher.

Noch 1947 bezahlte man lumpige dreieinhalb Dollar für die Achtuhrshow. Inbegriffen waren ein erstklassiges Dinner im plüschroten Saal, ein Spitzenstar wie Frank Sinatra und das Nebenprogramm. Die Mitternachtsshow (ein Schlagerstar, ein leicht frivoler Komiker oder ein bekanntes Orchester) konnte man für eine Konsumation im Wert von 65 Cents miterleben. Und das in den besten Hotels am Strip!

Im Jahre 1976 wurde in einer Anzeige in den ›Los Angeles Times‹ ein Tagesarrangement – Zimmer mit Mahlzeiten – für 9,95 Dollar angeboten (Schinken mit Ei, soviel man wollte, Fernsehen, Ortsgespräche, Kaffee und kleine Imbisse). Aber das gibt es nicht in den Erste-Klasse-Hotels. Am Strip gibt es keine solchen billigen Arrangements mehr. Aber die Preise für Abendessen und Unterhaltung sind noch immer vernünftig, und wer wirklich hohe Summen setzt, wird bestimmt als Gast des Hauses vom Kasino eingeladen werden.

Über Las Vegas gibt es zahlreiche Statistiken und Umfragen. Ich mißtraue solchen Dingen zwar, doch habe ich aus persönlicher Beobachtung den Eindruck, daß die Angaben über Las Vegas zum größten Teil schon der Wahrheit entsprechen. (Vergessen Sie nicht: Alles, was mit dem Glücksspiel zu tun hat, ist von vornherein suspekt. Aber gilt das gleiche nicht auch für die Politik, für die Börse und sogar für das Bankgeschäft?)

Jedenfalls sagen 96 Prozent der Besucher, Las Vegas habe ihnen gefallen. Diese Ziffer ist deshalb so interessant, weil feststeht, daß 90 Prozent Vegas als Verlierer verlassen. Keine Angst, Las Vegas hat nur loyale Kunden. 30 Prozent der Befragten gaben an, Las Vegas zweimal oder öfter im Jahr zu besuchen. (Ich frage mich, wie die sich das leisten können.) Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt vier Tage. Das ist sicherlich richtig, denn kein Spieler kann es sich erlauben, länger als vier Tage in Las Vegas zu bleiben. Ich liebe Las Vegas, aber nach drei Tagen halte ich es seelisch nicht mehr aus und finanziell nicht mehr durch.

Es liegt auf der Hand: Je länger man bleibt, desto geringer ist die Chance, daß man gewinnt. Der Hausvorteil des Kasinos arbeitet Minute für Minute gegen den Besucher. Es gibt keinen Strand, keine interessanten Bauten und schon gar keinen alten Stadtteil, den man besichtigen könnte. Einkaufsmöglichkeiten bestehen praktisch nur in den Geschenkläden der Hotels, deren Handelsspannen aber kriminell sind. Also bleibt nur das Spiel; ihm kann man nicht entrinnen.

Sie haben die größten Chancen, in Las Vegas zu gewinnen, wenn Sie nur für einen einzigen Abend hinfliegen. Sie nehmen die 17-Uhr-Maschine von Los Angeles und fliegen um Mitternacht wieder zurück. Wenn es sein muß, auch nach Hongkong, aber nur weg. Einmal gewann ich in Las Vegas sehr hoch. Ich beeilte mich, zum Flugplatz zu kommen. Da brach in meiner Maschine vor dem Start ein Brand aus. Anstatt sofort das Weite zu suchen, blieb ich Narr in Las Vegas, bis eine andere Maschine nach New York flog. Mit dem Erfolg, daß ich wieder ohne Geld aus Las Vegas heimkam. Ich kann es bis jetzt nicht glauben, aber es war wirklich ein Brand im Flugzeug.

Freitag und Samstag sind natürlich die Tage, an denen am meisten los ist. Am Dienstag ist es am ruhigsten, da die Leute ja schließlich auch arbeiten gehen müssen, um das Geld zu verdienen, das sie beim Spiel dann verlieren.

Warum kommen die Leute eigentlich? Auf der Suche nach Abwechslung, um dem grauen Alltag zu entrinnen, um die Shows und Unterhaltungsprogramme zu genießen. In der Umfrage erwähnte niemand, daß er nach Las Vegas gekommen sei, um dort zu gewinnen. Das spricht eigentlich für die Richtigkeit der Umfrage. 56 Prozent der Leute wohnen in Hotels und 34 Prozent in Motels. Die restlichen 10 Prozent haben die Stadt vermutlich mit dem gewonnenen Geld fluchtartig verlassen, bevor es Zeit wurde, schlafen zu gehen.

Die Besucher geben im Durchschnitt 67 Dollar aus – Spieleinsätze nicht gerechnet. (Wer mit dem Flugzeug kommt, gibt im Durchschnitt 75 Dollar aus, wer im Bus anreist, 35 Dollar.) 55 Prozent führen an, es sei nicht günstig, nach Las Vegas seine Kinder mitzubringen. Ein Kasino namens Circus Circus wollte diesem Vorurteil entgegentreten. Es errichtete Kinderspielplätze und Räume nach der Art von Disneyland und Coney Island, in denen die Kinder herumtollen können. Während man im Kasino spielt, zeigen Akrobaten über den Köpfen der Besucher ihre Zirkuskunststücke. Mich persönlich macht es etwas nervös, wenn ich mich in ein Blatt Blackjack vertiefen möchte und über meinen Kopf segelt irgendein Artist im gestreiften Trikot, dessen ›Risiko‹ darin besteht, das Netz zu verfehlen. Aber den Kindern auf den Galerien rund um das Circus Circus scheint es gut zu gefallen.

Überraschenderweise sind 26 Prozent der Besucher von Las Vegas Collegeabsolventen; 29 Prozent haben ein Haushaltseinkommen von mehr als fünfundzwanzigtausend Dollar im Jahr. 20 Prozent der Besucher sind Selbständige und spielen mit Geld, das sie als Gewinne von ihren Unternehmen abgeschöpft haben, nicht viel anders, als das in Las Vegas geschieht. Aber im Grunde sind die Gewinne in Las Vegas auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren.

Überrascht hat mich auch die Feststellung, daß die Besucher bei einem Durchschnittsaufenthalt von vier Tagen im Schnitt nur eineinhalb Unterhaltungsprogramme besuchen. Wie wir schon weiter oben sagten, treten Weltstars auf, die Eintrittsgebühr ist relativ niedrig, und sehr oft wird man vom Kasino eingeladen, wenn der Eintritt nicht schon von vornherein frei ist.

Im Jahre 1975 zählte man über neun Millionen Besucher. Eine wirklich erstaunliche Zahl, wenn man bedenkt, daß es in Las Vegas doch kaum etwas zu tun gibt. Die Besucher teilten sich folgendermaßen auf: Aus dem Osten der USA: 13 Prozent, aus dem Mittelwesten: 19 Prozent, aus den Südstaaten: 12 Prozent, von der Westküste: 50 Prozent. (Darauf hatte Siegel spekuliert. Er wußte, daß die Leute aus Los Angeles nach Las Vegas nur so strömen würden.) Aus dem Ausland: 6 Prozent. (Diese Ziffer täuscht, da die Besucher aus dem Ausland viele Gelder von ›schwarzen Märkten‹ hereinbringen und fanatische Spieler sind.)

13 Prozent der Besucher kommen im Rahmen von Gesellschaftsreisen oder zu Kongressen. Das Kongreßbüro registrierte einmal sogar eine religiöse Reisegruppe puritanischer Baptisten. Ein Hotelbesitzer konnte dieser Gruppe nicht so recht froh werden: »Sie kamen mit den Zehn Geboten in der einen und einer 20-Dollar-Note in der anderen Hand an. Als sie wieder gingen, war beides unversehrt.« Im Jahre 1974 fanden insgesamt 339 Kongreßveranstaltungen in Las Vegas statt. Bei manchen fragt man sich wirklich, was die in Las Vegas zu suchen hatten:

Amerikanisches Kolleg der Nuklearmediziner. (Ärzte sind für ihre Spielleidenschaft bekannt. Die Kasinopsychologen sagen, das käme daher, weil die Ärzte das ganze Jahr über soviel menschliches Leid sehen und ihre Sorgen einmal vergessen wollen. Andere wieder behaupten, die Ärzte wollen sich durch das Spiel erniedrigen, da sie in ihrem Beruf ständig gezwungen seien, den lieben Gott zu spielen. Und in Las Vegas beweist Gott ihnen ihre Sterblichkeit.)

Vereinigung der Küchenchefs. (Wie bringen die nur das Essen hinunter?)

Verein anonymer Alkoholiker, Sektion Westküste. (Das Spiel ist ein fabelhafter Ersatz für das Trinken.) Es gibt auch einen Verein anonymer Spieler. Wenn es einen Spieler packt, ruft er einen anderen an, er möge doch rüberkommen auf eine Runde Gin-Rummy (ein harmloses Rummy-Spiel) um Streichhölzer. (Ein Witz.)

Verband der Überlebenden von Pearls Harbor.

Gesellschaft für sexologische Studien.

Verband der linkshändigen Golfspieler Südkaliforniens.

›Gestutzte Flügel‹ – Verein ehemaliger Stewardessen der United Airlines.

Vierter Internationaler Akupunkturkongreß.

Trauma-Seminar der amerikanischen Chirurgenvereinigung.

All diesen Besuchern stehen insgesamt 21 000 Hotelzimmer und 14 000 Motelzimmer zur Verfügung. Die Auslastung dieser Räumlichkeiten liegt 15 bis 25 Prozent über dem amerikanischen Durchschnitt, doch ist diese Statistik insofern irreführend, als ja viele Hotelzimmer den Spielern gratis überlassen werden.

Das Passagieraufkommen des Flughafens beträgt eine halbe Million im Monat. Die astronomischen Zahlen dieser Statistik kommen mir immer dann in den Sinn, wenn ich, um nach Las Vegas zu kommen, über schier endloses Wüstengebiet fliege, bis ich schließlich im Herzen dieser Wüste lande. Und dort liegt sie, eine einsame Neonstadt, zwischen Steppengebüsch und Gebirge, wo sich Kaninchen und Präriehunde gute Nacht sagen. Was, zum Teufel, hat diese Stadt dort zu suchen, und was ist überhaupt ihr Sinn?

Las Vegas

Подняться наверх