Читать книгу Die Kräfte der Comyn - Marion Zimmer Bradley - Страница 6
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ОглавлениеLarry schob die schwere Stahltür von Block B des Hauptquartiers zurück und trat in den kalten, schneidenden Wind des Hofes zwischen den Gebäuden hinaus. Erschauernd blieb er stehen und blickte zum Himmel auf. Die große rote Sonne hing niedrig und senkte sich langsam auf den Horizont zu, wo dünne Eiswolken sich zu Bergen in Karmin und Scharlach und Purpur verdichteten.
Hinter ihm bibberte Rick Stewart hörbar und zog seinen Mantel enger zusammen. »Brrr, ich wünschte, es gäbe eine Passage zwischen den Blöcken! Und ich kann bei diesem Licht überhaupt nichts sehen. Lass uns hineingehen, Larry.« Er wartete ungeduldig. »Was starrst du da an?«
»Nichts.« Larry zuckte die Schultern und folgte dem anderen Jungen in Block A, dem Wohngebäude. Wie konnte er sagen, dass dieser kurze tägliche Gang zwischen Block B – wo die Schulen für den Raumhafen-Nachwuchs vom Kindergarten bis zu den Vorbereitungskursen auf die Universität untergebracht waren – und Block A seine einzige Chance darstellte, sich Darkover anzusehen?
Drinnen in der kühlen gelben Normalbeleuchtung entspannte Rick sich. »Du bist komisch«, meinte er im Aufzug zu ihrem Stockwerk. »Ich hätte gedacht, das Licht draußen würde deinen Augen wehtun.«
»Nein, mir gefällt es. Zu gern würde ich draußen Entdeckungen machen.«
»Sollen wir zum Raumhafen hinuntergehen?« Rick lachte. »Dort gibt es nichts zu sehen als Sternenschiffe, und für mich ist das ein alter Hut, aber ich nehme an, für dich sind sie immer noch interessant.«
Larry verdross Ricks überlegener, amüsierter Ton. Rick war drei Jahre auf Darkover – und gab offen zu, dass er den Raumhafen noch nie verlassen hatte. »Nein«, antwortete Larry ihm. »Ich möchte in die Stadt – feststellen, wie es da aussieht.« Seine aufgestaute Verärgerung machte sich plötzlich Luft. »Seit drei Wochen bin ich auf Darkover, und ich könnte ebenso gut noch auf der Erde sein. Sogar hier in der Schule lerne ich die gleichen Dinge wie zu Hause! Die Geschichte Terras, die Anfänge der Raumerkundung, Standard-Literatur, Mathematik ...«
»Na klar«, sagte Rick. »Du glaubst doch nicht, dass terranische Bürger hier bleiben würden, wenn ihre Kinder keine anständige Ausbildung bekämen? Eine, die sie zum Besuch jeder Universität des Imperiums berechtigt?«
»Das weiß ich. Aber wenn wir schon auf diesem Planeten leben, sollten wir ein bisschen über ihn wissen, oder nicht?«
Von neuem zuckte Rick die Schultern. »Ich wüsste wirklich nicht, warum.« Sie kamen in die Zimmer, die Larry mit seinem Vater teilte, und legten ihre Schulbücher und Mäntel ab. Larry trat an den Essensspender – das in der zentralen Küche zubereitete Essen wurde mittels Druckluft durch ein Rohr geschickt und ihr Konto mit der Rechnung belastet –, wählte für sich etwas zu trinken und einen Imbiss und fragte Rick, was er haben wolle. Die Jungen machten es sich gemütlich und aßen hungrig.
»Du bist wirklich komisch«, wiederholte Rick. »Was kümmert dich dieser Planet? Wir werden nicht das ganze Leben lang hier bleiben. Was soll es uns also nützen, wenn wir etwas über ihn lernen? Die Kenntnisse, die wir uns auf den Schulen des Terranischen Imperiums erwerben, werden auf jedem Imperiumsplaneten anerkannt, wohin man uns auch schicken mag. Was mich betrifft, werde ich in die Raum-Akademie eintreten, sobald ich achtzehn bin – und weiß der Himmel, das ist Grund genug, mich hinter Navigation und Mathe zu klemmen!«
Larry kaute einen Cracker. »Mir kommt es einfach albern vor«, verteidigte er entschlossen seine Meinung, »auf einer Welt wie dieser zu leben und nichts über sie zu erfahren. Warum bleiben die Leute nicht auf der Erde, wenn ihre Kultur die einzige ist, auf die es ankommt?«
Rick lachte nachsichtig. »Ist dies dein erster fremder Planet? Oh, das erklärt es. Wenn du ein paar mehr gesehen hast, wird dir aufgehen, dass es dort nichts gibt als einen Haufen Barbaren und Außenweltler. Warum soll sich jemand, der nicht gerade Archäologe oder Historiker werden will, den Kopf mit Einzelheiten vollstopfen?«
Larry konnte nicht antworten. Er versuchte es erst gar nicht. Stattdessen aß er seinen Cracker auf und öffnete sein Buch über Navigation. »Ist das hier die Stelle, bei der du Probleme hast?«
Doch während sie die Köpfe zusammensteckten, interstellare Umlaufbahnen berechneten und Kollisionskurven zeichneten, dachte Larry mit brennender Sehnsucht an die Welt da draußen – die Welt, die er, so wie es jetzt aussah, niemals kennen lernen würde.
Rick schien das nichts auszumachen. Keinem der Jungen hier in der Handelsstadt schien es etwas auszumachen. Sie waren Terraner, und alles außerhalb der Terranischen Zone war fremd – und nichts konnte sie weniger interessieren. Sie führten das gleiche Leben, wie sie es auf jedem Imperiumsplaneten geführt hätten, und sie wollten es gar nicht anders haben.
Sie waren sogar überrascht – nein, vom Donner gerührt – gewesen, als sie erfuhren, dass er die darkovanische Sprache gelernt hatte. Sie konnten sich nicht vorstellen, warum. Einer der Lehrer hatte eine Spur von Verständnis bewiesen; er hatte Larry gezeigt wie man die komplizierten Buchstaben des darkovanischen Alphabets schrieb, und ihm sogar ein paar Bücher in darkovanischer Sprache geliehen. Aber für so etwas war nicht viel Zeit. Größtenteils bekam Larry den gleichen Unterricht wie auf der Erde. Darkover, selbst das Licht von Darkovers roter Sonne, wurde von Mauern und gelber erdtypischer Beleuchtung ausgesperrt, und die Engstirnigkeit des Personals in der Terranischen Zone stellte eine noch stärkere Barriere dar.
Als Rick gegangen war, räumte Larry seine Bücher weg, setzte sich hin und dachte mit finsterem Gesicht nach, bis sein Vater hereinkam.
»Wie war’s heute, Dad?«
Die Arbeit seines Vaters faszinierte ihn, aber Wade Montray pflegte nicht viel darüber zu sprechen. Larry wusste, dass sein Vater im Zollbüro arbeitete und seine Aufgabe, allgemein gesprochen, darin bestand, darauf zu achten, dass keine Schmuggelware von Darkover in die Terranische Zone oder umgekehrt gebracht wurde. Für Larry klang das interessant, obwohl sein Vater betonte, es unterscheide sich nicht besonders von der Arbeit, die er auf der Erde getan habe.
Heute schien er jedoch etwas gesprächiger zu sein.
»Wie ist es, sollen wir uns etwas zum Abendessen wählen? Ich hatte heute zu viel zu tun, um eine Essenspause einzulegen. Wir hatten allerhand Aufregung im Büro. Einer der Stadt-Ältesten kam zu uns, wütend wie eine nasse Katze. Er behauptete, einer unserer Männer habe Waffen in die Stadt gebracht und wir müssten der Sache nachgehen. Und was war geschehen? Irgendein dummer Darkovaner Junge hatte einem der Raumhafen-Wachen eine Menge Geld dafür geboten, dass er ihm seine Pistole verkaufe und sie als verloren melde. Wie sich bei der Vernehmung des Mannes herausstellte, hatte er genau das auch getan. Natürlich verlor er seinen Dienstgrad und wird Darkover mit dem nächsten abgehenden Raumschiff verlassen. Dieser Vollidiot!«
»Warum, Dad?«
Wade Montray stützte das Kinn auf die Hände. »Du weißt nicht viel über die Geschichte Darkovers, nicht wahr? Sie haben da einen so genannten Vertrag, unterzeichnet vor Tausenden von Jahren. Er ächtet jede Waffe außer solchen, die den Mann, der sie benutzt, in die gleiche Gefahr bringt wie den Mann, den er damit angreift.«
»Ich glaube, das verstehe ich nicht ganz, Dad.«
»Dann pass auf. Wenn du ein Schwert oder ein Messer benutzen willst, musst du nahe an dein Opfer herangehen – und soviel du weißt, kann es ebenfalls ein Messer haben und in seinem Gebrauch geschickter sein als du. Aber Gewehre, Schocker, Laser, Atombomben – die kannst du ohne jedes Risiko, selbst verletzt zu werden, einsetzen. Jedenfalls schlossen die Darkovaner den Vertrag ab, und bevor sie erlaubten, dass das Terranische Imperium hier zu Handelszwecken einen Raumhafen baute, mussten wir ihnen gusseiserne Garantien geben, dass wir helfen würden, Schmuggelware von Darkover fern zu halten.«
»Das kann ich ihnen nicht verübeln«, sagte Larry. Er hatte von den frühen planetaren Kriegen auf der Erde erzählen gehört.
»Wie dem auch sei, der Bursche, der die Pistole von unserem Raumhafen-Wachmann kaufte, besitzt eine Sammlung seltener alter Waffen, und er schwört, er wollte mit dem Neuerwerb nichts weiter tun, als ihn dort einzureihen – aber sicher kann da niemand sein. Manchmal gelangt tatsächlich Schmuggelware über die Grenze, ganz gleich, wie aufmerksam wir sind. Jedenfalls hat es mir viel Mühe gemacht, die Pistole aufzuspüren. Dann musste ich die Reise von zwei Studenten unserer medizinischen Schulen ins Hinterland organisieren, wo sie Krankheiten studieren sollen. Wir wollen dafür ein paar Darkovaner bei uns ausbilden. Ihre medizinische Wissenschaft taugt nicht viel, und sie haben eine sehr hohe Meinung von unseren Ärzten. Einfach ist es trotzdem nicht. Die abergläubischeren Eingeborenen haben ein Vorurteil gegen alles Terranische. Und die Darkovaner der höheren Kasten wollen nichts mit uns zu tun haben, weil sie es für unter ihrer Würde halten, sich mit Fremden einzulassen. Sie betrachten uns als Barbaren. Ich habe heute mit einem ihrer Aristokraten gesprochen, und er benahm sich, als hätte ich einen üblen Geruch.« Wade Montray seufzte.
»Sie betrachten uns als Barbaren«, meinte Larry nachdenklich, »und wir hier in der Terranischen Zone betrachten sie als Barbaren.«
»So ist es. Und es scheint keine Lösung zu geben.«
Larry legte seine Gabel hin und platzte heraus: »Dad, wann bekomme ich eine Chance, etwas von Darkover zu sehen?« Er musste seiner Enttäuschung einmal Luft machen. »In dieser ganzen Zeit habe ich nichts gehabt als am ersten Tag den Blick durch das Tor des Raumhafens!«
Sein Vater lehnte sich zurück und betrachtete ihn forschend.
»Wünschst du es dir so sehr?«
Larry machte eine Untertreibung daraus. »Ja.«
Sein Vater seufzte. »Es ist nicht einfach. Den Darkovanern gefällt es nicht besonders, Terraner hier zu haben. Es wird von uns mehr oder weniger erwartet, dass wir uns auf unsere eigenen Handelsstädte beschränken.«
»Aber warum?«
»Das ist schwer zu erklären.« Wade Montray schüttelte den Kopf. »Vor allem fürchten sie unseren Einfluss. Natürlich sind nicht alle so, aber die Mehrzahl.«
Larrys Gesicht verdüsterte sich, und sein Vater setzte langsam hinzu: »Ich könnte mich um die Erlaubnis bemühen, dich auf eine Reise zu einer der anderen Handelsstädte mitzunehmen, dann würdest du das Land dazwischen sehen. Was die Altstadt vor dem Raumhafen betrifft – nun, das ist ein ziemlich übles Viertel, obwohl alle hier eintreffenden Raumfahrer ihren Landurlaub dort verbringen. Man ist dort an Erdenbewohner gewöhnt, aber viel zu sehen gibt es nicht.« Wieder seufzte er. »Ich weiß, was du empfindest, Larry. Auf den Markt kann ich dich wohl einmal mitnehmen, wenn dich das von dem Verlangen befreit, etwas außerhalb der Terranischen Zone zu sehen.«
»Wann? Gleich?«
Sein Vater lachte. »Dann hol dir einen warmen Mantel. Nachts wird es kalt.«
Die Sonne hing als große rote Kugel niedrig über dem Rand der Welt. Sie durchquerten den Irrgarten der offiziellen Gebäude in der Terranischen Zone und kamen am Rand der Rampen hinaus, die zum Raumhafen hinunterführten. Doch sie stiegen nicht zu den Schiffen hinab, sondern gingen auf der höchsten Ebene weiter. Sie kamen an das Tor, wo Larry damals gestanden und auf die Stadt hinausgeblickt hatte. Nur ließen sie es jetzt hinter sich und näherten sich einem zweiten Tor am äußersten Rand des Raumhafens.
Dies Tor war größer und von schwarz gekleideten Männern mit Pistolenhalftern bewacht. Beide Posten erkannten Wade Montray wieder und nickten ihm zu, und Vater und Sohn traten auf den offenen Platz hinaus.
»Versäumen Sie die Sperrstunde nicht, Mr. Montray. Alles Zonen-Personal, das nicht im Dienst ist, muss um Mitternacht unserer Zeit innerhalb der Tore sein.«
Montray nickte. Seite an Seite überquerten sie den Platz. »Wie kommst du mit dem neuen Schlafzyklus zurecht, Larry?«
»Mir macht das nichts.« Darkover hatte eine Rotationsperiode von achtundzwanzig Stunden, und Larry war bekannt, dass manche Leute Schwierigkeiten hatten, sich an die längeren Tage und Nächte anzupassen. Ihm war es sofort gelungen.
Der Platz zwischen dem Raumhafen und der darkovanischen Stadt von Thendara lag als weite Fläche unter dem letzten roten Licht der Abendsonne. Auf einer Seite wurde er von den Bogenlampen des Raumhafens erhellt, auf der anderen von gedämpfteren Lichtern in rötlicher Farbe. Eine Reihe von Läden begrenzte ihn, und Darkovaner und Erdenbewohner gingen vor ihnen hin und her. Die ausgestellten Waren zeigten eine bestürzende Vielfalt: Pelze, Töpfereien, polierte und verzierte Messer mit glänzenden Scheiden, alle Arten von Obst und Süßigkeiten. Aber als Larry stehen blieb, um sie sich anzusehen, sagte sein Vater mit leiser Stimme: »Das sind nur die Geschäfte für die Touristen, die vom Raumhafen kommen. Der alte Markt wird dich bestimmt mehr interessieren. Hierhin kannst du jederzeit gehen.«
Sie bogen in eine Nebenstraße ab, gepflastert mit ungleichmäßigen Katzenköpfen, die zu schmal für Fahrzeuge irgendwelcher Art war. Montray ging schnell, als wisse er, wohin er wolle, und Larry dachte nicht ohne Groll: Er ist hier schon gewesen. Er weiß Bescheid. Und nie ist ihm der Gedanke gekommen, dass ich all dies auch gern sehen würde.
Die Häuser zu beiden Seiten waren niedrig und zum größten Teil aus Stein erbaut. Sie schienen sehr alt zu sein. Alle hatten viele große Fenster, in denen dickes, durchscheinendes Bunt- oder Mattglas zu Mustern zusammengesetzt war, so dass man von draußen nicht hineinsehen konnte. Die Ställe zwischen den Häusern waren aus Flechtwerk oder Holz, und dazu kam eine Vielzahl von Außengebäuden. Larry hätte gern gewusst, wie die Häuser innen aussahen. Aus einem wehte ihm ein starker Geruch nach bratendem Fleisch entgegen, und hinter einem anderen hörte er die Stimmen von spielenden Kindern. Ein Mann auf einem kleinen bräunlichen Pferd ritt langsam die Straße hinunter. Larry fiel auf, dass er das Pferd ohne Gebiss und Zügel nur mit einem Haltestrick und dem Zaum lenkte.
Die enge Straße verbreiterte sich und mündete auf einen viel größeren offenen Platz, voll von Marktständen, bunten Zelten und kleinen Stein-Kiosken. Laternen spendeten ein mattes Licht. Am Rand des Marktes waren Pferde und Karren angebunden. Larry betrachtete sie neugierig.
»Pferde?«
Montray nickte. »Die Darkovaner stellen keinerlei Fahrzeuge für den Oberflächentransport her. Wir haben versucht, sie für Automobile und Hubschrauber zu interessieren, aber sie behaupten, sie hätten keine Lust, Straßen zu bauen, und in Eile sei sowieso niemand. Es ist eine barbarische Welt, Larry. Das habe ich dir doch gesagt. Unter uns«, er senkte die Stimme, »ich glaube, viele Einwohner hätten gern einiges von unseren Maschinen und Produkten. Doch die Leute an der Spitze wollen ihre Welt so erhalten, wie sie ist. Ihnen gefällt sie so besser.«
Larry hielt fasziniert Umschau. »Ich fände es auch furchtbar, wenn dieser Markt in ein großes, mechanisiertes Shopping-Center umgewandelt würde. Die auf der Erde sind hässlich.«
Sein Vater lächelte. »Wenn du damit leben müsstest, würdest du die Schattenseiten erkennen. Du bist wie alle jungen Leute, du romantisierst das Alte. Glaub mir, die darkovanischen Machthaber sind nicht romantisch. Es ist nur einfacher für sie, wenn alles auf ihre Art weiterläuft, wenn sie die Leute zwingen können, alles so zu tun, wie es immer getan worden ist. Nun, lange wird das nicht mehr dauern.« Er schien davon überzeugt zu sein. »Sobald das Terranische Imperium den Leuten zeigt, was eine galaxisweite Zivilisation zu bieten hat, verlangen sie nach Fortschritt.«
Ein hoch gewachsener Mann mit hartem Gesicht, eingehüllt in einen langen Mantel, warf ihnen einen scharfen, zornigen Blick aus kalten blauen Augen zu, senkte dann dichte Wimpern und ging an ihnen vorbei. Larry sah zu seinem Vater hoch.
»Dad, dieser Mann hat gehört, was du sagtest, und es ärgerte ihn.«
»Unsinn«, erwiderte sein Vater. »So laut habe ich gar nicht gesprochen, und nur wenige Darkovaner verstehen terranische Sprachen. Das gehört alles zusammen. Sie treiben Handel mit uns, aber sie wollen nichts mit unserer Kultur zu tun haben.« Er blieb in einer Gasse zwischen den Ständen stehen. »Siehst du hier irgendetwas, das du gern hättest?«
Blau und weiß glasierte Schüsseln, kleine und größere, standen nebeneinander, dahinter eine ähnliche Reihe mit grünen und braunen. Am nächsten Stand wurden Messer und Dolche verschiedener Sorten verkauft, und Larry musste an den darkovanischen Jungen denken, der ein Messer im Gürtel getragen hatte. Er nahm eins auf und befingerte es. Als sein Vater die Stirn runzelte, lachte er auf und legte es zurück. Was sollte er damit anfangen? Terraner trugen keine Schwerter!
Eine alte Frau hinter einer niedrigen Theke beugte sich über einen großen irdenen Topf mit dampfendem, brodelndem Fett. Sie drehte Teigstreifen und ließ sie in das Öl fallen. Das Holzkohlenfeuer unter dem Topf glühte wie die rote Sonne und strahlte auf die Stelle, wo der Junge stand, willkommene Hitze ab. Die Teigstreifen wanden sich wie kleine Goldfische und wurden knusprig und braun. Die Frau fischte sie heraus, und Larry bekam plötzlich Hunger. Er hatte seit jenem ersten Tag nicht mehr Darkovanisch gesprochen, aber sobald er den Mund öffnete, merkte er, dass die Lernbänder gute Arbeit geleistet hatten, denn er wusste genau, was er sagen musste und wie er es sagen musste.
»Bitte, was kosten Eure Kuchen?«
»Zwei Sekals pro Stück, junger Herr«, antwortete die Frau. Larry kramte in seiner Tasche nach Kleingeld und verlangte ein halbes Dutzend. Sein Vater legte am nächsten Stand eine Schriftrolle nieder und kam zu ihm.
»Sie schmecken sehr gut«, sagte er. »Ich habe sie probiert. So ähnlich wie Krapfen.«
Die alte Frau legte die Kuchen auf ein sauberes grobes Tuch, ließ das süß duftende Öl abtropfen und bestreute sie mit einem hellen Zeug. Sie wickelte sie in ein Blatt aus bräunlichen Fasern und reichte Larry das Päckchen.
»Euer Akzent ist merkwürdig, junger Herr. Kommt Ihr von den Cahuenga-Bergen?« Sie hob ihr faltiges altes Gesicht, und Larry entdeckte voll Schreck, dass die Augen der Frau weiß und ziellos waren; sie war blind. Aber seiner Sprache nach hatte sie ihn für einen echten Darkovaner gehalten!Er gab eine unverbindliche Antwort, bezahlte die Kuchen und biss hungrig hinein. Sie waren heiß, süß und knusprig und mit etwas bestäubt, das wie gemahlener Kandiszucker schmeckte.
Sie schlenderten die dämmerige Budengasse hinunter. Hin und wieder begegneten sie Uniformierten vom Raumhafen oder auch Zivilisten, aber die meisten Männer, Frauen und Kinder auf dem Markt waren Darkovaner, und sie betrachteten die Terraner, Vater und Sohn, mit leicht feindseliger Neugier.
Larry dachte: Alle starren uns an. Ich wünschte, ich könnte mich wie ein Darkovaner kleiden und mich unter sie mischen, so dass sie gar keine Notiz von mir nähmen. Dann würde ich erfahren, wie sie wirklich sind. In düsteren Gedanken kaute er seinen Krapfen. Dann blieb er stehen und sah sich eine Auslage von kurzen Messern an.
Der Darkovaner in dem Stand sagte zu Larrys Vater: »Ist Euer Sohn noch nicht alt genug, um Waffen zu tragen? Oder erlaubt ihr Terraner euren jungen Männern nicht, Männer zu sein?« Sein Lächeln wirkte listig und irgendwie herablassend, und Larrys Vater runzelte die Stirn und blickte gereizt drein.
»Können wir gehen, Larry?«
»Ganz wie du willst, Dad.« Larry war die Lust vergangen. Was hatte er eigentlich erwartet? Sie machten kehrt und gingen durch die Gasse zurück.
»Was hat der Mann gemeint, Dad?«
»Auf Darkover wärst du bereits volljährig – alt genug, ein Schwert zu tragen. Und man würde es für selbstverständlich halten, dass du dich, wenn nötig, damit verteidigst«, antwortete Wade Montray kurz.
Mit einem Schlag versank die rote Sonne. Sofort faltete die Dunkelheit ihre Schwingen über den Himmel. Dünne, wirbelnde Nebelschwaden fegten die Marktstraßen entlang. Larry erschauerte in seinem warmen Mantel, und sein Vater schlug den Kragen hoch. Die Lichter des Marktes flackerten, umtanzt von undeutlichen Farbflecken.
»Deshalb nennt man den Planeten Darkover«, erklärte Larrys Vater. Schon war er halb unsichtbar im Nebel. »Bleib dicht bei mir, sonst verirrst du dich noch. In wenigen Minuten wird sich der Nebel jedoch in Regen verwandeln.«
In dem dichten Nebel und dem unsteten Licht nahm etwas Gestalt an und kam langsam auf sie zu. Anfangs wirkte es wie ein hoch gewachsener Mann, gegen die Kälte mit einem Kapuzenmantel vermummt. Dann rieselte es Larry kalt das Rückgrat hinunter. Der hochschultrige Körper unter dem Mantel war nicht menschlich. Ein Paar grüner Augen, leuchtend wie die einer Katze im Lampenlicht, stach in ihre Richtung. Der Nichtmensch näherte sich ihnen langsam. Larry war halb hypnotisiert von diesen durchbohrenden Augen und fast unfähig, sich zu bewegen.
»Zurück!« Sein Vater riss ihn grob aus dem Weg. Larry stolperte, fiel, warf einen Arm hoch, um das Gleichgewicht wieder zu finden. Die Hand streifte den Mantel des Fremden ...
Ein heftiger stechender Schmerz schleuderte ihn gegen die Steinwand. Es war, als habe er von einem nackten elektrischen Draht einen Schlag bekommen. Sprachlos vor Schmerz rappelte Larry sich auf. Der Nichtmensch glitt ohne Hast davon. Wade Montray war in dem flackernden Licht totenblass.
»Larry! Sohn, bist du verletzt?«
Larry rieb sich die Hand; sie war taub und prickelte. »Ich glaube nicht. Aber was war das für ein Geschöpf?«
»Ein Kyrri. Sie besitzen elektrische Schutzfelder, so wie einige Fischarten auf der Erde.« Montrays Gesicht war finster. »Jahrelang habe ich nicht einen in einer menschlichen Stadt gesehen.«
Larry blickte, immer noch benommen, der entschwindenden Gestalt mit Respekt und einer merkwürdigen Ehrfurcht nach. »Eins ist sicher, ich werde mich nie wieder einem in den Weg stellen«, stieß er hervor.
Der Nebel lichtete sich, und feiner, eisiger Regen begann zu fallen. Ohne zu sprechen, eilte Wade Montray auf den Raumhafen zu. Larry musste schnell ausschreiten, um an seiner Seite zu bleiben. Das war ihm nur recht, denn es war bitterkalt, und das rasche Gehen hielt ihn warm. Doch er wunderte sich, warum sein Vater so still war. Hatte er einfach Angst gehabt? Es schien mehr dahinterzustecken.
Montray sprach erst wieder, als sie sich in ihrer eigenen Wohnung in Block A befanden und die Wärme und das helle gelbe Licht sich um sie schlossen wie ein vertrautes Kleidungsstück. Larry legte seinen Mantel ab und hörte seinen Vater seufzen.
»Hat das deine Neugier ein bisschen befriedigt, Larry?«
»Danke, Dad.«
Montray ließ sich in einen Sessel fallen. »Das heißt: Nein. Nun, ich nehme an, du kannst das Touristenviertel und den Markt allein besuchen, wenn du möchtest. Nur wandere lieber nicht zu viel allein herum.«
Sein Vater wählte am Spender ein heißes Getränk für sich und kehrte, daran nippend, zurück. Langsam erklärte er: »Ich möchte dich nicht an die Kette legen, Larry. Ich will ehrlich mit dir sein, ich wünschte, du wärst nicht mit dieser höllischen Neugier geschlagen. Ich hätte es lieber, du könntest wie die anderen Jungen hier sein – zufrieden, ein Erdenmensch zu bleiben. Das würde mir eine Last von der Seele nehmen. Aber ich werde dir nicht verbieten, auf Erkundungen auszugehen, wenn das dein Wunsch ist. Du bist gewiss alt genug, um zu wissen, was du willst. Wärst du hier aufgewachsen, würdest du als erwachsener Mann gelten – alt genug, ein Schwert zu tragen und Duelle auszufechten.«
»Woher weißt du das, Dad?«
Sein Vater sah ihn nicht an. Das Gesicht der Wand zugekehrt, sagte er: »Ich habe ein paar Jahre hier verbracht, bevor du geboren wurdest. Ich hätte nie zurückkehren sollen. Das war mir klar. Jetzt sehe ich ...«
Er brach unvermittelt ab, und ohne ein weiteres Wort ging er in sein Schlafzimmer. Larry sah ihn an diesem Abend nicht wieder.