Читать книгу Die Winde von Darkover - Marion Zimmer Bradley - Страница 6

3

Оглавление

Barron war, noch keine zwanzig, in den Dienst des Terranischen Imperiums getreten und hatte auf drei Planeten gearbeitet, bevor er nach Darkover kam. Er entdeckte an diesem Nachmittag, daß er Terra nie verlassen hatte. Das fand er heraus, indem er Terra zum erstenmal verließ.

An dem ihm bezeichneten Ausgangstor der Terranischen Zone überprüfte ein gelangweilter junger Angestellter den Schein von der Abteilung Transport und Personal, nach dem Barron, Klasse zwei, als Verbindungsmann über die Zonengrenze entlassen wurde. Er bemerkte: „Sie sind also der Mann, der ins Gebirge will? Sie sollten Ihre Kleidung lieber wegwerfen und sich eine passende Ausrüstung für eine Reise auf diesem Planeten besorgen. Die Klamotten, die Sie anhaben, mögen für die Zone genügen, aber dahinten in den Bergen werden Sie erfrieren – oder vielleicht gelyncht werden. Hat man Ihnen das nicht gesagt?“

Man hatte ihm überhaupt nichts gesagt. Barron fragte sich verblüfft, ob von ihm erwartet werde, daß er sich als Eingeborener kleide. Er war ein Verbindungsmann des Terranischen Imperiums, kein Geheimagent. Aber der Angestellte war seit dem Unfall der erste, der ihn wie ein menschliches Wesen behandelte, und dafür war er dankbar. „Ich dachte, ich solle als offizieller Vertreter gehen. Dann bekomme ich keinen Paß?“

Der junge Mann zuckte die Schultern. „Wer sollte ihn ausstellen? Sie müßten diese Welt nach fünf Jahren eigentlich besser kennen. Terraner, überhaupt Leute des Imperiums, sind außerhalb der Handelsstadt nicht beliebt. Oder haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, Anweisung Nummer zwei zu lesen?“

„Nicht das Kleingedruckte.“ Er wußte, daß Imperiumsleute mit sofortiger Deportation bestraft wurden, wenn sie ohne Erlaubnis irgendein Gebiet des Planeten außerhalb der Handelszonen betraten. Barron hatte nie den Wunsch dazu verspürt, und deshalb hatte er sich auch nie die Frage gestellt, warum das so war. Ein fremder Planet war ein fremder Planet – es gab Tausende von ihnen –, und seine Arbeit war immer innerhalb der Zone gewesen.

Jetzt nicht mehr.

Der junge Mann war in gesprächiger Stimmung. „Fast alle Terraner von Vermessung und Erkundung oder den anderen Verbindungsjobs tragen darkovanische Kleidung. Sie ist wärmer, und man sammelt dann keine Menschenmenge um sich. Hat Ihnen das niemand gesagt?“

Barron schüttelte den Kopf. Er erinnerte den Angestellten nicht daran, daß ihm seit einigen Tagen niemand irgend etwas gesagt hatte. So oder so, er würde stur bleiben. Er tat seine Pflicht im Dienst des Imperiums – es war die ihm offiziell zugewiesene Aufgabe –, und er ließ sich von den Darkovanern nicht vorschreiben, wie er sich anziehen oder benehmen solle. Wenn den Darkovanern seine Kleidung nicht gefiel, konnten sie beginnen, Toleranz gegen fremde Sitten zu lernen. Das wurde von jedem Mann, der Arbeit für das Terranische Imperium annahm, als erstes verlangt. Er war zufrieden mit seiner leichten, warmen synthetischen Jacke und Hose, seinen weichen, ausgeschnittenen Sandalen und seinem kurzen, gefütterten Mantel, der den Wind abhielt. Viele Darkovaner in der Handelsstadt hatten diese Kleidung übernommen; sie war bequem und unzerstörbar. Warum sie wechseln? Etwas steif erklärte er: „Es ist ja nicht so, als ob ich die Uniform der Raumpolizei trüge. Sicher, das wäre eine Verletzung des guten Geschmacks. Aber diese Sachen?“

Der Angestellte antwortete mit einem rätselhaften Schulterzucken. „Es ist Ihr Begräbnis“, sagte er. „Da, ich glaube, jetzt kommt Ihre Transportgelegenheit.“

Barron blickte die mit Kopfsteinen gepflasterte Straße hinunter, entdeckte jedoch keine Spur von einem sich nähernden Fahrzeug. Da war die übliche Schar von Müßiggängern, Frauen in dicken Umschlagtüchern gingen ihren Geschäften nach, und drei Männer führten Pferde. Er wollte schon fragen: „Wo?“ und merkte dann, daß die drei Männer, die gerade auf das Tor zugingen, vier Pferde führten.

Er schluckte schwer. Auf allgemeine Weise war ihm bekannt gewesen, daß die Darkovaner wenig Technik besaßen und keine motorisierten Fahrzeuge benutzten. Sie hatten verschiedene Pack- und Zugtiere, hiesige Verwandte des Büffels und der größeren Rotwildarten, und zum Reiten Pferde, wahrscheinlich von Tieren abstammend, die vor etwa hundert Jahren von Nova Terra importiert worden waren. Das ließ sich einsehen. Das darkovanische Terrain eignete sich nicht für Straßenbau in großem Umfang, die Bevölkerung hatte kein Interesse daran, und große Bergbau- und Fabrikunternehmen, die einen Oberflächentransport notwendig machen, gab es sowieso nicht. Barron, sicher innerhalb der Zone, hatte all dies bemerkt, und seine Reaktion war gewesen: „Na und?“ Es hatte ihn wenig gekümmert, wie die Darkovaner lebten; das hatte nichts mit ihm zu tun. Seine Welt war der Kontrollturm: Raumschiffe, Fracht, Passagier-Transit – Darkover war ein wichtiger Knotenpunkt für den Langstrecken-Hyperflug, weil es so passend zwischen dem oberen und dem unteren Arm der Galaxis lag –, Vermessungsschiffe und dazu die verschiedenen Traktoren und Oberflächenfahrzeuge, die sie alle versorgten. Barron war auf den Wechsel vom Raumschiff zu Packtieren nicht vorbereitet.

Die drei Männer hielten an und ließen die Zügel der Pferde los, die gut trainiert waren und Stillstanden. Der vorderste der drei, ein schlanker junger Mann in den Zwanzigern, fragte: „Sie sind der terranische Vertreter Daniel Firth Barron?“ Er hatte einige Schwierigkeiten mit dem Namen.

Z’par servu.“ Die höfliche darkovanische Phrase, zu Ihren Diensten, entlockte dem jungen Mann ein schwaches Lächeln der Anerkennung. Er antwortete mit einer Redensart, die Barron nicht verstand, und ging dann wieder zu der Sprache der Handelsstadt über. „Ich bin Colryn. Das ist Lerrys und das Gwynn. Seid Ihr soweit? Könnt Ihr sofort aufbrechen? Wo ist Euer Gepäck?“

„Ich bin bereit, wenn Ihr es seid.“ Barron zeigte auf den Duffelbag, der seine wenigen Besitztümer enthielt, und die große, aber leichte Kiste mit der benötigten Ausrüstung. „Der Beutel kann soviel herumgeworfen werden, wie Ihr wollt; es sind nur Kleider darin. Aber paßt auf, daß Ihr die Kiste nicht fallen laßt; sie ist zerbrechlich.“

„Gwynn, kümmere du dich darum“, sagte Colryn. „Wir haben Packtiere außerhalb der Stadt stehen, aber für den Augenblick können wir das Gepäck mitnehmen. Es ist nicht leicht, Packtiere durch diese Straßen zu bringen, so eng, wie sie sind.“

Wie Barron merkte, warteten sie darauf, daß er aufstieg. Er hielt sich vor Augen, daß dieser Einsatz alles war, was zwischen ihm und dem Ruin stand, nur schien das im Augenblick nicht sehr wichtig zu sein. Zum erstenmal in seinem Leben als Erwachsener wäre er gern weggelaufen. Er verkniff den Mund und erklärte sehr steif: „Ich sollte Euch warnen. Ich habe noch nie in meinem Leben auf einem Pferd gesessen.“

„Tut mir leid“, antwortete Colryn. Seine Höflichkeit war fast übertrieben. „Es gibt keine andere Möglichkeit, dahin zu kommen, wohin wir wollen.“

Der Mann, der als Lerrys vorgestellt worden war, schwang Barrons Duffelbag auf seinen Sattel. „Ich nehme das hier, Sie werden dann genug Mühe mit Ihren Zügeln haben.“ Sein Terranisch war wesentlich besser als das Colryns, es war völlig akzentfrei. „Sie werden das Reiten bald lernen, ich habe es auch gelernt. Colryn, zeig ihm doch, wie er aufsteigen muß! Und reite neben ihm, bis er nicht mehr so nervös ist.“

Nervös! Barron hätte ihn am liebsten angeschnauzt, er habe schon fremde Welten besucht, als dieser Junge sich noch mit seinem Spielzeug beschäftigte. Dann beruhigte er sich. Zum Teufel, ich bin nervös, der Junge müßte blind sein, wenn er es nicht sähe.

Bevor ihm klarwurde, wie es geschehen war, saß er im Sattel, seine Füße steckten in den hohen, verzierten Steigbügeln, und es ging langsam die Straße hinunter, weg von der Terranischen Zone. Er war zu verwirrt und zu sehr damit beschäftigt, das Gleichgewicht zu halten, um einen einzigen Blick darauf zurückzuwerfen.

Barron war noch nie zuvor mit Darkovanern auf Tuchfühlung gekommen. In den Restaurants und Läden der Handelsstadt waren es dunkle, gleichmütige Gesichter gewesen, die ihn bedienten, Fremde, weit genug entfernt, um ignoriert werden zu können. Nun war er für eine unbegrenzte Zeitspanne unter ihnen, und das mit nichts als ein paar ganz allgemeinen Hinweisen und sehr oberflächlichen Vorbereitungen.

So etwas hat es im Terranischen Imperium noch nie gegeben! Verdammt, man bekam nie Arbeit außerhalb seines Berufs zugewiesen, und wenn sie einen auf einem fremden Planeten tatsächlich hinausschickten, wurde man in allen Einzelheiten informiert und gründlich ausgebildet! Im Augenblick brauchte er alles an Konzentration, was er aufbringen konnte, um im Sattel zu bleiben.

Es dauerte fast eine Stunde, bis er anfing, sich zu entspannen, und das Gefühl nachließ, er werde gleich hinabfallen. Jetzt hatte er Zeit, sich seine drei Gefährten anzusehen.

Sie waren sämtlich jünger als er, soweit er es beurteilen konnte. Colryn war groß und schlaksig, aber zart gebaut, und sein Gesicht war schmal und fein mit einem Schatten von einem braunen, lockigen Bart. Seine Stimme klang sanft. Für einen so jungen Mann machte er einen ungewöhnlich sicheren Eindruck. Beim Reiten sprach und lachte er lebhaft. Lerrys war stämmig, sein Haar war fast rot genug für einen Terraner, und er konnte kaum älter als zwanzig sein. Gwynn, der dritte, dunkel und hochgewachsen, war der älteste von den dreien. Abgesehen von einem Nicken und einer kurzen Begrüßung hatte er Barron keine Aufmerksamkeit geschenkt. Er benahm sich den jüngeren Männern gegenüber etwas zurückhaltend.

Die Männer trugen weite schwere Reithosen, die über hohe, tadellos sitzende Stiefel fielen, und geschnürte, jackenähnliche Hemden in satten dunklen Farben. Gwynn und Colryn waren mit dicken, pelzgefütterten Reitmänteln ausgerüstet und Lerrys mit einer kurzen losen Pelzjacke mit Kapuze. Alle drei hatten kurze Westen, Messer im Gürtel und kleinere Messer in Taschen am Stiefelschaft. Gwynn besaß dazu noch ein Schwert, obwohl es beim Reiten über die Kruppe seines Pferdes hin und her schwang. Ihre Haare waren unterhalb der Ohren glatt abgeschnitten. Barron entdeckte an ihnen eine Vielzahl von Amuletten und Schmuckstücken. Die jungen Männer wirkten wild, prächtig und barbarisch. Barron, der sich seines durch und durch zivilisierten Aussehens in Kleidung, Haartracht, Haltung und Benehmen bewußt war, fühlte sich merkwürdig eingeschüchtert. Verdammt noch mal, auf so etwas war ich nicht vorbereitet!

Sie ritten zuerst durch die kopfsteingepflasterten Straßen, zwischen den gedrängten Häusern und Märkten der Altstadt dahin, dann auf breiteren, glatteren Steinstraßen, vorbei an Häusern, die in Gärten zurückgesetzt waren, und fremdartigen hohen Türmen. Schließlich endete die Steinstraße auf zertrampeltem Gras, und die Reiter bogen zur Seite ab und auf eine lange, niedrige Einfriedung zu. Zäune und Tore aus Holz und Stein umgaben eine Art Hof mit rötlicher, festgetretener Erde, wo mehrere Dutzend seltsam gekleideter Männer sich mit unterschiedlichen Dingen beschäftigten: Sie be- und entluden Tiere, sattelten und striegelten sie, kochten über offenen Feuern oder Kohlenpfannen, wuschen und spritzten an einem hölzernen Trog und trugen Eimer mit Futter und Wasser zu den Tieren. Es war sehr kalt und sehr verwirrend, und Barron war froh, als sie endlich im Lee einer rauhen Steinmauer ankamen, wo ihm erlaubt wurde, von seinem Pferd zu rutschen und es auf Colryns Nicken hin einem Mann in derber Kleidung zu übergeben, der es wegführte.

Zwischen Gwynn und Lerrys – Colryn blieb zurück, um für die Tiere zu sorgen – ging Barron zu einem Unterstand, dessen Dach und Wand vor dem Wind schützte. Lerrys sagte: „Ihr seid das Reiten nicht gewöhnt; ruht Euch doch aus, während wir Essen kochen. Und habt Ihr kein Reitzeug? Ich kann Euch Euren Beutel bringen – es wäre besser, wenn Ihr Euch jetzt umziehen würdet.“

Obwohl Barron wußte, daß der Junge freundlich sein wollte, reizte ihn das ständige Herumhacken auf diesem Thema. „Die Sachen, die ich bei mir habe, sind genau wie diese hier, tut mir leid.“

„In dem Fall solltet Ihr lieber mit mir kommen.“ Lerrys führte ihn wieder aus dem Unterstand hinaus und durch das entgegengesetzte Tor in dem langen Zaun. Köpfe drehten sich ihnen nach, als sie vorübergingen. Jemand rief etwas, und Männer lachten schallend. Barron vernahm wiederholt ein gemurmeltes Terranan, das keine Übersetzung erforderte. Lerrys drehte sich um und sagte bestimmt: „Chaireth.“ Darauf folgte ein kurzes Schweigen und dann ein Durcheinander von leisen Worten und Gebrummel. Der rothaarige junge Mann winkte ihnen, und sie alle entfernten sich mit so etwas wie Ehrerbietung. Schließlich erreichten die beiden einen Markt oder Laden – hauptsächlich Tonkrüge und primitive Glaswaren. Eine Menge loser Kleidungsstücke lag über Körben und Fässern. Lerrys erklärte fest: „Ihr könnt in dem Zeug, das Ihr anhabt, nicht durch die Berge reiten. Es ist nicht meine Absicht, Euch zu beleidigen, aber es ist unmöglich.“

„Ich habe keinerlei Anweisungen erhalten ...“

„Hört zu, mein Freund ...“ – Lerrys benutzte das darkovanische Wort Com’ii – „... Ihr habt keine Ahnung, wie kalt es im Freien wird, besonders oben in den Bergen. Eure Kleider mögen warm sein –“, er berührte den leichten synthetischen Stoff „– aber nur für den Aufenthalt unter Dach und Fach. Die Hellers sind die Knochen der Erde. Eure Füße werden wund, wenn Ihr in diesen Dingern reitet, ganz zu schweigen von ...“

Barron, jetzt in schrecklicher Verlegenheit, mußte tonlos eingestehen: „Ich kann es mir nicht leisten.“

Lerrys holte tief Atem. „Mein Pflegevater hat mir befohlen, alles zu besorgen, was für Ihr Wohlbefinden notwendig ist, Mr. Barron.“ Barron wunderte sich über diese Form der Anrede. Die Darkovaner benutzten keine Titel, allerdings sprach Lerrys ein ausgezeichnetes Terranisch. Ob der junge Mann Dolmetscher von Beruf war? „Wer ist Euer Pflegevater?“

„Valdir Alton vom Comyn-Rat“, antwortete Lerrys kurz. Sogar Barron hatte von den Comyn gehört, der Kaste erblicher Herrscher, und es brachte ihn zum Schweigen. Wenn die Comyn etwas damit zu tun hatten und wollten, daß er darkovanische Kleidung trug, war es sinnlos, sich dem zu widersetzen.

Eine Weile wurde temperamentvoll gefeilscht. Barron hatte beträchtliche Kenntnisse in der darkovanischen Sprache, nicht weil sie ihn interessiert hatte, sondern weil er überhaupt rasch Sprachen erlernte, aber er bekam nur wenig mit. Dann sagte Lerrys: „Ich hoffe, das hier wird Euch gefallen. Ich dachte mir, Ihr würdet nicht gern auffallende Farben tragen; ich mag sie auch nicht.“ Er reichte Barron einen Stapel von Kleidungsstücken, die meisten aus einem dunklen Stoff, der wie Leinen aussah, dazu eine dicke Pelzjacke, wie er selbst eine trug. „Ein Mantel ist einem beim Reiten lästig, falls man nicht damit aufgewachsen ist.“ Es war auch ein Paar hoher Stiefel dabei.

„Probiert die Stiefel lieber an, ob sie passen“, schlug er vor.

Barron bückte sich und streifte seine Sandalen ab. Der Kleiderhändler kicherte und bemerkte etwas über Sandalen, worauf Lerrys grimmig feststellte: „Der Chaireth ist Lord Altons Gast!“ Der Kaufmann schluckte, murmelte ein paar Entschuldigungen und verstummte. Die Stiefel saßen, als seien sie für ihn angefertigt worden, und obwohl sie sich an seinen Knöcheln und Waden merkwürdig anfühlten, mußte Barron zugeben, daß sie bequem waren. Lerrys hob die Sandalen auf und steckte sie in Barrons Tasche. „Im Haus werdet Ihr sie wohl tragen können“, meinte er.

Barron wollte antworten, aber bevor die Worte seine Lippen erreichten, überkam ihn ein eigentümlicher Schwindel.

Er stand in einer großen Halle mit Gewölbedecke, die nur von ein paar flackernden Fackeln beleuchtet war. Von unten kam der Lärm Betrunkener, und er roch Feuer, bratendes Fleisch und einen beißenden Qualm, der ihn verwirrte und ihm Übelkeit verursachte. Er faßte nach einem Ring in der Wand und stellte fest, daß er nicht da war; die ganze Wand war nicht da. Er befand sich wieder in dem scharfen Wind und im wolkigen Sonnenlicht des eingezäunten Hofes. Sein Kleiderstapel war auf das Gras zu seinen Füßen gefallen. Der junge Lerrys starrte erschrocken und erstaunt zu ihm auf.

„Geht es Euch gut, Barron? Ihr saht ein bißchen – seltsam aus.“

Barron nickte. Froh, sein Gesicht verbergen zu können, bückte er sich und hob die Kleider auf. Es war ihm eine Erleichterung, als Lerrys ihn in dem Unterstand zurückließ und er auf den rauhen Fußboden niedersinken und sich bebend an die Wand lehnen konnte.

Schon wieder! Wurde er verrückt? Wenn es an dem Streß seiner Arbeit gelegen hatte, hätte er jetzt, da man ihn aus dem Kontrollturm weggeholt hatte, aufhören müssen. Und doch war es diesmal, wenn auch kurz, lebhafter gewesen als vorher. Erschauernd schloß er die Augen und versuchte, nicht zu denken, bis Colryn am Rand der offenen Seite des Unterstandes auftauchte und ihn anrief.

Zwei oder drei Männer in derber, dunkler Kleidung bewegten sich um das Feuer; Colryn stellte sie nicht vor. Den Gesten von Gwynn und Lerrys folgend, schloß Barron sich ihnen an dem Trog an, wo sich die Männer wuschen. Es wurde dunkel, und der eisige Abendwind erhob sich, aber sie alle wuschen sich lange und gründlich. Barron zitterte unkontrollierbar und dachte mit einiger Sehnsucht an die darkovanische Pelzjacke. Doch als er an der Reihe war, wusch er sich Gesicht und Hände sorgfältiger, als er es normalerweise getan hätte. Sie sollten nicht denken, Terraner seien Ferkel – und auf jeden Fall war er vom Reiten schmutziger geworden, als wenn er Knöpfe drückte und Bildschirme beobachtete. Das Wasser war bitterkalt, und der Wind biß ihm ins Gesicht. Er bibberte.

Sie saßen, geschützt vor dem Wind, um das Feuer, und nachdem er eine kurze Formel gemurmelt hatte, reichte Gwynn das Essen herum. Barron nahm einen Teller entgegen, der mit irgendeinem süßen gekochten Korn, einem Klacks von einer scharfen Soße und einem großen Stück Fleisch gefüllt war. Eine kleine Schale enthielt ein bittersüßes Getränk, das ein bißchen an Schokolade erinnerte. Alles war gut, doch es fiel Barron schwer, mit dem zähen Fleisch fertigzuwerden, das die anderen mit den Messern aus ihren Gürteln in papierdünne Streifen schnitten. Es war gesalzen und auf irgendeine Art getrocknet worden und fast wie Leder. Barron zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, zündete sich eine an und sog den Rauch dankbar in den Mund; er schmeckte köstlich.

Gwynn maß ihn mit finsteren Blicken und bemerkte leise zu Colryn: „Erst die Sandalen und jetzt das ...“ Er sah Barron mit offener Unfreundlichkeit an und stellte eine Frage, von der Barron nur das ihm unbekannte Wort Embredin verstand.

Lerrys blickte von seinem Teller auf, sah Barrons Zigarette und schüttelte leicht den Kopf. Dann sagte er in ziemlich verweisendem Ton zu Gwynn wieder das Wort „Chaireth“. Er stand auf und ließ sich neben Barron nieder.

„Ich würde an Eurer Stelle nicht rauchen“, meinte er. „Ich weiß, es ist bei Euch Brauch, aber unter den Männern der Domänen ist es anstößig.“

„Was hat er gesagt?“

Lerrys errötete. „Er fragte, um es so einfach wie möglich auszudrücken, ob Ihr ein ... ein weibischer Mann seid. Teils waren es Eure verdammten Sandalen und teils – nun, wie ich sagte, hier rauchen Männer nicht. Das tun nur Frauen.“

Mit einer gereizten Geste drückte Barron seine Zigarette aus. Das entwickelte sich ja schlimmer, als er gedacht hatte! „Was bedeutet dies Wort, das Ihr benutztet – Chaireth?“

„Fremder“, antwortete Lerrys. Barron faßte von neuem nach einem Stück Fleisch, und Lerrys sagte beinahe entschuldigend: „Ich hätte Euch mit einem Messer versorgen sollen.“

„Macht nichts“, wehrte Barron ab. „Ich wüßte doch nicht, wie ich es benutzen sollte.“

„Trotzdem ...“, begann Lerrys von neuem, aber Barron hörte ihn nicht. Das Feuer vor ihm glitt davon – oder vielmehr, es loderte auf, und inmitten der Flammen, groß, bläulich und glühend, sah er ...

Eine Frau.

Wieder eine Frau, die inmitten der Flammen stand. Barron glaubte, in dem Augenblick aufgeschrien zu haben, bevor die Gestalt sich veränderte, wuchs und von neuem zu dem großen, mit Ketten gefesselten Wesen wurde, königlich, brennend, ihre Schönheit in sein Herz und sein Gehirn einsengend. Barron ballte die Fäuste, bis ihm die Nägel in die Handflächen schnitten.

Die Erscheinung war verschwunden.

Lerrys, bleich und erschüttert, starrte ihn an. „Sharra“, keuchte er. „Sharra, die in goldenen Ketten ...“

Barron packte ihn. Er achtete nicht auf die Männer am Feuer, das von neuem das kleine Kochfeuer war, und stieß heiser hervor: „Du hast es gesehen? Du hast es gesehen?“

Lerrys nickte stumm. Sein Gesicht war so weiß, daß die kleinen Sommersprossen davon abstachen. Endlich brachte er heraus: „Ja, ich habe es gesehen. Was ich nicht verstehen kann, ist – wieso du es gesehen hast! Was, in Teufels Namen, bist du?“ Barron war so aufgewühlt, daß er kaum fähig war zu sprechen. „Ich weiß es nicht. Das passiert andauernd. Ich habe keine Ahnung, warum. Ich möchte wissen, warum du es auch sehen kannst.“

Lerrys zwang sich zur Ruhe. „Was du gesehen hast, ist – ein darkovanischer Archetypus, das Bild einer Göttin. Ich verstehe es nicht ganz. Ich weiß, daß viele Terraner telepathische Kräfte besitzen. Irgendwer muß diese Bilder aussenden, und irgendwie hast du die Gabe, sie zu empfangen. Ich ...“ Er zögerte. „Ich muß mit meinem Pflegevater sprechen, bevor ich dir mehr erzähle.“ Er schwieg eine Weile. Plötzlich faßte er einen Entschluß: „Sag mir, wie möchtest du genannt werden?“

„Dan genügt“, antwortete Barron.

„Also Dan. Du wirst in den Bergen Schwierigkeiten bekommen; ich glaubte, es käme ein normaler Terraner, und wußte nicht...“ Er brach ab und biß sich auf die Lippe. „Ich habe ein Versprechen gegeben und darf es nicht einmal dafür brechen. Aber du wirst Schwierigkeiten bekommen, und du wirst einen Freund brauchen. Weißt du, warum dir niemand ein Messer geliehen hat?“

Barron schüttelte den Kopf. „Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen zu fragen. Wie ich sagte, ich könnte es doch nicht benutzen.“

„Du bist Terraner“, stellte Lerrys fest. „Ein Messer oder eine andere Waffe darf hier nach Recht und Brauch niemals verliehen oder verschenkt werden, außer zwischen Freunden oder Verwandten. Das Wort ,Mein Messer ist dein‘ ist ein Gelübde, Es bedeutet, daß du den anderen verteidigen wirst. Deshalb muß ein Messer oder eine andere Waffe gekauft oder im Kampf erbeutet oder für dich hergestellt werden. Und doch ...“ – er lachte auf – „... werde ich dir dies geben – und ich habe meine Gründe.“ Er bückte sich und zog ein kleines scharfes Messer aus der Scheide in seinem Stiefel. „Es ist dein“, sagte er sehr ernst. „Ich meine, was ich sage, Dan. Nimm es von mir und sprich: ,Deins und meins.‘“

Barron, der sehr verlegen war, griff ungeschickt nach dem Heft der kleinen Klinge. „Dann also meins und deins. Ich danke dir, Lerrys.“ Die Feierlichkeit des Augenblicks riß ihn mit, und er merkte, daß er dem jüngeren Mann in die Augen sah, beinahe als würden Worte zwischen ihnen gewechselt.

Die anderen Männer um das Feuer starrten sie an. Gwynn mit einem mißbilligenden Stirnrunzenl, Colryn überrascht und – Barron fragte sich, wieso er das wußte – vage eifersüchtig.

Gleichzeitig verwirrt und erleichtert wandte sich Barron wieder seinem Teller zu. Es war leichter, mit dem Messer zu essen. Später stellte er fest, daß es genau in die kleine Scheide am Rand des Stiefelschafts paßte. Lerrys redete nicht noch einmal mit ihm, aber er grinste Barron hin und wieder kurz an, und Barron erkannte, daß der junge Mann ihn aus irgendeinem Grund als Freund adoptiert hatte. Es war ein seltsames Gefühl. Er war kein Mann, der leicht Freundschaften schloß. Enge Freunde hatte er überhaupt nicht. Und nun hatte ihm ein junger Mann von einer fremden Welt, der erriet, wie durcheinander er war, unerwartet seine Freundschaft geschenkt. Barron fragte sich, warum, und was als nächstes geschehen werde.

Er zuckte die Schultern, aß die letzten Bissen auf und ging in die Richtung, die Colryns Geste ihm andeutete – um seinen Teller und seine Schale abzuspülen, sie mit dem anderen Geschirr zusammenzupacken und beim Ausbreiten der Decken im Unterstand zu helfen. Es war jetzt sehr dunkel; kalter Regen fiel auf den Hof nieder, und Barron war froh, ein Dach über sich zu haben. Seine Begleiter behandelten ihn jetzt auf subtile Art anders. Auch wenn er den Grund nicht kannte und sich sagte, es bedeute keinen Unterschied, freute er sich doch darüber.

In der Nacht erwachte er einmal, eingewickelt in Pelzdecken, umgeben von schlafenden Männern. Er blickte ins Nichts und spürte, wie sein Körper wieder gewichtslos und von kalten Winden ergriffen wurde. Lerrys, der ein paar Fuß entfernt von ihm schlief, regte sich und murmelte etwas, und das Geräusch holte Barron in die Wirklichkeit zurück.

Es wird eine höllische Reise werden, wenn das weiterhin alle paar Stunden passiert.

Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.

Die Winde von Darkover

Подняться наверх