Читать книгу Die Baumkinder aus der Mangrove - Marisa Dittmar - Страница 5

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iele Menschen denken, dass Pflanzen nicht sprechen können. Das stimmt natürlich auch. Sprechen können Pflanzen nicht, doch dafür können Pflanzen etwas Anderes. Sie können sich auf eine viel bessere Art verständigen. Pflanzen können nämlich Bomeare.

Bomeare ist die Sprache aller Pflanzen. Diese Sprache ist aber keine gewöhnliche Sprache, sie wird nämlich nicht gesprochen, sondern gedacht und der Gedanke wird als Bomear in den Kopf einer anderen Pflanze geschickt. Bomeare ist sehr praktisch, denn wenn eine Pflanze ihre Ruhe will, dann können sich die anderen Pflanzen in ihrer Nähe unterhalten ohne die andere zu stören. Bomearieren können Pflanzen natürlich auch mit mehreren Pflanzen gleichzeitig. Weil nur Pflanzen Bomeare können, denken viele der anderen Lebewesen, dass Pflanzen nicht kommunizieren.

Mitten in einer kleinen Stadt in Nordbrasilien, die Bragança heißt, befindet sich eine schöne und große Mangrove. Ihr kennt sicher alle das Watt bei uns in Deutschland an der Küste. Das ist so schlammig, dass selbst Gummistiefel stecken bleiben. In Brasilien wächst in diesem Schlamm an der Küste ein eigenartiger Wald, die Mangrove.

In dieser Mangrove gibt es drei Baumarten: die Avicennia, die Laguncularia und die Rhizophora.

Die Avicennia hat Luftwurzeln von unten, die aussehen wie kleine Stöcke, die um die Avicennia herum in den Boden gesteckt worden sind. Sie hat dünne, spitze Blätter.

Die Laguncularia hat auch solche Luftwurzeln wie die Avicennia, aber im Gegensatz zu ihr hat sie runde Blätter wo zwei Punkte am Ende des Stiels sind. Aus diesen Punkten scheidet sie Salz aus, denn der Mangrovenschlamm ist salzig.

Die Rhizophora hat Stelzwurzeln, das sind Wurzeln, die über der Erde sind und vom Stamm zur Erde hinunterreichen. Dann hat die Rhizophora auch noch Luftwurzeln, die ganz anders sind als die der Avicennia und Laguncularia. Es sind lange Wurzeln, die von der Baumkrone herunterhängen. Die Blätter der Rhizophora sind spitz, aber rundlicher als die der Avicennia.

Die Luftwurzeln sind zum Atmen da und die Stelzwurzeln zum Halt. Zusätzlich zu den Luftwurzeln und den Stelzwurzeln haben alle drei Mangrovenbäume auch die normalen Wurzeln unter der Erde. Die Rinde der drei Bäume ist ungefähr so rau wie die der Kastanie. In der Mangrove kann man ganz leicht im Schlamm versinken. Doch wenn man sich in der Nähe der Rhizophoras befindet, ist es noch viel extremer, denn sie mögen es sehr feucht. Man kann sich auch in der Nähe von Rhizophoras fortbewegen ohne sich sonderlich schmutzig zu machen, indem man auf die Rhizophora-Wurzeln klettert. In der Mangrove von Bragança gibt es natürlich auch Gezeiten, aber nicht so extreme wie in der Nordsee, wo das Meer komplett zum Watt wird. Nein, die Mangrove bleibt immer Mangrove.

Im Jahr 2017 existierte nur eine kleine Gruppe von Bäumen, die Menschensprache sprach. Einer von denen war der berühmteste Baum der Erde. Er lebte mit seiner Familie mitten in der Mangrove von Bragança. Dieser Baum hieß Isin. Isin wohnte in einer besonders schlammigen Stelle der Mangrove, denn er war eine Rhizophora. Die Sprache, die Isin konnte, hieß Portugiesisch. Sie wird in ganz Brasilien gesprochen und stammt ursprünglich aus Portugal, wo sie auch immer noch gesprochen wird.

Zusammen mit Nolia, hatte Isin viele Kinder, aber die Samen seiner Kinder sind alle ganz weit weg geschwemmt worden, nur eins ist direkt bei Isin geblieben. Dieser Samen ist zu einem hübschen Baumkind herangewachsen und heißt Rila. Eigentlich haben die meisten Bäume kein Geschlecht, sondern sind Neutrums, aber sie finden es klingt nicht gut sich selbst „es“ zu nennen, also geben sie sich üblicherweise selbst Geschlechter.

Ganz, ganz nah an Rila sind zwei andere Rhizophora-Samen von anderen Bäumen hin geschwemmt worden. Sie hießen Soni und Niso und waren Rilas beste Freunde. Rila, Soni und Niso spielten immer nur zu dritt, denn es gab kein anderes Baumkind in der Nähe und die Erwachsenen Bäume spielten nicht mehr so gerne im Schlamm. Rila, Soni und Niso meinten, dass sie für immer spielen werden, auch noch, wenn sie schon ganz alte Bäume sind.

Nolia war der zweitschlauste Baum der Erde, denn Isin hatte ihr schon vieles beigebracht. Auch Rila, Soni und Niso wurde viel beigebracht. Allerdings wusste niemand, auch nicht seine engsten Freunde, wo der weise Baum all dies gelernt hatte. Isin war allerdings nicht der einzige Baum, der eine Menschensprache konnte, denn Nolia, Rila, Soni und Niso konnten nun auch schon fließend Portugiesisch. Mit Isin redeten die drei Baumkinder und Nolia immer nur Portugiesisch, um es zu üben und es nicht zu vergessen. Um Bomeare mussten sie sich nicht sorgen, denn jeder Baum konnte es seit der Geburt und vergaß es niemals.

„Können die anderen nicht endlich mal aufwachen?“, dachte Niso an einem frühen Morgen. Er war einfach nicht mehr müde, dennoch schliefen alle um ihn herum noch fest. Seit einer Stunde langweilte sich der junge Baum schon und wartete bis die anderen Schlafmützen endlich mal aufwachten. Ungeduldig buddelte er, um sich die Langeweile zu vertreiben, um sich herum im Schlamm.

Aber was war das? Plötzlich stieß Niso an das, womit unsere Geschichte beginnt- es war etwas Festes, das sich ungewöhnlich glatt und Nisos Meinung nach irgendwie unpassend anfühlte. Ein Stein konnte das unmöglich sein, und es war auch sonst nichts Bekanntes. Einen Moment lang zögerte Niso, doch dann grub er den komischen Gegenstand aus.

„Vielleicht ist das ja etwas von den Menschen“, dachte Niso hoffnungsvoll.

Er war sehr aufgeregt und dachte die ganze Zeit daran, dass dieser Gegenstand womöglich etwas von diesen Menschensachen sein konnte, von denen Isin ständig erzählte. Während Niso aufgeregt buddelte, verging die Zeit viel schneller und schon waren die anderen aufgewacht, trotzdem war das geheimnisvolle Ding immer noch nicht aus der Erde raus.

„Niso, was machst du denn da so früh am Morgen?“, fragte Nolia verwundert.

„Ich habe etwas gefunden!“, bomearierte Niso stolz.

„Niso!“, sagte Isin streng, denn er wollte, dass die Baumkinder Portugiesisch nicht verlernten. Niso hörte gar nicht zu.

„Helft mir mal es aus der Erde zu ziehen“, bomearierte er.

Isin wusste, dass es keinen Sinn hatte, Niso jetzt zum Portugiesisch reden zu bringen. So ignorierte er es einfach und half kräftig mit, das Ding aus der Erde zu buddeln und zu ziehen.

Kurze Zeit später hatten sie es aus der Erde befreit. Anschließend wurde der Schlamm abgeschüttelt. Und dann …

fffschchchchchchchchch!!!

„Kannst du nicht endlich mal aufpassen wo du hintrittst!“

„Hör auf zu meckern und hilf mir lieber!“

… hörten sie plötzlich Menschenstimmen.

Die Baumkinder wussten sofort was zu tun war und erstarrten in ihrem Holz, während sich ihre Äste nur ein wenig im Wind bewegten. Doch innig waren sie alle sehr aufgeregt - es passierte nicht oft, dass so eine große Menschengruppe in die Mangrove kam. Dort wo die Stimmen hergekommen waren, sahen sie nun eine Gruppe junger Menschen. Einer von ihnen war bis über die Hüfte im Schlamm versunken, er sah ziemlich genervt aus. Ein anderer beugte sich nun zu dem im Schlamm versunkenen Menschen runter und zog ihn mit festem Griff aus dem Schlamm.

„Genau deswegen mag ich es hier nicht!“, sagte der Mensch der vorhin noch im Schlamm steckte.

„Dann müssen Sie eben lernen die Mangrove zu mögen!“, rief eine höhere Stimme, während der dazugehörige Mensch, von der obersten Spitze einer Rhizophora aus, neben der Menschengruppe landete und so weit im Schlamm versank, dass nur noch der Kopf sichtbar war. Schnell zog sich der Mensch an einer Rhizophora Stelzwurzel aus dem Schlamm und blickte die Menschengruppe verwundert an.

„Wer bist du?“, fragte einer in der Gruppe.

Der vom Schlamm geschwärzte Mensch ignorierte ihn einfach und fragte: „Was habt ihr vor?“

Erst jetzt bemerkten die Baumkinder die komischen Gegenstände, die die Menschen in der Gruppe bei sich trugen. Obwohl sie solche Geräte noch nie gesehen hatten, wussten sie sofort was sie waren und wozu sie nütze waren. Jedoch wussten sie auch, dass diese Menschen ihre größten Feinde waren. Denn diese Gegenstände waren Sägen. Nun öffnete einer in der Gruppe den Mund zum Antworten, doch komischerweise schloss er ihn gleich wieder.

„Was wir vor haben geht dich nichts an. Könntest du uns jetzt kurz alleine lassen?“, antwortete ein anderer an seiner Stelle.

„Alles klar“, antwortete der Mensch. „Aber nur, wenn ihr versprecht die Natur nie mehr zu beleidigen, ja?“ fügte er schnell hinzu.

„Verschwinde!“, donnerte die Gruppe zurück.

„So sind Kinder nun mal …“, flüsterte ein Mensch dem anderen zu.

„Ganz verrückt wie sie einfach so vom Baum in den Schlamm gesprungen ist“, antwortete ein anderer.

„Stimmt, man konnte ja nur noch den Kopf sehen.“

„Jetzt müssen wir aber mal anfangen, wir sind ungewöhnlich spät dran“, rief plötzlich einer, „und das wertvolle rote Holz einer Rhizophora dürfen wir um keinen Preis verlieren. Ich würde sagen wir nehmen die dicke dort.“ Zum Schreck aller Bäume zeigte der Mann auf Isin.

Sofort ging eine Bomear-Welle los. Alle Bäume schickten ängstliche Bomeare herum. Es waren so viele, dass es Rila, Soni und Niso vom ganzen Bomear-annehmen schwindelig wurde.

Die Menschen gingen schon mit ihren Sägen auf Isin zu, doch- alle Sicherheitsregeln vergessend- hörten sich die Baumkinder selbst auf Portugiesisch rufen: „Stopp! Bitte! Nein! Das könnt ihr nicht tun!!!“

Die Menschen wirbelten herum und fielen vor Schreck rücklings in den Schlamm. Die Baumkinder wunderten sich, wieso die Menschen sich so schlimm erschrocken hatten.

„Lasst die Pflanzen in Ruhe! Lasst alle Pflanzen in Ruhe! Erhaltet die Wunder der Natur, und lernt diese zu lieben!“, rief das Mädchen, das vorher mit Schlamm verschmiert von der Gruppe verscheucht worden war.

Und dann urplötzlich waren alle Menschen verschwunden. Die Baumkinder sahen die Gruppe noch im Chaos in einem Priel davon paddeln.

Die Baumkinder aus der Mangrove

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