Читать книгу Die Baumkinder aus der Mangrove - Marisa Dittmar - Страница 7

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en Rest des Tages waren die Bäume in der Mangrove aus Bragança in Brasilien nicht mehr sehr gesprächig. Die Menschen tauchten nicht mehr auf, jedoch mussten die Baumkinder noch lange an das Geschehene denken. Immer wieder tauchten die genervten Gesichter der Menschen vor ihrem geistigen Auge auf und vor allem die letzten Worte des Mädchens kamen immer wieder als Gedanken vorbei: „Erhaltet die Wunder der Natur und lernt diese zu lieben.“ Die Baumkinder fragten sich immer wieder, was sie mit Wunder der Natur meinte.

Endlich unterbrach Isin das Denken mit einem Bomear: „Ist schon gut! Was soll das ganze Schweigen? Wollen wir mal nach Nisos Fund schauen?“

„Wieso bomearierst du?“, wunderte sich Rila auf Portugiesisch.

„Es ist sicherer, wenn wir jetzt für eine Weile bomearieren. Die Menschen könnten noch in der Nähe sein und die sollen uns ja nicht belauschen“, erklärte Isin bomearisch.

„Wo ist das Ding? Ah, nein! Ich habe es vorhin fallen gelassen!“, ärgerte sich Niso bomearisch.

„Wir finden es schon“, bomearierte Nolia zuversichtlich.

„Schon gefunden!“, rief Soni und hielt Nisos Fund hoch.

Nachdem sie es einigermaßen saubergemacht hatten, sahen sie, dass es sich um etwas schwarzes Eimerähnliches handelte, dessen Boden gelöchert war.

„Was ist das, Isin?“, bomearierten die Baumkinder wie aus einem Mund.

„Das ist ein Blumentopf“, antwortete Isin. „Es ist eine Erfindung der Menschen …“

Kaum hatte er das gesagt, unterbrach ihn Niso, der froh in die Zweige klatschte und bomearierte:

„Ich habe eine Menschensache gefunden! Ich wusste, dass es ein großartiger Fund war!“

„War es nicht! Menschen sind doof, das weißt du doch! Du hast gerade selbst gesehen, was sie mit Isin anstellen wollten“, bomearierte Soni aufgebracht.

„Es gibt überall böse Typen“, bomearierte Isin abschließend. „Wollt ihr jetzt wissen, wofür ein Blumentopf gut ist?“

„Ja, selbstverständlich wollen wir das wissen!“, antworteten die Baumkinder, die nun wieder gute Laune hatten.

„Ok …“ Isin überlegte eine Weile, wie er das erklären konnte, ohne dass die Baumkinder wieder schlechte Laune bekamen.

„Also, ihr findet die Menschen interessant, oder?“, bomearierte er schließlich.

„Nein!!!“ Die Baumkinder waren sich einig.

„Gestern fandet ihr sie noch interessant und fantastisch, aber gut, wenn ihr sie nicht mehr mögt. Sie mögen Pflanzen noch!“ Auf die verdutzten Blicke der Baumkinder hin fügte er rasch hinzu: „Wenigstens die meisten Menschen. Wie ich schon sagte gibt es gibt überall doofe Typen. Ihr habt doch dieses Mädchen gesehen. Ihr habt gehört was sie zu sagen hatte. Es gibt Menschen, die Pflanzen mögen und welche, die keine Pflanzen mögen. Es gibt auch welche, die Pflanzen so gerne mögen, dass sie selbst welche aufziehen wollen, sie wollen so nah an Pflanzen sein wie nur möglich. Wisst ihr, ich glaube dieses Mädchen heute früh war so eine. Aber die Menschen hatten ein Problem. Pflanzen brauchen Erde um zu wachsen und Menschen wollen keine Erde in ihren Häusern. Wie ihr wisst, haben Menschen nie lange ein Problem. Sie lösen ihre Probleme immer mit den fantastischsten Erfindungen. Und in diesem Fall war ihre Erfindung ein Blumentopf für einen Wald im Haus!“

Die Baumkinder waren begeistert. Das waren sie praktisch immer nach Isins Erzählungen. Isin konnte es einfach! Er konnte sie mit Worten begeistern!

„Und wozu sind die Löcher?“, fragte Rila, nun vollkommen interessiert.

„Ach ja, die sind zum Ablaufen des Wassers. In einem Haus regnet es nicht, darum müssen die Menschen die Pflanzen gießen, das heißt denen Wasser geben. Manchmal werden sie aus Versehen zu viel gegossen und dann muss das Wasser ablaufen können“, bomearierte Isin.

Er zögerte einen Moment, dann sagte er: „Ich selbst wurde …“

„In einen Blumentopf gepflanzt?“, vollendete Soni unglaublich.

„Soni, kannst du nicht einfach mal zuhören!“, meckerte Rila, der schon immer mehr über Isins Kindheit erfahren wollte.

Isin ignorierte Rila und fuhr fort, während alle noch gespannter als normal zuhörten: „Genau, ich wurde in einen Blumentopf gepflanzt! Von einer Krabbenfischerfamilie, ist ja klar! Die sind eine der wenigen Gruppen, die die Schönheit der Mangrove kennen. Bei einem Spaziergang durch die Mangrove nahmen sie mal einen Rhizophora-Samen oder besser gesagt meinen Rhizophora-Samen zu sich nach Hause mit. Also bin ich in ihrem Wohnzimmer aufgewachsen. Zur Familie gehörte auch ein kleines Mädchen, Luana. Sie und ihren Nachbar, Thiago, kannte ich sehr gut. Sie kümmerten sich gut um mich und gossen mich jeden Tag. Als die Kinder schon etwas größer wurden und eingeschult wurden, hatten sie nicht mehr so viel Zeit zum Spielen. Doch sie vergaßen mich nie. Luana und Thiago lernten gemeinsam für die Schule in Luanas Zimmer, wo auch ich war. Dort machten sie immer ihre Hausaufgaben. Ich habe jede Menge Menschensachen gelernt. Anders als die anderen Bäume. Ich weiß auch nicht wie ich das geschafft habe, eigentlich ist es unmöglich. Langsam fing ich an ihre Laute wahrzunehmen. Und dann ganz langsam, Schritt für Schritt fing ich an ihre Sprache zu verstehen. Langsam war mir alles klar. Sie wussten es nicht, doch ich lernte alles mit, was sie lernten. Denn ich verstand jedes Wort.

Natürlich wuchs ich weiter und bald war ich zu groß für ihr Haus. Sie mussten mich unter Tränen und Trauer in die Mangrove umpflanzen. Ich mochte sie gerne. Am Anfang kamen sie mich ab und zu in der Mangrove besuchen und ich war ihnen sehr dankbar dafür. Nach einer Zeit kamen sie nicht mehr und ich kannte noch niemanden hier. Die Mangrove war etwas Neues für mich und ich genoss es, hier zu sein. Im Gegensatz zu euch, die ihr schon immer hier wart, war die Mangrove etwas sehr Besonderes für mich. Ich sah sie, so wie sie gesehen werden soll, als Wunder der Natur!

Ich langweilte mich zuerst, dann fing ich an die gelernten Geräusche der Menschen, also den Ton der Buchstaben nachzuahmen. Es war schwer, denn ich hatte keinen Mund so wie sie. Es war schwer einen Ton aus mir rauszukriegen. Ich hatte keine Ahnung, wie man es als Baum machen kann. Endlich hatte ich es raus. Ich schaffte es! Ich lernte alle Buchstaben, dann tat ich sie zu Worten zusammen und schließlich zu Sätzen. Die Bäume um mich herum nahmen die von mir erzeugten menschlichen Laute natürlich nicht wahr, allerdings fing ich an mich mit ihnen anzufreunden. Es war schön mal mit anderen Bäumen zu bomearieren. Damals lernte ich auch Nolia kennen. Ich erzählte den Bäumen, dass ich Menschensprache konnte und sie bewunderten mich. Freilich war Nolia der einzige Baum, der sich wirklich dafür interessierte und ich brachte es ihr bei. Es dauerte lange bis sie es gelernt hatte, doch, weil ich ein anderer Baum war, der es ihr beibrachte, war es nicht ganz so schwer wie bei mir. Das schwerste war es ihr beizubringen, wie man die menschlichen Laute wahrnimmt. Endlich hatte sie es verstanden.

Ich und Nolia passten gut zusammen und wurden gute Freunde, darum beschlossen wir zusammen Kinder zu kriegen. Ich war ein bisschen älter und hatte schon vorher Kinder bekommen, aber noch nie ein Kind mit einem anderen Baum, Nolia hingegen schon. Es war jedoch etwas sehr Besonderes für uns beide. Alle unsere Kinder wurden weit weg gespült, bis auf Rila. Sie blieb bei uns.

Euch Kindern war es nicht ganz so schwer Menschensprache beizubringen, denn ihr habt es seitdem ihr kleine Keimlinge wart, gelernt. Also wart ihr schon lange daran gewöhnt.“ Er hielt kurz inne, dann bomearierte er: „Ich bin immer noch der einzige Baum, der eine Menschensprache von sich allein gelernt hat und darum bin ich bei den Bäumen berühmt. Bisher wusste noch keiner wie ich Menschensprache gelernt habe, denn es ist und bleibt mein größtes Geheimnis, auch wenn ihr es jetzt wisst, denn ihr dürft es niemals weitererzählen.“

Die Baumkinder staunten, aber nicht wie sonst. Diesmal war es anders! Diesmal hatte Isin ihnen das erzählt, was sie schon immer wissen wollten! Das, wonach sie schon so oft gefragt hatten! Das, was Isin ihnen nie erzählen wollte! Diesmal war es keine normale Erzählung! Jetzt wussten sie endlich, wie Isin all das gelernt hatte! Endlich! Und er hatte es ihnen erzählt, ohne dass sie gefragt hatten!

Die Baumkinder aus der Mangrove

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