Читать книгу Die Wolfssymphonie - Marius Daniel Popescu - Страница 4
ОглавлениеEr war fast fünfzig, die meisten seiner Haare waren weiß, er ist zwei Tage nach dem Unfall von uns gegangen. In diesen zwei Tagen lag er im Koma, im Spital, wo sie ihn am Kopf operierten. Die Chirurgen, die ihn operiert haben, meinten, er könnte es schaffen. Sie haben ihm einen Teil des Schädelknochens entnommen. Sie hatten von seiner Frau eine Unterschrift für diesen chirurgischen Eingriff verlangt. Seine Frau hat unterschrieben, dass sie in die Risiken der Operation einwillige. Sie waren seit zwei Jahren verheiratet. Sie wohnten in einem kleinen Haus, und mit ihnen ihre Tochter aus erster Ehe, ihre Mutter und auch ihre Großmutter. Er lebte mit diesen vier Frauen unter einem Dach. Ihre Tochter war achtzehn. Ihre Großmutter war achtzig. Er war Bauingenieur. Ihre Mutter war taubstumm. Sie war fast sechzig. Als er starb, arbeitete er auf einer Baustelle in der Provinz. Es war eine Baustelle, auf der er die Errichtung einer Industriekäserei leitete. Zu jener Zeit kam er immer erst Samstagabend nach Hause. Am Montag in der Früh kehrte er auf die Baustelle zurück. Gegen acht Uhr morgens. Am Montagmorgen arbeitete seine Frau jeweils nicht. Seine Frau führte ein Geschäft für Musikinstrumente. Sie verkaufte Violinen, Klaviere, Flöten und Schlagzeuge. Sie war jünger als er. Sie war zwölf Jahre jünger als er. Er übte den Beruf des Bauingenieurs seit ungefähr zehn Jahren aus. Es war sein zweiter Beruf. Sein erster Beruf war Sportlehrer. Er hatte Leichtathletik betrieben. Er hatte eine Ausbildung zum Sportlehrer gemacht. Als du geboren wurdest, hat er in einer Sonderschule Sportunterricht für Taubstumme gegeben. Er hat am Telefon von deiner Geburt erfahren. Es gab zu jener Zeit nicht viele Telefonapparate. Er hat die Nachricht deiner Geburt gegen neun Uhr abends erfahren, und er hat ein Taxi genommen, um ins Spital zu fahren. Du bist gern Taxi mit ihm gefahren. Wenn das Taxi von einer asphaltierten Straße auf eine gepflasterte Straße wechselte, gefiel dir, wie der Klang der Reifen auf dem Belag sich veränderte. Der Klang der Reifen auf den Pflastersteinen war wie eine Truppe von Reitern im Angriff. Du hast gerne Reiter gespielt, der die Feinde angreift. Er hat dem Taxifahrer ein stattliches Trinkgeld gegeben. Während der Fahrt hat er dem Taxifahrer wieder und wieder erzählt, dass er gerade Vater geworden sei. Er ist aus dem Taxi gestiegen und ist quer hinüber zur Neugeborenenabteilung gerannt, er hat drei Stufen auf einmal genommen, bis vor die Tür, dann hat er geklingelt. Der Portier der Entbindungsstation ist herausgekommen, um ihm zu sagen, dass er dich außerhalb der Besuchszeiten nicht sehen könne; der Portier der Entbindungsstation hat an ein großzügiges Trinkgeld gedacht, und er hat ihm gesagt, er solle doch am nächsten Tag nach zehn Uhr wiederkommen. Dein Vater hat dem Portier der Entbindungsstation eine reingehauen. Er hat ihm zwei Faustschläge verpasst. Zuerst hat er auf das rechte Auge gezielt, dann auf den Mund. Zwei Faustschläge mitten ins Gesicht des Entbindungsstationportiers. Dann ist er alleine ein Stockwerk hochgegangen. Er hat begonnen, sämtliche Türen aufzureißen und den Namen deiner Mutter zu rufen. Er hat alle aufgeweckt. Er hat euch schnell gefunden. Die Krankenschwestern und die Ärzte konnten ihn nicht daran hindern, euch um zehn Uhr abends zu besuchen. Er wusste, dass du zu früh geboren worden warst. Du bist mit sieben Monaten zur Welt gekommen, und als er das Zimmer betreten hat, in dem du mit deiner Mutter warst, hat er dich im Brutkasten liegen sehen, und er hat der Krankenschwester gesagt: «Holen Sie ihn raus!» Und die Krankenschwester hat dich sofort herausgeholt, und er hat dich in den Arm genommen und geküsst und gesagt, du hättest eine große Nase. Er hat deine Mutter geküsst. Er hat dich im Arm getragen und gestrahlt im Spitalzimmer. Du hast keine große Nase. Du hast seine Nase. Er ist nicht lange auf der Entbindungsstation geblieben. Er ist ungefähr eine Viertelstunde geblieben, dann ist er wieder hinunter- und hinausgegangen, vorbei am Entbindungsstationsportier, der sich von zwei Krankenschwestern verarzten ließ. Er ist seine Freunde suchen gegangen. Er hat etwa ein Dutzend seiner Freunde gefunden und hat sie ins beste Restaurant der Stadt eingeladen. Er hat ihnen die ganze Nacht hindurch Essen und Trinken spendiert. Er hat mit ihnen gegessen und getrunken. Er hat ihnen von dir und deiner Nase erzählt. Als ein Rosenverkäufer das Restaurant betreten hat, hat er ihn zu sich gewunken und ihm alle Blumen abgekauft. Frühmorgens ist er auf die Entbindungsstation zurückgekehrt. Er ist mit den Rosen im Arm aus dem Taxi gestiegen. Der Portier vom Vorabend hat ihm aufgemacht. Der Portier vom Vorabend hatte aufgesprungene Lippen, und ein Auge war von der Schwellung der Wange zugequollen. Der Portier vom Vorabend hat ihm die Tür zur Entbindungsstation aufgemacht, dein Vater ist ohne eine Wort hineingegangen, und der Portier hat hinter ihm die Tür wieder zugemacht und ist in seine kleine Portierloge zurückgekehrt. Dein Vater hat deiner Mutter alle Rosen gegeben. Körperlich siehst du ihm ähnlich. Sonst gleichst du niemandem aus der Familie. Einmal hat deine Mutter dir gesagt, du wärst ein Kind Gottes; sie habe kein Kind haben wollen. Sie arbeitete viel, und ihre Arbeit hielt sie außer Haus. Sie war Buchprüferin, und sie war ständig unterwegs. Sie prüfte die Buchhaltung verschiedener Unternehmen. Sie wollte keine Kinder haben. Als sie mit dir schwanger war, war es dein Vater, der das Kind haben wollte. Deine Mutter hat dir gesagt, sie habe deine Abtreibung bereits bezahlt gehabt. Jedes Mal, wenn sie ins Spital gefahren sei, um abzutreiben, sei er mitgegangen. Er habe sie begleitet, und auf dem Weg habe er sie jedes Mal überredet, wieder nach Hause zu fahren. Er hat sie dazu gebracht, auf dem Weg zur Abtreibung kehrtzumachen. Viermal hat er alles daran gesetzt, sie nicht abtreiben zu lassen. Das vierte Mal, als sie wieder ins Spital fahren wollte, hat er ihr gesagt, dass es unmöglich sei. Er hat ihr gesagt, dass niemand diese Abtreibung durchführen würde, dass es dafür zu spät sei. Du warst zu groß, im Bauch deiner Mutter. Niemand konnte dir mehr etwas anhaben. So hat sie dich behalten. Deine Mutter und dein Vater haben sich sehr geliebt. Sie haben dich sehr geliebt, von Anfang an. Diese Abtreibungsgeschichte war eine Geschichte Gottes. Deshalb hat deine Mutter dir gesagt, dass du ein Sohn Gottes seist. Sie wollte dir sagen, dass der Tod durch den Willen Gottes komme und nicht durch den Willen der Menschen. Dein Vater habe ihr den Willen Gottes vermittelt. So hat sie den Wunsch deines Vaters, das Kind zu behalten, interpretiert. Nun bist du hier. Du bist hier, mit mir. Wir reden. Wir schauen uns an. Wir haben uns viele Erinnerungen zu erzählen. Manchmal sprichst du wie ich. Sonst sprichst du wie niemand anderer. Ich bin nie jemandem begegnet, der so spricht wie du. Ich bin achtundneunzig Jahre alt, und während meines ganzen Lebens bin ich keinem begegnet, der so spricht wie du, verstehst du? Ich habe die beiden Weltkriege miterlebt. Ich war in beiden Weltkriegen Soldat. Dein Vater hat mich gerne vom Krieg erzählen hören. Er war ein Krieger, dein Vater. Er war ein Krieger, der diese Geschichte mit der Einheitspartei nie akzeptiert hat. In den Betriebsversammlungen hat er immer jemanden als Mitglied der Einheitspartei oder als Arschlecker der Einheitspartei beschimpft. Die Arschlecker der Einheitspartei waren Arschlecker der Einheitspartei, weil sie Mitglieder der Einheitspartei werden wollten. Dein Vater hat niemandem den Arsch geleckt. Dein Vater wollte nie der Einheitspartei beitreten. Als er gestorben ist, habe ich dir zwei Telegramme geschickt. Mit dem ersten Telegramm wollte ich dich vorwarnen. Ich wollte dich auf die schlechte Nachricht vorbereiten. Im zweiten Telegramm habe ich dir gesagt «Papa ist gestorben». Wegen der Post ist das zweite Telegramm zuerst eingetroffen. Das andere, in welchem ich dir sagte, dass es deinem Vater schlecht gehe, ist erst hinterher angekommen. Du hast mir gesagt, du wärst beim Angeln gewesen, im Fluss, mit deiner Angelrute. Deine Tante ist ans Flussufer gekommen, sie hat geweint, und sie hat dir zugerufen, dein Vater sei tot. Du hast die Schnur der Angelrute aus dem Wasser geholt, du hast den Haken in die Hand genommen, du hast den Regenwurm, der daran befestigt war, vom Haken losgemacht, du hast den Haken an der Angelrute befestigt, und du bist losmarschiert, im Wasser, auf das Flussufer zu, wo deine Tante weinte und sagte, dass dir ein Unglück widerfahren sei. Du hast gesagt, dass du in der einen Hand den Plastiksack mit den geangelten Fischen gehalten hast. Du hattest ungefähr zwei Kilogramm Fisch geangelt. Du bist durchs Wasser gegangen und hast die Angelrute über einer deiner Schultern getragen, und du hast an deinen Vater gedacht und das Wasser des Flusses angeschaut und deine Tante, die am Flussufer auf dich wartete, und du hast die Pappeln angeschaut, die am Flussufer wuchsen, wo deine Tante auf dich wartete, und du hast an deine Angelrute gedacht, die aus einem Schilfrohrhalm gemacht war. Es war warm. Du trugst Shorts, und in einer der Taschen dieser Shorts hattest du eine Wachsdose, in welcher du die Regenwürmer zum Fischen aufbewahrtest. Du hattest in deiner Hosentasche diese Blechbüchse mit dem Deckel voller Löcher, damit die Regenwürmer atmen konnten. In der anderen Hosentasche deiner Shorts hattest du eine Dose aus Plastik, eine Medikamentendose, und in dieser Dose bewahrtest du deine Reservehaken auf. Du hattest mehrere Reservehaken. Du trugst zu den Shorts einen Ledergürtel, und an diesem Gürtel hing in seinem Futteral dein Fischermesser. Dein Fischermesser, gemacht aus einem meiner Bajonette aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich kann mich gut an den Tag erinnern, an dem ich dir dieses Bajonett gegeben habe. Du hast dich dem Flussufer genähert, und du hast deine Tante gesehen, die eine Schürze über ihrem Rock trug, und du hast gedacht, dass sie wohl gerade dabei war, das Essen zuzubereiten. Du hast an deinen Vater gedacht. Du hattest ihn vor zwei Monaten gesehen. Er hatte dir ein Fahrrad gekauft. Ein Rennrad zu deiner bestandenen Prüfung. Vor zwei Monaten hattet ihr, dein Vater und du, deinen Eintritt ins Gymnasium gefeiert. Du hattest dir ein Rennrad gewünscht. Er hatte dir dieses Rennrad gekauft. Das Wasser des Flusses war warm, du bist hinaus- und die Uferböschung hinaufgestiegen, wo deine Tante geweint und gesagt hat, «er war ein guter Mensch, dein Vater». Du hast den Plastiksack, in dem die Fische waren, genommen und ihn deiner Tante gegeben. Sie hat den Sack mit den Fischen genommen, und ihr habt euch auf den Heimweg gemacht, auf dem Weg, der dem Flussufer entlang führt. Ihr seid unter den Ästen der Weidenbäume und unter den Ästen der Pappeln gegangen. Dort, wo das Flussufer die Straße erreichte, habt ihr den Weg genommen, der zum Haus deiner Tante führt, und jedes Mal, wenn ihr jemandem begegnet seid, hat deine Tante ihnen die schlechte Nachricht verkündet, sie ist einen Augenblick stehen geblieben und hat gesagt, «sein Vater ist gerade gestorben». Du hast deine Tante angeschaut und die Leute, welche vom Tod deines Vaters erfuhren. Du warst barfuß. Bis zum Haus deiner Tante seid ihr mehreren Leuten begegnet, die in der Straße wohnten und die deinen Vater kannten und die vom Tod deines Vaters erfuhren. Du hast nichts gesagt. Du bist in den Hof des Hauses deiner Tante gegangen und hast die Dose mit den Regenwürmern hervorgeholt, du hast den Deckel weggeschraubt und hast die Regenwürmer auf die Erde beim Rosenstock gekippt, im Schatten, und du hast gesehen, wie die Regenwürmer angefangen haben, sich zu bewegen, und wie sie in der Rosenstockerde nach Löchern gesucht haben und in diese Löcher verschwunden sind, wo sie vor der Hitze geschützt waren. Du hast den Deckel wieder auf die Wachsdose geschraubt und hast die Blechdose wieder in die Hosentasche gesteckt. Du bist um das Haus deines Onkels gegangen, bis zur Terrasse, du hast die Angelrute auf den Boden gelegt, hast dein Fischermesser vom Gürtel genommen und hast das Messer auf den Terrassentisch gelegt, dann hast du die Dose mit den Reservehaken und die Blechdose mit den Löchern im Deckel aus den Hosentaschen genommen und hast die beiden Dosen auf den Holztresen gelegt, welcher an der Absperrung zwischen Terrasse und Hühnerhof angebracht war. Du hast deiner Tante gesagt, dass du zu deiner Großmutter gehen würdest. Die Großmutter wohnte in derselben Straße. Sie wohnte zweihundert Meter weiter unten. Du wohntest bei deiner Großmutter, im selben Haus. Deine Großmutter hatte zwei Zimmer und eine große Diele, und du hattest zwei Zimmer für dich alleine. Du warst vierzehn Jahre alt. Du warst gerade vierzehn Jahre alt geworden. Du bist den Weg zwischen dem Haus deines Onkels und dem Haus deiner Großmutter alleine gegangen. Du hast an den Tod gedacht. Der Tod deines Papas war nicht der Tod. Dir ist bewusst geworden, dass der Tod von jemandem nicht dein Tod ist. Du hast verstanden, dass dein Vater nie mehr mit dir sprechen würde, und dass dies nicht bedeutete, dass dein Vater dich für immer verlassen hatte. Du hast den Hof des Hauses betreten, in dem du mit deiner Großmutter mütterlicherseits wohntest, und du hast deine Großmutter gesehen, wie sie dich bereits auf der Schwelle ihrer Sommerküche erwartete. Sie hat gesagt, «sei stark, wir alle enden unter der Erde, ob es uns passt oder nicht». Sie hat gesagt, «er ist jung gestorben, dein Vater», und sie hat dich gefragt, ob du dich waschen möchtest. Sie hat einen Holzschemel und ein Plastikbecken aus der Küche geholt und hat das Becken auf den Holzschemel gestellt, vor der Tür ihrer Küche, dann ist sie Wasser holen gegangen, am Brunnen im Hof vor dem Haus. Sie hat einen großen Kochtopf mit Wasser volllaufen lassen und hat diesen mit Wasser gefüllten Kochtopf auf eine heiße Platte des Herdes gestellt, dann hat sie die Seife geholt und auf den Holzschemel neben das Becken gelegt. Du bist auf der Türschwelle der Küche gesessen und hast die Kastanienbäume im Hof angeschaut und den Kirschbaum. Du hast nichts gedacht. Du hast deine gekreuzten Arme auf den Knien angeschaut, und du hast deine nackten Füße angeschaut, und du hast die Leute angeschaut, die auf der Straße vorbeigegangen sind und die du durch die Lücken des Holzzaunes hindurch hast erkennen können. Sie ist mit dem heißen Wasser gekommen und hat mehrere Liter heißes Wasser in das Becken geleert, dann ist sie mit dem kalten Wasser gekommen und hat das kalte Wasser zum heißen Wasser geleert und hat mit der Hand das Gemisch aus dem heißen und dem kalten Wasser geprüft, dann hat sie gesagt, «jetzt ist es gut, du kannst anfangen», dann ist sie in die Sommerküche zurückgegangen. Dein Vater war eine Art Rebell, der vor niemandem ein Blatt vor den Mund nahm. Du hast die Seife genommen, und vor dem Becken auf dem Holzschemel stehend hast du eine deiner Hände ins Wasser getaucht, hast mit deinem Handteller Wasser genommen, hast das Wasser auf deinen Arm rinnen lassen, auf deine Schultern, deinen Hals, deine Brust, und hast jede Stelle deines Körpers eingeseift. Du hattest deinen Vater nicht oft gesehen. Du hattest ihn nur wenige Monate im Jahr gesehen. Du hast das schmutzige Wasser von deinem Körper in das Plastikbecken tröpfeln sehen, du hast deine Haut gerieben und gesehen, wie sich eine graue Schaumschicht gebildet hat auf der Oberfläche des Wassers im Becken, und deine Großmutter hat dir von der Schwelle der Sommerküche aus zugeschaut. Als sie gesehen hat, dass du fertig warst, hat sie dir kaltes Wasser zum Abspülen gebracht, sie hat das kalte Wasser mit einem Eimer über dich geschüttet, und du hast die Rinnfäden des kalten Wassers in deinen Handflächen aufgefangen und hast kaltes Wasser auf deine Arme und deine Schultern und deinen Nacken laufen lassen, und da hast du zum ersten Mal geweint. Zum ersten Mal in deinem Leben, mit vierzehn, hast du geweint.
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Sie kommt in das Zimmer und geht auf die Babytragetasche zu, legt ihre linke Hand unter den Nacken des Kindes, das auf seiner rechten Seite liegt, schiebt die rechte Hand unter die Taille des Babys und hebt es aus seinem Nestchen an ihre Brust; geht ein paar Schritte im Zimmer, so, mit dem Kind an ihrem Körper, bleibt vor dem Bett stehen, legt das kleine Mädchen auf das Laken, auf die linke Seite, legt sich ebenfalls hin, auf die rechte Seite, ganz nah am Säugling, macht den Büstenhalter weg, um zu stillen, massiert einige Sekunden lang mit ihren Fingern ihre rechte Brust und führt, als die Kleine nach der Milch zu verlangen beginnt, die Brustwarze an ihren Mund.
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Aus dieser leeren Konservenbüchse kannst du etwas machen, du kannst sie mit Ölfarben bemalen, du kannst sie innen farbig ausmalen, du kannst sie als Behälter für deine Füllfederhalter und deine Bleistifte benutzen, du kannst ein paar deiner Hemdknöpfe darauf kleben, du kannst sie ins Wasser tauchen. Ich habe einmal auf einem Jahrmarkt leere Konservenbüchsen gesehen, die auf einer Theke zu einer Pyramide aufgetürmt waren. Die Leute machten sich einen Spaß daraus, sie mit Stoffbällen zu bewerfen und die Büchsen zu Fall zu bringen. Das kannst du spielen. Du kannst Löcher in diese Büchse machen, mit einem Nagel und einem Hammer. Du kannst sie auf deinen Rechner stellen, und ich würde von Zeit zu Zeit eine Rose mitbringen und sie hineinstellen.
Gestern Abend war diese Konservenbüchse noch voll. Es waren Bohnen darin. Du hast die Büchse oben aus dem Schrank geholt. Du hast die rechte Schranktür aufgemacht und hast, mit deiner rechten Hand, das Papier, das die Teeblätter bedeckte, herausgenommen; du hast es auf den Tisch gelegt und dich dabei etwas dem Küchenfenster zugewandt; du hast die Teeblätter genommen; du hast sie, eins ums andere, auf die sauberen Teller im Gestell gelegt; die Büchse stand ganz hinten im Schrank, und du hast sie mit deiner rechten Hand herausgenommen; du hast einen Schritt zur Seite gemacht, zum Herd hin, hast die Büchse auf die kleine Herdplatte gestellt und hast auf demselben Stuhl Platz genommen, auf dem du auch jetzt sitzt. Du kannst aus ihr dein Trinkglas machen.
Du kannst ein Spielzeug machen, für das Kind. Du stehst auf, gehst zwischen dem Tisch und dem Kühlschrank vorbei. Du machst zwei Schritte, bis zur Schwelle. Du trittst in den Eingangsraum, gehst durch den Eingangsraum zur Tür, legst die rechte Hand auf den Türknauf, drehst den Knauf um seine Achse und öffnest die Tür. Du gehst in deine Werkstatt, um deine Feilen zu holen, deine Zangen, deine Scheren, deine Lineale und deine Anreißer.
Du kannst ein Blechschiff machen. Ein kleines Segelschiff, mit zwei oder drei Masten; ein Schiff mit drei Decks. Du wirst auch die Seemänner machen, ebenfalls aus Blech; einen alten Frachter, mit Kaffeesäcken im Schiffsbauch, und Gewürzen und Weinfässern und Reis und Baumwolle; du kannst Seide hineintun, alte Jagdgewehre, Olivenölfässchen und Eichenholzplanken. Das Kind wird zufrieden sein. Ich habe ihr vorhin zugeschaut. Sie hat mit der Zahnpastatube gespielt; sie hat den Deckel abschrauben wollen, sie hat die Tube in der linken Hand gehalten und mit der anderen den Deckel abschrauben wollen.
Die Kette des Ankers kannst du aus Büroklammern machen. Die Segel werden Papiertaschentücher sein. Auf einem der Decks werden die Matrosen in den Kabinen von ihrem Leben erzählen. Du kannst ihnen eine große Schiffskantine machen. Mit einem langen Tisch, auf dem Kerzen stehen. Du kannst für den Kapitän eine Mütze machen. Er wird einen Bart haben und ein bisschen dick sein. Er wird zwei Pistolen am Gürtel tragen. Die Leutnants werden ihm treu ergeben sein, und du kannst deiner Tochter zeigen, wie sie über ihre Landkarten gebeugt diskutieren.
Die, die du da hast, ist eine große Konservenbüchse. Es gibt kleinere. Es gibt solche mit Tomaten im Saft. Es gibt Büchsen mit Spargeln und solche mit Champignons drin. Es sollten noch ein paar Thonkonserven da sein. Und Büchsen mit Ananas und ganzen Birnen. Irgendwo haben wir auch noch ein paar Büchsen Sardellen hingestellt. Aus ihnen kannst du Rettungsboote machen, gleich mehrere. Das Mädchen wird den Deckel der Zahnpastatube abschrauben und ihn auf diesem Blechschiff mitreisen lassen; zusammen werden sie alle Meere und alle Ozeane befahren.
* * *
Deine Großmutter hat aufgehört, kaltes Wasser in deine Handflächen zu gießen. Sie ist neben dir gestanden, auf der anderen Seite des Beckens, das mit Schmutzwasser gefüllt war, sie hat den Eimer mit dem kalten Wasser in der Hand gehalten und sich nicht gerührt. Du hast einen Moment lang geweint. Du hast deine Tränen ins Becken fallen sehen, hast deine Tränen ins Wasser tropfen und sich mit dem Schmutzwasser vermischen sehen. Du hast zu deiner Großmutter gesagt, «gieß!», und sie hat den Eimer mit dem kalten Wasser über deinen Kopf gehoben und hat kaltes Wasser auf den unteren Teil deines Rückens geleert. Bevor er der Mann deiner Mutter geworden ist, war dein Vater der Mann einer Tochter eines orthodoxen Priesters. Das war seine erste Ehe. Sie waren ein Jahr lang verheiratet, dann haben sie sich scheiden lassen. Dein Vater liebte die Frauen. Er war kein Schürzenjäger. Er liebte die Frauen einfach. Deine Mutter liebte er so, als würde sie alle Frauen verkörpern. Er polierte deiner Mutter die Schuhe, er bekochte sie oft mit gutem Essen, er machte ihr jeden Tag Geschenke und führte sie häufig auf Feste zum Tanzen aus. Deine Mutter liebte deinen Vater sehr. Sie liebte es nicht, dass dein Vater die Schönheit anderer Frauen sah, und sie liebte es nicht, dass dein Vater die Leute liebte. Dein Vater liebte die Leute. Er liebte die Leute, und er liebte auch die Leute, die der Einheitspartei angehörten. Dein Vater war unbezähmbar, und er liebte die Leute. Da bist du ihm ähnlich. Ansonsten bist du ein Original. Du bist eigen und niemandem ähnlich. Deine Großmutter ist in die Küche zurückgegangen und ist mit einem sauberen Tuch in den Händen wiedergekommen. Du hast das Tuch genommen und hast deinen Körper abgetrocknet, bis zum Gürtel deiner kurzen Hosen. Sie hat das Becken genommen und ist das Schmutzwasser in den Vorhof ausschütten gegangen. Sie ist wieder zu dir zurückgekommen und hat das Becken auf den Boden gestellt, neben den Schemel. Sie hat gesagt, dass du dich hinsetzen sollst, und hat kaltes Wasser ins Becken geleert. Sie hat den Besen aus der Küche geholt, ihn vor dir auf den Boden gelegt und gesagt, «jetzt putz deine Füße». Du hast deine Füße ins Wasser des Beckens getaucht und hast angefangen, sie einzuseifen. Du hast deine Füße gewaschen, deine Waden, deine Knie, deine Beine, bis auf die Höhe deiner Shorts. Du hast deine Füße auf den Besen am Boden gestellt und hast mit dem Tuch die Tropfen weggewischt, die noch auf deinen Beinen waren, auf deinen Fersen, auf deinen Knien, auf deinen Fußsohlen. Deine Großmutter hat dir deine besten Schuhe gebracht. Sie hat dir ein sauberes und gebügeltes Hemd gebracht. Sie hat dir eine frische Unterhose und eine Hose gebracht. Sie hat gefragt: «Hast du heute etwas gefangen?» Du hast ja gesagt, und sie hat gesagt, dass sie diesen Fisch für dich zubereiten werde, wenn du vom Begräbnis deines Vater zurück sein würdest, und sie hat gesagt, dass sie diesen Fisch im Kühlschrank deiner Tante aufbewahren werde. Sie hat gesagt: «Zieh deine Shorts aus, zieh deine Unterhose aus, leg sie auf den Boden, putz deinen Po und deinen Piepmatz!»
Mitten im Hof hast du dich ausgezogen und hast, im Becken stehend, den Rest deines Körpers gewaschen, du bist aus dem Becken gestiegen, du hast dich ein letztes Mal abgetrocknet, und du bist mit den sauberen Kleidern in der Hand zurück in die Sommerküche gegangen, du bist hineingegangen, um dich anzuziehen. Der Postbote hat an der Tür nach deiner Großmutter gerufen. Er hat gesagt, es sei noch ein Eiltelegramm gekommen. Es war das zweite Telegramm. Es war das erste Telegramm. Die Großmutter hat den Postboten gebeten, ihr dieses Eiltelegramm an Ort und Stelle vorzulesen. Sie hatte ihre Brille nicht dabei. Sie hat den Postboten lesen hören: «Dein Vater ist bei einem Autounfall schwer verletzt worden», da hat sie sich gesagt, dass er gar nicht tot sei, dein Vater. Sie hat sich gesagt, dass er vielleicht nur schwer verletzt sei. Sie hat sich vom Postboten verabschiedet und ist zu dir in die Sommerküche gegangen. Du hast ein bisschen Quark und ein Stück Brot gegessen. Sie hat die Tür zur Sommerküche aufgemacht, hat ein Huhn verscheucht, das sich auf einen Stuhl setzen wollte, und hat gesagt, «lies dieses Telegramm, da steht, dass er nicht tot ist, dein Vater!» Du hast das Telegramm gelesen, du hast die Augen deiner Großmutter angeschaut, sie waren voller Tränen, sie weinte, du hast sie einen Moment lang so angeschaut, ihr seid einen Moment lang dagestanden und habt euch angeschaut, ohne etwas zu sagen, dann hast du gesagt, «er ist tot, du weißt genau, dass er tot ist, voilà!»
Sie hat dich in die Arme genommen. Du warst damals gleich groß wie sie. Sie hat dich an sich gedrückt, sie hat dir einen Kuss gegeben und hat von irgendwo drei Geldscheine hervorgeholt, sie hat diese Geldscheine in deine Hand gelegt und hat gesagt: «Ab zur Beerdigung!»
Wenn er dich besuchen kam, kam er oft mit dem Taxi. Er mietete das Taxi für den ganzen Tag. Das Taxi hielt vor dem Haus, er stieg aus, er sagte zum Fahrer, er solle ein paar Minuten warten. Er betrat den Hof, er rief nach dir, und wenn du aus dem Haus kamst, sagte er, du sollst dich anziehen und mit ihm mitkommen. Er hatte immer ein Geschenk für die Großmutter dabei. Er wechselte draußen im Hof ein paar Worte mit ihr, dann sagte er, «bist du bereit?», und du kamst heraus, gabst deiner Großmutter einen Kuss und gingst mit ihm mit, hinein ins Taxi. Sobald ihr drin wart, beide auf der Rückbank, gab er dem Fahrer die Richtung bekannt: «In die Hauptstadt!», und der Wagen ist losgefahren.
Du hast an diese Reisen mit deinem Vater gedacht, und du wolltest Autostopp machen bis zur Stadt, in der seine Frau sein Begräbnis vorbereitete. Du bist zu Fuß die Straße entlanggegangen, und deine Kameraden aus der Schule und aus dem Viertel haben wie immer, wenn man sich auf der Straße begegnete, gefragt, «wohin gehst du?», und du hast geantwortet, «ich gehe an die Beerdigung meines Vaters!» Sie haben dich angeschaut, ohne etwas zu sagen, sie haben diese Worte gehört und haben sich verabschiedet, und du hast dich verabschiedet und bist weiter die Straße entlanggegangen, du hast den Leuten guten Tag gesagt, und sie haben dir guten Tag gesagt, und von Zeit zu Zeit, wenn du auf ihre Fragen geantwortet hast, hast du gesagt, «ich gehe an die Beerdigung meines Vaters!», «ich gehe an die Beerdigung meines Vaters!» Es gab eine bestimmte Stelle, an der die Leute Autostopp machten, um in die Stadt zu kommen, in der dein Vater lebte. Du bist dorthin gegangen und hast dich hingestellt, wie alle anderen, am Straßenrand. Du hast nicht lange warten müssen. Du bist in ein Auto gestiegen, du und noch zwei andere Personen, zwei Frauen, die wie du Autostopp gemacht haben. Ihr habt im Auto miteinander zu reden begonnen. Du hast ihnen gesagt, dass du an die Beerdigung deines Vaters gehst. Du hast dich an eine der Reisen erinnert, in die Hauptstadt, mit deinem Vater. Er hatte ein Zimmer in einem Grand Hotel reserviert. Ihr seid eine Woche lang in diesem Luxushotel geblieben. Jeden Morgen habt ihr das Frühstück aufs Zimmer bestellt. Nach dem Frühstück seid ihr in die Stadt aufgebrochen, und er hat dir Geschenke gekauft. Er hat dir einen Tennisschläger und einen Fotoapparat und mehrere Filme gekauft. Schwarzweißfilme, um Fotos zu machen. Er hat dir zwei Anzüge und mehrere Hemden gekauft, und ihr habt immer in verschiedenen Restaurants gegessen. Er wollte dir einige Orte auf dieser Welt zeigen. Er brachte dich an sehr unterschiedliche Orte. Du bist in diesem Auto gesessen, das dich in die Stadt brachte, in der dein Vater beerdigt werden würde, und du hast dich an eine der Reisen erinnert, die du mit ihm gemacht hattest. Wenn er dich abholte, hatte er viel Geld. Er gab mit dir alles Geld aus, das er dabei hatte. Wenn ihr wieder nach Hause kamt, hatte er kein Geld mehr. Wenn er dich mit dem Taxi abholte, gab er dem Taxifahrer Geld, er bezahlte dem Taxifahrer das Hotel und das Essen. Er sagte dem Fahrer, «das ist für Sie, aber Sie kommen nicht mit uns mit!» Er machte mit dem Taxifahrer Treffpunkte aus, und er zeigte dir die Stadt durch die Fensterscheibe des Taxis. Er hat dir Tennisbälle gekauft. Er hat dich in den Zirkus geführt und in einen großen Park der Hauptstadt, und in diesem Park hatte es einen großen See, auf dem er mit dir Boot gefahren ist und dir das Rudern beigebracht hat. Von deinem Vater hast du gelernt, wie man die Ruder hält und wie man rudert. Dein Vater mochte die Polizisten nicht. Er hatte dir mehr als einmal erklärt, dass die Polizisten keine echten Polizisten seien, weil sie die Einheitspartei verteidigten. Da die Einheitspartei nicht von Bedeutung war, waren die Polizisten, welche die Einheitspartei verteidigten, ebenfalls ohne jede Bedeutung. Jedes Mal, wenn er einen Polizisten sah, sagte dein Vater, «schau ihn an, den da, er hat keine Ahnung, dass er nur eine Marionette ist!» Du hast den Polizisten in Blau angeschaut, und du hast gesehen, du hast verstanden, dass dieses Polizistenblau eine Marionette war. Du hast Fragen gestellt, dir selbst, in deinem Kopf, über die Marionetten. Dir ist bewusst geworden, dass es menschliche Marionetten gibt. Du hast deinen Vater angeschaut, wie er andere angeschaut hat. Dir ist bewusst geworden, dass dein Vater, auch er, zu einer menschlichen Marionette wurde. Du bist an das Begräbnis deines Vaters gefahren, und du hast dich daran erinnert, dass du mit ihm warst, als du dir zum ersten Mal die Frage gestellt hast: «Werde auch ich eine Art menschliche Marionette sein?!»
Wenn ihr in den Restaurants der Hauptstadt zusammen aßt, lud dein Vater Frauen an euren Tisch ein, und er fragte dich, «willst du sie, diese Dame, als neue Mama haben?!» Er tat dies vor der neben dir sitzenden Frau, du hast die Frau angeschaut, du hast deinen Vater angeschaut, und du hast gesagt, «nein, ich brauche keine neue Mutter! Die Frau kann bei uns bleiben, sie stört mich nicht!» Bei jeder Frau, die dich und deinen Vater begleitete, hast du aufs Neue die Seite der menschlichen Marionette gesehen. Auch mir hat dein Vater etliche Frauen vorgestellt. Er wollte meine Meinung über ihre Schönheit wissen, und ich habe ihm gesagt, dass mein Haus das Haus meiner Söhne sei und dass die Welt schön sei und dass die Schönheit der Welt auch von diesen Frauen herrühre und von ihm selbst. Auch dir hat er Fragen über seine Frauen gestellt. Er hat deine Ansicht über die Frauen, mit denen er zusammenlebte, berücksichtigt. Du fuhrst zu seiner Beerdigung, und du wusstest, dass du an seiner Beerdigung seiner Frau begegnen würdest. Dir waren alle Begegnungen mit der neuen Frau deines Vaters im Gedächtnis geblieben. Nach der Scheidung von deiner Mutter blieb er dreizehn Jahre lang unverheiratet. Er hat nach dreizehn Jahren Ehelosigkeit wieder geheiratet. Während dieser dreizehn Jahre hat dein Vater viele Frauen geliebt. Er hat alle Frauen, denen er begegnet ist, geliebt. Auch ich habe alle Frauen, denen ich begegnet bin, geliebt. Auch du, ich weiß es, liebst alle Frauen, denen du begegnest. Du bist uns ähnlich, deinem Vater und mir, was das angeht. Aber du hast uns etwas voraus, deinem Vater und mir: Du nimmst sie alle mit dir mit, und du machst aus ihnen Wolken, von denen du Regen verlangst, wann immer du willst. Nach dem Tod deines Vaters bist du in diese Stadt im Flachland gekommen, wo du an sein Begräbnis gehen musstest. Du bist aus dem Wagen gestiegen, in dem du per Anhalter mitgefahren warst, und bist zu Fuß zum Haus gegangen, in dem dein Vater mit seiner neuen Frau, deiner Stiefschwester, der Mutter seiner Frau und der Großmutter seiner Frau gelebt hatte. Du hast die Leute angeschaut, die den Gehsteig entlanggegangen sind, und die Autos auf den Straßen. Du hast die Taxis angeschaut. Du hast in jedem Taxi deinen Vater gesehen. Alle Taxis fuhren in die Hauptstadt zum Begräbnis deines Vaters. Alle Taxifahrer von allen Taxis aßen in großen Gaststätten, und sie sprachen von der Beerdigung deines Vaters. Als du in der Straße, in der dein Vater wohnte, angekommen bist, hast du von weitem mehrere Taxis gesehen, die in der Nähe des Hauses deines Vaters geparkt waren. Ich hatte diese Taxis gemietet, damit sie während der Vorbereitungen zum Begräbnis zur Verfügung standen. Die Leute, die an das Begräbnis kamen, konnten diese Taxis benutzen, um sich in der Stadt zu bewegen. Wie alt war ich, als dein Vater starb? Dein Vater ist im Jahr des Erdbebens gestorben. Dein Vater ist ein paar Monate nach dem Erdbeben gestorben. Das Erdbeben hinterließ mehrere Tausend Tote. Dein Vater ist nicht bei diesem Erdbeben gestorben. Er ist danach gestorben. Als er starb, war ich siebenundsiebzig Jahre alt. Du hast an deine Mutter gedacht und an deinen Stiefvater, der seit langem mit ihr in einer anderen Stadt lebte. Deine Mutter und dein Stiefvater wussten, dass dein Vater dich ein paar Mal im Jahr im Taxi abholte. Du hast an deinen Onkel gedacht, den Bruder deiner Mutter. Auch er wusste, dass dein Vater es liebte, dich im Taxi abzuholen. Du hast an deine Tante gedacht, die Frau des Bruders deines Vaters. Du hast an deine Tante gedacht, die Schwester deiner Mutter. Du hast an den Mann der Schwester deiner Mutter gedacht. Du hast an mich gedacht, deinen siebenundsiebzigjährigen Großvater. Du hast an mich gedacht und an meine erste Frau, deine Großmutter, die starb, bevor du zur Welt kamst. Du kanntest sie nur von Fotos. Du hast an meine Frau gedacht, deine Stiefgroßmutter. Du hast an deine Großmutter mütterlicherseits gedacht, die mit einem Eimer aus Keramik Wasser über dich geschüttet hat, damit du sauber sein würdest für das Begräbnis deines Vaters. Du hast an deinen Großvater mütterlicherseits gedacht, du hast an deine Cousins und Cousinen gedacht. Du hast an deine Schulfreunde gedacht und an alle anderen Kameraden und Kameradinnen. Du hast an alle Nachbarn aller Häuser, die du kanntest, gedacht. Du hast an alle Passanten gedacht, die du je gesehen hast. Du hast an alle menschlichen Wesen gedacht, und du bist in den Hof des Hauses der Frau deines Vaters, der gerade in einem Unfall ums Leben gekommen war, getreten. Es waren viele Menschen im Hof, die du kanntest und die dich nicht kannten. Nicht alle wussten, dass du der Sohn des Verstorbenen warst. Du warst das einzige Kind des Verstorbenen. Du bist der einzige Sohn. Deine Mutter hat dir gesagt, du seist das Kind Gottes. Du bist als Gotteskind in diesen Hof getreten und hast die Leute angeschaut und nach bekannten Gesichtern gesucht. Du hast Leute gesehen, an denen du den Widerschein der Einheitspartei gesehen hast, und du hast Leute gesehen, an denen du den Widerschein der menschlichen Marionette gesehen hast. Dir ist bewusst geworden, dass am Begräbnis deines Vaters Leute jeder Art waren. Du hast mich gesehen, du bist auf mich zugekommen, und wir haben uns umarmt. Ich hatte Tränen in den Augen, als ich dich zum Begräbnis deines Vaters habe kommen sehen, aber du hast nicht geweint. Du hast gefragt: «Wo ist Papa?», und ich habe geantwortet, dass er noch in der Leichenhalle sei. Wir beide sind mehrere Minuten einander gegenüber gestanden, ohne etwas zu sagen. Wir haben uns in die Augen gesehen oder den Himmel angeschaut oder die Leute, die an das Begräbnis deines Vater gekommen waren. Wir sind so stehen geblieben, bis zu dem Moment, in dem dein Onkel, mein anderer Sohn, gekommen ist, um dich zu begrüßen, und ich habe dich in seinen Armen weinen sehen, und ich wusste, dass du zum zweiten Mal in deinem Leben weintest und dass du beim Weinen an die Mutter deines Vaters und an die Beerdigung deines Vaters dachtest. Als du zu weinen aufgehört hast, hast du dich zu mir umgedreht und gesagt, «der Tod ist eine Marionette, Großvater!»
Erinnerst du dich? Dann kamen Leute, um dir zu kondolieren. Leute, die deinen Vater kannten. Alle haben dir nur Gutes von ihm erzählt. Du wusstest, dass die Leute den Tod nicht mochten. Du hast den Tod auf dem Gesicht jeder Person, die an die Beerdigung deines Vaters gekommen war, gesehen. Seit dem Tag des Begräbnisses deines Vaters kannst du den Tod in jedem Gesicht sehen. Du kannst den Tod in deinem Gesicht sehen. Du schaust dich im Spiegel an und kannst das Gesicht der Marionette sehen, das deines überdeckt. Du schaust im Spiegel die Marionette an, und sie schaut dich an. Du schaust sie an, bis sie ihren Blick abwendet. Dein Onkel war mit seiner Frau gekommen. Dein Vater mochte die Frau seines Bruders nicht. Als dein Cousin geboren wurde, lag deine Großmutter auf dem Sterbebett, und einer ihrer letzten Wünsche war, ihren ersten Enkel noch zu sehen. Die Frau deines Onkels wollte mit dem Kind nicht zu ihr kommen. Sie wollte der Großmutter, die auf dem Sterbebett lag, das Kind nicht zeigen, und dein Vater, der Tag und Nacht am Bett seiner kranken Mutter wachte und von ihrem Wunsch wusste, ihren Enkel noch vor ihrer Reise ins Himmelreich zu sehen, er, dein Vater, ist zum Haus seines Bruders gegangen und hat das frisch geborene Kind mitgenommen, um es seiner Mutter zu bringen. Die Großmutter hat ihren ersten Enkel gesehen und ist ein paar Stunden später gestorben, im Seelenfrieden. Um das Kind seiner Großmutter zu zeigen, musste er seine Schwägerin mehrmals ohrfeigen. Dein Onkel wollte dazwischengehen, aber er hat es nicht getan. Im Haus deines Onkels hat die Frau die Hosen an. Dein Onkel wollte seine Frau dazu bringen, mit dem Kind zur Großmutter zu gehen, aber sie wollte nichts davon wissen. Dein Vater hat ihnen gesagt, dass er imstande sei, ihnen beiden die Fresse zu polieren, wenn sie nicht bald begreifen würden, worum es ginge. Dein Onkel hat sehr wohl verstanden, worum es ging. Er hat deinen Vater machen lassen. Dein Vater hat ein Taxi genommen, und beide sind sie hingefahren. Dein Vater hat den Jungen seiner Großmutter gezeigt, sie hat ihn einige Sekunden lang in ihre Arme genommen, dann hat sie ihn deinem Vater zurückgegeben. Sie hat sich bedankt und gesagt, «bring ihn jetzt zu seinen Eltern zurück!» Dein Vater ist mit dem Kleinen im Taxi wieder zurückgefahren. Er hat das Kind in die Arme der Frau deines Onkels gelegt und hat ihr gesagt, sie sei eine blöde Kuh. Seit jenem Tag haben dein Vater und die Frau deines Onkels nicht mehr miteinander gesprochen. Die Frau deines Onkels ist mit ihrem Mann an die Beerdigung deines Vaters gekommen. Sie ist zu dir hingekommen und hat dir etwas Geld gegeben. Du hast das Geld genommen, hast «danke» gesagt und bist mit deinem Onkel zur Leichenhalle gefahren, mit dem Auto. Du bist, neben deinem Onkel, im Auto gesessen, und du hast dich daran erinnert, dass er ein Auto mit Handschaltung besaß. Du bist in seinem Auto gesessen und hast an deinen Vater gedacht, der sagte, dass die Frau deines Onkels boshaft sei, weil sie krank gewesen war und diese Krankheit nicht richtig überwunden habe. Dein Vater hatte gesagt, dass die Frau deines Onkels an einem Krebs erkrankt war. Sie hatte Brustkrebs gehabt. Sie hatte akzeptieren müssen, dass man ihr beide Brüste entfernte. Sie war wegen ihrer Krankheit boshaft geworden. Sie hatte in die Operation eingewilligt und überlebt. Sie lebte die Boshaftigkeit einer Frau aus, die sich für schön hielt, aber keine Brüste mehr hatte. Dein Vater sagte, dass sie ihren Mann an der Nase herumführe. Dein Vater konnte sie nicht ausstehen. Er wollte sie nicht mehr sehen. Dein Vater sagte, dass sein Bruder der Sklave seiner Frau sei. Dein Vater änderte seine Meinung niemals. Was das betrifft, bist du ihm ein bisschen ähnlich. Du sagst, dass du das, was du sagst, niemals zurücknimmst. In anderer Hinsicht bist du aber weder deinem Vater noch deinem Onkel noch mir ähnlich. Du bist wie der Fluss, in dem du Fischen gelernt hast. Ob du unter den Brücken durchgehst oder sie überquerst, du bittest diejenigen, die dich ihren Gesetzen und ihren Regeln unterwerfen wollen, nicht um Verzeihung. Du unterwirfst dich allen Gesetzen und allen Regeln. Dein Onkel unterwirft sich zweierlei Gesetzen. Er unterwirft sich den Gesetzen der Einheitspartei und den Gesetzen seiner Frau. Dein Onkel fährt dich zur Leichenhalle, in der dein Vater ruht. Er ist einer der Höchsten der Einheitspartei. Dein Onkel ist ein Betriebsdirektor. Er leitet ein Unternehmen der Einheitspartei. Dein Onkel ist ein Ingenieur, der der Einheitspartei unterstellt ist. Er stoppt den Wagen einige Meter neben einem der Eingänge der städtischen Leichenhalle. Er sagt, er gehe die Formulare ausfüllen, die nötig sind, um deinen Vater aus der Leichenhalle holen zu lassen. Du bleibst im Wagen sitzen und denkst an die Fotografie, auf der deine Mutter und dein Vater sich am Tag ihrer Hochzeit haben fotografieren lassen. Deine Eltern haben auf dem Standesamt und in der Kirche geheiratet. Du siehst deine Mutter im Hochzeitskleid und deinen Vater im schwarzen Anzug an ihrer Seite, und du siehst den Ehering deines Vater an einem der Finger seiner rechten Hand. Deine Eltern haben eine große und schöne Hochzeit gefeiert. Du denkst an deine Großmutter, die im Haus auf dem Land nahe dem Fluss geblieben ist. Wenn deine Mutter, nach ihrer Scheidung, für mehrere Tage auswärts arbeiten war, kam dich dein Vater manchmal nachts besuchen. Er ließ das Taxi wieder abfahren und klopfte an die Tür, doch deine Großmutter erlaubte ihm nicht, dich in der Nacht zu besuchen, und sagte, «leg dich oben im Heuboden schlafen, und morgen früh wirst du ihn sehen, deinen Sohn!» Dein Vater schlief im Heu des Heubodens, und am Morgen machte er mit deiner Großmutter und mit dir Witze darüber, was für einen Schnitzer er sich geleistet hatte, deine Großmutter nachts, wenn für gewöhnlich alle Welt schläft, zu belästigen und dich besuchen zu wollen. Dein Vater hatte allerlei Angewohnheiten. Diesbezüglich übertriffst du ihn. Er bat deine Großmutter immer um Entschuldigung, und sie liebte ihn sehr, besonders dafür. Du hast deinen Onkel zum Auto zurückkommen sehen, er ist neben dir eingestiegen, und er hat gesagt, dass dein Vater durch eine andere Pforte aus der Leichenhalle gebracht werde.
* * *
Sie frisiert ihre Puppen mit ihrem eigenen Kamm, dem weißen. Sie streicht mit diesem Gegenstand über die Haare ihrer Puppen, sie spricht mit den Puppen, während sie sie frisiert, sie macht Handbewegungen in der Luft, sie befühlt die Kleider der Puppen und ihre Körper aus Plastik.
Ich wünsche mir, dass du ihr dieses Schiff machst. Sie könnte alle ihre Puppen an Bord setzen. Sie bewegt sich vorwärts wie ein Uhrlaufwerk, das aus dem Gehäuse gesprungen ist und sich fortbewegt. Sie hakt sich mit gekrümmten Zehen am Parkett fest und steht auf, und ihr Körper schwankt auf den Fußsohlen. Sie ist eine Kaskade, sie ist ein Tick-Tack; sie macht einen Schritt, tick; einen nächsten Schritt, tack. Sie setzt ihren linken Fuß auf ihren Holzdrachen, tick: ihr rechter Fuß berührt die Bettdecke, tack. Sie geht auf den Wickeltisch zu, tick-tack, tick-tack, tick, tack, tick, tack. Ihre Beine zeichnen Ticks und Tacks in den Raum. Du hast es gesehen: Sie hat die Konservenbüchse, die voll war, mit ihren Händen greifen können: Sie hat sie hochheben können, und sie hat sie in ihren Händen wenden können, als wäre die Konservenbüchse ihr Spielzeug, ein riesiges Bonbon, ein Stein, eine Waage. Sie hat die Büchse auf den Tisch gestellt und hat mit der rechten Hand den Korkenzieher genommen, hat ihn in ihren Mund gesteckt und mit ihren sechs Zähnchen in den Korken gebissen. Tick-Tack.
Das Schiff wird den Namen Tick-Tack tragen. Sie wird es so nennen. Du kannst in blauer Farbe und mit einem feinen Pinsel «Tick-Tack» auf den Schiffsrumpf schreiben. Sie wird diese Worte anschauen, wie sie die Worte angeschaut hat, welche auf der Konservenbüchse standen. Sie hat das aufgeklebte Papier von allen Seiten angeschaut. Das Schiff wird Korkenzapfen und schön frisierte Puppen transportieren. Die Handelsware wird gut verstaut im Schiffsbauch liegen, und der Kapitän wird darüber wachen, dass sie vor Wind und Wetter geschützt ist. Du stehst auf, sagst den Namen des Kindes, schaust, wie sie sich dir nähert, lächelst sie an, und als sie ganz nah ist, beugst du dich nach vorne, mit offenen Armen, und nimmst sie in deine Arme. Sie schmiegt sich an deine Brust, mit den Armen um deinen Hals geschlungen und dem Kopf auf deiner Schulter. Du hältst sie mit der linken Hand fest, und mit der anderen streichst du ihr über den Rücken. Du machst einen Schritt und noch einen Schritt und noch einen Schritt und noch einen Schritt. Du machst mit dem Mädchen in deinen Armen Schritte im Haus und sprichst mit ihr und streichelst ihren Rücken, bis sie einschläft. Du gehst aus dem Wohnzimmer und in das Badezimmer. Du stellst dich mit dem Rücken zum Spiegel, dann drehst du den Kopf zum Spiegel, und du siehst, wie sie atmet, die Lider geschlossen.
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Dein Onkel hat den Motor seines Autos angelassen, hat den ersten Gang eingelegt und ist losgefahren. Er ist langsam bis zum Ausgang des großen Hofes des Krankenhauses vorgefahren. Unmittelbar neben dieser Hofpforte des Krankenhauses hat er angehalten und gesagt, dass dein Vater in einem Kastenwagen zu ihm gebracht werde. Dein Onkel hat darauf gewartet, den Kastenwagen mit deinem Vater vorbeifahren zu sehen. Er hat sich eine Zigarette angezündet. Der Motor des Autos deines Onkels lief. Die Scheiben der Vordertüren des Autos waren heruntergekurbelt. Er schaute fortwährend links hinaus, zu einer Ecke des Gebäudes, das den Weg verdeckte, den der erwartete Kastenwagen nehmen würde. Er hat den Kastenwagen erblickt. Er hat gesagt, «schau, da ist er, in diesem Kastenwagen drin!», und du hast den Kopf in die Richtung gedreht, die er mit seiner rechten Hand angezeigt hat, und du hast den Wagen gesehen, der langsam vorgefahren ist. Du hast diesen weißen Wagen von vorne gesehen und hast nicht aufgehört, ihn anzuschauen, du hast ihn an euch vorbeifahren sehen, der Wagen ist durch das große offene Tor des Spitalhofes gefahren, und du hast auf der hinteren Ladefläche des Kastenwagens einen Sarg gesehen, der die Ladefläche um einige Dutzend Zentimeter überragte, und dein Onkel ist losgefahren, und er ist dem Wagen mit dem grauen Sarg, von dem du deinen Blick nicht abwenden konntest, gefolgt, und dein Vater war tot, und sein Leichnam ruhte in diesem grauen Sarg, der auf den Straßen deiner Geburtsstadt transportiert wurde. Du hast den Sarg deines Vaters nicht aus den Augen verloren. An jedem Rotlicht hielt das Auto deines Onkels dicht hinter dem Sarg deines Vaters an. Du sahst diese Kiste, in der dein toter Vater eingeschlossen war. Es war nicht der Sarg selbst, der dich etwas Neues lehrte, und es war auch nicht der Gedanke an den Leichnam, der dir etwas Neues brachte. Du warst ein genauer Betrachter dieser Särge und dieser Leichname. Du warst ein Lehrling des Todes und seiner Rituale. Du hattest Särge gesehen und Tote, aber du hast etwas anderes gefühlt, du hast gewusst, dass du einen neuen Schritt machen würdest, du hast vibriert wie damals im Schwimmbad mit deinem Vater, mit sechs Jahren, als du noch nicht schwimmen konntest und du dich am Geländer entlang der Betonwände festgeklammert hast und deinen Vater vom Sprungbrett hast springen sehen, bis zum Moment, in dem du gespürt hast, dass du zu schwimmen angefangen hattest, du hast vibriert und hast dich gehenlassen und hast dich ganz alleine vorwärtsbewegt, und du bist geschwommen wie alle anderen, du bist zum ersten Mal geschwommen, ohne es zu lernen, ohne Unterricht, ohne irgendeine Hilfe hast du angefangen zu schwimmen, deinem Vater entgegen, und als du in seiner Nähe warst, hast du ihn gerufen, und er hat sich auf der Stelle schwimmend umgedreht, und du hast sein erstauntes Gesicht gesehen und hast ihn sagen hören, «wie hast du das geschafft?», und diesmal vibrierst du vor diesem Sarg mit deinem toten Vater drin, und du erkennst in dieser Vibration einen Schritt, einen Aufflug, eine Befreiung, eine neue, seltene Wahrnehmung, du weißt, dass jede Vibration dieser Art dir einen der Schlüssel zur Welt bringt, und du lässt es geschehen, du lässt dich vibrieren, du weißt, dass du nichts tun musst, dass du dir keine Fragen stellen musst über die Vibration und ihren Sinn, du vibrierst und wartest auf die Entdeckung, wartest darauf, zu sehen, wohin dich die Vibration trägt, du vibrierst immer stärker, du siehst den Sarg einige Zentimeter über die Ladefläche des Kastenwagens rutschen, du weißt, dass dein Vater in diesem Sarg drin ist, du schaust deinen Onkel an, der fährt, du schaust zum Fenster des Autos hinaus, du siehst Menschen, Häuser, Hochhäuser, Läden, Männer, Frauen, Kinder, du schaust auf den Asphalt der Straße, dann lenkst du deinen Blick zurück zum Kastenwagen, der den Sarg transportiert, in dem sich der eingeschlossene Leichnam deines Vater befindet, du vibrierst und versuchst zu verstehen, was du zu verstehen beginnen musst. Du siehst das Gesicht deines Vaters bei den verschiedenen Gelegenheiten, in denen du mit ihm zusammen warst, du siehst deinen Vater mit einigen seiner Bauarbeiter sprechen, du siehst deinen Vater mit deiner Mutter sprechen, du siehst deinen Vater mit mir sprechen, du siehst ihn mit den Verkäuferinnen in den Läden sprechen und mit den Kontrolleuren im Zug, du siehst deinen Vater mit seinen Vorgesetzten sprechen, du siehst alle diese Gesichter deines Vaters, und dir wird bewusst, dass das Vibrieren dich in diese Richtung treibt, in die Richtung der Gesichtsausdrücke deines Vaters, die Vibrationen haben nichts mit dem Tod zu tun, die Vibrationen führen nicht zu den Marionetten, du wirst zu den Bildern geführt, die du von deinem Vater hast, und du gehst diese Bilder von deinem lebenden Vater durch, und du hältst inne, hältst diese Bilder von deinem lebenden Vater fest, und dir wird bewusst, dass du nur vor diesem Bild vibrieren musst. Mit diesem Bild im Hinterkopf schaust du deinen Onkel an, der das Lenkrad steuert und dem Kastenwagen folgt, der deinen Vater in einem Sarg transportiert, und du siehst die Szene wieder vor dir, in die sich dieses Bild deines Vaters, auf das sich deine Vibrationen konzentrieren, einfügt: Dein Vater liegt im Bett, neben dir, an einem Sommermorgen, und ihr lest beide in einem Buch, jeder auf seiner Seite, zugedeckt mit einem weißen Laken, das beschmutzt ist von der Asche der Zigaretten, die dein Vater raucht, dein Vater liest einen Krimi, und du liest ein Buch, in dem Kampfflugzeuge des Zweiten Weltkrieges beschrieben sind, ihr seid in einem der Zimmer in einer der Baracken der Baustelle, auf der dein Vater arbeitet, und in diesem Zimmer befinden sich, außer des Feldbetts, ein Tisch ohne Tischtuch, zwei Stühle, ein Elektrokocher, der auf dem Linoleumboden steht, vier Kleiderbügel, die an einem Nagel hängen, zwei Reisekoffer voller Kleider, zwei Nachttische auf beiden Seiten des Bettes. Es ist ein Sonntagmorgen, und die meisten Bauarbeiter schlafen. Am Abend zuvor haben sie gefeiert und viel getrunken und über alles und nichts geredet. Sie haben über die regionale Fußballmannschaft geredet und über die Einheitspartei, haben Schach gespielt, haben über die Frauen und den Materialklau auf der Baustelle geredet, sie haben sich gegenseitig angebrüllt und haben einander beschimpft, sie sind in kleinen Grüppchen von Freunden an den Tischen gesessen und haben über ihren Lohn gesprochen und über ihre Arbeitsbedingungen. Dein Vater und du, ihr lest im Bett ein Buch, und von draußen ruft jemand nach deinem Vater. Dieser Jemand brüllt den Namen deines Vaters, und dir wird klar, dass der Mann, der hinter der Tür nach deinem Vater ruft, besoffen ist, und du schaust deinen Vater an, der zuhört, was er sagt, und du erfährst von deinem Vater, dass der hinter der Tür einer der Vorarbeiter der Baustelle ist. Der Mann hinter der Tür beschimpft deinen Vater und schreit, und du siehst deinen Vater, wie er das Laken zurückschlägt und aufsteht, auf den Tisch zugeht, sein butterverschmiertes Küchenmesser vom Tisch nimmt, zur Zimmertür geht, mit dem gewöhnlichen Messer in der Hand, die Türe öffnet und fragt: «Was willst du?»
Dein Vater hatte Angst gehabt, er hatte geglaubt, dass der Vorarbeiter ihn vermöbeln wollte. Du siehst das Bild deines Vater, im Profil, einige Zentimeter vom Tisch entfernt, in Unterhosen, mit dem Buch in der linken Hand und dem Messer in der rechten, sein Gesicht wie eine Marionette im Kasperletheater, dein Vater hat Angst gehabt vor seinem besoffenen Untergebenen, und er hat das Küchenmesser genommen und hat die Tür mit dem Messer in der Hand geöffnet. Der andere hat gebrüllt: «Es hat in der Nacht einen Toten gegeben. Einer unserer Arbeiter hat einen elektrischen Schlag bekommen in den Tiefgeschossen der Baustelle. Er ist auf ein schlecht isoliertes Kabel getreten und ist ums Leben gekommen. Es ist der Verantwortliche des Stromaggregats.» Du hast gesehen wie die Arme deines Vater sich gesenkt haben und wie die Finger seiner Hände sich gelockert haben, du hast das Buch und das Messer auf den Boden fallen sehen, du hast alles gehört, und du hast die Beschreibung eines Jagdfliegers zu Ende gelesen und hast die Seite umgeblättert. Du schaust deinen Onkel an und den Sarg mit deinem Vater darin, und du vibrierst nicht mehr. Du fürchtest dich vor nichts. Du bist schlimmer als dein Vater. Du siehst die Angst in jedem ihrer Verstecke. Du siehst, wie die Angst die Atmung der Leute lähmt. Du siehst, unter welchen Formen sie diese Symbiose zwischen der Luft, die sie nährt, und der Angst verstecken. Es gibt kein Leben ohne Angst. Du bist der einzige, der weiß, dass die Angst jedes Gesicht beherrscht. Die Angst ist eines der Elemente, die die Welt am Laufen halten. Es gibt einige Philosophen, die dies verstanden haben. Du bist kein Philosoph. Die Philosophen, die Wissenschaftler, die Kleriker, die Künstler, die Politiker, die Ökonomen und die Polizisten jeglicher Art haben allesamt Angst. Du, du bist das Gegenteil der Angst. Deine Rolle auf Erden ist es, die Särge in Bäume zu verwandeln. Du siehst, dass der Kastenwagen und das Auto deines Onkels in die Straße, in der die Frau deines Vater wohnt, einfährt, und du siehst den Kastenwagen vor dem Haus, in dem die sterblichen Überreste deines Vaters abgesetzt werden, anhalten.
* * *
Sie schafft es, von einigen Kugelschreibern den Deckel abzumachen. Sie kann sie sogar wieder aufsetzen. Wenn sie die beiden Hälften auseinandernimmt, ist es, wie wenn man im Zimmer das Licht anmacht, beim Nachhausekommen, abends. Du öffnest eine deiner mit Papier vollgestopften Schubladen und nimmst mehrere weiße Blätter heraus. Du legst sie auf den Boden, vor das Kind, nimmst seine Hand, die den Kugelschreiber hält, in deine Hand und lässt sie über das Papier fahren, und du siehst es die Tintenspur anschauen und hörst es seine eigenen Wörter sprechen. Du nimmst ein Blatt, und als erstes faltest du es zusammen. Du legst das gefaltete Blatt mit dem Falz gegen dich auf den Tisch, du nimmst die beiden Ecken des Papiers, die gegen dich gerichtet sind, und führst sie zur Mittelachse des Blattes, dann faltest du sie und machst ein Dreieck. Danach faltest du ein Rechteck nach dem anderen gegen das Dreieck, nimmst das Blatt hoch, steckst die rechte Hand in diese Papiertasche hinein und öffnest sie, indem du die Seiten des Dreiecks nach innen klappst. Du öffnest die Tasche, du hältst die beiden gefalteten Enden gut fest und ziehst sie, mit deinen Fingern, langsam, auseinander. Du kannst dieses Papierschiff machen. Es wird zwei Schiffe im Haus geben.
* * *
Der Name der Firma, bei der du arbeitetest, stand darauf gedruckt. Du weißt nicht, aus welchem Grund einer deiner Vorgesetzten dir hätte schreiben sollen, und du hast diesen Brief genommen, um ihn zu öffnen, und du hast das Schlimmste befürchtet: Du hast erwartet, dass du entlassen würdest, weil ihr damals wenig Arbeit hattet. Du hast ihn aus dem Stoß genommen und beiseitegelegt: «Ich werde ihn als letzten lesen!», und deine Hände haben unmerklich vibriert, wie Kartoffeln, die, eine gegen die andere geklemmt, in einem Kochtopf ohne Deckel vor sich hin kochen.
Du hast den Rest der Post geöffnet und immer an den beiseitegelegten Brief gedacht. Er hat in einem grauen Umschlag gesteckt, und du hast eine schlechte Nachricht befürchtet, weil für Feierlichkeiten üblicherweise glänzende und für Gehaltskürzungen oder Entlassungen dunkle Umschläge verwendet werden. Er war der kleinste von allen, und trotz seiner Farbe machte er den «korrektesten» Eindruck, die «Prioritaire»-Briefmarke war fein säuberlich oben in die rechte Ecke geklebt, die Adresse in großen, gedruckten Buchstaben geschrieben, der Ortsname unterstrichen.
Du hast ihn in beide Hände genommen, wie man einen vollen Teller hält, wenn man hungrig ist. Du hast ihn einige Sekunden lang angeschaut, hast ihn zwischen den Fingern gedreht und hast ihn mit Hilfe des Brieföffners deiner Frau aufgemacht:
«Monsieur
Zur Geburt Ihrer Tochter möchten wir Ihnen ganz herzlich gratulieren. Wir wünschen der Mutter und dem Kind alles Gute. Freundliche Grüße
ALLGEMEINE PLAKATGESELLSCHAFT»
Du hattest ihn rasch gelesen, und mit einem Lächeln hattest du ihn in eine Mappe aus hellblauem Karton gelegt.
* * *
Das Auto deines Onkels steht hinter dem weißen Kastenwagen, und ihr steigt aus und nähert euch dem Sarg, und du berührst ihn mit deinen Fingern, und du siehst auf einer Seite des Sarges den Namen und den Vornamen deines Vaters in silbernen Buchstaben auf das Holz geschrieben. Dein Onkel hat dich an der Schulter genommen und gemeint, du sollst in den Hof gehen. Du bist ihm gefolgt und hast dich unter die Schar der Menschen gemischt, die zum Begräbnis deines Vaters gekommen waren. Sie haben dich angeschaut wie man einen vierzehnjährigen Jungen anschaut. Sie wollten dich trösten, und du hast auf ihren Gesichtern die zarte Spitze des Mitleids gesehen. Du hattest kein Mitleid mit ihnen, du hast zu mir geschaut, und ich bin zu dir hinübergekommen mit einer Schachtel Kerzen in der Hand, und ich habe dir diese Kerzen gegeben, damit du sie anzündest und in den improvisierten Kerzenständer im Eingang des Hauses stellst. Es gab da diesen Kerzenständer, einen mit Sand gefüllten Behälter aus Weißblech, und die Leute zündeten Kerzen an und steckten sie in den Sand, es waren Hunderte von Kerzen, die für das Licht deines Vaters und für seine Vergebung brannten. Die Leute hielten dich einfach für ein Kind. Nur deine Mutter, du und ich wussten, dass du ein Kind Gottes warst. Aber das kümmert dich nicht. Du verschlingst alle Definitionen. Bei dir hört es weder bei den Worten noch bei ihrer Bedeutung auf. Bei dir hört es weder bei der Wahrnehmung der fünf Sinne noch bei den gängigen Analysemethoden auf. Du suchst die Wahrheit auf deine Weise, und du bist insofern einzigartig, als all das, was die anderen in den Begriff «Wahrheit» packen, für dich nur eine Geringfügigkeit ist. Du hast die Kerzen genommen und hast sie in den Sand gesteckt, in eine Ecke des Behälters, dann bist du in die Küche eine Schachtel Streichhölzer holen gegangen, bist wieder zurückgekommen und hast alle Kerzen angezündet. Während du die Kerzen angezündet hast, haben sie deinen Vater in das Haus gebracht, und du hast sie den Sarg tragen sehen, und sie sind ganz nahe an dir vorbeigekommen, da du gleich neben der Tür standest, und du hast den Sarg von unten gesehen, hast die Holzleiste am Boden des Sarges gesehen und hast sie sagen hören: «Achtung Schwelle, Achtung Schwelle!» Die Frau deines Vaters ist auf dich zugekommen und hat dich bei der Hand genommen, und ihr seid zusammen in einen Raum neben dem Totenzimmer gegangen. Es war niemand sonst in diesem Zimmer, und die Frau deines Vaters hat auf der Bettkante Platz genommen, und du hast dich auf ein Kissen gesetzt, und sie hat angefangen, dir die Geschichte des Unfalls zu erzählen. Dein Vater hatte seit langem vorgehabt, vor Gericht das Sorgerecht für dich zu erlangen. Er wünschte sich von ganzem Herzen, dich in seiner Nähe zu haben, in seinem neuen Haus. Er wollte dich auf seine Weise erziehen. Er wollte dir vorschlagen, auf ein Sportinstitut zu gehen. Er hatte vor, aus dir einen Leistungssportler zu machen. Er glaubte, alle seine Absichten seien gut. Während er darauf wartete, dich in seiner Nähe zu haben, wollte er zwei Räume bauen, ganz für dich allein, in diesem Hof, angebaut an die alte Mauer. Er wollte schnell machen, da du schon vierzehn warst und dich für eine Fachoberschule entschieden hattest und diese Wahl nicht in seinem Sinne war. Er konnte zu einem günstigen Preis Backsteine beschaffen, die für den Bau deiner zwei Zimmer notwendig waren, und er ist, am Tag seines Todes, auf den Laster gestiegen, der beladen war mit diesen Tausenden von Backsteinen, und er hat dem Fahrer gesagt, dass der Laster aussehe wie ein rollender Sarg, und sie haben gelacht, der Fahrer, ein Arbeiter deines Vater, sie haben gelacht, und so sind sie losgefahren, mit fünf anderen Arbeitern auf der Wagenladung, ganz hinten im Laster, in einer Nische aus Backsteinen, die sie abzuladen hatten. Es waren etwas mehr als hundert Kilometer zu fahren, sie dachten schon an das Feiern nach der Arbeit. An einem Abhang, der als gefährlich galt, hat der Fahrer in den Leerlauf geschaltet und hat den Lastwagen einfach rollen lassen, und der Lastwagen hat immer mehr an Geschwindigkeit gewonnen, und der Fahrer hat mehrmals gebremst, aber die Bremsen des Lastwagens haben versagt, und dem Fahrer ist es nicht gelungen, wieder einen Gang einzulegen, und in einer Kurve konnte er der Straße nicht mehr folgen, und der Lastwagen ist umgekippt und von der Straße abgekommen und hat sich mehrmals überschlagen, bis er unten zum Stillstand gekommen ist, hundert Meter weiter unten. Die fünf Bauarbeiter, die sich auf der Ladebrücke befanden, und derjenige in der Kabine, waren auf der Stelle tot. Dein Vater ist zwei Tage später im Spital gestorben. Der Fahrer blieb unverletzt, da er klein war und sich unter die Armatur des Lastwagens hat retten können. Er hat nicht einen Kratzer davongetragen. Falls du ihn sehen willst, um mit ihm zu sprechen, er ist hier, im Hof, er ist hier und weint die ganze Zeit. Dein Vater ist tot und liegt in seinem Sarg, der auf einem Tisch in einem der Zimmer des Hauses seiner Frau steht. Sie haben den Deckel des Sarges abgenommen. Er ist in einen schwarzen Anzug gekleidet und trägt eine schwarze Krawatte um den Hals, seine Arme sind auf dem Bauch gekreuzt und die Finger seiner Hände sind gefaltet, sein Hemd ist weiß, und er hat neue Schuhe an, die er nie getragen hat. Der Kopf deines Vaters ruht auf einem bestickten Kissen. Der Körper deines Vaters liegt auf einem weißen Laken. Dein Vater hat einen weißen Schnauzbart. Du hast deinen Vater noch nie mit einem Schnauzbart gesehen. Dein Vater hat nie einen Schnauzbart getragen. Dein Vater hat sich jeden Tag rasiert und hat nie einen Bart oder einen Schnauzbart getragen. Seit ein paar Tagen trägt dein Vater einen Schnauzbart. Dein Onkel hat denen, die in der Leichenhalle arbeiten, die die Leichname waschen, sie einkleiden und rasieren, kein großzügiges Trinkgeld gegeben. Dein Onkel kannte die Gepflogenheiten der Leute, die in der Leichenhalle arbeiten, nicht. Er hat sie nicht bezahlt, und sie haben sich gerächt, sie haben deinem Vater einen Schnauzbart stehen lassen, und dieser Schnauzbart ist weiß. Du stehst am Kopf des Sarges und schaust deinen Vater an, der ausgestreckt in der Holzkiste liegt, du hebst deinen Blick und schaust zu den anderen Anwesenden im Totenzimmer und siehst sie ratlos oder unwissend. Sie wissen nicht, wer du bist, dass du sie so musterst, ihre Kleider anschaust und ihre Hände. Du hast den Ausdruck eines Burschen, der mit seinem Körper da ist und mit seiner Seele bei seinem Vater, der tot ist.
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Ich werde ihr jetzt die Windeln wechseln. Ich nehme sie hoch und setze sie auf das Bett. Ich gebe ihr einen Plastikwürfel, öffne die drei Knöpfe ihres Bodys, ziehe den unteren Teil des Kleidungsstücks bis zum Bauch hoch, löse die Laschen der Pampers, nehme mit der linken Hand die Füße des Kindes, hebe sie hoch, ziehe die schmutzige Windel hervor und reinige mit mehreren Feuchttüchern die Haut des Kindes, die Schamlippen ihres Geschlechts, von oben nach unten, ihre Hautfalten, ihre Schenkel, ihren Po. Sie dreht und wendet mit ihren Fingern den grünen Plastikwürfel. Ich lasse ihre Füße los, und sie dreht sich im Bett auf die Seite. Ich lasse sie so, nackt, ohne Pampers, ungefähr zehn Minuten liegen. Sie liebt es, die Schiffe auf dem See anzuschauen. Sie winkt ihnen zum Abschied zu, mit der rechten Hand wedelt sie in der Luft zwischen ihr und dem Schiff, das sich vom Ufer entfernt. Mit beiden Händen berührt sie ihren Mund und streckt sie dann aus, seewärts. Sie lächelt und sagt etwas. Sie schaut mich an, sie schaut dich an.
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Du hasst es, das Wort «Seele», und du sezierst es fortwährend und wiegst jedes Stückchen davon auf der Waage eines anderen Wortes ab. Deine Liebe für die Menschen rührt nicht von der Seele her. Die Seelen der Lebenden und die Seelen der Toten bestehen aus sanftmütigen Marionetten. Am außergewöhnlichsten ist, dass du verstanden hast, dass die Marionetten sich gegenseitig zum Tanzen bringen. Jede Marionette lässt andere Marionetten tanzen und so weiter. Es gibt keine Marionette, die nicht wichtig wäre für andere Marionetten. Du hast verstanden, dass auch du eine Marionette bist, und du versuchst nicht, dich vom Zustand einer Marionette zu befreien, was unmöglich ist, sondern du versuchst, diese Tatsache nicht zu nutzen und sie so, durch mangelnden Gebrauch, verkümmern zu lassen. Jedes Mal, wenn sich diese Marionette in dir bemerkbar machen will, enthältst du dich einer Meinung, machst du dich davon, ziehst du dich zurück, greifst du nicht ein, und die Marionette geht in ihrem ungestillten Durst ein. Es sind Stühle an der Wand des Totenzimmers aufgestellt, und mehrere Personen sitzen darauf und reden und nehmen das Wort «Tragödie» in den Mund. Du sagst, dass es Wörter gibt, die es nicht geben dürfte. Du sagst, dass es das Wort «Tragödie» nicht geben dürfte. Auch das Wort «Unfall» nicht. Dir wird bewusst, dass viele Wörter aus dem Bereich der Marionetten stammen, und du sagst, dass es das Wort «Marionette» nicht geben dürfte. Zwischen den Leuten, die sitzen, und dem Tisch, auf dem der Tote liegt, scharen sich einige Personen mit Kerzen und Blumen in der Hand um den Sarg. Einer verscheucht die Fliegen, die sich auf das Gesicht und auf die Hände deines Vaters setzen wollen. Er verscheucht sie mit Handbewegungen seiner rechten Hand, in der er ein Stofftaschentuch hält. Dein Vater ist tot, und seine Augen sind halb offen. Dicht neben seinem Kopf steht der hölzerne Kerzenhalter aus der Kirche. Von Zeit zu Zeit löst der Diakon die Wachsreste der Kerze ab und wirft sie in den Kücheneimer. Das schwarze Gewand des Diakons ist besprenkelt mit gelben und weißen Wachstropfen. Die Leute bekreuzigen sich, mehrere Male. Der Priester tritt ein und stimmt einen Gesang für deinen Vater an, während der Diakon im Zimmer den Duft und den Rauch von verbranntem Harz verbreitet. Alle bekreuzigen sich. Auch du hast dich bekreuzigt, und du denkst an deinen Vater, der nie zur Kirche gegangen war, außer zu seiner Hochzeit und zu Hochzeiten und Begräbnissen anderer. Dein Vater behandelte die Priester so, wie er die Mitglieder der Einheitspartei behandelte. Für deinen Vater waren die Priester und die Mitglieder der Einheitspartei aus demselben Holz geschnitzt. Die Frau deines Vaters war auf mich zugekommen, um mir zu sagen, sie wünsche sich, dass ich mich alleine um das Begräbnis ihres Mannes kümmere. Sie wollte, dass ich meinen toten Sohn in mein Haus nehme und er von uns aus zu Grabe getragen werde. Die Frau deines Vaters wollte nicht für das Begräbnis ihres Mannes aufkommen. Ich habe ihr gesagt, ihr bliebe nichts anderes übrig. Dein Vater und sie hätten als Mann und Frau zusammengelebt, und dein Vater werde von ihr aus ins Jenseits getragen, vom Haus seiner Frau aus. Die Tochter seiner Frau war nicht da. Die Tochter seiner Frau war nicht am Begräbnis deines Vaters. Die Tochter seiner Frau war nicht am Begräbnis ihres Stiefvaters. Du denkst an dieses Mädchen, mit der du ein paar Mal Schach gespielt hast. Allerdings lag ihr mehr an moderner Musik als an Schach. Es war dein Vater, der dir das Schachspielen beigebracht hat. Zuerst hat er dir die aus Holz geschnitzten Figuren und das Brett mit den schwarzen und weißen Feldern gezeigt. Er hat dir zu jeder Schachfigur eine Geschichte erzählt. Es war in einem Park in der kleinen Stadt auf dem Land, wo du mit deiner Großmutter mütterlicherseits lebtest. Er ist dich an einem Wochenende besuchen gekommen und hat dir dein erstes Schachspiel gekauft. Ihr seid in diesen Park am anderen Ufer des Flusses gegangen und habt euch ins Gras gesetzt, das zwischen den Pappeln wuchs. Von der Stelle aus, wo ihr wart, habt ihr die Bäume, die im Hof deines Onkels wuchsen, sehen können. Dein Vater hat die Figuren auf dem Brett hingestellt, und ihr habt angefangen zu spielen. Ihr habt mehrere Partien gespielt. Er hat sie alle gewonnen, und er hat dir erklärt, dass es normal sei für einen Anfänger, dass er nicht gewinne, und er hat dir erklärt, dass der Zeitpunkt kommen werde, in dem du ihn schlagen würdest. Du erinnerst dich an diesen Tag, den ihr zusammen im Park verbrachtet. Während ihr am Spielen wart, hast du dich erleichtern müssen, und er hat dir gesagt, du könnest hinter eine Pappel gehen, er hat dir die Richtung gewiesen, wegen des Windes, der ging, und der euch den Geruch deiner Exkremente hätte herüberwehen können. Dein Vater war stark im Schachspiel. Er spielte um Geld Schach mit den Leuten. Sie schlossen Wetten ab. Dein Vater gewann mit dem Schach Geld und gab mit diesem Geld eine Runde aus. Die Frau deines Vaters muss irgendwo ein Schachspiel in ihrem Haus haben. Du schaust deinen Vater im Sarg an und denkst an seine Frau und an das Schachspiel. Dein Vater hat mit seiner Frau nie Schach gespielt. Sie ist schwarz gekleidet und trägt keinen Schmuck mehr. Die Frau deines Vaters hat nur den Ehering am Ringfinger anbehalten. Sie kümmert sich um das Begräbnis deines Vaters. Sie hat nicht gedacht, dass ihre Ehe auf diese Weise enden könnte. Sie muss wieder von vorn anfangen. Sie setzt ihren Mann in dem Grab bei, das für ihre Großmutter reserviert gewesen war. Ich wollte deinen Vater nicht in dem Friedhof beisetzen, in dem seine Mutter begraben liegt. Es gibt dort nur noch einen Platz. Der gehört mir. Dein Vater wird seine letzte Ruhestätte in einem Grab des Familienzweigs seiner Frau haben. Dein Vater hat ebenfalls nicht gedacht, so früh zu sterben. Ich wundere mich darüber, dass dein Vater die Gefahr nicht gespürt hat. Ich bin erstaunt darüber, dass er das Spiel der Marionette nicht gewittert hat. Normalerweise hat dein Vater die Gefahren gespürt. Er fühlte sie, und er mied sie. Das hatte er von mir, und du hast es von uns. Genaugenommen bist du anders. Denn du spürst auch die Gefahren, die die anderen bedrohen. Wenn du wie ich und dein Vater die Gefahren, die dich umgeben, zu meiden versuchst, vergisst du dabei nicht die Gefahren, die die anderen umgeben. Du dringst in den Kern der Gefahr ein, die jemanden umgibt, und tust alles, um die Fäden, die die Marionette tanzen lassen, zu durchtrennen. Manchmal gelingt es dir. Manchmal kommst du zu spät. Du gibst die Hoffnung nie auf.
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Aus der leeren Konservenbüchse kannst du einen Blumentopf machen. Du brauchst nur ein Loch hineinzumachen, damit der Überschuss an Wasser in den Teller, den du darunter legen wirst, ausfließen kann. Du wirst in den Garten gehen, mit einer kleinen Schaufel in der Hand. Du wirst niederknien und die Erde des Zwiebelbeets ein wenig aufgraben. Du wirst mit der Hand die Erde nehmen, einige Handvoll Erde, die du in einen Plastiksack hineintun wirst. Ich sehe dich: Du leerst die Erde in den Sack, deine Hände kehren zum frisch aufgeschütteten Erdhaufen zurück, senken sich wie eine offene Muschel über den Erdhaufen und graben sich darin ein, dann schließen sie sich wieder, gefüllt mit Blumenerde. Das Kind kann bei dir sein. Sie wird Grashalme im Garten ausreißen. Sie liebt es, Erde in die Hand zu nehmen. Sie sucht Kieselsteine und reibt sie zwischen ihren Fingern. Sie sitzt am Boden, und an ihren Kleidern setzen sich Erdkrümel fest. Von Zeit zu Zeit zeigt sie dir ihre Finger, ihre Hände voller Dreck, und du redest mit ihr, du sagst, «ja!», du sagst, «ja, mein Schatz!» Du wirst deinen mit Erde gefüllten Plastiksack nehmen und zur Terrasse des Hauses zurückkommen, und du wirst die Pflanze in die Konservenbüchse einpflanzen, und das Kind wird neben dir stehen.
Das Kind hat schon ein Boot. Jenes aus rotem und gelbem Plastik, mit dem sie in der Badewanne spielt, wenn man sie badet. Sie sitzt im Wasser und schlägt mit ihren Händen aufs Wasser, das sie umgibt und das ihr bis an die Brust reicht. Sie dreht ihre Hände, als machte sie an Radioknöpfen herum, sie lehnt sich nach vorne, erwischt das Plastikboot, das sich vor ihr beim Wasserhahn befindet, hebt es aus dem Wasser, schaut den Tropfen zu, die in die Badewanne hinuntertropfen, macht mit dem Spielzeug ein paar Bewegungen in der Luft, taucht es bis zum Grund der Badewanne ins Wasser und hält es so einige Sekunden auf dem Emailboden der Badewanne fest. Dieses Plastikboot hat weder Matrosen noch einen Kapitän. Wenn du keine Pflanzen in die Konservenbüchse tun willst, wird das Mädchen eine Flotte von drei Booten haben. Das aus Papier wird Narzisse heißen. Das aus gelbem und rotem Plastik wird Flagge getauft werden. Sie wird sie alle drei ins Wasser setzen können.
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Wegen dir müsste es das Wort «Verzweiflung» nicht geben. Auch dein Vater ist nicht verzweifelt. Er wollte dich in seiner Nähe haben und dachte an die Zukunft. Gott sei mit ihm! Mehrere Arbeiter, die auf der Baustelle deines Vaters arbeiteten, sind gekommen, um Abschied zu nehmen, und sie sind in das Totenzimmer getreten, sind zwischen den Leuten, die auf den Stühlen der Wand entlang saßen und dem Tisch, der den Sarg trug, durchgegangen, haben sich bekreuzigt, haben sich vornüber gebeugt, um die Stirn deines Vaters zu küssen, haben sich erneut bekreuzigt, sind einen Moment lang schweigend stehengeblieben und haben dann den Raum wieder verlassen. Du kanntest die meisten der Arbeiter deines Vaters. Wenn die Arbeiter deines Vaters Fußball spielten, war dein Vater ihr Schiedsrichter. Du warst der einzige Zuschauer des Fußballmatchs, den die Arbeiter deines Vaters austrugen. Dein Vater pfiff das Spiel mit einer Pfeife aus einem Stück Blech und Weißblech. Es war einer der Blechschmiede der Baustelle, der die Pfeife mit dem kleinen Kieselstein darin angefertigt hatte. Die Arbeiter waren je nach Arbeitsteam aufgeteilt. Es gab Matchs zwischen Elektrikern und Betonierern. Es gab Matchs zwischen Maurern und Verwaltungspersonal. Es gab eine Baustellenmeisterschaft, und nach jedem Spiel wurde mit Bier und Wein gefeiert. Sie kauften ganze Kisten Bier, und in jeder Kiste waren vierundzwanzig Flaschen. Jede Flasche enthielt einen halben Liter Bier. Sie kauften zu essen ein. Sie grillten am Rande des improvisierten Fußballfeldes auf dem Gelände der Baustelle. Sie aßen Käse, Salami, Fischkonserven und Schwarzbrot. Die Bauarbeiter liebten das Schwarzbrot aus Kartoffeln. Du hast ihre Matchs geschaut, dann hast du mit ihnen gegessen und sie reden hören. Du hast ihre verschiedenen Gesichter und ihre Sportanzüge angeschaut. Du warst mit deinem Vater bei einigen von ihnen zu Hause. Du kanntest die Familien einiger Arbeiter. Du hast all diese Leute auf der Baustelle arbeiten sehen. Du verbrachtest deine ganze Freizeit beim Fischen oder auf der Baustelle. Wenn du nicht beim Fischen oder auf der Baustelle warst, hast du gelesen. Du hattest mit drei oder vier Bauarbeitern Schwierigkeiten. Sie schikanierten dich. Sie zogen über deinen Vater her oder machten Masturbationsgesten. Du hast ein paar Arbeiter deines Vaters hinter dem Betonmischer oder hinter einem Steinhaufen beim Masturbieren gesehen. Du hast die Angelegenheit mit diesen drei oder vier Arbeitern sofort geregelt. Bevor auch sie zu deinen Freunden wurden, hast du sie bestraft. Du hast ihnen gezeigt, dass du auf eine andere Art und Weise Scherze triebst als sie. Dein Vater hat mir davon erzählt, was du mit ihnen angestellt hast. Du hast beinahe einen umgebracht. Er badete in einem der Wassertanks, die der Abkühlung von gewissen Arbeitsgeräten der sich im Bau befindenden Tabakfabrik dienten. Dieser Tank war ein riesiger Betonzylinder, und um ins Wasser zu gelangen, hatten die Arbeiter eine Art Leiter aus Betoneisen zusammengebastelt, die bis zum Wasser hinunterreichte. Zwischen dem Rand des Tanks und der Wasseroberfläche waren zwei Meter. Während dieser Mann badete, hast du die Leiter entfernt. Du hast ihn dazu gezwungen, bis zur Erschöpfung zu schwimmen, und du hast ihm zu verstehen gegeben, dass du ihn ertrinken lassen könntest. Er hat zu schreien angefangen. Du hast ihn angeschaut und hast gesagt, dass ihn keiner hören könne. Er wusste, dass niemand seine Schreie hören würde. Der Tank befand sich einige Hundert Meter von der Baustelle entfernt. Du warst zwölf Jahre alt. Der Mann im Wasser war fünfzig. Du hast die Leiter wieder angebracht, und er hat sich daran festgeklammert. Du hast gesagt: «Das nächste Mal lasse ich dich ertrinken, wenn du mich nicht in Ruhe lässt!»
Er hat Angst gehabt. Er ist zu deinem Vater gegangen und hat ihm gesagt, dass du ihm Angst eingejagt hättest. Dein Vater hat dir Fragen gestellt. Dein Vater wusste, dass einige seiner Arbeiter dich hänselten. Bei einem anderen Arbeiter, der dich hänselte, hast du auf alle seine Werkzeuge Kugellagerschmieröl getan. Er hat Stunden gebraucht, sie wieder zu reinigen. Dieser Mann hatte dich beleidigt. Er machte Anspielungen auf deine Mutter. Er sagte, er wolle, dass du ihm deine Mutter vorstellst, und du hast ihm gesagt, dass du ihm etwas antun könntest, aber er hat es dir nicht geglaubt. Er hat gemerkt, dass du es ernst meinst, als du eine Eisenstange neben ihm hast fallen lassen. Er kam mit einer mit frischem Beton gefüllten Schubkarre vorbei, und du hast diese Stange aus dem zweiten Stockwerk des Baugebäudes fallen lassen. Du hast sie einige Meter von ihm entfernt fallen lassen. Als er gestoppt hat, hat er nach oben geschaut und hat dich gesehen. Du hast gesagt: «Wenn du nicht aufhörst, mich zu schikanieren, werfe ich sie dir auf den Kopf!», und er hat dir nie wieder etwas getan. Später wurde er ein Freund von dir. Er hat dir sein Handwerk beigebracht. Einige Arbeiter deines Vaters erzählten dir von ihrem Handwerk, du hörtest ihnen zu, und sie schätzten es, dass du interessiert und aufmerksam zuhörtest. Irgendwann schikanierte dich niemand mehr. Man akzeptierte dich. Die Arbeiter sprachen über alles in deiner Gegenwart, und du warst über alle ihre Probleme auf dem Laufenden. Du hast deinem Vater nie davon erzählt, was du die anderen reden hörtest. Du hast den Arbeitern deines Vaters Geld gepumpt, und sie haben es dir an ihrem Zahltag zurückgegeben. Du hast Geld von deinem Taschengeld, das dein Vater dir gab, ausgeliehen. Auch dein Vater hat seinen Arbeitern Geld geliehen. Jeden Monat gab es Leute, die anderen Geld pumpten. Am Tag der Beerdigung deines Vaters sind mehrere Arbeiter zur Frau deines Vaters gegangen und haben ihr Geld gegeben, das den Schulden entsprach, die sie bei deinem Vater hatten, der gestorben und in diesem Sarg auf dem Tisch aufgestellt war. Alle sagten «Gott sei mit ihm!» Dein Vater war nicht zufrieden mit seinem Nachtwächter. Jede Nacht wurde Baustellenmaterial gestohlen. Sein Nachtwächter schlief während seines Dienstes. Er schlief in einer kleinen Blechbaracke. Er machte seine Rundgänge nicht. Eines Nachts, gegen ein Uhr morgens, hat dich dein Vater geweckt und hat gesagt, «zieh dich an!», und er hat dich mitgenommen, um die Arbeit des Baustellenwächters zu überprüfen. Ihr seid ganz nahe an die Blechbaracke des Wächters herangegangen, dann seid ihr eingetreten und habt ihn auf einem aus mehreren Matratzen improvisierten Bett schlafen sehen. Dein Vater hat ihm die Mütze vom Kopf genommen, hat die Pistole vom Gürtel gelöst, und ihr seid wieder gegangen, während er noch immer schlief.
Du hast eine Weile mit der entladenen Pistole und der Mütze des Nachtwächters gespielt. Am nächsten Morgen hat ihn dein Vater entlassen. Alle Nachtwächter schliefen während ihres Dienstes, und jede Nacht stahlen Leute aus dem Dorf Blech, Backsteine, Betoneisen, Nägel oder Bretter. Die Baustelle benötigte immer mehr Material als geplant. Dein Vater hat den Mitgliedern der Einheitspartei immer gesagt, dass die Leute des Dorfes das Material, das sie für die Reparatur ihrer Häuser benötigten, auf dem Markt nicht finden können. Dein Vater sagte, dass die Kosten für Baumaterial für Private viel zu hoch seien. Die Regionalführer der Einheitspartei sagten ihm, dass es in diesem Land keine Privatwirtschaft gebe. Dein Vater ist gestorben, und mehrere Mitglieder der Einheitspartei sind gekommen, um ihm zu sagen: «Gott sei mit dir!»
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Ich werde jetzt einen Kaffee machen. Einen für dich und einen für mich. Ich stehe auf, schiebe den Stuhl unter den Tisch, bis die Stuhllehne das blaue Tischtuch berührt, drehe mich zum Wandschrank, in dem die Blechdose mit dem gemahlenen Kaffee steht, öffne die Schranktüren, und mit der rechten Hand nehme ich die Kaffeedose und stelle sie hinter mir auf den Tisch. Ich gehe an dir vorbei, zwischen der Wand und deinem Stuhl, mache drei Schritte bis zur Kaffeemaschine, nehme den Kaffeeportionierer und gehe zum Spülbecken, ich nehme einen Kaffeelöffel und säubere den Portionierer, dann gehe ich zurück zum Tisch, gebe Kaffee in den sauberen Portionierer und bringe ihn an der Kaffeemaschine an. Das Kind wird auf den Knopf der Kaffeemaschine drücken wollen. Sie liebt es, Knöpfe zu drücken. Du bist ihr ein kleines Plastikpiano kaufen gegangen, mit mehreren Tasten, etwa zehn, glaube ich. Sie liebt es, auf die Tasten des Plastikpianos zu drücken. Du hältst sie im Arm, und sie drückt, eine Hand um deinen Hals gelegt, auf den Knopf der Kaffeemaschine. Sie sieht nur, wie ein kleines grünes Licht hinter dem Knopf aufleuchtet. Sie hört den Lärm der Kaffeemaschine und sieht die braune Flüssigkeit, die in die Tasse läuft. Sie wird etwas sagen, ihre eigenen Wörter.
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Das Wort «Gott» dürfte es auch nicht geben. Das Wort «Partei» ist ebenfalls überflüssig unter den Wörtern. Das Wort «Partei» dürfte es nicht geben. Dein Vater hat dir beigebracht, Partei außerhalb jeder Partei zu ergreifen. Er akzeptierte die Einheitspartei nicht, und er akzeptierte auch keine andere Partei. Er ergriff lediglich Partei. Du hast etwas gemeinsam mit ihm. Du ergreifst unaufhörlich Partei und analysierst jede Partei. Du möchtest verstehen, wie diese Parteien funktionieren. Du möchtest verstehen, wie die Einheitspartei vorgeht gegen andere Parteien, die nicht anerkannt sind. Es gibt andere Parteien, aber sie sind nicht legal. Die anderen Parteien sind Überreste der Parteien von vor dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt Tausende von Leuten, die nicht der Einheitspartei angehören. Ich bin einer von denen, die unter der Einheitspartei gelitten haben. Du weißt das. Du weißt, dass die Einheitspartei uns zwei Häuser und alles Land, das uns dein Urgroßvater vermacht hatte, genommen hat. Du weißt, dass die Einheitspartei mir untersagt hat, meinen Beruf als Grundschullehrer in der Stadt auszuüben. Du weißt, dass ich mich von deiner Großmutter scheiden lassen musste, damit meine beiden Söhne, dein Vater und dein Onkel, auf die Universität gehen konnten. Du weißt, dass die Einheitspartei alle meine Jagdgewehre konfisziert hat. Du weißt, dass die Einheitspartei uns heute Brot gegen Marken ausgibt, und dass jede Person eine Brotmarke hat, auf dem jeden Tag das Pfund Brot, das man kauft und das man isst, angekreuzt wird. Du weißt, dass wir für das Begräbnis deines Vaters Extramarken beantragen mussten, für das Brot, das die Leute, die zur Beerdigung deines Vaters kamen, essen würden. In dem Haus, in dem ich mit meiner zweiten Frau, deiner Stiefgroßmutter, wohne, hat mich die Einheitspartei dazu gezwungen, drei Zimmer unterzuvermieten. Einmal, vor fünf Jahren, glaube ich, bist du mit deinem Vater zu uns gekommen, und ihr wart dreckig wie Schornsteinfeger. Dein Vater und du, ihr hattet auf einer seiner Baustellen Verstecken gespielt, und ihr seid zu uns gekommen, ohne euch zu waschen, und eure Kleider waren voller Farbe, Teer, Zement und Staub. Ihr habt euch bei uns gewaschen, ihr habt euch zu uns an den Tisch gesetzt, und wir haben auf die Gesundheit aller unserer Familienmitglieder getrunken und zu essen angefangen. Während dieses Essens habe ich deinem Vater meine Probleme mit meinen Untermietern anvertraut. Die Untermieter damals waren allesamt Mitglieder der Einheitspartei. Sie verachteten mich und nannten mich «Volksfeind!» und «Drecksbourgeois!» Ich hatte ihnen mehrfach gesagt, dass ich zwei Weltkriege mitgemacht hätte, und dies als Soldat, aber ich war ihnen nicht wert genug, normal behandelt zu werden. Ich habe beim Bürgermeisteramt eine Beschwerde eingereicht, und die, die auf meine Beschwerde geantwortet haben, meinten, ich solle meine Vergangenheit hinter mir lassen. Das alles habe ich deinem Vater erzählt. Du erinnerst dich daran: Er hat sein Glas auf dem Tisch abgestellt, ist aufgestanden, und du hast ihm folgen wollen. Er hat gesagt «bleib hier!», er ist zur Küche hinausgegangen, und eine halbe Stunde später sind die drei Mitglieder der Einheitspartei, alle drei Beamte eines Textilunternehmens, mit all ihren Möbeln und ihren Sachen auf der Straße gestanden. Sie haben die Polizei gerufen, und dein Vater hat mit den Polizeibeamten der Einheitspartei gesprochen. Er hat ihnen gesagt, dass Respekt etwas Essenzielles sei, und dass diese drei Mitglieder der Einheitspartei sich gegenüber den Leuten und dem Leben respektlos verhalten hätten und dieses Haus verlassen müssten. Dein Vater hat den Polizeibeamten gesagt, dass diese drei Mieter keinen Platz hätten in einem Haus, das sie nicht respektieren würden. Am nächsten Tag mussten dein Vater und ich auf dem Polizeiposten erscheinen, und wir haben uns vor dem Polizeichef des Viertels gerechtfertigt. Einige Tage später haben uns die Vertreter der Einheitspartei neue Mieter geschickt. Seit jener Geschichte habe ich nur noch respektvolle Mieter gehabt. Ich respektiere sie, und sie respektieren mich. Ich will nicht wissen, ob meine Mieter Mitglieder der Einheitspartei sind oder nicht. Dein Vater hat mir in meinen alten Tagen sehr geholfen. Mein Sohn ist für mich zu früh gestorben.
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