Читать книгу Wyatt Earp Jubiläumsbox 7 – Western - Mark Belcher William - Страница 5

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Freunde, ich möchte Euch ein paar Worte sagen, ehe ich Euch die Geschichte des »Marshal von Dodge« niederschreibe.

Vor einigen Monaten nahm ich bereits zu den häufenden Angriffen gegen Wyatt Earp Stellung. Ich erwähnte damals auch, daß Hollywood, welches eine ganze Reihe von Wildwestfilmen mit Wyatt Earp als Helden gedreht hat, sich nun nicht scheute, zur Auffüllung der Kassen den populären Western-Marshal – in einem gewaltigen Staraufgebot – einmal als recht dunkle Figur über die geduldige Leinwand geistern zu lassen. Das mag vom Standpunkt der mageren derzeitigen Filmgeschäfte betrachtet, begreiflich sein – ist aber in Anbetracht der bisher in der Filmindustrie Amerikas vertetenen Richtung wenig gentlemanlike. Der brauchbare Wyatt Earp sollte das Eisen – diesmal die Dollars der Filmbosse – wieder aus dem Feuer reißen, daß er dafür zur Abwechslung einmal als Desperado auftreten muß, kümmerte die Hersteller des Streifens wenig. Und niemand kann etwas dagegen ausrichten. In »God own Country«, wie sich die Staaten ja nennen, ist eben alles möglich, und der tote Marshal Earp, der zahllose Male sein Leben für den Kampf um das Gesetz in der rauhesten und wildesten Zeit der USA eingesetzt hatte, kann sich nicht mehr wehren.

Ich wollte dies nur gesagt haben, um Euch zu bitten, Euch wegen dieser Dinge keine grauen Haare wachsen zu lassen. Eine andere Mammut-Filmgesellschaft ebenfalls derer vom »Stechpalmenwäldchen« bereitet zum Ausgleich dafür mit Televisions-Star Hugh O’Brian und Kirk Douglas sowie vielen anderen Stars einen neuen großen Wyatt Earp Film vor, der den Marshal wieder strahlen lassen soll. Ich finde dieses Hin und Her um gefüllter Kassen willen wenig nobel – aber das Big-Business in Amerika fragt wenig danach.

Bleibt unbeirrt im Sattel sitzen, Freunde, und folgt der klaren, sauberen Spur des Dodger Marshals weiterhin; sie führt Euch diesmal hinauf ins Fremont Country, oben in Wyoming, wo sich ein Mann namens Rory Josuah Keaton gegen Ende der Siebziger Jahre eine geradezu unwahrscheinlich erscheinende Sache geleistet hatte…

So long!

Euer William Mark.

Über Atlantic City breitete sich ein sternenbesäter Nachthimmel. Die kleine Stadt im Fremont-Country in der Südwestecke Wyomings schlief.

Auf der Kuppe eines Hügels hielten drei Reiter und blickten auf die Ansiedlung hinunter. Scharf zeichneten sich ihre Konturen gegen den Nachthimmel ab. Der mittlere der Männer deutete mit der ausgestreckten Linken auf die Häuser, die wie Schemen auf dem Schwarzgrau der Talsohle zu schweben schienen.

»Wir sind am Ziel, Boys«, sagte er. »Das ist Atlantic-City. Ihr wißt, was ihr zu tun habt.«

Rob Piggers, der Mann an seiner linken Seite, stützte sich schwer auf das Sattelhorn und meinte:

»Vielleicht ist es besser, du sagst es uns noch einmal Boß.«

Rory Keaton nickte. »Well, hört also zu. Ich werde euch die ganze Sache noch einmal eintrichtern. Du, Rob, nimmst die westliche Seite der Main-street, und du, Kid, nimmst die östliche. Ist das klar?«

Die beiden anderen nickten stumm. Keaton nahm eine schwarze Zigarre aus der Tasche, zündete sie an und sagte:

»Ich muß mich langsam an meinen neuen Job gewöhnen.«

»Raucht er denn Zigarren?«

Piggers schob die Unterlippe vor.

»Darauf kannst du dich verlassen. Er raucht Zigarren, schwarze Zigarren; lange Dinger wie sie sie unten in Mexiko rauchen. Nicht sehr viele, aber doch so viele, daß es typisch für ihn ist.«

Piggers rümpfte die Nase. »Well, das kann schon stimmen, nur kann ich mir nicht vorstellen, daß er sie aus der Jackentasche zieht.«

Keaton feixte. »Doch, genau das tut er. Bill Peacemaker hat es mir so berichtet. Er war schließlich nicht umsonst Deputy bei ihm.«

»Und du bist sicher«, fragte Piggers, »daß es ein richtiger Buntline-Revolver ist, den Bill dir gekauft hat?«

»Yeah, ich bin ganz sicher. Lloyd Hellbrook hat den Revolver selbst geprüft und findet ihn großartig.«

Der dritte Reiter, ein schmalschultriger Bursche, der den Namen Kid McNally trug und bis jetzt noch gar nichts gesagt hatte, meinte schnarrend:

»Schwer, sich vorzustellen, daß ein Kerl wie Peacemaker an einen echten Buntline-Revolver kommen sollte.«

Keaton brummte: »Das laßt mal meine Sorge sein, Hauptsache, ihr tut das richtige, was ich euch sage. Ich habe keine Lust, noch einmal eine solche Panne wie in Brighton zu erleben.«

Keaton knurrte: »Mußt du denn immer die alten Geschichten ausgraben?«

»Alte Geschichten? Hör zu, es sind kaum neun Tage her. Und wenn mir nicht der Gedanke gekommen wäre, die brennende Fackel in das Strohlager des Korrals zu werfen, hätten wir jetzt alle längst eine Yards Luft unter den Füßen.«

Die beiden Männer neben Keaton schwiegen.

Der Boß fuhr in seinem befehlshaberischen Ton fort:

»Ihr wißt also, was ihr zu tun habt. Du, Rob, nimmst die Westseite der

Mainstreet. Kid nimmt die Ostseite. Richtet euer Hauptaugenmerk auf das Sägewerk am Ausgang der Stadt. Und paßt mir an den Ecken auf. Es ist möglich, daß der Sheriff seine Hunde auf Streugang geschickt hat. Die Halunken laufen einem meistens bei solchen Gelegenheiten in die Quere. Ihr schlagt mir auf keinen Fall Lärm.«

McNally, blickte gedankenvoll vor sich hin und meinte plötzlich: »Und du glaubst, daß die Idee wirklich so großartig ist, Boß?«

»Yeah, das glaube ich«, gab Keaton schroff zurück.

»Du mußt es wissen. Du bist schließlich der Klügste von uns.«

Keaton sah den schmalen Burschen mit dem immer etwas grämlichen Gesicht mißtrauisch an.

»Wie meinst du das?«

»Ich meine wie ich es sage«, gab McNally scheinheilig zurück. »Vielleicht ist es tatsächlich mal ein prächtiger Gedanke. Nötig genug hätten wir ihn.«

»Und was gefällt dir nicht daran?« wollte Keaton wissen.

»Wenn ich ehrlich sein soll, gar nichts, Keaton.«

Der Boß warf den Kopf zurück. »Ach und das fällt dir jetzt schon ein?«

»Du hast mich ja bisher nicht gefragt.«

»Los, mach dein Maul auf. Was hast du gegen die Idee?«

Der Kentucky-Mann griff mit der Linken in die Jackentasche, nahm eine Prise Tabak heraus, klemmte sie zwischen den letzten Fingern und der Handfläche zusammen, nahm mit Zeige- und Mittelfinger ein Blättchen aus der Reservetasche und rollte sich, ohne die rechte Hand dazu zu benutzen, mit großem Geschick eine Zigarette.

»Yeah«, meinte er, »vor allem gefällt es mir nicht, daß du ausgerechnet den Namen des Dodger Marshals für deine verrückte Idee verwenden willst. Ich kenne Bill Peacemaker kaum und weiß nicht, ob er Wyatt Earp wirklich so gut kennt, wie er dir erzählt hat. Ich weiß auch nicht, ob er tatsächlich unter ihm Hilfsmarshal in Wichita gewesen ist. Ich weiß nur, daß Peacemaker das Maul oft ziemlich voll genommen hat. Vor ein paar Jahren, als die Jungens mit dem Trail aus Santa Fé hochkamen, hatte er einen Gunfight auf der Straße. Es war das einzige Mal, daß ich ihn mit einem Revolver habe herumhantieren sehen und das hat mir derartig genügt, daß ich auf die anderen Male, mit denen er ständig prahlt, gern verzichten kann.«

Keatons Gesicht hatte sich verfinstert.

»Aha«, quetschte er durch den rechten Mundwinkel, »so ist das also!«

»Yeah.« McNally hatte sich ein Zündholz am Sattelhorn angerissen. »Yeah, Boß, genauso ist es. Ich kann nicht behaupten, daß ich Peacemaker besonders gut kenne, aber was ich von ihm weiß ist nicht gerade dazu angetan, einen guten Eindruck von ihm zu gewinnen.«

»So?« schnaufte Keaton. »Nun will ich dir was sagen, Kid. Es interessiert mich nicht im mindesten, ob du von irgend jemandem einen guten Eindruck hast oder nicht, für mich ist der gute Eindruck, den ein Mann möglicherweise macht, völlig unwichtig. Von Bedeutung ist nur, ob der Mann selbst von Nutzen für mich ist oder nicht.«

McNally nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und paffte den Tabaksqualm mit vorgeschobener Unterlippe gegen die Hutkrempe.

»Well, da stimme ich dir völlig zu. Ob aber Peacemaker von Nutzen für dich ist, bezweifle ich eben. Der Bursche hat mir ein zu großes Maul. Wyatt Earp! So ein Wahnsinn! Wieviel Leute gibt es, die den Dodger Marshal kennen! Wer sagt uns, daß er nicht ausgerechnet hier in Atlantic-City schon gewesen ist…«

»Ich sage es dir«, knurrte der Boß dazwischen.

»Peacemaker behauptet es«, verbesserte ihn McNally rauh.

»Richtig. Und er muß es schließlich wissen!«

Piggers war der Auseinandersetzung der beiden mit Mißbehagen gefolgt.

»Ich finde Kid, daß wir uns auf den Boß verlassen sollten. Schließlich sind wir bisher noch immer gut davongekommen.«

»Davongekommen«, fauchte der Kentucky-Mann. »Das ist ja eben, davongekommen sind wir, das ist aber auch alles. Aber es ist zuwenig, Rob. Trotzdem ist mir das Wenige lieber als der Strick. Aber das, was er jetzt ausgebrütet hat, ist irgendwie zu heiß.«

Piggers rieb sich das Kinn. »Zu dieser Überlegung ist es zu spät, Kid. Wir sind seit Brighton über neunzig Meilen geritten. Vom Mohave-County sind es sogar eine hundert Meilen gewesen. Und da unten liegt Atlantic-City. Wir haben keinen lausigen Cent mehr in der Tasche. Unsere Gäule sind auch am Ende.«

»Yeah«, sagte McNally nur und ließ den dünnen Zigarettenrest zwischen seinen Lippen glimmen, »Keaton hätte uns eben früher von seinem glorreichen Plan Mitteilung machen sollen. Ich habe nur gesehen, wie er ständig mit Bill Peacemaker gesprochen hat. Ich habe gesehen, daß er sich einen Kreuzgurt beschafft hat, in dem links eine sechskantige Kanone steckt, von der der Teufel wissen mag, ob sie tatsächlich ein echter Buntline ist. Ich sehe, daß er schwarze Zigarren raucht, und sehe auch den dunklen Fleck, den er sich mit Fett links auf die Lederweste geschmiert hat.«

»Hast du überhaupt begriffen, weshalb ich mir den Fleck auf die Weste gemacht habe?« preßte Keaton durch die Zähne.

Der Kentucky-Mann lachte, und seine großen lückenhaften Zähne schimmerten im bleichen Sternenlicht.

»Yeah, Brother, ich kann es mir denken, es soll so aussehen, als hätte dort lange Zeit der Stern gesessen. Aber vielleicht hast du auch einmal darüber nachgedacht, daß ein Mann wie Wyatt Earp mehrere Jacken besitzen könnte? Ganz sicher wird er auch einen Rock haben, auf dem er noch keinen Stern getragen hat. Und ob das mit dem Kreuzgurt stimmt, bezweifle ich auch.«

»Er trägt zwei Revolver«, unterbrach ihn der Boß.

»Ich weiß, ob er sie aber am Kreuzgurt trägt, weiß ich nicht. Ein wirklich großer Zweihandmann bevorzugt selten den Kreuzgurt.«

»Wenn es Peacemaker nicht weiß, weiß es niemand!«

McNally spie den Glutkörper seiner Zigarette auf die Erde. »All right, du bist der Boß.«

»Yeah«, stieß Keaton rostig hervor, »es ist gut, daß du das nicht vergessen hast. Du bist noch nicht lange im Mohave County und kennst Bill Peacemaker viel zuwenig. Er ist ein Prachtbursche, und wenn du länger im County wärst, wüßtest du das auch. Er hat damals Jake Hillborn aus dem Jail geholt und…«

»Sagt er«, unterbrach McNally.

»Unsinn!« knurrte der Boß, »das weiß jeder im Mohave County. Und nicht nur das. Als der Sheriff von Chloride Irvin Legger in den Hills gegriffen hatte, war es Peacemaker, der Legger rauskeilte. But Killing wäre nicht erst im vergangenen Herbst an der Kugel Luke Chorts eingegangen, sondern ein Jahr vorher, als der lange Deputy Cane Clark ihn in Walapai schon am Galgen hatte – wenn Bill nicht den Strick zerschnitten hätte. So könnte ich euch noch eine Menge Dinge von Bill erzählen.«

»Wenn sie wahr wären, gäbe es in ganz Arizona keinen prächtigeren Burschen als Bill Peacemaker.« Es war wieder der Kentucky-Mann, der das von sich gegeben hatte.

»Halt endlich dein Schandmaul, Kid!« Piggers spie eine Kautabakprise, die er bisher in einer Zahnlücke gepflegt hatte, im hohen Bogen über den Kopf seines Pferdes. »Es geht hier schließlich um gute harte Bucks…«

»Es geht um mehr!« unterbrach ihn der Boß. »Um viel mehr. Wenn es mir gelingt, diesen Coup da unten in dem verschlafenen Nest zu landen, sind wir für eine ganze Zeit aus dem Dreck!«

»Wenn es dir gelingt«, McNally schob sich den Hut aus der Stirn.

Keaton stemmte seine kantigen Fäuste in die Hüften.

»Wenn du einen Job weißt, bei dem wir kein Risiko eingehen, Boy – ich bin gleich dabei.«

Piggers glaubte, dieser Bemerkung Keatons mit einem beifälligen Lächeln Gewicht verleihen zu müssen.

Der Boß schob die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen.

»Und wenn dir die Sache zu heiß ist, McNally, kannst du ja aussteigen.«

Piggers zischte: »Yeah, das kann er versuchen.«

Sie sahen beide nicht die Augen des Kentucky-Manns, in denen es wie fernes Wetterleuchten blitzte.

Keaton richtete sich auf, blickte auf die dunkle Stadt hinunter und erklärte:

»Ich habe sechzehn Jahre die Weststaaten durchstreift und einen guten Job gesucht. Einen Job, wie ihm Männer wie wir brauchen. Ich habe ihn nicht gefunden. Immer waren es einzelne Reiter, die nicht viel bei sich hatten, leere Postkutschen, Pferdwechselstationen, auf denen nichts zu holen war, oder winzige Stores in kleinen Städten, deren Kassen magerer waren als ein hundertjähriger Indianer. Ich bin dieses Leben leid. In Brighton haben wir versucht, die kleine Station der Wells-Fargo zu nehmen. Wir sind aufgefallen…«

»Wir?« unterbrach ihn McNally kalt. »Piggers ist in dem dunklen Post-raum gestolpert und hat gleich geschossen.«

Es klang höhnisch und kalt, und die beiden anderen hätten den schmalschultrigen Außenseiter ihrer Zunft liebend gern mit glühendheißen Bleibohnen bedacht. Aber sie brauchten ihn. Der gerissene McNally hatte sie schon mehrmals aus heiklen Situationen herausgebracht. Zudem war er ein gefürchteter Revolverschütze. Er hatte zwar keine brillianten Einfälle, wo und wie man einen Coup landen konnte, aber er war da, wo er eingesetzt wurde, so zuverlässig und sicher, daß die beiden anderen auf ihn nicht verzichten konnten. Vor allem schätzte Keaton insgeheim die nüchterne Art und das scharfe Beurteilungsvermögen des Kentucky-Mannes hoch ein. Bisher allerdings war es ihm gelungen, diese Wertschätzung geflissentlich vor dem Gefährten zu verbergen.

Man durfte seine Leute nicht zu groß werden lassen. Das war immer schlecht. Und die Art, in der der schmalschultrige Bursche jetzt redete, mißfiel seinem Boß entschieden.

Vor allem hätte es jetzt nichts auf der Welt gegeben, daß Keaton von seinem Vorhaben, von seinem »einzigartigen Plan«, wie er es nannte, hätte abbringen können. Er hatte schon mancherlei in seinem Banditenleben versucht. Das meiste war fehlgeschlagen, und die »Erfolge« waren so winzig gewesen, daß man sie eigentlich nicht zählen konnte.

Die Idee aber, die ihm der geschäftstüchtige Fellhändler Bill Anthony Peacemaker unten in Gold-Basin eingeimpft hatte, schien ihm unübertrefflich zu sein. Er, der kleine Verbrecher Rory Josuah Keaton, wähnte sich endlich auf dem richtigen Trail. Er hatte drei Monate für die Vorbereitungen gebraucht. Allein sieben Wochen hatte es gedauert, bis Peacemaker den Buntline-Revolver für ihn beschafft hatte; die Waffe, von der McNally nun behauptete, sie wäre vielleicht gar kein echter Buntline-Colt. Trotzdem, Keaton würde den einmal beschrittenen Weg seines »einzigartigen« Planes weitergehen. Er hatte bereits zuviel darin investiert; um es genauer auszudrücken, der geschäftstüchtige Vater der Idee, Bill Peacemaker, hatte sich bereits zuviel Geld dafür geben lassen. Keaton hatte zunächst den Tip überhaupt bezahlen müssen, dann den großen Revolver, dann das Falbpferd, das dem Tier des Missouriers »aufs Haar«, gleichen sollte – alles hatte sich Peacemaker in blanker Münze honorieren lassen. Er hatte den Kreuzgurt geliefert, die mexikanischen Sternsporen, den Panhandle-Sattel und sogar die mit seltsamen Steppereien besetzten hochhackigen Stiefel. Alles hatte sich der Fellhändler bezahlen lassen. Und da es im Mohave-County offensichtlich keinen Menschen gab, der die Angaben und Behauptungen des Fellhändlers hatte widerlegen können, war Keaton auf alles eingegangen. Er hatte so lange gezahlt, bis er nichts mehr bezahlen konnte. Als Peacemaker in den letzten Tagen noch mit den Gedanken kam, daß er einen echten Dodger Marshalstern besorgen könne – allerdings gegen eine ziemlich hohe Bezahlung – da hatte Keaton abgewinkt. Er hatte abwinken müssen. Sein Kapital war erschöpft. Er war so blank, daß er sich mit seinen beiden Spießgesellen sofort auf den Trail machen mußte, um neue Bucks anzuschaffen.

Auf den alten Trail, wohlverstanden. Denn die Sache mit Wyatt Earp durfte nach Peacemakers Anweisungen nur an ganz bestimmten Orten vor sich gehen. Atlantic-City sollte die erste Stadt sein. Peacemaker wußte mit Sicherheit, daß der Dodger Marshal niemals auf seinen weiten Ritten auch nur die Gegend des Fremont-Countys gestreift hatte.

Fünf Städte hatte der Fellhändler dem Banditen bezeichnet. Und auch diese »unbezahlbaren Tips« hatte sich der raffinierte Mister Peacemaker entlohnen lassen.

Reichlich abgebrannt hatten sich die drei Tramps vom Mohave-County unten in Arizona auf den Weg nach Norden gemacht.

Die beiden anderen wußten noch nicht, worum es Keaton wirklich ging. Daß er eine neue Sache geplant war, hatte der Boß ihnen angedeutet, mehr aber auch nicht. Sie hatten in Lincolntown, einer kleinen Ansiedlung im mittleren Colorado, einen Store überfallen und ganze siebzehn Dollar erbeutet. In Freshman waren es elf und in Baltimore-West einunddreißig. Und dabei wären sie in Freshman fast noch von einem Hilfsheriff niedergeschossen worden. In Brighton, neunzig Meilen südlich von Atlantic-City, hatten sie das Pech, daß Piggers während des Überfalls stolpterte. Es war weniger die brennende Fackel im Korralstroh gewesen, die sie aus der Patsche gerissen hatte, als die Kaltblütigkeit des dürren Kentucky-Manns, der die Männer, die sich ihnen entgegenwarfen, geistesgegenwärtig in die andere Richtung lenkte. Nur das hatte ihnen in Brighton noch einmal Luft gemacht.

Keaton wußte es genau, aber er schwieg es wohlweislich tot.

Tatsache war, daß sie ohne den Kentucky-Mann längst geliefert gewesen wären. Gerade McNally war es, auf den Keaton seinen Plan aufgebaut hatte. Er war der Mann, der alles konnte und der mit seiner Kaltblütigkeit und Überlegung jedes Eisen aus dem Feuer reißen mußte. Niemals hatte Keaton sonst einen so bissigen Burschen neben sich geduldet…

Nach Peacemakers Idee war eine Sprengung immer gut.

McNally hatte jetzt also in die Stadt zu reiten und die Gebäude in der

Mainstreet zu besichtigen. Das große Sägewerk mußte in der Nacht in die Luft fliegen. Das würde den Menschen in der City die nötige Schock-Vorbereitung geben. Am darauffolgenden Tag sollte Piggers dann den Hold up in der kleinen Wyoming-Bank unternehmen. Am hellichten Tag, mittags um 12 Uhr.

Keaton hatte nach den Plänen Peacemakers alles genau auskalkuliert. Und nur weil er McNallys scharfe Zunge fürchtete, hatte er den beiden erst kurz vor Erreichen der Stadt von dem neuen Plan berichtet. Schon an der Stille, die der dürre McNally verbreitete, spürte Keaton sofort den Widerstand des anderen. Piggers war verhältnismäßig dumm und gehörte zur Sorte jener kleinen Tramps, die immer mitliefen, wohin der Boß sie dirigierte.

So stand die Sache zu dieser mitternächtlichen Stunde, als die drei Männer auf dem Hügel vor der Stadt hielten.

Was Keaton wirklich beabsichtigte, hatte er immer noch nicht genau erklärt. Piggers hatte noch keinen Gedanken daran verschwendet, da er mit diesem bei ihm nur spärlich wuchernden Gut haushälterisch umgehen mußte, und außerdem hätte er auch nicht den Mut gehabt, den Boß danach zu fragen.

McNallys Frage lag jedoch stumm in der Luft.

Keaton sagte mit belegter Stimme:

»Ich habe den Coup meines Lebens vor. Ihr jagt heute nacht das Sägewerk hoch. Morgen mittag, genau um zwölf, dringt Piggers über den Hof in die Bank ein. Es ist ein kleines Gebäude, ich habe euch die Zeichung davon gezeigt. Um zwölf Uhr ist niemand im Schalterraum. Piggers schwingt sich hoch auf die Barriere und turnt an den Stangen hinauf. Zwischen dem Ende der Trallen und der Ecke klafft eine Lücke von anderhalb Fuß Breite. Er schwingt sich hinüber in den Raum des Kassierers. Genau um zwölf Uhr fünf sprengt McNally das Depot der Wells-Fargo. Es liegt am Ostende der Main-street, und die Menschen werden sich sofort dorthin wenden. Piggers hat inzwischen Zeit, das Geld in die beiden Säcke zu füllen und an sich zu raffen. In einen Sack möglichst nur Hartgeld. Dann verläßt er die Bank, stürmt über den Hof hinaus. Auf jeden Fall kommt er dann in Horbys Bar. Sie liegt gleich nebenan. Er stutzt bei meinem Anblick und brüllt so laut, daß es jeder verstehen muß: ›Damned! Wyatt Earp!‹ Ich folge ihm sofort, gebe ihm Zeit, aufs Pferd zu kommen, versperre den Eingang der Bar und schieße dann. Piggers, der schon in der Mündung der Seitengasse ist, wird nach dem Schuß den Beutel mit dem Hartgeld fallen

lassen und davonjagen. Wir treffen

uns um Mitternacht da oben in den Bergen genau unter der Krüppelfichte, bei der wir am Nachtmittag gerastet haben.«

Stille.

Piggers nickte.

McNally rührte sich nicht.

Da warf Keaton den Kopf herum und zischte den Kentucky-Mann an: »Was paßt dir nicht daran?«

»Weshalb fragst du mich?« wich der schmalschultrige und schmalbrüstige Bursche aus. »Frag doch auch Rob einmal.«

»Ich habe d i c h gefragt!«

»Well, dann muß ich dir sagen, daß es ein feiner Plan ist.«

Keaton sah ihn mit schräggelegtem Kopf mißtauisch an. »Was soll das? Es paßt dir doch wieder irgend etwas nicht.«

»Irgend etwas?« McNally feixte, »Nichts paßt mir, Keaton, überhaupt nichts!«

Keaton haßte es, wenn »seine Leute« ihn beim Namen nannten. Er wollte der Boß sein. Und nur weil er immer etwas Besonderes hatte sein wollen, war er in Wirklichkeit nie etwas geworden. Aber das wußte er nicht. Er hatte den beiden bereits zum viertenmal gesagt, wie sich alles unten in der Stadt abspielen würde. Sie hatten dazu geschwiegen. Und Keaton hatte das für eine Zustimmung gehalten. Nun hatte er ihnen noch einmal den ganzen Ablauf des geplanten Unternehmens geschildert. Schließlich handelte es sich um den ersten großen »Job« der drei Verbrecher. Einen Banküberfall hatten sie bisher noch nicht riskiert. Und er würde ihnen unter gewöhnlichen Umständen auch nie gelingen, hatte ihnen der »Fachmann« Peacemaker erklärt. Nur so…

So…, das hieß, wenn Rory Keaton in Atlantic-City als der berühmte Marshal Wyatt Earp auftrat.

Was das alles zu bedeuten hatte, begriff weder McNally noch Piggers.

Keaton hatte die Ansicht heimlich genährt, daß er das seinen Begleitern gar nicht so genau zu erklären brauchte. Aber nun mußte er einsehen, daß er zumindest an McNally so nicht vorbeikam. Er brauchte den Mann unbedingt für die Sprengung. Der Kentucky-Mann war früher lange Jahre bei einer Sprengabteilung gewesen, die in den Felsenbergen den glatten Verlauf der Verlegung des Schienenstrangs zu besorgen hatte. Er brauchte diesen McNally also notwendiger als alles andere. Und er sah in dessen mondbleichem Gesicht jetzt die stumme Frage.

Keaton rückte sich im Sattel zurecht und sog an der Zigarre, die ihm übrigens absolut nicht schmeckte.

»Well, ich wollte euch nicht unnötig mit diesem Dingen behängen, weil sie euch eigentlich gar nicht betreffen. Also, ich bin in der Stadt. Um zwölf Uhr werde ich zufällig in der Schenke sitzen und einen Whisky zu mir nehmen…«

McNally seufzte und meinte sanft:

»Ich will dich nicht schon wieder unterbrechen, Keaton, aber ich habe gehört, daß Wyatt Earp überhaupt keinen Alkohol trinkt.«

»Wer weiß das schon? Kein Mensch. Peacemaker hat mir geschworen, daß der Marshal nie hier in der Gegend gewesen ist.«

»Aber so etwas spricht sich doch herum«, fand McNally. »Schließlich ist der Mann bekannt wie ein bunter Hund.«

»Yeah«, grinste Keaton, und über sein breitflächiges Gesicht konnte man trotz der Dunkelheit ein Grinsen kriechen sehen. »Er ist bekannt, und genau das ist es, was ich brauche. Jeder kennt seinen Namen. Das ist es – nichts weiter.«

»Solange es nur bei dem Namen bleibt, ist es ja gut. Aber laß doch einen Sheriff, ausgerechnet den Sheriff von Atlantic-City, den Marshal kennen, per Zufall nur…«

»Er kennt ihn nicht«, gab der Bandit nicht ohne einen heimlichen Triumph in der Stimme von sich. »Der Sheriff von Atlantic-City heißt Jonny Soren, ist sechsundvierzig Jahre alt und war bis vor einem Jahr in Gilburry oben im nördlichen Montana. Er ist nie weiter südlich gekommen…«

»Sagt Peacemaker«, unterbrach ihn McNally.

»Yeah, sagt Peacemaker«, gab Keaton bissig zurück, »und Peacemaker weiß es. Er muß es sogar wissen.«

»Well«, schnarrte McNally und drehte sich in der bereits beschriebenen Weise eine neue Zigarette, setzte sie in Brand und fragte, während er der Kopf auf die Seite legte: »Und weshalb hast du es dir in den Kopf gesetzt, hier als Wyatt Earp aufzutreten?«

Das war Rory Josuah Keatons großer Augenblick. Er hatte ihn sich eigentlich für einen späteren Zeitpunkt aufheben wollen.

»Well, dann muß ich es euch also jetzt schon sagen. Peacemaker hat in Santa Fé, in Wichita, in Dodge und in zahlreichen anderen Städten erlebt, daß der Name des Missouriers Wunder wirkt.«

»Und dieses Wunder willst du nach Atlantic-City bringen«, unterbrach ihn McNally unbeeindruckt.

»Yeah, das will ich. Ich werde nicht sagen, daß ich Wyatt Earp bin. Das wird Piggers besorgen, wenn er in den Saloon stürzt. Mein Meisterschuß wird bewirken, daß einer der gestohlenen Geldsäcke zurückbleibt.«

Piggers hustete. »He, wenn du mich nun triffst?«

McNally gab die Antwort für den Boß.

»Das ist nicht zu befürchten, Rob. Keaton trifft schon auf sieben Yards keinen Ziegenbock mehr; da wird er dich Hammel auf eine Distanz von wenigstens fünfzehn Yards kaum noch treffen können.«

»Wenn aber doch…?« fragte Piggers mit verzerrtem Gesicht.

Keaton hatte den Spott des Kentucky-Manns geflissentlich überhört. »Ich werde die Kugel in eine völlig andere Richtung jagen, du Dummkopf!« rief er seinem tatsächlich mehr als dürftig mit geistigen Gütern gesegneten Kumpan zu. Es war schwer für Keaton mit den beiden. Piggers war nahezu strohdumm – und McNally war ausgesprochen gerissen.

Aber er brauchte sie beide. Nur mit ihnen zusammen konnte er seinen großen Plan umsetzen.

»Weiter!« mahnte ihn Kid, »du hast uns doch nicht erklärt, was der ganze Zauber mit Wyatt Earp soll.«

»Für die Leute ist Wyatt Earp in der Stadt, versteht ihr. Das wird eine Sensation für das Nest sein. Der Marshal von Dodge ist da, und schon hat er eine großartige Tat vollbracht. Er hat einem Banditen einen Geldsack aus der Hand geschossen.«

»Für diesen Fall empfehle ich dir, Rob vorsichtshalber einen Schmerzensschrei von dir zu geben!« spottete Kid.

Rob spürte den Hohn nicht. »Yeah, ich werde es mir merken. Es wirkt dann echter.«

»Und wenn der Boß dich ganz zufällig doch treffen sollte, dann brauchst du nicht an den Schrei zu denken, er kommt dann ganz von selbst.«

Das reichte Keaton. Er wandte das Gesicht wieder dem Kentucky-Mann zu.

»Hör zu, Kid. Du kannst aussteigen, ich habe es dir schon gesagt.«

Piggers drängte sein Pferd heran. Und in seiner Linken blinkte ein langes Messer.

»Yeah, das kann er, Boß!« röhrte er heiser.

»Halt’s Maul!« fauchte Keaton ihn an. »Wir haben jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, Kid, du weiß Bescheid: Das Sägerwerk liegt am Ende der

Mainstreet. Es muß eine sichere Sache werden. Wie immer.«

»Wie immer«, wiederholte Mc-Nally.

»Yeah, und dann treffen wir uns wieder hier auf dem Hügel.«

»Feiner Platz«, fand der Kentucky-Mann, »da können uns die Leute, die vielleicht auf den Gedanken kommen, aus der Stadt zu rennen, wenigstens gleich sehen.«

»Well, wir brauchen uns ja nicht gerade hier oben auf dem Kamm zu treffen, sondern ein paar hundert Yards weiter südlich am Hang.«

Piggers kratzte sich die Nase. »All right, Boß.«

Keaton sah McNally an. »Und du?«

»Ich wüßte gern noch, was aus dem Wunder von Atlantic-City werden soll?«

»Was – ich verstehe nicht, was du willst«, sagte Keaton, obgleich er genau wußte, was der Kentucky-Mann meinte.

McNally lehnte sich mit dem Ellbogen auf den Sattelknauf und fragte:

»Weshalb willst du da unten als Marshal von Dodge auftreten?«

Keaton paffte ein paar gewaltige Tabakwolken vor sich hin.

»Ich will es dir genau sagen, McNally. Weil ich als Wyatt Earp Geld machen werde. Geld auf legale Weise, gefahrloses Geld. Verstehst du das? Ich könnte mir denken, daß du das nicht verstehst, daß es zu kompliziert selbst für deinen Schädel ist. Ich werde Geld machen, Brother, einen großen Haufen Geld. Und das kann ich nicht als der kleine dreckige Tramp Rory Keaton. Siehst du das ein? Da werde ich nichts. Bestenfalls kann ich auf einer heruntergekommenen Ranch als Cowpuncher für knappe fünfunddreißig Bucks im Monat unterkommen. Oder als Schwellenleger bei der Bahn, für fünf Dollar weniger. In den Städten nimmt mich keiner auf. Und für den ganz großen Coup in einer fetten Bank reicht es auch nicht. Das wissen wir genau. Eine richtige große Crew bringe ich eben nicht zusammen, ich habe es seit sieben Jahren versucht. Den Jungen stecken andere Rosinen im Kopf, als zwanzig grüne Böcke bei einem Überfall kassieren zu können. Yeah, Kid McNally, so sieht die Sache wirklich aus. Wir sind ein paar ganz erbärmliche, wertlose Wichte.«

»Laß dir das nicht ausreden«, spöttelte der Kentucky-Mann, »jedenfalls, soweit es dich betrifft.«

Aber Keaton war in Rage, er hatte den Hohn nicht herausgehört.

»Kleine, erbärmliche Wichte, yeah, das sind wir, nichts weiter!«

McNally richtete sich auf und sah auf die dunkle Stadt hinunter.

»Ich weiß gar nicht, ob wir so klein sind. Immerhin stehen wir hier oben und haben einen Boß, der der Stadt da unten ein Wunder bringen will, das den Namen Wyatt Earp trägt.«

»Spotte nur!« knurrte Keaton. »Du wirst anders denken, wenn du die Bucks rollen siehst. Es ist der erste große Coup, den wir landen werden. Und gleichzeitig räumen wir auch eine Bank aus…«

»Eine Bank aus?« fragte McNally näselnd. »He, ich denke, Piggers soll nur die paar umherliegenden Dollar einpacken. Unter ›eine Bank ausräumen‹ verstehe ich, die Tresors aufbrechen und leeren.«

»Dazu kommen wir jetzt nicht. Und wir haben es auch nicht nötig, denn diesmal geht es um größere Dinge. Wir werden mehr Geld verdienen als selbst in den Tresors von der Bank in Atlantic-City ist.«

»Spuck aus«, forderte der Kentucky-Mann seinen Boß auf.

Keaton kaute bedächtig auf seiner Zigarre herum.

»Ich bin Wyatt Earp…«

»Das wirst du den Leuten erzählen«, unterbrach ihn McNally.

»No, Brother, ich b i n Wyatt Earp, und je eher du dich an diesen Gedanken gewöhnst, desto besser ist es auch für dich.«

Rory Josuah Keaton rutschte aus dem Sattel, trat einige Schritte vor die drei Pferde, blieb auf dem kleinen Plateau der Hügelkuppe kurz vor dem Abhang nach Norden stehen. Hoch aufgerichtet, mit geblähter Brust und gespreizten Beinen stand er da. Seine großen Hände schwebten über den Revolverknäufen.

»Ich bin Wyatt Earp, der Marshal von Dodge-City.«

Für den Bruchteil einer Sekunde erhellte die Glut der Zigarre sein grobes Gesicht.

Dann senkte der Bandit seinen Kopf. »Zieh!« brüllte er.

Seine Linke stieß auf den Griff des Revolvers, zerrte die schwere Waffe hoch und ließ sie wirbelnd um den Mittelfinger routieren.

Einen Augenblick stand der Tramp wie versteinert da, den großen Revolver in der vorgestreckten Faust.

Dann warf er sich plötzlich zur Seite, zog den rechten Revolver, und der Schuß fauchte von seiner Hüfte los. Keaton sprang vorwärts und hatte beide Revolver in den vorgestreckten Fäusten.

Dann peitschte das wilde Stakkato sinnlos abgefeuerter Schüsse aus beiden Revolvern des Desperados über die schlafende Stadt.

Rory Keaton richtete sich ebenso ruckhaft wieder auf, ließ die Colts zurück in die Halfter fliegen und schlug eine dröhnende Lache an.

Mit hochgerecktem Kopf belferte er:

»Hier steht Wyatt Earp, der Marshal von Dodge!«

Und wieder röhrte die hohle Lache des Tramps über den Hügel auf die schlafende Stadt hinunter.

Die beiden anderen hatten ihrem Boß mit weitoffenen Augen zugesehen.

Kid beugte sich jetzt nach vorn und sagte, ohne den zwischen seinen Lippen verglimmenden Zigarettenrest herauszunehmen:

»He, Keaton, das war nicht schlecht.«

»Yeah, hätte ich dem Boß gar nicht zugetraut!« brach es auch von Piggers Lippen.

»Halt’s Maul!« fuhr Keaton Piggers an. Dann trat er nahe an McNallys Pferd und sagte mit eindringlich heiserer Stimme: »Ich habe es Tag und Nacht geübt, Kid. Während ihr im Rostigen Hufeisen und in Millers Bar herumgelungert habt, stand ich oben in meinem Zimmer und habe geübt.«

»Wirklich nicht schlecht. Wenn du nun auch noch etwas triffst bei der Knallerei, wäre es sogar gut«, dämpfte McNally die Begeisterung, in die sich der Boß hineingeredet hatte.

»Ich treffe, Kid. Ich treffe, wenn ich Wyatt Earp bin.«

»In Brighton…«

»Äh«, Keaton machte eine wegwischende Handbewegung, »in Brighton war ich nicht Wyatt Earp.« Dann wies er mit der ausgestreckten Linken zur Talsohle hinunter. »Aber da unten werde ich es sein. Und es wird keinen Mann geben, der das zu bezweifeln wagt.«

McNally zog die Brauen hoch und stieß endlich mit der Zunge den Zigarettenrest aus.

»Wette tausend zu eins, daß diese Knallerei unten in der Stadt gehört worden ist.«

Keaton feixte. »Ganz sicher. Und das war auch meine Absicht. Es geht alles nach Plan. Erst die Schüsse in der Nacht. Dann die Sprengung der Sägemühle und morgen der Überfall auf die Bank und der Knall im Wells-Fargo-Depot. Das macht die Leute mürbe.«

»Hoffst du.«

»Nein, Kid, ich bin dessen sicher.«

Daß der ganze »großartige Plan« mit Gefahrenpunkten nur so gespickt war, übersah Keaton völlig. Er rieb sich das stoppelige Kinn und erklärte mit einer theatralischen Geste:

»So, Männer, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«

McNally hob mit einer trägen, hölzernen Bewegung den linken Arm.

»Noch eine Frage, Boß. Es könnte sein, daß sich einiges in der Stadt geändert hat. Du weißt doch, daß diese Holznester oft innerhalb eines Jahres an verschiedenen Stellen umgebaut werden können«.

»Dazu schicke ich euch ja jetzt in die Stadt. Piggers hat hauptsächlich die Bank zu beäugen.«

»Vielleicht wäre es doch besser«, suchte der vorsichtige McNally einzuwenden, »wenn wir uns morgen vormittag noch mal die Stadt ansehen würden. Vor allem sollte Piggers unter einem Vorwand versuchen, einen Blick in die Bank zu werfen…«

Rory Keaton sollte bald erfahren, daß diese Vorsicht des Missourier-Mannes dem ganzen Plan ein vorzeitiges bitteres Ende ersparte.

»Well«, knurrte er jetzt, »vielleicht hast du recht…«

*

Eine Stunde später erschütterte eine gewaltige Detonation die kleine Stadt.

Mit entsetzten Augen sahen die schlaftrunkenen Bürger den großen scheunenartigen Lagerraum des Sägewerks unter einer gewaltigen Rauchwolke stehen.

Kid McNally hatte ganze Arbeit geleistet.

Der große Plan des kleinen Bandenchefs Rory Josuah Keaton hatte seinen Anfang genommen.

Und niemand – nicht einmal der argwöhnische Mann aus Kentucky – ahnte, welche Ausmaße dieser Irrsinnplan noch annehmen sollte

*

Es war am nächsten Vormittag gegen acht Uhr.

Ein klobiger, vierschrötiger Mann mit faltigem Gesicht, kurzer, breiter Nase, aufgeworfenem Mund und weit vorgeschobenem Kinn, kleinen Schweinsäuglein und fliehender Stirn lehnte an einem Pfeiler von der Wyoming-Bank und stopfte sich eine Maiskolbenpfeife.

Robert Piggers hatte keine Eile. Als der Tabak in Brand gesetzt war, schnippte er das Zündholz auf die Straße, wandte sich um und ging auf den Eingang der Bank zu.

Kurz vor ihm wurde die Tür von drinnen geöffnet – und ein breitschultriger Mann mit tiefbraunem, zerfurchtem Gesicht und hellgrauen Augen kam heraus. Es war nicht der fadendünne schwarze Schnurrbart auf der Oberlippe des Mannes, der den Banditen schockierte, auch nicht der blankgeputzte Waffengurt mit dem ziemlich tiefhängenden Revolverhalfter auf der rechten Seite – es war der im Sonnenlicht blitzende fünfzackige Stern aus Silberblech auf der linken Brustseite des Mannes, der den Tramp steif dastehen ließ.

Der Sheriff beachtete ihn indessen überhaupt nicht, schob ein paar Geldscheine in die linke Brusttasche und stampfte über den Vorbau davon.

Piggers schluckte. »Heavens! Das war ein Schreck in der Morgenstunde«, murmelte er tonlos vor sich hin.

Dann gab er sich einen unmerklichen Ruck, öffnete die ins Schloß gefallene Tür und betrat die Bank.

Das erste, was er sah, war die Tatsache, daß die Trallen neu waren und bis ganz hinauf zur Decke reichten.

Das war der zweite Schreck, den der kundschaftene Bandit zu schlucken hatte.

Dafür sah er, daß die Tür zum Nebenraum hinten offenstand und außer dem Drehgriff keine weitere Sicherung hatte. Aus diesem Nebenraum kam jetzt ein kleiner hutzeliger Mann mit quellenden Froschaugen hervor. Er hatte,wie es in den Banken und Postbüros der Weststaaten üblich war, einen grünen Marienglasschirm auf, der aber seinen Zweck völlig verfehlte, weil er hoch oben weit über der Stirn auf dem kahlen Schädel des Kassierers saß.

Als er die Schaltertrallen zu einer viel zu kleinen Öffnung hochgeschoben hatte, verrenkte er den Kopf und fragte mit dünner Fistelstimme: »Ja…?«

Piggers nahm ein paar Geldscheine aus der Tasche.

»Ich möchte ein paar Bucks einzahlen, Mister.«

»Auf welchen?Namen?«

»Sam Billinger.«

Die Feder des Kassierers kratzte über das Papier.

»Ja, und wo wohnen Sie?«

»Ich bin Pelztierjäger und komme alle paar Monate aus den Mountains herunter hier durch die Stadt. Da habe ich mir gedacht, daß es ganz gut wäre, wenn ich hier was auf der Bank liegen habe, für den Fall, daß ich mal kein Glück auf der Jagd haben sollte.«

»Sehr vernünftig«, lobte der Kassierer und musterte den »Pelztierjäger«. Diese Prüfung schien günstig für Piggers ausgefallen zu sein, denn der alte Jeff Suggeby hatte eine Schwäche für diese halbverwilderten, scheuen Burschen, die sich oben in den Bergen herumschlugen und nur wenige Dollars für ihre oft monatelangen Arbeiten bekamen.

Piggers starrte entgeistert auf die blasse verknöcherte Hand, die vom Gelenk an bis zum Ellbogen hinauf von einem verblichenen schwarzen Ärmelschoner bedeckt war und die der alte Kassierer ihm über das abgewetzte Schalterbrett entgegenschob.

»Good, Mister Billinger. Mein Name ist Suggeby. Das tun Sie mal, bringen Sie Ihre Bucks mal lieber hierher zu uns, da sind sie besser und sicherer aufgehoben als nebenan in der Bar…«

Piggers drückte die knöcherne Hand des Alten und versuchte, sich sein Teil zu denken.

Als er draußen war, atmete er auf.

Heavens, über die Trallen kam er also nicht. Und außerdem schien die Tür zum Hof, die seitlich in den Schalterraum führte, ebenfalls erneuert worden zu sein. Sie trug außerdem einen stabilen Riegel.

Piggers trottete zu seinem Gaul und ritt langsam aus der Stadt.

Drei Meilen westlich von Atlantic-City traf er auf die beiden anderen.

Piggers berichtete.

Keatons breitflächiges Gesicht wurde um einen Schein blasser. Seine

wässrigen Augen flogen unstet hin und her. Er hatte sich den schwarzen Stetson aus der Stirn geschoben und strich sich immer wieder durch seine strähnigen schwarzen Haare.

McNally hockte auf einem Feldstein, kaute auf einem Zündholz herum und schien überhaupt nicht zugehört zu haben.

Keaton sah seinen großartigen Plan bereits davonschwimmen. Nervös nahm er seinen Tabaksbeutel heraus und drehte sich eine Zigarette.

Der Kentucky-Mann wandte den Kopf. Fast ohne die Lippen zu bewegen, meinte er leise:

»Ich dachte, Wyatt Earp raucht nur schwarze Ziarren?«

»Sei still!« fauchte ihn der Boß an.

Piggers nagte bekümmert an seiner Unterlippe. »Was passiert jetzt, Boß?«

Keaton senkte den Kopf und scharrte mit der Spiefelspitze im rotbraunen Sand.

»Ich muß überlegen.«

»Da wird es Zeit«, schnarrte McNally.

Keaton stieß plötzlich einen Stein weit über den Weg. »Wenn du ständig dazwischen redest, kann ich nicht denken.«

McNally quetschte an dem Streichholz vorbei: »Halt also die Klappe, Rob!«

Es war still.

Eines der drei Pferde schüttelte den Kopf und erwehrte sich einer dicken Fliege.

Stahlblau und wolkenlos spannte sich der Himmel über das Tal. Die Zinnen der Berge ringsum trugen weißglitzernde Schneeräder. Von den Wind-River-Mountains her kam ein sanfter Wind.

Die beiden Tramps blickten auf den breiten Rücken ihres Anführers.

Kid McNally sah über den neuen schwarzen Anzug, der sicher seine

fünfzig Dollars gekostet hatte, bis hinunter auf die neuen Stiefel, deren hochhackige Absätze jetzt staubgepudert waren.

Dann sagte der schmalgesichtige, langaufgeschossene McNally plötzlich in die Stille hinein:

»Die Tür zum Hof ist neu und trägt innen todsicher einen starken Riegel. Dafür gibt es eine andere Tür, die auch vom Hof aus ins Haus führt, und zwar in den Nebenraum. Nebenraumtüren, die in die Räume des Kassierers führen, sind selten stark abgesichert.«

Er hatte es ganz ruhig ohne jede Betonung gesagt und blickte dabei auf seine mißfarbenen und ziemlich abgetragenen Beinkleider.

Piggers sah unverwandt auf den breiten Rücken Keatons.

Der bewegte sich nicht. Ganz steif stand er da.

Endlich öffnete Piggers die Lippen.

»Stimmt, Boß, ich habe die Tür auch gesehen, von der Kid gesprochen hat. Sie ist tatsächlich stark von innen verriegelt.«

Keaton fuhr auf dem Absatz herum.

Und die andere Tür, hast du die auch gesehen?«

»Yeah – zufällig.«

»So etwas sieht man nicht zufällig«, näselte McNally.

»Sei still!« fauchte ihn Keaton an. »Los, Rob, wie sieht sie aus, diese Tür?«

»Sie hat nur einen Drehknopf.«

Keaton stieß einen spitzen Freudenschrei aus.

»Well, dann ist alles gerettet!«

McNally hob träge den Kopf, warf einen undeutbaren Blick auf Keaton und ließ ein sorgenschweres Haupt dann wieder sinken.

Niemand kam auf den Gedanken, zu fragen, wie Kid, dessen Aufgabe das doch gar nicht war, dazu kam, die Beschaffenheit des Bankgebäudes in Augenschein zu nehmen.

Es war allerdings nie anders gewesen, und Keaton wie auch Piggers nahmen diese Dinge als Selbstverständlichkeit hin.

McNally seinerseits hatte es aufgegeben, sich darüber zu ärgern, und zum anderen war es ja auch so, daß er längst wußte, daß er zur eigenen Sicherheit zumindest hinter Piggers immer herlaufen mußte.

Eine großartige Crew! dachte der Kentucky-Mann. Aber er hatte so vieles in seinem Leben aufgegeben, so auch den Gedanken, sich einer anderen Bande anzuschließen. Er war immer nur ausgenutzt worden. Und das erste, was er in seiner wenig glanzvollen Laufbahn als Bandit aufgegeben hatte, war sein Ehrgeiz. Daß ihm sein Verstand geblieben war, lag nur daran, daß er ihn schließlich kostenlos zur Verfügung hatte.

»Well«, meinte Keaton jetzt, »wir müssen uns beeilen. Ich werde vorsichthalber die Bank noch kurz von der Nebengasse her betrachten, ob auch alles in Ordnung ist. Ich gebe dir dann ein Zeichen, und du weißt Bescheid. Wenn etwas schiefläuft, setze ich meinen Hut ins Genick.«

McNally grinste breit.

Keaton bemerkte es nicht.

»Vorwärts, es ist spät geworden. Und die Mittagspause in der Bank ist von Viertel vor zwölf bis Viertel nach zwölf. Da es noch der alte Kassierer ist, wird er todsicher auch die gleiche Mittagszeit einhalten. Auf die Gäule, Boys!«

McNally lauschte dem Ruf Keatons noch einen Augenblick gedankenvoll nach, dann erhob auch er sich und zog sich in den Sattel.

Die drei Tramps ritten in drei verschiedene Himmelsrichtungen davon.

Nur der Boß ritt über die gerade Fahrstraße auf die Stadt zu. Mit hartem, etwas verkniffenem Gesicht saß er auf dem Rücken seines Falben. Bei jedem Schritt des Tieres knarrte und knirschte leise das neue Lederzeug. Auf und ab senkte sich der Kopf des Pferdes.

Der Reiter saß kerzengerade im Sattel, sank aber mit der Zeit mehr und mehr nach vorn. Immer und immer wieder versuchte er, sich das, was vor ihm lag, vorzustellen.

Und dann hörte er wieder die beschwördene Stimme Peacemakers in seinen Ohren:

»Du b i s t Wyatt Earp. Denke fest daran. Du bist der Marshal von Dodge…«

Als er die ersten Häuser der Stadt auftauchten sah, zuckte der Bandit unwillkürlich zusammen.

Atlantic-City – da lag es.

Es sah nicht anders aus, als all die vielen Städte, die der Tramp Rory Keaton auf seinem schmutzigen Trail gesehen hatte.

Aber es sollte eine wichtige Station seines Lebens sein. Das hatte er sich jedenfalls vorgenommen.

Als er an dem grobgezimmerten Schild mit den schwarzen, rot- und gelbgeränderten Buchstaben vorbeiritt, gab er sich einen Ruck und saß wieder aufrecht im Sattel, so, wie Peacemaker ihm die Haltung des Missouriers beschrieben hatte.

Der Mann, der da auf dem Falbpferd in die breite, staubige Mainstreet von Atlantic-City einritt, hatte rein äußerlich tatsächlich einige Dinge, die von weitem an die Erscheinung des berühmten Marshals erinnerten. Ja, wenn er weniger finster dreingeschaut hätte, dann wäre das dunkelgebrannte, harte, kantige Gesicht Keatons unter dem breitrandigen schwarzen Stetson dem Missourier selbst auf vierzig Yards hin nicht einmal unähnlich gewesen. Und was noch wichtiger war, Keaton hatte eine ähnliche Figur wie Wyatt Earp. Nur jemand, der den Missourier genau kannte, wußte, daß er noch einige Inches größer, sehniger, breitschultriger und schmalhüftiger war.

Aber wer wußte das in Atlantic-City schon?

Diese Rechnung Bill Peacemakers schien also aufzugehen.

Mit starrem Blick ritt der Bandit vorwärts. Er sah weder rechts noch links, hatte die Zigarre im rechten Mundwinkel und hielt mit der Rechten die Zügelleine umkrampft.

»Du bist der Marshal von Dodge…«

Peacemakers Stimme war in seinem Ohr, als er an der City-Hall vorbeiritt.

Drüben war der Tonsorial-Palace. Rechts stand das große Tor eines Mietstalles offen.

Daneben – Keaton wagte nicht hineinzublicken und sah es doch – lag das Sheriff-Office. Ein kleiner Backsteinbau, der grellweiß gestrichen war und über der Tür in Riesenlettern den Zweck seiner Bestimmung verkündete.

Und gleich daneben an einer Ecke lag das Gebäude der Wyoming-Bank. Es war ein ziemlich großer, doppelstöckiger Holzbau mit einem breiten überdachten Gehsteig davor.

Keaton mußte sich krampfhaft bemühen, keinen Blick auf das Haus zu werfen.

Wo mochte Piggers stecken?

McNally war todsicher auf seinem Platz beim Depot der Frachtgesellschaft.

Sonderbar, daß man sich auf den einen so hundertprozentig und auf den anderen so wenig verlassen konnte.

Als Keaton vor dem Saloon aus dem Sattel stieg, war es genau eine Viertelstunde vor zwölf.

Lässig warf er die Zügelleine um den Querholm, dann überquerte er mit harten sporenklirrenden Schritten den Vorbau, stieß die Pendeltür der Schenke auseinander.

Fast wäre er zurückgeprallt.

Denn das erste was ihm aus dem Halbdunkel des Schankraumes entgegenschimmerte, war ein metallener fünfzackiger Stern. Er saß auf der breiten Brust eines mittelgroßen vierschrötigen Mannes.

Keaton schluckte seinen Schrecken hinunter. Er dachte an Piggers, der erzählt hatte, daß auch ihm der Sheriff gleich als erster Mensch über den Weg gelaufen war.

Der Bandit ließ die Schwingarme der Tür los und trat in den Raum.

Forschend glitt sein Blick über die Tische.

Nur einer, vorn an der Theke, war von vier pokernden Männern besetzt.

Links am Fenster sah ein einzelner blaßgesichtiger junger Mann und stierte trübsinnig in sein schaumloses Bier.

Vorn an der Theke lehnte der Sheriff.

Keaton ging auf ihn zu und tippte kurz an den Rand seines Hutes.

Dann zog er die Brauen finster zusammen und suchte den Keeper.

Der Hüter des Gesetztes wandte sich nach dem Fremden um.

»Brigger holt neuen Whisky aus dem Vorratsraum, Mister. Sie müssen sich einen Augenblick gedulden.«

Keaton nickte, schob sich den Hut aus der Stirn und brummte: »So eilig habe ich es nicht.«

Der Sheriff drehte sich mit ungelenken Fingern eine Zigarette.

Keaton sah ihm von der Seite her dabei zu und dachte, wie geschickt der schmalbrüstige Kid McNally das machte.

Ohne den Fremden anzusehen, meinte der Sternträger: »Auf dem Durchritt?«

Keaton nickte und brachte mit belegter Stimme hervor: »Yeah.«

Der Sheriff hatte die Tabakblättchen in das braune Papier geschüttet und rollte die Zigarette zu einem unförmigen Stengel zusammen.

Keaton riß ein Zündholz an und hielt es ihm wortlos hin.

Der Sheriff nickte und sog die Flamme in die Zigarette.

»Armseliges Nest«, brummte er dann, »sehen Sie zu, daß Sie bald weiterkommen. Atlantic-City kann man nur in angenehmer Erinnerung behalten, wenn man schnell hindurchreitet und es ebenso schnell wieder vergißt.«

Rory Keaton zog die Brauen unmerklich zusammen. Aber er sagte nichts.

Und Jonny Soren, der Sheriff, dachte keineswegs das, was er da eben von sich gegeben hatte. Aber obgleich er nicht gerade ein großer Menschenkenner war, gab es etwas an dem Fremden, daß ihm erheblich mißfiel: der Kreuzgurt.

Well, es gab eine Menge Männer, die einen doppelten Waffengurt trugen. Aber wer ihn trug, trug auch zwei Halfter mit zwei Revolvern. Und wozu mußte ein Mensch zwei Revolver haben?

Zum schießen – selbstverständlich.

Die Tatsache, daß bereits ein Revolver seine Existenzberechtigung an und für sich nur durch das Schießen erhärten konnte, interessierte den Sheriff nicht. Denn schließlich mußte ein Mann einen Revolver tragen, ohne eine Schußwaffe war ein Mann im Westen ja halbnackt.

Aber zwei Colts! Heavens! Nur Leute, die zwei Revolver brauchten, trugen sie auch.

Der Fremde war also ein Zweihandmann. Der häßliche patronengespickte Kreuzgurt wirkte direkt aufdringlich.

Immerhin war Soren erfahren genug, solche Menschen nicht etwa zu reizen. Er war bisher gut dabei gefahren, wenn er ihnen die Stadt durch abfällige Reden verleidete.

Aber dieser Fremde schien ein besonders starrsinniger Bursche zu sein. Nichts in seinem hölzernen Gesicht verriet, was in ihm vorging.

»Kommen Sie aus dem Süden?«

Keaton runzelte die Stirn. Und wieder gab er nur ein Wort zur Antwort: »Yeah.«

»Aus Colorado?« bohrte der Sheriff.

»No.«

Diese Einsilbigkeit fiel dem Hüter des Gesetzes auf. Er beschloß sich mehr auf seine direkte Absicht, nämlich den Kreuzgurtträger aus der Stadt zu ekeln, zu beschränken.

»Es ist wirklich ein erbärmliches Kaff, dieses Atlantic-City.«

Keaton nickte. Und diesmal verstieg er sich zu zwei Worten: »Kann sein.«

Soren sah ihn an. »Wollen wir eine Partie Poker spielen?«

Keaton lehnte ab. »No, thanks.«

Über zwei Worte schien dieser verstockte Zweihandmann also nicht hinauszukommen.

Der Bandit sah auf, und sein Blick blieb auf dem vergilbten Ziffernblatt einer alten Uhr hängen.

Drei Minuten vor zwölf.

Es war Keaton, als ob er einen Guß Eiswasser über den Rücken bekommen hätte.

Heavens.

Nun mußte es jeden Augenblick losgehen.

Und nur die paar Leute hier in der Schenke! Der Sheriff – yeah, den hätte er am liebsten zum Teufel gewünscht.

Zwei Minuten vor zwölf.

Rory Keaton wandte sich langsam um.

Da hörte er hinter sich ein Geräusch und fuhr herum.

Es war ein dickbauchiger Mensch mit flachsblondem Haar, dunklen Augen und fleischigen roten Händen.

Der Keeper.

Soren blickte den Fremden verstört an. Teufel auch, wie der Kerl sich umgedreht hatte bei dem Geräusch!

Keaton preßte heiser hervor: »Einen Whisky.«

Dann sah er wieder zur Uhr.

Der große Zeiger deutete immer noch auf die zweite Minute vor zwölf.

Vorn über den Schwingarmen der Tür erschien ein Kopf. Der Kopf eines Mannes.

Ganz deutlich und scharf hob er sich gegen das helle Licht der Straße ab.

Es war der struppige Schädel Robert Piggers’.

Keaton war wie zur Salzsäule erstarrt.

Die Sekunden verrannen.

Keaton spürte, wie ihm der Schweiß in kleinen Bächen über den Rücken rann.

Nichts geschah.

Der Mann draußen vor der Tür rührte sich auch nicht.

Da vernahm Keaton hinter sich das Geräusch eines Glases, das über die Theke geschoben wurde. Aber der Bandit wagte nicht, sich umzudrehen.

Eine beklemmende Stille herrschte in der Schenke.

Da schlug die Uhr über dem Flaschenbord zwölf.

Keaton zuckte zusammen.

Zwölf! hämmerte es in seinem Hirn.

»Heute nacht hat’s hier im Sägewerk eine Explosion gegeben«, sagte der Salooner.

Der Sheriff versetzte knurrend: »Dan Winter glaubt, daß eine Öllampe in die offene Sprengstoffkiste gefallen sein müsse. Wer weiß, ob das stimmt…«

Was tut der Kerl hier? Weshalb steht er hier vor der Tür? Ist er wahnsinnig geworden? dröhnte es in Keatons Schädel.

Was war passiert?

In wenigen Minuten ließ McNally das Depot der Wells-Fargo in die Luft gehen.

Damned!

Es waren höllische Sekunden, die der Bandenboß durchzustehen hatte. Die Ungewißheit machte ihn völlig fertig.

Was sollte er tun?

Hatte Piggers seinen Teil bereits hinter sich?

Weshalb stand er dann da so idiotisch an der Tür herum?

»Ihr Whisky, Mister«, kam von hinten die Stimme des Keepers.

Keaton fuhr herum, so hatte er sich erschrocken.

Als er seine Rechte hob, um sie dem Glas entgegenzuschieben, bemerkte er, daß sie zitterte.

Zounds! Wenn der Sheriff ihn beobachtete, war alles aus. Nie und nimmer würde er glauben, daß der berühmte Dodger Marshal zitterte…

Keaton hob den Blick.

Vier Minuten nach zwölf.

Der Bandit schluckte. Hastig griff er nach dem Glas und kippte den Inhalt hinunter.

In diesem Augenblick fiel in der Saloonküche der alten Negerin Polly Nott eine Schüssel aus der Hand und auf die Steinfließen.

Keatons Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er hatte den Schlag im ersten Augenblick für die Explosion gehalten.

Als er sich wieder umwandte, war Piggers’ Kopf immer noch über den Schwingarmen der Tür zu sehen.

Der »Boß« war der Verzweiflung nahe.

Was sollte das alles nur bedeuten? War Piggers übergeschnappt?

Rascher Hufschlag kam von der Straße; er verstummte vor dem Saloon.

Dann waren harte Schritte auf dem Vorbau.

Gleich darauf tauchte der Kopf eines Mannes auf.

McNally!

Keaton hatte Augen wie Billardkugeln.

Da war der Kentucky-Mann bereits in der Schenke, durchquerte sie, lehnte sich an die Theke und bestellte sich einen Whisky double.

Der Salooner nickte, holte ein Glas und eine Flasche und schob dem neuen Gast beides hin.

McNally kurbelte sich mit der Linken eine Zigarette. Während er ein Zündholz anriß, sah er in Keatons bleiches Gesicht.

Erst das Lächeln, das um die Lippen des Kentucky-Mannes spielte, brachte den Bandenführer aus seiner scheußlichen Erregung. Es lag alles in dieser grinsenden Lache. Vor allem aber las Keaton daraus, daß kein Grund zur Beunruhigung bestand.

Und plötzlich war auch der kantige Schädel Piggers’ vor der Tür verschwunden.

Keaton warf ein Geldstück auf die Theke und verschwand.

Der Sheriff sah ihm nach, dann meinte er, ohne den Kentucky-Mann anzusehen: »Komischer Bursche.«

McNally grinste. »Yeah – sympathisch sieht er nicht gerade aus.«

Der Sheriff knurrte: »Ich habe etwas gegen Leute, die einen Kreuzgurt tragen.«

»Kann ich verstehen«, stimmte McNally zu und trank sein Glas aus. Dann zahlte auch er und verließ die Schenke.

*

Die drei Tramps ritten nach erprobter Manier in verschiedenen Richtungen aus der Stadt – um nach drei Stunden oben in den Bergen bei der Krüppelkiefer zusammenzutreffen.

Piggers war bereits da, als Keaton ankam.

Der Boß fauchte den hundegesichtigen Schlacks an: »Was war los, Mensch?«

Piggers hustete, wie immer, wenn er sich nicht sehr sicher fühlte. »Die Hoftür war geschlossen.«

Keaton stieß einen lästerlichen Fluch aus. »Mensch, du hättest…«

Piggers stieß ihn an. »Still, da kommt einer!«

Sie liefen beide zu der Felsnase, die ihnen den Blick in die Talsenke versperrte.

»Es ist Kid!« sagte Piggers erleichtert.

McNally kam im leichten Trab heran und rutschte aus dem Sattel.

Zu Keatons Ärger drehte er sich in aller Ruhe eine Zigarette. Er dachte gar nicht daran, das Gespräch zu eröffnen. Im Gegenteil, er sattelte seinen Tupfschimmel ab und hockte sich auf den Sattel.

Keaton stand breitbeinig da und starrte auf ihn herab.

»Was war los? Weshalb ist das Depot nicht gesprengt worden?«

McNally hob unendlich langsam das Gesicht. Mit eingesunkenen Schultern hockte er da und sog an seiner dünnen Zigarette.

Es verging fast eine Minute, ehe er fragte: »Sollte denn gesprengt werden?«

»Natürlich nicht!« platzte Keaton heraus. »Aber woher wußtest du, daß Piggers nicht vorangekommen ist?«

»Weil die Bank heute geschlossen ist. Vorn im Fenster steht ein dickes Schild: Closed today.«

Er hatte es gesagt, als sei es die größte Selbstverständlichkeit der Welt gewesen. Und dabei war doch er es gewesen, der das Schlimmste verhütet hatte. Hätte er das Depot in die Luft gejagt, wäre der große Gegenschlag, der doch Keatons ganze Rechnung zusammenhielt, dahingewesen. Da war er also noch einmal an der Bank vorbeigeritten, der vorsichtige Kid McNally, und hatte dabei das Schild entdeckt, das weder Piggers noch der Boß selbst gesehen hatten. Wieder war er es gewesen, der eine Panne verhindert hatte.

Piggers war völlig verstört zu der Schenke gekommen, anstatt das einzig Richtige zu tun, nämlich sofort McNally aufzusuchen, um ihn an der Sprengung zu hindern.

McNally hatte Piggers gesucht, gleich als er das Schild wenige Minuten vor viertel vor zwölf entdeckt hatte. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte Piggers sich bereits irgendwo im Hof der Bank versteckt gehalten.

Erst kurz vor zwölf hatte sich McNally dann in die Nähe des Wells-Fargo-Depots begeben, weil er Piggers dort vermutete. Auf den Gedanken, daß der Mann mit dem Hundegesicht sich an der Schenkentür aufhalten würde, kam McNally allerdings nicht. Er hätte ihn auch da gar nicht sehen können, da er für seine Wege nur die Nebengasse benutzte, was auf jeden Fall unauffälliger war.

Schweigend hockten die drei Banditen auf ihren Sätteln und starrten vor sich hin.

Endlich meinte Keaton: »Dann eben morgen mittag. Schade, daß dann der Knall im Sägewerk so lange zurückliegt.«

McNally fand: »Wie wärs, wenn ich das Jail ein bißchen vom Boden abhebe? Es ist ohnehin leer. Wir tun also nicht einmal einem Tramp weh dabei.«

»Wieviel Kapseln haben wir denn noch?«

»Genug für die beiden Späße«, antwortete McNally.

»All right, aber du mußt das natürlich genau auskundschaften«, sagte Keaton überflüssigerweise.

Der Schmalgesichte warf ihm einen verächtlichen Blick zu, erhob sich und meinte:

»Ich habe einen ganz höllischen Hunger.«

Piggers nickte, stand ebenfalls auf und machte sich daran, Holz für ein Feuer zusammenzusuchen.

»Ich muß zurück in die Stadt«, erklärte Keaton. »Schließlich haben mich die Leute schon gesehen. Ich werde mir im Grand-Hotel ein Zimmer mieten.«

»Wenn du es nun im voraus bezahlen mußt?« wollte Piggers wissen.

Keaton fauchte: »Das laß nur meine Sorge sein, Boy. Für ein Zimmer habe ich noch Geld!«

Er ritt davon.

*

Kurz nach Mitternacht barst die Rückfront des frei hinter dem Sheriffs-office stehenden Gefängnisses mit donnerndem Getöse auseinander. Die Bürger von Atlantic-City fuhren wie in der vergangenen Nacht aus dem Schlaf hoch.

Und was McNally insgeheim befürchtet hatte, geschah:

Gewehrschüsse krachten kurz darauf auf der Mainstreet. Sheriff Soren hatte mit seinem Deputy Nachtwache gehalten. Im Augenblick der Explosion befanden sich die beiden Gesetzesmänner gerade am östlichen Ende der Hauptstraße.

Entgeistert blickten sie zu dem dunklen Rauchpilz hinüber, der sich in der Nähe des Sheriff-Büros über die Häuser hob.

»Das Office!« stieß Soren hervor.

Dann riß er auch schon die Winchester hoch, lud sie durch und gab

drei Schüsse in den Nachthimmel

ab.

Atlantic-City war wach – aber der Kentucky-Mann hatte längst das Weite gesucht.

*

Keaton hatte eine unruhige Nacht in seinem Quartier verbracht. Den ersten Teil der Nachtstunden hatte er am Fenster sitzend auf die Explosion gewartet, und den Rest hatte er ängstlich hinauslauschend halb angekleidet auf dem Bett dahingedämmert.

Als der Morgen im Osten graute, war er immer noch wach. Ächzend richtete er sich auf und starrte in den halbdunklen Raum.

Er schrak jäh zusammen.

Von der gegenüberliegenden Wand sah ihm aus einem engen Fenster ein Mann entgegen. Ein Mann mit wirrem schwarzem Haar und über der Brust offenem Hemd.

Sekundenlang saß der Bandit steif und hölzern da.

Dann tastete seine Rechte nach dem Revolver, den er gewohnheitsmäßig neben sich liegen hatte. Noch in der Bewegung erstarrte er – denn der Mann drüben schien die gleiche Bewegung zu machen.

Da erst begriff der Bandit: Es war sein eigenes Spiegelbild, das ihn da genarrt hatte.

Ein halbblinder Spiegel, der drüben an der Wand über der alten Waschschüssel hing.

Keaton wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.

Damned! Er war mit den Nerven fertig. Er war eben der Aufgabe, die sein Größenwahn ihm eingegeben hatte, nicht gewachsen.

Aber er würde nicht nachgeben. Unter gar keinen Umständen. Er war jetzt einundvierzig Jahre alt. Fast ein volles Jahrzehnt befand er sich nun schon auf dem grauen Trail. Es waren die schmutzigsten und hungrigsten Jahre seines Lebens gewesen. Und heute mußte er zu der Feststellung kommen, daß er ein erbärmlicher Tramp geblieben war, genau noch der Bursche, den sie damals drüben bei Mitchell in Dakota von der Bahnbaustelle gejagt hatten, weil er einem anderen Arbeiter Geld gestohlen hatte.

Damals war er plan- und ziellos durch das Land gezogen. In Okaton lahmte sein Gaul, und er mußte einem Roßarzt seine letzten Bucks geben, damit er das Tier wieder auf die Beine brachte. In einer heißen Julinacht wurde er in der Nähe des großen Indianer-Reservats von zwei Pineridges angegriffen und dabei von einem Pfeil schwer verwundet. Es gelang ihm, sich der Rothäute mit Hilfe seines Revolvers zu erwehren. Tagelang schleppte er sich weiter, bis ihn das Wundfieber aus dem Sattel warf.

Ein uralter fahrender Händler fand ihn und pflegte ihn wieder gesund.

Keaton war weiter nach Südwesten gezogen, hinunter nach Colorado. Und auch dort hielt es ihn nicht, als er in einer Bar in Denver mit einem Gunslinger Streit bekam und seinen ersten Revolverkampf auf der Mainstreet durchzustehen hatte. Der Revolverschwinger hatte vor ihm im Straßenstaub gelegen; er war nicht tot, konnte aber den Kampf nicht fortsetzen.

Rory Keaton hatte zu früh gezogen.

Es war ein unfairer Fight gewesen. Zu Keatons Glück hatte es niemanden gegeben, der den Kampf beobachtet hatte. Dergleichen Auseinandersetzungen waren damals in Denver an der Tagesordnung gewesen und lockten kaum noch jemanden an.

Der geflüchtete Bahnarbeiter aus Dakota floh weiter nach Südwesten, nach Arizona. In Tucson arbeitete er in einem Mietstall, wurde dort verjagt, weil er sich unrechtmäßige Gelder dadurch verschafft hatte, daß er nachts Pferde auslieh, ohne dem Mietstallbesitzer die Beträge abzuliefern. Das war der letzte Job, den Rory Keaton angenommen hatte. Seitdem streifte er durch das bizarre glühendheiße und von leuchtenden Farben erfüllte Land der Turmkakteen und riesigen Sandsteinsäulenfelsen. Bei Los-Pozos überfiel er aus dem Hinterhalt einen Händler, verletzte ihn mit einem gefährlichen Streifschuß, stürmte auf den Wagen und hieb den Mann mit dem Revolverkolben nieder. Die Beute war jämmerlich gewesen: zwanzig Dollar.

Der Mann mit der Maske entkam.

Rory Keaton floh, er floh von Ort zu Ort, von County zu County.

Und seine Taten glichen einander wie die Wellen eines schmutzigen Savannenrinnsals.

Vor einigen Jahren kam er dann ins Mohave County. Da schloß er sich einer Bande von Postkutschen-Räubern an, trennte sich aber bald wieder von ihnen, da ihm der Ton nicht behagte, der unter den Banditen herrschte. Der Boß war ein zwergenhafter Mensch mit krummen Beinen und tiefer Baßstimme. Er schnauzte seine Leute unentwegt an und behandelte sie wie Treibvieh.

Keaton beschloß damals, sich »selbständig« zu machen. In dieser Zeit traf er in Red-Lake auf Rob Piggers; er erkannte in dem Burschen sofort den Gleichgesinnten, vor allem aber den Mann, den er herumkommandieren konnte.

Piggers suchte damals gerade einen neuen Job. Seine Kameraden waren bei einem Hold-Up am Union-Paß von einer Staatenreiter-Streife gestellt worden. Piggers hatte – wie meistens – irgendwo gesteckt, wo es nicht »heiß« war.

Keaton merkte bald, daß er mit Piggers allein nicht weiterkam, der hundegesichtige Arizona-Mann war zu einfältig.

An einem Frühlingsabend, als die beiden die Overland zwischen Fort Mohave und Leonie aufhalten wollten, kamen drei Reiter, die den beiden Banditen möglicherweise gefolgt waren, plötzlich hinzu, forderten sie auf, die Hände hochzuheben, und machten sich ihrerseits daran, die »Arbeit« fortzusetzen. Sie machten das bedeutend routinierter als Keaton und Piggers und waren schon dabei, die Beute zu kassieren, als sich einer der Passagiere,

ein schmalschultriger, blaßgesichtiger Mensch, plötzlich fallen ließ und den Colt in der Hand hatte.

Es war der Kentucky-Mann Kid McNally.

Die drei Banditen starrten ihn verblüfft an.

McNally forderte Keaton und Piggers auf, die drei zu entwaffnen.

Aber es hatte nicht viel geholfen. Die Beute war so dünn, daß Keaton, McNally und Piggers dreißig Meilen weiter nördlich die Pferde, die sie den drei »Konkurrenten« abgenommen hatten, verkaufen mußten, um an ein paar Dollars zu kommen.

McNally hatte nach Leonie gewollt. Was er dort eigentlich vorgehabt hatte, war den beiden anderen niemals klargeworden. Der Kentucky-Mann war ein merkwürdiger Bursche und schien niemals ein Ziel gehabt zu haben. Well, er kam aus Kentucky und hatte bei Bahnsprengungen oben in den Rocky-Mountains gearbeitet. – Das war aber auch alles, was Keaton aus ihm herausgebracht hatte.

Seitdem ritten sie zusammen. Ein Kleeblatt, das nicht ungleicher vom Schicksal zusammengewürfelt werden konnte. Mit wechselndem »Erfolg« beraubten sie Einzelreiter, fahrende Händler, Indianeragenten und Postkutschen.

Ob die beiden anderen mit dem Job zufrieden waren, hatte Keaton nie erfahren; es hatte ihn auch nie interessiert. Er jedenfalls war nicht zufrieden mit seinem Leben.

Zu dieser Zeit lernte er William

Peacemaker näher kennen. Der Fellhändler hatte dem nach einem neuen Job suchenden Desperado die »unfehlbare« Idee verkauft, an deren Ausführung das Kleeblatt jetzt herumhantierte…

Keaton richtete sich auf, fuhr sich durchs Haar und gähnte.

Heute mußte es gelingen! Der so lange vorbereitete und so mühsam aufgebaute Plan mußte heute durchgeführt werden.

Daß es ein Irrsinn war, hätte ihm kein Mensch auf dieser Erde einreden können. Rory Keaton war besessen von seinem Plan.

Er wollte unter dem Namen des berühmten Marshals Earp Geld machen; aber er wollte auch etwas anderes: Er wollte endlich einmal jemand sein, aus der schmutzigen Haut des wert- und bedeutungslosen kleinen Banditen Rory Josuah Keaton herausschlüpfen.

Das war es, was er seinen Kumpanen nicht eingestehen konnte. Das war der wirkliche Grund. Deshalb nur wob er einen geheimnisvollen Schleier um sein Vorhaben. Es war eine Tatsache, und sie muß hier genannt werden: der Bandit Rory Josuah Keaton suchte mit seinem großen Plan nicht zuletzt auch sein starkes Geltungsbedürfnis endlich einmal zu befriedigen. Er, der siebente Sohn eines armen Taylors aus Süd-ost-Dakota, der vom Leben ewig

zur Seite geschobene Bursche, der verjagte Bahnbau-Arbeiter, der Land-streicher, der Bandit, der es nie zu

einer wirklichen Beute gebracht hatte – er würde endlich einmal jemand sein.

Wyatt Earp! Heavens, welch ein Name! Als er ihn damals zum erstenmal aus Bill Peacemakers Mund hörte, hatte er laut aufgelacht. Ausgerechnet Wyatt Earp, der schärfste Wolf, dessen Name der ganze Westen kannte, der gefürchtetste Gesetzesmann, der gefährlichste Revolverkämpfer –?der sollte er sein. Yeah, er sollte ihn für diese ganze Stadt sein. Peacemaker hatte es ihm so lange eingeredet, bis er selbst schon davon überzeugt war.

»Wenn du erst einmal damit begonnen hast und die Männer dich mit dem Namen anreden, wirst du dich wundern, wie schnell es geht, bis du dich in ihn hineingelebt hast.«

Der ganze Trail hier herauf nach Wyoming hatte diesem Gedanken gegolten – dem Geltungsbedürfnis eines kleinen Gangsters.

Well, Rory Keaton war nichts weiter als ein kleiner Gangster. Noch jedenfalls. Daß er in Dakota ein paar Bucks gestohlen hatte, in Colorado einen Mann im Gunfight betrogen und dabei kampfunfähig geschossen hatte, daß er ein paar Overlands gestoppt hatte – well, das machte noch keinen großen Verbrecher aus ihm. Und doch kannte der Sohn des kleinen Kleidermachers aus dem winzigen Kistenholzstädtchen Madison in Dakota keinen größeren Wunsch, als ein großer, gefürchteter und gefährlicher Desperado zu sein. Vielleicht war es tatsächlich das Wesentliche im Charakter Keatons, daß er irgend etwas Bedeutungsvolles sein wollte.

Es ist seit jenen Tagen viel über den zwiespältigen Rory Josuah Keaton gerätselt worden. Historiker und Psychologen haben sich mit seiner Persönlichkeit befaßt – ich glaube, alle haben ihm zuviel Ehre angetan. Daß er wirklich einer der ganz großen Verbrecher des Wilden Westens wurde, entsprang mehrt den Umständen, in die er geriet, als seinen Anlagen.

Yeah, er wurde einer der großen

Desperados der Weststaaten. Dr. Jules Pharmakacie, vielleicht der bedeutendste Geschichtsforscher des Amerikas der Jahrhundertwende, schrieb über Keaton: Er war ein Nichts, ein bedeutungsloser Funke, der von einem verglimmenden Feuer durch ein Windhauch abgetrieben wurde und unseligerweise auf ein Pulverfaß fiel…

Der Tag brach an.

Und der Mann, dessen Tag es werden sollte, schlief. Wenig eindrucksvoll lag der Desperado Rory Keaton mit seitlich vom Bett herunterhängendem zerwühltem Kopf auf seinem Lager.

Erst als draußen auf der Straße ein kleiner Junge gellend aufschrie, weil ein Pferd, das er dauernd geneckt hatte, ihm einen füchterlichen Tritt mit dem Hinterhuf versetzt hatte, fuhr der Bandit hoch. Er sprang auf und stürzte schlaftrunken zum Fenster.

Unten auf der Straße umstand eine Menschenmenge einen kleinen semmelblonden Jungen, der kreischend am Boden lag und seinen rechten Oberschenkel umspannt hielt. Mehrere Yards hatte der Huftritt ihn zurückgeschleudert.

Keaton blickte mit glasigen, verquollenen Augen auf die Szene.

Sie berührte ihn überhaupt nicht.

Er mußte sich alles zunächst ins Gedächtnis zurückrufen.

Wie kam er hierher? Was wollte er hier?

Damned! Wie spät war es?

Er fuhr herum und lief immer noch schlaftrunken zur Tür, riß sie auf und brüllte heiser in den Gang: »Salooner!«

Der Keeper erschien auf dem obersten Treppenabsatz und blickte mit stark verstimmter Miene in den Korridor des Obergeschosses.

»Was gibt es, Mister?«

»Wie spät ist es?«

Der Wirt zog mit einer umständlichen Bewegung eine schwere, wertlose Tombacuhr aus der Westentasche und hielt sie sich nahe vor die eingekniffenen Augen.

»Halb zwölf durch, Mister.«

»Was…?!«

Keaton starrte ihn entgeistert an.

»Yeah…«

Da fuhr der Bandit herum und verschwand in seinem Zimmer.

Der Salooner trat nun ganz auf den Gang und rief mit meckerndem Tonfall:

»Sie müssen sich noch eintragen, Mister…!«

Da flog die Zimmertür Keatons donnernd ins Schloß.

In rasender Eile wusch sich der Bandit und kleidete sich an.

Zur Verwunderung des Salooners erschien er schon zehn Minuten später unten im Schankraum.

»Das Frühstück?« fragte der Salooner.

»Nein, geben Sie mir einen Whisky!«

Keaton, der sich in Arizona an dieses »Frühstück« gewöhnt hatte, hätte sich im gleichen Augenblick verwünschen können.

Wie hatte er seine Rolle so vergessen können! Ganz sicher nahm der große Gesetzesmann aus Kansas morgens nicht statt des Kaffees einen Whisky zu sich.

Keaton glaubte, diese verfahrene Situation nur dadurch retten zu können, daß er laut erklärte: »Wenn ich das Frühstück verschlafen habe, nehme ich lieber einen Whisky, damit mir das Mittagessen schmeckt.«

Der Keeper lachte. Diese Erklärung war wirklich einleuchtend.

Keaton blickte auf die Uhr über dem Flaschenbord.

Zehn vor zwölf.

Der Salooner schob ihm den bestellten Whisky hin. Dabei musterte er eingehender als gestern die Erscheinung des Fremden.

»Sie müssen sich noch eintragen, Mister.«

Keaton winkte ab. »Kommt noch, nur keine Hast, Keeper.«

Er zündete sich eine Zigarre an.

Damned, der Rauch blieb ihm im Halse stecken. Würgend brannte es ihm in der Kehle.

Der Job ließ sich schwer an.

Da quietschte vorn die Pendeltür.

Als Keaton sich umwandte, glaubte er, das Herz müsse ihm stehenbleiben: Der Mann, der sich in den Raum schob, war niemand anderes als der Sheriff.

Beim Anblick des Kreuzgurt-Mannes stutzte der Hüter des Gesetzes, zog die Brauen zusammen und kam dann doch mit langsamen Schritten an die Theke.

Er tippte an den zerfledderten Rand seines grauen Hutes.

»Hallo.«

Keaton erwiderte den Gruß ebenso lasch.

Soren bestellte sich einen Drink und drehte sich eine Zigarette.

Keaton spürte, daß sein Herz zu hämmern begann.

Sieben Minuten vor zwölf.

Keaton raffte sich dazu auf, dem Sheriff wie am Vortage ein Streichholz zu reichen.

Soren nutzte die Gelegenheit, mit dem Zweihandmann die gestern unterbrochene Unterhaltung fortzuführen.

»Immer noch in der Stadt?«

»Yeah, sieht ganz so aus«, versetzte Keaton härter und abweisender, als er es sich selbst in dieser Situation noch zugetraut hätte.

»Du bist Wyatt Earp! Du bist es jetzt schon«, glaubte er Peacemakers Stimme zu hören.

Sechs Minuten vor zwölf.

»Gefällt Ihnen dieses lausige Nest etwa?«

Keaton zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder sinken.

Fünf vor zwölf.

Soren nippte an seinem Whisky. Es war ganz klar: Er kam jeden Tag um die selbe Zeit und genehmigte sich diesen Drink. Es war purer Zufall.

Aber Rory Keaton hielt es nicht für Zufall. Er war nicht kalt genug, sich das zu sagen.

Vielleicht hätte er geschwiegen, wenn der Sheriff ihn nicht gereizt hätte: »Was suchen Sie hier?«

Da gaben Keatons Nerven nach. Er warf den Kopf herum und fauchte: »Sie nicht!«

Jonny Soren stutzte, nahm die Zigarette aus dem Mund und schob seinen Hut weit ins Genick.

He, was war denn das? Der Mann war ja bissig.

Keaton blickte zur Uhr hoch, ohne den Kopf anzuheben, da er dies schon für auffällig hielt.

Vier vor zwölf.

Hell and devils! Wenn doch bloß dieser vertrackte Sternträger verschwinden wollte.

Der Keeper ging zur Küchentür. Ehe er den Drehgriff betätigte, sah er Keaton an und murmelte: »Sie müssen sich noch eintragen, Mister.«

Soren blickte auf. Dann sagte er: »Yeah, das ist so üblich hier. Jeder vernünftige Mann trägt sich ein, wenn er in einem Hotel absteigt.«

Keaton hatte sich mit einem Ruck steil aufgerichtet.

Er überragte den Gesetzesmann fast um einen halben Kopf.

Peacemakers Stimme war in seinen Ohren.

»Wie meinen Sie das?«

»Wie ich es gesagt habe.«

Keaton wich einen Schritt zur Seite.

»Wie haben Sie es gemeint?«

By Gosh! War er verrückt geworden? Was sollte das werden?

Drüben am Fenster saßen vier Männer beim Pokerspiel. Sie hielten inne und blickten zur Theke hinüber.

Keaton hatte noch vor ein paar Minuten gewünscht, daß der ganze Saloon voller Menschen sein müßte. Jetzt wünschte er selbst die vier Spieler zum Teufel.

Da flog die Pendeltür auf, und zwei baumlange Burschen in Weidereiter-kluft schoben sich in den Schankraum. Augenblicklich hatten sie die Situation, die sich dort an der Theke abspielte, erkannt.

»He, Joe, bleib stehen, da vorne gibts gleich Rauch. Ich habe eine Vorliebe dafür!«

Der andere Cowboy lachte röhrend.

Jonny Soren hatte die Hände ebenfalls sinken lassen. Ruhig und kühl blickte er in die Augen des Fremden.

»Was wollen Sie?«

»Ich habe eine Frage an Sie gerichtet, Sheriff!« versetzte Keaton schroff. »Und ich denke noch, daß dies keine Stadt ist, wo der Sheriff es sich herausnehmen kann, einen Fremden grundlos zu beleidigen.«

Jonny Soren wußte plötzlich, daß er zu weit gegangen war, und daß das, was der Mann da sagte, richtig war. Aber wie kam er aus dieser verrückten Situation wieder heraus?

Hämmernd zerhackten die mißtönenden Schläge der Wanduhr die Luft im Saloon.

Keaton spürte sie wie Stiche in seinen Nerven.

Soren blickte nun besorgt drein. Damned, wie hatte er so hart vorgehen können? Immerhin stand er da einem reichlich finster dreinblickenden Zweihandmann gegenüber.

Und die Uhrenschläge hatte dem Banditen seine eigene Schwäche wieder ins Gedächtnis zurückgerufen, ihm mit grausamer Deutlichkeit klargemacht, daß er in Wirklichkeit gegen den Sheriff nicht die geringste Chance im Gunfight haben würde. Todsicher konnte der Mann gut mit seinem Colt umgehen.

Und Rory Keaton war nie mehr als ein leidlicher Schütze gewesen.

Die Cowboys standen bewegungslos da.

Bis der vorderste von ihnen rief: »He, Gents, ihr werdet uns doch nicht etwa enttäuschen?«

Immer noch standen die beiden Gegner einander auf einen Abstand von kaum vier Yards gegenüber.

Der Blick des Sheriffs rutschte aus den Augen des Fremden auf dessen Waffen nieder.

Zwölf Uhr drei.

Keaton konnte ein schweres Schlucken nicht vermeiden.

Da krachte draußen auf der Straße ein Schuß.

Keaton zuckte unmerklich zusammen.

Nur Sekunden später näherte sich das Geräusch eiliger Schritte.

Dann flog die Schwingtür auf.

Ein Mann stand da, mit zwei Säcken in der Hand.

Und in der Rechten hielt er einen Revolver.

Niemand im Saloon rührte sich.

Robert Piggers übertraf sich selbst. Er starrte mit weitoffenen Augen auf Keaton und stieß dann heiser hervor:

»Damned! Wyatt Earp!«

Gleich darauf stieß er den Colt vor und gab im Zurückgehen einen brüllenden Schuß ab.

Dicht neben Keaton schlug die Kugel klatschend in die Bordwand der Theke.

Immer noch herrschte im Saloon Totenstille.

Rory Keatons Augenblick war gekommen. Er spürte förmlich, daß das Zusammenwirken der beiden, ja der drei Dinge, die da eben vor aller Augen geschehen war, die Männer bannten. Zunächst das Auftauchen des offensichtlichen Banditen mit den Geldsäcken, dann der Name Wyatt Earp – und dann der Schuß, für den Keaton Piggers hätte erwürgen mögen. Die Kugel hatte ihn furchtbar erschrocken.

Aber Keatons Schrecken war kleiner als der der anderen Männer im Schankraum. Schließlich war er nicht völlig unvorbereitet gewesen.

Er stieß sich von der Theke ab und hastete vorwärts.

Den einen der beiden Weidereiter, der ihm im Wege stand, stieß er schroff zur Seite.

»Platz da, Boy!«

Dann war er in der Tür, duckte sich und rannte los.

Piggers war bereits auf seinem Pferd und hatte die Mündung der Seitengasse schon erreicht.

Da fauchte der Schuß von der linken Hüfte Keatons los.

Wohlweislich hatte der Desperado den rechten Türflügel mit dem Rücken hinter sich offen gelassen, so daß es alle im Schankraum sehen konnten.

Piggers gellender Schrei war fast zu laut.

Und jetzt erst fand der Sheriff zu sich. Er stürmte ebenfalls, hielt aber hinter dem vermeintlichen Wyatt Earp respektvoll inne.

Keaton richtete sich aus seiner gefährlich wirkenden typischen Schießerstellung – die er wochenlang vor dem Spiegelscherben in seinem Hotelzimmer unten im Mohave County geübt hatte – auf und ging mit raschen Schritten über den Vorbau.

Mitten vor der Gassenmündung lag der Geldsack.

Keaton blickte auf ihn nieder.

Da war der Sheriff neben ihm. Er warf nur einen kurzen Blick auf die Staubwolke, die der längst entschwundene »Bankräuber« aufgewirbelt hatte. Dann ging er auf den Geldsack zu und hob ihn auf.

Mit fast feierlichen Schritten kam er mit der Beute zurück zum Vorbau.

»Sie haben ihm das Geld abgejagt! Ihre Kugel hat ihn erwischt – Marshal!«

Marshal!

Die beiden Silben klangen in den Ohren des Desperados wie Glockengeläut. Unwillkürlich richtete er sich auf.

Marshal! Der Sheriff von Atlantic-City hatte ihn Marshal genannt.

Hinter ihnen vor der Saloontür standen die anderen.

Alle hatten sie die Worte des Sheriffs vernommen. Und niemandem kamen sie verrückt vor. Denn sie hatten ja gehört, wie der Bandit den Fremden genannt hatte.

Soren hatte sich besonnen.

»Ich muß dem Kerl folgen. He, Boys, wer kommt mit. Ich…«

Da zerriß eine donnernde Explosion die Luft.

Hundertzwanzig Yards weiter östlich stieg eine schwarze Qualmwolke über einem Vorbau hoch. Entgeistert blickten die Menschen auf den Rauchpilz hinüber.

»Das Depot der Wells-Fargo!« stieß Soren hervor. Dann rannte er auch schon los.

Die anderen folgten ihm.

Keaton trat langsam mitten auf die Straße.

Aus allen Häusern kamen Menschen.

Als Keaton zufällig zum Undertekings-Büro hinüberblickte, sah er rechts neben der Hausfront in der Seitengasse einen Mann lehnen, desse Anblick ihm das Blut in den Adern fast stocken ließ.

Kid McNally.

Lässig lehnte der Bursche an der Hauswand und drehte sich in seiner unnachahmlichen Manier eine Zigarette.

Keaton schoß ihm einen galligen Blick zu.

War der Mann denn verrückt geworden? Wie kam er so schnell dahin? Und weshalb war er dort – und nicht längst verschwunden?

Niemand würde je diesen Kentucky-Mann begreifen können.

*

Es gab etwas in Atlantic-City, das schwerer eingeschlagen hatte als die drei Sprengstoffexplosionen, die shon eine erhebliche Unruhe in die Stadt gebracht hatten, – nämlich die Nachricht, daß der berühmte Marshal von Dodge da war. Und daß er gleich einen Banditen angeschossen und einen geraubten Geldsack wieder abgejagt hatte, das trug natürlich ganz gewaltig dazu bei, das Auftauchen des Marshals noch aufzubauschen.

Nachdem der Sheriff sich das Loch in der Wells-Fargo-Depotwand angesehen hatte, kam er zurück zum Saloon, wo er den vermeintlichen Dodgeer-Marshal sah und mit ausgestreckter Hand auf ihn zukam.

»Marshal!«

Keaton sog die Luft tief ein, er mußte sich direkt beherrschen, daß er nicht die Augen schloß. Jonny Soren sah plötzlich auch den dunklen Fleck auf der Jacke. Es war ihm sofort klar, daß dort der Marshalstern gesessen hatte. Und links im Halfter steckte ein überlanger Revolver, mit dem der Marshal vorhin den Meisterschuß abgegeben hatte. Zounds! Soren war kein Dummkopf, er hatte schon eine Menge von Wyatt Earp gehört, und ihn als Sternträger hatten natürlich insbesondere die Waffen seines populären Kollegen interessiert. Der Mann, der da vor ihm stand, war Wyatt Earp. Jonny Soren war nun fest davon überzeugt.

Heavens, und mit ihm hatte er sich drinnen im Saloon angelegt! Welch eine Blamage hätte das gegeben!

Joe Happeny, der Townmayor, kam und streckte dem »Marshal« beide Hände entgegen.

»Mister Earp – ich habe alles gehört! Ganz zweifellos haben Sie die Banditen, die uns seit zwei Tagen verrückt machen, vertrieben…«

Es kamen im Laufe der nächsten Stunde immer mehr Männer, alte und junge, um dem vermeintlichen großen Mann die Hand zu schütteln. Sogar Frauen und Kinder kamen.

Keaton hielt sich im Saloon auf. Er genoß dies alles mit tiefster Befriedigung.

Es gab eigentlich nur eines, was ihn an diesem Nachmittag störte: Das Gesicht des Kentucky-Mannes, der lässig an der Theke lehnte und einen kleinen Whisky nach dem anderen trank. Erstens war Keaton ärgerlich darüber, daß McNally sich einfach in der Stadt aufhielt, und zum anderen war er wütend darüber, daß sein Kumpan ständig trank und noch keinen Cent auf die Theke gelegt hatte; das konnte er auch gar nicht, da er völlig abgebrannt war.

Plötzlich stand der Sheriff wieder im Saloon. Er musterte McNally von der Tür her.

Dann rief er schneidend: »He, wer sind Sie eigentlich?«

»McNally«, versetzte der Kentucky-Mann gelassen, »Kid McNally, Sheriff, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Ob ich nichts dagegen habe, das soll sich erst herausstellen. Kommen Sie mal mit ins Office. Ich…«

McNally schob sich den Hut aus der Stirn und unterbrach den Sheriff:

»Mister Earp, haben Sie gehört, was der Sheriff gesagt hat?«

Keaton hob den Kopf und zog die Brauen zusammen.

Jonny Soren wurde flammendrot. Heavens! Hatte er etwa wieder eine Dummheit gemacht?

»Sie kennen den Mann, Marshal?« erkundigte er sich stockend.

Keaton warf einen raschen ärgerlichen Blick auf McNally, dann meinte er halblaut: »Yeah.«

Soren wischte sich durchs Gesicht. Dann nickte er: »Sorry, Mister McNally. Aber Sie müssen verstehen, daß ich mich jetzt ganz besonders um alle Fremden in der Stadt kümmern muß.«

McNally nickte. »Right, Sheriff, das ist Ihre Pflicht.«

Keaton hätte seinem Komplizen eine Ohrfeige geben können. Was nahm McNally sich heraus! Wenn ihn nun irgend jemand gesehen hatte! Da trieb er sich in der Stadt herum, stand ohne einen Cent an der Theke und ließ sich ein Glas Whisky nach dem anderen geben.

»Hallo, Marshal, ich lade Sie zu einem Drink ein!« rief der kaltstirnige Kentucky-Mann jetzt.

Keaton erhob sich langsam und kam an die Theke.

»Bist du wahnsinnig?« flüsterte er McNally zu, als er dicht neben ihm war.

Der Keeper schenkte ein.

»Es geht alles auf meine Rechnung, was die Gents trinken!« rief er geschäftig.

McNally grinste schief.

»Du verschwindest augenblicklich aus der Stadt«, flüsterte Keaton, als er sein Glas hob.

»Weshalb denn?« zischelte Kid zurück.

»Wir treffen uns heute nacht wie verabredet bei der Krüppelfichte. Verschwinde jetzt…«

*

Sie trafen sich um die vereinbarte Zeit oben in den Bergen.

Keaton nahm das Geld, das Piggers in dem Beutel hatte, an sich und gab den beiden ihren Anteil.

McNally schob die Bucks in die Tasche. »Und wie geht es jetzt weiter?«

»Ihr haltet euch aus der Stadt.«

»Und weshalb?« fragte McNally.

Keaton blitzte ihn an. »Weshalb? Du fragst wie ein Dummkopf. Piggers ist gesehen worden, und auch dir mißtraut der Sheriff…«

»Aber kein Gedanke. Er hat mich sogar freundlich gegrüßt, als ich am Nachmittag an seinem Office vorbeiritt, und mir zugerufen, ob ich auch ein gutes Quartier hätte. Andernfalls könne ich im Hause seiner Schwester wohnen, solange ich in der Stadt wäre. – Yeah, Boß, es sieht so aus, als ob dein Plan nicht ganz so schlecht war, wie ich angenommen hatte.«

»Well, aber Piggers kann sich unter keinen Umständen in der Stadt sehen lassen«, drehte Keaton knurrend bei.

»Und was soll ich tun?« fragte der Tramp.

»Du bleibst hier irgendwo, bis wir weiterziehen.«

»Und wann wird das sein?«

»Wenn der Boß genug Bucks kassiert hat«, gab McNally an Keatons Stelle zur Antwort.

Piggers grinste.

Und Piggers blieb in den Bergen.

Drei Tage lang. Dann wurde es ihm zu dumm, und er ritt in die Stadt.

Es war eine Stunde vor Mitternacht.

Der Bandit ritt in die Seitengasse, die zwischen dem Bankhaus und dem Generalstore auf die Mainstreet mündete. Hundert Yards vor dem Ende der Gasse hielt er an, stieg vom Pferd und warf die Zügelleinen um einen Querholm. Lauschend blieb er stehen.

Was in den nächsten Minuten in der engen Hillburry-Street von Atlantic-City geschah, ist nie ganz deutlich geklärt worden. Ich habe die farbigsten Versionen darüber gelesen. Leider ist auch die buntschillernde Filmfassung, die darüber gedreht wurde, nach meinen Ermittlungen reichlich unwirklich. Ich glaube, nach vielerlei Mühen den tatsächlich Begebenheiten jener Mitternachtsminuten in der Wyomingstadt Atlantic-City recht genau auf die Spur gekommen zu sein.

Keaton saß im Saloon und trank.

McNally saß neben ihm.

Die anderen Tische im Saloon waren vollbesetzt. Die Tatsache, daß die Anwesenheit des bekannten Dodger-Marshals die Banditen, die soviel Unruhe in die Stadt gebracht hatten, vertrieben zu haben schien, hatte die Menschen in eine übertriebene Frohstimmung gebracht. Man ließ den vermeintlichen Retter der Stadt leben. Mister Warburry, der Inhaber der Bank, hatte ihm insgeheim ein größeres Geldgeschenk gemacht. Der Townmayor war am Vorabend dieses Tages noch spät bei Keaton oben im Hotelzimmer gewesen und hatte ihm zusammen mit drei anderen würdigen Stadtvätern den Vorschlag gemacht, in Atlantic-City zu bleiben. Keaton hatte den Nerv besessen, zu sagen, daß dies ein teurer Spaß für die Stadt werden würde. Und der Townmayor hatte verlauten lassen, daß Atlantic-City es sich etwas kosten ließe, einen Mann wie Wyatt Earp hier als Hüter des Gesetzes zu wissen.

»Und der Sheriff?« hatte Keaton gefragt.

Daraufhin hatte der Mayor zu verstehen gegeben, daß Soren nicht mehr der Jüngste sei und sicherlich auch mal anderwärts einen Job annehmen wolle, auf dem er besser verdienen konnte.

Keaton hatte getan, als locke ihn die Sache nicht sehr. Da hatte McNally, der dabei war, einen Brocken fallenzulassen, den der Townmayor und seine Begleiter sofort aufnahmen.

»In Dodge haben sie ein paar hundert Bucks vorher ausgespuckt, aber…«

Der Mayor verkündete, daß man auch in Atlantic-City nicht anstehen würde, eine gewisse Summe zum Anreiz auszugeben.

Da war der falsche »Marshal von Dodge« schon bedeutend interessierter.

Es winkte ihm also ein dicker Batzen Geld und immer noch sonnte er sich in dem Ruhm, den der Name Wyatt Earp nun auf ihn ausstrahlte.

An Rob Piggers dachten sie beide nicht mehr.

Es war Kids Schwäche, daß er all seine Gerissenheit und Schläue einbüßte, wenn er trank; und jetzt trank er. Deshalb dachte auch er nicht mehr an Piggers.

Und trotzdem war es der Kentucky-Mann, der seinen Boß in den nächsten Minuten wieder einmal rettete.

Noch ahnte aber weder er, noch Keaton, noch sonst jemand im Saloon, daß keine drei Minuten mehr vergehen sollten, bis der Schuß fiel…

*

Jonny Soren hatte seinen grauen Hut aufgesetzt, schnallte seinen Waffengurt um und ging hinaus. Er wollte seinen ersten Streifengang antreten.

Rory Keaton sah ihn zufällig, als er an der Tür des Saloons vorbeiging.

Keaton wußte selbst nicht, weshalb er plötzlich aufstand und die Schenke durch die Hoftür verließ.

Der Sheriff wollte gerade die Einmündung der Hillburry-Street überqueren, als er etwa vierzig Yards entfernt den Mann mitten in der Gasse stehen sah.

Vielleicht hätte Soren sich nicht weiter darum gekümmert, wenn nicht zufällig ein Lichtschein, der aus einem der Häuser fiel, genau auf der Gestalt des Mannes gelegen hätte.

Soren verhielt den Schritt, betrachtete den Mann und wandte sich dann in die Gasse.

Langsam ging er auf den Banditen zu.

Piggers blickte ihm entgegen, und dann sah er plötzlich den Stern auf der Brust des anderen blinken.

Piggers erschrak.

Jonny Soren hatte gerade das offenstehende Hoftor des Saloons passiert, als er stehenblieb.

»He!« rief er. »Hände hoch, Bandit! Ich habe dich sofort erkannt. Du bist in die Bank eingebrochen und…«

Da warf sich der Tramp herum.

»Stehenbleiben!« brüllte der Sheriff, der nun sicher war, daß er den Banditen vor sich hatte, dem der »Marshal« den Geldsack abgejagt hatte.

Piggers hastete zu seinem Gaul.

Da riß der Sheriff den Revolver aus dem Halfter.

Im gleichen Augenblick fauchte aus dem offenen Hoftor ein Schuß.

Der Heckenschütze war Rory Keaton.

Jonny Soren torkelte nach vorn und brach zusammen.

Oben auf der Mainstreet wurden Stimmen laut.

Piggers sprang in den Sattel, riß seinen Gaul herum und preschte davon.

Da wurde Keaton, der immer noch in dem offenen Hoftor, ja, mit einem Fuß sogar in der Gasse stand, hart zurückgerissen.

Es war Kid McNally. Blitzschnell schloß er das Tor.

Keine Sekunde zu früh, denn vorn von der Mainstreet liefen sie schon in die Gasse.

Keaton und McNally standen im Flur an der Schankhaustür im Gedränge der Männer, als der Salooner rief:

»Mister Earp! Schnell, in der Hillburry-Street ist eine Schießerei…«

McNally stieß seinen Boß an.

Die Männer machten dem »Marshal« Platz.

Rory Keaton ging ohne Eile in die Nebengasse. Schon von weitem sah er den Kreis, den mehrere Neugierige um den getroffenen Sheriff bildeten.

Keaton schob die Männer auseinander.

Dann bückte er sich und hob den Sheriff auf.

»Wo wohnt der Doc?«

Es war zu spät für den Doc! Viel zu spät.

Aus kaum dreieinhalb Yards Entfernung hatte die Kugel des feigen Heckenschützen den Gesetzesmann in die linke Rückenseite getroffen und sofort getötet.

Doc Jeffrey Robinson konnte nur noch den Tod des Sheriffs Soren feststellen.

Und der Mörder stand dabei.

*

Als Rory Keaton in die Schenke zurückkam, war sein Gesicht bleich.

Aber die wenigen Männer, die noch geblieben waren, achteten nicht darauf.

Kid McNally lehnte an der Theke – und trank.

Keaton preßte die Lippen zusammen. Obwohl er einsah, daß er ohne den Burschen jetzt geliefert wäre, bekam er einen rasenden Zorn auf ihn.

Weshalb trank der Kerl soviel?

Und Piggers, wo steckte der? Dieser gehirnschwache Halunke! Was hatte er in der Stadt zu suchen?

Es war purer Zufall gewesen, daß er gerade im Hof des Saloons war, als die Worte des Sheriffs in der Gasse fielen.

Keaton wußte, daß es sich nur um Piggers handeln konnte – und er wußte auch, daß er jetzt irgend etwas tun mußte.

Und dann hatte er geschossen.

Es war das Brutalste, was er tun konnte. Und hätte er nicht McNally hinter sich gehabt, dann baumelte er jetzt als Sheriffs-Mörder an einem kahlen Ast dreizehn Fuß über der Erde.

So war das Schicksal noch einmal an dem Verbrecher vorübergegangen.

Rory Josuah Keaton, der bis dahin bedeutungslose Landstreicher, war ein Mörder geworden.

Mit glasigen Augen starrte er in den Schankraum, sah auf den schmalen Rücken McNallys und wandte sich dann um.

Ihm wurde plötzlich übel.

Da stürmte der Townmayor in die Bar.

»Mister Earp!« brüllte er, »der Sheriff ist ermordet worden!«

Mister Earp!

Diese beiden Worte brachten den Verbrecher wieder zu sich. Er war ja Wyatt Earp! Und hier riefen die Menschen nach ihm. Er sah nicht mehr McNallys Rücken, sah auch nicht mehr die anderen Männer im Raum. Er spürte nur noch die Hand des Mayors, die seine Rechte umspannte.

»Jetzt brauchen wir Sie erst recht, Marshal«, sagte der Bürgermeister.

Keaton nickte. In seinem Schädel war ein dumpfes Dröhnen und Rauschen. Er nickte noch einmal, tastete nach einer Zigarre und mußte sich beherrschen, daß er nicht zitterte, als der Mayor ihm Feuer reichte.

*

Zwei Tage waren vergangen.

McNally hockte rittlings auf einem Stuhl in Keatons Zimmer.

Es war Nachmittag.

Eine große Fliege summte durch den Raum und stieß immer wieder gegen die geschlossenen Fensterscheiben.

In dem Raum herrschte eine bedrückende Schwüle.

McNally sah bleich aus. Der viele Whisky hatte ihn regelrecht krank gemacht.

Keaton lag angekleidet auf dem Bett und hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt.

McNally drehte sich eine Zigarette.

»Hör endlich auf mit der Qualmerei!« fauchte Keaton. »Man kriegt ja ohnehin keine Luft mehr in der Bude.«

»Dann machen wir eben das Fenster auf«, schnarrte der Kentucky-Mann, erhob sich und ging zum Fenster.

»Das Fenster bleibt geschlossen!« brüllte Keaton.

Er mochte die Geräusche der Straße nicht hören. Das Knirschen der großen Wagenräder in dem Sand der Main-street und den dumpfen Hufschlag der Pferde, das dumpfe Geräusch der sporenklirrenden Schritte und das leichtfüßigeTrippeln der Frauen und Kinder auf den Vorbaubohlen beider Stepwalks.

McNally blickte auf die Straße hinunter.

»Wir sollten reiten, Keaton, es wird Zeit!«

»Das ist meine Sache!« versetzte der Boß schroff.

»Well, aber auf was wartest du noch? Du hast das Geld von dem Mayor, wir haben das Geld aus der Bank…«

Keaton fuhr hoch.

»Das Geld aus der Bank? Du hast doch selbst gesagt, daß es nur ein paar herumliegende Dollars waren, die Piggers erbeutet hat. No, Brother – ich will alles haben, alles, was in den Tresoren ist. Und niemals habe ich irgendwo eine größere Chance als hier. Ich werde den Stern heute abend annehmen…«

»Ich habe genug«, sagte McNally.

Keaton starrte ihn verblüfft an. »Was…?«

McNally sah sich nicht um. »Ich habe gesagt, daß es mir reicht, Keaton. Du schnappst über. Wie lange denkst du denn, daß du diese Rolle hier in der Stadt durchhalten kannst? Bildest du dir etwa ernsthaft ein, daß das immer weiter so gehen könnte?«

McNally war dem Kern der Sache nahegekommen. Rory Keaton konnte sich nicht aus der gestohlenen Gloriole des großen Marshals losreißen.

Und beide ahnten sie nicht, wie nahe ihnen das Verderben schon war…

McNally sah auf die Overland, die eben unten vor dem gegenüberliegenden Postoffice anhielt. Anscheinend stieg niemand aus; doch als die auch auf dem Dach hoch mit Gepäckstücken beladene Postkutsche weiterfuhr, stand drüben auf der untersten Stufe der Vorbautreppe ein Mann.

Er war groß, schlank, drahtig, trug einen hellgrauen steifen Hut mit sehr schmalem Rand und weinrotem Band. Sein Gesicht war blaßbraun und gutgeschnitten, es wurde von zwei eisblauen intensiv dreinblickenden langbewimperten Augen beherrscht.

Der Mann trug einen eleganten grauen Boston-Anzug, dessen offenstehende Jacke einen breiten patronengespickten Waffengurt preisgab.

In der Linken hielt der Mann eine krokodillederne Tasche wie sie noch bis weit nach der Jahrhundertwende auch bei uns in Europa als typisches Requisit eines Arztes galt.

Mit langsamen, federnden Schritten überquerte der Mann die Straße und hielt auf die Bar zu.

McNally wandte keinen Blick von dem Fremden, bis ihm das Vorbaudach verschluckte.

»By Gosh!«

Tonlos war es von den Lippen des Banditen gekommen.

Keaton zischelte: »Was gibt’s?«

»Nichts.«

»Was?« Keaton erhob sich und trat zu dem Komplicen ans Fenster.

Auf der Straße bot sich das gewöhnliche Bild. Rollende Planwagen, Männer an den Vorbaugeländern.

Kinder an den Pferdetränken und Frauengruppen vor den Stores. An den Querholmen aufgesattelte Pferde und kleine Buggys. Ein feister, kurzbeiniger Mann in grüner Hose und gelber Jacke überquerte keuchend den Fahrdamm und schimpfte mit einem Cowboy, der auf einem Planwagen Draht in der Stadt geholt hatte und der dem Kurzbeinigen unbedingt noch die Passage abschneiden mußte.

Keaton wandte sich ab.

»Was war los?«

McNally schob die Zigarette von einem Mundwinkel in den anderen. Langsam wandte er sich mit dem Rücken gegen das Fenster und stierte nachdenklich auf die Fußbodendielen.

»Damned, ich habe zuviel Whisky getrunken.«

»Jedenfalls reicht es für einen Monat!«

»Für länger, für viel länger.«

McNally ging zur Tür, öffnete sie und trat auf den Korridor hinaus.

»Ich komme gleich nach«, rief Keaton, »ich muß erst noch meinen Bart abkratzen. Seit mich in Santa-Fé ein Barbier in die Kehle geschnitten hat, habe ich kein Vertrauen mehr zu dieser Bande von Schaumschlägern!«

Der Kentucky-Mann hörte die Worte nur noch aus der Ferne. Er war bereits auf der Treppe und dachte über das Gesicht jenes Mannes nach, der da eben mit der Overland angekommen war.

Wo hatte er dieses Gesicht schon gesehen?

Er mußte es irgendwo gesehen haben! Todsicher. Aber wo?

Wer war der Mann?

McNally überlegte fieberhaft, aber es wollte ihm nicht einfallen.

Langsam stieg er die Stufen hinunter in den Schankraum.

Er verließ das Haus durch die Hoftür.

Eine volle Stunde hockte er auf einem Schemel vor dem Stalltor und zerbrach sich den schmerzenden und immer noch vom Whisky dröhnenden Schädel. Ohne Erfolg. Da erhob er sich, versetzte dem hölzernen Dreibein einen ärgerlichen Fußtritt und begab sich in die Schenke.

Es waren um diese Zeit nur wenige Männer da. Ein Tisch war besetzt von den vier Dauerspielern, die mittags anfingen, wenn die vier anderen gegangen waren.

Links am Fenster saß ein einzelner Mann und hatte ein Brandyglas vor sich stehen.

Es war der Fremde, der mit der Overland gekommen war.

McNally wurde von dem Blick seiner hellen Augen getroffen – und erschrak.

Jetzt wußte er genau, daß er den Mann schon gesehen hatte und, daß es keine angenehme Begegnung gewesen war.

Heavens, war es nicht ein Richter aus Arizona?

McNally dachte an die drei Verhandlungen, die er über sich hatte ergehen lassen müssen. Er konnte sich nur noch an die Gesichter von zwei Richtern erinnern. An das hagere, ausgetrocknete des neunzigjährigen John Webster in Haviland und an das schwammige des Richters O’Keefe in Yucca. Als sie ihn zum drittenmal faßten, stand er in einem armseligen Nest im Diamond-Joe-Park vor Gericht. An den Richter, der ihn damals verurteilt hatte, konnte er sich nicht mehr erinnern. Es war ein junger Mann gewesen, soviel wußte er noch. Und als er jetzt in die Augen des Mannes drüben am Fenster sah, glaubte Kid McNally, den Mann vor sich zu haben, der ihn damals zu einem Jahr Straflager in Lupino unten vorm Grand-Canyon verholfen hatte.

Vielleicht hätte er etwas gründlicher und angestrengter nachgedacht, wenn der Alkohol seinem Schädel nicht so zugesetzt hätte.

Wenn der Kentucky-Mann nämlich gewußt hätte, wer ihm da gegenübersaß, hätte er höchstwahrscheinlich blitztschnell auf dem Absatz kehrtgemacht, wäre hinausgelaufen und hätte seinen Gaul bestiegen, um in rasendem Galopp möglichst viel Land zwischen sich und den Mann zu bringen.

Statt dessen lehnte McNally jetzt an der Theke und heftete seinen Blick auf den vermeintlichen Richter, der still dasaß und seine Linke um das Brandyglas gelegt hatte.

Es war ein unauffälliges Gesicht, das der »Richter« hatte; wenn man nur flüchtig hinschaute. Sah man aber genauer hin, so mußte man feststellen, daß er ein höchst bemerkenswertes Gesicht hatte. Es schien glatt und faltenlos zu sein, war äußerst ebenmäßig geschnitten und hatte dennoch etwas Hartes, Kantiges. Die Stirn war hoch und verriet einen scharfen Verstand, die Nase war sehr gerade und wohlgeformt. Über der Oberlippe saß ein dunkler, kräftiger, saubergetrimmter Bart. Das Kinn war gut entwickelt und verriet außergewöhnliche Energie. Aber alles in diesem Gesicht wurde von den Augen überschattet: Sie waren von einer seltsamen Helligkeit und kalten Bläue. Wenn ihr Blick einen traf, mußte man das Gefühl haben, daß man von ihm durchbohrt wurde.

McNally vermochte seinen Augen nicht mehr von dem Mann zu nehmen.

Da kam Keaton von oben herunter.

»Hallo, Marshal!« rief der Keeper dienstbeflissen, wischte den Thekenrand, an dem Keaton gewöhnlich lehnte, ab und nahm eine neue Whiskyflasche unter der Theke hervor.

Keaton nahm ein halbes Glas und trank es hastig leer.

Dann wandte er den Kopf und sah McNally an. Unwillkürlich folgte er dessen Blickrichtung und entdeckte den Fremden.

Der hatte gerade einen Schluck aus seinem Glas genommen.

Keaton nahm die Flasche und ein Glas und steuerte zu McNallys Verwunderung auf den Fremden zu.

»Hallo, Mister!«

Keaton zog sich einen Stuhl heran und schwang sich rittlings darüber.

»Nehmen Sie einen Drink mit mir, Mister?«

Der Fremde nickte ruhig, trank seinen Brandy aus und schob dem Fremden das Glas hin.

Keaton schüttelte den Kopf.

»No, Mister – Sie sollen mich nicht für einen Haderlumpen halten. In dem Glas war Brandy – ich werde Ihnen keinen Whisky hineinkippen. Keeper!«

»Marshal?«

»Bringen Sie ein neues Glas!«

»All right!«

Dienstbeflissen eilte der Salooner mit einem frischen Glas an den Tisch und stellte es vor dem Fremden hin.

Keaton goß ein. Auch sein großes Glas goß er wieder halb voll.

»Sie sind fremd in der Stadt?«

»Yeah.«

»Heute erst angekommen?«

»Yeah.«

Keaton lachte. »Als ich hierher kam, hat mich der Sheriff – er ist übrigens erschossen worden – auch so ausgefragt. Aber das liegt an der Luft, Mister. Wir haben eigentlich nicht gern Fremde hier. Verstehen Sie. In den letzten Tagen haben wir eine Menge mitgemacht.«

»Aha«, sagte der Fremde nur.

Keaton trank sein Glas aus und goß es sich wieder halb voll.

»Nehmen Sie noch einen? Eh – Ihr Glas ist ja noch nicht leer. Sie mögen keinen Whisky?«

»Doch – aber langsam.«

Keaton lachte blechern. Und dann gab ihm ein unbegreifliches Schicksal den unseligsten Gedanken ein, den er überhaupt dem Mann gegenüber äußern konnte.

»Langweiliges Nest, dieses Atlantic-City – wollen wir pokern?«

Der Fremde nickte.

Keaton wandte den Kopf. »Keeper, ein Kartenspiel!«

Da wurde die Schwingtür aufgestoßen, und der Deputy des toten Sheriffs trat in den Schankraum.

»Marshal, der Mayor hätte gern mit Ihnen gesprochen!«

Ohne aufzusehen, rief Keaton dem Hilfssheriff zu: »Wenn er etwas von mir will, soll er herkommen!«

Der Deputy verschwand.

Die beiden Männer begannen ihr Spiel, den Double-Poker. Eine scharfe Sache, die nur etwas für Kenner ist.

Keaton verlor das erste Spiel.

Lachend nahm er die Niederlage hin.

Er verlor auch das zweite und dritte.

Als er zum viertenmal erleben mußte, wie der Fremde den Gewinn einstrich, wurde sein Gesicht hart, und eine steile Falte grub sich in seine niedrige Stirn.

»He, Sie scheinen ein verteufelter Gamb zu sein, Fremder!«

Der Fremde schwieg dazu.

Da stieß sich McNally von der Theke ab.

Er blieb neben Keaton stehen.

»Ein Gamb? No, Marshal, er ist ein Richter.«

Keatons Hand, die eben eine Karte auf die Tischplatte fetzen wollte, erstarrte in der Bewegung.

»Ein Richter? Bist du verrückt!«

Der Fremde blickte den »Marshal« gelassen an. »Spielen wir weiter?«

McNally ranzte: »Yeah, Marshal, er ist ein Richter. Ich habe Ihnen doch erzählt, daß mich die Boys unten im Diamond-Joe-Park ’reinlegten. Ich wurde ins Jail geworfen, und dann veruteilte mich dieser Mann da zu einem Jahr Lupino.«

Keaton rieb sich das Kinn.

»Und was suchen Sie hier in Atlantic-City?« fragte er den »Richter«.

Der Fremde verzog keine Miene.

»Dieser Mann irrt sich. Ich bin weder Richter noch war ich jemals im Diamond-Joe-Park.«

McNally war vom erneut genossenen Alkohol erhitzt. Er stieß den Kopf vor wie ein Raubvogel.

»Ah, du leugnest es ab, Brother! Devils, scheinst ja die Hosen plötzlich gestrichen voll zu haben.«

Der Fremde legte sich seinen Kartenfächer zurecht, sah Keaton an und meinte gelassen:

»Würden Sie diesem Mann sagen, daß er unser Spiel stört, Marshal?«

Keaton sah den Fremden verblüfft an, dann sprang plötzlich ein wildes Lachen in sein Gesicht.

»Zounds, der Kerl hat Nerven! All right, Sie haben recht, Richter. Kid, verschwinde, siehst du nicht, daß du unser Spiel störst?«

McNally zog sich knurrend an die Theke zurück.

Das Spiel ging weiter. Und Keaton verlor wieder.

Da kamen neue Gäste herein.

Es war der Mayor mit drei Männern aus dem Bürgerrat. Er trat an den Tisch der beiden Spielenden heran.

»Marshal, ich…«

»Augenblick!« Keaton hob die linke Hand. »Ich bin in einer Strähne, Mayor. Sie müssen sich noch gedulden. Dieser Gentleman hier hat mir bereits vierundzwanzig Böcke abgegrast.«

McNally schnarrte von der Theke her:

»Er ist aus dem Diamond-Joe-Park, und Richter ist er auch. Jedenfalls war er es, als es darum ging, einem armen Teufel den Strick zu drehen.«

Der Fremde scherte sich an diese Reden überhaupt nicht.

Er spielte.

Und er gewann.

Keaton hieb mit der Faust auf die Tischplatte, daß die Gläser tanzten.

»Ich setze auf alles, was Sie gewonnen haben, den gleichen Part.«

»Dreißig Dollar dagegen also?« fragte der Fremde.

»Yeah!«

Rory Keaton verlor auch dieses Spiel. Da sprang er auf und stieß seinen Stuhl polternd zurück.

»Mister, Ihr Glück ist mir zu groß. Es wäre mir wirklich lieb, wenn Sie unsere schöne Stadt mit der nächsten Overland verlassen würden!«

Der Fremde nippte an seinem Glas.

»Da müssen Sie sich gedulden. Ich warte hier in Atlantic-City auf jemanden.«

»Ach, auch das noch, no, Mister. Daraus wird nichts. Sie werden die Stadt verlassen. Wir brauchen hier keine verkrachten Richtern, die sich zu perfekten Falschspielern entwickelt ha…«

Der Fremde federte hoch. In seinen Augen war glitzerndes Eis.

»Wollen Sie damit sagen, daß ich falsch gespielt hätte?«

»Genau das, Brother! Und nun plustere dich nicht so auf, sonst werde ich dich so rupfen, daß dir die Puste vergeht!«

Der Fremde ging langsam um den Tisch herum. Sein Gesicht war blaßgrau geworden.

»Kommen Sie mit auf die Main-street«, sagte er nur.

Keaton stampfte sofort voran.

Da packte der Mayor den Arm des Fremden.

»Mister, es ist doch Wahnsinn. Sie haben keine Chance, er ist Wyatt Earp! Er…«

Der Fremde, der sich schon losgemacht hatte und einen Schritt weitergegangen war, machte plötzlich Halt. Das Eis in seinem Gesicht zerschmolz. Er zog die Brauen zusammen und forderte den Bürgermeister in völlig verändertem Ton auf:

»Ach, sagen Sie das doch bitte noch einmal, Mayor.«

»Er ist Wyatt Earp.«

»Ich denke, er ist hier der Marshal?«

»Das wünschten wir sehr, Mister, aber er nimmt unser Angebot nicht an. Dabei sind wir ihm sehr zu Dank verpflichtet und haben das höchste Angebot gemacht, das man einem Townmarshal in einer solchen Stadt überhaupt nur machen kann, ja, wir haben es sogar verdoppelt. Hören Sie, Mister – es ist Wahnsinn, Sie haben keine Chance gegen ihn!«

In den Augen des Fremden schien plötzlich ein heimliches Funkeln zu stehen.

»Aha«, sagte er nur und ging weiter.

McNally hatte ihn die ganze Zeit über beobachtet – und plötzlich war er stocknüchtern. Damned! Dieses spöttische Lächeln, die Karten, der Coltgurt unter dem eleganten Anzug. By Gosh! Das war nicht der Richter aus dem Diamond-Joe-Park. Aber wer – wer war er in Dreiteufelsnamen?

Keaton! Ich muß ihn warnen! hämmert es in McNallys Hirn. Ich muß ihn sofort warnen. Der Mann ist – er ist ein Gunman – ein Gunman!

Aber der Kentucky-Mann vermochte sich nicht von der Stelle zu rühren.

Keaton hatte zehn Yards von der Saloon-Vorbautreppe genau auf der Straßenmitte Aufstellung genommen.

Der Rausch, der ihn seit Tagen überkommen war, war so stark, daß er völlig hemmungslos handelte.

Ich bin der große Wyatt Earp! Ich werde ihn, den lächerlichen Richter schlagen! Ich muß ihn schlagen, weil er ein Nichts gegen mich ist!

Der Fremde ging langsam auf die Straßenmitte.

Keaton musterte ihn höhnisch.

»Hör zu, Richter – höchstwahrscheinlich ist deine letzte Viertelstunde angebrochen. Hast du irgend etwas zu sagen? Vielleicht etwas, das wir dem Mann bestellen sollen, auf den du hier warten wolltest?«

»No.«

»Well, es tut mir leid! Und deshalb will ich dir eine Chance geben. Du kannst deine Aufforderung zurücknehmen. Ich bin Wyatt Earp, ich habe es nicht nötig, mich mit einem Greenhorn zu schießen!«

»Ich bleibe dabei!«

»Well!« Keaton spreizte die Beine.

Oben standen die Männer mit verstörten Gesichtern auf den Vorbauten.

Auch McNally schob sich jetzt durch die Schwingtür. Sein Blick haftete auf dem Gesicht des Fremden.

»He, Greenhorn! Du hast den ersten Schuß frei!« rief Keaton prahlerisch.

»Verzichte!« versetzte der Fremde kalt.

»Hör zu, Mister – wie heißt du überhaupt?« Keaton meinte über diese Feststellung dröhnend lachen zu müssen und fuhr fort: »Schließlich müssen wir ja wissen, was wir auf deinen Grabstein kritzeln sollen. Also, sag uns deinen Namen.«

»Holliday.«

McNally hatte plötzlich den Mund offenstehen und die Augen sperrangelweit aufgerissen.

»John Holliday«, ergänzte der Fremde mit eisiger Ruhe.

Keaton nickte. »Aha – Holliday. Well…«

McNally wich zurück zur Tür.

Keaton bemerkte diese Bewegung.

»Was gibt’s Kid?« rief der falsche Marshal.

Dem Kentucky-Mann war es plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen.

Jetzt endlich wußte er, wer dieser Mann da unten auf der Straße

war.

Yeah, er war ein Spieler, ein unübertrefflicher Spieler – und er hatte ganz sicher nicht falschgespielt vorhin.

Und er war auch ein Revolverkämpfer, und zwar einer von den wenigen ganz großen, vielleicht der größte überhaupt. Jedenfalls ein Gunman, gegen den ein so mittelmäßiger Schütze wie Rory Keaton nicht die geringste Chance hatte.

Dieser Mann war Doc Holliday.

Plötzlich stieß Keaton den Kopf vor.

»Holliday heißen Sie?« fragte er heiser.

»Yeah.«

»Wo kommen Sie her?«

»Mit der Overland aus Colorado.«

Keaton warf noch einen Blick in McNallys wächsernes Gesicht. Er wußte immer noch nicht, was wirklich los war, aber eine dumpfe, sehr ferne Ahnung stieg in ihm auf.

Mit einem Ruck wandte er sich ab. Langsam ging er zur Treppe.

Da blieb er stehen und wandte sich an den Mayor. »Ich glaube, es ist Ihnen lieber, wenn ich auf den Gunfight verzichte, Mayor.«

Der Bürgermeister nickte hastig.

»Auf jeden Fall, Marshal. Wir möchten nicht, daß ein Fremder hier nur wegen einiger kleiner Unregelmäßigkeiten gleich erschossen wird. So scharf wollen wir hier nicht vorgehen. Das brächte unserer Stadt einen Namen ein, den wir nicht haben wollen.«

Keaton nickte und hatte McNallys erschrockenes Gesicht bereits vergessen.

Drüben auf der Straßenmitte stand noch der Fremde mit den glasharten eisigen Augen. Es war dem Banditen längst nicht mehr recht wohl bei dem Anblick des Fremden, der sich Holliday nannte. Aber Keaton war immer noch verblendet genug, die echte Gefahr, die auf ihn zugekommen war, nicht zu erkennen.

Mit großen Schritten ging er auf den Fremden zu. Nur einen halben Yard vor ihm blieb er stehen.

»Sie hören, Amigo, daß der Mayor etwas dagegen hat, wenn ich hier jemanden ins Jenseits befördere.«

Der Fremde sah den Banditen unverwandt an.

»Sie sind Wyatt Earp?«

Keaton legte den Kopf ein wenig auf die Seite. »Yeah – ich hoffe, Sie haben nichts dagegen. Und von der Sache mit dem Spiel vorhin wollen wir mal schweigen. Ich erwarte nur, daß Sie hier in Atlantic-City keine Karte mehr anrühren und sich morgen schleunigst davonmachen. Hier in Atlantic-City herrscht Ordnung!«

Nach diesen geradezu theatralisch ausgesprochenen Worten wandte der Hochstapler sich ab und ging auf den Saloon zu.

Hal Brigger, der Keeper, sah ihm mit nicht mehr so enthusiastischen Blicken entgegen. Der Ausgang des Gunfights hatte sicher nicht dazu beigetragen, das Ansehen des trinkfreudigen Marshals in der Stadt zu heben. Trotzdem, er war ja Wyatt Earp.

Als der Fremde in den Saloon kam und dem Keeper erklärte, daß er ein Zimmer nehmen wolle, log Brigger:

»Es tut mir leid, Mister, mein Haus ist besetzt.«

»Gibt es noch ein Boardinghouse in der Stadt?«

Brigger schüttelte den Kopf. Das hieß ganz deutlich: Sieh zu, daß du weiterkommst, Brigant!

Da erschien Keaton in der Tür vom Hof her.

»He, Keeper, was soll das? Weshalb schicken Sie den netten Burschen weg? Ich hoffe, daß ihm das vorhin eine Lehre war und er es sich nicht mehr einfallen lassen wird, hier noch einmal eine Karte anzurühren, noch einen Mann zum Gunfight herauszufordern.«

Das dünne Lächeln um die Lippen des eleganten Fremden sah Keaton nicht. Er belferte weiter:

»Oben sind noch Zimmer frei. Er soll eine Nacht bleiben können. Und morgen früh, wenn ich aufgestanden bin, will ich ihn nicht mehr hier sehen.«

Nach diesen Worten ging Keaton hinaus auf den Vorbau.

Brigger war von der selbstsicheren Art des »Marshals« wieder einmal so sehr beeindruckt, daß er klein beigab und dem Fremden zuwinkte.

»Vorwärts, tragen Sie sich ein!« Er schob ihm nicht eben freundlich das Buch hin. »Sie verdanken das nur Mister Earp. – Und wie gesagt, morgen vormittag sind Sie verschwunden. Der Marshal steht gegen zehn auf.«

Der Fremde ergriff die Feder und tauchte sie in das Tintenfaß. In harten, steilen Buchstaben schrieb er seinen Namen unter den Namen, den der Verbrecher Keaton ins Gästebuch eingetragen hatte, unter Wyatt Earp.

Brigger knurrte: »Gezahlt wird sofort!«

Der Mann legte das Geld auf die Theke.

Brigger zischelte: »Zimmer sieben! Und ich möchte bis morgen keinen Mucks mehr von Ihnen hören, ist das klar? Andernfalls…«

Brigger brach ab. Er hatte das Buch herumgedreht und starrte mit geweiteten Augen auf das, was der Fremde da eingetragen hatte:

Dr. John H. Holliday.

Der Keeper sah auf, blickte hinter dem Mann her, der bereits auf der Treppe war.

»He, Sie…!«

Holliday wandte sich um.

Brigger fauchte heiser: »Sind Sie – vielleicht wahnsinnig, Mister?«

»Ich hoffe nicht. Wie kommen Sie zu dieser wenig angenehmen Vermutung?«

»Lassen Sie den geschwollenen Stuß, Mann. Was fällt Ihnen ein? Wie können Sie sich unter falschem Namen eintragen?«

Der Fremde kam langsam zurück.

»Das würde ich mir nie erlauben, Mister.«

Brigger sah ihn mit leicht zitterndem Unterkiefer an.

»Sie haben hier Doktor John H. Holliday hingeschrieben.«

»Yeah, ich erinner mich dessen.«

Brigger stieß den Kopf vor. »Mann, halten Sie uns alle für verrückt. Bilden Sie sich vielleicht ein, wir kennen diesen Namen nicht? Doc Holliday! Mann, da hätten Sie sich etwas Gescheiteres einfallen lassen sollen. Der Marshal hat recht, Sie scheinen wirklich ein ganz ausgekochter Bruder zu sein! Los, streichen Sie das gefälligst aus und kritzeln Sie einen anderen Namen dahin, Mann, wenn Sie keinen neuen Ärger haben wollen.«

Keaton erschien in der Schwingtür.

»Was gibt’s denn, Keeper?«

»Wissen Sie, was Ihr Freund da in unser Gästebuch eingetragen hat? Sie werden es nicht glauben. Er war so unverschämt, sich als Doc Holliday einzutragen!«

Keaton blickte sekundenlang vor sich hin, dann flog sein Blick forschend über den Fremden.

Doc Holliday! Heavens! War das das Loch in Bill Peacemakers großem

Tip?

Ausgeschlossen! Keaton schüttelte diesen Gedanken wieder ab. Der Snob da vorn war nie und nimmer der berühmte Doc Holliday. Aber eines schien dem Banditen jetzt klarzuwerden: Dieser Mann wußte, daß er, Keaton, nicht Wyatt Earp war. Und nun wollte er ihm mit dem »Doc Holliday« eins auswetzen.

Rory Keaton brach in eine schallende Lache aus und stampfte mit polternden Schritten auf Holliday zu. Hart ließ er seine schwere Pranke auf die Schulter des anderen fallen.

»All right, Amigo, ich habe verstanden. Kommen Sie, wir werden oben zusammen einen Drink nehmen! Keeper!«

Brigger schrak zusammen.

»Geben Sie uns eine gute Flasche. Dieser Mann hier versteht sein Handwerk. Er versteht vor allem zu scherzen!«

Er nahm die Flasche und ging seitlich hinter Holliday die Treppe hinauf. Oben stieß er McNallys Tür auf.

Der Kentucky-Mann wich mit bleichem Gesicht in die Zimmermitte zurück, als er sah, wen der Boß da heranschleppte.

Keaton warf die Tür donnernd hinter sich ins Schloß.

»He, Kid, nimm den Hut ab. Weißt du, wen ich dir in deine muffige Bude bringe? Das weißt du natürlich nicht, deshalb will ich es dir sagen…«

»Doc Holliday!« kam es heiser von den Lippen McNallys.

Keaton zog die Brauen zusammen.

»Wie kommst du darauf? Ach…«, und wieder lachte er dröhnend, »du hast an der Treppe gelauscht! Yeah, es ist Doc Holliday. Oder jedenfalls ein geriebener Junge, der etwas dagegen hat, daß ich Wyatt Earp bin.«

McNallys wächsernes Gesicht veränderte sich nicht.

Keaton zischte ihn an: »Steh nicht so angeleimt da, Mensch. Begreifst du denn nicht? Es ist ein Gauner, der uns foppen will!«

Keaton wandte sich mit einem Ruck dem Fremden zu.

»Hören Sie, Mister. Ich bin ein empfindlicher Bursche. Trotzdem, ich will Ihren Scherz nicht ernstnehmen. Sie haben geglaubt, ich hätte mir einen Spaß mit Ihnen gemacht. Deshalb wollten Sie sich auch einen Spaß mit mir machen. Aber Sie haben Pech gehabt: Ich bin Wyatt Earp!«

McNally wagte nicht mehr zu atmen. Seine Augen hafteten an dem eiskalten Gesicht des Spielers. Was würde jetzt geschehen?

Keaton erklärte: »Es bleibt dabei, Amigo: Morgen vormittag sind Sie aus der Stadt verschwunden, sonst mache ich Ihnen Beine! Los, verschwinden Sie jetzt. Und zwar schnell!«

Der Gambler warf ihm einen seltsam nachdenklichen Blick zu und ging dann zur Tür. Als er draußen war, lachte Keaton auf, so lange, bis er McNallys Gesicht sah.

»He, Kid, was ist mit dir los? Bist du krank? Mensch, nun kipp mir nicht gleich aus den Stiefeln…«

McNally wies zur Tür und legte den Zeigefinger auf die Lippen.

Keaton riß die Tür auf und sah hinaus.

»Nichts – er ist weg. Das sollte er auch wagen, an unseren Türen zu lauschen!«

McNally wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn.

»Wir müssen weg, Keaton!«

Keaton ließ sich in einen abgewetzten grünen Plüschsessel fallen.

»Deine Nerven sind in den letzten Tagen verdammt schlecht geworden, Kid!«

McNally wies auf die Tür und stieß leise hervor:

»Aber begreifst du denn nichts?«

»Was denn?« polterte Keaton. »Glaubst du, ich hätte vor ihm Angst, selbst wenn er mich durchschaut hätte? Yeah, das hältst du nicht für möglich, daß ich es ihm zutraue, daß er mich durchschaut hat, he? Es ist aber so. Vielleicht hat der Kerl Wyatt Earp mal gesehen – da wußte er natürlich sofort, daß ich hier einen Joke drehe. Aber sei unbesorgt!« Das Gesicht des Banditen verkrampfte sich. »Mit solchen Scherzen, wie er ihn mir da unten geboten hat, lasse ich mich nicht aus der Bahn werfen. Von einem solchen Lackaffen schon gar nicht!«

»Aber, Boß – begreifst du denn nicht?«

Keaton stieß den feuerrot gewordenen Schädel vor.

»Was soll ich begreifen! Daß mich einer hochnehmen will? Das träumst du, weil du im Grunde ein Kriecher bist. Well, ein höllisch gerissener Kriecher, aber eben ein Kriecher! No, Brother, dieser Stadtfrack schreckt mich nicht.«

»Aber…«

»Was aber?« Keaton war aufgesprungen. »Du glaubst also, daß er mich durchschaut hat? Well, dann hat er eben verspielt. Dann kommt er eben aus der Stadt nicht mehr heraus. Das heißt, er wird den Morgen nicht erleben. Ich lasse mich von niemandem vertreiben. Von niemandem, verstehst du, Kid!«

McNally sah seinen Boß wortlos an. Er hatte verstanden: Rory Keaton würde diesen Anzug, den er sich da angezogen hatte, nicht mehr ausziehen. Er dachte nicht daran, den geborgten Namen abzugeben.

Das mußte sein Untergang sein.

»Boß, das – ist doch unmöglich! Ganz davon abgesehen, daß der Mann, der eben hier im Zimmer war…«

»Was ist mit ihm?«

Ganz leise, so als müsse er befürchten, daß seine Worte gehört würden, brach es von McNallys Lippen:

»Er ist Doc Holliday.«

Keaton sah seinen Kumpan einen Augenblick verstört an, dann lachte er brüllend los.

»Du bist verrückt, Kid. Der Kerl ist ein Betrüger, ein Bandit – ein Bursche wie du und ich. Laß dich doch durch seinen feinen Anzug nicht täuschen. Außerdem hattest du mir doch gesagt, daß du ihn kennst, daß er ein Richter aus dem Diamond-Joe-Park gewesen sei.«

»Ich habe mich getäuscht, Rory, der Mann ist Doc Holliday!«

Keaton kam aus der röhrenden Lache fast nicht mehr heraus.

»Laß dir deinen faulen Zahn endlich ziehen, Kid!«

Aber Kid McNally ließ sich diesen Zahn nicht ziehen. Und dennoch gelang es ihm nicht, seinen Boß von der Gefährlichkeit des Fremden zu überzeugen.

In Keaton war bereits ein anderer Gedanke herangereift: Ich werde ihn vernichten! Ich werde ihn ausrotten, den Fremden, den Mann, der mich hier aus meiner Stadt schrecken will! Dieser Gauner hatte höchstwahrscheinlich die Absicht, ihn, Keaton, zu erpressen. Kalt genug war sein Gesicht ja.

Aber er sollte den kommenden Morgen nicht erleben. –

McNally ritt am Nachmittag aus der Stadt. Er wollte Piggers aufsuchen. Vielleicht wäre der Kentucky-Mann jetzt irgendwo anders hingeritten, wenn der viele Whisky seinen Kopf nicht in einen Nebel getaucht hätte. Ganz sicher wäre er dann weggeritten. Aber andererseits war auch McNally ebenso wie der schwachgeistige Rob Piggers kein Mann, der sein Leben einmal selbst in die Hand nehmen konnte. Die Bravour, mit der der großmannssüchtige Rory Keaton es in der Stadt zu einem unbegreiflichen Wohlstand gebracht hatte, hielt auch ihn zurück.

*

Um ein Uhr in der Nacht stand Keaton im Hof. Er hatte dreimal in McNallys Zimmer gesehen und sich davon überzeugt, daß der Kentucky-Mann nicht aus den Bergen zurückgekommen war. Lauschend stand der Bandit am Stallgebäude und holte die drei großen Kerosinfässer heraus, die er dort hatte stehen sehen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn McNally das, was er jetzt vorhatte, ausgeführt hätte. Aber der Halunke saß jetzt mit Piggers vor einem verglimmenden Feuer und döste seinen gewaltigen Rausch aus.

Keaton mußte sich also selbst an die Arbeit machen.

Nach einer Viertelstunde war das Wichtigste getan. Der Brennstoff war auf das Hotelfundament des Hotels geschüttet, und als Keaton jetzt ein Zündholz an eine Ecke hielt, fraßen sich die Flammen sofort wildzüngelnd weiter.

*

Doc Holliday hatte nur wenig geschlafen, als ihm der scharfe Geruch des Kerosins in die Nase stieg. Er erhob sich sofort, packte seine Sachen zusammen und ging hinunter.

Unbemerkt verließ er das Haus.

Kurze Zeit später stand »Briggers Bar und Boardinghouse« in lodernden Flammen.

Brigger wachte von dem keuchenden, erstickten Husten der alten Negerköchin in dem Nebenraum auf. Er sah den zuckenden Flammenschein und sprang aus dem Bett.

Nur halb angekleidet rannte er hinaus und stand entsetzt vor seinem brennenden Haus.

Dann dachte er an die Gäste oben.

Heavens! Wyatt Earp schlief oben!

Brigger rannte in den Salon – aber es war zu spät!

Aus dem quellenden Rauch stürzte ihm torkelnd und halb ohnmächtig die alte Negerin unter herunterprasselnden Balken entgegen.

Der Salooner rannte auf die Straße. Den Männern, die ihm entgegenkamen, hechelte er zu:

»Der Marshal – er schläft oben!«

Da stieß ihn der kleine Schneider Hemmingston an.

»He, Brigger, da vorn vor dem Vorbau liegt ein Mensch…«

Ebenfalls nur halb angekleidet und mit weit ausgebreiteten Armen lag ein Mann auf der Straße.

Es war der »Marshal«.

»Er ist aus dem Fenster gesprungen und muß sich verletzt haben!« rief der Arzt, der ebenfalls herangekommen war.

Keaton schlug die Augen auf und blinzelte in das lodernde Feuer.

»Löschen, Männer«, röchelte er, »löschen…«

Dann trugen sie ihn fort.

Es gelang den Bürgern nicht mehr, den Brand zu löschen. Im Gegenteil, die Glut schlug auf zwei Nebenhäuser über und fraß sie bis auf die Fundamente weg.

Die Menschen konnten sich alle noch retten.

In einem der kleinen Häuser, die abgebrannt waren, hatte eine Familie mit neun Kindern gewohnt. Nur unter Lebensgefahr hatte der Mann seine kleinen Kinder aus dem brennenden Haus retten können. Selbst mit Brandwunden bedeckt, brach er schließlich auf der Straße zusammen.

Und am Morgen wußte Atlantic-City, daß der Brand doch einen Toten gefordert hatte: den Fremden, der sich bei Brigger als Dr. Holliday eingetragen hatte.

McNally hörte es von einem Händler, den er am Vormittag auf der Straße nach Jersey traf.

In gestrecktem Galopp eilte der Tramp in die Stadt. Er fand seinen Boß in Billorys Store bei einer Flasche Whisky.

»Hallo, Kid!« rief Keaton. Er war völlig unversehrt, obgleich McNally gehört hatte, daß er bei dem Brand oben aus dem Fenster des Obergeschosses gesprungen sein sollte.

Keaton grinste ihm breit entgegen.

»Komm her, Boy, du hast auch einen verdient. Es war dein Glück, daß du nicht im Hotel warst.«

Der Storekeeper, ein alter verknöcherter Mann, beugte sich über den Tresen und fragte mit krächzender Stimme: »Wo war er denn?«

McNally schoß seinem Boß einen raschen Blick zu.

Da versetzte Keaton rasch: »Ich hatte ihn mit einem Auftrag nach Jersey geschickt. Das war sein Glück, denn der Bursche hat einen Schlaf wie ein Bär. Nie und nimmer wär er aus dem engen Bau herausgekommen.«

»Der eine Tote reicht auch völlig«, krächzte der Händler und kratzte seinen kahlen Schädel. »Sie haben ihn übrigens noch immer nicht gefunden. Er muß total verkohlt sein. Schrecklich!«

Keaton blickte McNally triumphierend an. Er glaubte fest, daß der Fremde in dem Brand umgekommen sei.

McNally rieb sich gedankenvoll das Kinn.

Keaton schob sich eine frische schwarze Zigarre zwischen die Lippen.

»So, Boy, und nun warte einen Augenblick hier. Ich gehe zum Mayor.«

Als er nach wenigen Minuten zurückkam, trug er einen umrandeten fünfzackigen Stern auf der neuen Jacke.

McNally schluckte.

Es konnte keinen Zweifel mehr geben: Keaton war verrückt, dachte der Kentucky-Mann. Aber Rory Josuah Keaton war keineswegs verrückt. Er war im Gegenteil im Augenblick sehr klar.

Als er seinem Komplicen auf der Mainstreet gegenüberstand, deutete er mit dem Zigarrenstummel auf den Trümmerhaufen der drei Häuser.

»Da ist dein Doc Holliday, oder wie er sich auch immer nennen wollte, in Rauch aufgegangen, Kid. Und ich bin jetzt Marshal von Atlantic-City.«

»McNally fragte vorsichtig: »Du wirst also hierbleiben?«

»Weshalb nicht?«

»Aber – ich dachte, Peacemaker hätte dir noch einige Städte genannt?«

»Yeah, das hat er.« Keaton schob seine breite Brust heraus und polierte mit der Hemdmanschette den silbernen Stern. »Aber wer weiß, wie ich es da treffe.«

McNally nickte. Die beiden großen Gläser Whisky, die er eben getrunken hatte, wirkten bereits wieder.

»Was macht Piggers?« wollte Keaton wissen.

»Er wird verdammt ungeduldig. Er sagt, daß er heute abend in die Stadt kommen will, um mit dir zu sprechen.«

»Ausgeschlossen!«

»Er kann doch aber nicht wochenlang da draußen auf uns warten?«

»Weshalb nicht?« fauchte Keaton. An seiner Stirn schwoll eine große Ader. »Er hat zu warten. Schluß damit. Ich habe jetzt andere Sorgen. Der Stadtrat muß Geld für ein neues Jail ausspucken, bei der Gelegenheit werde ich auch das Office neu aufbauen lassen…«

McNally hatte dicke Schweißperlen auf der Stirn stehen.

Heavens, gab es in diesem Teufelskreis denn keinen Ausweg? Er spürte ganz deutlich trotz seines seit Tagen umnebelten Hirns, daß er hier in dieser Stadt auf einem Pulverfaß saß.

Wie war das mit Doc Holliday gewesen? Er hatte die halbe Nacht darüber nachgedacht, wo er den Mann gesehen hatte. Vielleicht unten in Tucson? Damned, da irgendwo mußte es gewesen sein! Der Fremde war Doc Holliday! Keaton konnte ihn von diesem Gedanken nicht abbringen. Und jetzt sollte er tot sein?

McNally ging hinüber zu den immer noch schwelenden Trümmern des Boardinghouses. Mehrere Männer kletterten auf der Brandstelle herum und stocherten mit langen Stangen darin herum.

McNally beteiligte sich plötzlich wie wild an dieser Arbeit. Er wollte die Leiche Doc Hollidays sehen, eher würde er keine Ruhe in dieser Stadt finden.

*

Nach zwei Stunden arbeitete der Kentucky-Mann völlig allein auf der Brandstätte. Die anderen Männer waren zum Essen gegangen, außerdem hatten sie auch ihrer täglichen Arbeit nachzugehen, um ihren Broterwerb zu sichern. Es war kein leichtes Leben in Atlantic-City. Die Menschen mußten hier schwer arbeiten. Die Berge ringsum boten wenig Möglichkeiten, den Erwerb der Stadt zu vergrößern. Wäre es sattes grünes Weideland gewesen, das diesen Teil des Fremont-Countys ausfüllte, dann wäre das Leben in Kentucky durch die Rinderzucht und all den damit verbundenen Zweigen bedeutend günstiger gewesen. In dieser Bergstadt aber hatte jeder einzelne Mühe, durchzukommen.

Als McNally einmal aufsah, um sich den rinnenden Schweiß aus Gesicht und Nacken zu wischen, blickte er in ein dunkelblaues Augenpaar. Es gehörte zu einem Mann, der vorn auf der Straße auf einem hochbeinigen Schwarzfalben saß und dem wie wild in den Trümmern der Brandstelle herumwühlenden Tramp zusah.

McNally richtete sein schmerzendes Kreuz auf und warf dem Reiter einen forschenden Blick zu.

Es war ein sehr großer Mann mit wettergebräuntem, ernstem Gesicht, großen seltsam blauen Augen und blauschwarzem Haar. Der breitkrempige schwarze Hut saß ihm tief in der Stirn. Er trug ein leuchtendrotes Hemd und eine schwarze Lederweste zu seiner engen schwarzen Levishose. Unter dem Hosengurt saß ein breiter Waffengurt aus schwarzem Büffelleder, der an beiden Hüftseiten je einen großen Revolver hielt.

Seine staubigen schwarzen Stiefel waren mit texanischen Steppereien besetzt.

Es war eigentlich nichts Besonderes an dem Reiter. Und Kid McNally wollte sich auch wieder seiner Arbeit zuwenden, als er, einem merkwürdigen Zwang folgend, wieder in die tiefblauen Augen des Reiters sah.

»Der Laden ist heute nacht niedergebrannt«, sagte er und wußte selbst nicht, weshalb er das tat.

Der Reiter nickte, rutschte aus dem Sattel, ließ die Zügelleinen auf den Boden gleiten und kam näher.

Jetzt sah Kid, daß der Mann tatsächlich weit mehr als sechs Fuß maß. Er griff mit der Linken in die Westentasche, nahm eine halbzerbröckelte lange schwarze Zigarre heraus, benetzte die losen Deckblätter und schob sie sich zwischen die Zähne. Das Zündholz riß er mit der Rechten am Daumennagel der gleichen Hand an.

»War es das Boardinghouse?«

»Yeah.«

McNally fühlte sich unter dem Blick des Fremden nicht sonderlich wohl und begann seine Wühlarbeit fortzusetzen.

»Sind Menschen zu Schaden gekommen?« fragte der Fremde.

»Nein. Da drüben wohnte eine Familie mit neun Kindern, der Mann hat sie alle herausgeholt.«

Schon im Abdrehen hörte der Fremde den Mann auf der Schutthalde noch sagen:

»Ach ja, es war einer im Hotel, ein Mann – er hatte sich als Doc Holliday ausgegeben. Fast hätte er hier gestern noch einen Gunfight mit dem Marshal gehabt…«

Der Fremde blieb stehen und wandte sich langsam um.

McNally sah eine blaue Rauchwolke von der großen Zigarre vor seinem Gesicht stehen.

»Was ist mit ihm?« fragte der Fremde ruhig.

Der Kentucky-Mann versetzte: »Ich weiß es nicht. Es heißt, er ist in dem Brand umgekommen.«

Langsam nahm der Fremde die Zigarette aus dem Mund. »Wo ist das Sheriffs-Office?«

McNally wies nach Osten. »Aber der Marshal ist nicht da. Er war vorhin noch mit dem Townmayor hier, dann mußte er aus der Stadt reiten, weil er etwas oben in den Bergen zu besorgen hat.«

»Wie heißt er?«

»W…« McNally hielt inne. Dann sagte er stockend: »Ich bin nicht von hier, Mister. Ich kenne ihn auch nicht.«

Der Fremde tippte an den Hutrand und zog sich in den Sattel.

McNally sah ihm nach, wie er langsam weiter durch die Mainstreet nach Westen ritt.

McNally stocherte weiter in den rauchigen, verkohlten Balken und Brettern herum, riß sie hoch und schleuderte sie zur Seite, kämpfte immer wieder gegen den Hustenreiz an, weil der feine Brandstaub ihm in die Lungen drang.

*

Es war genau drei Uhr am Nachmittag, als von Osten her fünf Reiter in die Mainstreet einritten. Harte staubige Gesichter, sonnenverbrannt und mit verwegenen Blicken. Ihre Kleidung wirkte abgerissen und schäbig. Als sie die Höhe des niedergebrannten Saloons erreicht hatten, hielt der vorderste von ihnen sein Pferd an, warf einen Blick zu dem Kentucky-Mann, der immer noch zwischen dem Schutt herumwühlte, und rief:

»He, Brother, ist das etwa der Saloon gewesen, der da zusammengeschmolzen ist?«

McNally richtete sich auf und musterte die Reiter.

»Yeah.«

»Und – sitzt ganz Atlantic-City jetzt deswegen auf dem Trockenen?«

McNally wies mit dem rechten Daumen hinüber zum Generalstore.

»Jim Billory hat auch Whisky. Sein Ladentisch ist lang genug für fünf durstige Reiter!«

Der Mann auf dem Pferd grinste und zeigte dabei ein scheußliches Gebiß.

»All right, wenn du Durst kriegst, Boy, kommst du rüber. Ich werfe einen Drink!«

McNally nickte. Und er beschloß, nicht allzu lange auf sich warten zu lassen.

Die Reiter stiegen vor dem Generalstore aus ihren Sätteln, machten ihre Gäule an der Halfterstange fest und betraten den Vorbau.

Billorys vertrocknetes Gesicht verzog sich grämlich, als er die abgerissenen Gestalten auf den Eingang seines Ladens zukommen sah.

Der vorderste stieß die Tür mit dem Stiefel so hart auf, daß eines ihrer Gläser heraussprang, um klirrend am Boden zu zerschellen.

Die Reiter lachten und schoben sich in den Verkaufsraum.

Ihr Wortführer lehnte sich über den Ladentisch, schob sich den mißfarbenen Melbahut aus der Stirn und feixte den Storehalter mit seinen ungepflegten Zähnen an.

»He, Alter, wir bekommen Seife und Schuhpasta. Yeah – der da, der kleine Rotschopf, der kriegt auch einen Kamm!«

Die anderen lachten bellend.

»Hör zu, Alter, ich bin Lewt Gerritsen! Schöner Name was? Du erinnerst dich sicher an Ed Gerritsen, der oben in Lander im vergangenen Jahr mit seiner Crew die Hölle losgemacht hat und dann gehängt wurde?«

»Ja«, kam es zaghaft von den welken Lippen des Alten.

»Hattest du was gegen ihn?« fragte der Reiter.

»Nein, nein, sicher nicht, Mister, ich kannte ihn ja gar nicht. Er ist nie in Atlantic-City gewesen…«

»Dein Glück, Grandpa«, unterbrach ihn Gerritsen, »er war nämlich mein Bruder! – So, Boys, macht’s euch bequem. Vorwärts, Alter, laß ein paar Flaschen auffahren.«

Der Händler schob drei Flaschen auf die Theke.

Gerritsen lachte schrill.

»He, Freund, siehst du nicht, daß wir fünf Männer sind? Sollen denn die beiden letzten am Daumen lutschen?«

Billory brachte noch zwei Flaschen auf den Tresen.

Die Männer tranken.

Und nach fünf Minuten schob sich der Kentucky-Mann in den Store.

Gerritsen rief: »He, Schutthaufenratte, komm hierher, du kriegst auch eine Flasche.«

Eine halbe Stunde später traten die angetrunkenen Banditen auf den Vorbau, zogen ihre Revolver und schossen auf der Straße herum.

Ein Mädchen, das aus Gilberts Bäckerei kam und über die Straße laufen mußte, verfolgten die Rowdies mit wilden Schreien und Gerritsen schickte ihr sogar zwei Kugeln dicht hinter die Absätze.

Da trat drüben neben dem niedergebrannten Haus ein grauhaariger Mann aus einer Werkstatt. Er trug die grüne rußige Schürze eines Blacksmiths und drohte den Banditen mit der Faust.

»Was soll dieser Unfug!«

Gerritsens schadenfrohe Lache erstarb sofort.

»Verschwinde in deinem Stall, Graukopf!«

Und als der Schmied nicht sofort kehrtmachte, klatschte eine Revolverkugel so dicht neben seinen Schuh, daß sie das Leder aufriß und der Getroffene einen sengenden Schmerz verspürte. »Verdammte Bande!« knurrte der Schmied. Aber er blieb vor der Tür stehen.

Eine Frau hatte ängstlich hinter einen Regenfaß Deckung genommen.

Jimmy Hardenagger, der Rotschopf, hatte sie entdeckt und hielt das Faß unter Feuer.

Die anderen honorierten diesen üblen Scherz mit einer rohen Lache.

Das Mädchen stand noch steif und hölzern da, wo die Kugeln hinter ihm den Straßenstaub hatten aufspritzen lassen.

»Komm, Ann!« rief der Schmied.

»Sie bleibt, wo sie ist!« brüllte Gerritsen wild.

»Das werden wir sehen!« versetzte der Schmied und wollte vorwärtsgehen, um seine Tochter ins Haus zu holen.

Da peitschte wieder ein Schuß los und riß die rechte Schuhkappe des Schmiedes auf.

»Keinen Schritt weiter, Graukopf, sonst sitzt dir die nächste Kugel im Bauch!«

»Bande!« fauchte der Blacksmith.

Hardenaggers nächste Kugel strich dicht über den Kopf der Frau hinter dem durchlöcherten Faß hinweg.

McNally stand mit gemischten Gefühlen dabei. Eine festgefrorene dumme Lache stand in seinem vom vielen Whisky aufgeschwemmten bleichen Gesicht.

Da erschien drüben an der Straßenecke mit flammendrotem Gesicht der Mayor.

»Aufhören! Sofort aufhören!« rief er mit erhobenen Händen.

Die Banditen lachten dröhnend.

»Marshal!« rief der Mayor. »Wo ist der Marshal!«

»Yeah«, grölte Gerritsen, »wo steckt der Marshal! Er schläft sicher! Sonst müßte er doch längst hier sein, um uns zu begrüßen!«

Der Bandenführer trat schwankend auf die Straße.

Der »Marshal«, nach dem der Mayor laut und eine halbe Stadt still gerufen hatte, war nicht etwa meilenweit von Atlantic-City entfernt in den Bergen – sondern er stand in diesem Augenblick drüben im Hof des alten Sheriffs-Office und lugte mit engen Augen zum General-Store hinüber.

Er hatte sowohl die Schüsse als auch die Schießerei deutlich gehört – hütete sich aber, auf die Straße zu kommen.

Lewt Gerritsen – Keaton hatte ihn sofort erkannt, nie und nimmer würde er sich diesem Mann entgegenstellen. Was zum Teufel hatte ihn mit seiner wilden Crew in die Stadt geführt?

Die Situation der Frau hinter dem Wasserfaß war inzwischen bedenklich geworden, da auch Butch Neegle, der krumme Bursche mit dem Kreolengesicht, auf das Faß schoß.

Der Schmied stand steif da. Er hob die Faust und brüllte: »Gebt mir ein Gewehr, ihr Feiglinge, dann will ich euch zeigen…«

»Halt’s Maul, Graukopf!« bellte Gerritsen. »Hier reden wir!«

Billory hatte seine verknöcherten Hände um den kalten Lauf einer alten Schrotbüchse geklammert. Aber er ließ die Waffe dann doch wieder hinter seiner Theke nieder. Er war zu alt geworden, um noch kämpfen zu können.

Auch Bill Norton, der Fleischer, hatte einen Augenblick mit dem Gedanken gespielt, sein Sharpsgewehr von der Wand zu nehmen. Aber als er dann Gerritsen auf der Straße stehen sah, ballte auch er nur die Fäuste und wünschte den »Marshal« in die Stadt.

Der Mayor bebte vor Zorn.

»Aufhören mit der Schießerei! Wenn die Frau getroffen wird…«

Eine Kugel Gerritsens riß links oben das Rockfutter über dem Ärmel des Mayors auf.

»Kein Wort mehr und keine Bewegung, Mister – du liegst sonst im Dreck!«

Auf der Mainstreet von Atlantic-City war es plötzlich mehr als gefährlich geworden.

Joel McGaby kauerte hinter einer Vorbautreppe, der kleine Schneider war auch auf der Straße gewesen, als die Rowdies aus dem Store kamen,

und fürchtete, von einer Kugel erwischt zu werden. Aber die Treppe war niedrig und konnte selbst seinem kleinen Körper kaum lange Schutz gewähren.

Und da hatte Red Cornwall, ein riesiger, ungeschlachter Mensch mit langen Affenarmen, den kleinen Schneider auch schon entdeckt und schickte ihm eine Kugel hinüber, die dem zwergenhaften Mann sofort den Galvestone-Hut vom Schädel fegte.

McGaby hielt vor Schreck den Atem an; er glaubte, sein Herz müsse stehenbleiben. Und diese Befürchtung war keine Einbildung, denn seit einigen Monaten hatte er es arg mit dem Herzen. Es war durch den Überfall auf die Postkutsche oben bei Lander gekommen, damals, als er einmal seine Schwester oben im Norden hatte besuchen wollen…

Gerritsen und seine Leute hatten im Augenblick die Mainstreet in einen Hexenkessel von schwirrenden Kugeln und zitternden Menschen verwandelt.

In diesem Augenblick kam aus der Nebengasse, die hinter dem Store in die Mainstreet führte, ein Mann.

Er war sehr groß, hatte ein wettergebräuntes Gesicht, trug einen schwarzen Hut, den er tief in die Stirn gezogen hatte, ein rotes Hemd, eine schwarze Lederweste und schwarze enge Levishosen, die unten über die Schäfte der Stiefel ausliefen.

Kid McNally erkannte ihn sofort. Es war der Mann, der vorhin auf dem Schwarzfalben in die Stadt gekommen war und mit ihm drüben bei der Brandstelle gesprochen hatte.

Langsam ging er über die Straße.

Da rief Lewt Gerritsen ihn an.

»He, Cowboy, bleib stehen!«

Der Mann ging weiter.

Da riß Gerritsen den Colt hoch – aber der Mann drüben flog im gleichen Augenblick herum, und an seiner linken Hüfte fauchte ein Schuß los.

Gerritsens Colt wurde hochgewirbelt und landete drei Yards hinter seinem Besitzer.

Der Schütze hatte jetzt zwei Revolver in der Hand. Mit eiskaltem Gesicht und harten Augen musterte er die

Rowdies.

Gerritsen hatte den Mund offenstehen. Jetzt brüllte er:

»He, Boys, deckt ihn ein!«

»Nicht doch!« kam es da klirrend vom östlichen Ende des Storevorbaus her.

Die Tramps fuhren herum und sahen oben einen Mann stehen, der auch zwei Revolver in den vorgestreckten Fäusten hatte.

McNally sah ihn auch – und konnte einen spitzen Schrei der Verblüffung nicht unterdrücken.

Der Mann auf dem Vorbau maß ebenfalls sechs Fuß, hatte ein blaßbraunes, gutgeschnittenes kantiges Gesicht und eisblaue Augen. Sein Anzug war aus bestem St.-Louis-Stoff, und die weinrote Krawatte hatte in Atlantic-City ganz sicher Seltenheitswert. Es war der Mann, der sich gestern als Dr. John Holliday im Gästebuch Hal Briggers eingetragen hatte, den Rory Keaton tot wähnte und dessen verkohlte Leiche Kid McNally stundenlang unter den Trümmern des Boardinghouses gesucht hatte.

McNally spürte, daß sich ihm die Haare unter dem Hut sträubten.

Gerritsen sah von einem der beiden Männer zum anderen.

»Aha, scheint doch nicht ganz so müde zu sein, das Nest. Sogar ein Gentleman taucht hier mit zwei Bleispritzen auf.«

»Halt deinen großen Rand, Gerritsen, und sieh zu, daß du weiterkommst!« mahnte der »Gentleman«.

Noch hatte niemand in der Main-street begriffen, was eigentlich los war.

Keaton blickte mit engen Augen auf den Mann, dessentwegen er drei ganze Häuser niedergebrannt hatte. Da war der Halunke also noch vor dem Brand verschwunden. Hatte Lunte gerochen und das Weite gesucht. Und jetzt kam er sonderbarerweise genau in dem Augenblick dazu, als der »Cowboy« Gerritsen in die Quere kam.

Der »Cowboy« ließ seine beiden Revolver mit blitzschnellen Handsaltos in die Halfter fliegen. Er verschränkte die Arme über der Brust, stand breitbeinig da und sah zu den Tramps hinüber. Wer diesen Mann nur einmal gesehen hatte, mußte ihn schon an seiner Haltung, besonders aber an der, die er jetzt eingenommen hatte, erkennen. Es war Wyatt Earp, der echte Wyatt Earp, der Marshal von Dodge, den einer jener rätselhaften Zufälle des Geschickes hierher in dieser Stadt geschickt hatte. Und der Mann oben am Vorbauende war niemand anderes als der große Gambler Holliday.

Die beiden waren auf dem Trail nach Montana gewesen, hatten sich in Bitter Creek getrennt, da Hollidays Pferd einen Dorn in einen Vorderhuf getreten hatte und da zurückbleiben mußte. Holliday hatte die Overland weiter nach Norden genommen, und der Marshal war scharf westlich über Eden-Valley geritten, um bei dem dortigen Sheriff eine Nachricht des Townmayors von Denver zu überbringen. Der alte Bürgermeister Humpy, der Wyatt seit Jahren kannte, hatte den Missourier um diesen Freundschaftsdienst gebeten, nachdem er während Wyatts Aufenthalt in der Stadt von dem Ritt des Marshals nach Montana gehört hatte.

Ausgerechnet in Atlantic-City wollten die beiden Männer dann wieder zusammentreffen. Hier oben sollten die Pferde billiger sein, und Holliday hatte die Absicht gehabt, sich hier einen Gaul zu kaufen. Auf der Rückreise konnte der Schecke dann wieder benutzt werden, der bis dahin sicher wieder gesund war.

Als der Missourier hörte, daß Holliday schon in der Stadt war, hatte er sich sofort auf die Suche nach ihm gemacht. Daß der Gambler etwa tatsächlich unter den Trümmern des Boardingshouses liegen könnte, hielt er für ausgeschlossen. Ein Feuer kam schließlich nicht wie eine Explosion, und der Spieler war ein Mensch, der selbst in der Nacht mit hellen Sinnen auf seinem Lager ruhte. Ein Brand hätte ihn schwerlich so überraschen können, daß er darin umkommen könnte.

Nun hatte sich die Lage in der Stadt auf eine sonderbare Weise geändert. Der Marshal hatte den Georgier sehr schnell getroffen und zwar im Büro der Wells-Fargo-Station. Es war eine alte Absprache unter den beiden seit Jahren miteinander reitenden Männer, für alle Fälle in der Frachtstation eine Nachricht für den anderen zu hinterlassen. Gab es in einer Stadt einmal keine Wells-Fargo-Niederlassung, dann erst wurde die Posthalterei für den Zweck benutzt.

Holliday hatte sich auf der Station aufgehalten, ohne dem Leiter etwas Näheres über sich und den Mann, den er erwartete, mitteilen zu müssen. Der vielseitige einstige Bostoner Arzt hatte es schnell verstanden, die Männer auf der Niederlassung mit seinen Kartentricks zu unterhalten und sehr bald in ein großes Spiel zu bannen.

Gerritsen sah den Missourier an.

»Was fällt Ihnen ein, Mister! Bis heute hat es noch niemand gewagt, mir den Colt aus der Hand zu schießen.«

»Dann wurde es also höchste Zeit«, versetzte der Marshal kalt.

Gerritsen war ein raffinierter Bursche. Er hatte sofort begriffen, daß er mit den beiden Männern kein leichtes Spiel haben würde. Auch wenn es seinen Leuten gelingen sollte, einen der beiden »scharfen« Männer zu treffen, mußte er selbst doch damit rechnen, selbst getroffen zu werden. Und die heroische Absicht, nur für seine Schießehre hier in diesem entlegenen Bergnest den Heldentod zu sterben, hatte der Desperado Lewton Gerritsen nicht.

»Well«, sagte er jetzt, »wir können die kleine Knallerei auch abbrechen, Männer. Im Moment macht sie doch keinen Spaß mehr. Vorwärts, schiebt eure Eisen weg. Ihr braucht sie gewiß zu anderer Stunde notwendiger.«

Um Hollidays Lippen spielte ein Lächeln.

»Die Mahnung kannst du dir sparen, Gerritsen. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn du deinen Boys erzählt hättest, wie es deinem lieben Bruder erging, als er in einer Stadt ganz in der Nähe verrücktspielte.«

Der Bandit, der sich gerade eingehender mit der Erscheingung des Missouriers befaßt hatte, fuhr herum.

Damned, woher kannte ihn dieser geschniegelte Kerl? Er konnte sich nicht darauf besinnen, ihn jemals gesehen zu haben.

Holliday hatte seine Revolver auch längst weggesteckt. Lässig, mit übereinandergeschlagenen Beinen lehnte er an einem Vorbaupfeiler und rauchte eine lange russische Zigarette.

Gerritsens Gesicht war verzerrt. Mit schiefem Mund quetschte er hervor: »Ich kenne Sie nicht.«

»Das kann nur gut für dich sein, Tramp«, versetzte Holliday.

Gerritsen spürte flammenden Zorn in sich aufsteigen. Dann winkte er seinen Leuten zu. »Kommt, Boys, wir suchen uns eine Unterkunft.«

Da stolperte ein kleiner brummbeiniger Mann mit hohem grauem Zylinderhut auf die Straße.

»Ich habe ein Hotel. Schon seit Jahren, aber es liegt nicht an der Fahrstraße. Damals lag es richtig, als die Overland noch nicht hier durch nach Lander fuhr, aber seitdem ist bei mir Flaute…«

Jesse Vaugham, ein Trinker, hatte das Vermögen, das er vor Jahren oben in den Claims von Montana gemacht hatte, noch nicht restlos durch seine Kehle gespült. Noch stand der alte Kasten von »Hotel« noch, den er vor Jahren gebaut hatte.

Und Gerritsen und seinen Männern kam das Ersatzhotel gerade recht; sie nahmen ihre Gäule und folgten dem Zylindermann.

Holliday warf dem Marshal einen Blick zu.

»Brauchen wir nicht auch zwei Zimmer?«

Der Missourier nickte.

Da trat der Schmied auf die Straße. Vor Wyatt blieb er stehen.

»Mister, wenn Sie und Ihr Freund eine Schlafstätte brauchen, dann können Sie sie jederzeit in meinem Hause finden.«

Ann, die Tochter des Schmiedes, stand immer noch mit verstörtem Gesicht da, wo der Bandit sie mit seinen Kugeln nahezu festgenagelt hatte.

Die alte Frau hockte keuchend hinter der durchlöcherten Regentonne und krampfte die Rechte über dem Herz zusammen.

Der kleine Schneider wagte sich erst jetzt hinter der Vorbautreppe hervor.

Der Mayor ging auf Wyatt zu. Er reichte ihm die Hand. »Thanks, Mister. Sie kamen im rechten Augenblick. Unser neuer Marshal war nicht in der Stadt…«

»Er scheint Flügel zu haben«, bemerkte der Gambler, der den Vorbau verlassen hatte und zu den beiden Männern getreten war. »Er steht nämlich drüben hinter der Tür des Jailhofes.«

Der Mayor wandte den Kopf. »He, da ist er ja. Schade, wenn er ein paar Minuten früher gekommen wäre, gäbe es jetzt ein paar Halunken weniger im County.«

Holliday zog die Brauen zusammen.

»Gestern waren Sie noch bedeutend weniger blutdürstig, Mayor.«

»Sie müssen mich verstehen, Mister…«

»Holliday.«

Der Mayor musterte den Georgier forschend. »Sie heißen also tatsächlich so?«

»Yeah.«

»Well, Sie müssen das verstehen, Mister Holliday. Seit der Sheriff in jener Nacht drüben in der Gasse erschossen worden ist, bin ich völlig mit den Nerven herunter. Der neue Marshal kam uns wie gerufen…«

»Das glaube ich«, versetzte Holliday zweideutig.

Wyatt ging mit dem Schmied auf dessen Werkstatt zu. Behutsam legte der Vater den Arm um die schmalen Schultern des Mädchens und nahm es mit in die Werkstatt.

Holliday zog leicht seinen schmalrandigen, hellen California-Hut und folgte dem Marshal.

Keaton hatte die ganze Szene mit engen Augen verfolgt. Perlender Schweiß stand auf seiner Stirn. Er lebte also noch, der Mann, der ihn geblufft hatte, der zu wissen schien, daß er nicht Wyatt Earp war. Und sein Freund, den er hier erwartet hatte, schien ganz aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein wie er selbst. Keaton zermarterte sein Hirn nach einem neuen Gedanken.

Gerritsen und seine ungebärdige Crew machte ihm bedeutend weniger Gedanken als diese beiden Fremden. Sicher, er wußte, daß sich solche Tramps oft wie Ratten in einer Stadt festbissen, bis sie tatsächlich ausgeräuchert wurden, aber er selbst fürchtete sie persönlich nicht so sehr wie die beiden kaltäugigen Männer, die da eben so kurzen Prozeß mit der wilden Crew gemacht hatten.

Heute konnte Keaton es nicht mehr begreifen, wie er sich mit dem eisäugigen geschniegelten Mann hatte schießen wollen. By Gosh, der Whisky hatte ihn mutiger und unvorsichtiger gemacht, als er es eigentlich war. Jetzt war er plötzlich überzeugt, daß er gegen den kaltschnäuzigen Stadtfrack überhaupt keine Chance gehabt hatte. Es lief ihm eiskalt bei dem Gedanken über den Rücken. Und der Mann mußte seiner Sache doch höllisch sicher gewesen sein, sonst wäre er doch trotz der Mahnung des Mayors nicht so kaltherzig zu dem Gunfight auf die Straße gegangen.

*

Es gab überhaupt nur einen Mann in Atlantic-City, der weiter und tiefer sah, bei dem es endlich zu dämmern begann: Kid McNally.

Er hatte reglos am Vorbaugelände gestanden und war mit weitoffenen Augen der ganzen Szene gefolgt.

Wenn der elegante Mann, der gestern so fraglos gegen den angeblichen Wyatt Earp antreten wollte, der plötzlich in der Nacht, nichts Gutes ahnend, aus dem Hotel verschwunden war und jetzt seine beiden vernickelten Sixguns so blitzschnell in den Fäusten hatte, wirklich Doc Holliday war – dann mußte der andere doch…

Die Augen des Kentucky-Mannes musterten die Gestalt des Missouriers.

Der übergroße Revolver in der Linken! Allthousand devils! Waren die Menschen in Atlantic-City blind! Dieses Zusammenspiel zwischen den beiden Männern, dieses sichere Auftreten, der traumhaft schnelle und tödlich sichere Schuß des Dunkelhaarigen aus der Drehung heraus von der linken Hüfte her…

By Gosh! Dieser Mann war Wyatt Earp! Es konnte gar nicht anders sein.

Als sich die Straße endlich leerte, kam Bewegung in die Gestalt des Banditen. Er sah sich nach allen Seiten um und stakste dann hinüber zum Mietstall, wo er seinen Gaul stehen hatte. Er sattelte auf, warf dem Besitzer des Livery Stables, der im Tor stand, zwei Geldstücke zu und ritt hinüber in die Gasse, in der das Jail lag.

Kid McNally hatte genug. Er war nun überzeugt, genau zu wissen, wer die beiden Männer waren, und diese Tatsache hatte ihn plötzlich vollkommen nüchtern werden lassen. Er verspürte nicht die mindeste Lust, in eine Auseinandersetzung mit dem echten Marshal von Dodge verwickelt zu werden. Ganz davon abgesehen, was man sich von dem Missourier erzählte, hatte ihm das genügt, was er soeben hier erlebt hatte.

Der Schrecken hatte ihm die lähmenden Geister des Alkohols rasch vertrieben und ihn plötzlich mit großer Schärfe die Gefahr erkennen lassen, in der auch er selbst sich hier befand. Er spürte plötzlich ganz deutlich, daß gegen diesen Wyatt Earp kein Kraut gewachsen war; daß der Mann, in dessen Haut sich der klebrige Rory Keaton gewünscht und hinter dessen Nimbus er sich versteckt hatte, ein Gegner war, mit dem sich hier niemand messen konnte.

So sehr der Kentucky-Mann das Einzelgängertum verabscheute – er hatte sich entschlossen zu fliehen.

Vorwürfe? Nein, die machte er sich nicht. Erstens war das Gewissen des Tramps ziemlich weit, und zum anderen wußte er genau, daß Keaton nicht zu belehren war. Zu sehr hatte sich der Mann in seinem Größenwahn verstrickt, sich in die Rolle des berühmten Dodger Marshals versponnen, als daß er noch hätte zur Einsicht gebracht werden können.

Kid McNally floh.

*

Rory Keaton hatte seinen Mann scharf beobachtet. Er hatte in dessen Gesicht die Angst stehen sehen und auch die plötzliche Ernüchterung erkannt. Mit Schrecken gewahrte er dann den entschlossenen Zug in McNallys Gesicht. Als der Kentucky-Mann sich dann abwandte, wußte Keaton, daß er diesen Zug und das Aufblinken in dem Gesicht des Komplicen richtig gedeutet hatte.

Der Gang zum Mietstall bestärkte Keatons Vermutung, und dann lieferte McNally seinem Boß noch selbst den Beweis: Er gab dem Mietstalleigner Geld. Es war also ganz eindeutig, daß er fliehen wollte.

Der Schrecken, der Keaton erfaßt hatte, verwandelte sich in rasenden Zorn, als er McNally auf sich zureiten sah.

»Du willst also türmen, verdammter Feigling!« stieß er tonlos über die kaum geöffneten Lippen.

Der Desperado spürte plötzlich ein Würgen in seiner Kehle. Eine Glutwelle schoß zu seinem Hirn.

Da reitete er weg, der Verräter! Kid McNally, der einzige Mensch in diesem verdammten Land, der dem Verbrecher Keaton wirklich von Nutzen gewesen war.

Nur das war es, was den Verbrecher in Wut geraten ließ: Der Helfer, der nützliche Komplice machte sich davon!

McNally war jetzt heran. Deutlich sah Keaton in den Augen des anderen sein Vorhaben stehen. Nur mühsam verhielt der Kentucky-Mann sein Pferd im Schritt; wenn er nur das Ende der Gasse erreicht hatte, würde er es in den schärfsten Galopp fallen lassen.

Dann war er vorbei.

Rory Keaton trat in das halboffene Hoftor und stierte mit flimmernden Augen auf den Rücken des Reiters. Gleich darauf zuckte seine Rechte zum Gurt und riß das dünne lange Federmesser aus der Scheide.

Mit verzerrtem Gesicht schleuderte er die tückische Waffe hinter seinem bisher besten Gefährten her.

Zielgenau saß die Klinge im Rücken des Reiters. Der Mörder war sich seines Wurfes sicher; es war eines der wenigen Dinge, die der Verbrecher in seinem Leben gründlich gelernt hatte. Schon als Junge hatte er sich drüben in Dakota für den Messerwurf interessiert. Unten in Arizona hatte ihm ein alter Indianer, der im gleichen Mietstall arbeitete wie Keaton, die Beherrschung dieser zweifelhaften Kunst beigebracht.

Kid McNally sank lautlos vornüber und glitt langsam aus dem Sattel. Stumm und reglos blieb er im Sand neben seinem Pferd liegen.

Der Mörder schob sich hinter das Tor zurück und verschwand im Inneren des Hofes.

*

Als sie den Kentucky-Mann fanden, war fast eine halbe Stunde vergangen.

Keaton hatte gerade das Office verlassen und wäre fast mit dem Mayor zusammengerannt.

»Marshal! Ihr Freund… McNally…«

»Was ist mit ihm?«

»Er ist erstochen worden! Nebenan in der Gasse liegt er. Mrs. Baker hat ihn gefunden.«

»Unmöglich!« preßte Keaton hervor. Dann eilte er mit dem Mayor in die Nebengasse.

Scheinheilig und mit betroffenem Gesicht kniete der Mann, der in so kurzer Zeit ein kaltblütiger Doppelmörder geworden war, neben dem reglosen Körper seines Kumpan nieder.

»Tot«, sagte er heiser.

Die Menschen, die ringsum standen, waren vom Mitgefühl ergriffen.

Keaton hob den Toten auf und schleppte ihn auf den Vorbau, vorn in der Mainstreet.

Im selben Augenblick torkelte Hal Brigger schwer angetrunken vom General-Store über die Straße. Der kleine Salooner, der über Nacht durch die gemeine und sinnlose Brandschatzung alles verloren hatte, blieb schwankend neben Keaton stehen und stierte mit gläsernen Augen auf den Toten.

»Der hat’s richtig gemacht. Einfach aufgeben. Sollte ich auch tun. Bin aber zu feige…«

Er wandte sich ab und schob torkelnd davon, auf die niedergebrannten Trümmer seines Hauses zu.

Bedrückt sahen ihm die Männer nach.

Und der tote Kentucky-Mann starrte mit gebrochenen Augen am Rand des Vorbaudaches vorbei in den wolkenlosen Himmel Arizonas. Er lag kaum hundert Yards von der Stelle entfernt, an der er den Sheriffsmörder Rory Keaton durch sein entschlossenes Eingreifen vor der sicheren Entdeckung bewahrt hatte.

*

Das Leben in Atlantic-City ging weiter.

So seltsam das auch erscheinen mag.

Der Doppelmörder Rory Keaton trug den Stern auf der Brust und lehnte an Billorys Theke, betäubte sich mit Whisky und versuchte zwischendurch, einen Gedanken zu finden, der ihm diesen Job sichern könnte.

Immer noch waren die beiden hartgesichtigen Männer in der Stadt. Die Morgen-Overland war ohne den Doc abgefahren.

Bisher hatten sie sich noch nicht auf der Straße blicken lassen.

Krächzend unterbrach die Stimme des Händlers die quälenden Gedanken des Verbrechers.

»Gerritsen und seine Crew sind auch noch hier. Die Bande steckt drüben in Vaughams morschem Kasten. Bin überzeugt, daß die Burschen eine Teufelei aushecken. Gestern, als sie hier bei mir waren, hatten sie noch nicht die Absicht, in der Stadt zu bleiben. Die beiden Fremden, die drüben beim Blacksmith wohnen, stecken ihnen in der Nase.« Der verknöcherte Mann lachte kichernd. »Ganz klar, daß sie die beiden fertigmachen werden. Sie sind schließlih zu fünft. Wird trotzdem eine höllische Sache werden. Die beiden Fremden sind scharfe Leute. Wenn ich bedenke, wie der Schwarze mit dem Revolver herumgefahren ist, Teufel auch! War das ein Schuß! Ich lebe nun schon dreißig Jahre in diesem verrückten Land und habe manchen wilden Burschen schießen sehen – so etwas habe ich jedenfalls noch nicht erlebt. Doch, das wird eine höllische Sache. Für so was habe ich einen Riecher. Das wäre bestimmt besser, Marshal, wenn Sie…«

Der Bandit hörte nicht mehr was besser wäre. Nur noch aus weiter Ferne drangen die Worte des Alten an sein Ohr. In den Windungen seines Verbrechergehirns hatte sich ein Gedanke festgesetzt: Die Gerritsen-Crew wird für mich das Eisen aus dem Feuer reißen.

Yeah, das war der rettende Gedanke.

Keaton fischte ein Geldstück aus der Westentasche, ließ es vor dem Händler auf den Ladentisch fallen und verließ mit großen Schritten den Store.

Rory Keaton leitete den letzten Absatz seines ungeheuerlichen Auftrittes in Atlantic-City ein.

Der »Marshal« machte sich auf den Weg zu Vaughams Hotel.

*

Im Obergeschoß des Schmiedehauses stand Doc Holliday hinter der Gardine.

Der Spieler hatte beide Hände in die Taschen geschoben, sog an seiner frischen Zigarette und kniff das linke Auge ein.

»Er geht drüben in die Quergasse. Ich verwette meinen neuen Hut gegen den falschen Marshalstern des Halunken, daß er Gerritsen aufsucht.«

Der Missourier beendete gerade vor dem Spiegel seine Rasur, ließ die Hand prüfend über das Kinn gleiten und kämmte sich sein dichtes schwarzes Haar zurück.

»Kann schon sein, Doc«, antwortete er. »Wenn er nicht aufgeben will, ist das ja auch seine einzige Chance.«

Der Gambler zog seine goldene Taschenuhr hervor, ließ den kunstvoll verzierten Deckel aufspringen und blickte auf das Ziffernblatt.

»Die Overland nach Lander geht in einer Stunde. Einen vernünftigen Gaul kriege ich hier doch nicht.«

Der Marshal schnallte seinen Waffengurt um, nahm gewohnheitsmäßig die beiden Revolver aus den Halftern und ließ die Trommeln prüfend rotieren.

»Yeah, die Overland geht in einer Stunde. Sie müssen sie nehmen, Doc, die nächste fährt erst übermorgen.«

Holliday wandte den Kopf und blickte über die Schulter zurück.

»Und Sie?«

Der Missourier hatte gerade den großen sechskantigen Buntline-Revolver mit tausendfach geübtem Griff in den blanken schwarzen Büffellederschuh gleiten lassen, nahm seine Winchester aus dem Scabbard und untersuchte sie.

»Ich habe hier noch etwas zu tun.«

Holliday nickte: »Yeah«, dann ging er hinaus.

Der Spieler bewohnte das Nebenzimmer. Er stellte seine Taschen auf den Stuhl neben der Tür, prüfte ebenfalls seine beiden Revolver, setzte dann seinen Kalifornia-Hut auf und ging hinunter.

Der Blacksmith kam ihm entgegen.

»Waren Sie mit dem Frühstück zufrieden, Mister Holliday?«

»Es war ausgezeichnet.«

»Ihr Gefährte hat leider von dem Whisky keinen Schluck genommen.«

In die Augenwinkel des Georgiers trat ein verstecktes Lächeln.

»Er macht sich nichts daraus. Das ist übrigens sein einziger Fehler.«

»Wollen Sie etwa heute schon weiter?«

Doc Holliday blickte durch das offene Tor der Schmiedewerkstatt auf die Mainstreet.

»Yeah«, antwortete er, »ich nehme die Overland.«

»Aber sie fährt schon in einer Stunde«, gab der Blacksmith zu bedenken.

»Ja, ich weiß.«

Der Schmied kratzte sich am Kinn.

»Und Ihr Freund?« forschte er nun mit deutlich hörbarer Sorge in der Stimme.

Doc Holliday zog den steifen Hut tiefer in die Stirn und ging auf das Tor zu.

»Der reitet auch in einer Stunde!«

*

Lewt Gerritsens Augen waren schmal wie Schießscharten, als er den Mann mit dem Stern plötzlich im Eingang stehen sah.

Der lange Cornwall rümpfte die Nase und krähte: »He, was will der denn hier?«

»Halt’s Maul«, zischte Gerritsen.

Die Banditen lungerten in dem verkommen wirkenden Hotelraum auf Hockern, Schemeln, zerfetzten Sesseln und Tischen herum.

Niemand von ihnen rührte sich jetzt.

Der »Marshal« machte drei Schritte in den Raum.

»Kann ich mit Ihnen sprechen, Gerritsen?«

Der Tramp ließ seinen Blick forschend über die Gestalt des Sternträgers gleiten.

»Was wollen Sie?« knurrte er dann wenig gnädig.

Doch, Rory Keaton hatte die Stirn, es zu sagen:

»Mein Name ist Wyatt Earp.«

Die Verbrecher federten von ihren Sitzen hoch.

Gerritsen hatte den Kopf auf die Seite gelegt und stieß die beiden Worte durch den Mundwinkel.

»Wyatt Earp?«

»Ja – und ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen, Gerritsen.«

Wieder musterte der Bandit den Sternträger.

»Sie mir ein Geschäft vorschlagen?« fragte er ungläubig.

»Es geht um die beiden Kerle, mit denen Sie sich gestern herumgeschlagen haben.«

Gerritsen stieß einen leisen Doppelpfiff durch eine Zahnlücke aus.

»Konkurrenten, he?«

Keaton machte ein wegwischende Handbewegung. »Unsinn«, sagte er schroff, »es sind Revolvermänner, und wenn ihr es noch nicht gemerkt habt, dann seid ihr noch ziemlich harmlos.«

Gerritsen mißfiel der Ton des Marshals entschieden, aber der Name Wyatt Earp hatte auch auf ihn seinen Eindruck nicht verfehlt. Außerdem wollte der Marshal ihnen ein Geschäft vorschlagen.

»Ich dachte mir, daß es Schießer sind. Aber deshalb hätte ich sie mir doch nicht vorgeknöpft.«

Keaton machte wieder seine herrische Handbewegung.

»Das überlaßt ihr besser mir. Es muß schließlich alles nach dem Gesetz gehen.«

Die anderen Banditen, die bisher schweigend dagesessen hatten, lachten hämisch. »Sure, Marshal«, krächzte Cornwall, um gleich darauf von seinem Boß wieder reichlich unsanft darauf hingewiesen zu werden, sich aus der Debatte zu halten.

Und nun machte der vorgebliche Wyatt Earp dem Straßenräuberboß einen Vorschlag, der einen etwas weniger einfältigen Burschen als Gerritsen mißtrauisch hätte stimmen müssen.

Als Rory Keaton das halbverfallene Hotel Jesse Vaughams verließ, hatte er nicht mehr und nicht weniger getan, als sich fünf Heckenschützen bestellt, die ihm den Kampf gegen die beiden gefährlichen Männer, deren Namen er nicht einmal kannte, durch die er lediglich seine goldene Position gefährdet sah, abnehmen sollten. Der Lohn, den er Gerritsen dafür versprochen hatte, wäre allerdings sehr hoch gewesen, wenn Keaton die Absicht gehabt hätte, ihn tatsächlich auszuzahlen. Aber der Doppelmörder hatte einen ganz anderen, geradezu diabolischen Plan. Keinen roten Cent würden sie bekommen, im Gegenteil, ganz im Gegenteil…

Bis zur Abfahrt der Overland nach Lander waren es noch fünfundvierzig Minuten.

Doc Holliday hatte die Mainstreet überquert und ging mit seinem elastischen Gang die Gasse zu Vaughams Hotel hinunter.

Da kam Keaton ihm plötzlich entgegen. Der Verbrecher stutzte. Nur langsam ging er weiter. Heavens, wollte ihn der Halunke hier bereits abfangen?

Der Gambler schob sich eine lange Zigarette zwischen die Lippen, blieb mitten auf der Straße stehen, klemmte den linken Daumen in den Westenausschnitt und wartete, bis der andere herangekommen war.

»Hallo, Marshal.«

Keaton zog mißtrauisch die Brauen zusammen.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er lauernd.

Holliday ließ die Zigarette von einem Mundwinkel in den anderen wandern und klemmte sie dann zwischen seine blitzenden weißen Zähne.

»Von Ihnen will ich eigentlich nichts, ich hätte nur mal eben gern den großen Revolver gesehen, den Sie da mit sich herumschleppen.«

Der Verbrecher erschrak. Hatte ihn schon die Frechheit, mit der der Mann ihn ansprach, betroffen, so erschreckte ihn die Frage tatsächlich. Nur mühsam gelang es ihm, ein ungnädiges Gesicht aufzusetzen.

»Wie komme ich dazu, jedem hergelaufenen Fremden meinen Colt unter die Nase zu halten?«

Der Spieler blieb vollkommen ruhig; die vorige Beleidigung hatte er scheinbar glatt überhört.

»Wyatt Earp soll doch einen Bunt-line-Revolver besitzen.«

Anstatt das einzig Richtige zu tun, was er in seiner Lage tun konnte, nämlich weiterzugehen, ging der Verbrecher dem Gambler auf den Leim und stritt sich mit ihm.

Der Spieler plinkerte durch den Zigarettenrauch und sagte plötzlich: »Eigentlich schade, Marshal, daß aus unserem Gunfight gestern nichts geworden ist! Hätten Sie nicht so feige gekniffen, dann gäbe es bereits einen Halunken weniger in der Stadt.«

Doc Holliday hatte längst bemerkt, daß die alten Fenster im Hotel hochgeschoben waren, und daß die Gerritsen-Crew dem von seiner Stelle ziemlich laut geführten Disput mit großer Aufmerksamkeit folgte.

Da machte Rory Josuah Keaton, der in Kreisen solcher Gunfigther absolut nichts zu suchen hatte und den lediglich eine verrückte Laune des Schicksals vor diesen Mann geführt hatte, einen neuen großen Fehler: Er stieß die Rechte zum Colt und wollte die Waffe hochreißen.

Aber mit weitoffenen Augen starrte er auf den großen vernickelten Revolver, den ihm der Gambler sanft lächelnd entgegenhielt.

Es war eine traumhaft schnelle Bewegung gewesen, mit der Holliday seine Waffe gezogen hatte.

Sie hatten es alle gesehen. Auch die Tramps drüben im Hotel.

Und nicht genug damit ließ der Georgier seine andere Hand in einer gedankenschnellen Bewegung nach vorn schnellen um dem »Marshal« den großen Revolver aus dem Halfter zu ziehen.

Holliday schleuderte die Waffe hoch und gab dann zwei Schüsse auf sie ab, die die beiden Knaufbeschläge zerschlugen.

Der vernickelte Revolver des einstigen Bostoner Zahnarztes flog sofort darauf in das Halfter zurück.

Der Gambler lächelte. Immer noch glimmte die Zigarette zwischen seinen weißen Zähnen.

»Mit der Kanone hätten Sie auf fünf Yards kein Scheunentor getroffen, warum wollen Sie sich mit dem Ding länger abschleppen?« Und dann wurde seine Stimme messerscharf und klirrend. »Ich erwarte Sie in einer Viertelstunde zum Gunfight auf der Main-street, Marshal, vergessen Sie es nicht. Um elf geht meine Overland. Ich habe in der Zwischenzeit noch eine Bestellung bei dem Sargtischler aufzugeben.«

Keaton war weiß, wie eine gekalkte Wand geworden. Steif stand er auf der Straße und starrte mit blinden Augen hinter dem Spieler her.

Spürte der Mörder, daß seine Zeit um war?

Nein. Rory Keaton spürte es nicht. Es war nur die Eiskälte des Gunmans, die ihn erschreckt hatte, nichts weiter.

Er gab sich einen Ruck, straffte seine Gestalt, warf einen kurzen Blick zum Hotel hinüber, hob den Kopf in der Art, wie er sie sich für seine verhängnisvolle Rolle in Atlantic-City angewöhnt hatte, und ging davon.

Als Keaton die Mainstreet erreichte, sah er drüben vor den verkohlten Trümmern vor Briggers Boardinghouse einen Reiter stehen. Keaton zuckte zusammen. Er glaubte seinen Augen nicht trauen zu können. Es war Rob Piggers, der Mann, den er glaubte, in die Berge verbannen zu können, den er dort auf Abruf hatte warten lassen wollen, bis er ihn vielleicht einmal benötigen konnte.

Keaton stand wie versteinert da.

Dann lag plötzlich der Revolver in seiner Hand.

Der Schuß des Mörders fauchte über die Straße.

Aber diesmal war das Geschoß des Heckenschützen nicht tödlich. Die Kugel steckte in Piggers linker Schulter.

Mit einem wilden Schrei warf sich der Tramp mit dem Hundegesicht aus dem Sattel und verschanzte sich hinter seinem Pferd.

»Du verdammter Aasgeier! Du dreckiger Skunk!«

Piggers hatte seine Winchester aus dem Sattelschuh gerissen, lud sie durch, schob sie über den Pferderücken, und röhrend heulte der Schuß über die Mainstreet.

Die Kugel riß Keaton den Stetson vom Kopf.

Da krachte drüben aus dem Tor des Schmiedes ein brüllender Revolverschuß.

Die Winchester wurde Piggers aus der Hand gestoßen. Keaton sah den hochgewachsenen Fremden aus der Schmiede treten, der gestern Gerritsen so scharf mitgespielt hatte.

Der Missourier behielt den Revolver in der Hand und schritt auf Piggers zu. Mit eisiger Gelassenheit nahm er dem vor Angst und Schmerz bebenden Tramp den Revolver aus dem Gurt und sagte völlig ruhig: »Der Doc wohnt drüben.«

Während Rob Piggers über die Straße torkelte, stand Wyatt Earp mit verschränkten Armen vor der Brandstätte.

Rory Keaton hatte keine Chance mehr, einen weiteren Schuß auf seinen letzten Komplicen abzugeben. Aus zusammengekniffenen Augen blickte er zu dem schwarzgekleideten Fremden hinüber – und plötzlich stockte ihm der Atem. Er sah in der über der Brust verschränkten Linken einen Revolver, wie er noch nie zuvor einen ähnlichen gesehen hatte. Die Waffe war noch gut zweieinhalb Inches länger als der Colt, den Peacemaker ihm für teures Geld als einen echten Buntline aufgeschwatzt hatte.

Und der Mörder sah noch mehr. Er sah auf der verblichenen schwarzen Weste links in der Höhe des Herzens einen dunklen Fleck. Einen Fleck, von dem Keaton plötzlich spürte, daß er ganz ohne Zweifel echt war; daß er von einem großen fünfzackigen wappengerahmten Marshalstern herrührte, der da eine lange Zeit gesessen hatte.

Rory Keaton sah noch mehr: Er sah den großen breiten schwarzen Gurt mit den zwei Halftern, er sah die schwarzen texanisch gesteppten Stiefel mit den silbernen Sternradsporen – und dann sah er in das Gesicht, in die Augen des Mannes.

In dieser Minute wußte der Mörder Rory Josuah Keaton, daß der Mann da drüben Wyatt Earp war.

Der Westen war so unendlich groß und weit, und die Treibherdenstadt Dodge-City lag viele hundert Meilen weit im Südwesten. Und trotzdem gab es keinen Zweifel, daß der Mann da drüben der Marshal Earp war.

Als Keaton den Blick kurz nach links wandte, sah er nur etwa sieben Yards schräg hinter sich, auf dem Vorbau des Sargtischlers Mills, den graugekleideten Gunman stehen.

Doc Holliday!

Wie Trompetenstößen fuhr es durch das Gehirn des Verbrechers: Wyatt Earp und Doc Holliday! Sie sind beide tatsächlich hier in Atlantic-City!

Wie hatte ihm das Schicksal einen so grausamen Streich spielen können?

Langsam und mit gesenktem Kopf schritt der Verbrecher dicht an den Vorbauten der rechten Straßenseite davon und hielt auf sein Office zu.

»In zehn Minuten warte ich hier auf der Straße auf Sie!« rief der Gambler ihm nach.

*

Wyatt sah zufällig, als er in die Werkstatt zurückgehen wollte, wie drüben in den Hof des Stores zwei Männer liefen. Er hatte sie trotz der Geschwindigkeit gesehen, mit der sie sich hinter dem Tor verkrochen hatten.

Wyatt ging sofort zurück, überquerte die Mainstreet und betrat den Store.

Billory sah ihm mit schräggelegtem Kopf entgegen.

»Ja, was gibt’s…?«

Wyatt trat sofort hinter den Tresen und öffnete die Korridortür.

»Nichts Wichtiges, Mister. Ich hätte mir gern mal Ihren Besuch angesehen.«

»Besuch? Ich habe keinen Besuch, Mister…«

»Sicher, eingeladen haben Sie keinen, aber die Gents haben sich selbst eingeladen.«

Wyatt war bereits an der Tür zum Hof und blickte durch das kleine oben angebrachte Fenster hinaus.

Die Männer waren schon auf der Treppe.

Wyatt zuckte zurück und preßte sich in den Türwinkel, als der Drehgriff betätigt wurde.

»Zurück in den Store!« zischte der Marshal dem Händler zu.

Glücklicherweise reagierte der Mann sofort.

Da wurde die Tür geöffnet.

Sie knarrte – das schien die Banditen nicht allzusehr zu stören.

Sie betraten den Gang. Es war der vierschrötige Butch Neegle und der lange Cornwall.

Wyatt ließ sie vorbei. Sie hielten sofort auf die Treppe zum Obergeschoß zu und stiegen hinauf.

Erst als eben eine Tür hinter ihnen zufiel, verließ Wyatt seinen Platz.

Billory erschien in der Tür zum Laden.

»Was soll denn da…«

»Pst! Die Herrschaften suchen sich oben ein bequemes Quartier aus, Mister. Wahrscheinlich einen Fensterplatz für den Gunfight, der gleich draußen vor sich gehen soll.«

»Gunfight?«

»Ich bin gleich wieder zurück!«

Der Marshal stieg leise die Stufen hinauf.

Nur eine Tür führte zu einem Raum, der zur Straße hinaus lag.

Wyatt warf einen kurzen Blick durchs Schlüsselloch und sah, daß es Zeit wurde, einzugreifen.

Die beiden Männer hatten sich mit ihren Gewehren bereits an den hochgeschobenen Fenstern postiert.

Die Tür flog auf.

Cornwall wirbelte herum.

Neegle begriff nicht ganz so schnell.

Langsam drückte der Marshal die Tür mit der Rechten hinter sich zu.

Cornwalls Gesicht hatte sich verzerrt.

Neegle lachte einfältig. »He, da ist ja der Cowboy! Was will der denn hier?«

Wyatt kam langsam näher.

Da stieß Cornwall seine Rechte zum Colt. Aber er mußte erleben, daß das, was er für große Schnelligkeit gehalten hatte, ein Nichts war – gegen das, was ihm der »Cowboy« da vorzauberte.

Der große vierkantige Revolver blinkte schon in der Linken des Missouriers, als Cornwall seinen Colt noch nicht halb aus dem Halfter hatte. Drohend gähnte das schwarze Mündungsloch der schweren Waffe dem Banditen entgegen.

Cornwall ließ seinen Colt zurück ins Halfter gleiten.

Und sein Gefährte Butch Neegle hatte noch nicht verstanden. Er glaubte seinen Augenblick gekommen und hechtete von der Fensterfront her schräg auf den Missourier zu.

Wyatt ließ ihn passieren. Neegle stürzte hart auf die Dielen. Wyatt konnte einem sofort und pfeifend geschlagenen linken Schwinger Cornwalls eben noch ausweichen. Dafür riß er selbst einen steifangewinkelten rechten Haken herum und traf den Desperado hart in die Rippen.

Cornwall torkelte zurück.

Wyatt setzte ihm nach, packte ihn, riß ihm den Revolver aus dem Halfter und schleuderte ihn in die Zimmerecke.

Da war Neegle wieder heran.

Wyatt täuschte ihn mit einer gedankenschnellen Körperwendung, ließ ihn fallen und riß auch ihm den Revolver aus dem Halfter.

Cornwall rannte mit dem Wutschrei vorwärts.

»He, Butch, den Skunk werden wir beide doch schaffen!«

»Klar, Red!« zischte der Vierschrötige. Und jetzt nahmen sie den Gegner in die Zange.

Jedenfalls wollten sie das.

Aber der Marshal aus Kansas war anscheinend nicht zu greifen. Wohin die beiden auch schlugen, sie trafen Luftlöcher.

Wyatt duckte drei, vier Schläge ab, hieb dann aber urplötzlich aus der Hüfte heraus einen krachenden Linkshänder an Cornwalls Schädel.

Der Hieb riß dem hünenhaften Desperado die Beine weg.

Neegle sah seinen Kameraden zusammensinken und stürzte sich dem höllischen Gegner schnaufend und beidhändig schlagend entgegen.

Wyatt machte einen blitzschnellen Sidestep und fing den vierschrötigen Tramp dann mit einem glasharten rechten Uppercut ab, der genau die Kinnspitze traf.

Da lagen sie beide am Boden.

Der Marshal sammelte ihre Revolver und ihre Gewehre ein und ging hinunter.

Jim Billory blickte ihm aus einem Türspalt ängstlich entgegen.

»Ach, Sie sind’s…!«

»Yeah, ich sagte Ihnen doch, daß ich gleich zurückkommen würde.«

»Und…?«

»Der Besuch? Der hat sich etwas hingelegt. Reisen macht schließlich müde.«

Er verließ den Store und warf die Waffen draußen in eine Vorbauecke.

Holliday lehnte noch an seinem Pfeiler, zog die Uhr aus der Tasche.

»Noch fünf Minuten«, sagte er.

In diesem Augenblick hatte der Marshal ihn gesehen, den Mann, der aus einer Dachluke stieg und vorn hinter die hochgezogenen Bretterfassade kroch.

Es war einer von Gerritsens Leuten.

Wyatt überquerte die Straße wieder und verschwand in Conny Fenners Ranchers Tool. Eine alte rundliche Frau kam ihm händeringend entgegen.

»Misten, haben Sie doch Erbarmen mit einer alten Frau. Ich habe ein krankes Kind im Haus…, der Mann ist über die Stiege hinaufgerannt. Ich konnte ihn nicht halten.«

»Ich weiß, Madam, seien Sie ruhig, es wird Ihnen nichts geschehen.«

»Aber wo wollen Sie denn hin?«

»Der Mann hat sich im Haus geirrt, ich muß ihn darauf aufmerksam machen…«

Als der Missourier die Dachluke anhob, sah er den Banditen vorn hinter der Bretterfassade kauern. Ein schußbereites Gewehr im Anschlag.

Wyatt kroch behutsam aus der Luke und näherte sich dem Mann.

Als er auf sechs Yards herangekommen war, vernahm der Bandit ein winziges Geräusch hinter sich und fuhr herum.

Von der Straße her krachte ein Schuß.

Der Gewehrlauf des Tramps bekam einen Stoß; Doc Holliday war also auf seiner Hut gewesen.

Die Kugel hatte dem Banditen das Gewehr aus der Hand gestoßen. Sofort griff er zum Colt.

Da war Wyatt schon bei ihm. Ein rascher Fußtritt, und der Colt flog hoch durch die Luft um gegen die Fassaden-Rückwand zu krachen.

Der Tramp sah seinen Gegner aus blutunterlaufenen Augen an.

»Come on, Cowboy!« knirschte er und stürzte sich auf seinen Gegner.

Wyatt blieb stehen, wo er stand, pendelte eine Linke des Banditen aus und wuchtete dem Mann unter einer zu hoch angesetzten Rechten einen linken Haken in die kurzen Rippen, der dem Tramp sofort die Luft benahm.

Wyatt packte ihn am Genick und schob ihn zur Dachluke.

»Vorwärts! Und laß dir keine Späße einfallen, Brother, ich bin heute morgen mit dem linken Bein zuerst aufgestanden!«

Der Verbrecher dachte an keine Gegenwehr mehr. Sein Vorrat an Mut war verbraucht.

Unten band Wyatt ihm Hände und Füße zusammen, stopfte ihm einen Knebel in den Mund und ließ ihn wie ein Paket im Korridor liegen.

Die Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Das ist ja furchtbar, Mister – wie soll das noch enden? Der eine Mann steht immer noch drüben und macht Augen wie eine Schlange…«

Der Marshal war schon auf dem Vorbau.

Holliday zog wieder seine Uhr.

»Noch eine Minute.«

Die Minute verstrich. Und die Mainstreet blieb leer.

Der geforderte »Marshal« ließ sich nirgends blicken.

Holliday stand mitten auf der Straße.

Der Marshal wartete oben auf dem Vorbau des Gerätehandels.

Es blieb still in der Mainstreet von Atlantic-City.

Da wandte der Gambler den Kopf und blickte den Missourier an.

»Wieviel waren es?«

»Bis jetzt drei.«

Holliday nickte. »Dann bleiben außer dem ›Marshal‹ noch zwei.«

*

Rory Josuah Keaton befand sich auf dem Weg, der ihn in die vorderste Reihe der großen Verbrecher der Staaten schieben sollte.

Er wurde das nicht, weil er ein besonders kluger, gerissener und verschlagener Mann war, sondern wegen seiner unfaßlich heimtückischen und rigorosen Morde.

Langsam schritt er durch eine Quergasse und näherte sich der Rückfront von Vaughams Hotel. Das morsche Hoftor war verschlossen.

Keaton betrachtete die Fenz. Sie war nicht allzu hoch. Er zog sich hinauf und schwang sich darüber in den Hof.

Fünfzehn Yards etwa maß der Hof.

Keaton überlegte einen Moment. Sollte er Deckung nehmend zum Haus hinüberschleichen? Oder sollte er aufrecht gehen?

Er entschloß sich zu schleichen.

Dann war er an der Tür. Sie war verschlossen. Etwas weiter rechts stand eines der Fenster offen.

Keaton zerrte ein altes Faß heran, stellte sich darauf und zog sich auf die Fensterbank.

Einige Sekunden später war er im Haus, stand auf dem halbdunklen Gang und lauschte zur Halle hinüber.

Schon vom Fenster her vernahm er die Stimmen zweier Männer.

Es war Lewt Gerritsen, der sich mit dem roten Jim Hardenagger unterhielt.

Dann war plötzlich die vom Whisky zerstörte Stimme des alten Diggers Vaugham zu hören.

In dem Verbrecher stieg wieder der Zorn hoch. Also Gerritsen hatte ihn verraten. Er war nicht auf die Main-street gekommen, um für ihn gegen Holliday zu kämpfen. Er hatte Lunte gerochen. Vielleicht wußte er bereits, wer die beiden falkenäugigen Männer oben auf der Mainstreet waren, oder er ahnte, daß der »Marshal« ihn selbst und seine Leute nach der Schießerei festnehmen und für schuldig an dem Tod der beiden Fremden erklären lassen wollte.

Jedenfalls hatte Gerritsen ihn verraten.

Unstet flogen die Augen des Doppelmörders hin und her. Seine Hände waren schweißnaß. Er tastete mit der Linken nach dem leeren Halfter, dahin, wo die große altertümliche Waffe gesessen hatte, die ihm Bill Peacemaker

als Buntline-Revolver verkauft und

die Doc Holliday ihm zerschossen hatte.

Das Gesicht des Verbrechers verzerrte sich. Er stieß die Rechte auf den fünfundvierziger Colt, nahm die Waffe heraus und hielt sie wie einen Stock nach vorn.

Er zitterte. Aber er spürte genau, daß er nicht mehr warten konnte.

Mit einem wilden Fußtritt stieß er die Tür auf. Nur vier Yards vor ihm hockten Gerritsen und Hardenagger auf der Kante eines Tisches.

Keaton schoß sofort.

Von zwei Kugeln in den Rücken getroffen, sackte Gerritsen sofort nach vorn und schlug schwer auf die schmutzigen Dielen auf.

Dem roten Jim erging es nicht anders.

Steif vor Entsetzen lehnte der Digger vorn an der Tür.

Da stieß Keaton den Revolver vor und gab einen Schuß auf ihn ab.

Nur zwei Inches neben dem Schädel Vaughams klatschte die Kugel in das Holz des Türrahmens.

Vaugham ließ sich fallen und kroch hinter eine Kiste.

Keaton schoß wieder.

Dann war seine Trommel leer.

Vorn wurde an die Tür gehämmert.

Dann zerbarst in der Halle ein Fenster.

Wyatt Earp sprang mit beiden Revolvern in den Fäusten herein.

Er sah die beiden Männer am Boden liegen.

Auch den Mann hinter der Kiste sah er.

Doc Hollidays Kopf erschien in der Fensteröffnung.

»Da, er muß durch die Tür geflüchtet sein!«

Vorsichtig stieß der Marshal die Korridortür auf. Er trat geduckt in den Flur.

Aber von dem »Marshal« war nichts zu sehen.

In panischer Hast hatte Keaton, nachdem er seine Kugeln verschossen und zwei Menschen heimtückisch ermordet hatte, die Flucht ergriffen.

Er hatte noch einen Weg vor.

Rob Piggers! Der sollte auch noch sterben. Dann hatte er sich an allen gerächt.

In wilden Sprüngen tigerte er durch die engen Gassen bis zur Rückfront des Doktorhauses.

Hier war die Fenz zu hoch, als daß er sich hätte hinüberschwingen können, und das Tor war ebenfalls verschlossen.

Dem Mörder rann der Schweiß am ganzen Körper nieder. Er wußte, daß die beiden Männer auf der Mainstreet die Schüsse in Vaughams Hotel gehört haben mußten. Sicher waren sie jetzt bereits hinter ihm her.

Gehetzt sah er sich nach allen Seiten um. Wohin sollte er sich jetzt wenden? Er mußte Piggers finden! Nur dieser eine Gedanke brannte in seinem Hirn.

Daß er vielleicht versuchen könnte, aus dieser Stadt zu fliehen, darauf kam er gar nicht.

Aber hier konnte er auch nicht bleiben.

Wieder sah er sich um.

Drüben kam eine Frau aus einem Hof und trug einen Arm voller Holz in einen Wagen.

Keaton wandte sich ab und schritt die Gasse hinunter.

Oben lag die Mainstreet. Ein breiter Planwagen rollte eben an der Gassenmündung vorbei.

Keaton lief vorwärts.

Keuchend langte er an der Ecke der Hauptstraße an, lugte um die Vorbaukante und sah, daß Doc Holliday verschwunden war.

Sie suchten ihn also bereits in Vaughams Hotel.

Verzweiflung stieg in dem Verbrecher auf. Hier konnte er nicht bleiben.

Noch war die Straße völlig leer.

Der Prärieschooner rollte rumpelnd dem östlichen Stadtausgang zu.

Salzig rann dem Banditen der Schweiß durch die Brauen in die Augen.

Teufel auch, er mußte hier weg! Jeden Augenblick konnten Wyatt Earp und Doc Holliday vorn an der Ecke neben dem General-Store auftauchen.

Aber dem Mörder waren die Beine wie gelähmt. Immer noch nicht kam ihm der Gedanke, davonzulaufen, seinen Gaul zu holen, um dieser Stadt, der er soviel Unheil gebracht hatte, zu entfliehen.

Er wollte Piggers noch »erledigen«.

»Sie haben mich verraten!« keuchte er tonlos vor sich hin, »alle haben sie mich verraten! Und alle sollen sie dafür büßen! Ich muß Piggers finden.«

Ein alter Mann trat aus einem Haus und blickte auf den »Marshal«.

»Hallo, Mister Earp«, sagte der Mann. »Es ist schon wieder geschossen worden. Meine Frau hat im Hof gerade Wäsche aufgehängt, da hörte sie es…«

Keaton nickte. »Ich weiß. Bleiben Sie im Haus. Die Banditen sind in der Stadt!«

Der Mann schrak zusammen und wandte sich rasch ins Haus zurück.

Die Straße war wieder leer.

Keaton ließ sein Blick über die Fassaden der gegenüberliegenden Häuser schweifen. Unweit von dem niedergebrannten Saloon war das Haus des Schmiedes.

Plötzlich hatte der Bandit eine teuflische Idee.

Er rannte los, überquerte die Straße, lief in die gegenüberliegende Nebengasse und schob sich in den schmalen Pfad, der sich zwischen den ungleichen Höfen entlangschlängelte.

Das kleine rückwärtige Tor des Schmiedehofes stand offen. Ein Mann führte gerade ein frischbeschlagenes Pferd heraus.

Keaton blieb stehen und wartete, bis der Reiter verschwunden war. Dann näherte er sich dem Tor und blickte vorsichtig in den Hof.

Niemand war zu sehen. Im Haus war alles still. Das Küchenfenster war hochgeschoben, aber zweifellos waren die Bewohner des Hauses alle vorn in den Räumen oder in der Werkstatt, da sie die Mainstreet beobachteten.

Keaton kam ungesehen ins Haus und stieg die Treppe zum Obergeschoß hinauf.

Als er eine der Türen öffnete, sah er den kleinen krokodilledernen Koffer Doc Hollidays auf einem Stuhl stehen.

Der Verbrecher schloß die Tür hinter sich und trat neben das halbhochgeschobene Fenster. Sein Atem ging schwer, seine Lungen keuchten. Er war schweißgebadet.

Hier würden sie ihn sicher nicht suchen.

Da zuckte er zusammen.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite öffnete sich die Tür des Doktorhauses. Ein Mann streckte seinen Kopf heraus.

Rob Piggers!

Keaton zog seinen Revolver, stieß ihn vor, spannte und drückte ab.

Klick! Nichts weiter. Die Trommel war leer. Mit fliegenden Fingern zerrte der Bandit sechs Patronen aus den Gurtschlaufen und schob sie in die Kammern der Trommel.

Als er dann wieder auf die Straße sah, war Piggers verschwunden.

Die Tür des Arzthauses stand noch offen.

Vermutlich war Piggers also wieder zurück ins Haus gegangen.

Jäh zuckte der Verbrecher zurück.

Unten war Doc Holliday aus der Gasse gekommen, in der Vaughams Hotel lag. Er betrat den Vorbau und blieb so dicht an der Hauswand stehen, daß Keaton nur die Ränder seiner Schuhspitzen sehen konnte.

»Geriebener Hund!« fauchte der Bandit. »Er ist tatsächlich mit allen Wassern gewaschen! Wie er dasteht, kann man ihn von einem Obergeschoß aus nie treffen, und unten sieht er ja alles…«

Keaton merkte, daß seine Knie zitterten. Wo steckte Wyatt Earp?

Die beiden höllischen Männer aus Dodge wirkten derart beunruhigend, daß der Verbrecher sich von der Fensternische zurückzog und auf einen Sesselkante niederließ.

Wo war der Marshal? Wenn man die beiden zusammen irgendwo wußte, konnte man Atem holen. Aber sah man nur einen von ihnen, so mußte man den anderen schon hinter sich vermuten.

Der Mörder Rory Josuah Keaton hatte jetzt die gleichen höllischen Ängste durchzustehen, die vor ihm schon mehr als ein Dutzend andere Banditen hatten erleben müssen.

Keaton riß sich wieder hoch und trat von der Seite her ans Fenster. Seine Augen suchten Doc Holliday.

Yeah, er stand noch da.

»Es ist eine Finte!« stieß der Verbrecher heiser hervor. »Eine ganz verdammte Finte! Wo ist der andere…?«

Sein Unterkiefer bebte. Knirschend schlugen die Zahnreihen aufeinander. Wieder und wieder wischte Keaton sich über das glühende schweißnasse Gesicht.

Vier Menschen hatte der Desperado getötet. Vier Menschen in dieser Stadt…

Zehn Jahre war er nun auf dem grauen Trail. Nie hatte er einen Menschen getötet. Und hier, in der Stadt, in der er hatte strahlen wollen, in der sein unseliges Geltungsbedürfnis endlich einmal gestillt worden war, hier war er zum Mörder geworden. Zum zweifachen Mörder.

Er hatte keine Chance mehr; unten strichen zwei Wölfe umher, denen er nicht entkommen konnte. Seine eigene Großmannssucht hatte ihn ins Verderben gestürzt.

Vielleicht hätte er noch eine Zeit hier bleiben können, aber das Schicksal war gegen ihn gewesen, es hatte ausgerechnet den Mann, dessen Namen er sich gestohlen hatte, hierhergeführt. Das war sein Ende.

Aber Rory Josuah Keaton begriff es immer noch nicht.

Mit glasigen Augen starrte er auf die dünnen Ränder der Schuhspitzen, drüben unter dem Vorbaudach.

Da konnte selbst ein Dutzend Kugeln nichts ausrichten. Erstens betrug die Entfernung bis hinüber wenigstens zwanzig Yards und dann –?was war gewonnen, wenn er die Schuhspitze des Gunmans traf?

Gar nichts. Im Gegenteil, er hätte sich durch den Schuß verraten.

*

Der Blacksmith hatte den Spieler drüben ebenfalls kommen sehen. Er beobachtete, wie er leichtfüßig den Vorbau betrat und sich dicht an die Wand preßte.

Dann sperrte er Mund und Augen auf.

Was war denn in den Doc gefahren? Da zog der Mann doch tatsächlich seine Stiefeletten aus!

Langsam wie ein Indianer bewegte er sich dicht an der Hauswand weiter und verschwand schließlich in der nächsten Tür.

Seine Schuhe standen so nebeneinander, wie er sich in ihnen vor die Wand gestellt hatte.

Der Blacksmith begriff nichts davon, ja, er glaubte im Gegenteil, daß er geträumt haben müsse, als er seine

Tochter heiser vor Erregung sagen hörte:

»Das ist ein Trick. Es muß also jemand hier auf unserer Seite sein…«

Ann ahnte nicht, daß dieser Jemand in ihrem eigenen Haus, wenige Yards über ihnen hinterm Fenster stand.

Auf der Straße herrschte eine unheimliche Stille.

*

Als Doc Holliday den Hausgang betrat, sah er hinten im Dunkel einen Mann mit einem Gewehr stehen; links auf der Brust trug er einen blinkenden Stern. Es war ein kleiner schmächtiger Mann.

Holliday hatte sofort einen seiner Revolver in der Hand. Da erkannte er den Mann.

»Sie sind der Deputy?«

Der Hilfs-Sheriff nickte. »Yeah – und Sie sind Doc Holliday, nicht wahr?«

»Stimmt, Mister.«

»Wo ist Wyatt Earp?«

»Er macht einen kleinen Spaziergang. So etwas soll ganz gesund sein.«

Der Deputy blickte entgeistert auf die unbeschuhten Füße des Gamblers.

Holliday fragte: »Ist das Ihr Haus?«

»Ja, es gehört meinen Eltern.«

»Well, Freund, dann zeigen Sie mir schnell mal den Weg ins Obergschoß. Ich muß hinter eines der Fenster zur Straßenfront kommen.«

Das geschah.

Und der Spieler postierte sich hinter einem glücklicherweise hochgeschobenen Fenster, von wo aus er die Straße in einem weiten Winkel übersehen konnte.

Da gewahrte das scharfe Auge des Spielers ganz zufällig drüben hinter der Gardine seines eigenen Zimmers eine Bewegung.

Heavens, sollte der Marshal etwa da drüben sein? Kaum anzunehmen, sie hatten doch etwas ganz anderes vereinbart.

Holliday hielt das Fenster scharf im Auge, und plötzlich sah er die Umrisse eines Mannes.

Das war nicht Wyatt Earp; der Mann, der sich da drüben in der Fensternische aufhielt, war wenigstens einen halben Kopf kleiner als der Missourier.

Sollte es etwa der Bandit sein? Sollte der Mann tatsächlich den Nerv gehabt und sich in dem Zimmer seiner ärgsten Widersacher versteckt haben?

*

Keaton starrte nach wie vor auf die Schuhränder. Solange er die sehen konnte, glaubte er, vor einem der Wölfe sicher zu sein.

Immer noch zermarterte er sich das Hirn mit der Frage: Wo steckt der andere?

Auf diese Frage sollte er schnell eine Antwort bekommen.

*

Rob Piggers war verbunden worden und hatte dem Arzt ein großes Geldstück hingelegt.

»Das ist zuviel!« knurrte der Arzt.

»Ich habe es nicht anders.«

Piggers wollte hinaus.

Da hielt ihn der Arzt fest. »Ich lasse mir nichts schenken, Mann!«

Piggers stand schon halb auf dem Vorbau. Da hörte er neben sich aus der Spalte, die durch die nicht ganz dicht aneinanderstehenden Häuser des Arztes und des Sargtischlers gebildet wurde, eine zischende halblaute Stimme:

»Gehen Sie sofort zurück ins Haus, Mann!«

Piggers zuckte zurück. Heavens, das war die Stimme des Mannes, der ihn vorhin vor Keaton gerettet hatte. Er steckte also jetzt in der Spalte zwischen den beiden Häusern.

Damned, das war ja ein höllisches Duo.

Immer noch stand die Tür einen Spaltbreit offen. Da hörte Piggers wieder die Stimme des Mannes aus der Häuserenge:

»Wie heißt der Mann?«

Der Bandit, der noch im Türwinkel lehnte, verspürte beim Klang dieser Stimme ein sonderbares Gefühl unterm Hut. Diese Stimme kannte keinen Widerspruch. Und wie einem Zwang folgend, antwortete der Tramp: »Keaton, Rory Keaton.«

Wyatt Earp lehnte dicht an der Hauswand und befahl dem Banditen: »Hören Sie gut zu, Freund, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, tun Sie jetzt genau, was ich Ihnen sage – rufen Sie seinen Namen und fordern Sie ihn auf, auf die Straße zu kommen.«

Piggers schluckte, dann brüllte er durch die halboffene Tür auf die Mainstreet hinaus: »Keaton! Komm auf die Straße!«

Draußen blieb alles still. »Sagen Sie ihm, daß Sie ihn entdeckt hätten.«

»Komm raus, Keaton! Ich weiß, wo du steckst!«

Der Mörder fiel auf den Trick herein. Er war so erregt, daß er den Revolver hervorstieß und zwei Schüsse über die Straße hinüberschickte.

Viel zu kurz schlugen die Kugeln auf der letzten Stufe der Vorbautreppe des Arzthauses ein.

Das war der Moment für den Meisterschützen Holliday. Er hob einen seiner vernickelten Revolver und schickte einen fauchenden Schuß, der einen kunstgerechten leichten Bogen beschrieb zum Obergeschoß des Blacksmith-Hauses hinüber.

Die Kugel schlug klatschend auf eine Eisenkrampe in der Fensterbrüstung und fuhr quarrend als Querschläger in den Raum.

Keaton prallte zurück.

Dann duckte er sich nieder, kroch unter dem Fenster her und richtete sich auf der anderen Seite der Nische wieder auf. Von dort war der Schuß also gekommen.

Der Bandit hob den Revolver an, und kaum hatte er die Hand über der Fensterbrüstung, als der Missourier drüben mit einem weiten Satz aus der Häuserspalte nach vorn sprang und einen brüllenden Schuß aus dem Bunt-line-Revolver abgab.

Keaton stieß einen Schmerzensschrei aus; sein Revolver polterte über die Fensterbrüstung hinüber auf das Vorbaudach, von wo er auf die Straße rutschte.

Der Mörder hatte keine Waffe mehr. Mit hämmernden Pulsen lehnte er dicht an die Fensterbank gepreßt und lauschte auf die Straße hinunter. »Ich bin gefangen!« stieß er heiser hervor. »Sie haben mich gestellt, die Wölfe.«

Dann hastete er los. Die Treppe hinunter in den Hauseingang.

»Blacksmith!«

Der Schmied hielt den Atem an. Seine Tochter stand zitternd neben ihm.

»Komm raus! Und bring deine Tochter mit! Ich zähle bis drei!«

»Wir müssen hinausgehen«, sagte der Schmied heiser, »ich habe keine Waffe hier.«

»Wird’s bald!« geiferte die Stimme des Verbrechers durchs Haus.

»Come on!« sagte der grauköpfige Schmied und nahm seine Tochter beider Hand.

»Was hat der Mann vor?« wollte das Mädchen bebend wissen.

Der Schmied räusperte sich. »Er braucht einen lebenden Schild, hinter dem er sich verbergen kann.«

In diesem Augenblick schlug irgendwo eine Uhr; mißtönend hallten elf blecherne Schläge durch das Haus.

Mit ihnen war die letzte Minute des Rory Josuah Keaton angebrochen.

Es ging plötzlich alles rasend schnell.

Von Osten her rollte die staubgepuderte Overland ratternd in die Main-street.

Rory Keaton sprang auf die Tür der Wohnstube zu.

Im gleichen Moment flog hinten die Hoftür auf.

»Keaton!«

Der Verbrecher schrak zusammen und wirbelte herum. Sechs Yards vor sich im Türrahmen erkannte er die riesige Gestalt Wyatt Earps.

Der Mörder stieß einen dumpfen Laut aus, warf sich wieder herum, stürzte auf die Haustür zu und stolperte auf den Vorbau.

Da peitschte ihm aus nur vier Yards Entfernung ein Feuerstoß entgegen.

Rob Piggers war über die Straße gelaufen und hatte Keatons Revolver aufgehoben. Er hatte nur einen einzigen Schuß abgeben können. Dann fegte ihm eine Kugel Hollidays die Waffe aus der Hand.

Der Missourier stand in der offenen Tür und blickte auf den plötzlich seltsam gebeugten Rücken des Mörders.

Rob Piggers hatte seinen Boß genau getroffen.

Keaton stierte ihn fassungslos an. Dann torkelte er zwei Schritte nach vorn, durchbrach mit seinem Gewicht das Vorbaugeländer und stürzte neben der Treppe kopfüber auf die Straße.

Noch einmal richtete sich der

Verbrecher auf. Mit verzerrtem Gesicht starrte er auf den schräg gegenüberliegenden Vorbau, wo das

herrenlose Stiefelpaar stand.

Ein heiseres Lachen entrang sich

seiner Kehle. Dann fiel der Mörder

zurück und blieb langausgestreckt

im Staub der Straße liegen.

Wyatt Earp Jubiläumsbox 7 – Western

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